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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Die milit&auml;rische Lage in Frankreich</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me17_253.htm"><FONT SIZE=2>&Uuml;ber den Krieg - XL</FONT></A><FONT SIZE=1> </FONT><FONT SIZE=2>| </FONT><A HREF="me17_udk.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me17_261.htm"><FONT SIZE=2>Bourbakis Katastrophe</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 257-260.</P>
<P>Erstellt am 13.12.1998.<BR>
1. Korrektur.</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Die milit&auml;rische Lage Frankreichs</H1>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["The Pall Mall Gazette" Nr. 1869 vom 8. Februar 1871]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S257">|257|</A></B> Wenn die Reihe von Fehlschl&auml;gen der franz&ouml;sischen Waffen in dem Januarfeldzug, die Niederlagen Faidherbes und Chanzys, der Fall von Paris, Bourbakis Niederlage und &Uuml;bertritt auf Schweizer Gebiet - wenn alle diese niederschmetternden Ereignisse, die sich in der kurzen Zeit von drei Wochen ereigneten, erwarten lie&szlig;en, da&szlig; der Widerstandsgeist in Frankreich gebrochen sei, so ist es jetzt nicht unwahrscheinlich, da&szlig; die Deutschen durch ihre &uuml;bertriebenen Forderungen diesen Geist aufs neue wecken. Wenn das Land durch den Frieden ebenso v&ouml;llig ruiniert werden soll wie durch den Krieg, warum dann &uuml;berhaupt Frieden schlie&szlig;en? Die besitzenden Klassen, die st&auml;dtische Bourgeoisie und die gr&ouml;&szlig;eren Landbesitzer sowie ein Teil der Kleinbauern bildeten bisher die Friedenspartei; von ihnen durfte man erwarten, da&szlig; sie Friedensdeputierte in die Nationalversammlung w&auml;hlen w&uuml;rden. Aber wenn solche unerh&ouml;rten Forderungen aufrechterhalten werden, so k&ouml;nnte sich der Schrei nach Krieg bis aufs Messer aus ihren Reihen ebenso erheben wie aus denen der Arbeiter in den gro&szlig;en St&auml;dten. Jedenfalls d&uuml;rfen wir keine M&ouml;glichkeit &uuml;bersehen, die nach dem 19. Februar zu einer Wiederaufnahme des Krieges f&uuml;hren k&ouml;nnte, zumal da die Deutschen selbst, sofern wir der heutigen "Daily News" glauben d&uuml;rfen, mit der Entwicklung der Dinge nicht so zufrieden sind, da&szlig; sie von ernsthaften Vorbereitungen f&uuml;r die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten absehen. Wir wollen deshalb noch einmal einen Blick auf die milit&auml;rische Lage in Frankreich werfen.</P>
<P>Die siebenundzwanzig franz&ouml;sischen Departements, die gegenw&auml;rtig von den Preu&szlig;en besetzt sind, umfassen eine Fl&auml;che von 15.800.000 Hektar mit einer Bev&ouml;lkerung (ohne die noch nicht bezwungenen Festungen) von etwas weniger als 12.500.000 Menschen. Frankreich hat insgesamt eine <A NAME="S258"><B>|258|</A></B> Bodenfl&auml;che von 54.240.000 Hektar mit einer Bev&ouml;lkerung von 37.382.000. Folglich sind in runden Zahlen 38.500.000 Hektar mit einer Bev&ouml;lkerung von 25.000.000 noch nicht erobert - volle zwei Drittel der Bev&ouml;lkerung und bedeutend mehr als zwei Drittel des Landes. Paris und Metz, deren Widerstand das weitere feindliche Vorr&uuml;cken so lange behindert hat, sind freilich gefallen. Das noch nicht eroberte Gebiet enth&auml;lt keine verschanzten Lager - ausgenommen Lyon -, die dieselbe Rolle wie diese beiden Festungen spielen k&ouml;nnten. Etwas weniger als 700.000 Franzosen (ohne die Nationalgarde von Paris) sind gefangengenommen oder in der Schweiz interniert. Aber es gibt andere Umst&auml;nde, die diesen Mangel ausgleichen, selbst wenn die drei Wochen Waffenstillstand nicht genutzt werden sollten, neue verschanzte Lager zu schaffen, wozu reichlich Zeit vorhanden w&auml;re.</P>
<P>Der gr&ouml;&szlig;te Teil des noch nicht eroberten franz&ouml;sischen Gebiets liegt s&uuml;dlich der Linie Nantes - Besan&ccedil;on; er bildet einen kompakten Block, der von drei Seiten durch Meere oder neutrale Grenzen gedeckt ist und nur an seiner n&ouml;rdlichen Grenzlinie dem feindlichen Angriff offenliegt. Hier liegt die St&auml;rke des nationalen Widerstands; hier sind die Menschen und die Mittel zu finden, die den Krieg f&uuml;hren k&ouml;nnen, falls er wieder aufgenommen wird. Um dieses ungeheure Rechteck von 450 mal 250 Meilen gegen einen verzweifelten regul&auml;ren und irregul&auml;ren Widerstand der Bev&ouml;lkerung zu erobern und zu besetzen, w&uuml;rden die gegenw&auml;rtigen Kr&auml;fte der Preu&szlig;en nicht gen&uuml;gen. Die &Uuml;bergabe von Paris wird, wenn vier Armeekorps als Besatzung dieser Hauptstadt zur&uuml;ckgelassen werden, neun Divisionen freisetzen; Bourbakis &Uuml;bergabe setzt Manteuffels sechs Liniendivisionen frei; zusammen also f&uuml;nfzehn Divisionen oder 150.000 bis 170.000 Soldaten f&uuml;r Feldoperationen zus&auml;tzlich zu Goebens vier und Friedrich Karls acht Divisionen. Aber Goeben hat reichlich im Norden zu tun, und Friedrich Karl hat durch sein Steckenbleiben in Tours und Le Mans gezeigt, da&szlig; seine Offensivkraft v&ouml;llig ersch&ouml;pft ist, so da&szlig; f&uuml;r die Eroberung des S&uuml;dens nur die genannten f&uuml;nfzehn Divisionen &uuml;brigbleiben, w&auml;hrend auf etliche Monate hinaus keine weiteren Verst&auml;rkungen zu erwarten sind.</P>
<P>Diesen f&uuml;nfzehn Divisionen werden die Franzosen anfangs vorwiegend neue Formationen entgegenstellen m&uuml;ssen. Bei Nevers und Bourges standen das XV. und das XXV. Korps; in derselben Gegend mu&szlig; das XIX. Korps gestanden haben, von dem wir seit Anfang Dezember nichts mehr geh&ouml;rt haben. Dann gibt es noch das XXIV. Korps, das Bourbakis Zusammenbruch entronnen ist, und Garibaldis Truppen, die k&uuml;rzlich auf 50.000 Mann verst&auml;rkt worden sind, aber aus welchen Truppenteilen und aus welchen Lagern, wissen wir nicht. Im ganzen sind es etwa dreizehn oder vierzehn <A NAME="S259"><B>|259|</A></B> Divisionen, vielleicht auch sechzehn, aber quantitativ wie qualitativ g&auml;nzlich ungen&uuml;gend, den Vormarsch der neuen Armeen aufzuhalten, die ihnen mit Sicherheit entgegengeschickt werden, wenn der Waffenstillstand ablaufen sollte, ohne da&szlig; Frieden geschlossen worden ist. Aber die drei Wochen Waffenstillstand geben nicht nur diesen franz&ouml;sischen Divisionen die Zeit, sich zu festigen; sie werden auch den mehr oder weniger frischen Aushebungen, die sich jetzt in den Ausbildungslagern befinden und von Gambetta auf 250.000 Mann gesch&auml;tzt werden, die M&ouml;glichkeit geben, wenigstens die besten ihrer Bataillone zu brauchbaren Korps zu formieren, die f&auml;hig sein werden, sich mit dem Feind zu messen. Wenn also der Krieg wiederaufgenommen w&uuml;rde, w&auml;ren die Franzosen in der Lage, jeden ernsten Einfall nach dem S&uuml;den abzuwehren, vielleicht nicht unmittelbar an der Loire-Grenzlinie oder weit n&ouml;rdlich von Lyon, aber doch an Punkten, wo die Anwesenheit des Feindes ihre Widerstandskraft nicht wesentlich schw&auml;chen wird.</P>
<P>Nat&uuml;rlich gibt der Waffenstillstand reichlich Zeit, die Ausr&uuml;stung, Disziplin und Moral von Faidherbes und Chanzys Armeen wiederherzustellen, ebenso die aller andern Truppen in Cherbourg, Le Havre usw. Die Frage ist nur, ob die Zeit entsprechend genutzt werden wird. W&auml;hrend so die St&auml;rke der Franzosen an Quantit&auml;t wie an Qualit&auml;t betr&auml;chtlich zunehmen wird, werden die Deutschen wahrscheinlich &uuml;berhaupt keine Verst&auml;rkung erhalten. In dieser Beziehung w&uuml;rde der Waffenstillstand f&uuml;r die franz&ouml;sische Seite von Vorteil sein.</P>
<P>Aber au&szlig;er dem kompakten Block des s&uuml;dlichen Frankreichs sind die beiden Halbinseln - Bretagne mit Brest und Cotentin mit Cherbourg - noch nicht erobert, ebenso die beiden n&ouml;rdlichen Departements mit ihren Festungen. Auch Le Havre ist ein noch nicht eroberter, gut befestigter Platz an der K&uuml;ste. Jeder dieser vier Distrikte hat mindestens einen gut befestigten, sicheren Ort an der K&uuml;ste f&uuml;r eine zur&uuml;ckweichende Armee. Somit kann also die Flotte, die augenblicklich nichts, absolut gar nichts zu tun hat, die Verbindungen zwischen dem S&uuml;den und all diesen Pl&auml;tzen aufrechterhalten und Truppen von einem Platz zum andern, je nachdem, wie es gerade erforderlich ist, transportieren und es einer geschlagenen Armee pl&ouml;tzlich erm&ouml;glichen, die Offensive mit &uuml;berlegenen Kr&auml;ften wiederaufzunehmen. Solange also diese vier westlichen und n&ouml;rdlichen Distrikte in gewissem Grade unangreifbar sind, bilden sie ebensoviele schwache Stellen in den Flanken der Preu&szlig;en. Die gegenw&auml;rtige Gefahrenlinie der Franzosen reicht von Angers bis Besan&ccedil;on; aber die der Deutschen erstreckt sich dar&uuml;ber hinaus von Angers &uuml;ber Le Mans, Rouen und Amiens bis zur belgischen <A NAME="S260"><B>|260|</A></B> Grenze. Vorteile, die auf dieser Linie &uuml;ber die Franzosen errungen werden, k&ouml;nnen niemals entscheidend werden, vorausgesetzt, da&szlig; letztere nur ein wenig gesunden Menschenverstand beweisen; aber alle hier &uuml;ber die Deutschen errungenen Vorteile k&ouml;nnen unter gewissen Umst&auml;nden von entscheidender Bedeutung sein.</P>
<P>Das ist die strategische Lage. Bei sinnvoller Ausnutzung der Flotte k&ouml;nnen die Franzosen mit ihren Truppen im Westen und Norden so man&ouml;vrieren, da&szlig; sie die Deutschen zwingen, dort weit &uuml;berlegene Verb&auml;nde zu unterhalten, und somit jene Truppen schw&auml;chen, die zur Eroberung des S&uuml;dens ausgesandt werden sollen, das zu verhindern die Hauptaufgabe der franz&ouml;sischen Kr&auml;fte w&auml;re. Wenn sie ihre Armeen mehr als bisher zusammenziehen und andererseits zahlreichere kleine Partisanentrupps aussenden, k&ouml;nnen die Franzosen mit ihren vorhandenen Truppen bessere Resultate erzielen. Es scheinen viel mehr Truppen in Cherbourg und Le Havre zu stehen, als zur Verteidigung n&ouml;tig sind. Und die ausgezeichnet durchgef&uuml;hrte Zerst&ouml;rung der Br&uuml;cke von Fontenoy bei Toul, im Zentrum des vom Eroberer besetzten Gebiets, zeigt, was k&uuml;hne Partisanen vollbringen k&ouml;nnen. Wenn der Krieg nach dem 19. Februar &uuml;berhaupt wiederaufgenommen werden soll, mu&szlig; er wirklich ein Krieg bis aufs Messer werden, ein Krieg wie der Spaniens gegen Napoleon I., ein Krieg, in dem noch so viele Erschie&szlig;ungen und Brandschatzungen den Widerstandsgeist nicht brechen k&ouml;nnen.</P>
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