emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me07/me07_255.htm

1477 lines
113 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 4.01 Transitional//EN">
<html>
<head>
<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 25 March 2009), see www.w3.org">
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=us-ascii">
<title>Karl Marx/Friedrich Engels - Rezensionen aus der "Neuen Rheinischen Zeitung.
Politisch-oekonomische Revue". Viertes Heft. April 1850</title>
</head>
<body link="#0000FF" vlink="#800080" bgcolor="#FFFFAF">
<p><font size="2">Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz
Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960,
Berlin/DDR. S. 255-291.</font></p>
<h2>Karl Marx/Friedrich Engels</h2>
<h1>[Rezensionen aus der "Neuen Rheinischen Zeitung.<br>
Politisch-&ouml;konomische Revue".<br>
Viertes Heft, April 1850</h1>
<hr>
<p align="center">I</p>
<p align="center"><i>"Latter-Day Pamphlets", edited by Thomas Carlyle -<br></i>Nr. I "The Present
Time", Nr. II "Model Prisons" -, London 1850</p>
<p align="center"><i>&lt;"Zeitgen&ouml;ssische Pamphlete", herausgegeben von Thomas
Carlyle<br></i>- Nr. I "Die Gegenwart", Nr. II "Mustergef&auml;ngnisse"&gt;</p>
<p><b><a name="S255" id="S255">&lt;255&gt;</a></b> Thomas Carlyle ist der einzige englische
Schriftsteller, auf den die deutsche Literatur einen direkten und sehr bedeutenden Einflu&szlig;
ausge&uuml;bt hat. Schon aus H&ouml;flichkeit darf der Deutsche seine Schriften nicht unbeachtet
vor&uuml;bergehen lassen.</p>
<p>Wir haben an der neuesten Schrift von Guizot (<a href="me07_198.htm#III">Heft II der "N. Rh.
Z."</a>) gesehn, wie die Kapazit&auml;ten der Bourgeoisie im Untergehn begriffen sind. In den
vorliegenden zwei Brosch&uuml;ren von Carlyle erleben wir den Untergang des literarischen Genies
an den akut gewordenen geschichtlichen K&auml;mpfen, gegen die es seine verkannten,
unmittelbaren, prophetischen Inspirationen geltend zu machen sucht.</p>
<p>Thomas Carlyle hat das Verdienst, literarisch gegen die Bourgeoisie aufgetreten zu sein zu
einer Zeit, wo ihre Anschauungen, Geschmacksrichtungen und Ideen die ganze offizielle englische
Literatur vollst&auml;ndig unterjochten, und in einer Weise, die mitunter sogar revolution&auml;r
ist. So in seiner franz&ouml;sischen Revolutionsgeschichte, in seiner Apologie Cromwells, in dem
Pamphlet &uuml;ber den Chartismus, in "Past and Present". Aber in allen diesen Schriften
h&auml;ngt die Kritik der Gegenwart eng zusammen mit einer seltsam unhistorischen Apotheose des
Mittelalters, auch sonst h&auml;ufig bei englischen Revolution&auml;ren, z.B. bei Cobbett und
einem Teil der Chartisten. W&auml;hrend er in der Vergangenheit wenigstens die klassischen
Epochen einer bestimmten Gesellschaftsphase bewundert, bringt ihn die Gegenwart zur Verzweiflung,
graut ihm vor der <a name="S256" id="S256"><b>&lt;256&gt;</b></a> Zukunft. Wo er die Revolution
anerkannt oder gar apotheosiert, konzentriert sie sich ihm in ein einzelnes Individuum, einen
Cromwell oder Danton. Ihnen widmet er denselben Heroenkultus, den er in seinen "Lectures on
Heroes and Hero-Worship" als einzige Zuflucht aus der verzweiflungsschwangern Gegenwart, als neue
Religion gepredigt hat.</p>
<p>Wie die Ideen, so der Stil Carlyles. Er ist eine direkte, gewaltsame Reaktion gegen den
modern-b&uuml;rgerlichen englischen Pecksniff-Stil, dessen gespreizte Schlaffheit, vorsichtige
Weitschweifigkeit und moralisch-sentimentale zerfahrene Langweiligkeit von den
urspr&uuml;nglichen Erfindern, den gebildeten Cockneys, auf die ganze englische Literatur
&uuml;bergegangen ist. Ihr gegen&uuml;ber behandelte Carlyle die englische Sprache wie ein
vollst&auml;ndig rohes Material, das er von Grund aus umzuschmelzen hatte. Veraltete Wendungen
und Worte wurden wieder hervorgesucht und neue erfunden nach deutschem und speziell Jean
Paulschem Muster. Der neue Stil war oft himmelst&uuml;rmend und geschmacklos, aber h&auml;ufig
brillant und immer originell. Auch hierin zeigen die "Latter-Day Pamphlets" einen
merkw&uuml;rdigen R&uuml;ckschritt.</p>
<p>&Uuml;brigens ist es bezeichnend, da&szlig; aus der ganzen deutschen Literatur derjenige Kopf,
der am meisten Einflu&szlig; auf Carlyle ge&uuml;bt hat, nicht Hegel war, sondern der
literarische Apotheker Jean Paul.</p>
<p>Dem Kultus des Genius, den Carlyle mit Strau&szlig; teilt, ist in den vorliegenden
Brosch&uuml;ren der Genius abhanden gekommen. Der Kultus ist geblieben.</p>
<p>"The Present Time" beginnt mit der Erkl&auml;rung, da&szlig; die Gegenwart die Tochter der
Vergangenheit und die Mutter der Zukunft, jedenfalls aber eine <i>neue &Auml;ra</i> ist.</p>
<p>Die erste Erscheinung dieser neuen &Auml;ra ist ein <i>reformierender</i> Papst. Das
Evangelium in der Hand, wollte Pius IX. vorn Vatikan herab der Christenheit <i>"das Gesetz der
Wahrheit"</i> verk&uuml;nden.</p>
<p><font size="2">"Vor mehr als dreihundert Jahren erhielt der Thron Sankt Peters peremptorische
gerichtliche Aufk&uuml;ndung, authentische Ordre, registriert in der Kanzlei des Himmels, und
seitdem lesbar in den Herzen aller wackern M&auml;nner, sich auf und davon zu machen, zu
verschwinden und uns nichts mehr zu tun zu machen mit ihm und seinen T&auml;uschungen und
gottlosen Delirien; - und seitdem blieb er stehn auf seine eigne Gefahr und wird exakten
Schadenersatz zu leisten haben f&uuml;r jeden Tag, den er so gestanden hat. Gesetz der Wahrheit?
Was dieses Papsttum dem Gesetz der Wahrheit gem&auml;&szlig; zu tun hatte, das war, aufzugeben
sein faules galvanisiertes Leben, diese Schmach vor Gott und dem Menschen, ehrbar zu sterben und
sich begraben zu lassen. Fern hiervon war, was der arme Papst unternahm; und doch war es im
ganzen wesentlich nur das ... Ein reformierender Papst? Turgot und Necker waren nichts dagegen.
Gott ist gro&szlig;, und wenn ein &Auml;rgernis enden soll, beruft er dazu einen gl&auml;ubigen
Mann, der Hand ans Werk legt in Hoffnung, nicht in Verzweiflung." p. 3.</font></p>
<p><b><a name="S257" id="S257">&lt;257&gt;</a></b> Mit seinen Reformmanifesten hatte der Papst
Fragen auferweckt,</p>
<p><font size="2">"M&uuml;tter von Wirbelwinden, Weltbr&auml;nden, Erdbeben ... Fragen, welche
alle offiziellen M&auml;nner w&uuml;nschten und meist auch hofften aufzuschieben bis zum
j&uuml;ngsten Tag. Der j&uuml;ngste Tag selbst war gekommen, das war die schreckliche Wahrheit."
p. 4.</font></p>
<p>Das Gesetz der Wahrheit war proklamiert. Die Sizilianer</p>
<p><font size="2">"waren das erste Volk, das sich daran gab, diese neue, vom heiligen Vater
sanktionierte Regel anzuwenden: Wir geh&ouml;ren nicht durch das Gesetz der Wahrheit Neapel an
und diesen neapolitanischen Beamten. Wir wollen, mit der Gunst des Himmels und des Papstes, uns
von diesen befreien."</font></p>
<p>Daher die sizilische Revolution.</p>
<p>Das franz&ouml;sische Volk, das sich selbst als eine "Art von Messiasvolk" betrachtet, als der
"auserw&auml;hlte Soldat der Freiheit", f&uuml;rchtete, da&szlig; die armen verachteten
Sizilianer ihm diesen Industriezweig (trade) aus der Hand nehmen m&ouml;chten -
Februarrevolution.</p>
<p><font size="2">"Wie durch sympathetische unterirdische Elektrizit&auml;ten explodierte ganz
Europa, schrankenlos, unkontrollierbar; und wir hatten das Jahr 1848, eins der seltsamsten,
unheilvollsten, erstaunlichsten und im ganzen dem&uuml;tigendsten Jahres welche die
europ&auml;ische Welt jemals sah... Die K&ouml;nige &uuml;berall und die regierenden Personen
stierten in pl&ouml;tzlichem Schrecken, als die Stimme der ganzen Welt in ihre Ohren bellte: Hebt
euch von dannen, ihr Schwachk&ouml;pfe, Heuchler, Histrionen, nicht Heroen! Weg mit euch, weg!
Und was eigent&uuml;mlich war, und in diesem Jahr zuerst erh&ouml;rt: die K&ouml;nige alle
beschleunigten sich zu gehn, als wenn sie ausriefen: Wir <i>sind</i> arme Histrionen; das sind
wir - braucht ihr Heroen? Bringt uns nicht um, was k&ouml;nnen wir daf&uuml;r! - Nicht einer von
ihnen wandte sich r&uuml;ckw&auml;rts und stand fest auf seinem K&ouml;nigtum als auf einem
Recht, wof&uuml;r er sterben oder seine Haut riskieren k&ouml;nnte. Das, wiederhole ich, ist die
be&auml;ngstigende Besonderheit der Gegenwart. Die Demokratie, bei dieser neuen Gelegenheit,
findet alle K&ouml;nige <i>bewu&szlig;t</i>, da&szlig; sie nichts andres sind als
Kom&ouml;dianten. Sie flohen j&auml;hlings, einige von ihnen mit sozusagen ausgesuchter Schmach -
in Angst vor dem Zuchthaus oder Schlimmerem. Und das Volk, oder der P&ouml;bel, &uuml;bertrug
allerorten seine eigne Regierung sich selbst, und offne K&ouml;nigslosigkeit (kinglessness), was
wir <i>Anarchie</i> nennen - gl&uuml;cklich, wenn Anarchie plus einem Stra&szlig;enkonstabler -,
ist &uuml;berall an der Tagesordnung. Solches war die Geschichte vom Baltischen bis zum
Mittelmeer, in Italien, Frankreich, Preu&szlig;en, &Ouml;streich, von einem Ende Europas bis zum
andern in jenen M&auml;rztagen von 1848. Und so blieb kein K&ouml;nig in Europa, kein K&ouml;nig,
au&szlig;er dem &ouml;ffentlichen 'haranguer' &lt;'Redner', Schw&auml;tzer&gt;, harangierend auf
dem Bierfa&szlig;, im Leitartikel oder sich mit seinesgleichen versammelnd im Nationalparlament.
Und f&uuml;r ungef&auml;hr vier Monate war ganz Frankreich und in einem hohen Grade ganz Europa,
abgehetzt durch jede Art von Delirium, ein auf und nieder wogender P&ouml;bel, pr&auml;sidiert
von Herrn von Lamartine auf <a name="S258" id="S258"><b>&lt;258&gt;</b></a></font> dem
H&ocirc;tel de Ville. Ein sorgenschwangeres Schauspiel f&uuml;r denkende M&auml;nner, solange er
w&auml;hrte, dieser arme Herr von Lamartine, mit nichts in ihm, au&szlig;er melodischem Wind und
weichlichem Speichelflu&szlig;. Traurig genug: Die beredteste, letzte Verk&ouml;rperung des
rehabilitierten 'Chaos', f&auml;hig f&uuml;r sich selbst zu sprechen und mit glatten Worten
einzureden, es sei 'Kosmos'! Aber ihr braucht nur kurze Zeit zu harren in solchen F&auml;llen;
alle Luftballone m&uuml;ssen ihr Gas von sich geben unter dem Druck der Dinge und fallen
widerlich schlaff zusammen bevor lange." p. 6-8.</p>
<p>Wer war es, der diese allgemeine Revolution sch&uuml;rte, zu der der Stoff allerdings
vorhanden war?</p>
<p><font size="2">"Studenten, junge Literaten, Advokaten, Zeitungsschreiber,
hei&szlig;bl&uuml;tige unerfahrene Enthusiasten und wilde, mit Recht bankrotte Desperados. Nimmer
bis jetzt haben junge Leute und beinahe Kinder solch ein Kommando gef&uuml;hrt in den
menschlichen Dingen. Ver&auml;nderte Zeit, seit das Wort senior, seigneur oder Aldermann zuerst
erdacht wurde, um Herr oder Vorgesetzter zu bedeuten, wie wir es in den Sprachen aller Menschen
finden! ... Wenn ihr genauer zuseht, werdet ihr finden, da&szlig; der Alte aufgeh&ouml;rt hat,
ehrw&uuml;rdig und da&szlig; er begonnen hat, ver&auml;chtlich zu sein, ein t&ouml;richter Knabe
noch, aber ein Knabe ohne die Anmut, den Gro&szlig;sinn und die &uuml;ppige Kraft der jungen
Knaben. - Dieser wahnsinnige Stand der Dinge wird nat&uuml;rlich binnen kurzem sich selbst
Erleichterung verschaffen, wie er das &uuml;berall schon zu tun begonnen hat; die
gew&ouml;hnlichen Notwendigkeiten des t&auml;glichen Lebens k&ouml;nnen nicht mit ihm bestehn,
und diese, was sonst auch beiseite geworfen werden mag, gehn ihren Weg fort. Eine beliebige
Reparatur der alten Maschine unter neuen Farben und ver&auml;nderten Formen wird wahrscheinlich
bald in den meisten L&auml;ndern erfolgen; die alten Theaterk&ouml;nige werden wieder zugelassen
werden unter Bedingungen, unter Konstitutionen mit nationalen Parlamenten oder dgl. fashionablem
Zubeh&ouml;r, und allerorten wird das alte t&auml;gliche Leben versuchen, von Anfang wieder
anzufangen. Aber dermalen ist keine Hoffnung, da&szlig; solche Ausgleichungen Dauer haben
k&ouml;nnten. - In solchen fluchbringenden Schwingungen, treibend wie unter abgrundlos tobenden
Strudeln und sich bekriegenden Seestr&ouml;mungen, nicht stehend auf festgegr&uuml;ndeten
Fundamenten, mu&szlig; die europ&auml;ische Gesellschaft fortfahren zu taumeln - bald heillos
stolpernd, dann wieder m&uuml;hselig sich aufraffend in immer k&uuml;rzeren Intervallen, bis
endlich einmal die neue <i>Felsenbasis</i> ans Tageslicht kommt und die auf und nieder wogenden
S&uuml;ndfluten der Meuterei und der Notwendigkeit der Meuterei sich wieder verlaufen." p.
8-10.</font></p>
<p>Soweit die Geschichte, die auch in dieser Form wenig tr&ouml;stlich ist f&uuml;r die alte
Welt. Jetzt kommt die Moral:</p>
<p><font size="2">"Die <i>allgemeine Demokratie</i>, was man auch von ihr denken m&ouml;ge, ist
das unvermeidliche Faktum der Tage, worin wir leben." p. 10.</font></p>
<p>Was ist die Demokratie? Eine Bedeutung mu&szlig; sie haben, oder sie w&auml;re nicht da. Es
kommt also alles darauf an, die wahre Bedeutung der Demokratie <a name="S259" id=
"S259"><b>&lt;259&gt;</b></a> zu finden. Gelingt uns dies, so k&ouml;nnen wir mit ihr fertig
werden; wo nicht, sind wir verloren. Die Februarrevolution war "ein allgemeiner Bankerutt des
Betrugs; das ist ihre kurze Erkl&auml;rung". p. 14. Der <i>Schein</i> und Scheingestalten,
"shams", "delusions", "phantasms" &lt;"T&auml;uschungen", "Illusionen", "Trugbilder"&gt;,
bedeutungslos gewordne Namen anstatt der wirklichen Verh&auml;ltnisse und Dinge, mit einem Wort
der Lug anstatt der Wahrheit hat in der modernen Zeit geherrscht. Die individuelle und soziale
Ehescheidung von diesen Scheingestalten und Gespenstern, das ist die Aufgabe der Reform, und die
Notwendigkeit, da&szlig; aller sham, aller Betrug aufh&ouml;re, ist unleugbar.</p>
<p><font size="2">"Allerdings mag dies manchem befremdlich erscheinen; und manch einem soliden
Engl&auml;nder, der mit gesundem Behagen seinen Pudding verdaut, unter den sogenannten gebildeten
Klassen, scheint es &uuml;ber die Ma&szlig;en befremdlich, eine verr&uuml;ckte unwissende
Vorstellung, durchaus heterodox und schwanger nur mit Ruin. Ihm sind angew&ouml;hnt worden Formen
des Anstands, denen seit langer Zeit ihre Bedeutung abhanden gekommen ist, plausible
Verhaltungsweisen, rein zeremoniell gewordne Feierlichkeiten - was ihr in eurem
bilderst&uuml;rmenden Humor shams nennt - sein ganzes Leben durch; nimmer h&ouml;rte er,
da&szlig; irgendein Harm in ihnen w&auml;re, da&szlig; irgendein Vorankommen w&auml;re ohne sie.
Spann nicht die Baumwolle sich selbst, m&auml;stete sich nicht das Vieh, und Kolonialwaren und
Spezereien, kamen sie nicht von Osten und Westen herein durchaus komfortabel an der Seite der
shams?" p. 15.</font></p>
<p>Wird nun die Demokratie diese notwendige Reform, die Befreiung von den shams, vollbringen?</p>
<p><font size="2">"Die Demokratie, wenn sie organisiert ist vermittelst des allgemeinen
Stimmrechts, wird sie diesen heilenden allgemeinen &Uuml;bergang von der Illusion zum Wirklichen,
vom Falschen zum Wahren durchf&uuml;hren und nach und nach eine gesegnete Welt schaffen?" p.
17.</font></p>
<p>Carlyle leugnet dies. Er sieht &uuml;berhaupt in der Demokratie und in dem allgemeinen
Stimmrecht nur eine Ansteckung aller V&ouml;lker durch den englischen Aberglauben an die
Unfehlbarkeit der parlamentarischen Regierung. Die Bemannung jenes Schiffs, das den Weg um Kap
Horn verloren hatte und statt nach Wind und Wetter auszuschauen und den Sextanten zu gebrauchen
&uuml;ber den einzuschlagenden Weg abstimmte und die Entscheidung der Majorit&auml;t f&uuml;r
unfehlbar erkl&auml;rte - das ist das allgemeine Stimmrecht, das den Staat lenken will. Wie
f&uuml;r jeden einzelnen, so f&uuml;r die Gesellschaft kommt es nur darauf an, die wahren
Regulationen des Universums, die ewig w&auml;hrenden Gesetze der Natur mit Bezug auf die jedesmal
vorliegende Aufgabe zu entdecken <a name="S260" id="S260"><b>&lt;260&gt;</b></a> und darnach zu
handeln. Wer uns diese ewigen Gesetze enth&uuml;llt, dem folgen wir, "sei es der Zar von
Ru&szlig;land oder das chartistische Parlament, der Erzbischof von Canterbury oder der
Dalai-Laina". Wie aber entdecken wir diese ewigen Vorschriften Gottes? Jedenfalls ist das
allgemeine Stimmrecht, das jedem einen Stimmzettel gibt und die K&ouml;pfe z&auml;hlt, der
schlechteste Weg dazu. Das Universum ist sehr exklusiver Natur und hat von jeher seine
Geheimnisse nur wenigen Auserw&auml;hlten, nur einer kleinen Minorit&auml;t von Edlen und Weisen
mitgeteilt. Es hat daher auch nie eine Nation auf der Grundlage der Demokratie existieren
k&ouml;nnen. Griechen und R&ouml;mer? Jeder wei&szlig; heutzutage, da&szlig; sie keine
Demokratien bildeten, da&szlig; die Sklaverei die Grundlage ihrer Staaten war. Von den
verschiedenen franz&ouml;sischen Republiken ist es ganz &uuml;berfl&uuml;ssig zu sprechen. Und
die nordamerikanische Musterrepublik? Von den Amerikanern kann bis jetzt nicht einmal gesagt
werden, da&szlig; sie eine Nation, einen Staat bilden. Die amerikanische Bev&ouml;lkerung lebt
ohne Regierung; was hier konstituiert, ist die Anarchie plus einem Stra&szlig;enkonstabler. Was
diesen Zustand m&ouml;glich macht, sind die enormen Strecken noch unbebauten Landes und der aus
England her&uuml;bergebrachte Respekt vor dem Konstablerstock. Mit dem Wachsen der
Bev&ouml;lkerung hat auch das ein Ende.</p>
<p><font size="2">"Welche gro&szlig;e menschliche Seele, welchen gro&szlig;en Gedenken, welche
gro&szlig;e edle Sache, die man anbeten oder der man loyale Bewunderung zollen k&ouml;nnte, hat
Amerika noch erzeugt?" p. 25. -</font></p>
<p>Es hat seine Bev&ouml;lkerung alle zwanzig Jahre verdoppelt - voil&agrave; tout &lt;das ist
allles&gt;.</p>
<p>Also diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans ist die Demokratie f&uuml;r immer
unm&ouml;glich. Das Universum selbst ist eine Monarchie und eine Hierarchie. Keine Nation, worin
die g&ouml;ttliche immerw&auml;hrende Pflicht der Leitung und Kontrollierung der Unwissenden
nicht dem <i>edelsten</i> mit seiner auserw&auml;hlten Reihe von <i>Edleren</i> anvertraut ist,
hat das Reich Gottes, entspricht den ewigen Naturgesetzen.</p>
<p>Jetzt erfahren wir auch das Geheimnis, den Ursprung und die Notwendigkeit der modernen
Demokratie. Es besteht einfach darin, da&szlig; der falsche Edle (sham-noble) erh&ouml;ht und
durch Tradition oder neu erfundene T&auml;uschungen konsekriert worden ist.</p>
<p>Und wer soll den wahren Edelstein entdecken mit seiner ganzen Einfassung von kleineren
Menschenjuwelen und Perlen? Sicher nicht das allgemeine Stimmrecht, denn nur der Edle kann den
Edlen ausfinden. Und so erkl&auml;rt Carlyle da&szlig; England noch eine Menge solcher Edlen und
"K&ouml;nige" besitze, und fordert diese p. 38 auf, sich bei ihm zu melden.</p>
<p><b><a name="S261" id="S261">&lt;261&gt;</a></b> Man sieht, wie der "Edle" Carlyle von einer
durchaus pantheistischen Anschauungsweise ausgeht. Der ganze geschichtliche Proze&szlig; wird
bedingt nicht durch die Entwicklung der lebendigen Massen selbst, die nat&uuml;rlich von
bestimmten, aber selbst wieder historisch erzeugten wechselnden Voraussetzungen abh&auml;ngig
ist, er wird bedingt durch ein ewiges, f&uuml;r alle Zeiten unver&auml;nderliches Naturgesetz,
von dem er sich heute entfernt und dem er sich morgen wieder n&auml;hert und auf dessen richtige
Erkenntnis alles ankommt. Diese richtige Erkenntnis des ewigen Naturgesetzes ist die ewige
Wahrheit, alles andre ist falsch. Mit dieser Anschauungsweise l&ouml;sen sich die wirklichen
Klassengegens&auml;tze, so verschieden sie in verschiednen Epochen sind, s&auml;mtlich auf in den
einen gro&szlig;en und ewigen Gegensatz derer, die das ewige Naturgesetz ergr&uuml;ndet haben und
darnach handeln, der Weisen und Edlen, und derer, die es falsch verstehn, es verdrehn und ihm
entgegen wirken, der Toren und Schurken. Der historisch erzeugte Klassenunterschied wird so zu
einem nat&uuml;rlichen Unterschied, den man selbst als einen Teil des ewigen Naturgesetzes
anerkennen und verehren mu&szlig;, indem man sich vor den Edlen und Weisen der Natur beugt:
Kultus des Genius. Die ganze Anschauung des historischen Entwicklungsprozesses verflacht sich zur
platten Trivialit&auml;t der Illuminaten und Freimaurerweisheit des vorigen Jahrhunderts, zur
einfachen Moral aus der "Zauberfl&ouml;te" und zu einem unendlich verkommenen und banalisierten
Saint-Simonismus. Damit kommt nat&uuml;rlich die alte Frage, wer denn eigentlich herrschen soll,
die mit hochwichtiger Seichtigkeit des breitesten diskutiert und endlich dahin beantwortet wird,
da&szlig; die Edlen, Weisen und Wissenden herrschen sollen, woran sich dann ganz ungezwungen die
Folgerung anschlie&szlig;t, da&szlig; viel, sehr viel regiert werden m&uuml;sse, da&szlig; nie
zuviel regiert werden k&ouml;nne, da ja das Regieren die stete Enth&uuml;llung und Geltendmachung
des Naturgesetzes gegen&uuml;ber der Masse ist. Wie aber sollen die Edlen und Weisen entdeckt
werden? Kein &uuml;berirdisches Wunder enth&uuml;llt sie; man mu&szlig; sie suchen. Und hier
kommen die zu rein nat&uuml;rlichen Unterschieden gemachten historischen Klassenunterschiede
wieder zum Vorschein. Der Edle ist edel, weil er Weiser, Wissender ist. Er wird also zu suchen
sein unter den Klassen, die das Monopol der Bildung haben - unter den privilegierten Klassen, und
dieselben Klassen werden es sein, die ihn in ihrer Mitte auszufinden, die &uuml;ber seine
Anspr&uuml;che auf den Rang eines Edlen und Weisen zu entscheiden haben. Damit werden die
privilegierten Klassen sofort, wenn nicht geradezu zur edlen und weisen, doch zur "artikulierten"
Klasse; die unterdr&uuml;ckten Klassen sind nat&uuml;rlich die "stummen unartikulierten", und so
ist die Klassenherrschaft neu sanktioniert. Die ganze hochentr&uuml;stete Polterei verwandelt
sich in eine etwas versteckte Anerkennung der bestehenden Klassen- <a name="S262" id=
"S262"><b>&lt;262&gt;</b></a> herrschaft, die blo&szlig; dar&uuml;ber gr&auml;melt und murrt,
da&szlig; die Bourgeois ihren verkannten Genies keine Stelle an der Spitze der Gesellschaft
anweisen und aus sehr praktischen R&uuml;cksichten nicht auf die schw&auml;rmerischen Faseleien
dieser Herren eingehn. Wie &uuml;brigens auch hier die hochtrabende Salbaderei in ihr Gegenteil
umschl&auml;gt, wie der Edle, Wissende und Weise in der Praxis sich in den Gemeinen, Unwissenden
und Narren verwandelt, davon liefert uns Carlyle schlagende Exempel.</p>
<p>Er wendet sich, da bei ihm auf die starke Regierung alles ankommt, mit h&ouml;chster
Entr&uuml;stung gegen das Geschrei nach Befreiung und Emanzipation;</p>
<p><font size="2">"La&szlig;t uns alle frei sein; der eine von dem andern. Frei ohne Band oder
Verschlingung, ausgenommen der der baren Zahlung; ehrlicher Tageslohn f&uuml;r ehrliches
Tageswerk, festgesetzt durch freiwilligen Vertrag und durch das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr;
dies bildet man sich ein, sei die wahre L&ouml;sung aller Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten,
die zwischen Mensch und Mensch vorgefallen sind. Um das Verh&auml;ltnis, das zwischen zwei
Menschen existiert, zu berichtigen, gibt es keine andere Methode, als es ganz und gar zu
beseitigen?" p. 29.</font></p>
<p>Diese vollst&auml;ndige Aufl&ouml;sung aller Bande, aller Verh&auml;ltnisse zwischen den
Menschen erreicht nat&uuml;rlich ihre Spitze in der <i>Anarchie</i>, dem Gesetz der
Gesetzlosigkeit, dem Zustand, in dem das Band der B&auml;nder, die Regierung, vollst&auml;ndig
zerschnitten ist. Und dahin strebt man in England wie auf dem Kontinent, ja sogar in dem "soliden
Germanien".</p>
<p>So poltert Carlyle mehrere Seiten hindurch fort, indem er auf eine h&ouml;chst befremdliche
Weise rote Republik, fraternit&eacute; &lt;Br&uuml;derlichkeit&gt;, Louis Blanc usw. mit dem free
trade, der Abschaffung der Kornz&ouml;lle etc. zusammenwirft. Vgl. p. 29-42. Die Vernichtung der
traditionell noch forterhaltenen Reste des Feudalismus, die Reduktion des Staats auf das
unumg&auml;nglich n&ouml;tige und allerwohlfeilste, die vollst&auml;ndige Durchf&uuml;hrung der
freien Konkurrenz durch die Bourgeois vermischt und identifiziert Carlyle also mit der Aufhebung
eben dieser Bourgeoisverh&auml;ltnisse, mit der Abschaffung des Gegensatzes von Kapital und
Lohnarbeit, mit dem Sturz der Bourgeoisie durch das Proletariat. Gl&auml;nzende R&uuml;ckkehr zu
der "Nacht des Absoluten", in der alle K&uuml;he grau sind! Tiefe Wissenschaft des "Wissenden",
der nicht das erste Wort von dem wei&szlig;, was um ihn vorgeht! Seltsamer Scharfsinn, der mit
der Abschaffung des Feudalismus oder der freien Konkurrenz alle Beziehungen zwischen den Menschen
abgeschafft glaubt! Gr&uuml;ndliche Ergr&uuml;ndung des "ewigen Naturgesetzes", die in allem
Ernst glaubt, da&szlig; keine Kinder mehr zur Welt <a name="S263" id=
"S263"><b>&lt;263&gt;</b></a> kommen, sobald die Eltern nicht vorher auf die Mairie gehn, um sich
ehelich zu "verbinden"!</p>
<p>Nach diesem erbaulichen Beispiel von der Weisheit, die auf die pure Unwissenheit
hinausl&auml;uft, gibt uns Carlyle auch noch den Beweis, wie der hochbeteuernde Edelmut sofort in
die unverh&uuml;llte Niedertracht umschl&auml;gt, sobald er aus seinem Phrasen- und
Sentenzenhimmel in die Welt der wirklichen Verh&auml;ltnisse hinabsteigt.</p>
<p><font size="2">"In allen europ&auml;ischen L&auml;ndern, speziell in England, hat eine Klasse
von Hauptleuten und Kommandeuren von Menschen, erkennbar als der Beginn einer neuen, realen und
nicht imagin&auml;ren Aristokratie, sich bereits einigerma&szlig;en entwickelt: die Hauptleute
der Industrie, gl&uuml;cklicherweise die Klasse, welche vor allen andern in diesen Zeiten nottut.
Und sicher, von der andern Seite ist kein Mangel an Menschen, die n&ouml;tig haben kommandiert zu
werden: Diese traurige Klasse von Brudermenschen, die wir beschrieben haben als Hodges
emanzipierte Pferde, reduziert zu vagabondierender Hungerleiderei, diese Klasse ebenfalls hat
sich in allen L&auml;ndern entwickelt und entwickelt sich immer mehr in unheilschwangrer
geometrischer Progression mit be&auml;ngstigender Geschwindigkeit. Auf diesen Grund hin kann es
mit Wahrheit gesagt werden, da&szlig; die Organisation der Arbeit die allgemeine Lebensaufgabe
der Welt ist." p. 42, 43.</font></p>
<p>Nachdem Carlyle auf den ersten vierzig Seiten seinen ganzen tugendhaften Grimm gegen den
Egoismus, die freie Konkurrenz, Abschaffung der feudalen Bande zwischen Mensch und Mensch,
Nachfrage und Zufuhr, laissez faire, Baumwollspinnen, bare Zahlung etc. etc. aber und abermals
ausgepoltert hat, finden wir jetzt auf einmal, da&szlig; die Hauptvertreter aller dieser shams,
die industriellen Bourgeois, nicht nur zu den gefeierten Heroen und Genien geh&ouml;ren, sondern
sogar den zun&auml;chst notwendigen Teil dieser Heroen ausmachen, da&szlig; der Trumpf aller
seiner Angriffe gegen die Bourgeoisverh&auml;ltnisse und Ideen die Apotheose der
Bourgeoispersonen ist. Sonderbarer erscheint es, da&szlig; Carlyle, nachdem er die
Kommandierenden und die Kommandierten der Arbeit vorgefunden hat, also eine bestimmte
Organisation der Arbeit, dennoch diese Organisation f&uuml;r ein noch zu l&ouml;sendes
gro&szlig;es Problem erkl&auml;rt. Aber man t&auml;usche sich nicht. Es handelt sich nicht um die
Organisation der einregimentierten, sondern um die der nicht einregimentierten, der
f&uuml;hrerlosen Arbeiter, und diese hat Carlyle sich selbst vorbehalten. Wir sehn ihn am
Schlu&szlig; seiner Brosch&uuml;re pl&ouml;tzlich als britischen Premierminister in partibus
auftreten, die drei Millionen irische und andre Bettler, arbeitsf&auml;hige Habenichtse,
nomadisch oder station&auml;r, und die allgemeine Nationalversammlung der britischen Paupers
au&szlig;er dem workhouse und im workhouse zusammenrufen und in einer Rede "harangieren", worin
er den Habenichtsen <a name="S264" id="S264"><b>&lt;264&gt;</b></a> erstlich alles wiederholt,
was er dem Leser schon fr&uuml;her anvertraut hat, und dann die auserlesene Gesellschaft anredet
wie folgt:</p>
<p><font size="2">"Vagabondierende Habe- und Taugenichtse, t&ouml;richt manche von euch,
Verbrecher viele von euch, Elende alle! Euer Anblick erf&uuml;llt mich mit Staunen und
Verzweiflung. Hier sind an die drei Millionen von euch, manche von euch in den Abgrund des
direkten Bettlertums gefallen, und schrecklich zu sagen, jeder, der f&auml;llt, beschwert mit
seinem Gewicht um soviel mehr die Kette, die die andern her&uuml;berzieht. Am Rande dieses
Abgrunds hangen ungez&auml;hlte Millionen, die sich vermehren, wie man mir sagt, um
zw&ouml;lfhundert jeden Tag, fallend, fallend einer nach dem andern, und die Kette wird immer
schwerer, und wer zuletzt wird noch stehn k&ouml;nnen? - Was nun mit euch anfangen? ... Die
andern, die noch stehn, ringen mit ihren eignen N&ouml;ten, das kann ich euch sagen; aber ihr,
durch mangelhafte Energie und &uuml;berfl&uuml;ssigen Appetit, durch zuwenig getane Arbeit und
zuviel getrunkenes Bier, ihr habt bewiesen, da&szlig; ihr es nicht k&ouml;nnt. Wi&szlig;t,
da&szlig; wer auch immer die S&ouml;hne der Freiheit sein m&ouml;gen, ihr f&uuml;r euren Teil
seid es nicht und k&ouml;nnt es nicht sein; ihr seid handgreiflich Gefangene, nicht Freie ... Ihr
habt die Natur von Sklaven, oder wenn ihr lieber wollt, von nomadisch vagabundierenden Knechten,
die keinen Herrn zu finden wissen ... Nicht als glorreich ungl&uuml;ckliche S&ouml;hne der
Freiheit, sondern als notorische Gefangene, als ungl&uuml;ckliche gefallne Br&uuml;der, die
verlangen, da&szlig; ich sie kommandieren und wenn n&ouml;tig, sie kontrollieren und unterjochen
soll, k&ouml;nnt ihr von nun an mit mir in Verbindung treten ... Vor dem Himmel und der Erde und
Gott, dem Sch&ouml;pfer unser aller, erkl&auml;re ich es ein &Auml;rgernis, <i>solch</i> ein
Leben in euch erhalten zu sehn, durch den Schwei&szlig; und das Herzblut eurer Br&uuml;der, und
da&szlig;, wenn wir es nicht bessern k&ouml;nnen, der Tod vorzuziehen w&auml;re ... Schreibt euch
ein in meine irischen, meine schottischen, meine englischen Regimenter der <i>neuen</i> &Auml;ra,
ihr armen wandernden Banditen, gehorcht, arbeitet, duldet, fastet, wie alle von uns tun
mu&szlig;ten ... Industrielle Obersten, Werkmeister, Aufseher, Herren &uuml;ber Leben und Tod,
billig wie Rhadamanth und unbeugsam wie er, die tun euch not, und sie werden f&uuml;r euch
findbar sein, sobald ihr einmal unter den Kriegsartikeln steht ... Zu jedem von euch werde ich
dann sagen: Hier ist Werk f&uuml;r euch; macht euch tapfer dran, mit m&auml;nnlichem,
soldatischem Gehorsam und gutem Mut, und f&uuml;gt euch gem&auml;&szlig; den Methoden, die ich
hier diktiere, - Lohn folgt f&uuml;r euch ohne Schwierigkeit ... Weigert euch, hebt vor saurer
Arbeit zur&uuml;ck, gehorcht nicht den Vorschriften, und ich werde euch ermahnen und anzustacheln
suchen; wenn vergeblich, werde ich euch peitschen; wenn immer noch vergeblich, werde ich euch
endlich niederschie&szlig;en." p. 46-55.</font></p>
<p>Die neue <i>&Auml;ra</i>, worin der Genius herrscht, unterscheidet sich von der alten &Auml;ra
also haupts&auml;chlich dadurch, da&szlig; die Peitsche sich einbildet, genial zu sein. Der
Genius Carlyle unterscheidet sich vorn ersten besten Gef&auml;ngniszerberus oder Armenvogt durch
die tugendhafte Entr&uuml;stung und das moralische Bewu&szlig;tsein, da&szlig; er die Paupers nur
schindet, um sie zu <i>seiner</i> H&ouml;he zu erheben. Wir sehen hier den hochbeteuernden Genius
in seinem welterl&ouml;senden Zorn die Infamien des Bourgeois phantastisch rechtfertigen und
&uuml;ber- <a name="S265" id="S265"><b>&lt;265&gt;</b></a> treiben. Hatte die englische
Bourgeoisie die Paupers den Verbrechern assimiliert, um vom Pauperismus abzuschrecken, hatte sie
das Armengesetz von 1834 geschaffen, so klagt Carlyle die Paupers des <i>Hochverrats</i> an, weil
der Pauperismus den Pauperismus erzeugt. Wie vorhin die historisch entstandene herrschende
Klasse, die industrielle Bourgeoisie, schon weil sie herrschte, des Genius teilhaftig war, so ist
jetzt jede unterdr&uuml;ckte Klasse, je tiefer sie unterdr&uuml;ckt ist, desto mehr vom Genius
ausgeschlossen, desto mehr der tobenden Wut unsres verkannten Reformators ausgesetzt. So hier die
Paupers. Aber sein sittlich-edler Grimm erreicht die h&ouml;chste Spitze gegen&uuml;ber den
absolut Niedertr&auml;chtigen und Ignobeln, den "Schurken", d.h. den <i>Verbrechern</i>. Von
diesen handelt er in der Brosch&uuml;re &uuml;ber die Mustergef&auml;ngnisse.</p>
<p>Diese Brosch&uuml;re unterscheidet sich von der ersten nur durch eine noch viel
gr&ouml;&szlig;ere Wut, um so wohlfeiler, als sie sich gegen die von der bestehenden Gesellschaft
offiziell Ausgesto&szlig;enen, gegen Leute unter Schlo&szlig; und Riegel richtet; eine Wut, die
selbst das wenige von Scham abstreift, was die gew&ouml;hnlichen Bourgeois anstandshalber noch
zur Schau tragen. Wie Carlyle im ersten Pamphlet eine vollst&auml;ndige Hierarchie der Edeln
aufstellt und dem Edelsten der Edeln nachsp&uuml;rt, so arrangiert er hier eine ebenso komplette
Hierarchie der Schurken und Niedertr&auml;chtigen und trachtet danach, den <i>Schlechtesten der
Schlechten</i>, den <i>gr&ouml;&szlig;ten Schurken</i> in England zu erjagen, um die Wollust zu
haben, ihn zu h&auml;ngen. Gesetzt, er finge ihn und hing ihn auf; so ist uns ein andrer der
Schlechteste und mu&szlig; wieder gehangen werden und dann wieder ein anderer, bis die Reihe
endlich an die Edlen, und dann an die Edleren k&ouml;mmt und zuletzt niemand &uuml;brigblieb als
Carlyle, der Edelste, der als Verfolger der Schurken zugleich M&ouml;rder der Edlen ist und auch
in den Schurken das Edle gemordet hat, der Edelste der Edeln, der sich pl&ouml;tzlich in den
Niedertr&auml;chtigsten der Schurken verwandelt und als solcher <i>sich selbst</i> zu h&auml;ngen
hat. Damit w&auml;ren dann alle Fragen &uuml;ber die Regierung, den Staat, die Organisation der
Arbeit, die Hierarchie des Edlen gel&ouml;st, und das ewige Naturgesetz endlich verwirklicht.</p>
<p align="center">II</p>
<p align="center"><i>"Les Conspirateurs"</i>, par <i>A. Chenu,</i> ex-capitaine des gardes du
citoyen Caussidi&egrave;re - Les soci&eacute;t&eacute;s secr&egrave;tes; La pr&eacute;fecture de
police sous Caussidi&egrave;re; Les corps-francs -, Paris 1850</p>
<p align="center"><i>"La naissance de la R&eacute;publique</i> en F&eacute;vier 1848", par
<i>Lucien de la Hodde,</i> Paris 1850</p>
<p align="center">&lt;<i>"Die Verschw&ouml;rer"</i>, von <i>A. Chenu,</i> Ex-Hauptmann der Garden
des B&uuml;rgers Caussidi&egrave;re - Die geheimen Gesellschaften; Die Polizeipr&auml;fektur
unter Caussidi&egrave;re; Die Freikorps -<br>
<i>"Die Geburt der Republik</i> im Februar 1848", von <i>Lucien de la Hodde</i>&gt;</p>
<p><b><a name="S266" id="S266">&lt;266&gt;</a></b> Nichts ist w&uuml;nschenswerter, als da&szlig;
die Leute, die an der Spitze der Bewegungspartei standen, sei es vor der Revolution in den
geheimen Gesellschaften oder in der Presse, sei es sp&auml;ter in offiziellen Stellungen, endlich
einmal mit derben rembrandtschen Farben geschildert werden, in ihrer ganzen Lebendigkeit. Die
bisherigen Darstellungen malen uns diese Pers&ouml;nlichkeiten nie in ihrer wirklichen, nur in
ihrer offiziellen Gestalt, mit dem Kothurn am Fu&szlig; und der Aureole um den Kopf. In diesen
verhimmelten raffaelschen Bildern geht alle Wahrheit der Darstellung verloren.</p>
<p>Die beiden vorliegenden Schriften entfernen zwar den Kothurn und die Aureole, mit denen die
"gro&szlig;en M&auml;nner" der Februarrevolution bisher zu erscheinen pflegten. Sie dringen in
das Privatleben dieser Personen ein, sie zeigen sie uns im Neglig&eacute;, mit ihrer ganzen
Umgebung von subalternen Subjekten sehr verschiedener Art. Aber darum sind sie nicht weniger weit
entfernt von einer wirklichen, treuen Darstellung der Personen und Ereignisse. Von ihren
Verfassern ist der eine ein eingestandner langj&auml;hriger Mouchard &lt;Polizeispion&gt;
Louis-Philippes, der andre ein alter Verschw&ouml;rer von Profession, dessen Beziehungen zur
Polizei ebenfalls sehr zweideutig sind und dessen Auffassungsf&auml;higkeit schon dadurch
charakterisiert wird, da&szlig; er zwischen Rheinfelden und Basel "jene pr&auml;chtige
Alpenkette, deren silberne Gipfel das Auge blenden", und zwischen Kehl und Karlsruhe "die
rheinischen Alpen, deren ferne Gipfel sich im Horizont verloren", gesehn haben will. Von solchen
Leuten, besonders wenn sie obendrein zu ihrer pers&ouml;nlichen Rechtfertigung schreiben, ist
allerdings nur eine mehr oder minder chargierte chronique scandaleuse &lt;Klatschgeschichte&gt;
der Februarrevolution zu erwarten.</p>
<p>Herr de la Hodde sucht sich in seiner Brosch&uuml;re als den Spion des Cooperschen Romans
darzustellen. Er habe, behauptet er, sich um die Gesellschaft verdient gemacht, indem er die
geheimen Gesellschaften w&auml;hrend acht <a name="S267" id="S267"><b>&lt;267&gt;</b></a> Jahren
paralysierte. Aber vom Cooperschen Spion bis zu Herrn de ja Hodde ist weit, sehr weit. Herr de la
Hodde, Mitarbeiter am "Charivari", Mitglied des Zentralkomitees der <i>"soci&eacute;t&eacute; des
nouvelles Saisons"</i> seit 1839, Mitredakteur der "R&eacute;forme" seit ihrer Gr&uuml;ndung und
gleichzeitig bezahlter Spion des Polizeipr&auml;fekten Delessert, ist durch niemanden mehr
kompromittiert als durch Chenu. Seine Schrift ist direkt provoziert durch Chenus
Enth&uuml;llungen, h&uuml;tet sich aber sehr wohl, auch nur eine Silbe auf das zu erwidern, was
Chenu &uuml;ber de la Hodde selbst sagt. Dieser Teil der Chenuschen Memoiren wenigstens ist also
authentisch.</p>
<p><font size="2">"In einer meiner n&auml;chtlichen Wanderungen", erz&auml;hlt Chenu, "bemerkte
ich de la Hodde, wie er den Quai Voltaire auf- und abwandelte. Der Regen flo&szlig; stromweise,
und dieser Umstand machte mich nachdenklich. Sollte zuf&auml;llig dieser teure de la Hodde auch
in der Kasse der geheimen Fonds sch&ouml;pfen? Aber ich erinnerte mich seiner Ges&auml;nge,
seiner herrlichen Strophen &uuml;ber Irland und Polen, und namentlich der heftigen Artikel, die
er im Journal 'La R&eacute;forme_ schrieb" (w&auml;hrend Herr de la Hodde sich als den
Bes&auml;nftiger der "R&eacute;forme hinzustellen sucht). "Guten Abend, de la Hodde, was Teufels
treibst du hier zu dieser Stunde und in diesem schauderhaften Wetter? - Ich warte auf einen
Schweren&ouml;ter, der mir Geld schuldig ist, und da er alle Abend zu dieser Stunde hier
vor&uuml;berkommt, wird er mir zahlen, oder - und er schlug heftig mit seinem Stock auf die
Brustwehr des Quais."</font></p>
<p>De la Hodde sucht ihn loszuwerden und geht nach dem Pont du Carrousel zu. Chenu entfernt sich
nach der entgegengesetzten Seite, aber nur, um sich unter den Arkaden des Instituts zu verbergen.
De la Hodde kommt bald zur&uuml;ck, sieht sich sorgf&auml;ltig nach allen Seiten um und spaziert
von neuem auf und ab.</p>
<p><font size="2">"Eine Viertelstunde nachher bemerkte ich den Wagen mit den zwei kleinen
gr&uuml;nen Laternen, den mir mein Ex-Agent signalisiert hatte" (ein ehemaliger Spion, der Chenu
im Gef&auml;ngnis eine Menge Polizeigeheimnisse und Erkennungszeichen verraten hatte). "Er hielt
an der Ecke der Rue des Vieux-Augustins. Ein Mann stieg aus; de la Hodde ging geradeswegs auf ihn
zu; sie sprachen einen Augenblick zusammen, und ich sah de la Hodde die Bewegung eines Menschen
machen, der Geld in seine Tasche steckt. - Nach diesem Vorfall wandte ich alles an, um de la
Hodde aus unsern Zusammenk&uuml;nften zu entfernen und vor allem Albert zu verhindern, in eine
Schlinge zu fallen, denn er war der Eckstein unsres Geb&auml;udes. Einige Tage nachher wies die
'R&eacute;forme' einen Artikel des Herrn de la Hodde zur&uuml;ck. Seine literarische Eitelkeit
wurde dadurch verletzt. Ich riet ihm, sich zu r&auml;chen durch Gr&uuml;ndung eines andern
Journals. Er folgte diesem Rat und publizierte mit Pilhes und Dupoty sogar den Prospektus eines
Blattes 'Le Peuple', und w&auml;hrend dieser Zeit waren wir ihn fast ganz los." - Chenu, p.
46-48.</font></p>
<p>Wir sehn: Der Coopersche Spion verwandelt sich in den politischen Prostituierten der
gemeinsten Art, der auf der Stra&szlig;e im Regenwetter auf die <a name="S268" id=
"S268"><b>&lt;268&gt;</b></a> Auszahlung seines cadeau &lt;seiner Belohnung&gt; durch den ersten
besten officier de paix &lt;Friedensrichter, hier: Polizeibeamten&gt; lauert. Wir sehn ferner:
Nicht de la Hodde, wie er glauben machen m&ouml;chte, sondern Albert stand an der Spitze der
geheimen Gesellschaften. Dies folgt &uuml;berhaupt aus der ganzen Darstellung Chenus. Der
Mouchard "im Interesse der Ordnung" verwandelt sich hier pl&ouml;tzlich in den beleidigten
Schriftsteller, der sich &auml;rgert, da&szlig; auf der "R&eacute;forme" die Artikel des
Mitarbeiters am "Charivari" nicht ohne weiteres aufgenommen werden, und der deshalb bricht mit
der "R&eacute;forme", einem wirklichen Parteiorgan, bei dem er der Polizei n&uuml;tzlich werden
konnte, um ein neues Blatt zu gr&uuml;nden, wo er h&ouml;chstens seine Literateneitelkeit
befriedigen konnte. Wie die Prostituierten durch ein gewisses Sentiment, so suchte der Mouchard
sich durch seine schriftstellerischen Anspr&uuml;che aus seiner schmutzigen Stellung zu retten.
Der Ha&szlig; gegen die "R&eacute;forme", der durch sein ganzes Pamphlet geht, l&ouml;st sich auf
in die trivialste Schriftstellerrank&uuml;ne. Endlich sehen wir, da&szlig; de la Hodde in der
wichtigsten Zeit der geheimen Gesellschaften, kurz vor der Februarrevolution, mehr und mehr aus
ihnen verdr&auml;ngt wurde; und hieraus erkl&auml;rt sich, warum sie, ganz im Gegensatz zu Chenu,
in dieser Zeit nach seiner Darstellung mehr und mehr verfallen.</p>
<p>Wir kommen jetzt zu der Szene, in der Chenu die Enth&uuml;llung der Verr&auml;tereien de la
Hoddes nach der Februarrevolution schildert. Die Partei der "R&eacute;forme" war bei Albert im
Luxembourg auf Caussidi&egrave;res Einladung versammelt. Monnier, Sobrier, Grandmenil, de la
Hodde, Chenu etc. waren erschienen. Caussidi&egrave;re er&ouml;ffnete die Versammlung und sagte
dann:</p>
<p><font size="2">"Es befindet sich ein Verr&auml;ter unter uns. Wir werden uns als geheimes
Tribunal konstituieren, um ihn zu richten. - Grandmenil als der &auml;lteste Anwesende wurde zum
Pr&auml;sidenten und Tiphaine zum Sekret&auml;r ernannt. B&uuml;rger, fuhr Caussidi&egrave;re als
&ouml;ffentlicher Ankl&auml;ger fort, lange haben wir brave Patrioten angeklagt. Wir waren weit
entfernt zu ahnen, welche Schlange sich unter uns geschlichen hatte. Heute habe ich den
wirklichen Verr&auml;ter entdeckt: es ist Lucien de la Hodde! - Dieser, der bisher ganz ruhig
gesessen hatte, sprang auf bei dieser direkten Anklage. Er machte eine Bewegung gegen die
T&uuml;r. Caussidi&egrave;re schlo&szlig; sie rasch, zog eine Pistole und rief: Wenn du dich
r&uuml;hrst, zerschmettre ich dir den Sch&auml;del! - De la Hodde beteuerte feurig seine
Unschuld. Gut, sagte Caussidi&egrave;re. Hier ist ein Aktensto&szlig;, der achtzehnhundert
Berichte an den Polizeipr&auml;fekten enth&auml;lt - und er gab jedem unter uns die ihn speziell
betreffenden Berichte. De la Hodde leugnete hartn&auml;ckig, da&szlig; diese Berichte,
unterzeichnet Pierre, von ihm herr&uuml;hrten, bis Caussidi&egrave;re den in seinen Memoiren
ver&ouml;ffentlichten Brief vorlas, einen Brief, worin de la Hodde seine Dienste dem
Polizeipr&auml;fekten anbot und den er mit seinem wahren Namen unterzeichnet hatte. Von diesem
Augenblick leugnete der <a name="S269" id="S269"><b>&lt;269&gt;</b></a></font> Ungl&uuml;ckliche
nicht mehr, er suchte sich zu entschuldigen durch das Elend, das ihm den fatalen Gedanken
eingegeben, sich in die Arme der Polizei zu werfen. Caussidi&egrave;re reichte ihm die Pistole
dar, letztes Rettungsmittel, das ihm bleibe. De la Hodde flehte darauf zu seinen Richtern, er
wimmerte um ihre Milde, aber sie blieben unbeugsam. Bocquet, einer der Anwesenden, dem die Geduld
ausging, ergriff die Pistole und reichte sie ihm dreimal dar mit den Worten: Allons &lt;Los&gt;,
zerschmettre dir den Sch&auml;del, Feigling, Feigling, oder ich selbst t&ouml;te dich! - Albert
ri&szlig; sie ihm aus der Hand: Aber bedenke, ein Pistolenschu&szlig;, hier im Luxembourg,
alarmiert alle Welt! - Richtig, rief Bocquet, wir m&uuml;ssen Gift haben. - Gift? sagte
Caussidi&egrave;re, ich habe Gift mitgebracht, und zwar von allen Sorten. Er nahm ein Glas,
f&uuml;llte es mit Wasser, das er zuckerte, sch&uuml;ttete dann ein wei&szlig;es Pulver hinein,
bot es dem de la Hodde dar, der zur&uuml;ckschauderte: Ihr wollt mich also meucheln? - Jawohl,
sagte Bocquet, trink. - De la Hodde war schrecklich anzuschauen. Seine Z&uuml;ge wurden fahl,
seine sehr krausen und wohl frisierten Haare b&auml;umten sich auf seinem Haupt. Der
Schwei&szlig; &uuml;berschwemmte sein Gesicht. Er flehte, er weinte: Ich will nicht sterben! Aber
Bocquet, unbeugsam, hielt ihm immer noch das Glas dar. Allons, trink doch, sagte
Caussidi&egrave;re, du wirst zum Teufel sein, ehe du dich versiehst. - Nein, nein, ich werde
nicht trinken! Und in seiner Geisteszerr&uuml;ttung f&uuml;gte er mit einer schrecklichen
Geb&auml;rde hinzu: O, ich werde mich r&auml;chen f&uuml;r alle diese Martern!</p>
<p>Als man sah, da&szlig; aller Appell ans point d'honneur &lt;Ehrgef&uuml;hl&gt; nichts
fruchtete, wurde de la Hodde auf Alberts F&uuml;rsprache endlich begnadigt und ins Gef&auml;ngnis
der Conciergerie gebracht." Chenu. p. 134-136.</p>
<p>Der angeblich Coopersche Spion wird immer erb&auml;rmlicher. Wir sehn ihn hier in seiner
ganzen Ver&auml;chtlichkeit, wie er seinen Gegnern blo&szlig; durch seine Feigheit Widerstand zu
leisten wei&szlig;. Wir werfen ihm vor, nicht da&szlig; er nicht sich selbst, sondern da&szlig;
er nicht den ersten besten seiner Gegner niederscho&szlig;. Er sucht sich nachtr&auml;glich durch
eine Schrift zu retten, worin er die ganze Revolution als eine blo&szlig;e escroquerie
&lt;Gaunerei&gt; darzustellen sucht. Der richtige Titel dieser Schrift ist: <i>"Der
entt&auml;uschte Polizist."</i> Sie weist nach, da&szlig; eine wirkliche Revolution das gerade
Gegenteil ist von den Vorstellungen des Mourchards, der mit den "M&auml;nnern der Tat"
&uuml;bereinstimmend in jeder Revolution das Werk einer kleinen Koterie sieht. W&auml;hrend alle
von Koterien mehr oder weniger willk&uuml;rlich provozierten Bewegungen blo&szlig;e Emeuten
blieben, geht aus de la Hoddes Darstellung selbst hervor, einerseits, da&szlig; die
<i>offiziellen Republikaner</i> im Anfang der Februartage noch an der Eroberung der Republik
verzweifelten, andrerseits, da&szlig; die <i>Bourgeoisie</i> die Republik erobern helfen
mu&szlig;te, ohne sie zu wollen, da&szlig; also die Februarrepublik notwendig durch die
Umst&auml;nde herbeigef&uuml;hrt wurde, die die Massen des au&szlig;er allen Koterien <a name=
"S270" id="S270"><b>&lt;270&gt;</b></a> stehenden Proletariats in die Stra&szlig;en trieb und die
Majorit&auml;t der Bourgeoisie zu Hause hielt oder zu gemeinsamer Aktion mit ihm zwang. - Was de
la Hodde im &uuml;brigen mitteilt, ist &auml;u&szlig;erst d&uuml;rftig und reduziert sich auf die
banalsten Klatschereien. Nur eine Szene ist interessant: die Zusammenkunft der offiziellen
Demokraten im Lokal der "R&eacute;forme" am 21. Februar abends, in der die Chefs sich entschieden
gegen einen gewaltsamen Angriff aussprachen. Der Inhalt ihrer Reden zeugt im ganzen, f&uuml;r
diesen Tag, noch von einer richtigen Auffassung der Verh&auml;ltnisse. L&auml;cherlich ist nur
die hochtrabende Form und die sp&auml;tere Pr&auml;tension derselben Leute, die Revolution von
Anfang an mit Bewu&szlig;tsein und Absicht herbeigef&uuml;hrt zu haben. Das Schlimmste, was de la
Hodde ihnen &uuml;brigens nachsagen kann, ist, da&szlig; sie ihn so lange unter sich
duldeten.</p>
<p>Kommen wir zu Chenu. Wer ist Herr Chenu? Er ist ein alter Konspirateur, seit 1832 in allen
Emeuten beteiligt und der Polizei wohlbekannt. Zur Konskription herangezogen, desertiert er bald
und bleibt unentdeckt in Paris, trotz seiner abermaligen Beteiligung an Verschw&ouml;rungen und
an der Emeute von 1839. 1844 stellt er sich bei seinem Regiment, und sonderbarerweise wird ihm,
trotz seiner wohlbekannten Antezedentien, das Kriegsgericht vom Divisionsgeneral erlassen. Noch
mehr: er dient seine Zeit beim Regiment nicht ab, sondern kann nach Paris zur&uuml;ckkehren. 1847
ist er in die Brandbombenverschw&ouml;rung verwickelt; er entkommt bei einem Verhaftungsversuch,
bleibt aber nichtsdestoweniger in Paris, obwohl er in contumaciam &lt;in Abwesenheit&gt; zu vier
Jahren verurteilt wird. Erst von seinen Mitverschw&ouml;rern angeklagt, mit der Polizei in
Verbindung zu stehn, geht er nach Holland, von wo er am 21. Februar 1848 zur&uuml;ckkommt. Nach
der Februarrevolution wird er Hauptmann in Caussidi&egrave;res Garden. Caussidi&egrave;re hat ihn
bald im Verdacht (ein Verdacht der viel Wahrscheinlichkeit besitzt), mit Marrasts Spezialpolizei
in Verbindung zu stehn, und entfernt ihn ohne viel Widerstand nach Belgien und sp&auml;ter nach
Deutschland. Herr Chenu l&auml;&szlig;t sich ziemlich gutwillig nacheinander in die belgischen,
deutschen und polnischen Freikorps einrangieren. Und alles dies zu einer Zeit, wo
Caussidi&egrave;res Macht schon zu wanken begann, und obwohl Chenu ihn vollst&auml;ndig
beherrscht haben will; so behauptet er, ihn durch einen Drohbrief, als er einmal verhaftet war,
zu seiner sofortigen Freilassung gezwungen zu haben. Soviel &uuml;ber den Charakter und die
Glaubw&uuml;rdigkeit unsres Autors.</p>
<p>Die Massen von Schminke und Patschuli, worunter die Prostituierten die weniger anziehenden
Seiten ihrer physischen Existenz zu ersticken suchen, <a name="S271" id=
"S271"><b>&lt;271&gt;</b></a> finden sich literarisch reproduziert in dem bel-esprit
&lt;Sch&ouml;ngeistigen&gt;, womit de la Hodde sein Pamphlet parf&uuml;miert. Der literarische
Charakter des Chenuschen Buchs dagegen erinnert in der Naivet&auml;t und Lebendigkeit der
Darstellung h&auml;ufig an Gil Blas. Wie Gil Blas in den verschiedensten Abenteuern stets
Bedienter bleibt und alles nach dem Ma&szlig;stab des Bedienten beurteilt, so bleibt Chenu von
der Emeute von 1832 bis zu seiner Entfernung aus der Pr&auml;fektur immer derselbe subalterne
Konspirateur, dessen spezielle Borniertheit sich &uuml;brigens sehr genau unterscheiden
l&auml;&szlig;t von den platten Reflexionen des ihm vom Elysee zugewiesenen literarischen
"Faiseurs". Es ist klar, da&szlig; auch bei Chenu von einem Verst&auml;ndnis der
revolution&auml;ren Bewegung nicht die Rede sein kann. Interessant bleiben in seiner Schrift
daher nur die Kapitel, wo er mehr oder weniger unbefangen aus eigner Anschauung schildert: <i>die
Konspirateurs</i> und <i>Held Caussidi&egrave;re</i>.</p>
<p>Man kennt die Neigung der romanischen V&ouml;lker zu Verschw&ouml;rungen und die Rolle, die
die Verschw&ouml;rungen in der modernen spanischen, italienischen und franz&ouml;sischen
Geschichte gespielt haben. Nach den Niederlagen der spanischen und italienischen Verschw&ouml;rer
im Anfang der zwanziger Jahre wurden Lyon und namentlich Paris die Zentren der
revolution&auml;ren Verbindungen. Es ist bekannt, wie bis 1830 die liberalen Bourgeois an der
Spitze der Verschw&ouml;rungen gegen die Restauration standen. Nach der Julirevolution trat die
republikanische Bourgeoisie an ihre Stelle; das Proletariat, schon unter der Restauration zum
Konspirieren erzogen, trat in dem Ma&szlig;e in den Vordergrund, worin die republikanischen
Bourgeois durch die vergeblichen Stra&szlig;enk&auml;mpfe von den Konspirationen
zur&uuml;ckgeschreckt wurden. Die soci&eacute;t&eacute; des saisons, mit der Barb&egrave;s und
Blanqui die Ermeute von 1839 machten, war schon ausschlie&szlig;lich proletarisch, und ebenso
waren es die nach der Niederlage gebildeten nouvelles saisons, an deren Spitze Albert trat, und
woran Chenu, de la Hodde, Caussidi&egrave;re etc. sich beteiligten. Die Verschw&ouml;rung stand
durch ihre Chefs fortw&auml;hrend in Verbindung mit den in der "R&eacute;forme"
repr&auml;sentierten kleinb&uuml;rgerlichen Elementen, hielt sich jedoch immer sehr
unabh&auml;ngig. Diese Konspirationen umfa&szlig;ten nat&uuml;rlich nie die gro&szlig;e Masse des
Pariser Proletariats. Sie beschr&auml;nkten sich auf eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig kleine,
stets schwankende Zahl von Mitgliedern, die teils aus alten, station&auml;ren, von jeder geheimen
Gesellschaft ihrer Nachfolgerin regelm&auml;&szlig;ig &uuml;berlieferten Verschw&ouml;rern, teils
aus neu angeworbenen Arbeitern bestand.</p>
<p>Unter diesen alten Verschw&ouml;rern schildert Chenu fast ausschlie&szlig;lich nur die Klasse,
zu der er selbst geh&ouml;rt: die <i>Konspirateurs von Profession</i>. Mit der <a name="S272" id=
"S272"><b>&lt;272&gt;</b></a> Ausbildung der proletarischen Konspirationen trat das
Bed&uuml;rfnis der Teilung der Arbeit ein; die Mitglieder teilten sich in
Gelegenheitsverschw&ouml;rer, conspirateurs d'occasion, d.h. Arbeiter, die die Verschw&ouml;rung
nur neben ihrer sonstigen Besch&auml;ftigung betrieben, nur die Zusammenk&uuml;nfte besuchten und
sich bereithielten, auf den Befehl der Chefs am Sammelplatz zu erscheinen, und in Konspirateure
von Profession, die ihre ganze T&auml;tigkeit der Verschw&ouml;rung widmeten und von ihr lebten.
Sie bildeten die Mittelschicht zwischen den Arbeitern und den Chefs und schmuggelten sich
h&auml;ufig sogar unter diese.</p>
<p>Die Lebensstellung dieser Klasse bedingt schon von vornherein ihren ganzen Charakter. Die
proletarische Konspiration bietet ihnen nat&uuml;rlich nur sehr beschr&auml;nkte und unsichre
Existenzmittel. Sie sind daher fortw&auml;hrend gezwungen, die Kassen der Verschw&ouml;rung
anzugreifen. Manche von ihnen kommen auch direkt in Kollisionen mit der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft &uuml;berhaupt und figurieren mit mehr oder weniger Anstand vor den
Zuchtpolizeigerichten. Ihre schwankende, im einzelnen mehr vom Zufall als von ihrer
T&auml;tigkeit abh&auml;ngige Existenz, ihr regelloses Leben, dessen einzig fixe Stationen die
Kneipen der marchands de vin &lt;Schankwirte&gt; sind - die Rendezvoush&auml;user der
Verschwornen -, ihre unvermeidlichen Bekanntschaften mit allerlei zweideutigen Leuten rangieren
sie in jenen Lebenskreis, den man in Paris la boh&ecirc;me nennt. Diese demokratischen Bohemiens
proletarischen Ursprungs - es gibt auch eine demokratische Boheme b&uuml;rgerlichen Ursprungs,
die demokratischen Bummler und piliers d'estaminet &lt;Kneipenstammg&auml;ste&gt; - sind also
entweder Arbeiter, die ihre Arbeit aufgegeben haben und dadurch dissolut geworden sind, oder
Subjekte, die aus dem Lumpenproletariat hervorgehn und alle dissoluten Gewohnheiten dieser Klasse
in ihre neue Existenz &uuml;bertragen. Man begreift, wie unter diesen Umst&auml;nden fast in
jeden Konspirationsproze&szlig; ein paar repris de justice &lt;Vorbestrafte&gt; sich verwickelt
finden.</p>
<p>Das ganze Leben dieser Verschw&ouml;rer von Profession tr&auml;gt den ausgepr&auml;gtesten
Charakter der Boheme. Werbunteroffiziere der Verschw&ouml;rung, ziehen sie von marchand de vin zu
marchand de vin, f&uuml;hlen den Arbeitern den Puls, suchen ihre Leute heraus, kajolieren sie in
die Verschw&ouml;rung hinein und lassen entweder die Gesellschaftskasse oder den neuen Freund die
Kosten der dabei unvermeidlichen Konsumtion von Litres tragen. Der marchand de vin ist
&uuml;berhaupt ihr eigentlicher Herbergsvater. Bei ihm h&auml;lt der Verschw&ouml;rer sich
meistens auf; hier hat er seine Rendezvous mit seinen Kollegen, mit den Leuten seiner Sektion,
mit den Anzuwerbenden; hier endlich finden die ge- <a name="S273" id=
"S273"><b>&lt;273&gt;</b></a> heimen Zusammenk&uuml;nfte der Sektionen und Sektionschefs
(Gruppen) statt. Der Konspirateur, ohnehin wie alle Pariser Proletarier sehr heitrer Natur,
entwickelt sich in dieser ununterbrochenen Kneipenatmosph&auml;re bald zum vollst&auml;ndigsten
Bambocheur &lt;Zechbruder&gt;. Der finstre Verschw&ouml;rer, der in den geheimen Sitzungen eine
spartanische Tugendstrenge an den Tag legt, taut pl&ouml;tzlich auf und verwandelt sich in einen
&uuml;berall bekannten Stammgast, der den Wein und das weibliche Geschlecht sehr wohl zu
sch&auml;tzen versteht. Dieser Kneipenhumor wird noch erh&ouml;ht durch die fortw&auml;hrenden
Gefahren, denen der Konspirateur ausgesetzt ist; jeden Augenblick kann er auf die Barrikade
gerufen werden und dort fallen, auf jedem Schritt und Tritt legt ihm die Polizei Schlingen, die
ihn ins Gef&auml;ngnis oder gar auf die Galeeren bringen k&ouml;nnen. Solche Gefahren machen eben
den Reiz des Handwerks aus; je gr&ouml;&szlig;er die Unsicherheit, desto mehr beeilt sich der
Verschw&ouml;rer, den Genu&szlig; des Moments festzuhalten. Zugleich macht ihn die Gewohnheit der
Gefahr im h&ouml;chsten Grade gleichg&uuml;ltig gegen Leben und Freiheit. Im Gef&auml;ngnis ist
er zu Hause wie beim marchand de vin. Jeden Tag erwartet er den Befehl zum Losbruch. Die
verzweifelte Tollk&uuml;hnheit, die in jeder Pariser Insurrektion hervortritt, wird gerade durch
diese alten Verschw&ouml;rer von Profession, die hommes de coups de main &lt;M&auml;nner des
Handstreichs&gt;, hereingebracht. Sie sind es, die die ersten Barrikaden aufwerfen und
kommandieren, die den Widerstand organisieren, die Pl&uuml;nderung der Waffenl&auml;den, die
Wegnahme der Waffen und Munition aus den H&auml;usern leiten und mitten im Aufstand jene
verwegnen Handstreiche ausf&uuml;hren, die die Regierungspartei so oft in Verwirrung bringen. Mit
einem Wort, sie sind die Offiziere der Insurrektion.</p>
<p>Es versteht sich, da&szlig; diese Konspirateurs sich nicht darauf beschr&auml;nken, das
revolution&auml;re Proletariat &uuml;berhaupt zu organisieren. Ihr Gesch&auml;ft besteht gerade
darin, dem revolution&auml;ren Entwicklungsproze&szlig; vorzugreifen, ihn k&uuml;nstlich zur
Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif, ohne die Bedingungen einer Revolution zu
machen. Die einzige Bedingung der Revolution ist f&uuml;r sie die hinreichende Organisation ihrer
Verschw&ouml;rung. Sie sind die Alchimisten der Revolution und teilen ganz die
Ideenzerr&uuml;ttung und die Borniertheit in fixen Vorstellungen der fr&uuml;heren Alchimisten.
Sie werfen sich auf Erfindungen, die revolution&auml;re Wunder verrichten sollen: Brandbomben,
Zerst&ouml;rungsmaschinen von magischer Wirkung, Emeuten, die um so wundert&auml;tiger und
&uuml;berraschender wirken sollen, je weniger sie einen rationellen Grund haben. Mit. solcher
Projektenmacherei besch&auml;ftigt, haben sie keinen andern Zweck als den n&auml;chsten des
Umsturzes der bestehenden <a name="S274" id="S274"><b>&lt;274&gt;</b></a> Regierung und verachten
aufs tiefste die mehr theoretische Aufkl&auml;rung der Arbeiter &uuml;ber ihre Klasseninteressen.
Daher ihr nicht proletarischer, sondern plebejischer &Auml;rger &uuml;ber die habits noirs
&lt;Befrackten&gt;, die mehr oder minder gebildeten Leute, die diese Seite der Bewegung
vertreten, von denen sie aber, als von den offiziellen Repr&auml;sentanten der Partei, sich nie
ganz unabh&auml;ngig machen k&ouml;nnen. Die habits noirs m&uuml;ssen ihnen von Zeit zu Zeit auch
als Geldquelle dienen. Es versteht sich &uuml;brigens, da&szlig; die Konspirateurs der
Entwicklung der revolution&auml;ren Partei mit oder wider Willen folgen m&uuml;ssen.</p>
<p>Der Hauptcharakterzug im Leben der Konspirateurs ist. ihr Kampf mit der Polizei, zu der sie
grade dasselbe Verh&auml;ltnis haben wie die Diebe und die Prostituierten. Die Polizei toleriert
die Verschw&ouml;rungen, und zwar nicht blo&szlig; als ein notwendiges &Uuml;bel: Sie toleriert
sie als leicht zu &uuml;berwachende Zentren, in denen sich die gewaltsamsten revolution&auml;ren
Elemente der Gesellschaft zusammenfinden, als Werkst&auml;tten der Emeute, die in Frankreich ein
ebenso notwendiges Regierungsmittel geworden ist wie die Polizei selbst, und endlich als
Rekrutierungsplatz f&uuml;r ihre eignen politischen Mouchards. Grade wie die brauchbarsten
Spitzbubenf&auml;nger, die Vidocq und Konsorten, aus der Klasse der h&ouml;heren und niederen
Gauner, der Diebe, escrocs &lt;Betr&uuml;ger&gt; und falschen Bankeruttiers genommen werden und
oft wieder in ihr altes Handwerk zur&uuml;ckfallen, geradeso rekrutiert sich die niedere
politische Polizei aus den Konspirateurs von Profession. Die Verschw&ouml;rer behalten
unaufh&ouml;rlich F&uuml;hlung mit der Polizei, sie kommen jeden Augenblick in Kollision mit ihr;
sie jagen auf die Mouchards, wie die Mouchards auf sie jagen. Die Spionage ist eine ihrer
Hauptbesch&auml;ftigungen. Kein Wunder daher, da&szlig; der kleine Sprung vom
handwerksm&auml;&szlig;igen Verschw&ouml;rer zum bezahlten Polizeispion, erleichtert durch das
Elend und das Gef&auml;ngnis, durch Drohungen und Versprechungen, sich so h&auml;ufig macht.
Daher das grenzenlose Verdachtsystem in den Verschw&ouml;rungen, das die Mitglieder
vollst&auml;ndig blind macht und sie in ihren besten Leuten Mouchards und in den wirklichen
Mouchards ihre zuverl&auml;ssigsten Leute erkennen l&auml;&szlig;t. Da&szlig; diese aus den
Verschw&ouml;rern angeworbenen Spione sich mit der Polizei meist in dem guten Glauben einlassen,
sie d&uuml;pieren zu k&ouml;nnen, da&szlig; es ihnen eine Zeitlang gelingt, eine doppelte Rolle
zu spielen, bis sie den Konsequenzen ihres ersten Schritts mehr und mehr verfallen, und da&szlig;
die Polizei wirklich oft von ihnen d&uuml;piert wird, ist einleuchtend. Ob &uuml;brigens ein
solcher Konspirateur den Schlingen der Polizei verf&auml;llt, h&auml;ngt von rein zuf&auml;lligen
Umst&auml;nden ab und von einem mehr quantitativen als qualitativen Unterschied der
Charakterfestigkeit.</p>
<p><b><a name="S275" id="S275">&lt;275&gt;</a></b> Das sind die Konspirateure, die uns Chenu oft
sehr lebendig vorf&uuml;hrt und deren Charakter er bald mit, bald wider Willen schildert. Er
selbst &uuml;brigens ist, bis in seine nicht ganz klaren Verbindungen mit der Delessertschen und
Marrastschen Polizei hinein, das schlagendste Bild eines Konspirateurs von Handwerk.</p>
<p>In demselben Ma&szlig;, wie das Pariser Proletariat selbst als Partei in den Vordergrund trat,
verloren diese Konspirateurs an leitendem Einflu&szlig;, wurden sie zersprengt, fanden sie eine
gef&auml;hrliche Konkurrenz in proletarischen geheimen Gesellschaften, die nicht die unmittelbare
Insurrektion, sondern die Organisation und Entwicklung des Proletariats zum Zweck hatten. Schon
die Insurrektion von 1839 hatte einen entschieden proletarischen und kommunistischen Charakter.
Nach ihr aber traten die Spaltungen ein, &uuml;ber die die alten Konspirateure so viel klagen;
Spaltungen, die aus dem Bed&uuml;rfnis der Arbeiter hervorgingen, sich &uuml;ber ihre
Klasseninteressen zu verst&auml;ndigen, und die sich teils in den alten Verschw&ouml;rungen
selbst, teils in neuen propagandistischen Verbindungen &auml;u&szlig;erten. Die kommunistische
Agitation, die Cabet bald nach 1839 mit Macht begann, die Streitfragen, die sich innerhalb der
kommunistischen Partei erhoben, wuchsen den Konspirateuren bald &uuml;ber den Kopf. Chenu wie de
la Hodde geben zu, da&szlig; die Kommunisten zur Zeit der Februarrevolution bei weitem die
st&auml;rkste Fraktion des revolution&auml;ren Proletariats gewesen seien. Die Konspirateure, um
ihren Einflu&szlig; auf die Arbeiter und damit ihr Gegengewicht gegen die habits noirs nicht zu
verlieren, mu&szlig;ten dieser Bewegung folgen und sozialistische oder kommunistische Ideen
adoptieren. So entstand schon vor der Februarrevolution der Gegensatz der
Arbeiterverschw&ouml;rungen, die durch Albert repr&auml;sentiert wurden, gegen die Leute von der
"R&eacute;forme", derselbe Gegensatz, der sich bald nachher in der provisorischen Regierung
reproduzierte. Es f&auml;llt uns &uuml;brigens nicht ein, Albert mit diesen Konspirateurs zu
verwechseln. Aus beiden Schriften geht hervor, da&szlig; Albert sich eine pers&ouml;nliche
unabh&auml;ngige Stellung &uuml;ber diesen seinen Werkzeugen zu behaupten wu&szlig;te und
keineswegs in die Klasse von Leuten geh&ouml;rt, die das Konspirieren als Nahrungszweig
betrieben.</p>
<p>Die Bombengeschichte von 1847, eine Angelegenheit, in der die Polizei mehr als in allen
fr&uuml;heren direkt einwirkte, sprengte endlich die hartn&auml;ckigsten und widersinnigsten
alten Konspirateurs und warf ihre bisherigen Sektionen in die direkte proletarische Bewegung
hinein.</p>
<p>Diese Konspirateurs von Profession, die heftigsten Leute ihrer Sektionen und die
d&eacute;tenus politiques &lt;politischen Gefangenen&gt; proletarischen Ursprungs, meist selbst
alte Kon- <a name="S276" id="S276"><b>&lt; 276&gt;</b></a> spirateurs, finden wir nach der
Februarrevolution als Montagnards in der Polizeipr&auml;fektur wieder. Die Konspirateurs bilden
aber den Kern der ganzen Gesellschaft. Man begreift, da&szlig; diese Leute, hier auf einmal
bewaffnet zusammengedr&auml;ngt, mit ihren Pr&auml;fekten und ihren Offizieren meist ganz
vertraut, ein ziemlich turbulentes Korps bilden mu&szlig;ten. Wie die Montagne der
Nationalversammlung die Parodie der alten Montagne war und durch ihre Impotenz aufs schlagendste
bewies, da&szlig; die alten revolution&auml;ren Traditionen von 1793 heute nicht mehr ausreichen,
so bewiesen die Montagnards der Polizeipr&auml;fektur, die Reproduktion der alten Sansculotten,
da&szlig; in der modernen Revolution auch dieser Teil des Proletariats nicht mehr hinreicht und
da&szlig; allein das gesamte Proletariat sie durchf&uuml;hren kann.</p>
<p>Chenu schildert den sansculottischen Lebenswandel dieser ehrenwerten Gesellschaft in der
Pr&auml;fektur h&ouml;chst lebendig. Diese humoristischen Szenen, wobei Herr Chenu offenbar
selbstt&auml;tig mitgewirkt hat, sind zuweilen etwas toll, aber bei dem Charakter der alten
konspirierenden Bambocheurs h&ouml;chst erkl&auml;rlich und bilden ein notwendiges und selbst
gesundes Gegenst&uuml;ck gegen die Orgien der Bourgeoisie in den letzten Jahren
Louis-Philippes.</p>
<p>Wir zitieren blo&szlig; ein Beispiel aus der Erz&auml;hlung ihrer Installation in der
Pr&auml;fektur.</p>
<p><font size="2">"Als der Tag anbrach, sah ich nach und nach die Gruppenchefs mit ihren
Mannschaften ankommen, aber meist unbewaffnet. Ich machte Caussidi&egrave;re hierauf aufmerksam.
Ich werde ihnen Waffen besorgen, sagte er. Suche einen passenden Ort aus, um sie in der
Pr&auml;fektur zu kasernieren. Ich f&uuml;hrte sofort diesen Auftrag aus und schickte sie, den
Posten der alten Stadtsergeanten zu besetzen, wo ich einst so unw&uuml;rdig behandelt worden war.
Einen Augenblick nachher sah ich sie im Lauf zur&uuml;ckkommen. Wohin geht ihr? frug ich sie, -
Der Posten ist besetzt durch einen Schwarm von Stadtsergeanten, antwortete mir Devaisse; sie
schlafen ruhig, und wir suchen Instrumente, um sie zu wecken und herauszuwerfen. - Sie
bewaffneten sich nun mit allem, was ihnen in die Hand fiel, Ladst&ouml;cken, S&auml;belscheiden,
Riemen, die sie doppelt legten, und Besenstielen. Dann fielen meine Jungen, die sich alle mehr
oder minder zu beklagen gehabt hatten &uuml;ber die Insolenz und Brutalit&auml;t der
Schl&auml;fer, mit gehobenem Arm &uuml;ber sie her und brachten ihnen w&auml;hrend mehr als einer
halben Stunde eine so rauhe Lektion bei, da&szlig; einige davon l&auml;ngere Zeit krank waren.
Auf ihren Angstschrei st&uuml;rzte ich hinzu, und es gelang mir nur mit M&uuml;he, die T&uuml;re
zu &ouml;ffnen, die die Montagnards wohlweislich von innen verschlossen hielten. Es war der
M&uuml;he wert, jetzt die Stadtsergeanten halbnackt in den Hof st&uuml;rzen zu sehen; sie
sprangen mit einem Satz die Treppe hinunter, und wohl bekam es ihnen, alle Schliche der
Pr&auml;fektur zu kennen, um aus den Augen ihrer sie hetzenden Feinde zu verschwinden. Einmal
Meister des Platzes, dessen Garnison sie mit soviel H&ouml;flichkeit abgel&ouml;st hatten,
schm&uuml;ckten sich unsre Montagnards siegesstolz mit der Hinterlassenschaft der Besiegten, und
w&auml;hrend langer Zeit sah man sie auf und <a name="S277" id=
"S277"><b>&lt;277&gt;</b></a></font> ab wandeln im Hof der Pr&auml;fektur, den Degen an der
Seite, den Mantel um die Schulter und ihr Haupt geziert mit dem dreieckigen Hut, einst so
gef&uuml;rchtet von der Mehrzahl unter ihnen." p 83-85.</p>
<p>Wir haben die Montagnards kennengelernt, wir kommen zu ihrem Chef, dem Helden der Epop&ouml;e
Chenu, zu <i>Caussidi&egrave;re</i>. Chenu f&uuml;hrt ihn uns um so h&auml;ufiger vor, als er es
ist, gegen den das ganze Buch sich eigentlich richtet.</p>
<p>Die Hauptvorw&uuml;rfe, die Caussidi&egrave;re gemacht wurden, beziehen sich auf seinen
moralischen Lebenswandel, Wechselreitereien und sonstige kleine Versuche, Geld aufzutreiben, wie
sie jedem verschuldeten und lebenslustigen commis voyageur &lt;Handlungsreisender&gt; in Paris
vorkommen k&ouml;nnen und vorkommen. Es h&auml;ngt &uuml;berhaupt nur von der Gr&ouml;&szlig;e
des Kapitals ab, ob die Prellereien, Profitmachereien, Schwindeleien und B&ouml;rsenspiele, auf
denen der ganze Handel beruht, mehr oder weniger an den Code p&eacute;nal &lt;an das
Strafgesetzbuch&gt; streifen. &Uuml;ber die B&ouml;rsencoups und den chinesischen Betrug, die
speziell den franz&ouml;sischen Handel charakterisieren, vergleiche man z.B. Fouriers pikante
Schilderungen in den "Quatre mouvements", der "Fausse Industrie", dem "Trait&eacute; de
l'unit&eacute; universelle" und seinem Nachla&szlig;. Herr Chenu versucht nicht einmal zu
beweisen, da&szlig; Caussidi&egrave;re seine Stellung als Polizeipr&auml;fekt zu seinen
Privatzwecken exploitiert habe. &Uuml;berhaupt kann eine Partei sich Gl&uuml;ck w&uuml;nschen,
wenn ihre siegreichen Gegner auf die Enth&uuml;llung solcher handelsmoralischen
Erb&auml;rmlichkeiten sich beschr&auml;nken m&uuml;ssen. Die kleinen Experimente des commis
voyageur Caussidi&egrave;re und die gro&szlig;artigen Skandale der Bourgeoisie von 1847, welcher
Kontrast! Der ganze Angriff hat nur einen Sinn, insofern Caussidi&egrave;re der Partei der
"R&eacute;forme" angeh&ouml;rte, die ihren Mangel an revolution&auml;rer Energie und Verstand
durch republikanische Tugendbeteuerungen und einen finstern Ernst der Gesinnung zu verdecken
suchte.</p>
<p>Caussidi&egrave;re ist unter den Chefs der Februarrevolution die einzige erheiternde Figur. In
seiner Eigenschaft als loustic &lt;Spa&szlig;macher&gt; der Revolution war er der ganz passende
Chef der alten Konspirateurs von Handwerk. Sinnlich und humoristisch, alter Stammgast in
Caf&eacute;s und Kneipen der verschiedensten Art, der selbst lebte und leben lie&szlig;, dabei
milit&auml;risch mutig, unter einer breitschultrigen Bonhomie und Ungeniertheit eine gro&szlig;e
Geriebenheit, schlaue Reflexion und feine Beobachtung verbergend, besa&szlig; er einen gewissen
revolution&auml;ren Takt und revolution&auml;re Energie. Caussidi&egrave;re war damals ein echter
Plebejer, der die Bourgeoisie instinktm&auml;&szlig;ig ha&szlig;te und alle plebejischen
Leidenschaften im h&ouml;chsten Grade teilte. Kaum auf der Pr&auml;fektur installiert,
konspiriert er schon gegen den "National", ohne dar&uuml;ber die K&uuml;che und den <a name=
"S278" id="S278"><b>&lt;278&gt;</b></a> Keller seines Vorg&auml;ngers zu vernachl&auml;ssigen. Er
organisiert sich sofort eine milit&auml;rische Macht, sichert sich ein Journal, lanciert Klubs,
verteilt die Rollen und agiert &uuml;berhaupt im ersten Moment mit gro&szlig;er Sicherheit. In
vierundzwanzig Stunden ist die Pr&auml;fektur in eine Festung verwandelt, in der er seinen
Feinden trotzen kann. Aber alle seine Pl&auml;ne bleiben entweder blo&szlig;e Projekte oder
laufen in der Praxis auf pure plebejische Sp&auml;&szlig;e ohne Resultat hinaus. Als die
Gegens&auml;tze sich schroffer gestalten, teilt er das Los seiner Partei, die zwischen den Leuten
vom "National" und den proletarischen Revolution&auml;ren wie Blanqui unentschieden in der Mitte
stehnbleibt. Seine Montagnards spalten sich; die alten Bambocheurs wachsen ihm &uuml;ber den Kopf
und sind nicht mehr zu z&uuml;geln, w&auml;hrend der revolution&auml;re Teil zu Blanqui
&uuml;bergeht. Caussidi&egrave;re selbst verb&uuml;rgert in seiner offiziellen Stellung als
Pr&auml;fekt und Repr&auml;sentant immer mehr; am 15. Mai h&auml;lt er sich vorsichtig
zur&uuml;ck und rechtfertigt sich in der Kammer auf eine unverantwortliche Weise; am 23. Juni
l&auml;&szlig;t er die Insurrektion direkt im Stich. Zum Lohn wird er nat&uuml;rlich von der
Pr&auml;fektur entfernt und bald darauf ins Exil geschickt.</p>
<p>Wir lassen einige der bezeichnendaten Stellen aus Chenu und de la Hodde &uuml;ber
Caussidi&egrave;re folgen.</p>
<p>Kaum ist de la Hodde am Abend des 24. Februar als Generalsekret&auml;r der Pr&auml;fektur von
Caussidi&egrave;re installiert, so sagt ihm dieser:</p>
<p><font size="2">"'Ich brauche hier solide Leute. Die administrative Boutique wird immer so
ziemlich ihren Gang gehn; ich habe provisorisch die alten Beamten beibehalten; sobald sie die
Patrioten gebildet haben, werden wir sie <i>balancieren</i>. Das ist Nebensache. Es handelt sich
darum, aus der Pr&auml;fektur die Zitadelle der Revolution zu machen; instruiert unsre Leute
danach; sie sollen alle herkommen. Haben wir erst eintausend St&uuml;ck handfester Kameraden
hier, so halten wir die Katze am Schwanz. Ledru-Rollin, Flocon, Albert und ich verstehn uns, und
ich hoffe, da&szlig; die Sache sich machen wird. Der 'National' mu&szlig; purzeln. Das geschehn,
werden wir das Land schon republikanisieren, es mag wollen oder nicht.'</font></p>
<p><font size="2">Gleich darauf kam Garnier-Pag&egrave;s, Maire von Paris, unter dessen Befehl
der "National" die Polizei gestellt hatte, einen Besuch abstatten und schlug Caussidi&egrave;re
vor, anstatt des unangenehmen Postens auf der Pr&auml;fektur lieber die Kommandantur des
Schlosses von Compi&egrave;gne anzunehmen. Caussidi&egrave;re antwortete ihm mit der kleinen
Fl&ouml;tenstimme, die ihm zu Gebot stand und die so merkw&uuml;rdig mit seinen breiten Schultern
kontrastierte: 'Ich nach Compi&egrave;gne? Unm&ouml;glich. Es ist notwendig, da&szlig; ich hier
bleibe. Ich habe da unten mehrere Hundert gem&uuml;tliche Jungen, die wacker arbeiten; ich
erwarte ihrer noch zweimal soviel. Wenn der gute Wille oder der Mut euch auf dem H&ocirc;tel de
Ville fehlt, so werde ich euch helfen k&ouml;nnen. Ha, ha, la r&eacute;volution fera son petit
bonhomme de chemin, il le faudra bien! &lt; die Revolution wird ihr St&uuml;ckchen Weg schon
schaffen, sie mu&szlig; es einfach!&gt;' - 'Die Revolution? aber sie ist fer- <a name="S279" id=
"S279"><b>&lt;279&gt;</b></a></font> tig!' - 'Bah, sie hat noch gar nicht angefangen!' - Der arme
Maire stand da wie ein T&ouml;lpel." De la Hodde, p. 72.</p>
<p>Zu den heitersten Szenen, die Chenu schildert, geh&ouml;rt der Empfang der
Polizeikommiss&auml;re und ofiiciers de paix durch den neuen Pr&auml;fekten, der bei ihrer
Anmeldung gerade bei Tische war.</p>
<p><font size="2">"Sie sollen warten, sagte Caussidi&egrave;re, der Pr&auml;fekt <i>arbeitet</i>.
Er arbeitete noch eine gute halbe Stunde und arrangierte dann die Szenerie f&uuml;r den Empfang
der Herrn Kommiss&auml;re, die unterdessen die gro&szlig;e Treppe entlang standen.
Caussidi&egrave;re setzte sich majest&auml;tisch nieder in seinen Sessel, seinen gro&szlig;en
S&auml;bel an der Seite. Zwei w&uuml;ste Montagnards mit kannibalischer Miene bewachten die
T&uuml;r, die Muskete beim Fu&szlig;, die Pfeife im Mund. Zwei Hauptleute mit gezogenem
S&auml;bel standen an jeder Seite seines Pults. Au&szlig;erdem waren in dem Salon gruppiert alle
Sektionschefs und die Republikaner, die seinen Generalstab bildeten; alles bewaffnet mit
gro&szlig;en S&auml;beln und Kavalleriepistolen, mit B&uuml;chsen und Jagdflinten. Alle Welt
rauchte, und die Rauchwolke, die den Salon erf&uuml;llte, verfinsterte noch die Gesichter und gab
dieser Szene eine wirklich erschreckende Physiognomie. In der Mitte war ein Platz f&uuml;r die
Kommiss&auml;re freigeblieben. Jeder bedeckte sich, und Caussidi&egrave;re gab Befehl, sie
einzuf&uuml;hren. Diese armen Kommiss&auml;re verlangten nichts sehnlicher, denn sie waren den
Grobheiten und Drohungen der Montagnards ausgesetzt, die sie in allen m&ouml;glichen Saucen
frikassieren wollten. Schurkenbande, br&uuml;llten sie, jetzt halten wir euch auch einmal! Ihr
kommt nicht mehr fort, ihr m&uuml;&szlig;t eure Haut hier lassen! - Bei ihrem Eintritt in das
Kabinett des Pr&auml;fekten glaubten sie, von der Scylla in die Charybdis zu geraten. Der erste,
der seinen Fu&szlig; auf die Schwelle setzte, schien einen Augenblick zu schwanken. Er
wu&szlig;te nicht recht, sollte er vorw&auml;rtsgehn oder zur&uuml;ck, so finster richteten sich
alle Blicke auf ihn. Endlich wagte er sich, tat einen Schritt vor und gr&uuml;&szlig;te, noch
einen Schritt und gr&uuml;&szlig;te tiefer, einen andern Schritt und gr&uuml;&szlig;te noch
tiefer. Jeder machte sein Entree mit tiefen Verbeugungen gegen den schrecklichen Pr&auml;fekten,
der alle diese Huldigungen kalt und schweigend empfing, die Hand gest&uuml;tzt auf den Griff
seines S&auml;bels. Die Kommiss&auml;re betrachteten diese sonderbare Schaustellung mit glotzigen
Augen. Einige, welche der Schrecken verwirrte und welche uns zweifelsohne den Hof machen wollten,
fanden das Tableau imposant, majest&auml;tisch. - Stille! gebot ein Montagnard mit Grabesstimme.
- Als sie alle eingetreten waren, brach Caussidi&egrave;re, der bis dahin stumm und unbeweglich
geblieben war, das Schweigen und sagte mit seiner furchtbarsten Stimme:</font></p>
<p><font size="2">'Vor acht Tagen habt ihr nichts weniger erwartet, als mich hier an diesem Platz
zu finden, umgeben von treuen Freunden. Sie sind also heute eure Gebieter, diese
Pappendeckelrepublikaner, wie ihr sie einst nanntet. Ihr zittert vor denen, die ihr mit der
unedelsten Behandlung &uuml;berh&auml;uft habt. Sie, Vassal, waren der niedertr&auml;chtigste
se&iuml;de &lt;Fanatiker&gt; der gest&uuml;rzten Regierung, der heftigste Verfolger der
Republikaner, und jetzt sind Sie gefallen in die H&auml;nde Ihrer unerbittlichsten Feinde, denn
keiner ist hier gegenw&auml;rtig, der Ihren Verfolgungen entgangen w&auml;re. Wenn ich auf die
gerechten Reklamationen <a name="S280" id="S280"><b>&lt;280&gt;</b></a></font> h&ouml;ren wollte,
die man an mich richtet, w&uuml;rde ich Repressalien gebrauchen; ich ziehe es vor zu vergessen.
Kehrt alle zu euren Funktionen zur&uuml;ck; aber wenn ich jemals erfahre, da&szlig; ihr die Hand
bietet zu irgendeiner reaktion&auml;ren Mogelei, werde ich euch wie Ungeziefer zertreten.
Geht!'</p>
<p>Die Kommiss&auml;re hatten die ganze Stufenleiter des Schreckens durchlaufen, und zufrieden,
mit einer Strafpredigt des Pr&auml;fekten davonzukommen, schoben sie ganz fidel ab. Die
Montagnards, die sie unten an der Treppe erwarteten, geleiteten sie mit einem l&auml;rmenden
Charivari bis an das Ende der Rue de Jerusalem. Kaum war der letzte verschwunden, als wir eine
ungeheure Lache aufschlugen. Caussidi&egrave;re strahlte und lachte mehr als alle andern
&uuml;ber den herrlichen Streich, den er seinen Kommiss&auml;ren gespielt hatte." Chenu, p.
87-90.</p>
<p>Nach dem 17. M&auml;rz, an dem Caussidi&egrave;re vielen Anteil hatte, sagte er zu Chenu:</p>
<p><font size="2">"Ich kann nach meinem Belieben die Massen erheben und sie auf die Bourgeoisie
st&uuml;rzen." Chenu, p. 140.</font></p>
<p>Caussidi&egrave;re brachte es &uuml;berhaupt nie weiter mit seinen Gegnern, als Bangemachen
mit ihnen zu spielen.</p>
<p>Endlich &uuml;ber das Verh&auml;ltnis Caussidi&egrave;res zu den Montagnards sagt Chenu:</p>
<p><font size="2">"Wenn ich zu Caussidi&egrave;re von den Exzessen sprach, denen sich seine Leute
&uuml;berlie&szlig;en, seufzte er, aber die H&auml;nde waren ihm gebunden. Die gr&ouml;&szlig;te
Zahl hatte sein Leben mitgelebt, er hatte ihr Elend geteilt und ihre Freuden, mehrere hatten ihm
Dienste erwiesen. Wenn er sie nicht niederhalten konnte, war dies die Folge seiner eignen
Vergangenheit." p. 97.</font></p>
<p>Wir erinnern unsre Leser, da&szlig; diese beiden B&uuml;cher geschrieben wurden zur Zeit der
Agitation f&uuml;r die Wahlen vom 10. M&auml;rz. Was ihre Wirkung war, geht hervor aus dem
Wahlresultat - dem gl&auml;nzenden Sieg der Roten.</p>
<p align="center">III</p>
<p align="center"><i>"Le socialisme</i> et <i>l'imp&ocirc;t", par &Eacute;mile de Girardin,</i>
Paris 1850<br>
&lt;<i>"Der Sozialismus und die Steuer", Von &Eacute;mile de Girardin</i> &gt;</p>
<p>Es gibt zweierlei Arten von Sozialismus, den "guten" Sozialismus und den "schlechten"
Sozialismus.</p>
<p>Der <i>schlechte</i> Sozialismus, das ist <i>"der Krieg der Arbeit gegen das Kapital"</i>. Auf
seine Rechnung fallen alle die Schreckensbilder: gleiche Verteilung der L&auml;ndereien,
Aufhebung der Familienbande, organisierte Pl&uuml;nderung usw.</p>
<p><b><a name="S281" id="S281">&lt;281&gt;</a></b> Der <i>gute</i> Sozialismus, das ist <i>"die
Eintracht</i> von <i>Arbeit und Kapital"</i>. In seinem Gefolge befinden sich die Abschaffung der
Unwissenheit, die Entfernung der Ursachen des Pauperismus, die Konstitution des Kredits, die
Vervielf&auml;ltigung des Eigentums, die Reform der Steuer, mit einem Wort, "das Regime, das sich
am meisten der Vorstellung n&auml;hert, die sich der Mensch vom Reich Gottes auf Erden
macht".</p>
<p>Man mu&szlig; sich des guten Sozialismus bedienen, um den schlechten zu ersticken.</p>
<p><font size="2">"Der Sozialismus hat einen Hebel; dieser Hebel war das <i>Budget</i>. Aber es
fehlte ihm ein St&uuml;tzpunkt, um die Welt aus den Angeln zu heben. Dieser St&uuml;tzpunkt, die
Revolution vom 24. Februar hat ihn gegeben: <i>das allgemeine Stimmrecht</i>."</font></p>
<p>Die Quelle des Budgets ist die <i>Steuer</i>. Die Wirkung des allgemeinen Stimmrechts auf das
Budget soll also seine Wirkung auf die Steuer sein. Und durch diese Wirkung auf die Steuer
realisiert sich der "gute" Sozialismus.</p>
<p><font size="2">"Frankreich kann nicht &uuml;ber 1.200 Millionen Franken j&auml;hrlicher Steuer
zahlen. Wie wollt ihr es anfangen, um die Ausgaben auf diese Summe zu reduzieren?"</font></p>
<p><font size="2">"Seit f&uuml;nfunddrei&szlig;ig Jahren habt ihr dreimal in zwei Charten und
eine Konstitution geschrieben, da&szlig; alle Franzosen im Verh&auml;ltnis ihres Verm&ouml;gens
zu den Staatslasten beitragen sollen. Seit f&uuml;nfunddrei&szlig;ig Jahren ist diese Gleichheit
der Steuer eine L&uuml;ge ... Betrachten wir uns das franz&ouml;sische Steuersystem."</font></p>
<p><i>I. Grundsteuer</i>. Die Grundsteuer trifft die Grundeigent&uuml;mer <i>nicht
gleichm&auml;&szlig;ig</i>:</p>
<p><font size="2">"Wenn zwei benachbarte Grundst&uuml;cke dieselbe Katastersch&auml;tzung
erhalten haben, so zahlen die zwei Grundeigent&uuml;mer dieselbe Steuer, ohne Unterschied
zwischen dem scheinbaren und dem reellen Eigent&uuml;mer",</font></p>
<p>d h. dem hypothekenbeladenen und dem hypothekenfreien Eigent&uuml;mer.</p>
<p>Ferner: Die Grundsteuer steht <i>nicht im Verh&auml;ltnis</i> zu den Steuern, die auf die
&uuml;brigen Arten des Eigentums fallen. Als die Nationalversammlung 1790 sie einf&uuml;hrte,
stand sie unter dem Einflu&szlig; der physiokratischen Schule, welche die Erde als die einzige
Quelle des Nettoeinkommens betrachtete und daher alle Steuerlast auf die Grundeigent&uuml;mer
w&auml;lzte. Die Grundsteuer beruht also auf einem &ouml;konomischen Irrtum. Bei einer gleichen
Verteilung der Steuern w&uuml;rden auf den Grundbesitzer 20% seines Einkommens fallen,
w&auml;hrend er jetzt 53% zahlt.</p>
<p>Endlich sollte die Grundsteuer, ihrer urspr&uuml;nglichen Bestimmung nach, nur den
Eigent&uuml;mer, nie den P&auml;chter oder den Mieter treffen. Statt dessen trifft sie nach Herrn
Girardin stets den P&auml;chter und Mieter.</p>
<p>Hier begeht Herr Girardin einen &ouml;konomischen Irrtum. Entweder ist der P&auml;chter
wirklicher P&auml;chter, und dann trifft die Grundsteuer den Eigent&uuml;mer <a name="S282" id=
"S282"><b>&lt;282&gt;</b></a> oder den Konsumenten, aber nie ihn; oder er ist unter dem Schein
des Pachtverh&auml;ltnisses im Grunde nur der Arbeiter des Eigent&uuml;mers, wie in Irland und
h&auml;ufig in Frankreich, und dann werden die auf den Eigent&uuml;mer gelegten Steuern immer ihn
treffen, sie m&ouml;gen hei&szlig;en wie sie wollen.</p>
<p><i>II. Personal- und Mobiliarsteuer</i>. Der Zweck dieser Steuer, die auch 1790 von der
Nationalversammlung dekretiert wurde, war, das mobile Kapital direkt zu treffen. Als
Ma&szlig;stab f&uuml;r die H&ouml;he des Kapitals nahm man die Wohnungsmiete. Die Steuer trifft
in Wirklichkeit den Grundeigent&uuml;mer, den Bauern und den Industriellen, w&auml;hrend sie den
Rentier nur unbedeutend oder gar nicht beschwert, Sie ist also die v&ouml;llige Verkehrung der
Absichten ihrer Urheber. Ein Million&auml;r kann au&szlig;erdem in einem Dachk&auml;mmerchen mit
zwei gebrechlichen St&uuml;hlen wohnen - unbillig etc.</p>
<p><i>III. T&uuml;r- und Fenstersteuer</i>. Attentat auf die Gesundheit des Volks.
Fiskalma&szlig;regel gegen die Reinheit der Luft und das Tageslicht.</p>
<p><font size="2">"Beinahe die H&auml;lfte der Wohnungen in Frankreich hat entweder nur eine
T&uuml;r und kein Fenster oder h&ouml;chstens eine T&uuml;r und ein Fenster."</font></p>
<p>Diese Steuer wurde den 24. Vend&eacute;miaire des Jahres VII (14. Oktober 1799) angenommen aus
dringendem Geldbed&uuml;rfnis, als nur vor&uuml;bergehende, au&szlig;erordentliche
Ma&szlig;regel, im Prinzip aber verworfen.</p>
<p><i>IV. Patentsteuer</i> (Gewerbsteuer). Steuer nicht auf den Gewinn, sondern auf die
Aus&uuml;bung der Industrie. Strafe f&uuml;r die Arbeit. Wo sie den Industriellen treffen soll,
trifft sie gr&ouml;&szlig;tenteils den Konsumenten. &Uuml;berhaupt handelte es sich bei Auflegung
dieser Steuer im Jahr 1791 auch nur um die Befriedigung eines augenblicklichen
Geldbed&uuml;rfnisses.</p>
<p>V. <i>Enregistrement und Stempel</i>. Das droit d'enregistrement stammt von Franz I. her und
hatte zun&auml;chst keinen fiskalischen Zweck (?). 1790 wurde der Einschreibungszwang f&uuml;r
Kontrakte, die das Eigentum betrafen, ausgedehnt und die Geb&uuml;hr erh&ouml;ht. Die Steuer ist
so eingerichtet, da&szlig; Kauf und Verkauf mehr zahlen als Schenkungen und Erbschaften. Der
Stempel ist eine rein fiskalische Erfindung, welche gleichm&auml;&szlig;ig ungleiche Profite
trifft.</p>
<p><i>VI. Getr&auml;nkesteuer</i>. Inbegriff aller Unbilligkeit, Hemmung der Produktion
vexatorisch, die teuerste in der Eintreibung. (Siehe &uuml;brigens <a href="me07_064.htm">Heft
III: 1848 bis 1849, Folgen des 13. Juni.</a>)</p>
<p><i>VII. Z&ouml;lle</i>. Planloser, traditionell akkumulierter Wust von einander
widersprechenden, zwecklosen, der Industrie sch&auml;dlichen Zolls&auml;tzen. Z.B. die rohe
Baumwolle zahlt in Frankreich per 100 Kilogr. eine Steuer von 22 frs. 50 cts. Passons outre.
&lt;Gehen wir weiter&gt;</p>
<p><b><a name="S283" id="S283">&lt;283&gt;</a></b> <i>VIII. Oktroi</i>. Hat nicht einmal den
Vorwand, einen nationalen Industriezweig zu sch&uuml;tzen. Douane im Innern des Landes.
Urspr&uuml;nglich lokale Armensteuer, jetzt haupts&auml;chlich auf die &auml;rmeren Klassen
dr&uuml;ckend und ihre Lebensmittel verf&auml;lschend. Setzt der nationalen Industrie ebensoviel
Barrieren entgegen als es St&auml;dte gibt.</p>
<p>Soweit Girardin &uuml;ber die einzelnen Steuern. Der Leser wird bemerkt haben, da&szlig; seine
Kritik ebenso flach als richtig ist. Sie reduziert sich auf drei Argumente:</p>
<p>1. da&szlig; jede Steuer nie die Klasse trifft, die sie in der Absicht der Steueraufleger
treffen soll, sondern einer andern Klasse aufgew&auml;lzt wird;</p>
<p>2. da&szlig; jede tempor&auml;re Steuer sich festsetzt und verewigt;</p>
<p>3. da&szlig; keine Steuer dem Verm&ouml;gen proportionell, gerecht, gleichm&auml;&szlig;ig,
billig ist.</p>
<p>Diese allgemein-&ouml;konomischen Einw&uuml;rfe gegen die bestehenden Steuern wiederholen sich
in allen L&auml;ndern. Das franz&ouml;sische Steuersystem hat aber eine charakteristische
Eigent&uuml;mlichkeit. Wie die Engl&auml;nder f&uuml;r das &ouml;ffentliche und Privatrecht, so
sind die Franzosen, die sonst &uuml;berall von allgemeinen Gesichtspunkten aus kodifiziert,
vereinfacht und mit der Tradition gebrochen haben, f&uuml;r das Steuersystem das eigentlich
historische Volk. Girardin sagt &uuml;ber diesen Punkt:</p>
<p><font size="2">"In Frankreich leben wir unter der Herrschaft fast aller fiskalischen
Prozeduren des alten Regimes. Taille, Kopfsteuer, Aide, Douanen, Salzsteuer, Steuer auf die
Kontrolle, Insinuationen, Greffe, Tabaksmonopol, &uuml;bertriebne Profite auf den Postdienst und
Pulververkauf, Lotterie, Gemeinde- oder Staatsfronden, Einquartierung, Oktrois, Flu&szlig;- und
Stra&szlig;enz&ouml;lle, au&szlig;erordentliche Auflagen - alles das hat seinen Namen
ver&auml;ndern k&ouml;nnen, aber alles das besteht der Sache nach fort und ist weder minder
dr&uuml;ckend f&uuml;r das Volk noch mehr produktiv f&uuml;r den Staatsschatz geworden. Unser
Finanzsystem beruht auf durchaus keiner wissenschaftlichen Basis. Es reflektiert einzig und
allein die &Uuml;berlieferungen des Mittelalters, welche selbst wieder die Hinterlassenschaft der
unwissenden und raubgierigen r&ouml;mischen Fiskalit&auml;t sind."</font></p>
<p>Dennoch haben unsre V&auml;ter schon in der Nationalversammlung der ersten Revolution
gerufen:</p>
<p><font size="2">"Wir haben die Revolution nur gemacht, um die Steuer in unsre Hand zu
bekommen."</font></p>
<p>Aber wenn dieser Zustand fortdauern konnte unter dem Kaiserreich, unter der Restauration,
unter der Julimonarchie, jetzt hat seine Stunde geschlagen:</p>
<p><font size="2">"Die Abschaffung des Wahlprivilegiums zieht notwendig nach sich die Abschaffung
jeder fiskalischen Ungleichheit. Es ist also durchaus keine Zeit zu verlieren, um die <a name=
"S284" id="S284"><b>&lt;284&gt;</b></a></font> Finanzreform in Angriff zu nehmen, wenn nicht die
Gewalt an die Stelle der Wissenschaft treten soll ... Die <i>Steuer</i> ist beinahe die
<i>einzige Grundlage, auf der unsre Gesellschaft beruht</i> ... Man sucht sehr in der Ferne und
sehr in der H&ouml;he die sozialen und politischen Reformen; die wichtigsten sind enthalten in
der Steuer. Suchet hier, so werdet ihr finden."</p>
<p>Was finden wir nun?</p>
<p><font size="2">"Wie <i>wir</i> die Steuer begreifen, soll die Steuer eine
<i>Assekuranzpr&auml;mie</i> sein, bezahlt durch die, welche besitzen, um sich <i>zu versichern
gegen alle Risikos, welche sie in ihren Besitz und ihrem Genu&szlig; st&ouml;ren k&ouml;nnten</i>
... Diese Pr&auml;mie mu&szlig; proportionell sein und von einer strengen Genauigkeit. Jede
Steuer, welche nicht die Garantie f&uuml;r ein Risiko ist, der Preis f&uuml;r eine Ware oder das
&Auml;quivalent f&uuml;r eine Dienstleistung, mu&szlig; aufgegeben werden - wir lassen nur zwei
Ausnahmen zu: Steuer auf das Ausland (Douane) und Steuer auf den Tod (Enregistrement) ... So
tritt an die Stelle des Steuerpflichtigen der Assekurierte ... Jeder, der ein Interesse hat zu
zahlen, zahlt und zahlt nur nach dem Ma&szlig; seines Interesses ... Wir gehn noch weiter und
sagen: Jede Steuer verdammt sich schon dadurch, da&szlig; sie den Namen Steuer, Auflage
tr&auml;gt. <i>Jede Steuer mu&szlig; abgeschafft werden</i>, denn das Eigent&uuml;mliche der
Steuer ist, gezwungen zu sein, der Charakter der Assekuranz ist, freiwillig zu sein."</font></p>
<p>Man mu&szlig; diese Assekuranzpr&auml;mie nicht mit einer Steuer auf das Einkommen
verwechseln; sie ist vielmehr eine Steuer auf das Kapital, wie denn die Assekuranzpr&auml;mie
nicht das Einkommen garantiert, sondern den ganzen Stock des Verm&ouml;gens. Der Staat macht es
gerade wie die Assekuranzkompanien, die von der versicherten Sache wissen wollen, nicht was sie
einbringt, sondern was sie wert ist.</p>
<p><font size="2">"Das franz&ouml;sische Nationalverm&ouml;gen wird auf ein Aktivum von 134
Milliarden gesch&auml;tzt, wovon ein Passivum von 28 Milliarden abzuziehen ist. Wenn das
Ausgabebudget auf 1.200 Millionen reduziert wird, w&auml;re also blo&szlig; 1% vom Kapital zu
erheben, um den Staat auf die H&ouml;he einer kolossalen wechselseitigen Assekuranzkompanie zu
bringen."</font></p>
<p>Von diesem Moment an - <i>"keine Revolution mehr"!</i></p>
<p><font size="2">"An die Stelle des Worts <i>Autorit&auml;t</i> tritt das Wort
<i>Solidarit&auml;t</i>; das <i>gemeinschaftliche Interesse</i> wird zum Band der
Gesellschaftsmitglieder."</font></p>
<p>Herr Girardin begn&uuml;gt sich nicht mit diesem allgemeinen Vorschlag, sondern gibt uns
zugleich das Schema einer Assekuranzpolice oder Inskription, wie sie jeder B&uuml;rger vom Staat
ausgestellt erhalten soll.</p>
<p>Jedes Jahr gibt der fr&uuml;here Steuereinnehmer dem Versicherten eine Police, die "aus vier
Seiten von der Gr&ouml;&szlig;e eines Passes" besteht. Auf der ersten Seite befindet sich der
Name des Versicherten mit seiner Immatrikulations- <a name="S285" id=
"S285"><b>&lt;285&gt;</b></a> nummer, nebst dem Schema f&uuml;r die Quittungen der
Pr&auml;mienraten. Auf der zweiten Seite befindet sich die genaue Personalbeschreibung des
Versicherten und seiner Familie, nebst der richtig zertifizierten detaillierten
Selbsteinsch&auml;tzung seines Gesamtverm&ouml;gens; auf der dritten Seite das Staatsbudget nebst
einer Generalbilanz von Frankreich und auf der vierten allerlei mehr oder weniger n&uuml;tzliche
statistische Nachrichten. Diese Police dient als Pa&szlig;, als Wahlkarte, als Wanderbuch
f&uuml;r Arbeiter usw. Die Register &uuml;ber diese Policen dienen dem Staat wieder zur
Anfertigung der vier gro&szlig;en B&uuml;cher, des gro&szlig;en Buchs der Bev&ouml;lkerung, des
gro&szlig;en Buchs des Eigentums, des gro&szlig;en Buchs der &ouml;ffentlichen Schuld und des
gro&szlig;en Buchs der Hypothekarschuld, welche zusammen eine vollst&auml;ndige Statistik
&uuml;ber alle Ressourcen Frankreichs enthalten.</p>
<p>Die Steuer ist also nur mehr die Pr&auml;mie, welche der Versicherte zahlt, um zur Teilnahme
an folgenden Vorteilen zugelassen zu werden: 1. Recht auf &ouml;ffentlichen Schutz, auf
unentgeltliche Rechtspflege, unentgeltliche Religions&uuml;bung, unentgeltlichen Unterricht,
Kredit auf Unterpfand, Sparkassenpension; 2. Entbindung von der Milit&auml;rpflicht in
Friedenszeit; 3. Bewahrung vor dem Elend; 4. Entsch&auml;digung bei Verlusten durch Feuersbrunst,
&Uuml;berschwemmungen, Hagelschlag, Viehseuchen, Schiffbruch.</p>
<p>Wir bemerken noch, da&szlig; Herr Girardin die Entsch&auml;digungsgelder, die der Staat bei
Verlusten der Versicherten zu zahlen hat, durch verschiedne Geldstrafen etc., durch den Ertrag
der Nationaldom&auml;nen und der beibehaltenen Enregistrements- und Douanengeb&uuml;hren sowie
der Staatsmonopole decken will.</p>
<p>Die Steuerreform ist das Steckenpferd aller radikalen Bourgeois, das spezifische Element aller
b&uuml;rgerlich-&ouml;konomischen Reformen. Von den &auml;ltesten mittelalterlichen
Spie&szlig;b&uuml;rgern bis zu den modernen englischen Freetradern dreht sich der Hauptkampf um
die Steuern.</p>
<p>Die Steuerreform bezweckt entweder Abschaffung traditionell &uuml;berkommener Steuern, die der
Entwickelung der Industrie im Wege stehn, wohlfeileren Staatshaushalt oder
gleichm&auml;&szlig;igere Verteilung. Der Bourgeois jagt dem chim&auml;rischen Ideal der gleichen
Steuerverteilung um so eifriger nach, je mehr es in der Praxis seinen H&auml;nden
entschwindet.</p>
<p>Die Distributionsverh&auml;ltnisse; die unmittelbar auf der b&uuml;rgerlichen Produktion
beruhen, die Verh&auml;ltnisse zwischen Arbeitslohn und Profit, Profit und Zins, Grundrente und
Profit, k&ouml;nnen durch die Steuer h&ouml;chstens in Nebenpunkten modifiziert, nie aber in
ihrer Grundlage bedroht werden. Alle Untersuchungen und Debatten &uuml;ber die Steuer setzen den
ewigen Bestand dieser b&uuml;rgerlichen Verh&auml;ltnisse voraus. Selbst die Aufhebung der
Steuern <a name="S286" id="S286"></a><b>&lt;<font face="Symbol">286&gt;</font></b> k&ouml;nnte
die Entwicklung des b&uuml;rgerlichen Eigentums und seiner Widerspr&uuml;che nur
beschleunigen.</p>
<p>Die Steuer kann einzelne Klassen bevorzugen und andre besonders dr&uuml;cken, wie wir dies
z.B. unter der Herrschaft der Finanzaristokratie sehn. Sie ruiniert nur die Mittelschichten der
Gesellschaft zwischen Bourgeoisie und Proletariat, deren Stellung nicht erlaubt, die Last der
Steuer einer andern Klasse zuzuw&auml;lzen.</p>
<p>Das Proletariat wird durch jede neue Steuer eine Stufe tiefer herabgedr&uuml;ckt; die
Abschaffung einer alten Steuer erh&ouml;ht nicht den Arbeitslohn, sondern den Profit. In der
Revolution kann die zu kolossalen Proportionen geschwellte Steuer als eine Form des Angriffs
gegen das Privateigentum dienen; aber selbst dann mu&szlig; sie zu neuen, revolution&auml;ren
Ma&szlig;regeln weitertreiben oder schlie&szlig;lich auf die alten b&uuml;rgerlichen
Verh&auml;ltnisse zur&uuml;ckf&uuml;hren.</p>
<p>Die Verminderung, die billigere Verteilung etc. etc. der Steuer, das ist die banale
<i>b&uuml;rgerliche Reform</i>. Die <i>Abschaffung</i> der Steuer, das ist der
<i>b&uuml;rgerliche Sozialismus</i>. Dieser b&uuml;rgerliche Sozialismus wendet sich namentlich
an die industriellen und kommerziellen Mittelst&auml;nde und an die Bauern. Die gro&szlig;e
Bourgeoisie, die schon jetzt in ihrer besten Welt lebt, verschm&auml;ht nat&uuml;rlich die Utopie
einer besten Welt.</p>
<p>Herr Girardin schafft die Steuer ab, indem er sie in eine Assekuranzpr&auml;mie verwandelt.
Die Mitglieder der Gesellschaft versichern sich wechselseitig, gegen Zahlung gewisser Prozente,
ihr Verm&ouml;gen gegen Feuerschaden und Wassernot, gegen Hagelschlag und Bankerutt, gegen alle
nur m&ouml;glichen Risikos, die heutzutage die Ruhe des b&uuml;rgerlichen Genie&szlig;ens
st&ouml;ren. Der j&auml;hrliche Beitrag wird nicht nur durch s&auml;mtliche Versicherte
festgesetzt, er wird von jedem einzelnen selbst bestimmt. Er selbst sch&auml;tzt sein
Verm&ouml;gen. Die Handels- und Ackerbaukrisen, die massenhaften Verluste und Falliten, die
s&auml;mtlichen Schwankungen und Wechself&auml;lle der b&uuml;rgerlichen Existenz, epidemisch
seit der Einf&uuml;hrung der modernen Industrie, die ganze poetische Seite der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft verschwindet. Die allgemeine Sicherheit und Versicherung realisiert sich. Der
B&uuml;rger hat es schriftlich vom Staat, da&szlig; er unter keinen Umst&auml;nden ruiniert
werden kann. Alle Schattenseiten der bestehenden Welt sind entfernt, alle ihre Lichtseiten
bestehn in h&ouml;herem Glanze fort, kurz, das Regime ist realisiert, "das sich am meisten der
Vorstellung n&auml;hert, die sich der B&uuml;rger vom Reich Gottes auf Erden macht". Statt der
Autorit&auml;t, die Solidarit&auml;t; statt des Zwangs, die Freiheit; statt des Staats, ein
Verwaltungsausschu&szlig; - und das Ei des Kolumbus ist gefunden, der mathematisch genaue Beitrag
jedes "Versicherten" nach seinem Verm&ouml;gen. Jeder "Versicherte" tr&auml;gt einen
vollst&auml;ndigen konstitutionellen Staat, ein ausgebil- <a name="S287" id=
"S287"><b>&lt;287&gt;</b></a> detes Zweikammersystem in seiner Brust. Die Besorgnis, dem Staat
zuviel zu zahlen, die b&uuml;rgerliche Opposition der Deputiertenkammer, treibt ihn, sein
Verm&ouml;gen zu niedrig anzugeben. Das Interesse an der Erhaltung seines Besitzes, das
konservative Element der Pairskammer, macht ihn geneigt, es zu &uuml;bersch&auml;tzen. Aus dem
konstitutionellen Spiel dieser entgegengesetzten Richtungen geht notwendig das wahre
Gleichgewicht der Gewalten hervor, die genau-richtige Angabe des Verm&ouml;gens, die exakte
Verh&auml;ltnism&auml;&szlig;igkeit des Beitrags.</p>
<p>Jener R&ouml;mer w&uuml;nschte, sein Haus m&ouml;chte von Glas sein, damit jede seiner
Handlungen vor aller Augen offen daliege. Der B&uuml;rger w&uuml;nscht nicht, da&szlig; sein
Haus, sondern das seines Nachbarn von Glas sei. Auch dieser Wunsch wird erf&uuml;llt. Zum
Beispiel: Ein B&uuml;rger will Vorsch&uuml;sse von mir haben oder sich mit mir assoziieren. Ich
fordere seine Police, und in ihr habe ich seine vollst&auml;ndige detaillierte Beichte &uuml;ber
alle seine b&uuml;rgerlichen Verh&auml;ltnisse, garantiert durch sein wohlverstandnes Interesse
und kontrasigniert vom Verwaltungsrat der Assekuranz. Ein Bettler klopft an meine T&uuml;r und
verlangt ein Almosen. Heraus mit der Police. Der B&uuml;rger mu&szlig; wissen, da&szlig; er sein
Almosen an den rechten Mann bringt. Man nimmt einen Domestiken, man f&uuml;hrt ihn bei sich ein,
man &uuml;berliefert sich ihm auf den Zufall hin: Heraus mit der Police!</p>
<p><font size="2">"Wieviel Ehen werden geschlossen, ohne da&szlig; man von der einen und der
andern Seite genau wei&szlig;, woran sich halten &uuml;ber die Realit&auml;t des Zugebrachten
oder die wechselseitig &uuml;bertriebnen Erwartungen":</font></p>
<p>Heraus mit der Police!</p>
<p>Der Austausch der sch&ouml;nen Seelen wird sich in Zukunft beschr&auml;nken auf den Austausch
der beiderseitigen Policen. So verschwindet die Prellerei, die heutzutage den Genu&szlig; und die
Pein des Lebens bildet, und das Reich der Wahrheit im eigentlichen Sinne des Worts verwirklicht
sich. Noch mehr:</p>
<p><font size="2">"In dem gegenw&auml;rtigen System kosten die Gerichte dem Staat an 7 1/2
Millionen, in unserm System bringen die Vergehen ihm ein, statt ihm zu kosten, denn sie
verwandeln sich alle in Geldbu&szlig;en und in Schadenersatz - welche Idee!"</font></p>
<p>In dieser besten Welt ist alles profitlich: Die Verbrechen vergehen, und die Vergehen bringen
Geld ein. Endlich, da in diesem System das Eigentum gegen alle Risikos gesch&uuml;tzt und der
Staat nur noch eine allgemeine Assekuranz aller Interessen ist, so sind die Arbeiter stets
besch&auml;ftigt: "Keine Revolutionen mehr!"</p>
<p><b><a name="S288" id="S288">&lt;288&gt;</a></b></p>
<div style="margin-left: 8em">
<p><font size="2">Wenn das nicht gut f&uuml;r den B&uuml;rger ist,<br>
Dann wei&szlig; ich nicht, was besser ist!</font></p>
</div>
<p>Der b&uuml;rgerliche Staat ist weiter nichts als eine wechselseitige Assekuranz der
Bourgeoisklasse gegen ihre einzelnen Mitglieder wie gegen die exploitierte Klasse, eine
Assekuranz, die immer kostspieliger und scheinbar immer selbst&auml;ndiger gegen&uuml;ber der
b&uuml;rgerlichen Gesellschaft werden mu&szlig;, weil die Niederhaltung der exploitierten Klasse
immer schwieriger wird. Die Ver&auml;nderung des Namens &auml;ndert nicht das mindeste an den
Bedingungen dieser Assekuranz. Die scheinbare Selbst&auml;ndigkeit, die Herr Girardin den
einzelnen gegen&uuml;ber der Assekuranz einen Augenblick zuschreibt, mu&szlig; er selbst sogleich
wieder aufgeben. Wer sein Verm&ouml;gen zu niedrig taxiert, verf&auml;llt in Strafe: Die
Assekuranzkasse kauft ihm sein Eigentum zum angegebenen Wert ab und provoziert sogar durch
Belohnungen die Denunziation. Noch mehr:</p>
<p>Wer sein Verm&ouml;gen lieber gar nicht versichert, wird au&szlig;erhalb der Gesellschaft
stehend, wird direkt vogelfrei erkl&auml;rt. Die Gesellschaft kann nat&uuml;rlich nicht dulden,
da&szlig; sich in ihr eine Klasse bildet, die sich gegen ihre Existenzbedingungen auflehnt. Der
Zwang, die Autorit&auml;t, die b&uuml;rokratische Einmischung, die Girardin gerade entfernen
will, kehren wieder in die Gesellschaft ein. Wenn er einen Augenblick von den Bedingungen der
b&uuml;rgerlichen Gesellschaft abstrahiert hat, so geschah es nur, um auf einem Umweg zu ihnen
zur&uuml;ckzukommen.</p>
<p>Hinter der Abschaffung der Steuer verbirgt sich die Abschaffung des Staats. Die Abschaffung
des Staats hat nur einen Sinn bei den Kommunisten als notwendiges Resultat der Abschaffung der
Klassen, mit denen von selbst das Bed&uuml;rfnis der organisierten Macht einer Klasse zur
Niederhaltung der andern wegf&auml;llt. In b&uuml;rgerlichen L&auml;ndern bedeutet die
Abschaffung des Staats die Zur&uuml;ckf&uuml;hrung der Staatsgewalt auf den Ma&szlig;stab von
Nordamerika. Hier sind die Klassengegens&auml;tze nur unvollst&auml;ndig entwickelt; die
Klassenkollisionen werden jedesmal vertuscht durch den Abzug der proletarischen
&Uuml;berbev&ouml;lkerung nach dem Westen; das Einschreiten der Staatsmacht, im Osten auf ein
Minimum reduziert, existiert im Westen gar nicht. In feudalen L&auml;ndern bedeutet die
Abschaffung des Staats die Abschaffung des Feudalismus und die Herstellung des gew&ouml;hnlichen
b&uuml;rgerlichen Staats. In Deutschland verbirgt sich hinter ihr entweder die feige Flucht aus
den unmittelbar vorlegenden K&auml;mpfen, die &uuml;berschwengliche Verschwindelung der
<i>b&uuml;rgerlichen</i> Freiheit zur absoluten Unabh&auml;ngigkeit und Selbst&auml;ndigkeit des
<i>einzelnen</i> oder endlich die Gleichg&uuml;ltigkeit des B&uuml;rgers gegen jede Staatsform,
vorausgesetzt, da&szlig; die b&uuml;rgerlichen Interessen in ihrer Entwicklung nicht gehemmt
werden. Da&szlig; diese Abschaffung des Staats "im h&ouml;heren Sinn" in so <a name="S289" id=
"S289"><b>&lt;289&gt;</b></a> alberner Weise gepredigt wird, daf&uuml;r k&ouml;nnen
nat&uuml;rlich die Berliner Stirner und Faucher nicht. La plus belle fille de la France ne peut
donner que ce qu'elle a. &lt;Das sch&ouml;nste M&auml;dchen Frankreichs kann nur das geben, was
es hat.&gt;</p>
<p>Was von der Assekuranzkompanie des Herrn Girardin &uuml;brigbleibt, ist die <i>Steuer auf das
Kapital</i> im Unterschied von der Steuer auf das Einkommen und an der Stelle aller &uuml;brigen
Steuern. Das Kapital des Herrn Girardin beschr&auml;nkt sich nicht auf das in der Produktion
besch&auml;ftigte Kapital, es umfa&szlig;t alles bewegliche und unbewegliche Hab und Gut. Von
dieser Steuer auf das Kapital r&uuml;hmt er:</p>
<p><font size="2">"Sie ist das Ei des Kolumbus, sie ist die Pyramide, die auf der Basis steht und
nicht auf der Spitze, der Strom, der sein eignes Bett gr&auml;bt, die Revolution ohne die
Revolution&auml;re, der Fortschritt ohne den R&uuml;ckschritt, die Bewegung ohne Sto&szlig;, sie
ist endlich die einfache Idee und das wahre Gesetz".</font></p>
<p>Von allen marktschreierischen Reklamen, die Herr Girardin je gemacht hat - und ihre Zahl ist
bekanntlich Legion -, ist dieser Prospektus der Kapital-Steuer jedenfalls das
Meisterst&uuml;ck.</p>
<p>&Uuml;brigens hat die Steuer auf das Kapital als einzige Steuer ihre Vorz&uuml;ge. Alle
&Ouml;konomen, namentlich Ricardo, haben die Vorteile einer einzigen Steuer nachgewiesen. Die
Kapitalsteuer als einzige Steuer beseitigt mit einem Schlage das zahlreiche und kostspielige
Personal der bisherigen Steuerverwaltung, greift am wenigsten ein in den regelm&auml;&szlig;igen
Gang der Produktion, Zirkulation und Konsumtion und trifft allein von allen Steuern das
Luxuskapital.</p>
<p>Aber darauf beschr&auml;nkt sich bei Herrn Girardin die Kapitalsteuer nicht. Sie hat noch ganz
besondre Gnadenwirkungen.</p>
<p>Kapitalien von gleicher Gr&ouml;&szlig;e werden gleiche Steuerprozente an den Staat zahlen
m&uuml;ssen, gleichviel ob sie 6%, 3% oder gar kein Einkommen tragen, Die Folge davon ist,
da&szlig; die unt&auml;tigen Kapitalien in T&auml;tigkeit gesetzt werden, also die Masse der
produktiven Kapitalien vermehren und da&szlig; die schon t&auml;tigen sich noch mehr anstrengen,
d.h. in weniger Zeit mehr produzieren. Das Resultat von beidem ist der Fall des Profits und des
Zinsfu&szlig;es. Herr Girardin dagegen behauptet, da&szlig; dann Profit und Zins steigen werden -
ein wahres &ouml;konomisches Wunder. Die Verwandlung unproduktiver Kapitalien in produktive und
die wachsende Produktivit&auml;t der Kapitalien &uuml;berhaupt hat den Lauf der industriellen
Entwicklung der Krisen vermehrt und gesteigert und den Profit und Zinsfu&szlig;
herabgedr&uuml;ckt. Die Kapitalsteuer kann <a name="S290" id="S290"><b>&lt;290&gt;</b></a> nur
diesen Proze&szlig; beschleunigen, die Krisen versch&auml;rfen und damit die Anh&auml;ufung
revolution&auml;rer Elemente vermehren. - "Keine Revolutionen mehr!"</p>
<p>Eine zweite wundert&auml;tige Wirkung der Kapitalsteuer ist nach Herrn Girardin, da&szlig; sie
die Kapitalien von wenig eintr&auml;glichem Grund und Boden zur eintr&auml;glicheren Industrie
hin&uuml;berziehn, die Bodenpreise zum Fallen bringen, die Konzentrierung des Grundbesitzes, die
gro&szlig;e englische Kultur und damit die ganze entwickelte englische Industrie nach Frankreich
verpflanzen w&uuml;rde. Abgesehn davon, da&szlig; dazu die &uuml;brigen Bedingungen der
englischen Industrie ebenfalls nach Frankreich einwandern m&uuml;&szlig;ten, begeht Herr Girardin
hier ganz eigent&uuml;mliche Irrt&uuml;mer. In Frankreich leidet der Ackerbau nicht am
&Uuml;berflu&szlig;, sondern am Mangel an Kapital. Nicht durch Wegziehn des Kapitals vom
Ackerbau, sondern im Gegenteil durch Hin&uuml;berwerfen des industriellen Kapitals auf den Grund
und Boden ist die englische Konzentration und der englische Ackerbau zustande gekommen. Der
Bodenpreis in England ist bei weitem h&ouml;her als in Frankreich; der Gesamtwert des englischen
Grundes und Bodens ist fast so hoch wie der ganze franz&ouml;sische Nationalreichtum nach
Girardins Sch&auml;tzung. Der Bodenpreis in Frankreich m&uuml;&szlig;te mit der Konzentrierung
also nicht nur nicht fallen, er m&uuml;&szlig;te im Gegenteil steigen. Die Konzentration des
Grundeigentums in England hat ferner ganze Generationen der Bev&ouml;lkerung vollst&auml;ndig
weggeschwemmt. Dieselbe Konzentration, zu der die Kapitalsteuer durch schnelleren Ruin der Bauern
allerdings beitragen mu&szlig;, w&uuml;rde in Frankreich diese gro&szlig;e Masse der Bauern in
die St&auml;dte treiben und die Revolution nur um so unvermeidlicher machen. Und endlich, wenn in
Frankreich die Umkehr aus der Parzellierung zur Konzentration schon angefangen hat, so geht in
England das gro&szlig;e Grundeigentum mit Riesenschritten seiner abermaligen Zerschlagung
entgegen und beweist unwiderleglich, wie der Ackerbau sich fortw&auml;hrend in diesem Kreislauf
von Konzentrierung und Zersplitterung des Bodens bewegen mu&szlig;, solange die b&uuml;rgerlichen
Verh&auml;ltnisse &uuml;berhaupt fortbestehn.</p>
<p>Genug von diesen Wundern. Kommen wir zum Kredit auf Unterpfand. Der Kredit gegen Unterpfand
wird zun&auml;chst nur dem Grundbesitz er&ouml;ffnet. Der Staat gibt Hypothekarscheine aus, die
ganz den Banknoten entsprechen, nur da&szlig; nicht bares Geld oder Barren, sondern der Grund und
Boden die Garantie daf&uuml;r bildet. Diese Hypothekenscheine werden den verschuldeten Bauern zu
4% vom Staat vorgeschossen, um damit ihre Hypothekengl&auml;ubiger zu befriedigen; statt des
Privatgl&auml;ubigers hat nun der Staat Hypothek auf das Grundst&uuml;ck und konsolidiert die
Schuld, so da&szlig; er sie nie zur&uuml;ckfordern kann. Die gesamte Hypothekarschuld in
Frankreich bel&auml;uft sich auf 14 Milliarden. Girardin rechnet zwar nur auf die Ausgabe von 5
Mil- <a name="S291" id="S291"><b>&lt;291&gt;</b></a></p>
<p>liarden Hypothekenscheine; aber die Vermehrung des Papiergelds um eine solche Summe w&uuml;rde
hinreichen, nicht um das Kapital wohlfeiler zu machen, sondern um das Papiergeld vollst&auml;ndig
zu entwerten. Dabei wagt Girardin nicht, diesem neuen Papier Zwangskurs zu geben. Um die
Entwertung zu vermeiden, schl&auml;gt er den Inhabern dieser Scheine vor, sie gegen
3%-Staatsschuldscheine al pari &lt;zum Nennwert&gt; umzutauschen. Das Ende von der Transaktion
ist also dies: Der Bauer, der fr&uuml;her 5% Zinsen und 1% Umschreibe-, Erneuerungs- etc.
Geb&uuml;hr zahlte, zahlt nur noch 4%, gewinnt also 2%; der Staat leiht zu 3% an und leiht zu 4%
aus, gewinnt also 1%; der Exhypothekargl&auml;ubiger, der fr&uuml;her 5% erhielt, wird durch die
drohende Entwertung der Hypothekenscheine gezwungen, die ihm vom Staat gebotenen 3% dankbar</p>
<p>anzunehmen; er verliert also 2%. Au&szlig;erdem braucht der Bauer seine Schuld nicht zu zahlen
und kann der Gl&auml;ubiger seine Forderung an den Staat nie eintreiben. Das Gesch&auml;ft
l&auml;uft also hinaus auf eine direkte, durch die Hypothekenscheine schlecht verh&uuml;llte
Beraubung der Hypothekargl&auml;ubiger um 2% aus 5. Das einzige Mal also, wo Herr Girardin,
au&szlig;er der Steuer, die gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse selbst ver&auml;ndern will, ist
er zu einem direkten Angriff auf das Privateigentum gezwungen, mu&szlig; er revolution&auml;r
werden und seine ganze Utopie aufgeben. Und dieser Angriff r&uuml;hrt nicht einmal von ihm her.
Er hat ihn von den deutschen Kommunisten entlehnt, die nach der Februarrevolution zuerst die
Verwandlung der Hypothekarschuld in eine Schuld an den Staat forderten, freilich in ganz andrer
Weise wie Herr Girardin, der sogar dagegen auftrat. Es ist bezeichnend, da&szlig; das einzige
Mal, wo Herr Girardin eine einigerma&szlig;en revolution&auml;re Ma&szlig;regel vorschl&auml;gt,
er nicht den Mut hat, etwas andres als ein Palliativ aufzustellen, das die Entwicklung der
Parzellierung in Frankreich nur chronischer machen, um nur einige Dezennien zur&uuml;ckschrauben
kann, um schlie&szlig;lich wieder den heutigen Stand herbeizuf&uuml;hren.</p>
<p>Das einzige, was der Leser in der ganzen Darstellung Girardins vermi&szlig;t haben wird, sind
die <i>Arbeiter</i>. Aber der b&uuml;rgerliche Sozialismus unterstellt ja &uuml;berall,
<i>da&szlig; die Gesellschaft aus lauter Kapitalisten besteht</i>, um nachher, von diesem
Standpunkt aus, die Frage zwischen Kapital und Lohnarbeit l&ouml;sen zu k&ouml;nnen.</p>
</body>
</html>