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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Das Reichsmilit&auml;rgesetz</TITLE>
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<META name="description" content="Das Reichsmilit&auml;rgesetz">
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<TD ALIGN="CENTER" width= 198 height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><FONT size=2 color="#CC3333"><= MLWerke</A></TD>
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<TD ALIGN="CENTER" width= 199 height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#CC3333"><= Marx/Engels</A></TD>
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<TD ALIGN="CENTER" width= 199 height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="../me_ak74.htm"><FONT size=2 color="#CC3333"><= Artikel und Korr. 1874</A></TD>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 500-508.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 04.03.1999</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels </H2>
<H1>Das Reichs-Milit&auml;rgesetz</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben Ende Februar/Anfang M&auml;rz 1874. </P>
</FONT><P><HR noshade size="1"></P>
<B><P ALIGN="CENTER">I</P>
</B><FONT SIZE=2><P>["Der Volksstaat" Nr. 28 vom 8. M&auml;rz 1874]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S500">|500|</A></B> Es ist wahrhaft komisch, wie sich die Nationalliberalen und Fortschrittsm&auml;nner im Reichstag anstellen gegen&uuml;ber dem <20> 1 des Milit&auml;rgesetzes:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Friedenspr&auml;senzst&auml;rke des Heeres an Unteroffizieren und Mannschaften betr&auml;gt <I>bis</I> zum <I>Erla&szlig; einer anderweitigen gesetzlichen Bestimmung</I> 401.659 Mann."</P>
</FONT><P>Dieser Paragraph, so schreien sie, ist unannehmbar, er vernichtet das Budgetrecht des Reichstags, er verwandelt die Bewilligung des Milit&auml;retats in eine blo&szlig;e Posse!</P>
<P>Ganz richtig, meine Herren! Und eben weil dem so ist, <I>weil</I> der Artikel unannehmbar ist, werden Sie ihn in der Hauptsache annehmen. Warum auch soviel Federlesens machen, weil man Ihnen zumutet, den Kniefall noch einmal zu machen, den Sie schon sooft mit soviel Grazie ausgef&uuml;hrt?</P>
<P>Die Grundsuppe des ganzen Jammers ist die preu&szlig;ische Armee-Reorganisation. Sie brachte den famosen Konflikt. W&auml;hrend der ganzen Konfliktszeit f&uuml;hrte die liberale Opposition Manteuffels Prinzip aus: "Der Starke weicht mutig zur&uuml;ck." Nach dem d&auml;nischen Krieg steigerte sich der Mut im Zur&uuml;ckweichen bedeutend. Als aber 1866 Bismarck siegreich von Sadowa zur&uuml;ckkam und f&uuml;r sein bisheriges kommentwidriges Geldausgeben gar noch Indemnit&auml;t beantragte, da kannte das Zur&uuml;ckweichen keine Grenzen mehr. Der Milit&auml;retat wurde, sofort bewilligt, und was in Preu&szlig;en einmal bewilligt ist, das ist nach der preu&szlig;ischen Verfassung f&uuml;r immer bewilligt, denn "die bestehenden" (einmal bewilligten) "Steuern werden forterhoben"!</P>
<B><P><A NAME="S501">|501|</A></B> Kam der Norddeutsche Reichstag, der die Bundesverfassung beriet. Man sprach viel von Budgetrecht, man erkl&auml;rte die Regierungsvorlage f&uuml;r unannehmbar wegen mangelhafter Finanzkontrolle, man wand sich hin, man wand sich her, und schlie&szlig;lich bi&szlig; man in den sauren Apfel und &uuml;bertrug die preu&szlig;ischen Verfassungsbestimmungen &uuml;ber den Milit&auml;retat in allen wesentlichen Punkten auf den Norddeutschen Bund. Damit brachte man die Friedenspr&auml;senz der Armee schon von 200.000 auf 300.000 Mann.</P>
<P>Nun kam der glorreiche Krieg von 1870 und damit das "Deutsche Reich". Abermals ein konstituierender (!) Reichstag und eine neue Reichsverfassung. Abermals hochgemute Reden, zahllose Vorbehalte von wegen des Budgetrechts. Und was beschlossen die Herren?</P>
<P>Reichsverfassung <20> 60:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Friedenspr&auml;senzst&auml;rke des deutschen Heeres wird bis zum 31. Dezember 1871 auf ein Prozent der Bev&ouml;lkerung von 1867 normiert und wird pro rata derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. <I>F&uuml;r die sp&auml;tere Zeit wird die Friedenspr&auml;senzst&auml;rke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt</I>."</P>
</FONT><P>Ein Prozent der Bev&ouml;lkerung von 1867 gibt 401.000 Mann. Dieser Pr&auml;senzstand ist sp&auml;ter durch Reichstagsbeschlu&szlig; bis zum 31. Dezember 1874 verl&auml;ngert worden.</P>
<FONT SIZE=2><P><EFBFBD> 62: "Zur Bestreitung des Aufwandes f&uuml;r das gesamte deutsche Heer und die zu demselben geh&ouml;rigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871 dem Kaiser j&auml;hrlich sovielmal 225 Tlr., als die Kopfzahl der Friedensst&auml;rke des Heeres nach Art. 60 betr&auml;gt, zur Verf&uuml;gung zu stellen. <I>Nach dem 31. Dezember 1871 m&uuml;ssen diese Betr&auml;ge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Berechnung derselben wird die im Art. 60 interimistisch festgestellte Friedenspr&auml;senzst&auml;rke solange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abge&auml;ndert ist.</I>"</P>
</FONT><P>Das war der dritte Kniefall unsrer Nationalen vor dem unantastbaren Milit&auml;retat. Und wenn jetzt Bismarck kommt und verlangt, das angenehme Provisorium solle in ein noch angenehmeres Definitivum verwandelt werden, da schreien die Herren &uuml;ber Verletzung des dreimal hintereinander von ihnen selbst geopferten Budgetrechts!</P>
<P>Meine Herren Nationalen! Machen Sie "praktische Politik"! Tragen Sie "den Zeitverh&auml;ltnissen Rechnung"! Werfen Sie die "unerreichbaren Ideale" &uuml;ber Bord und wirtschaften Sie tapfer fort "auf dem Boden des Gegebenen "! Sie haben nicht nur A gesagt, Sie haben schon B und C gesagt, sagen Sie auch unverzagt D! Hier hilft kein Zippeln und Zappeln, hier m&uuml;ssen Sie nun einmal wieder den famosen "Kompromi&szlig;" machen, bei dem die Regierung ihren ganzen Willen erh&auml;lt und Sie froh sein k&ouml;nnen, wenn es ohne Fu&szlig;tritte abgeht. &Uuml;berlassen Sie das Budgetrecht den im <A NAME="S502"><B>|502|</A></B> Materialismus versumpften Engl&auml;ndern, den verkommenen Franzosen, den zur&uuml;ckgebliebenen &Ouml;sterreichern und Italienern, halten Sie sich nicht an "fremde Vorbilder", tun Sie "ein echt deutsches Werk"! Wenn Sie aber platterdings ein Budgetrecht haben wollen, dann gibt's nur ein Mittel: W&auml;hlen Sie das n&auml;chste Mal nur Sozialdemokraten!</P>
<B><P ALIGN="CENTER">II</P>
</B><FONT SIZE=2><P>["Der Volksstaat" Nr. 29 vom 11. M&auml;rz 1874]</P>
</FONT><P>Da&szlig; die Nationalen dumm sind - trotz aller Gescheitheits-Laskerchens -, das wissen wir l&auml;ngst und das wissen sie selber. Da&szlig; sie aber so dumm sind, wie Moltke sie daf&uuml;r h&auml;lt, das h&auml;tten wir doch nicht geglaubt. Der gro&szlig;e Schweiger hat im Reichstage eine ganze Stunde gesprochen und ist doch der gro&szlig;e Schweiger geblieben: Er hat n&auml;mlich seinen Zuh&ouml;rern so ziemlich alles verschwiegen, was er selbst glaubt. Nur in zwei Dingen hat er seine Ansicht rund ausgesprochen: erstens dann, da&szlig; der fatale <20> 1 absolut notwendig sei, und zweitens in dem famosen Satz:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Was wir in einem halben Jahre mit den Waffen errungen, das m&uuml;ssen wir ein halbes Jahrhundert mit den Waffen sch&uuml;tzen, damit es uns nicht wieder entrissen wird. Wir haben seit unseren gl&uuml;cklichen Kriegen an Achtung &uuml;berall, an Liebe nirgends gewonnen."</P>
</FONT><P>Habemus confitentem reum. |Da haben wir den sich schuldig Bekennenden. (Cicero, "Oratio pro Q. Ligario".)| Hier haben wir den Schuldigen zum Gest&auml;ndnis gebracht. Als Preu&szlig;en, nach Sedan, mit seinen Annexionsforderungen herausr&uuml;ckte, hie&szlig; es: Die neue Grenze ist einzig durch die strategische Notwendigkeit bedingt, wir nehmen nur das, was wir absolut brauchen, um uns zu decken; innerhalb dieser neuen Grenze und nach Vollendung unserer Befestigungen k&ouml;nnen wir dann jedem Angriffe ruhig entgegensehen. - Und so ist es, rein strategisch gesprochen, in der Tat.</P>
<P>Die befestigte Rheinlinie mit ihren drei gro&szlig;en Kernpl&auml;tzen K&ouml;ln, Koblenz, Mainz hatte nur zwei Fehler: Erstens wurde sie umgangen durch Stra&szlig;burg, und zweitens fehlte ihr eine vorgeschobene Linie fester Punkte, die der ganzen Stellung Tiefe gab. Die Annexion von Elsa&szlig;-Lothringen half beiden Fehlern ab. Stra&szlig;burg und Metz bilden jetzt die erste Linie, K&ouml;ln, Koblenz, Mainz die zweite; alles Festungen erster Ordnung, mit weit vorgeschobenen Forts und f&auml;hig, der modernen gezogenen Artillerie <A NAME="S503"><B>|503|</A></B> Widerstand zu leisten; dabei liegen sie in solchen Entfernungen voneinander, wie sie den kolossalen Heeren der Gegenwart zu freier Bewegung am dienlichsten sind, und in einem der Verteidigung &auml;u&szlig;erst g&uuml;nstigen Terrain. Solange die Neutralit&auml;t Belgiens respektiert wird, kann ein franz&ouml;sischer Angriff leicht auf den schmalen Strich Landes zwischen Metz und den Vogesen beschr&auml;nkt werden; man kann sich, wenn man will, gleich anfangs hinter den Rhein ziehen und die Franzosen zwingen, sich vor der ersten Hauptschlacht durch Truppensendungen gegen Metz, Stra&szlig;burg, Koblenz und Mainz zu schw&auml;chen. Es ist eine Stellung, der in ganz Europa an St&auml;rke keine zweite gleichkommt; das venetianische Festungsviereck war ein Kinderspielzeug, verglichen mit dieser fast uneinnehmbaren Position.</P>
<P>Und gerade die Eroberung dieser fast uneinnehmbaren Stellung zwingt Deutschland, nach Moltke, das Errungene ein halbes Jahrhundert lang mit den Waffen zu verteidigen! Die st&auml;rkste Stellung verteidigt nicht sich selbst, sie will verteidigt sein; zum Verteidigen geh&ouml;ren Soldaten; je st&auml;rker also die Stellungen, desto mehr Soldaten sind n&ouml;tig, und so weiter im ewigen lasterhaften Zirkel. Dazu kommt noch, da&szlig; der wiedergewonnene "verlorene Bruderstamm" in Elsa&szlig;-Lothringen von der Mama Germania nun einmal platterdings nichts wissen will und da&szlig; die Franzosen unter allen Umst&auml;nden gezwungen sind, bei der n&auml;chsten Gelegenheit die Befreiung der Els&auml;sser und Lothringer aus der germanischen Umarmung zu versuchen. Die starke Stellung wird also dadurch aufgewogen, da&szlig; Deutschland die Franzosen gezwungen hat, jedem, der es angreifen will, zur Seite zu stehen. Mit anderen Worten, die starke Stellung <I>enth&auml;lt</I> in sich <I>den Keim einer</I> europ&auml;ischen <I>Koalition gegen das Deutsche Reich</I>. Und an dieser Tatsache &auml;ndern alle Dreikaiser- und Zweikaiservisiten und Toaste absolut nichts, wie das niemand besser wei&szlig; als Moltke und Bismarck; und wie Moltke das auch in diskreter Weise zum Ausdruck bringt in dem melancholischen Satz:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wir haben seit unseren gl&uuml;cklichen Kriegen an Achtung &uuml;berall, an Liebe nirgends gewonnen!"</P>
</FONT><P>Soweit die Moltkesche <I>Wahrheit</I>. Kommen wir jetzt auf die Moltkesche <I>Dichtung</I>.</P>
<P>Wir gehen nicht ein auf das sentimentale Geseufze, womit der gro&szlig;e Stratege sein Leidwesen dar&uuml;ber zu erkennen gibt, da&szlig; das Milit&auml;r leider nun einmal zum Besten des Volks solche kolossale Summen verzehren mu&szlig;, und wo er sich gewisserma&szlig;en als preu&szlig;ischer Cincinnatus hinstellt, der <A NAME="S504"><B>|504|</A></B> nichts sehnlicher w&uuml;nscht, als vom Generalfeldmarschall zum Kappesbauer bef&ouml;rdert zu werden. Noch weniger auf die schon dagewesene Theorie, da&szlig; von wegen der schlechten Erziehung der Nation durch den Schulmeister jeder Deutsche drei Jahre lang auf die hohe Schule geschickt werden m&uuml;sse, wo der Unteroffizier Professor ist. Wir sprechen hier nicht zu Nationalen, wie dies der arme Moltke zu tun n&ouml;tig hatte. Wir gehen gleich &uuml;ber zu den riesenhaften milit&auml;rischen B&auml;ren, die er - unter allgemeiner Heiterkeit des gro&szlig;en Generalstabes - seinen erstaunten Zuh&ouml;rern aufband.</P>
<P>Es handelt sich wieder darum, die gro&szlig;en deutschen R&uuml;stungen durch die angeblich noch gr&ouml;&szlig;eren der Franzosen zu rechtfertigen. Und da enth&uuml;llt Moltke dem Reichstage, da&szlig; die franz&ouml;sische Regierung schon heute berechtigt ist, f&uuml;r die aktive Armee 1.200.000 und f&uuml;r die Territorialarmee &uuml;ber 1 Million M&auml;nner zu den Waffen zu berufen. Um diese "auch nur teilweise" einstellen zu k&ouml;nnen, h&auml;tten die Franzosen ihre Cadres vermehrt. Sie h&auml;tten jetzt 152 Infanterieregimenter (gegen 116 vor dem Kriege), 9 neue J&auml;gerbataillone, 14 neue Kavallerieregimenter, 323 Batterien statt fr&uuml;her 164. Und "diese Augmentationen sind noch nicht geschlossen". Die Friedenspr&auml;senzst&auml;rke betr&auml;gt 40.000 Mann mehr als 1871, sie ist auf 471.170 Mann festgestellt. Statt der 8 Armeekorps, mit denen die Franzosen uns zu Anfang des Krieges entgegentraten, stellt Frankreich k&uuml;nftig 18 und ein neunzehntes f&uuml;r Algier; die Nationalversammlung zwingt der Regierung geradezu Gelder f&uuml;r R&uuml;stungen auf, die Kommunen schenken Exerzierpl&auml;tze und Offizierskasinos, bauen aus eigenen Mitteln Kasernen, beweisen einen fast gewaltsamen Patriotismus, wie er in Deutschland nur zu w&uuml;nschen w&auml;re - kurz alles bereitet sich vor auf den gro&szlig;en Revanchekrieg.</P>
<P>Wenn nun die franz&ouml;sische Regierung alles das getan h&auml;tte, was ihr Moltke zugute h&auml;lt, so h&auml;tte sie nichts weiter getan als ihre Schuldigkeit. Nach solchen Niederlagen wie die von 1870 ist es die erste Pflicht der Regierung, die Wehrkraft der Nation soweit zu entwickeln, da&szlig; man gegen die Wiederholung solcher Unf&auml;lle gesch&uuml;tzt ist. Den Preu&szlig;en war 1806 ganz dasselbe passiert; ihre ganze altfr&auml;nkische Armee wurde kostenfrei und kriegsgefangen nach Frankreich bef&ouml;rdert. Nach dem Kriege bot die preu&szlig;ische Regierung alles auf, um das ganze Volk wehrhaft zu machen; die Leute wurden nur 6 Monate lang einge&uuml;bt, und trotz Moltkes Abscheu vor den Milizen haben wir Bl&uuml;chers Zeugnis, da&szlig; diese "Landwehr-Patteljohns", wie er sich ausdr&uuml;ckte, nach den ersten Gefechten ebenso gut waren wie die Linienbataillone. Handelte die franz&ouml;sische Regierung ebenso, setzte sie alle Kraft daran, in f&uuml;nf bis sechs Jahren eine Wehrhaftmachung <A NAME="S505"><B>|505|</A></B> der ganzen Nation durchzuf&uuml;hren - sie tat nur ihre Schuldigkeit. Aber im Gegenteil. Mit Ausnahme der Neubildungen von Bataillonen, Schwadronen und Batterien, die bis jetzt nur die H&ouml;he der deutschen Linien-Organisation erreichen, besteht alles andre nur auf dem <I>Papier</I>, und Frankreich ist milit&auml;risch schw&auml;cher denn je.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Man hat", sagt Moltke, "in Frankreich alle unsere milit&auml;rischen Einrichtungen getreulich kopiert ... Man hat vor allem die allgemeine Wehrpflicht eingef&uuml;hrt und dabei eine zwanzigj&auml;hrige Verpflichtung zugrunde gelegt, w&auml;hrend wir nur eine zw&ouml;lfj&auml;hrige haben."</P>
</FONT><P>Und wenn dem in Wirklichkeit so w&auml;re, worauf reduziert sich der Unterschied der 20 und der 12 Jahre? Wo ist der Deutsche, der nach 12 Jahren seiner Landwehrverpflichtung wirklich entlassen w&auml;re? Hei&szlig;t es nicht &uuml;berall: Die 12 Jahre gelten erst dann, wenn wir Leute genug haben, bis dahin m&uuml;&szlig;t ihr 14, 15, 16 Jahre in der Landwehr bleiben? Und wof&uuml;r haben wir denn den verschollenen Landsturm wieder ausgegraben, als um jeden Deutschen, der einmal zweierlei Tuch getragen, bis an sein seliges Ende dienstpflichtig zu erhalten?</P>
<P>Aber nun hat es mit der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich noch eine ganz besondere Bewandtnis. In Frankreich fehlen eben die preu&szlig;ischen halbfeudalen Ostprovinzen, die die eigentliche Grundlage des preu&szlig;ischen Staats und des neuen Deutschen Reichs bilden; Provinzen, aus denen man Rekruten zieht, die unbedingt gehorchen und auch nachher, als Landwehrleute, nicht viel kl&uuml;ger werden. Schon die Ausdehnung der allgemeinen Dienstpflicht auf die Westprovinzen zeigte 1849, da&szlig; eines sich nicht schickt f&uuml;r alle; ihre jetzt erfolgte Ausdehnung auf ganz Deutschland wird l&auml;ngstens nach Verlauf von Moltkes beliebten zw&ouml;lf Jahren - wenn das Kr&auml;mchen &uuml;berhaupt so lange vorh&auml;lt - die waffenge&uuml;bten Leute schaffen, die die Moltkes und Bismarcks au&szlig;er Brot setzen. - Also in Frankreich existiert nicht einmal die Grundlage, auf der die allgemeine Dienstpflicht der Reaktion gehorsame Soldaten schaffen kann. In Frankreich war der preu&szlig;ische Unteroffizier schon vor der gro&szlig;en Revolution ein &uuml;berwundener Standpunkt. Der Kriegsminister Saint-Germain f&uuml;hrte 1776 die preu&szlig;ischen Stockpr&uuml;gel ein; die gepr&uuml;gelten Soldaten erschossen sich, und die Stockpr&uuml;gel mu&szlig;ten noch im selben Jahre abgeschafft werden. Man f&uuml;hre die allgemeine Dienstpflicht wirklich in Frankreich ein, man bilde die Masse der Bev&ouml;lkerung in der Waffe aus, und wo blieben da Thiers und Mac-Mahon? Aber Thiers und Mac-Mahon - wenn auch wahrhaftig keine Genies - sind auch nicht solche Schuljungen, wie Moltke sie darstellt. Auf dem Papier haben sie die allgemeine Dienstpflicht hergestellt, <A NAME="S506"><B>|506|</A></B> allerdings; in Wirklichkeit haben sie mit der gr&ouml;&szlig;ten Hartn&auml;ckigkeit auf der <I>f&uuml;nfj&auml;hrigen</I> Dienstzeit unter der Fahne bestanden. Nun wei&szlig; jeder, da&szlig; schon mit der preu&szlig;ischen dreij&auml;hrigen Dienstzeit die allgemeine Wehrpflicht vollst&auml;ndig unvereinbar ist: entweder erh&auml;lt man dabei f&uuml;r Deutschland eine Friedenspr&auml;senz von mindestens 600.000 Mann, oder man mu&szlig; Leute sich freilosen lassen, wie dies geschieht. Welche Friedenspr&auml;senz w&uuml;rde nun eine f&uuml;nfj&auml;hrige Dienstzeit bei allgemeiner Wehrpflicht in Frankreich ergeben? Beinahe eine Million; aber selbst Moltke bringt es nicht fertig, den Franzosen die H&auml;lfte anzudichten.</P>
<P>An demselben Tage, wo Moltke seinen Zuh&ouml;rern so erstaunlich imponierte, ver&ouml;ffentlichte die "K&ouml;lnische Zeitung" eine "milit&auml;rische Mitteilung" &uuml;ber die franz&ouml;sische Armee. Diese milit&auml;rischen Mitteilungen kommen der "K&ouml;ln. Ztg." aus sehr guter offizi&ouml;ser Quelle zu, und wird der betreffende milit&auml;rische "Sauhirt" f&uuml;r den so ausgezeichnet zur Unzeit geschossenen Bock einen ganz besondern Denkzettel erhalten haben. Der Mann sagt n&auml;mlich wirklich die Wahrheit. Er erkl&auml;rt, die neuesten offiziellen franz&ouml;sischen Zahlenangaben bewiesen,</P>
<FONT SIZE=2><P>"da&szlig; Frankreich die sich in seinem neuen Wehrgesetz gestellte milit&auml;rische Aufgabe auch bei der &auml;u&szlig;ersten Kraftanstrengung schwerlich zu erf&uuml;llen imstande sein d&uuml;rfte".</P>
</FONT><P>Nach ihm ist "der diesj&auml;hrige Stand der Armee zu 442.014 Mann normiert worden". Davon gehen zun&auml;chst ab die republikanische Garde-Gensdarmerie mit 27.500 Mann; "tats&auml;chlich stellt sich die eigentliche Heeresst&auml;rke indes nach den f&uuml;r die einzelnen Waffengattungen aufgef&uuml;hrten Etatsziffern nur auf 389.965 Mann". Hiervon sind abzuziehen</P>
<FONT SIZE=2><P>"die <I>geworbenen</I> Truppen (das Fremdenregiment, die eingeborenen algerischen Truppenteile), die Verwaltungstruppenk&ouml;rper und die Cadres an Unteroffizieren und <I>Kapitulanten</I>, welche insgesamt nach den fr&uuml;heren authentischen franz&ouml;sischen Angaben zu 120.000 Mann normiert wurden. Den wirklichen Effektivbestand derselben jedoch nur zu 80.000 Mann angenommen, verbleibt in bezug auf die Rekrutierung nur noch ein tats&auml;chlicher Armeebestand von 309.000 Mann, welcher sich aus <I>f&uuml;nf Jahrg&auml;ngen des ersten und einem des zweiten</I> (Reserve-) <I>Kontingents zusammenstellt</I>. Der eine Jahrgang dieses zweiten Kontingents umfa&szlig;t 30.000 Mann, und w&uuml;rde sich danach <I>der Dienstjahrgang des ersten Kontingents wie die Jahres-Rekruten-Einstellung f&uuml;r dasselbe zu je 55.800 Mann berechnen</I>. Dazu treten dann die 30.000 Mann des zweiten Kontingents, so da&szlig; die <I>h&ouml;chstgegriffene Jahresrekrutierung der franz&ouml;sischen Armee sich doch immer nur auf 99.714 Mann bemessen w&uuml;rde</I>."</P>
</FONT><P>Also: die Franzosen stellen j&auml;hrlich etwa 60.000 Mann zu f&uuml;nfj&auml;hriger Dienstzeit ein, macht in 20 Jahren 1.200.000 Mann, und wenn wir die Abg&auml;nge, wie sie sich bei der preu&szlig;ischen Landwehr tats&auml;chlich herausgestellt, <A NAME="S507"><B>|507|</A></B> abrechnen, h&ouml;chstens 800.000 Mann. Ferner 30.000 Mann zu einj&auml;hriger Dienstzeit - was nach Moltke untaugliche Milizen sind -, macht in 20 Jahren 600.000 Mann, nach Abzug der Abg&auml;nge h&ouml;chstens 400.000 Mann. Wenn also die Franzosen den von Moltke so ger&uuml;hmten Patriotismus zwanzig Jahre lang ungest&ouml;rt getrieben haben werden, so werden sie dann endlich den Deutschen, statt der Moltkeschen 2.200.000 Mann, h&ouml;chstens 800.000 ge&uuml;bte Soldaten und 400.000 Milizen entgegenstellen k&ouml;nnen, w&auml;hrend Moltke schon jetzt reichlich anderthalb Millionen vollst&auml;ndig ge&uuml;bter deutscher Soldaten mobil machen kann. Danach bemesse man die Heiterkeit, die Moltkes - im Reichstag angestaunte - Rede im gro&szlig;en Generalstab zuwege gebracht hat.</P>
<P>Man mu&szlig; es Moltke lassen: Solange er mit einf&auml;ltigen Gegnern zu tun hatte wie Benedek und Louis-Napoleon, solange hat er sich einer durchaus <I>ehrlichen</I> Kriegf&uuml;hrung beflei&szlig;igt. Er hat die von Napoleon I. entdeckten strategischen Regeln p&uuml;nktlich, peinlich und gewissenhaft befolgt. Kein Feind konnte ihm vorwerfen, da&szlig; er sich je der &Uuml;berraschung, des Hinterhalts oder sonst einer vulg&auml;ren Kriegslist bedient habe. Man konnte demgem&auml;&szlig; daran Zweifel aufwerfen, ob Moltke wirklich ein Genie sei. Dieser Zweifel ist gefallen, seit Moltke ebenb&uuml;rtige Gegner zu bek&auml;mpfen hat - die Genies im Reichstage. Ihnen gegen&uuml;ber hat er bewiesen, da&szlig; er seine Gegner auch &uuml;bert&ouml;lpeln kann, wenn es sein mu&szlig;. Kein Zweifel mehr: Moltke ist ein Genie.</P>
<P>Was indes Moltke von den franz&ouml;sischen R&uuml;stungen wohl wirklich halten mag? Auch daf&uuml;r haben wir einige Anzeichen. - Moltke und Bismarck verhehlten sich nicht, da&szlig;, grade wie die Siege von 1866 in der franz&ouml;sischen offiziellen Welt den Ruf nach Revanche f&uuml;r Sadowa mit Notwendigkeit hervorgerufen, so die Erfolge von 1870 mit ebenderselben Notwendigkeit dem offiziellen Ru&szlig;land "Revanche f&uuml;r Sedan" aufzwingen w&uuml;rden. Preu&szlig;en, bisher der gehorsame Knecht Ru&szlig;lands, hatte sich pl&ouml;tzlich als erste Milit&auml;rmacht Europas entpuppt; eine so gewaltige Verschiebung der europ&auml;ischen Lage zuungunsten Ru&szlig;lands kam einer Niederlage der russischen Politik gleich; der Ruf nach Revanche erscholl laut genug in Ru&szlig;land. Man fand in Berlin, da&szlig; unter diesen Umst&auml;nden es besser sei, die Sache so bald und so rasch wie m&ouml;glich abzumachen und den Russen keine Zeit zu R&uuml;stungen zu lassen. Was damals preu&szlig;ischerseits geschah, um den Krieg gegen Ru&szlig;land vorzubereiten, dar&uuml;ber vielleicht ein anderes Mal; genug, man war im Sommer 1872 so ziemlich fertig, namentlich mit dem Feldzugsplan, der diesmal keinen "Sto&szlig; ins Herz" beabsichtigte. Da kam Kaiser Alexander von Ru&szlig;land ungeladen zur Kaiservisite nach Berlin und <A NAME="S508"><B>|508|</A></B> legte "an ma&szlig;gebender Stelle" gewisse Aktenst&uuml;cke vor, die das Pl&auml;nchen zunichte machten. Die zun&auml;chst gegen die T&uuml;rkei gerichtete erneuerte Heilige Allianz verdr&auml;ngte f&uuml;r den Augenblick den schlie&szlig;lich doch unvermeidlichen russischen Krieg.</P>
<P>In diesem Pl&auml;nchen war nat&uuml;rlich auch der Fall vorgesehen, da&szlig; Frankreich sich mit Ru&szlig;land gegen Preu&szlig;en verb&uuml;nden sollte. In diesem Fall wollte man gegen Frankreich in der Defensive bleiben, und wieviel Mann hielt man damals f&uuml;r hinreichend, alle Angriffe Frankreichs abzuschlagen?</P>
<P>Eine Armee von zweihundertf&uuml;nfzigtausend Mann!</P>
<HR noshade size="1"><P>
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