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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>Leo Trotzki: Portr&auml;t des Nationalsozialismus</title>
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<HR size="1">
<H2>Lew Dawidowitsch Trotzki</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Portr&auml;t des
Nationalsozialismus<!-- #EndEditable --> </H1>
<hr size="1">
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<p>&raquo;Die neue Weltb&uuml;hne&laquo;, II.28 (13.07.1933), S.
856 - 862</p>
<p>Prinkipo (B&uuml;y&uuml;k Ada), 10.6.1933</p>
<HR SIZE="1">
<p>Naive Leute glauben, die K&ouml;nigsw&uuml;rde stecke im
K&ouml;nig selbst, in seinem Hermelinmantel und in der Krone, in
seinem Fleisch und Bein. Aber die K&ouml;nigsw&uuml;rde ist ein
Verh&auml;ltnis zwischen Menschen. Der K&ouml;nig ist nur darum
K&ouml;nig, weil sich in seiner Person die Interessen und
Vorurteile von Millionen Menschen widerspiegeln. Wenn dieses
Verh&auml;ltnis vom Strom der Ereignisse weggesp&uuml;lt wird,
erweist sich der K&ouml;nig blo&szlig; als ein verbrauchter Herr
mit herabh&auml;ngender Unterlippe. Davon d&uuml;rfte, aus frischen
Erlebnissen, jener erz&auml;hlen k&ouml;nnen, der sich einst Alfons
XIII. nannte.</p>
<p>Der Unterschied zwischen dem F&uuml;hrer von Gottes und dem von
Volkes Gnaden ist der, da&szlig; dieser darauf angewiesen ist, sich
selbst den Weg zu bahnen oder wenigstens den Umst&auml;nden zu
helfen, ihn zu entdecken. Aber jeder F&uuml;hrer ist immer ein
Verh&auml;ltnis zwischen Menschen, ein individuelles Angebot auf
eine kollektive Nachfrage. Die Er&ouml;rterungen &uuml;ber die
Pers&ouml;nlichkeit Hitlers sind um so hitziger, je mehr man das
Geheimnis seines Erfolges in ihm selbst sucht. Doch ist es schwer,
eine andere politische Gestalt zu finden, die in einem solchen
Ma&szlig;e Knoten unpers&ouml;nlicher geschichtlicher Kr&auml;fte
w&auml;re. Nicht jeder erbitterte Kleinb&uuml;rger k&ouml;nnte ein
Hitler werden, aber ein St&uuml;ckchen Hitler steckt in jedem von
ihnen.</p>
<p>Das rasche Wachstum des deutschen Kapitalismus vor dem Kriege
bedeutete bei weitem nicht die einfache Aufreibung der
Mittelklassen; w&auml;hrend er einzelne Schichten des
Kleinb&uuml;rgertums zugrunderichtete, schuf er wieder neue:
Handwerker und Kr&auml;mer um die gro&szlig;en Betriebe herum,
Techniker und Angestellte in den Betrieben. Aber w&auml;hrend sie
sich zahlenm&auml;&szlig;ig hielten - das alte und das neue
Kleinb&uuml;rgertum umfa&szlig;t nicht viel weniger als die
H&auml;lfte des deutschen Volkes -, b&uuml;&szlig;ten die
Mittelklassen den letzten Schatten von Selbst&auml;ndigkeit ein:
sie lebten am Rande der Schwerindustrie und des Bankensystems, sie
a&szlig;en die Brosamen vom Tisch der Kartelle, sie lebten von den
geistigen Almosen ihrer alten Theoretiker und Politiker.</p>
<p>Die Kriegsniederlage verbaute dem deutschen Imperialismus den
Weg. Die &auml;u&szlig;ere Dynamik verwandelte sich in die innere,
der Krieg ging in die Revolution &uuml;ber. Die SoziaIdemokratie,
die den Hohenzollern geholfen hatte, den Krieg bis zum tragischen
Ende zu f&uuml;hren, verbot dem Proletariat, nun seinerseits die
Revolution bis zum Ende zu f&uuml;hren. Vierzehn Jahre vergingen
unter best&auml;ndigen Entschuldigungen der Weimarer Demokratie
f&uuml;r ihr eigenes Dasein. Die Kommunistische Partei rief die
Arbeiter zu einer neuen Revolution, erwies sich aber als unfahig,
sie zu f&uuml;hren. Die deutschen Arbeiter gingen durch die Siege
und Zusammenbr&uuml;che des Krieges, der Revolution, des
Parlamentarismus und des Pseudobolschewismus. W&auml;hrend die
alten b&uuml;rgerichen Parteien sich restlos verausgabten, war
zugleich die Bewegungskraft der Arbeiter gebrochen.</p>
<p>Das Nachkriegschaos traf die Handwerker, Kr&auml;mer und
Angestellten nicht weniger heftig als die Arbeiter. Die
Landwirtschaftskrise richtete die Bauern zugrunde. Der Verfall der
Mittelschichten konnte nicht ihre Proletarisierung bedeuten, da ja
im Proletariat selbst ein riesiges Heer chronisch Arbeitsloser
entstand. Die Pauperisierung der Mittelschichten - mit M&uuml;he
durch Halstuch und Str&uuml;mpfe aus Kunstseide verh&uuml;llt -
fra&szlig; allen offiziellen Glauben und vor allem die Lehren vom
demokratischen Parlamentarismus.</p>
<p>Die Vielzahl der Parteien, das kalte Fieber der Wahlen, der
fortw&auml;hrende Wechsel der Ministerien komplizierten die soziale
Krise (durch das Kaleidoskop unfruchtbarer politischer
Kombinationen. In der durch Krieg, Niederlage, Reparationen,
Inflation, Ruhrbesetzung, Krise, Not und Erbitterung
&uuml;berhitzten Atmosph&auml;re erhob sich das Kleinb&uuml;rgertum
gegen alle alten Parteien, die es betrogen hatten. Die schweren
Frustrationen der Kleineigent&uuml;mer, die aus dem Bankrott nicht
herauskamen, ihrer studierten S&ouml;hne ohne Stellung und
Klienten, ihrer T&ouml;chter ohne Aussteuer und Freier, verlangten
nach Ordnung und nach einer eisernen Hand.</p>
<p>Die Fahne des Nationalsozialismus wurde erhoben von der unteren
und mittleren Offiziersschicht des alten Heeres. Die
ordengeschm&uuml;ckten Offiziere und Unteroffiziere konnten nicht
darin einwilligen, da&szlig; ihr Heroismus und ihre Leiden nicht
allein f&uuml;rs Vaterland umsonst hingegeben sein, sondern auch
ihnen selbst keine besonderen Rechte auf Dank gebracht haben
sollten; daher stammt ihr Ha&szlig; gegen die Revolution und das
Proletariat. Sie waren unzufrieden damit, da&szlig; die Bankiers,
Fabrikanten, Minister sie wieder in die bescheidenen Stellungen von
Buchhaltern, Ingenieuren, Postbeamten und Volksschullehrern
schickten - daher ihr &raquo;Sozialismus&laquo;. An der Yser und
vor Verdun hatten sie gelernt, sich und andere aufs Spiel zu setzen
und im Kommandoton zu reden, was dem kleinen Mann im Hinterland
m&auml;chtig imponierte. So wurden diese Leute F&uuml;hrer.</p>
<p>Zu Beginn seiner politischen Laufbahn zeichnete sich Hitler
vielleicht nur durch gr&ouml;&szlig;eres Temperament, eine lautere
Stimme und selbstsichere geistige Beschr&auml;nktheit aus. Er
brachte in die Bewegung keinerlei fertiges Programm mit - wenn man
den Rachedurst des gekr&auml;nkten Soldaten nicht z&auml;hlt.
Hitler begann mit Verw&uuml;nschungen und Klagen &uuml;ber die
Versailler Bedingungen, &uuml;ber das teure Leben, &uuml;ber das
Fehlen des Respekts vor dem verdienten Unteroffizier, &uuml;ber das
Treiben der Bankiers und Journalisten mosaischen Bekenntnisses.
Heruntergekommene, Verarmte, Leute mit Schrammen und frischen
blauen Flecken fanden sich genug. Jeder von ihnen wollte mit der
Faust auf den Tisch hauen. Hitler verstand das besser als die
anderen. Zwar wu&szlig;te er nicht, wie der Not beizukommen sei.
Aber seine Anklagen klangen bald wie Befehl, bald wie Gebet,
gerichtet an das ungn&auml;dige Schicksal. Todgeweihte Klassen
werden - &auml;hnlich hoffnungslosen Kranken - nicht m&uuml;de,
ihre Klagen zu variieren und Tr&ouml;stungen anzuh&ouml;ren. Alle
Reden Hitlers sind auf diesen Ton gestimmt. Sentimentale
Formlosigkeiten, Mangel an Disziplin des Denkens, Unwissenheit bei
buntscheckiger Belesenheit - all diese Minus verwandelten sich in
ein Plus. Sie gaben ihm die M&ouml;glichkeit, im Bettelsack
&raquo;Nationalsozialismus&laquo; alle Formen der Unzufriedenheit
zu vereinen und die Masse dorthin zu f&uuml;hren, wohin sie ihn
stie&szlig;. Von den eigenen Improvisationen des Beginns blieb im
Ged&auml;chtnis des Agitators nur das haften, was Billigung fand.
Seine politische Gedanken waren die Frucht der rhetorischen
Akustik. So ging die Auswahl der Losungen vonstatten. So
verdichtete sich das Programm. So bildete sich aus dem Rohstoff der
&raquo;F&uuml;hrer&laquo;.</p>
<p>Mussolini war von Anfang an der sozialen Materie bewu&szlig;ter
als Hitler, dem der Polizeimystizismus eines Metternich n&auml;her
ist als die politische Algebra Machiavellis. Mussolini ist geistig
verwegener und zynischer. Als Beweis d&uuml;rfte gen&uuml;gen,
da&szlig; der r&ouml;mische Atheist sich der Religion lediglich
bedient wie der Polizei oder der Justiz, w&auml;hrend sein Berliner
Kollege wirklich an die Unfehlbarkeit der r&ouml;mischen Kirche
glaubt. In jener Zeit, als der heutige Diktator Italiens Marx noch
f&uuml;r &raquo;unser aller unsterblich en Meister&laquo; hielt,
verteidigte er nicht ohne Geschick die Theorie, die im Leben der
heutigen Gesellschift vor allem das Gegeneinanderwirken zweier
grundlegender Klassen sieht: der Bourgeoisie und des Proletariats.
Allerdings, schrieb Mussolini im Jahre 1914, liegen zwischen ihnen
sehr zahlreiche Mitteilschichten, die sozusagen das
&raquo;einigende Gewebe der menschlichen Kollektive&laquo; bilden,
aber &raquo;in einer Krisenperiode werden die Mittelschichten ihren
Interessen und Ideen gem&auml;&szlig; angezogen von der einen oder
der anderen der beiden Hauptklassen&laquo;. Eine sehr wichtige
Verallgemeinerung! Wie die wissenschaftliche Medizin ihre Adepten
sowohl mit der M&ouml;glichkeit ausr&uuml;stet, einen Kranken zu
heilen, als auch mit jener, auf k&uuml;rzestem Wege einen Gesunden
ins Grab zu legen, so hat die wissenschaftliche Analyse der
Klassenbeziehungen - die von ihrem Urheber zur Mobilisierung des
Proletariats gedacht war - Mussolini, als er ins gegnerische Lager
schwenkte, die M&ouml;glichkeit gegeben, die Mittelklassen gegen
das Proletariat zu mobilisieren. Hitler hat die gleiche Arbeit
verrichtet, wobei er die Methodologie des italienischen Faschismus
in die Sprache der deutschen Mystik &uuml;bersetzte.</p>
<p>Die Scheiterhaufen, auf denen die verruchten Schriften des
Marxismus brennen, werfen helles Licht auf die Klassennatur des
Nationalsozialismus. Solange die Nazis als Partei handelten und
nicht als Staatsmacht, fanden sie fast keinen Eingang in die
Arbeiterklasse. Andererseits betrachtete sie die
Gro&szlig;bourgeoisie, auch jene, die Hitler mit Geld
unterst&uuml;tzte - nicht als ihre Partei. Das nationale
&raquo;Erwachen&laquo; st&uuml;tzte sich ganz und gar auf die
Mittelklassen, den r&uuml;ckst&auml;ndigsten Teil der Nation, den
schweren Ballast der Geschichte. Die politische Kunst bestand
darin, das Kleinb&uuml;rgertum durch Feindseligkeit gegen das
Proletariat zusammenzuschwei&szlig;en. Was w&auml;re zu tun, damit
alles besser werde? Vor allem die niederdr&uuml;cken, die unten
sind. Kraftlos vor den gro&szlig;en Wirtschaftsm&auml;chten hofft
das Kleinb&uuml;rgertum, durch die Zertr&uuml;mmerung der
Arbeiterorganisationen seine gesellschaftliche W&uuml;rde
wiederherzustellen.</p>
<p>Die Nazis geben ihrem Umsturz den usurpierten Namen Revolution.
In Wirklichkeit l&auml;&szlig;t der Faschismus in Deutschland wie
auch in Italien die Gesellschaftsordnung unangetastet. Hitlers
Umsturz hat, isoliert betrachtet, nicht einmal Recht auf den Namen
Konterrevolution. Aber man darf ihn nicht abgesondert sehen, er ist
die Vollendung des Kreislaufs von Ersch&uuml;tterungen, der in
Deutschland 1918 begann. Die Novemberrevolution, die die Macht den
Arbeiter- und Soldatenr&auml;ten &uuml;bergab, war in ihrer
Grundtendenz protetarisch. Doch die an der Spitze der
Arbeiterschaft stehende Partei gab die Macht dem B&uuml;rgertum
zur&uuml;ck. In diesem Sinne er&ouml;ffnete die Sozialdemokratie
die &Auml;ra der Konterrevolution, ehe es der Revolution gelang,
ihr Werk zu vollenden. Solange die Bourgeoisie von der
Sozialdemokratie und folglich von den Arbeitern abh&auml;ngig war,
enthielt das Regime aber immer noch Elemente des Kompromisses. Bald
lie&szlig; die internationale und die innere Lage des deutschen
Kapitalismus keinen Raum mehr f&uuml;r Zugest&auml;ndnisse. Rettete
die Sozialdemokratie die Bourgeoisie vor der proletarischen
Revolution, so hatte der Faschismus seinerseits die Bourgeoisie vor
der Sozialdemokratie zu retten. Hitlers Umsturz ist nur das
Schlu&szlig;glied in der Kette der konterrevolution&auml;ren
Verschiebungen.</p>
<p>Der Kleinb&uuml;rger ist dem Entwicklungsgedanken feind, denn
die Entwicklung geht best&auml;ndig gegen ihn - der Fortschritt
brachte ihm nichts als unbezahlbare Schulden. Der
Nationalsozialismus lehnt nicht nur den Marxismus, sondern auch den
Darwinismus ab. Die Nazis verfluchen den Materialismus, weil die
Siege der Technik &uuml;ber die Natur den Sieg des gro&szlig;en
&uuml;ber das kleine Kapital bedeuten. Die F&uuml;hrer der Bewegung
liquidieren den &raquo;Intellektualismus&laquo; nicht so sehr
deshalb, weil sie selbst mit einem Intellekt zweiter und dritter
Sorte versehen sind, sondern vor allem, weil ihre geschichtliche
Rolle es ihnen nicht gestattet, irgendeinen Gedanken zu Ende zu
f&uuml;hren. Der Kleinb&uuml;rger braucht eine h&ouml;chste
Instanz, die &uuml;ber Natur und Geschichte steht, gefeit gegen
Konkurrenz, Inflation, Krise und Versteigerung. Der Evolution, dem
&raquo;&ouml;konomischen Denken&laquo;, dem Rationalismus - dem
zwanzigsten, neunzehnten und achtzehnten Jahrhundert - wird der
nationale Idealismus als die Quelle des Heldischen
entgegengestellt. Die Nation Hitlers ist ein mythologischer
Schatten des Kleinb&uuml;rgertums selbst, sein pathetischer Wahn
vom tausendj&auml;hrigen Reich auf Erden.</p>
<p>Um die Nation &uuml;ber die Geschichte zu erheben, gab man ihr
als St&uuml;tze die Rasse. Den geschichtlichen Ablauf betrachtet
man als Emanation der Rasse. Die Eigenschaften der Rasse werden
ohne Bezug auf die ver&auml;nderlichen gesellschaftlichen
Bedingungen konstruiert. Das niedrige &raquo;&ouml;konomische
Denken&laquo; ablehnend, steigt der Nationalsozialismus ein
Stockwerk tiefer, gegen den wirtschaftlichen Materialismus beruft
er sich auf den zoologischen.</p>
<p>Die Rassentheorie - wie besonders geschaffen f&uuml;r einen
anspuchsvollen Autodidakten, der nach einem Universalschl&uuml;ssel
f&uuml;r alle Geheimnisse des Lebens sucht - sieht im Licht der
Ideengeschichte besonders kl&auml;glich aus. Die Religion des rein
Germanischen mu&szlig;te Hitler aus zweiter Hand beim
franz&ouml;sischen Diplomaten und dilettierenden Schriftsteller
Gobineau entlehnen. Die politische Methodologie fand Hitler fertig
bei den Italienern vor. Mussolini hat sich ausgiebig der Marxschen
Theorie des Klassenkampfs bedient. Der Marxismus selbst war die
Frucht einer Verbindung deutscher Philosophie, franz&ouml;sischer
Geschichtsschreibung und englischer &Ouml;konomie. In der
Genealogie der Ideen - selbst der r&uuml;ckschrittlichsten und
stumpfsinnigsten - findet sich vom Rassismus keine Spur.</p>
<p>Die Armseligkeit der nationalsozialistischen Philosophie hat die
Universit&auml;tsprofessoren selbstverst&auml;ndlich nicht
gehindert, mit vollen Segeln in Hitlers Fahrwasser einzulenken -
als sein Sieg au&szlig;er Frage stand. Die Jahre der Weimarer
Ordnung waren f&uuml;r die Mehrheit des Professorenp&ouml;bels eine
Zeit der Verwirrung und Unruhe. Die Historiker, &Ouml;konomen,
Juristen und Philosophen ergingen sich in Vermutungen dar&uuml;ber,
welches der einander bek&auml;mpfenden Wahrheitskriterien das echte
sei, das hei&szlig;t, welches Lager sich zuguterletzt als Sieger
erweisen werde. Die faschistische Diktatur beseitigt die Zweifel
der F&auml;uste und das Schwanken der Hamlets auf dem
Universit&auml;tskatheder. Aus der D&auml;mmerung der
parlamentarischen Relativit&auml;t tritt die Wissenschaft wiederum
in das Reich des Absoluten ein. Einstein mu&szlig;te Deutschland
verlassen.</p>
<p>Auf der Ebene der Politik ist der Rassismus eine aufgeblasene
und prahlerische Abart des Chauvinismus, gepaart mit
Sch&auml;dellehre. Wie herabgekommener Adel Trost findet in der
alten Abkunft seines Bluts, so bes&auml;uft sich das
Kleinb&uuml;rgerturn am M&auml;rchen von den besonderen
Vorz&uuml;gen seiner Rasse. Es verdient Beachtung, da&szlig; die
F&uuml;hrer des Nationalsozialismus nicht germanische Deutsche
sind, sondern Zugewanderte: aus &Ouml;sterreich, wie Hitler selbst,
aus den ehemaligen baltischen Provinzen des Zarenreichs, wie
Rosenberg, aus den Koloniall&auml;ndern, wie der augenblickliche
Stellvertreter Hitlers in der Parteileitung, He&szlig;, und der
neue Minister Darr&eacute;. Es bedurfte der Schule barbarischer
nationaler Balgerei in den kulturellen Randgebieten, um den
F&uuml;hrern die Gedanken einzufl&ouml;&szlig;en, die sp&auml;ter
ein Echo im Herzen der barbarischsten Klassen Deutschlands
fanden.</p>
<p>Die Pers&ouml;nlichkeit und die Klasse - der Liberalismus und
der Marxismus - sind das B&ouml;se. Die Nation ist das Gute. Doch
an der Schwelle des Eigentums verkehrt sich diese Philosophie ins
Gegenteil. Nur im pers&ouml;nlichen Eigentum liegt das Heil. Der
Gedanke des nationalen Eigentums ist eine Ausgeburt des
Bolschewismus. Obwohl er die Nation vergottet, will der
Kleinb&uuml;rger ihr doch nichts schenken. Im Gegenteil erwartet
er, da&szlig; die Nation ihm selbst Besitz beschert und diesen dann
gegen Arbeiter und Gerichtsvollzieher in Schutz nimmt.</p>
<p>Vor dem Hintergrund des heutigen Wirtschaftslebens -
international in den Verbindungen, unpers&ouml;nlich in den
Methoden - scheint das Rassenprinzip einem mittelalterlichen
Ideenfriedhof entstiegen. Die Nazis machen im voraus
Zugest&auml;ndnisse: Im Reich des Geistes wird Rasseneinheit durch
den Pa&szlig; bescheinigt, im Reich der Wirtschaft aber mu&szlig;
sie sich durch Gesch&auml;ftst&uuml;chtigkeit ausweisen. Unter
heutigen Bedingungen hei&szlig;t das: durch
Konkurrenzf&auml;higkeit. So kehrt der Rassismus durch die
Hintert&uuml;r zum &ouml;konomischen Liberalismus - ohne politische
Freiheiten - zur&uuml;ck.</p>
<p>Praktisch beschr&auml;nkt sich der Nationalismus in der
Wirtschaft auf - trotz aller Brutalit&auml;t - ohnm&auml;chtige
Ausbr&uuml;che von Antisemitismus. Vom heutigen Wirtschaftssystem
sondern die Nazis das raffende oder Bankkapital als den b&ouml;sen
Geist ab; gerade in dieser Sph&auml;re nimmt ja die j&uuml;dische
Bourgeoisie einen bedeutenden Platz ein. W&auml;hrend er sich vor
dem kapitalistischen System verbeugt, bekriegt der Kleinb&uuml;rger
den b&ouml;sen Geist des Profits in Gestalt des polnischen Juden im
langsch&ouml;&szlig;igen Kaftan, der oft keinen Groschen in der
Tasche hat. Der Pogrom wird zum Beweis rassischer
&Uuml;berlegenheit.</p>
<p>Das Programm, mit dem der Nationalsozialismus an die Macht
gelangte, erinnert nur zu sehr an die j&uuml;dischen
Warenh&auml;user der finsteren Provinz. Was findet man dort nicht
alles zu niedrigem Preis und in noch niedrigerer Qualit&auml;t. Die
Erinnerung an die &raquo;gl&uuml;cklichen&laquo; Zeiten der freien
Konkurrenz und die vage &Uuml;berlieferung von der Stabilit&auml;t
der St&auml;ndegesellschaft, Tr&auml;ume von der Auferstehung des
Kolonialreichs und den Wahn von einer geschlossenen Wirtschaft,
Phrasen &uuml;ber eine R&uuml;ckkehr vom r&ouml;mischen zum
altdeutschen Recht und &uuml;ber die Bef&uuml;rwortung des
amerikanischen Moratoriums, neidische Feindschaft gegen die
Ungleichheit in Gestalt einer Villa und eines Autos und tierische
Furcht vor der Gleichheit in Gestalt des Arbeiters mit M&uuml;tze
und ohne Kragen, tobenden Nationalismus und Angst vor den
Weltgl&auml;ubigern - all dieser internationale Auswurf politischer
Gedanken f&uuml;llt die geistige Schatzkammer des neudeutschen
Messianismus.</p>
<p>Der Faschismus entdeckte den Bodensatz der Gesellschaft f&uuml;r
die Politik. Nicht nur in den Bauernh&auml;usern, sondern auch in
den Wolkenkratzern der St&auml;dte lebt neben dem zwanzigsten
Jahrhundert heute noch das zehnte oder dreizehnte. Hunderte
Millionen Menschen benutzen den elektrischen Strom, ohne
aufzuh&ouml;ren, an die magische Kraft von Gesten und
Beschw&ouml;rungen zu glauben. Der r&ouml;mische Papst predigt
durchs Radio vom Wunder der Verwandlung des Wassers in Wein.
Kinostars laufen zur Wahrsagerin. Flugzeugf&uuml;hrer, die
wunderbare, vom Genie des Menschen erschaffene Mechanismen lenken,
tragen unter dem Sweater Amulette. Was f&uuml;r
unersch&ouml;pfliche Vorr&auml;te an Finsternis, Unwissenheit,
Wildheit! Die Verzweiflung hat sie auf die Beine gebracht, der
Faschismus wies ihnen die Richtung. All das, was bei ungehinderter
Entwicklung der Gesellschaft vom nationalen Organismus als
Kulturexkrement ausgeschieden werden mu&szlig;te, kommt jetzt durch
den Schlund hoch; die kapitalistische Zivilisation erbricht die
unverdaute Barbarei. Das ist die Physiologie des
Nationalsozialismus.</p>
<p>Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht
&uuml;ber den R&uuml;cken des Kleinb&uuml;rgertums, das sie zu
einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der
Demokratie zusammenpre&szlig;ten. Aber der Faschismus, einmal an
der Macht, ist alles andere als eine Regierung des
Kleinb&uuml;rgertums. Mussolini hat recht, die Mittelklassen sind
nicht f&auml;hig zu selbst&auml;ndiger Politik. In Perioden
gro&szlig;er Krisen sind sie berufen, die Politik einer der beiden
Hauptklassen bis zur Absurdit&auml;t zu treiben. Dem Faschismus
gelang es, sie in den Dienst des Kapitals zu stellen. Solche
L&ouml;sungen wie die Verstaatlichung der Trusts und die
Abschaffung des &raquo;arbeits- und m&uuml;helosen
Einkommens&laquo; waren nach &Uuml;bernahme der Macht mit einem Mal
&uuml;ber Bord geworfen. Der Partikularismus der deutschen
L&auml;nder, der sich auf die Eigenarten des Kleinb&uuml;rgertums
st&uuml;tzte, hat dem polizeilichen Zentralismus Platz gemacht, den
der moderne Kapitalismus braucht. Jeder Erfolg der
nationalsozialistischen Innen- und Au&szlig;enpolitik wird
unvermeidlich Erdr&uuml;ckung des kleinen Kapitals durch das
gro&szlig;e bedeuten.</p>
<p>Das Programm der kleinb&uuml;rgerlichen Illusionen wird dabei
nicht abgeschafft, es wird einfach von der Wirklichkeit abgetrennt
und in Ritualhandlungen aufgel&ouml;st. Die Vereinigung aller
Klassen l&auml;uft hinaus auf die Halbsymbolik der
Arbeitsdienstpflicht und die Beschlagnahme des Arbeiterfeiertags
&raquo;zugunsten des Volkes&laquo;. Die Beibehaltung der gotischen
Schrift im Gegensatz zur lateinischen ist eine symbolische
Vergeltung f&uuml;r das Joch des Weltmarkts. Die Abh&auml;ngigkeit
von den internationalen - darunter auch j&uuml;dischen - Bankiers
ist nicht um ein Jota gemildert, daf&uuml;r ist es verboten, Tiere
nach dem Talmudritual zu schlachten. Ist der Weg zur H&ouml;lle mit
guten Vors&auml;tzen gepflastert, so sind die Stra&szlig;en des
Dritten Reiches mit Symbolen ausgelegt.</p>
<p>Indem er das Programm der kleinb&uuml;rgerlichen Illusionen auf
elende b&uuml;rokratische Maskeraden reduziert, erhebt sich der
Nationalsozialismus &uuml;ber die Nation als reinste
Verk&ouml;rperung des Imperialismus. Die Hoffnung darauf, da&szlig;
die Hitlerregierung heute oder morgen als Opfer ihres inneren
Bankrotts fallen werde, ist v&ouml;llig vergeblich. Das Programm
war f&uuml;r die Nazis n&ouml;tig, um an die Macht zu kommen, aber
die Macht dient Hitler durchaus nicht dazu, das Programm zu
erf&uuml;llen. Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kr&auml;fte und
Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus - die wahre
geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur - bedeutet die
Vorbereitung des Krieges; diese Aufgabe duldet keinerlei Widerstand
von innen und f&uuml;hrt zur weiteren mechanischen Zusammenballung
der Macht. Den Faschismus kann man weder reformieren noch zum
Abtreten bewegen. Ihn kann man nur st&uuml;rzen. Der politische Weg
der Naziherrschaft f&uuml;hrt zur Alternative Krieg oder
Revolution. Der erste Jahrestag der Nazidiktatur steht bevor. Alle
Tendenzen des Regimes haben sich inzwischen klar und deutlich
entfalten k&ouml;nnen. Die &raquo;sozialistische&laquo; Revolution,
die den kleinb&uuml;rgerlichen Massen die unentbehrliche
Erg&auml;nzung der &raquo;nationalen&laquo; schien, wurde offiziell
verdammt und liquidiert. Die Klassenverbr&uuml;derung gipfelt
darin, da&szlig; - an einem eigens von der Regierung bestimmten
Tage - die Reichen zugunsten der Armen auf Vor- und Nachtisch
verzichten. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit hat dazu
gef&uuml;hrt, da&szlig; man die halbe Hungerration noch einmal
teilt. Alles &uuml;brige ist Produkt der manipulierten Statistik.
Die &raquo;geplante&laquo; Autarkie erweist sich als ein neues
Stadium wirtschaftlichen Zerfalls.</p>
<p>Je weniger das Polizeiregime der Nazis &ouml;konomisch leistet,
desto gr&ouml;&szlig;ere Anstrengungen mu&szlig; es auf
au&szlig;enpolitischem Gebiet unternehmen. Dies entspricht
v&ouml;llig der inneren Dynamik des durch und durch aggressiven
deutschen Kapitals. Das Umschwenken der Nazif&uuml;hrer auf
Friedensdeklarationen kann nur Dummk&ouml;pfe irref&uuml;hren.
Hitler hat kein anderes Mittel, die Schuld an inneren
Schwierigkeiten auf &auml;u&szlig;ere Feinde abzuw&auml;lzen und
die Sprengkraft des Imperialismus unter dem Druck der Diktatur zu
steigern.</p>
<p>Dieser Teil des Programms, der noch vor der Machtergreifung der
Nazis offen angek&uuml;ndigt wurde, realisiert sich jetzt mit
eiserner Logik vor den Augen der ganzen Welt. Die Zeit, die uns bis
zur n&auml;chsten europ&auml;ischen Katastrophe bleibt, ist
befristet durch die deutsche Aufr&uuml;stung. Das ist keine Frage
von Monaten, aber auch keine von Jahrzehnten. Wird Hitler nicht
rechtzeitig durch innerdeutsche Kr&auml;fte aufgehalten, so wird
Europa in wenigen Jahren neuerlich in Krieg gest&uuml;rzt.
<!-- #EndEditable -->
</p>
<hr size="1" align="left" width="200">
<p><small>Pfad: &laquo;../tr/&raquo;<br>
Verkn&uuml;pfte Dateien: <a href=
"http://www.mlwerke.de/css/format.css">&laquo;../css/format.css&raquo;</a><br>
Quelle: die nicht mehr existierende Seite "Linksruck"Linksruck</a></small></p>
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"../default.htm"><small>Lew Trotzki</small></a></td>
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