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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Dynastische Umw&auml;lzungen</TITLE>
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Mehring</SMALL></A></TD>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->272-321<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Zehntes Kapitel: Dynastische Umw&auml;lzungen<!-- #EndEditable --></H1>
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<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 ALIGN="CENTER">1. Der italienische Krieg<A name="Kap_1"></A></H3>
<P><B>|272|</B> Die Krise von 1857 war nicht in die proletarische Revolution ausgelaufen,
die Marx und Engels von ihr erhofft hatten. Aber sie entbehrte deshalb nicht der
revolution&auml;ren Wirkungen, mochten sich diese auch nur in der Form dynastischer
Umw&auml;lzungen vollziehen. Ein K&ouml;nigreich Italien entstand und danach ein
deutsches Kaiserreich, w&auml;hrend das franz&ouml;sische Kaiserreich spurlos
in der Versenkung verschwand.</P>
<P>Diese Wandlung der Dinge erkl&auml;rte sich aus der doppelten Tatsache, da&szlig;
die Bourgeoisie niemals selbst ihre revolution&auml;ren Schlachten schl&auml;gt,
aber da&szlig; sie seit der Revolution von 1848 ein Haar darin gefunden hatte,
sie durch das Proletariat schlagen zu lassen. In dieser Revolution und namentlich
in den Pariser Junik&auml;mpfen, hatten die Arbeiter der althergebrachten Gewohnheit
entsagt, blo&szlig; als Kanonenfutter der Bourgeoisie zu dienen, und mindestens
einen Anteil an den Fr&uuml;chten des Sieges beansprucht, den sie mit ihrem Blut
und ihren Knochen erfochten hatten.</P>
<P>So war die Bourgeoisie schon in den Revolutionsjahren auf den schlauen Gedanken
verfallen, sich von einer anderen Macht, als dem mi&szlig;trauisch und unzuverl&auml;ssig
gewordenen Proletariat, die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen: zumal in
Deutschland und in Italien, das hei&szlig;t in denjenigen L&auml;ndern, in denen
selbst nur erst der nationale Staat zu schaffen war, dessen die kapitalistischen
Produktivkr&auml;fte f&uuml;r ihre wirksame Entfaltung bed&uuml;rfen. Es lag nahe,
einem Teilf&uuml;rsten die Herrschaft &uuml;ber das ganze Land anzubieten, wenn
er als Gegengabe der Bourgeoisie freien Spielraum f&uuml;r ihre Ausbeutungs- und
Ausbreitungsbed&uuml;rfnisse verschaffte. Allerdings mu&szlig;te die Bourgeoisie
dabei ihre politischen Ideale in den Rauchfang schreiben und sich an der Befriedigung
ihrer nackten Profitinteressen gen&uuml;gen lassen, denn indem sie die Hilfe des
F&uuml;rstentums anrief, unterwarf sie sich selbst seiner Herrschaft. Es waren
denn auch die reaktion&auml;rsten Teilstaaten, mit denen die Bourgeoisie schon
in den Revolutionsjahren zu lieb&auml;ugeln versucht hatte: <A NAME="S273"></A><B>|273|</B>
in Italien das K&ouml;nigreich Sardinien, jener &raquo;milit&auml;r-jesuitische&laquo; Teilstaat,
wo nach dem Fluche des deutschen Dichters &raquo;S&ouml;ldner und Pfaffen zumal saugten
am Marke des Volks&laquo;, in Deutschland das K&ouml;nigreich Preu&szlig;en, das unter
dem dumpfen Druck des ostelbischen Junkertums stand. Zun&auml;chst kam man aber
weder dort noch hier zum Ziele. Der K&ouml;nig Karl Albert von Sardinien machte
sich zwar zum &raquo;Schwerte Italiens&laquo;, allein auf dem Schlachtfelde unterlag er dem
&ouml;sterreichischen Heere und starb als landfl&uuml;chtiger Mann in der Fremde.
In Preu&szlig;en aber wies der vierte Friedrich Wilhelm die deutsche Kaiserkrone,
die ihm die deutsche Bourgeoisie auf dem Pr&auml;sentierteller anbot, als einen
imagin&auml;ren Reif zur&uuml;ck, der aus Dreck und Letten gebacken sei, und versuchte
lieber einen unsauberen Leichenraub an der Revolution, was ihm dann freilich auch,
nicht einmal durch das &ouml;sterreichische Schwert, sondern durch die &ouml;sterreichische
Gei&szlig;el, in Olm&uuml;tz gr&uuml;ndlich versalzen wurde.</P>
<P>Dieselbe industrielle Prosperit&auml;t, an der sich die Revolution von 1848
ersch&ouml;pft hatte, war nun aber ein m&auml;chtiger Hebel geworden, die Bourgeoisie
in Deutschland und in Italien zu f&ouml;rdern und ihr die nationale Einheit zu
einer immer dringlicheren Notwendigkeit zu machen. Als dann die Krise von 1857
an die Verg&auml;nglichkeit aller kapitalistischen Herrlichkeit erinnerte, kam
die Kugel ins Rollen. Zun&auml;chst in Italien, was sich jedoch nicht daraus erkl&auml;rt,
da&szlig; hier die kapitalistische Entwicklung weiter vorgeschritten gewesen w&auml;re
als in Deutschland. Vielmehr im Gegenteil! In Italien war die gro&szlig;e Industrie
noch gar nicht vorhanden, und der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat
noch nicht so schroff ausgepr&auml;gt, um gegenseitiges Mi&szlig;trauen zu erwecken.
Nicht minder schwer fiel in die Waagschale, da&szlig; die Zersplitterung Italiens
auf einer Fremdherrschaft beruhte, deren Absch&uuml;ttelung ein gemeinsames Ziel
aller Klassen war. &Ouml;sterreich herrschte unmittelbar in der Lombardei und
Venetien, mittelbar auch &uuml;ber Mittelitalien, dessen kleine H&ouml;fe den
Befehlen der Wiener Hofburg gehorchten. Der Kampf gegen diese Fremdherrschaft
hatte seit den zwanziger Jahren schon ununterbrochen gew&auml;hrt und zu den grausamsten
Unterdr&uuml;ckungsma&szlig;regeln gef&uuml;hrt, die die erbitterte Rache der
Unterdr&uuml;ckten hervorriefen; der italienische Dolch war die unvermeidliche
Folge des &ouml;sterreichischen Stocks.</P>
<P>Aber alle Attentate, Aufst&auml;nde und Verschw&ouml;rungen kamen nicht auf
gegen die habsburgische &Uuml;bermacht, und an ihr waren auch in den Revolutionsjahren
die italienischen Erhebungen gescheitert. Die Verhei&szlig;ung, da&szlig; Italien
sich selbst&auml;ndig machen werde (Italia fara da se), hatte sich als eine Illusion
erwiesen. Italien bedurfte der ausw&auml;rtigen <A NAME="S274"></A><B>|274|</B>
Hilfe, um sich von der &ouml;sterreichischen Fremdherrschaft zu befreien, und
richtete sein Augenmerk auf die franz&ouml;sische Schwesternation. Freilich bildete
die Zersplitterung Italiens wie Deutschlands einen alten Grundsatz der franz&ouml;sischen
Politik, aber der Abenteurer, der zur Zeit auf dem franz&ouml;sischen Throne sa&szlig;,
war ein Mann, der mit sich handeln lie&szlig;. Das zweite Kaiserreich wurde zur
Posse, wenn es sich in den Grenzen hielt, die das Ausland nach dem Sturze des
ersten Kaiserreichs dem franz&ouml;sischen Gebiete gezogen hatte. Es bedurfte
der Eroberungen, die der falsche Bonaparte nicht auf den Wegen des echten Bonaparte
machen konnte. Er mu&szlig;te sich daran gen&uuml;gen lassen, seinem angeblichen
Oheim das sogenannte &raquo;Nationalit&auml;tsprinzip&laquo; abzumausen und sich als Messias
der unterdr&uuml;ckten Nationen aufzuspielen, unter der Voraussetzung, da&szlig;
seine guten Dienste mit reichlichen Trinkgeldern an Land und Leuten bezahlt werden
w&uuml;rden.</P>
<P>Dabei durfte er, seiner ganzen Lage nach, keine gro&szlig;en Spr&uuml;nge machen.
Er konnte keinen europ&auml;ischen, geschweige denn einen revolution&auml;ren
Krieg f&uuml;hren, sondern h&ouml;chstens mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung
Europas auf den allgemeinen S&uuml;ndenbock losschlagen, wie es im Anfang der
f&uuml;nfziger Jahre Ru&szlig;land gewesen und an ihrem Ende &Ouml;sterreich war.
Dessen Schandwirtschaft in Italien war zu einem europ&auml;ischen Skandal ausgeartet,
und mit den alten Genossen der Heiligen Allianz war das Haus Habsburg t&ouml;dlich
verfeindet, mit Preu&szlig;en wegen Olm&uuml;tz und mit Ru&szlig;land wegen des
Krimkriegs: namentlich der russischen Hilfe war Bonaparte bei einem Angriff auf
&Ouml;sterreich sicher.</P>
<P>Dazu dr&auml;ngten die inneren Zust&auml;nde Frankreichs zur Auffrischung des
bonapartistischen Prestiges durch eine ausw&auml;rtige Aktion. Die Handelskrise
von 1857 hatte die franz&ouml;sische Industrie gel&auml;hmt, und durch die Man&ouml;ver
der Regierung, den akuten Ausbruch der Krise zu hindern, war das &Uuml;bel chronisch
geworden, so da&szlig; sich die Stockung des franz&ouml;sischen Handels jahrelang
hinzog. Dadurch wurden Bourgeoisie wie Proletariat gleicherma&szlig;en rebellisch,
und auch die b&auml;uerliche Klasse, die eigentliche St&uuml;tze des Staatsstreichs,
begann zu murren; der tiefe Fall der Getreidepreise von 1857 bis 1859 entri&szlig;
ihr die Klage, da&szlig; der franz&ouml;sische Ackerbau bei den niedrigen Preisen
und den hohen, auf ihm ruhenden Lasten unm&ouml;glich werde.</P>
<P>In dieser Lage wurde Bonaparte eifrig umworben von Cavour, dem leitenden Minister
des K&ouml;nigreichs Sardinien, der die &Uuml;berlieferungen Karl Alberts wieder
aufgenommen hatte, aber sie mit ungleich gr&ouml;&szlig;erem Geschick zu vertreten
wu&szlig;te. Jedoch beschr&auml;nkt auf die ohnm&auml;chtigen Mittel der Diplomatie,
kam er nur langsam vom Flecke, zumal da der <A NAME="S275"></A><B>|275|</B> br&uuml;tend
unentschlossene Charakter Bonapartes einen schnellen Entschlu&szlig; erschwerte.
Dagegen verstand es die italienische Aktionspartei, diesen V&ouml;lkerbefreier
schnell auf die Beine zu bringen. Am 14. Januar 1858 warfen Orsini und seine Mitverschworenen
in Paris ihre Handgranaten auf den kaiserlichen Wagen, der von 76 Bombensplittern
durchsiebt wurde. Die Insassen blieben zwar unverletzt, und nach Art solcher Leute
antwortete der Dezembermann auf den Todesschrecken mit der Errichtung eines Schreckensregiments.
Dadurch offenbarte er aber nur, da&szlig; seine Herrschaft nach siebenj&auml;hriger
Dauer immer nur erst auf t&ouml;nernen F&uuml;&szlig;en stand, und ein Brief,
den Orsini aus dem Gef&auml;ngnis an ihn richtete, jagte ihm neue Angst in die
morschen Gebeine. Es hie&szlig; darin: &raquo;Vergessen Sie nicht, da&szlig; die Ruhe
Europas und die Ihrige so lange nur eine Chim&auml;re sein wird, solange Italien
nicht unabh&auml;ngig sein wird.&laquo; Noch deutlicher soll Orsini in einem zweiten
Briefe geworden sein. Bonaparte war auf den Irrfahrten seines abenteuerlichen
Lebens auch einmal unter die italienischen Verschw&ouml;rer geraten und wu&szlig;te
wohl, da&szlig; mit deren Rache nicht zu spa&szlig;en sei.</P>
<P>So lie&szlig; er im Sommer 1858 Cavour in das Bad Plombieres kommen und verabredete
mit ihm den Krieg gegen &Ouml;sterreich. Sardinien sollte die Lombardei und Venetien
erhalten und sich zu einem oberitalienischen K&ouml;nigreich abrunden, wof&uuml;r
es Savoyen und Nizza an Frankreich abzutreten hatte. Es war ein diplomatischer
Schacher, der mit der Freiheit und Unabh&auml;ngigkeit Italiens im Grunde wenig
zu tun hatte. &Uuml;ber Mittel- und S&uuml;ditalien wurde gar nichts abgemacht,
wenn auch beide Teile ihre Hintergedanken hatten. Bonaparte konnte die &Uuml;berlieferungen
der franz&ouml;sischen Politik nicht soweit preisgeben, um ein einiges Italien
zu f&ouml;rdern; er w&uuml;nschte - schon mit R&uuml;cksicht auf die Erhaltung
der p&auml;pstlichen Herrschaft - einen Bund der italienischen Dynastien, die
sich gegenseitig lahmlegen und dadurch dem franz&ouml;sischen Einflu&szlig; das
&Uuml;bergewicht sichern sollten, wobei er noch mit dem Gedanken spielte, seinem
Vetter Jer&ocirc;me ein mittelitalienisches K&ouml;nigreich zu schaffen. Cavour
dagegen rechnete auf die nationale Bewegung, die ihm erm&ouml;glichen w&uuml;rde,
alle dynastisch-partikularistischen Bestrebungen niederzuhalten, wenn erst einmal
Oberitalien in eine gr&ouml;&szlig;ere Macht zusammengefa&szlig;t sei.</P>
<P>Am Neujahrstage des Jahres 1859 enth&uuml;llte Bonaparte durch eine Ansprache
an den &ouml;sterreichischen Botschafter in Paris seine Pl&auml;ne, und wenige
Tage sp&auml;ter erkl&auml;rte der K&ouml;nig von Sardinien, da&szlig; er gegen
den Schmerzensschrei Italiens nicht taub sei. Die drohenden Worte wurden in Wien
verstanden, und der Krieg trieb schnell voran, wobei die &ouml;sterreichische
Regierung ungeschickt genug war, sich in die Rolle des Angreifers <A NAME="S276"></A><B>|276|*</B>
dr&auml;ngen zu lassen. Halb bankrott wie sie war, befand sie sich, von Frankreich
angegriffen und von Ru&szlig;land bedroht, in einer schwierigen Lage, aus der
sie durch die laue Freundschaft der englischen Torys nicht befreit werden konnte.
Wohl aber suchte sie den Deutschen Bund f&uuml;r sich zu gewinnen, der zwar vertragsm&auml;&szlig;ig
nicht verpflichtet war, f&uuml;r die au&szlig;erdeutschen Besitzungen eines Bundesstaats
einzutreten, aber der durch das milit&auml;risch-politische Schlagwort gek&ouml;dert
werden sollte, da&szlig; am Po der Rhein verteidigt werden m&uuml;sse, mit anderen
Worten, da&szlig; die Aufrechterhaltung der &ouml;sterreichischen Fremdherrschaft
in Oberitalien ein nationales Lebensinteresse Deutschlands sei.</P>
<P>In Deutschland hatte ebenfalls seit der Krise von 1857 und ihren Wirkungen
eine nationale Bewegung eingesetzt, die sich jedoch nicht zu ihrem Vorteil von
der italienischen unterschied. Ihr fehlte der Stachel der Fremdherrschaft, und
der deutschen Bourgeoisie steckte von 1848 eine heillose Angst vor dem Proletariat
in den Knochen, das ihr damals doch noch recht wenig gef&auml;hrlich geworden
war. Allein die Pariser Junischlacht hatte sie belehrt. War bis 1848 die franz&ouml;sische
Entwicklung ihr Ideal gewesen, so schwor sie seitdem aufs Vorbild Englands, wo
sich Bourgeoisie und Proletariat so h&uuml;bsch gem&uuml;tlich zu vertragen schienen.
Die Verm&auml;hlung des preu&szlig;ischen Thronfolgers mit einer englischen Prinzessin
erregte schon ihr h&ouml;chstes Entz&uuml;cken, und als nun gar im Herbst 1858
der geistig erkrankte K&ouml;nig die Regierung seinem Bruder &uuml;bergeben mu&szlig;te
und dieser ein schwach liberales Ministerium einberief, aus nichts weniger als
liberalen Gr&uuml;nden, brach jener &raquo;Kr&ouml;nungsochsenjubel&laquo; der Bourgeoisie
aus, den Lassalle nicht bitter genug verspotten konnte. Diese w&uuml;rdige Klasse
verleugnete ihre eigenen Helden von 1848, um den Prinzregenten nicht zu reizen,
und sie dr&auml;ngte nicht etwa vorw&auml;rts, als das neue Ministerium so gut
wie alles beim alten lie&szlig;, sondern gab vielmehr die famose Parole aus: Nur
nicht dr&auml;ngeln!, aus reiner Angst, da&szlig; die Ungnade des neuen Herrn
die &raquo;Neue &Auml;ra&laquo;, die nur von seinen Gnaden existierte, wie ein Schattenspiel
an der Wand verschwinden lassen k&ouml;nne.</P>
<P>Mit dem Heraufziehen des Kriegsgewitters begannen nun in Deutschland die Wogen
h&ouml;her zu schlagen. Die Art wie Cavour die italienische Einheit betrieb, hatte
f&uuml;r die deutsche Bourgeoisie viel Verlockendes, denn sie hatte die Rolle,
die Sardinien &uuml;bernahm, l&auml;ngst dem preu&szlig;ischen Staate zugedacht.
Jedoch der Angriff des franz&ouml;sischen Erbfeindes auf die Vormacht des Deutschen
Bundes rief Besorgnisse und Erinnerungen wach, die sie wieder kopfscheu machten.
Nahm dieser falsche Bonaparte nicht die &Uuml;berlieferungen des echten auf? Sollten
die Tage <A NAME="S277"></A><B>|277|</B> von Austerlitz und Jena wiederkehren,
sollten die Ketten der Fremdherrschaft abermals in Deutschland rasseln? Die &ouml;sterreichischen
Soldfedern wurden nicht m&uuml;de, diese Schreckgespenster an die Wand zu malen
und das paradiesische Zukunftsbild einer &raquo;mitteleurop&auml;ischen Gro&szlig;macht&laquo;
zu entwerfen, die, unter dem vorwiegenden Einflu&szlig; &Ouml;sterreichs, den
Deutschen Bund, Ungarn, die slawisch-rum&auml;nischen Donaul&auml;nder, Elsa&szlig;-Lothringen,
Holland und der Himmel wei&szlig; was noch umfassen sollte. Gegen&uuml;ber dieser
Propaganda lie&szlig; nat&uuml;rlich auch Bonaparte seine Tintenkulis los, die
darauf schw&ouml;ren mu&szlig;ten, da&szlig; der arglosen Seele ihres Soldzahlers
nichts fremder sei als ein Gel&uuml;ste nach den Rheinufern, und da&szlig; er
mit dem Kriege gegen &Ouml;sterreich nur die erhabensten Zwecke der Zivilisation
verfolgte.</P>
<P>In solchem Wirrwarr der Meinungen fand sich der Spie&szlig;b&uuml;rger schwer
zurecht, doch begann er allm&auml;hlich den habsburgischen Lockungen ein geneigteres
Ohr zu schenken als den bonapartistischen. Sie kamen seinem Bierbankpatriotismus
schmeichelnd entgegen, w&auml;hrend ein allzu robuster Glaube dazu geh&ouml;rte,
an den zivilisatorischen Beruf des Dezembermanns zu glauben. Indessen war die
Sachlage doch so verwickelt, da&szlig; wirkliche und noch dazu revolution&auml;re
Politiker, die in allen grunds&auml;tzlichen Fragen vollkommen &uuml;bereinstimmten,
sich nicht einigen konnten &uuml;ber die praktische Politik, die Deutschland gegen&uuml;ber
dem italienischen Kriege zu befolgen habe.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">2. Der Streit mit Lassalle<A name="Kap_2"></A></H3>
<P>Im Einverst&auml;ndnis mit Marx trat Engels zun&auml;chst auf den Plan mit
seiner Flugschrift &raquo;Po und Rhein&laquo;<A name="ZT1"></A><A href="fm03_272.htm#Z1"><SPAN class="top">[1]</SPAN></A>, f&uuml;r die ihm Lassalle in Franz Duncker
einen Verleger verschaffte. Zweck der Abhandlung war die Zerst&ouml;rung der habsburgischen
Parole, wonach der Rhein am Po verteidigt werden mu&szlig;te. Engels wies nach,
da&szlig; Deutschland kein St&uuml;ck von Italien zu seiner Verteidigung brauche,
und da&szlig; Frankreich, wenn blo&szlig; milit&auml;rische Gr&uuml;nde gelten
sollten, allerdings noch viel st&auml;rkere Anspr&uuml;che auf den Rhein habe,
als Deutschland auf den Po. Wenn aber Engels die &ouml;sterreichische Herrschaft
in Oberitalien milit&auml;risch als f&uuml;r Deutschland entbehrlich erkl&auml;rte,
so verwarf er sie politisch als f&uuml;r Deutschland &uuml;beraus sch&auml;dlich,
da diesem die unerh&ouml;rte Mi&szlig;handlung der italienischen Patrioten durch
den &ouml;sterreichischen Stock den Ha&szlig; und die fanatische Feindschaft von
ganz Italien zuz&ouml;ge.</P>
<P><B><A NAME="S278">|278|</A></B> Allein, so meinte Engels, die Frage um den
Besitz der Lombardei sei eine Frage zwischen Italien und Deutschland, nicht aber
zwischen Louis-Napoleon und &Ouml;sterreich. Gegen&uuml;ber einem Dritten wie
Bonaparte, der sich um seiner eigenen, in anderer Beziehung antideutschen Interessen
willen einmische handle es sich um die einfache Behauptung einer Provinz, die
man nur gezwungen abtrete, einer milit&auml;rischen Position, die man nur r&auml;ume,
wenn man sie nicht mehr halten k&ouml;nne. Gegen&uuml;ber der bonapartistischen
Drohungen habe also das habsburgische Stichwort seine volle Berechtigung. Wenn
der Po f&uuml;r Louis-Napoleon der Vorwand sei, so m&uuml;sse der Rhein unter
allen Umst&auml;nden sein Endziel sein. Nur die Eroberung der Rheingrenze k&ouml;nne
die Herrschaft des Staatsstreichs in Frankreich dauernd sichern. Es sei der Fall
des alten Sprichworts: man schlage den Sack und meine den Esel. Finde Italien
sich veranla&szlig;t, den Sack vorzustellen, so habe Deutschland doch diesmal
keine Lust, den Esel abzugeben. Wenn es sich am letzten Ende um der Besitz des
linken Rheinufers handle, so k&ouml;nne Deutschland in keiner Weise daran denken,
den Po und damit eine seiner st&auml;rksten, ja geradezu seine st&auml;rkste Position
ohne Schwertstreich aufzugeben. Am Vorabend des Krieges, wie im Kriege selbst,
besetze man jede benutzbare Stellung, von der aus man den Feind bedrohen und ihm
schaden k&ouml;nne, ohne moralische Reflexionen dar&uuml;ber anzustellen, ob dies
mit der ewigen Gerechtigkeit und dem Nationalit&auml;tsprinzip vereinbar sei.
Man wehre sich eben seiner Haut.</P>
<P>Marx war mit diesen Ausf&uuml;hrungen vollkommen einverstanden. Als er das
Manuskript der Flugschrift gelesen hatte, schrieb er dem Verfasser: &raquo;Au&szlig;erordentlich
t&uuml;chtig; auch das Politische famos behandelt, was verdammt schwer war. Das
Pamphlet wird einen gro&szlig;en Erfolg haben.&laquo; Dagegen erkl&auml;rte Lassalle,
da&szlig; er diese Auffassung &uuml;berhaupt nicht begreife. Er ver&ouml;ffentlichte
gleich darauf, ebenfalls im Verlage Franz Dunckers, unter dem Titel &raquo;Der italienische
Krieg und die Aufgabe Preu&szlig;ens&laquo;, eine Flugschrift, die von ganz anderen
Voraussetzungen ausging und demgem&auml;&szlig; zu ganz anderen Ergebnissen gelangte,
von Marx aber als ein &raquo;ungeheurer Fehlschlu&szlig;&laquo; betrachtet wurde.</P>
<P>Lassalle sah in der nationalen Bewegung Deutschlands, die unter den Anzeichen
des drohenden Krieges entstand, nur &raquo;absolute Franzosenfresserei, Franzosenha&szlig;
(Napoleon nur Vorwand, die revolution&auml;re Entwicklung Frankreichs der wirkliche
geheime Grund)&laquo;; ein deutsch-franz&ouml;sischer Volkskrieg, worin sich die beiden
gro&szlig;en Kulturv&ouml;lker des Festlandes um nationaler Trugbilder willen
zerfleischten, ein popul&auml;rer <A NAME="S279"></A><B>|279|</B> Krieg gegen
Frankreich, der keine nationale Lebensfrage hinter sich h&auml;tte, sondern seine
geistige Nahrung aus krankhaft &uuml;berreiztem Nationalgef&uuml;hl, aus verstiegenem
Patriotismus und kindischer Franzosenfresserei s&ouml;ge, war in den Augen Lassalles
die furchtbarste Gefahr f&uuml;r die europ&auml;ische Kultur, f&uuml;r alle nationalen
wie revolution&auml;ren Interessen, der weitaus ungeheuerste und unabsehbarste
Sieg, den das reaktion&auml;re Prinzip seit dem M&auml;rz 1848 erfochten habe.
Einem solchen Kriege sich mit aller Gewalt entgegenzuwerfen, hielt Lassalle f&uuml;r
eine Lebensaufgabe der Demokratie.</P>
<P>Eingehend legte er dar, da&szlig; der italienische Krieg keine ernstliche Bedrohung
Deutschlands sei. An dem Gelingen der italienischen Einheitsbewegung habe die
deutsche Nation das dringendste Interesse, und eine gute Sache werde dadurch noch
nicht schlecht, da&szlig; ein schlechter Mann sie in die Hand nehme. Wolle Bonaparte
sich durch den italienischen Krieg einige Pfennige Popularit&auml;t erschleichen,
so verweigere man ihm diese Pfennige und mache so die Leistung, zu der er sich
aus pers&ouml;nlichen Zwecken entschlie&szlig;e, unn&uuml;tz f&uuml;r diese Zwecke.
Aber wie k&ouml;nne man deshalb k&auml;mpfen gegen das, was man bisher wollte
und w&uuml;nschte? Auf der einen Seite habe man einen schlechten Mann mit einer
guten Sache. Auf der anderen Seite eine schlechte Sache und - &raquo;Nun ja, der Mann?&laquo;
Lassalle erinnerte an die Ermordung Blums, an Olm&uuml;tz, Holstein, Bronzell,
an all die Frevel, womit sich nicht der bonapartistische, sondern der habsburgische
Despotismus an Deutschland vers&uuml;ndigt hatte. Eine Schw&auml;chung &Ouml;sterreichs
zu hindern, habe das deutsche Volk um so geringeres Interesse, als vielmehr die
g&auml;nzliche Zerschlagung &Ouml;sterreichs die erste Vorbedingung der deutschen
Einheit sei. An dem Tage, wo Italien und Ungarn selbst&auml;ndig w&uuml;rden,
seien die zw&ouml;lf Millionen Deutsch-&Ouml;sterreicher dem deutschen Volke wiedergegeben,
erst dann k&ouml;nnten sie sich als Deutsche f&uuml;hlen, erst dann sei ein einiges
Deutschland m&ouml;glich.</P>
<P>Aus der ganzen historischen Lage Bonapartes entwickelte Lassalle, da&szlig;
dieser beschr&auml;nkte, in Europa so allgemein &uuml;bersch&auml;tzte Mensch
gar nicht an Eroberungen denken k&ouml;nne, nicht einmal in Italien, geschweige
denn in Deutschland. W&uuml;rde er aber wirklich in phantastischen Eroberungspl&auml;nen
schwelgen, weshalb l&auml;ge dann f&uuml;r die Deutschen eine Ursache vor, sich
so unanst&auml;ndig zu f&uuml;rchten? Lassalle verh&ouml;hnte die wackeren Patrioten,
die in den Tagen von Jena das normale Ma&szlig; der nationalen Kraft erblickten
und aus lauter Furcht tollk&uuml;hn w&uuml;rden, die aus Angst vor einem h&ouml;chst
unwahrscheinlichen Angriff Frankreichs zum Angriff gegen Frankreich trieben. Es
liege auf der Hand, da&szlig; Deutschland <A NAME="S280"></A><B>|280|*</B> in
der Abwehr eines franz&ouml;sischen Angriffs ganz andere Kr&auml;fte entfalten
k&ouml;nne und werde, als in einem Invasionskriege, der zudem die franz&ouml;sische
Nation um Bonaparte scharen und dessen Thron nur befestigen m&uuml;sse.</P>
<P>Krieg gegen Frankreich forderte Lassalle f&uuml;r den Fall, da&szlig; Bonaparte
die den &Ouml;sterreichern abgejagte Beute f&uuml;r sich behalten oder auch nur
seinem Vetter einen mittelitalienischen Thron errichten wolle. Trete keiner dieser
F&auml;lle ein und die preu&szlig;ische Regierung wolle dennoch in einen v&ouml;lkerverhetzenden
Krieg mit Frankreich treiben, so m&uuml;sse sich die Demokratie dem widersetzen.
Aber auch die blo&szlig;e Neutralit&auml;t gen&uuml;ge nicht. Die geschichtliche
Aufgabe, die Preu&szlig;en im Interesse der deutschen Nation zu l&ouml;sen habe,
bestehe vielmehr darin, sein Heer gegen D&auml;nemark zu senden mit der Proklamation:
&raquo;&Auml;ndert Napoleon die europ&auml;ische Karte nach dem Prinzip der Nationalit&auml;ten
im S&uuml;den, so tun wir dasselbe im Norden. Befreit Napoleon Italien, so nehmen
wir Schleswig-Holstein.&laquo; Fahre Preu&szlig;en fort, zu zaudern und nichts zu tun,
so werde nur aber und aber bewiesen sein, da&szlig; die Monarchie in Deutschland
einer nationalen Tat nicht mehr f&auml;hig sei.</P>
<P>Um dieses Programms willen ist Lassalle sozusagen als nationaler Prophet gefeiert
worden, der die sp&auml;tere Politik Bismarcks vorhergesagt habe. Jedoch hatte
der dynastische Eroberungskrieg, den Bismarck im Jahre 1864 um Schleswig-Holstein
f&uuml;hrte, mit dem revolution&auml;ren Volkskriege, den Lassalle im Jahre 1859
um Schleswig-Holstein gef&uuml;hrt wissen wollte, gar nichts zu tun oder &auml;hnelte
ihm h&ouml;chstens wie ein Kamel dem Pferde. Lassalle wu&szlig;te recht gut, da&szlig;
der Prinzregent die Aufgabe nicht erf&uuml;llen werde, die er ihm stellte, allein
deshalb war es doch sein gutes Recht, einen Vorschlag zu machen, der den nationalen
Interessen entsprach, auch wenn dieser Vorschlag sofort in einen Vorwurf gegen
die Regierung umschlug; es war sein gutes Recht, die aufgeregten Massen von einem
falschen Wege abzurufen, indem er ihnen den richtigen Weg zeigte.</P>
<P>Allein au&szlig;er dem, was er in seiner Schrift sagte, hatte Lassalle seine
&raquo;unterirdischen Argumente&laquo;, die er in seinen Briefen an Marx und Engels aussprach.
Er wu&szlig;te, da&szlig; der Prinzregent drauf und dran war, in dem italienischen
Kriege f&uuml;r &Ouml;sterreich einzutreten, und er hatte insofern auch nichts
dagegen einzuwenden, als er annahm, da&szlig; der Krieg schlecht gef&uuml;hrt
werden w&uuml;rde, so da&szlig; sich aus seinen unvermeidlichen Wechself&auml;llen
revolution&auml;res Kapital schlagen lie&szlig;e. Aber diese M&ouml;glichkeit
war nur dann gegeben, wenn der Krieg des Prinzregenten von vornherein der nationalen
Bewegung als ein dynastischer Kabinettskrieg <A NAME="S281"></A><B>|281|*</B>
erschien, der durch nationale Interessen in keiner Weise geboten w&auml;re. Ein
unpopul&auml;rer Krieg gegen Frankreich war nach Lassalles Auffassung ein &raquo;immenses
Gl&uuml;ck&laquo; f&uuml;r die Revolution, w&auml;hrend er von einem popul&auml;ren
Krieg unter dynastischer Leitung alle die konterrevolution&auml;ren Folgen voraussah,
die er in seiner Schrift so beredt auseinandersetzte.</P>
<P>Danach mu&szlig;te ihm aber die Taktik, die Engels in seiner Schrift empfohlen
hatte, mehr oder weniger unverst&auml;ndlich sein. So gl&auml;nzend der Nachweis
war, da&szlig; Deutschland zu seiner milit&auml;rischen Machtstellung des Po nicht
bed&uuml;rfe, so anfechtbar erschien die Schlu&szlig;folgerung, da&szlig; im Kriegsfall
zun&auml;chst der Po gehalten werden m&uuml;sse und also die deutsche Nation verpflichtet
sei, &Ouml;sterreich gegen den franz&ouml;sischen Angriff zu unterst&uuml;tzen.
Denn es lag auf der Hand, da&szlig; die erfolgreiche Abwehr des bonapartistischen
Angriffs durch &Ouml;sterreich nur konterrevolution&auml;re Folgen haben konnte.
Siegte &Ouml;sterreich, gest&uuml;tzt auf seinen oberitalienischen Besitz und
unterst&uuml;tzt durch den Deutschen Bund, so konnte es niemand daran hindern,
auch ferner an seiner Herrschaft &uuml;ber Oberitalien festzuhalten, die Engels
doch so scharf verurteilte; so w&auml;re die habsburgische Hegemonie &uuml;ber
Deutschland befestigt und die elende Bundestagswirtschaft galvanisiert worden,
und selbst wenn &Ouml;sterreich den franz&ouml;sischen Usurpator gest&uuml;rzt
h&auml;tte, so w&uuml;rde es an dessen Stelle das altbourbonische Regiment gesetzt
haben, womit weder dem deutschen, noch dem franz&ouml;sischen, und am allerwenigsten
dem revolution&auml;ren Interesse gedient gewesen w&auml;re.</P>
<P>Um die Auffassung, die Engels und Marx vertraten, richtig zu verstehen, mu&szlig;
man ber&uuml;cksichtigen, da&szlig; auch sie ihre &raquo;unterirdischen Argumente&laquo; hatten,
so gut wie Lassalle, und beide aus dem gleichen Grunde, den Engels in einem Briefe
an Marx angab: &raquo;Direkt politisch und polemisch in Deutschland selbst im Sinn unsrer
Partei auftreten, ist rein unm&ouml;glich.&laquo; Nur liegen die &raquo;unterirdischen Argumente&laquo;
der Londoner Freunde nicht so offen da, da zwar Lassalles Briefe an sie, aber
nicht ihre Briefe an ihn, erhalten sind. Sie lassen sich jedoch erkennen, wenn
man einen Gesamtblick auf ihre damalige publizistische T&auml;tigkeit wirft. In
der zweiten Flugschrift: &raquo;Savoyen, Nizza und der Rhein&laquo;<A name="ZT2"></A><A href="fm03_272.htm#Z2"><SPAN class="top">[2]</SPAN></A>, die Engels ein Jahr sp&auml;ter
herausgab, um die Annexion Savoyens und Nizzas durch Bonaparte zu bek&auml;mpfen,
gab er deutlich die Voraussetzungen an, von denen er bei der ersten Flugschrift
ausgegangen war. Es waren ihrer wesentlich zwei oder im Grunde drei.</P>
<P>Zun&auml;chst glaubten Marx und Engels, die nationale Bewegung in Deutschland
sei von echtem Schrot und Korn; sie sei &raquo;naturw&uuml;chsig, <A NAME="S282"></A><B>|282|</B>
instinktiv, unmittelbar&laquo; entstanden und k&ouml;nne die widerstrebenden Regierungen
mit sich fortrei&szlig;en. Die &ouml;sterreichische Fremdherrschaft in Italien
und die italienische Unabh&auml;ngigkeitsbewegung sei ihr zun&auml;chst gleichg&uuml;ltig
gewesen; der Volksinstinkt habe den Kampf gegen Louis-Napoleon, gegen die &Uuml;berlieferungen
des ersten franz&ouml;sischen Kaiserreichs verlangt, und er habe Recht gehabt.</P>
<P>Dann aber nahmen Marx und Engels an, da&szlig; Deutschland durch das franz&ouml;sisch-russische
B&uuml;ndnis ernstlich bedroht sei. Marx f&uuml;hrte in der &raquo;New-York Daily Tribune&laquo;
aus, da&szlig; die finanziellen und inneren politischen Zust&auml;nde des zweiten
Kaiserreichs auf einem kritischen Punkte angelangt seien, wo nur noch ein ausw&auml;rtiger
Krieg die Herrschaft des Staatsstreichs in Frankreich und damit die Gegenrevolution
in Europa verl&auml;ngern k&ouml;nne. Er bef&uuml;rchtete, da&szlig; die bonapartistische
Befreiung Italiens nur ein Vorwand sei, Frankreich unterjocht zu halten, Italien
dem Staatsstreich zu unterwerfen, die &raquo;nat&uuml;rlichen Grenzen&laquo; Frankreichs nach
Deutschland zu verlegen, &Ouml;sterreich in ein russisches Instrument zu verwandeln,
und die V&ouml;lker in einen Krieg der legitimer und der illegitimen Gegenrevolution
hineinzuzwingen. Engels aber sah, wie er in seiner zweiten Flugschrift ausf&uuml;hrte,
in dem Eintreten des Deutschen Bundes f&uuml;r &Ouml;sterreich den entscheidenden
Augenblick, wo Ru&szlig;land auf dem Schlachtfelde erscheinen werde, um f&uuml;r
Frankreich das linke Rheinufer zu erobern und selbst freie Hand in der T&uuml;rkei
zu bekommen.</P>
<P>Endlich nahmen Marx und Engels an, da&szlig; die deutschen Regierungen und
besonders die Berliner &raquo;Superklugheit&laquo;, die dem Baseler Frieden zugejubelt habe,
der das linke Rheinufer an Frankreich abtrat, die in stillen die H&auml;nde gerieben
habe, als die &Ouml;sterreicher bei Ulm und Austerlitz geschlagen wurden, &Ouml;sterreich
im Stiche lassen w&uuml;rden. Nach ihrer Meinung mu&szlig;ten die deutschen Regierungen
durch die nationale Bewegung vorangetrieben werden, und was sie dann erwarteten,
sprach Engels in einem Briefe an Lassalle mit einem Satze aus, den dieser in seiner
Antwort w&ouml;rtlich wiederholte: &raquo;Es lebe der Krieg, wenn Franzosen und Russen
zugleich uns angreifen, wenn wir dem Ertrinken nahe sind, dann in dieser verzweifeltsten
Situation m&uuml;ssen sich alle Parteien von der jetzt herrschenden bis zu Zitz
und Blum abnutzen und die Nation, um sich zu retten, sich endlich an die energischste
Partei wenden.&laquo; Wozu Lassalle bemerkte, das sei sehr richtig, und er t&ouml;te
sich in Berlin ab zu beweisen, da&szlig; die preu&szlig;ische Regierung, wenn
sie den Krieg mache, der Revolution in die H&auml;nde arbeite, aber freilich nur
unter der Bedingung, da&szlig; der Krieg der Regierung vom Volk als konterrevolution&auml;rer
<A NAME="S283"></A><B>|283|*</B> Heiliger-Allianz-Krieg verabscheut werde. Jedenfalls
aber, wenn es kam, wie Engels meinte, so war die deutsche Bundeswirtschaft, die
&ouml;sterreichische Fremdherrschaft in Oberitalien und der franz&ouml;sische
Staatsstreich gleicherma&szlig;en geliefert, und erst in diesem Zusammenhange
wird die von ihm vorgeschlagene Taktik v&ouml;llig verst&auml;ndlich.</P>
<P>Aus alledem ergibt sich, da&szlig; irgendwelche grunds&auml;tzliche Meinungsverschiedenheiten
zwischen den streitenden Teilen nicht bestanden, sondern nur &raquo;gegens&auml;tzliche
Urteile &uuml;ber tats&auml;chliche Voraussetzungen&laquo;, wie Marx ein Jahr sp&auml;ter
sagte. Weder in ihrer nationalen noch in ihrer revolution&auml;ren Gesinnung unterschieden
sie sich irgendwie. Ihnen allen war die Emanzipation des Proletariats das oberste
Ziel, und eine unentbehrliche Voraussetzung f&uuml;r dieses Ziel die Bildung gro&szlig;er
Nationalstaaten. Als Deutschen lag ihnen die deutsche Einheit am n&auml;chsten,
und deren unentbehrliche Voraussetzung war die Beseitigung der dynastischen Vielherrschaft.
Deshalb hatten sie, eben um ihrer nationalen Gesinnung willen, f&uuml;r die deutschen
Regierungen gar nichts &uuml;brig und w&uuml;nschten deren Niederlage; der glorreiche
Gedanke, da&szlig; im Fall eines zwischen den Regierungen entbrannten Krieges
die Arbeiterklasse auf jede eigene Politik verzichten und ihr Schicksal unbesehen
in die H&auml;nde der herrschenden Klassen zu befehlen habe, ist ihnen niemals
auch nur von fern aufged&auml;mmert. Ihre nationale Gesinnung war viel zu wurzelecht,
um durch dynastische Schlagworte bet&ouml;rt zu werden.</P>
<P>Schwierig wurde die Lage nur dadurch, da&szlig; sich das Erbe der Revolutionsjahre
in dynastischen Umw&auml;lzungen zu liquidieren begann. In dieser Mischung revolution&auml;rer
und reaktion&auml;rer Ziele die richtige Scheidung zu finden, war keine Frage
der Grunds&auml;tze, sondern eine Frage der Tatsachen. Eine praktische Probe ist
weder auf das eine noch das andere Exempel gemacht worden, aber gerade die Entwicklung,
die das verhinderte, zeigte deutlich genug, da&szlig; Lassalle die &raquo;tats&auml;chlichen
Voraussetzungen&laquo; im wesentlichen richtiger beurteilt hatte als Engels und Marx.
An diesen r&auml;chte es sich nun doch, da&szlig; sie die deutschen Zust&auml;nde
einigerma&szlig;en aus den Augen verloren hatten und, wenn nicht die Eroberungsgel&uuml;ste,
so doch die Eroberungsm&ouml;glichkeiten des Zarismus einigerma&szlig;en &uuml;bersch&auml;tzten.
Lassalle mochte &uuml;bertreiben, wenn er die nationale Bewegung schlechthin auf
den Franzosenha&szlig; von Anno dazumal zur&uuml;ckf&uuml;hrte, aber da&szlig;
sie nichts weniger als revolution&auml;r war, zeigte das Kindlein, mit dem sie
endlich niederkam: die Mi&szlig;geburt des deutschen Nationalvereins.</P>
<P>Auch die russische Gefahr mochte Lassalle untersch&auml;tzen; er behandelte
sie in seiner Schrift nur ganz nebens&auml;chlich. Allein da&szlig; sie noch in
<A NAME="S284"></A><B>|284|</B> weitem Felde stand, zeigte sich, als der Prinzregent
von Preu&szlig;en genau so, wie Lassalle vorausgesagt hatte, das preu&szlig;ische
Heer mobilisierte und beim Deutschen Bunde die Mobilisierung der mittel- und kleinstaatlichen
Truppenteile beantragte. Diese milit&auml;rische Kundgebung gen&uuml;gte, um sowohl
den Dezembermann wie den Zaren sehr friedlich zu stimmen. Unter der heftigen Ermunterung
eines russischen Generaladjutanten, der sofort im franz&ouml;sischen Hauptquartier
erschien, bot Bonaparte dem besiegten Kaiser von &Ouml;sterreich den Frieden an,
mit halbem Verzicht selbst auf sein &ouml;ffentliches Programm; er begn&uuml;gte
sich mit der Lombardei, und Venetien blieb unter habsburgischem Zepter. Auf eigene
Faust konnte er keinen europ&auml;ischen Krieg f&uuml;hren, und Ru&szlig;land
war lahmgelegt durch die G&auml;rung in Polen, die Schwierigkeiten der Leibeigenenemanzipation
und die noch lange nicht &uuml;berwundenen Nackenschl&auml;ge des Krimkrieges.</P>
<P>Mit dem Frieden von Villafranca war der Streit &uuml;ber die revolution&auml;re
Taktik gegen&uuml;ber dem italienischen Kriege erledigt, doch kam Lassalle in
seinen Briefen an Marx und Engels wiederholt darauf zur&uuml;ck, immer dabei beharrend,
da&szlig; seine Ansicht richtig gewesen und durch den tats&auml;chlichen Verlauf
der Dinge best&auml;tigt worden sei. Da die Antworten fehlen, auch Marx und Engels
ihre Ansichten nicht, wie sie planten, in einem &ouml;ffentlichen Manifest kundgegeben
haben, so fehlt die M&ouml;glichkeit, Gr&uuml;nde und Gegengr&uuml;nde gegeneinander
abzuw&auml;gen. Auf den tats&auml;chlichen Verlauf der italienischen Einheitsbewegung,
die Beseitigung der mittelitalienischen Dynastien durch die Erhebung ihrer mi&szlig;handelten
&raquo;Untertanen&laquo;, die Eroberung Siziliens und Neapels durch Garibaldis Freischaren
und den dicken Strich, den alles das durch die bonapartistischen Pl&auml;ne machte,
durfte Lassalle sich mit Recht berufen, wenn es auch am letzten Ende dabei blieb,
da&szlig; die savoyische Dynastie den Rahm von der Milch sch&ouml;pfte.</P>
<P>Leider wurde der Streit mit Lassalle einigerma&szlig;en versch&auml;rft durch
die Un&uuml;berwindlichkeit des Mi&szlig;trauens, das Marx gegen ihn hegte. Nicht
als ob Marx nicht gew&uuml;nscht h&auml;tte, den &raquo;Mann mit Haut und Haaren&laquo; zu
gewinnen! Er nannte ihn einen &raquo;energischen Kerl&laquo;, der mit der Bourgeoispartei
nicht kramen k&ouml;nne; er meinte selbst, Lassalles &raquo;Heraklit&laquo;, obgleich ungeschlacht
geschrieben, sei besser als irgend etwas, womit die Demokraten renommieren k&ouml;nnten.
Aber so offen ihm Lassalle Herz und Hand entgegentrug, so glaubte Marx doch immer
diplomatisieren zu m&uuml;ssen, eines &raquo;klugen Managements&laquo; zu bed&uuml;rfen, um
Lassalle bei der Stange zu halten, und der erste beste Zwischenfall gen&uuml;gte,
um seinen Argwohn von neuem zu erwecken.</P>
<P><B><A NAME="S285">|285|</A></B> Als Friedl&auml;nder sein Angebot an Marx,
f&uuml;r die &raquo;Wiener Presse&laquo; zu schreiben, und diesmal ohne alle Bedingungen,
durch Lassalle wiederholen, aber die Sache dann einschlafen lie&szlig;, vermutete
Marx, da&szlig; Lassalle ihm diese Aussicht vereitelt habe, und als sich die Drucklegung
seiner &raquo;Politischen &Ouml;konomie&laquo; vom Anfang Februar bis Ende Mai verschleppte,
sah er darin einen &raquo;Streich&laquo; Lassalles, den er ihm nicht vergessen w&uuml;rde.
Tats&auml;chlich war die Verz&ouml;gerung durch den saumseligen Verleger verschuldet
worden, der sich immerhin noch damit entschuldigen konnte, da&szlig; er den Flugschriften
von Engels und Lassalle um ihrer auf an den Tag berechneten Wirkung willen den
Vortritt h&auml;tte gew&auml;hren m&uuml;ssen.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">3. Neue Emigrantenk&auml;mpfe<A name="Kap_3"></A></H3>
<P>Der zwiesp&auml;ltige Charakter des italienischen Krieges rief in der Emigration
alte Gegens&auml;tze und neuen Wirrwarr hervor.</P>
<P>W&auml;hrend die italienischen und franz&ouml;sischen Fl&uuml;chtlinge die
Verquickung der italienischen Einheitsbewegung mit dem franz&ouml;sischen Staatsstreich
bek&auml;mpften, war ein gro&szlig;er Teil der deutschen Fl&uuml;chtlinge bereit,
die Torheiten zu wiederholen, deren erste Auflage ihnen eine zehnj&auml;hrige
Verbannung eingetragen hatte. Von den Gesichtspunkten Lassalles waren sie dabei
weit entfernt; sie schw&auml;rmten vielmehr f&uuml;r die Neue &Auml;ra von der
Gnade des Prinzregenten, von der auch sie einen Strahl zu erhaschen hofften; sie
barsten vor &raquo;Amnestiew&uuml;tigkeit&laquo;, wie Freiligrath spottete, und waren zu jeder
patriotischen Tat erb&ouml;tig, wenn die &raquo;K&ouml;nigliche Hoheit&laquo; Deutschland
mit dem Schwerte in Eins schmieden wollte, wie es Kinkel schon vor dem Kriegsgericht
in Rastatt verhei&szlig;en hatte.</P>
<P>Kinkel machte sich denn auch jetzt wieder zur Posaune dieser Richtung und gab
seit dem 1. Januar 1859 den &raquo;Hermann&laquo; heraus, eine Wochenschrift, deren vorsintflutlicher
Titel schon verriet, wes Geistes Kind sie sei. Sie wurde das richtige Organ der,
um noch einmal Freiligrath zu zitieren, &raquo;Heimwehbl&auml;serei&laquo;, die nicht eilig
genug in dem &raquo;liberalen Unteroffiziersschwindel&laquo; untertauchen konnte. Aber deshalb
kam die Wochenschrift um so schneller auf und schlug alsbald &raquo;Die Neue Zeit&laquo; tot,
ein kleines Arbeiterblatt, das Edgar Bauer im Auftrage des Arbeiterbildungsvereins
herausgab. &raquo;Die Neue Zeit&laquo; lebte wesentlich vom Kredit des Druckers und war deshalb
geliefert, als Kinkel diesem den profitableren und solideren Druckauftrag des
&raquo;Hermann&laquo; anbot. |<A NAME="S286"></A><B>286|</B> Der Streich fand jedoch selbst
in der b&uuml;rgerlichen Emigration nicht ungeteilten Beifall: sogar der Freih&auml;ndler
Faucher bildete ein Finanzkomitee, um &raquo;Die Neue Zeit&laquo; fortzusetzen, was denn auch
geschah, indem sie sich in &raquo;Das Volk&laquo; umtaufte. Die Redaktion &uuml;bernahm Elard
Biscamp, ein kurhessischer Fl&uuml;chtling, der von der Provinz aus an der &raquo;Neuen
Zeit&laquo; mitgearbeitet hatte und jetzt seine Lehrerstelle aufgab, um seine Arbeitskraft
dem wiedergeborenen Blatte zu widmen.</P>
<P>Gemeinsam mit Liebknecht suchte Biscamp alsbald Marx auf, um dessen Mitarbeit
zu gewinnen. Marx stand seit dem Krache von 1850 in keiner Verbindung mit dem
Arbeiterbildungsverein. Er war sogar unzufrieden, als Liebknecht f&uuml;r seine
Person diese Verbindung wieder ankn&uuml;pfte, obgleich Liebknechts Ansicht, da&szlig;
eine Arbeiterpartei ohne Arbeiter schlie&szlig;lich ein Widerspruch in sich selbst
sei, viel f&uuml;r sich hatte. Immerhin war es begreiflich genug, da&szlig; Marx
&uuml;ber all die b&ouml;sen Erinnerungen nicht so schnell hinwegkommen konnte
und eine Deputation des Vereins durch die Erkl&auml;rung &raquo;verbl&uuml;ffte&laquo;, er
und Engels h&auml;tten ihre Bestellung als Vertreter der proletarischen Partei
von niemand als sich selbst, und sie sei beglaubigt durch den allgemeinen und
ausschlie&szlig;lichen Ha&szlig;, den alle Parteien der alten Welt ihnen widmeten.</P>
<P>Auch der Aufforderung, am &raquo;Volk&laquo; mitzuarbeiten, stand Marx zun&auml;chst sehr
zur&uuml;ckhaltend gegen&uuml;ber. Er billigte zwar sehr, da&szlig; dem Treiben
Kinkels nicht freie Bahn gelassen werden sollte und erkl&auml;rte sich auch damit
einverstanden, da&szlig; Liebknecht die redaktionelle T&auml;tigkeit Biscamps
unterst&uuml;tzen wollte. Aber er selbst mochte sich direkt weder an einem kleinen
Blatte, noch &uuml;berhaupt nur an einem Parteiblatt beteiligen, das nicht von
Engels und ihm redigiert w&uuml;rde. Nur soviel versprach er, f&uuml;r die Verbreitung
des Blattes t&auml;tig zu sein, ihm von Zeit zu Zeit gedruckte Tribune-Artikel
zur Benutzung zu &uuml;berlassen und ihm auch sonst m&uuml;ndliche Notizen und
Winke &uuml;ber dies und jenes zu geben. An Engels schrieb er, er betrachte &raquo;Das
Volk&laquo; als ein Bummelbl&auml;ttchen, wie es zu ihrer Zeit der Pariser &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;
und die &raquo;Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung&laquo; gewesen seien. Es k&ouml;nne aber ein
Augenblick kommen, wo es entscheidend wichtig sei, da&szlig; sie &uuml;ber ein
Londoner Blatt verf&uuml;gten. Biscamp verdiene um so mehr Unterst&uuml;tzung,
als er unentgeltlich arbeite.</P>
<P>Indessen war Marx eine viel zu unb&auml;ndige Kampfnatur, um sich nicht f&uuml;r
das &raquo;Bummelbl&auml;ttchen&laquo; ins Zeug zu legen, als es dem Treiben Kinkels unbequem
zu werden begann. Er verwandte viel Kraft und Zeit daran, es &uuml;ber Wasser
zu halten, weniger durch seine Mitarbeit, die sich nach seiner Angabe auf eine
Anzahl kleinerer Notizen beschr&auml;nkt zu <A NAME="S287"></A><B>|287|</B> haben
scheint, als durch seine Bem&uuml;hungen, die materiellen Existenzbedingungen
des - &uuml;brigens in gro&szlig;em Format vierseitig erscheinenden - Organs so
weit sicherzustellen, da&szlig; es wenigstens von der Hand in den Mund leben konnte.
Wer von den wenigen Parteifreunden ein Scherflein spenden konnte, wurde angespannt,
in erster Reihe Engels, der auch flei&szlig;ig mit der Feder mitarbeitete, milit&auml;rische
Artikel &uuml;ber den italienischen Krieg schrieb und namentlich eine wertvolle
Abhandlung &uuml;ber das eben erschienene wissenschaftliche Werk seines Freundes
beisteuerte, von der jedoch der dritte und letzte Artikel nicht mehr erschienen
ist. Denn Ende August hatte das Blatt ausgeatmet und das praktische Ergebnis seiner
Bem&uuml;hungen war f&uuml;r Marx, da&szlig; der Drucker, ein gewisser Fidelio
Hollinger, ihn f&uuml;r die noch f&auml;lligen Druckkosten haftbar machte. Es
war eine grundlose Forderung, aber &raquo;da die Kinkelbande nur auf die Geschichte
wartete, um &ouml;ffentlich Skandal zu machen und das ganze Personal, was um die
Zeitung herumhing, f&uuml;r Schaustellung vor Gericht unpassend war&laquo; so kaufte
sich Marx mit etwa 5 Pfund los.</P>
<P>Ungleich gr&ouml;&szlig;ere Opfer und Sorgen sollte ihm eine andere Erbschaft
kosten, die ihm &raquo;Das Volk&laquo; hinterlie&szlig;. Am 1. April 1859 hatte Karl Vogt
aus Genf an Londoner Fl&uuml;chtlinge, darunter Freiligrath, ein politisches Programm
&uuml;ber die Haltung der deutschen Demokratie in dem italienischen Kriege gesandt,
mit der Aufforderung, im Sinne dieses Programms an einer neuen schweizerischen
Wochenschrift mitzuarbeiten. Vogt, ein Schwestersohn der Gebr&uuml;der Follen,
die in der Burschenschaftsbewegung eine namhafte Rolle gespielt hatten, war in
der Frankfurter Nationalversammlung neben Robert Blum der F&uuml;hrer der Linken
gewesen und im letzten Augenblick des sterbenden Parlaments zu einem der f&uuml;nf
Reichsregenten ernannt worden. Er lebte jetzt als Professor der Geologie in Genf,
das er gemeinsam mit Fazy, dem F&uuml;hrer der Genfer Radikalen, im schweizerischen
St&auml;nderat vertrat. In Deutschland hielt er sein Andenken lebendig durch eine
eifrige Agitation f&uuml;r einen beschr&auml;nkt-naturwissenschaftlichen Materialismus,
der sofort in die Irre taumelte, wenn er aufs historische Gebiet geriet. Obendrein
vertrat Vogt ihn, wie Ruge nicht unzutreffend meinte, mit &raquo;ungezogener Jungenhaftigkeit&laquo;,
er suchte durch zynische Schlagworte die Philister zu kitzeln, und als ihm das
namentlich mit dem Satze gelang: &raquo;Die Gedanken stehen in demselben Verh&auml;ltnis
zu dem Gehirn, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren&laquo;, lehnte selbst
sein engster Gesinnungsgenosse Ludwig B&uuml;chner diese Sorte von Volksaufkl&auml;rung
ab.</P>
<P>Freiligrath erbat nun von Marx ein Urteil &uuml;ber das politische Programm
<A NAME="S288"></A><B>|288|*</B>, das ihm Vogt vorgelegt hatte, und erhielt die
lakonische Antwort: Kannegie&szlig;erei. Etwas ausf&uuml;hrlicher schrieb dar&uuml;ber
Marx an Engels: Deutschland gibt seine au&szlig;erdeutschen Besitzungen auf. Unterst&uuml;tzt
nicht &Ouml;streich. Der franz&ouml;sische Despotismus ist vor&uuml;bergehend,
der &ouml;sterreichische bleibend. Man erlaubt beiden Despoten zu verbluten. (Sogar
gewisse Hinneigung zu Bona[parte] sichtbar.) Deutschland bewaffnete Neutralit&auml;t.
An revolution&auml;re Bewegung in Deutschland ist, wie Vogt &#155;aus bester Quelle
wei&szlig;&#139;, nicht zu denken, solange wir leben. Folglich, sobald &Ouml;streich
ruiniert durch Bona[parte], beginnt von selbst eine reichsregentschaftlich gem&auml;&szlig;igt
liberalnationale Entwicklung in dem Vaterland, und Vogt wird vielleicht noch preu&szlig;ischer
Hofnarr.&laquo; Der Argwohn, den Marx schon in diesen Zeilen andeutete, wurde ihm zur
Gewi&szlig;heit, als Vogt zwar noch nicht die geplante Wochenschrift, aber Studien
zur gegenw&auml;rtigen Lage Europas herausgab, eine Schrift, deren geistiger Zusammenhang
mit den bonapartistischen Schlagworten nicht mehr zu verkennen war.</P>
<P>Au&szlig;er an Freiligrath hatte sich Vogt auch an Karl Blind gewandt, einen
badischen Fl&uuml;chtling, der mit Marx seit den Revolutionsjahren befreundet
gewesen war und noch einen Beitrag in die &raquo;Neue Rheinische Revue&laquo; gestiftet hatte,
aber doch nicht zu seinen engsten Gesinnungsgenossen geh&ouml;rte. Blind z&auml;hlte
vielmehr zu jenen &raquo;ernschten&laquo; Republikanern, denen der &raquo;Kanton Badisch&laquo; immer
noch der Nabel der Welt war. Namentlich Engels hatte seinen lustigen Spott mit
diesen &raquo;Staatsm&auml;nnern&laquo;, deren Gesinnung sich bei all ihrer d&uuml;steren
Erhabenheit gew&ouml;hnlich in einer unerme&szlig;lichen Ehrfurcht vor dem eigenen
Ich aufl&ouml;ste. Blind trat nun an Marx mit Enth&uuml;llungen &uuml;ber Vogts
landesverr&auml;terische Umtriebe heran, f&uuml;r die er Beweise zu haben behauptete.
Vogt erhalte bonapartistische Subvention f&uuml;r seine Agitation; er habe einen
s&uuml;ddeutschen Schriftsteller mit 30.000 Gulden bestechen wollen; auch in London
seien Bestechungsversuche vorgefallen; schon im Sommer 1858 sei in Genf, in einer
Zusammenkunft zwischen dem Prinzen Jer&ocirc;me Napoleon, Fazy und Konsorten,
der italienische Krieg beraten und der russische Gro&szlig;f&uuml;rst Konstantin
als k&uuml;nftiger K&ouml;nig von Ungarn bezeichnet worden.</P>
<P>Diese Mitteilungen erw&auml;hnte Marx gespr&auml;chsweise, als Biscamp ihn
besuchte, um seine Mitarbeit f&uuml;r &raquo;Das Volk&laquo; zu gewinnen, indem er hinzuf&uuml;gte,
es sei s&uuml;ddeutsche Manier, das Kolorit hoch aufzutragen. Ohne Marx zu fragen,
benutzte Biscamp einige von Blinds Angaben, um in einem witzelnden Artikel des
&raquo;Volks&laquo; den &raquo;Reichsregenten als Reichsverr&auml;ter&laquo; zu denunzieren und ein Exemplar
dieser Nummer an <A NAME="S289"></A><B>|289|</B> Vogt zu senden. Vogt antwortete
im &raquo;Bieler Handelscourier&laquo; mit einer &raquo;Warnung&laquo; der Arbeiter vor jener &raquo;Clique
von Fl&uuml;chtlingen&laquo;, die ehedem in der schweizerischen Emigration unter dem
Namen der &raquo;B&uuml;rstenheimer&laquo; oder der &raquo;Schwefelbande&laquo; bekannt gewesen w&auml;ren
und sich nunmehr in London unter ihrem Chef Marx gesammelt h&auml;tten, um sich
mit dem Anspinnen von Verschw&ouml;rungen unter den deutschen Arbeitern zu besch&auml;ftigen,
von Verschw&ouml;rungen, die von Anfang an den geheimen Polizeien des Festlandes
bekannt w&auml;ren und die Arbeiter ins Ungl&uuml;ck st&uuml;rzten. Marx lie&szlig;
sich dies &raquo;Sauartikelchen&laquo; nicht weiter anfechten und begn&uuml;gte sich damit,
es im &raquo;Volk&laquo; niedriger h&auml;ngenzulassen.</P>
<P>Als er sich dann aber Anfang Juni nach Manchester begab, um unter den dortigen
Parteifreunden f&uuml;r das &raquo;Volk&laquo; zu sammeln, fand Liebknecht in der Druckerei
der Zeitung den Korrekturbogen eines anonymen, gegen Vogt gerichteten Flugblattes
vor, das die Enth&uuml;llungen Blinds enthielt und, wie der Setzer V&ouml;gele
bezeugte, von Blind in einem eigenh&auml;ndigen Manuskript zum Druck &uuml;bergeben
worden war, wie denn auch die Korrekturen des Bogens Blinds Handschrift trugen.
Von Hollinger selbst erhielt Liebknecht ein paar Tage darauf einen Abzug und sandte
ihn der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; in Augsburg ein, f&uuml;r die er seit einigen Jahren
korrespondierte. Er f&uuml;gte hinzu, das Flugblatt habe einen der ehrbarsten
deutschen Fl&uuml;chtlinge zum Verfasser, und die darin vorgebrachten Tatsachen
k&ouml;nnten s&auml;mtlich bewiesen werden.</P>
<P>Als das Flugblatt in der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; erschienen war, klagte Vogt
wegen Verleumdung. Die Redaktion verlangte nun zu ihrer Verteidigung die verhei&szlig;enen
Beweise von Liebknecht, und dieser wandte sich an Blind. Aber Blind lehnte ab,
sich in die Angelegenheiten einer ihm fremden Zeitung zu mischen, und bestritt
&uuml;berhaupt seine Verfasserschaft, wenn er auch zugeben mu&szlig;te, den tats&auml;chlichen
Inhalt an Marx mitgeteilt und zum Teil auch in der &raquo;Free Press&laquo;, einem Organ Urquharts,
ver&ouml;ffentlicht zu haben. Marx ging die Sache zun&auml;chst gar nichts an,
und Liebknecht selbst war vollkommen darauf gefa&szlig;t, von ihm verleugnet zu
werden. Gleichwohl glaubte Marx, sein Bestes tun zu sollen, um Vogt zu entlarven,
der ihn bei den Haaren in die Sache gezogen hatte. Allein auch seine Versuche,
Blind zum Gest&auml;ndnis zu bringen, scheiterten an dessen Hartn&auml;ckigkeit,
und Marx mu&szlig;te sich mit dem schriftlichem Zeugnis des Setzers V&ouml;gele
begn&uuml;gen, wonach das Manuskript des in der ihm bekannten Handschrift Blinds
geschrieben und in Hollingers Druckerei gesetzt wie gedruckt worden sei. F&uuml;r
die Schuld Vogts war damit freilich noch nichts bewiesen.</P>
<P>Ehe es indessen zur gerichtlichen Verhandlung in Augsburg kam, <A NAME="S290"></A><B>|290|</B>
f&uuml;hrte das Schillerfest, der hundertste Geburtstag des Dichters am 10. November
1859, zu neuem Streit in der Londoner Emigration. Man wei&szlig;, wie dieser Tag
von den Deutschen in der Heimat und in der Fremde gefeiert wurde, um mit Lassalle
zu sprechen, als ein Zeugnis f&uuml;r die &raquo;geistige Einheit&laquo; des deutschen Volkes
und als &raquo;ein fr&ouml;hliches Unterpfand seiner nationalen Auferstehung&laquo;. Auch
in London wurde eine Feier geplant. Sie sollte im Kristallpalast stattfinden,
und ihre &Uuml;bersch&uuml;sse waren bestimmt, eine Schilleranstalt zu gr&uuml;nden,
mit einer Bibliothek und j&auml;hrlichen Vortr&auml;gen, die immer an Schillers
Geburtstag beginnen sollten. Leider aber wu&szlig;te sich die Fraktion Kinkel
der Vorbereitungen zu dem Feste zu bem&auml;chtigen und in geh&auml;ssig-kleinlichem
Sinne f&uuml;r sich auszubeuten. W&auml;hrend sie einen Beamten der preu&szlig;ischen
Gesandtschaft, der sich in den Tagen des K&ouml;lner Kommunistenprozesses einen
sehr &uuml;blen Namen gemacht hatte, zur Teilnahme aufforderte, suchte sie die
proletarischen Elemente der Fl&uuml;chtlingsschaft abzuschrecken; ein gewisser
Bettziech, der sich als Schriftsteller Beta nannte und den literarischen Handlanger
Kinkels spielte, machte in der &raquo;Gartenlaube&laquo; die geschmackloseste Reklame f&uuml;r
seinen Herrn und Meister, w&auml;hrend er in ebenso geschmackloser Weise die Mitglieder
des Arbeiterbildungsvereins verh&ouml;hnte, die sich an dem Schillerfest zu beteiligen
beabsichtigten.</P>
<P>Unter diesen Umst&auml;nden empfanden es Marx und Engels peinlich, da&szlig;
Freiligrath sich herbeilie&szlig;, bei der Feier im Kristallpalast neben oder
nach dem Festredner Kinkel als Festdichter aufzutreten. Marx warnte den alten
Freund vor jeder Beteiligung an der &raquo;Kinkeldemonstration&laquo;. Freiligrath gab nun
auch zu, da&szlig; die Sache ihr Bedenkliches habe und m&ouml;glicherweise irgendwelchen
pers&ouml;nlichen Eitelkeiten dienen solle, aber er meinte, als deutscher Poet
k&ouml;nne er sich f&uuml;glich nicht ganz fernhalten. Das spreche doch f&uuml;r
sich selbst. Bei der Schillerfeier komme es doch zuletzt nicht auf die Nebenzwecke
einer Fraktion an, wenn sie &uuml;berhaupt welche habe. In den Vorbereitungen
des Festes machte er dann freilich &raquo;merkw&uuml;rdige Erfahrungen&laquo; und glaubte
(trotz seiner eingewurzelten Narrheit, Menschen und Dinge von der besseren Seite
aufzufassen), da&szlig; Marx mit seiner Warnung recht haben m&ouml;ge. Aber er
blieb dabei, durch seine Anwesenheit und das eine Zeichen seiner Beteiligung tr&uuml;ge
er mehr zur Durchkreuzung gewisser Absichten bei, als wenn er sich fernhielte.</P>
<P>Damit war Marx jedoch nicht einverstanden und noch weniger Engels, der sich
in sehr zornigen Worten &uuml;ber Freiligraths Poeteneitelkeit und Literatenzudringlichkeit,
verbunden mit Pantoffelkriecherei&laquo; <A NAME="S291"></A><B>|291|*</B> auslie&szlig;.
Das hie&szlig; den Bogen &uuml;berspannen. Die damalige Schillerfeier war in der
Tat etwas anderes als einer der &uuml;blichen Festrummel, womit der deutsche Spie&szlig;er
die Denker und Dichter zu feiern pflegt, die wie die Kraniche &uuml;ber seine
Schlafm&uuml;tze geflogen sind. Sie fand auch in der &auml;u&szlig;ersten Linken
ihren Widerhall.</P>
<P>Als sich Marx bei Lassalle &uuml;ber Freiligrath beschwerte, antwortete Lassalle:
&raquo;Es mag sein, da&szlig; Freiligrath besser getan h&auml;tte, dem Feste nicht beizuwohnen.
Aber die Kantate zu dichten, hat er jedenfalls gut getan. Sie war von allem, was
zu dieser Gelegenheit erschien, bei weitem das Sch&ouml;nste&laquo; In Z&uuml;rich dichtete
Herwegh das Festlied, und in Paris hielt Schily die Festrede. In London beteiligte
sich auch der Arbeiterbildungsverein an der Feier im Kristallpalast, nachdem er
am vorhergehenden Tage durch eine Robert-Blum-Feier, bei der Liebknecht sprach,
sein politisches Gewissen salviert hatte. Ja, in Manchester betrieb Siebel, ein
junger Poet aus dem Wuppertal, in erster Reihe die Feier, ohne da&szlig; Engels,
der mit ihm entfernt verwandt war, daran besonderen Ansto&szlig; nahm. Er schrieb
zwar an Marx, er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, jedoch Siebel mache
den Epilog, &raquo;nat&uuml;rlich ordin&auml;re Deklamation, aber in anst&auml;ndiger
Form&laquo;; &raquo;au&szlig;erdem dirigiert dieser Bummler die Auff&uuml;hrung von &#155;Wallensteins
Lager&#139;; ich war zweimal in der Probe, wenn die Kerle frech sind, kann es passabel
werden&laquo;. Sp&auml;ter ist Engels selbst Vorsitzender der Schilleranstalt geworden,
die bei diesem Anla&szlig; in Manchester gegr&uuml;ndet wurde, und Wilhelm Wolff
hat dieselbe Anstalt in seinem Testament mit einem namhaften Legat bedacht.</P>
<P>In denselben Tagen nun, wo die gereizte Stimmung zwischen Freiligrath und Marx
entstand, verhandelte das Bezirksgericht in Augsburg die Klage Vogts gegen die
&raquo;Allgemeine Zeitung&laquo;. Vogt wurde kostenpflichtig abgewiesen, aber die juristische
Niederlage gestaltete sich f&uuml;r ihn zu einem moralischen Triumph. Die angeklagten
Redakteure vermochten nicht den geringsten Beweis f&uuml;r Vogts Bestechlichkeit
beizubringen und ergingen sich, wie Marx allzu milde urteilte, in einem &raquo;politisch
geschmacklosen Kauderwelsch&laquo;, das die sch&auml;rfste Verurteilung nicht etwa nur
vom politischen, sondern auch vom moralischen Standpunkt aus verdiente. Sie trumpften
mit dem Satz auf, da&szlig; die pers&ouml;nliche Ehre eines politischen Gegners
vogelfrei sei; wie k&ouml;nnten bayrische Richter einem Manne sein Recht geben,
der die bayrische Regierung heftig angegriffen habe und wegen seiner revolution&auml;ren
Umtriebe im Auslande leben m&uuml;sse! Die ganze sozialistisch-demokratische Partei
Deutschlands, die vor elf Jahren die Morgentr&auml;ume ihrer Freiheit durch den
Mord der <A NAME="S292"></A><B>|292|</B> Generale Latour, Gagern und Auerswald
und des F&uuml;rsten Lichnowskl eingeweiht habe, w&uuml;rde einen wahren Jubel
aufschlagen, wenn die verklagten Redakteure verurteilt w&uuml;rden. Gl&uuml;cke
der Versuch Vogts, so entstehe die tr&ouml;stliche Aussicht, da&szlig; auch Klapka,
Kossuth, Pulszki, Teleki, Mazzini vor dem Augsburger Bezirksgericht als Kl&auml;ger
erscheinen w&uuml;rden.</P>
<P>Trotz ihrer gemeinen Pfiffigkeit oder vielmehr gerade wegen ihrer imponierte
diese Verteidigung den Richtern. Ihr juristisches Gewissen reichte zwar noch so
weit, um die Verklagten nicht freizusprechen, die mit ihren Beweisen so ganz und
gar ausgefallen waren, aber es reichte nicht weit genug, um einem Manne, der bei
der bayrischen Regierung wie bei der bayrischen Bev&ouml;lkerung &auml;u&szlig;erst
verha&szlig;t war, sein Recht zu geben. So ergriffen sie begierig den rettenden
Gedanken, den ihnen der Staatsanwalt unter den Fu&szlig; gab: aus formalen Gr&uuml;nden
verwiesen sie die Sache an das Schwurgericht, wo Vogt seiner Verurteilung um so
sicherer sein konnte, als hier kein Beweis der Wahrheit zul&auml;ssig war und
die Geschworenen keine Gr&uuml;nde f&uuml;r ihr Urteil anzugeben brauchten.</P>
<P>Wenn sich Vogt auf dies ungleiche Spiel nicht einlie&szlig;, so lie&szlig;
sich ihm daraus kein Vorwurf machen. Im Gegenteil konnte er sich im Glanze des
doppelten M&auml;rtyrers sonnen: er war nicht nur ins Blaue hinein verd&auml;chtigt,
sondern ihm war auch sein Recht verweigert worden. Mancherlei Nebenumst&auml;nde
kamen hinzu, seinen Triumph zu erh&ouml;hen. Es machte einen sehr fatalen Eindruck,
als seine Proze&szlig;gegner einen Brief Biscamps vorzeigten, worin dieser erste
&ouml;ffentliche Ankl&auml;ger Vogts, unter dem Eingest&auml;ndnis, keine wirklichen
Beweise zu haben, einige vage Vermutungen &auml;u&szlig;erte, die er mit der Frage
kr&ouml;nte, ob ihn die &raquo;Allgemeine Zeitung&laquo; nach dem Eingehen des &raquo;Volks&laquo; nicht
als zweiten Londoner Korrespondenten neben Liebknecht anstellen wolle. Auch die
Redaktion der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; setzte noch nach Beendigung des Prozesses
ihr Gefasel fort, Vogt sei ja von seinesgleichen gerichtet worden, von Marx und
von Freiligrath; von alter Zeit her sei bekannt, da&szlig; Marx ein sch&auml;rferer
und konsequenterer Denker sei als Vogt und Freiligrath diesem an politischer Sittlichkeit
&uuml;berlegen sei.</P>
<P>Bereits in einer schriftlichen Verteidigung, die der Redakteur Kolb dem Gericht
eingereicht hatte, war Freiligrath als Mitarbeiter des &raquo;Volks&laquo; und Ankl&auml;ger
Vogts genannt worden; Kolb hatte eine briefliche, nicht ganz klare &Auml;u&szlig;erung
Liebknechts in diesem Sinne mi&szlig;verstanden. Sobald der Bericht der &raquo;Allgemeinen
Zeitung&laquo; &uuml;ber den Proze&szlig; in London eingetroffen war, sandte ihr Freiligrath
eine kurze Erkl&auml;rung des Inhalts, da&szlig; er niemals Mitarbeiter des &raquo;Volks&laquo;
gewesen und sein Name ohne sein Wissen und Willen unter die Ankl&auml;ger Vogts
<A NAME="S293"></A><B>|293|</B> aufgenommen worden sei. Aus dieser Erkl&auml;rung
hat man unliebsame Schlu&szlig;folgerungen insoweit gezogen, als Vogt zu den Intimen
Fazys geh&ouml;rte, von dem Freiligraths Stellung an der Schweizer Bank abhing,
aber diese Schlu&szlig;folgerungen w&auml;ren erst dann berechtigt gewesen, wenn
Freiligrath irgendwie verpflichtet gewesen w&auml;re, gegen Vogt aufzutreten.
Davon konnte gar keine Rede sein. Freiligrath hatte sich um die ganze Sache bis
dahin durchaus nicht bek&uuml;mmert, und er konnte sich mit allem Fug verbitten,
da&szlig; Kolb sich hinter seinen Namen verstecken wollte, sobald der Karren schief
ging. Freilich konnte man aus der lakonisch trockenen Form Freiligraths auch eine
mittelbare Absage an Marx herauslesen; Marx selbst vermi&szlig;te an der Erkl&auml;rung
eine noch so leise Andeutung, die ihr den Schein benommen h&auml;tte, als sei
sie ein pers&ouml;nlicher Bruch mit ihm oder eine &ouml;ffentliche Lossagung von
der Partei. Und dieser Mangel mochte sich wohl aus einer gewissen Mi&szlig;stimmung
Freiligraths erkl&auml;ren: ihm wollte Marx von Parteiwegen verbieten, ein harmloses
Gedicht zu Ehren Schillers zu ver&ouml;ffentlichen, aber er sollte sofort zum
Einspringen bereit sein, wenn Marx einen Streit begonnen hatte, zu dem ihn niemand
zwang.</P>
<P>Der b&ouml;se Schein wurde noch dadurch verst&auml;rkt, da&szlig; gleichzeitig
Blind eine Erkl&auml;rung in der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; ver&ouml;ffentlichte, worin
er zwar Vogts Politik &raquo;unbedingt verurteilte&laquo;, aber die Behauptung, da&szlig;
er das gegen Vogt gerichtete Flugblatt verfa&szlig;t habe, f&uuml;r eine platte
Unwahrheit erkl&auml;rte. Er f&uuml;gte zwei Zeugnisse bei, eins, worin Fidelio
Hollinger die Behauptung des Setzers V&ouml;gele, als sei das Flugblatt in seiner
Druckerei gedruckt und von Blind verfa&szlig;t worden, eine &raquo;b&ouml;swillige Erdichtung&laquo;
nannte, und ein anderes, worin der Setzer Wiehe dies Zeugnis Hollingers als richtig
best&auml;tigte.</P>
<P>Zudem h&auml;ufte ein ungl&uuml;cklicher Zufall den Z&uuml;ndstoff, der sich
zwischen Freiligrath und Marx zu sammeln begann. Eben jetzt erschien in der &raquo;Gartenlaube&laquo;
ein Aufsatz Betas, worin der literarische Tro&szlig;bube Kinkels in bombastischem
Stil den Dichter Freiligrath verherrlichte, um mit einer p&ouml;belhaften Schimpferei
&uuml;ber Marx zu schlie&szlig;en. Dieser ungl&uuml;ckselige Virtuose giftspritzenden
Hasses habe Freiligrath um Stimme, um Freiheit, um Charakter gebracht; der Dichter
habe nicht oft mehr gesungen, seitdem Marx ihn angehaucht habe.</P>
<P>Alle diese Dinge schienen jedoch nach einigen brieflichen H&auml;keleien zwischen
Freiligrath und Marx mit dem bewegten Jahre 1859 ins Meer der Vergessenheit zu
sinken. Aber mit dem neuen Jahre tauchten sie wieder auf, denn der biedere Vogt
wollte durchaus das alte Sprichwort erh&auml;rten, da&szlig; der Esel aufs Eis
geht, wenn ihm zu wohl wird.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">4. Zwischenspiele<A name="Kap_4"></A></H3>
<P><B><A NAME="S294">|294|</A></B> Um die Jahreswende ver&ouml;ffentlichte Vogt
eine Schrift unter dem Titel &raquo;Mein Proze&szlig; gegen die Allgemeine Zeitung&laquo;.
Sie enthielt den stenographischen Bericht &uuml;ber die Verhandlung vor dem Augsburger
Bezirksgericht und eine Sammlung der Erkl&auml;rungen oder sonstigen Urkunden,
die bei dem Streit ans Licht gekommen waren, beides ganz vollst&auml;ndig und
wortgetreu.</P>
<P>Dazwischen aber befand sich eine noch ausf&uuml;hrlichere Wiedergabe des alten
Klatsches &uuml;ber die &raquo;Schwefelbande&laquo;, den Vogt schon im &raquo;Bieler Handelscourier&laquo;
niedergelegt hatte. Insbesondere wurde Marx als Haupt einer Erpresserbande geschildert,
die davon lebe, &raquo;Leute im Vaterlande&laquo; so zu kompromittieren, da&szlig; sie das
Schweigen der Bande durch Geld erkaufen m&uuml;&szlig;ten. &raquo;Nicht einer&laquo;, hie&szlig;
es w&ouml;rtlich, &raquo;Hunderte von Briefen sind von diesen Menschen nach Deutschland
geschrieben worden, welche die unverh&uuml;llte Losung enthielten, da&szlig; man
die Beteiligung an diesem oder jenem Akte der Revolution denunzieren werde, wenn
nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine gewisse Summe an eine bezeichnete
Adresse gelange.&laquo; Es war die &auml;rgste, aber weitaus nicht die einzige Verleumdung,
die Vogt gegen Marx schleuderte. Wie durch und durch verlogen aber die ganze Darstellung
sein mochte, so war sie doch mit allerlei halbwahren Tatsachen aus der Geschichte
der Emigration so gemischt, da&szlig; sie eine genaue Kenntnis aller Einzelheiten
voraussetzte, um nicht auf den ersten Blick zu verbl&uuml;ffen und diese Kenntnis
war am wenigsten bei dem deutschen Philister vorauszusetzen.</P>
<P>Die Schrift machte denn auch ein betr&auml;chtliches Aufsehen und wurde namentlich
von der liberalen Presse in Deutschland mit lautem Jubel begr&uuml;&szlig;t. Die
&raquo;Nationalzeitung&laquo; brachte zwei lange Leitartikel daraus, die, als sie Ende Januar
in London eintrafen, auch im Hause von Marx gro&szlig;en Aufruhr erregten und
namentlich seine Frau tief ersch&uuml;tterten. Da die Schrift selbst in London
nicht zu haben war, so eilte Marx zu Freiligrath mit der Anfrage, ob dieser nicht
von seinem &raquo;Freunde&laquo; Vogt ein Exemplar erhalten habe. Freiligrath antwortete verletzt,
weder sei Vogt sein &raquo;Freund&laquo;, noch besitze er ein Exemplar der Schrift.</P>
<P>&Uuml;ber die Notwendigkeit einer Antwort war sich Marx von vornherein klar,
sowenig er sonst geneigt sein mochte, auf noch so massenhafte Schimpfereien zu
antworten; er meinte, die Presse bes&auml;&szlig;e das Recht, Schriftsteller,
Politiker, Kom&ouml;dianten und andere &ouml;ffentliche Charakter zu beleidigen.
Noch ehe die Schrift Vogts in London eintraf, entschlo&szlig; <A NAME="S295"></A><B>|295|</B>
Marx, die &raquo;National-Zeitung&laquo; gerichtlich zu belangen. Sie beschuldigte ihn einer
Reihe krimineller und infamierender Handlungen, und zwar vor einem Publikum, das,
aus Parteivorurteilen ohnehin geneigt, die gr&ouml;&szlig;te Ungeheuerlichkeit
zu glauben, bei seiner elfj&auml;hrigen Abwesenheit aus Deutschland, ohne den
geringsten Anhaltspunkt zu seiner pers&ouml;nlichen Beurteilung war. Er schuldete
es nicht nur politischen R&uuml;cksichten, sondern auch seiner Frau und seinen
Kindern, die ehrenr&uuml;hrigen Anklagen der &raquo;National-Zeitung&laquo; einer gerichtlichen
Pr&uuml;fung zu unterwerfen, wobei er sich eine literarische Antwort auf Vogt
vorbehielt.</P>
<P>Zun&auml;chst rechnete Marx mit Blind ab, von dem er immer noch annahm, da&szlig;
Blind Beweise gegen Vogt in der Tasche habe und nur aus Gevatterschaftsr&uuml;cksichten,
wie sie am letzten Ende ein vulg&auml;rer Demokrat dem andern vulg&auml;ren Demokraten
schulde, nicht damit herausr&uuml;cken wolle. Anscheinend hat Marx darin geirrt,
und Engels war auf richtigerem Wege, wenn er annahm, Blind habe sich aus alberner
Wichtigtuerei die Einzelheiten &uuml;ber Vogts Bestechungsversuche aus den Fingern
gesogen und sich, sobald die Sache brenzlich wurde, aufs Ableugnen gelegt, wobei
er immer tiefer in den Sumpf geriet. Am 4. Februar erlie&szlig; Marx in englischer
Sprache ein an den Redakteur der &raquo;Free Press&laquo; gerichtetes Rundschreiben, worin
er &ouml;ffentlich die Erkl&auml;rung Blinds, Wiehes und Hollingers, wonach das
anonyme Flugblatt nicht in Hollingers Gesch&auml;ftslokal gedruckt worden sei,
eine infame L&uuml;ge, und obgenannten Karl Blind somit einen infamen L&uuml;gner
nannte, der sich, wenn er sich durch diese Beschuldigung beschwert f&uuml;hle,
bei einem englischen Gerichtshofe sein Recht holen k&ouml;nne. Davor h&uuml;tete
sich Blind wohlweislich und versuchte sich aus der Aff&auml;re zu ziehen, indem
er ein langes Inserat in der &raquo;Allgemeinen Zeitung&laquo; erlie&szlig;, worin er sich
scharf gegen Vogt aussprach und ihn durch die Blume der Bestechlichkeit zieh,
aber die Verfasserschaft des Flugblattes nach wie vor ableugnete.</P>
<P>Damit gab sich Marx keineswegs zufrieden. Es gelang ihm, den Setzer Wiehe vor
das Polizeigericht zu stellen und zu einem Affidavit zu veranlassen (einer Erkl&auml;rung
an Eides Statt, die, wenn falsch, alle gesetzlichen Folgen des Meineids nach sich
zog), worin Wiehe nunmehr best&auml;tigte, da&szlig; er selbst den Satz des Flugblattes
in Hollingers Druckerei f&uuml;r den Wiederabdruck im &raquo;Volk&laquo; umbrochen, auch auf
dem Korrekturbogen mehrere Druckfehler in Blinds Handschrift verbessert gesehen
habe, und da&szlig; ihm sein fr&uuml;heres entgegengesetztes Zeugnis durch Hollinger
und Blind abgelockt worden sei, von Hollinger durch Geldversprechungen, von Blind
durch Zusicherung k&uuml;nftigen Dankes. Damit <A NAME="S296"></A><B>|296|</B>
war Blind dem englischen Gerichtsbann verfallen, und Ernest Jones erkl&auml;rte
sich bereit, sofort auf Wiehes Affidavit hin einen Verhaftsbefehl gegen Blind
zu erwirken, f&uuml;gte jedoch hinzu, wenn die Sache einmal angezeigt sei, k&ouml;nne
sie als kriminelle Aktion nicht r&uuml;ckg&auml;ngig gemacht werden, und er selbst
w&uuml;rde sich als Advokat strafbar machen, wenn er dann noch irgendeinen Ausgleich
versuchen wollte.</P>
<P>Soweit wollte es Marx, aus R&uuml;cksicht auf Blinds Familie, nicht kommen
lassen. Er sandte das Affidavit Wiehes an Louis Blanc, der mit Blind befreundet
war, mit einem Brief, worin er sagte, nicht um Blinds willen, der es reichlich
verdient h&auml;tte, sondern um Blinds Familie willen w&uuml;rde er bedauern,
wenn er gezwungen werden sollte, eine Kriminaluntersuchung gegen Blind einzuleiten.
Das wirkte. Am 15. Februar 1860 erschien im &raquo;Daily Telegraph&laquo;, der inzwischen
die Schm&auml;hungen der &raquo;National-Zeitung&laquo; wiederholt hatte, eine Notiz, worin
sich ein gewisser Schaible, ein Hausfreund Blinds, als Verfasser des Flugblatts
nannte. Dabei lie&szlig; es Marx bewenden, so durchsichtig das Man&ouml;ver war;
er war jetzt frei von jeder Verantwortung f&uuml;r den Inhalt des Flugblatts.</P>
<P>Ehe er gegen Vogt selbst vorging, suchte er sich mit Freiligrath auszus&ouml;hnen,
dem er sowohl das Rundschreiben gegen Blind, wie das Affidavit Wiehes zugesandt
hatte, ohne eine Antwort zu erhalten. Er wandte sich zum letzten Male an ihn,
um ihm darzulegen, welche Wichtigkeit der Fall Vogt f&uuml;r die geschichtliche
Rechtfertigung der Partei und ihre sp&auml;tere Stellung in Deutschland gewonnen
habe. Er bem&uuml;hte sich, die Beschwerden zu widerlegen, die Freiligrath etwa
gegen ihn haben k&ouml;nne; &raquo;worin ich irgendwo gegen Dich gefehlt habe, so bin
ich jeden Augenblick bereit, meine Fehler einzugestehn. Nihil humani a me alienum
puto [Mehring &uuml;bersetzt: Nichts Menschliches halte ich mir fremd]&laquo;. Er begreife
wohl, da&szlig; f&uuml;r Freiligrath in dessen jetziger Stellung die Aff&auml;re
nur widerw&auml;rtig sein k&ouml;nne, aber Freiligrath werde einsehen, da&szlig;
es unm&ouml;glich sei, ihn ganz aus dem Spiele zu lassen. &raquo;Wenn wir beide das
Bewu&szlig;tsein haben, da&szlig; wir, jeder in seiner Weise, mit Hintansetzung
aller Privatinteressen und aus den reinsten Motiven, jahrelang das Banner f&uuml;r
die &#155;classe la plus laborieuse et la plus mis&eacute;rable&#139; hoch &uuml;ber den
Philisterk&ouml;pfen schwangen, so w&uuml;rde ich es f&uuml;r eine kleinliche
S&uuml;nde gegen die Geschichte halten, sollten wir uns wegen Lappalien - alle
in Mi&szlig;verst&auml;ndnisse aufl&ouml;sbar - entzweien.&laquo; Der Brief schlo&szlig;
mit der Versicherung der aufrichtigsten Freundschaft.</P>
<P>Freiligrath schlug in die dargebotene Hand ein, aber doch nicht so herzlich,
wie der &raquo;herzlose&laquo; Marx sie geboten hatte. Er wollte der classe <A NAME="S297"></A><B>|297|</B>
la plus laborieuse et la plus mis&eacute;rable treu bleiben, wie er ihr stets
treu geblieben sei, und ebenso seinem pers&ouml;nlichen Verh&auml;ltnis zu Marx
als einem Freunde und Gesinnungsgenossen. Aber, so f&uuml;gte er hinzu: &raquo;Der Partei
habe ich diese sieben Jahre hindurch (seit Aufh&ouml;rung des Kommunistenbundes)
fern gestanden, ihre Versammlungen sind von mir unbesucht, ihre Beschl&uuml;sse
und Handlungen sind mir fremd geblieben. Faktisch also war mein Verh&auml;ltnis
zur Partei l&auml;ngst gel&ouml;st, wir haben uns gegenseitig dar&uuml;ber nie
get&auml;uscht, es war das eine Art stillschweigender Vereinbarung zwischen uns.
Und ich kann nur sagen, da&szlig; ich mich wohl dabei befunden habe. Meiner, und
der Natur jedes Poeten, tut die Freiheit not. Auch die Partei ist ein K&auml;fig,
und es singt sich, selbst f&uuml;r die Partei, besser draus als drin. Ich bin
Dichter des Proletariats und der Revolution gewesen, bevor ich Mitglied des Bundes
und Mitglied der Redaktion der &#155;Neuen Rheinischen Zeitung&#139; war. So will ich denn
auch ferner auf eigenen F&uuml;&szlig;en stehen, will nur mir selbst geh&ouml;ren
und will selbst &uuml;ber mich disponieren.&laquo; Darin kam Freiligraths alte Abneigung
gegen den Kleinkram der politischen Agitation zu lebhaftem Ausdruck; sie lie&szlig;
ihn selbst Dinge sehen, die niemals gewesen waren; die Versammlungen, die er nicht
besucht haben, die Beschl&uuml;sse und Reden, denen er immer fremd geblieben sein
wollte, hatten niemals stattgefunden.</P>
<P>Darauf wies Marx in seiner Antwort hin und nachdem er abermals alle noch m&ouml;glichen
Mi&szlig;verst&auml;ndnisse aufgel&ouml;st hatte, schrieb er, an ein Lieblingswort
Freililgraths ankn&uuml;pfend: &raquo;&#155;Trotz alledem und alledem&#139; wird <I>Philister
&uuml;ber mir </I>f&uuml;r uns stets ein be&szlig;rer Wahlspruch sein, als <I>Unter
dem Philister</I>. Ich habe offen meine Ansicht gesagt, die Du hoffentlich im
wesentlichen teilst. Ich habe ferner das Mi&szlig;verst&auml;ndnis zu beseitigen
gesucht, als ob ich unter &#155;Partei&#139; einen seit acht Jahren verstorbnen &#155;Bund&#139; oder
eine seit zw&ouml;lf Jahren aufgel&ouml;ste Zeitungsredaktion verstehe. Unter
Partei verstand ich die Partei im gro&szlig;en historischen Sinn.&laquo; Es war ein
so treffendes wie vers&ouml;hnendes Wort, denn im gro&szlig;en historischen Sinne
geh&ouml;ren beide M&auml;nner zusammen - trotz alledem und alledem. Das Wort
ehrte Marx um so mehr, als er nach den bubenhaften Angriffen, die Vogt gegen ihn
gerichtet hatte, wohl beanspruchen konnte, da&szlig; Freiligrath nunmehr &ouml;ffentlich
jeden Schein der Gemeinsamkeit mit Vogt zerst&ouml;ren w&uuml;rde. Jedoch Freiligrath
begn&uuml;gte sich damit, den freundschaftlichen Verkehr mit Marx wiederaufzunehmen;
sonst beharrte er in seiner Zur&uuml;ckhaltung, die ihm Marx gerade dadurch erleichterte,
da&szlig; er fortan nach M&ouml;glichkeit vermied, Freiligraths Namen in die Sache
zu ziehen.</P>
<P><B><A NAME="S298">|298|</A></B> Anders verlief eine Auseinandersetzung, in
die Marx mit Lassalle wegen des Falles Vogt geriet. Marx hatte zuletzt im November
des Vorjahres an Lassalle wegen ihrer italienischen Streitfrage geschrieben, und
zwar, wie er selbst sagte, &raquo;bohnengrob&laquo;, so da&szlig; er sich das Schweigen Lassalles
auf diesen Brief aus verletzter Empfindlichkeit erkl&auml;rte. Nach den Angriffen
der &raquo;National-Zeitung&laquo; w&uuml;nschte Marx begreiflicherweise eine Verbindung in
Berlin zu haben und bat Engels die Sache mit Lassalle wieder einzurenken, der
doch, verglichen mit anderen, immer noch eine &raquo;Pferdekraft&laquo; sei. Das bezog sich
darauf, da&szlig; ein preu&szlig;ischer Assessor Fischel sich bei Marx als Urquhartit
eingef&uuml;hrt und zu allen guten Diensten in der deutschen Presse erboten hatte.
Lassalle, dem Fischel Gr&uuml;&szlig;e von Marx &uuml;berbracht hatte, wollte
freilich von dem &raquo;unf&auml;higen und unwissenden Subjekte&laquo; nichts wissen, und
wie immer sich dieser bald darauf t&ouml;dlich verungl&uuml;ckte Mann in London
gebart haben mochte, so geh&ouml;rte er in Deutschland jedenfalls zur literarischen
Leibgarde des Herzogs von Coburg, die mit Recht den &uuml;belsten Ruf geno&szlig;.</P>
<P>Ehe jedoch Engels sein Gewerbe bei Lassalle anbringen konnte, schrieb dieser
selbst an Marx, erkl&auml;rte sein l&auml;ngeres Schweigen aus Mangel an Zeit
und forderte lebhaft, da&szlig; in der &raquo;h&ouml;chst fatalen Geschichte&laquo; mit Vogt
etwas geschehe, da sie gro&szlig;e Wirkung in der &Ouml;ffentlichkeit mache; bei
denen, die Marx kennten, werde diesem die Schilderung Vogts nicht schaden, wohl
aber bei allem, die ihn nicht kennten, denn sie sei k&uuml;nstlich genug mit halben
Tatsachen belegt, um jedem unscharfen Auge alles als ganze Wahrheit erscheinen
zu lassen. Im besonderen hob Lassalle zwei Punkte hervor. Einmal sei Marx selbst
nicht ohne Schuld, da er einen so erb&auml;rmlichen L&uuml;gner, als der sich
Blind wenigstens nachtr&auml;glich herausgestellt habe, die schwersten Beschuldigungen
gegen Vogt aufs Wort geglaubt habe; besitze Marx sonst keine Beweise, so m&uuml;sse
er seine Verteidigung damit beginnen, die Anklage auf Bestechlichkeit gegen Vogt
zur&uuml;ckzunehmen. Lassalle erkannte an, es geh&ouml;re eine wirklich starke
Selbst&uuml;berwindung dazu, jemandem, von dem man so ma&szlig;los und ungerecht
angegriffen worden sei, gerecht zu werden, aber Marx m&uuml;sse diesen Beweis
von gutem Glauben geben, wenn er seine Verteidigung nicht von vornherein unwirksam
machen wolle. Dann aber nahm Lassalle den st&auml;rksten Ansto&szlig; an Liebknecht
T&auml;tigkeit f&uuml;r ein so reaktion&auml;res Blatt, wie die &raquo;Allgemeine Zeitung&laquo;
sei; das werde im Publikum einen Sturm von Verwunderung und Unwillen gegen die
Partei erregen.</P>
<P>Marx besa&szlig; noch nicht die Schrift Vogts, als er diesen Brief erhielt,
<A NAME="S299"></A><B>|299|</B> und konnte deshalb die Sache noch nicht richtig
&uuml;bersehen. Aber es war begreiflich, da&szlig; ihn die Zumutung wenig erbaute,
mit einer Ehrenerkl&auml;rung f&uuml;r Vogt zu beginnen, f&uuml;r dessen bonapartistische
Umtriebe er noch andere Zeugnisse hatte als Blinds Klatschereien. Auch dem scharfen
Urteil &uuml;ber Liebknechts T&auml;tigkeit f&uuml;r die &raquo;Allgemeine Zeitung&laquo;
konnte er nicht beistimmen. Er war am wenigsten ein Freund dieses Blattes, mit
dem er zur Zeit der beiden Rheinischen Zeitungen in heftigster Fehde gelegen hatte,
aber kontrerevolution&auml;r, wie die Augsburgerin sonst sein mochte, so lie&szlig;
sie auf dem Gebiete der ausw&auml;rtigen Politik die verschiedensten Standpunkte
gelten. In dieser Beziehung nahm sie von jeher eine Ausnahmestellung in der deutschen
Presse ein.</P>
<P>Marx antwortete also verdrie&szlig;lich, die &raquo;Allgemeine Zeitung&laquo; sei in seinen
Augen so gut wie die &raquo;Volks-Zeitung&laquo;; er werde die &raquo;National-Zeitung&laquo; verklagen
und gegen Vogt schreiben, aber in der Vorrede erkl&auml;ren, er frage den Teufel
nach dem Urteil des deutschen Publikums. Diese unwilligen Worte legte nun wieder
Lassalle zu sehr auf die Waagschale; er verwahrte sich dagegen, da&szlig; ein
vulg&auml;rdemokratisches Blatt, wie die &raquo;Volks-Zeitung&laquo; mit dem &raquo;verrufensten
Schandblatt Deutschlands&laquo; in einem Atem genannt w&uuml;rde. In der Hauptsache
aber warnte er vor der gerichtlichen Prozedur gegen die &raquo;National-Zeitung&laquo;, wenigstens
solange bis die literarische Widerlegung Vogts da w&auml;re, und sprach schlie&szlig;lich
die Hoffnung aus, da&szlig; Marx aus diesem Briefe keinen verletzenden Eindruck,
sondern nur den Eindruck &raquo;redlicher, herzlicher Freundschaft&laquo; empfangen w&uuml;rde.</P>
<P>Darin irrte Lassalle. Marx schrieb &uuml;ber den Brief in den st&auml;rksten
Ausdr&uuml;cken an Engels, und gegen Lassalle spielte er selbst die &raquo;offiziellen
Anklagen&laquo; aus, die Levy seiner Zeit gegen Lassalle nach London gebracht hatte.
Es geschah freilich in der Form, da&szlig; Marx seinen Mangel an vorzeitigem Mi&szlig;trauen
dadurch beweisen wollte. Er wollte zeigen, da&szlig; er sich durch diese &raquo;offiziellen
Anklagen&laquo; und &auml;hnliches Gerede an Lassalle nicht habe irre machen lassen.
Aber bei dem Kaliber der Denunziationen konnte Lassalle in ihrer Nichtbeachtung
kein besonderes Verdienst entdecken, und er r&auml;chte sich in einer seiner w&uuml;rdigen
Weise, indem er eine so sch&ouml;ne wie &uuml;berzeugende Schilderung der Aufopferung
und Treue entwarf, die er in den Tagen der w&uuml;stesten Reaktion den rheinischen
Arbeitern erwiesen hatte.</P>
<P>Lassalle war von Marx anders behandelt worden als Freiligrath, aber so handelte
er auch anders als dieser. Er riet nach seinem besten Wissen und Gewissen, aber
er half nicht weniger mit der Tat, weil sein Rat mi&szlig;achtet wurde.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">5. &raquo;Herr Vogt&laquo;<A name="Kap_5"></A></H3>
<P><A NAME="S300"><B>|300|</B></A> Alsbald bew&auml;hrte sich die Warnung Lassalles
vor der Anrufung der preu&szlig;ischen Gerichte. Durch die Vermittelung Fischels
hatte Marx den Justizrat Weber beauftragt, seine Klage gegen die &raquo;National-Zeitung&laquo;
bei dem dortigen Stadtgericht einzureichen, erreichte aber nicht einmal so viel,
wie Vogt vor dem Augsburger Bezirksgerichte erreicht hatte, n&auml;mlich da&szlig;
seine Klage &uuml;berhaupt verhandelt wurde.</P>
<P>Das Stadtgericht erkl&auml;rte, die Klage sei wegen &raquo;mangelnden Tatbestandes&laquo;
abzuweisen, da die beleidigenden &Auml;u&szlig;erungen nicht von der &raquo;National-Zeitung&laquo;
selbst gemacht worden w&auml;ren, sondern nur in &raquo;blo&szlig;en Zitaten anderer
Personen&laquo; best&auml;nden. Diesen platten Bl&ouml;dsinn wies nun allerdings das
Kammergericht zur&uuml;ck, aber nur um ihn durch den h&ouml;heren Bl&ouml;dsinn
zu &uuml;bertrumpfen, es sei &uuml;berhaupt keine Beleidigung f&uuml;r Marx, wenn
er als das &raquo;z&uuml;gelnde und &uuml;berlegene&laquo; Haupt einer Erpresser- und Falschm&uuml;nzerbande
dargestellt werde. In dieser famosen Auslegung vermochte das Obertribunal einen
&raquo;Rechtsirrtum&laquo; nicht zu entdecken, und so war Marx mit seiner Klage bei allen
Instanzen abgeblitzt.</P>
<P>Es blieb ihm noch die literarische Widerlegung Vogts, die ihn fast das ganze
Jahr besch&auml;ftigte. Um all den Klatsch und Kram zu widerlegen, den Vogt aufgew&uuml;hlt
hatte, war ein weitl&auml;ufiger Briefwechsel n&ouml;tig, der sich &uuml;ber drei
Weltteile erstreckte; erst am 17. November 1860 konnte Marx die Schrift abschlie&szlig;en,
die er einfach &raquo;Herr Vogt&laquo; betitelte. Es ist die einzige seiner selbst&auml;ndigen
Schriften, die bisher noch in keinem Neudruck erschienen <A name="ZT3"></A><A href="fm03_272.htm#Z3"><SPAN class="top">[3]</SPAN></A> ist und nur noch in wenigen
Exemplaren vorhanden sein mag, was sich daraus erkl&auml;rt, da&szlig; sie - an
sich schon umfangreich: zw&ouml;lf Bogen engen Drucks, so da&szlig; Marx selbst
meinte, in gew&ouml;hnlichem Druck w&uuml;rde sie den doppelten Umfang haben -
heute noch obendrein eines weitl&auml;ufigen Kommentars bed&uuml;rfte, um in allen
Anspielungen und Beziehungen verstanden zu werden.</P>
<P>Das lohnt sich aber nicht durchweg. Viele der Emigrantengeschichten, auf die
Marx eingehen mu&szlig;te, weil der Angreifer ihn dazu zwang, sind heute mit Recht
verschollen, und man wird schwer ein Gef&uuml;hl des Unbehagens los, wenn man
diesen Mann sich verteidigen h&ouml;ren mu&szlig; gegen verleumderische Angriffe,
die nicht einmal den Saum seiner Schuhsohlen beflecken konnten. Daneben bietet
die Schrift dann freilich auch wieder f&uuml;r literarische Feinschmecker einen
seltenen Genu&szlig;. Gleich auf der ersten Seite schl&auml;gt Marx das Thema
an, das er mit dem Witz eines Shakespeare durchzuf&uuml;hren wei&szlig;, von &raquo;Karl
Vogts Urtyp, dem unsterblichen <A NAME="S301"></A><B>|301|*</B> Sir John Falstaff,
der in seiner zoologischen Wiedergeburt keinesfalls an <I>Stoff</I> eingeb&uuml;&szlig;t&laquo;<A name="ZT4"></A><A href="fm03_272.htm#Z4"><SPAN class="top">[4]</SPAN></A>
habe. Doch wei&szlig; er sich vor jeder Eint&ouml;nigkeit zu h&uuml;ten; seine
gewaltige Belesenheit in alter und neuer Literatur lieferte ihm Pfeil auf Pfeil,
um sie mit t&ouml;dlicher Sicherheit auf den dreisten Verleumder abzuschnellen.</P>
<P>Die &raquo;Schwefelbande&laquo; entpuppte sich als eine kleine Gesellschaft lustiger Studenten,
die nach dem Scheitern des badisch-pf&auml;lzischen Aufstandes im Winter von 1849
auf 1850 durch ihren Galgenhumor die Genfer Sch&ouml;nen bezaubert und die Genfer
Spie&szlig;er erschreckt hatte, aber seit zehn Jahren zerstoben war. Von ihrem
harmlosen Treiben entwarf einer aus ihrer Mitte, der nun als wohlbestallter Kaufmann
in der City von London lebte, Sigismund Borkheim, ein heiteres Bild, das Marx
gleich im ersten Kapitel seiner Schrift ausstellte. Er gewann in Borkheim einen
treuen Freund, wie er &uuml;berhaupt die Genugtuung hatte, da&szlig; ihm viele
Mitglieder der Emigration nicht nur in England, sondern auch in Frankreich und
der Schweiz, mochten sie ihm sonst fernstehen oder selbst ganz unbekannt sein,
ihre Hilfe gew&auml;hrten, so namentlich auch Johann Philipp Becker, der kampferprobte
Veteran der schweizerischen Arbeiterbewegung.</P>
<P>Doch es ist unm&ouml;glich, hier im einzelnen aufzuz&auml;hlen, wie Marx die
R&auml;nke und Schw&auml;nke Vogts aufdeckte, so da&szlig; von ihnen auch nicht
das armseligste Br&ouml;cklein &uuml;brigblieb. Wichtiger war ohnehin der vernichtende
Gegensto&szlig;, den er f&uuml;hrte, indem er nachwies, da&szlig; Vogts Propaganda
gleicherma&szlig;en in ihrer Perfidie wie in ihrer Unwissenheit ein Echo der Stichworte
war, die der falsche Bonaparte ausgegeben hatte. In den Tuilerienpapieren, die
nach dem Sturze des zweiten Kaiserreichs von der Regierung der nationalen Verteidigung
herausgegeben worden sind, hat sich denn auch die Quittung &uuml;ber den S&uuml;ndenlohn
von 40.000 Franken gefunden, die Vogt im August 1859 aus den geheimen Fonds des
Dezembermannes erhalten hatte: vermutlich durch Vermittelung ungarischer Revolution&auml;re,
wenn man anders die f&uuml;r Vogt mildeste Auslegung gelten lassen will. Er war
besonders mit Klapka befreundet und hatte nicht begriffen, da&szlig; die deutsche
Demokratie anders zu Bonaparte stand als die ungarische. Dieser mochte erlaubt
sein, was f&uuml;r jene ein schm&auml;hlicher Verrat war. </P>
<P>Wie es aber immer um Vogts Antriebe stehen mochte, und selbst wenn er kein
bares Geld aus den Tuilerien empfangen h&auml;tte, so hat Marx in der schl&uuml;ssigsten
und unwiderleglichsten Weise den Beweis gef&uuml;hrt, da&szlig; Vogts Propaganda
ganz auf die bonapartistischen Stichworte eingestellt war. Diese Kapitel sind
mit den blendenden Schlaglichtern, die sie auf <A NAME="S302"></A><B>|302|</B>
die damaligen europ&auml;ischen Zust&auml;nde werfen, die wertvollsten Abschnitte
der Schrift, die heute noch reiche Belehrung gew&auml;hren; Lothar Bucher, der
damals eher feindliche als freundliche Beziehungen zu Marx hatte, nannte sie bei
ihrem Erscheinen ein Kompendium der Zeitgeschichte. Lassalle aber bekannte in
seiner ehrlichen und offenen Weise, indem er die Schrift &raquo;als ein in jeder Beziehung
meisterhaftes Ding&laquo; begr&uuml;&szlig;te, er finde es jetzt ganz gerechtfertigt
und in der Ordnung, da&szlig; Marx von Vogts Bestechlichkeit &uuml;berzeugt sei.
Marx habe den &raquo;inneren Beweis mit einer immensen Evidenz&laquo; gef&uuml;hrt. Engels
stellte die Schrift sogar &uuml;ber den &raquo;Achtzehnten Brumaire&laquo;; sie sei einfacher
im Stil und wenn n&ouml;tig, ebenso effektvoll, &uuml;berhaupt die beste polemische
Arbeit, die Marx geschrieben habe. Die historisch bedeutsamste seiner Polemiken
ist sie jedenfalls nicht geworden; sie ist mehr und mehr im Schatten verschwunden,
w&auml;hrend der &raquo;Achtzehnte Brumaire&laquo; und nun gar die Streitschrift gegen Proudhon
mehr und mehr ins Licht getreten sind. Zum Teil liegt das an dem Stoff, denn schlie&szlig;lich
war der Fall Vogt doch nur eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig unbedeutende Episode,
zum Teil aber auch an Marx selbst, an seiner gro&szlig;en Art und auch an seinen
kleinen Schw&auml;chen.</P>
<P>Es war ihm nicht gegeben, auf die niedrige Stufe der Polemik herabzusteigen,
auf der man den Philister &uuml;berzeugt, obgleich es sich in diesen Falle gerade
doch auch darum handelte, die Vorurteile der Spie&szlig;b&uuml;rge auf den Kopf
zu schlagen. &Uuml;berzeugt hat die Schrift nur, wie es Frau Marx in einem Brief
etwas naiv, aber um so treffender ausdr&uuml;ckte, &raquo;alle bedeutenden Leute&laquo;, das
hei&szlig;t mit anderen Worten, alle Leute, die gar nicht erst &uuml;berzeugt
zu werden brauchten, da&szlig; Marx nicht der Kujon sei, den Vogt aus ihm machen
wollte, aber die Geschmack und Verstand genug besa&szlig;en, die literarischen
Vorz&uuml;ge der Schrift zu genie&szlig;en; &raquo;selbe der alte Feind Ruge nannte
sie eine gute Schnurre&laquo;, meinte Frau Marx. Aber f&uuml;r die vaterl&auml;ndischen
Biederm&auml;nner war die Schrift viel zu hoch, und in ihre Kreise ist sie kaum
gedrungen; noch in den Tagen des Sozialistengesetzes haben so anspruchsvolle Schriftsteller,
wie Bamberger und Treitschke, die &raquo;Schwefelbande&laquo; Vogts gegen die deutsche Sozialdemokratie
aufmarschieren lassen.</P>
<P>Dazu kam dann das ausgesuchte Pech, das Marx in allen gesch&auml;ftliche Angelegenheiten,
und wenigstens in diesem Falle nicht ohne eigene Schuld, hatte. Engels dr&auml;ngte
darauf, die Schrift in Deutschland drucken und verlegen zu lassen, was unter den
damaligen Pre&szlig;verh&auml;ltnissen schon m&ouml;glich war, und Lassalle riet
ebenfalls dazu. Dieser allerdings nur wegen der geringeren Kosten, w&auml;hrend
Engels noch triftigere Gr&uuml;nde ins Feld zu f&uuml;hren wu&szlig;te: &raquo;Wir haben
die Erfahrung mit der <A NAME="S303"></A><B>|303|</B> Emigrationsliteratur nun
schon hundertmal gemacht, immer dieselbe Effektlosigkeit, stets Geld und Arbeit
in den Dreck geworfen, und den Arger dazu ... Was kann uns eine Antwort an Vogt
n&uuml;tzen, die niemand zu sehen bekommt?&laquo; Marx aber bestand darauf, die Schrift
einem jungen deutschen Verleger in London zu geben, auf Teilung von Gewinn und
Verlust, und mit einem Vorschu&szlig; von 25 Pfund f&uuml;r die Druckkosten, zu
dem Borkheim 12 und Lassalle 8 Pfund beisteuerten. Die neue Firma stand jedoch
auf so schwachen F&uuml;&szlig;en, da&szlig; sie nicht nur den Vertrieb der Schrift
nach Deutschland ungen&uuml;gend besorgte, sondern sich alsbald selbst aufl&ouml;ste,
und Marx hat nicht nur von seinem Vorschu&szlig; keinen Heller wiedergesehen,
sondern auf eine gerichtliche Klage, die ein Sozius des Verlegers gegen ihn anstrengte,
fast ebensoviel nachzahlen m&uuml;ssen, da er vers&auml;umt hatte, einen schriftlichen
Vertrag abzufassen, und nun f&uuml;r die gesamten Unkosten des Unternehmens haftbar
gemacht wurde.</P>
<P>Als der Streit mit Vogt begann, schrieb ihm sein Freund Imandt: &raquo;Ich m&ouml;chte
nicht dazu verurteilt sein, dar&uuml;ber zu schreiben, und ich werde mich h&ouml;chlichst
wundern, wenn es Dir m&ouml;glich sein wird, in eine solche Sauce Deine Hand zu
stecken.&laquo; &Auml;hnliche Abmahnungen wurden von russischen und ungarischen Emigranten
an Marx gerichtet. Heute w&auml;re man versucht zu w&uuml;nschen, da&szlig; er
auf diese Stimmen geh&ouml;rt h&auml;tte. Der Teufelskrakeel hat ihm einige neue
Freunde geworben und ihn namentlich wieder mit dem Londoner Arbeiterbildungsverein,
der sofort mit aller Wucht f&uuml;r ihn eintrat, in freundliche Beziehungen gebracht.
Aber das gro&szlig;e Werk seines Lebens hat er eher gehemmt als gef&ouml;rdert,
trotz oder vielmehr wegen der kostbaren Opfer an Kraft und Zeit, die er ohne rechten
Gewinn verschlang, und auch im eigenen Hause hat er ihm schweres Ungemach geschaffen.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">6. H&auml;usliches und Pers&ouml;nliches<A name="Kap_6"></A></H3>
<P>H&auml;rter als Marx selbst war seine Frau, die mit ihrer ganzen Seele an ihm
hing, durch &raquo;den schrecklichen &Auml;rger mit dem infamen Angriff&laquo; Vogts getroffen
worden. Er kostete ihr viele schlaflose N&auml;chte, und wie tapfer sie immer
aushielt und das umfangreiche Manuskript f&uuml;r den Druck abschrieb, so brach
sie doch zusammen, als sie kaum den letzten Federzug getan hatte. Der herbeigerufene
Arzt erkl&auml;rte, sie sei in den Pocken erkrankt und die Kinder m&uuml;&szlig;ten
sofort das Haus verlassen.</P>
<P><B><A NAME="S304">|304|</A></B> Es kamen furchtbare Tage. Die Kinder wurden
von Liebknechts aufgenommen und Marx selbst &uuml;bernahm mit Lenchen Demuth die
Pflege seiner Frau. Sie litt Uns&auml;gliches an brennenden Schmerzen, an Schlaflosigkeit,
an Todesangst um ihren Mann, der nicht von ihrem Bette wich, an dem Verlust aller
&auml;u&szlig;eren Sinne, w&auml;hrend ihr Bewu&szlig;tsein stets klar blieb.
Nach einer Woche erst trat die rettende Krisis ein. Dank dem Umstande, da&szlig;
Frau Marx zweimal geimpft worden war. Und schlie&szlig;lich erkl&auml;rte der
Arzt die schreckliche Krankheit noch f&uuml;r ein Gl&uuml;ck. Die nerv&ouml;se
&Uuml;berreizung, in der Frau Marx seit vielen Monaten gelebt hatte, war die Ursache
gewesen, da&szlig; sie das Gift in einem Laden oder Omnibus oder sonstwo aufgenommen
hatte, aber ohne diese Krankheit h&auml;tte ihr Nervenzustand zu einem noch gef&auml;hrlicheren
Nervenfieber oder &auml;hnlichem gef&uuml;hrt.</P>
<P>Kaum begann sie zu genesen, als Marx selbst durch &uuml;bergro&szlig;e Angst,
Sorge und Qu&auml;lereien aller Art aufs Krankenlager geworfen wurde. Zum ersten
Male trat sein chronisches Leberleiden in akuter Form auf. Auch hier sah der Arzt
die Ursache in der ewigen Aufregung. W&auml;hrend Marx f&uuml;r die m&uuml;hsame
Arbeit an &raquo;Herrn Vogt&laquo; nicht einen Heller einnahm, setzte die &raquo;New-York Daily
Tribune&laquo; ihn wieder einmal auf Halbsold, und die Gl&auml;ubiger st&uuml;rmten
das Haus. Nach seiner Genesung entschlo&szlig; sich Marx, wie seine Frau an Frau
Weydemeyer schrieb, &raquo;einen Raubzug nach Holland, ins Land der V&auml;ter, des
Tabaks und des K&auml;ses zu machen&laquo;; er wolle sehen, ob er seinem Onkel einige
Spezies ablocken k&ouml;nne.</P>
<P>Dieser Brief ist vom 11. M&auml;rz 1861 datiert, und wie er von sonnigem Humor
durchleuchtet ist, legt er beredtes Zeugnis ab f&uuml;r die &raquo;Schwungkraft der
Natur&laquo;, die Jenny Marx in ihrer Art nicht weniger besa&szlig; als ihr Gatte. Weydemeyers,
denen im amerikanischen Exil auch ihr P&auml;ckchen an Sorgen beschieden gewesen
war, hatten sich nach langen Jahren des Schweigens wieder gemeldet, und Frau Marx
sch&uuml;ttete &raquo;der tapferen, treuen Leidensgef&auml;hrtin, K&auml;mpferin und
Dulderin&laquo; sofort ihr ganzes Herz aus. Was sie in allem Elend und Jammer aufrecht
erhielt, &raquo;der Glanzpunkt unseres Daseins, die Lichtseite unseres Lebens&laquo;, war
die Freude an ihren Kindern. Die siebzehnj&auml;hrige Jenny &auml;hnelte mehr
dem Vater, &raquo;mit den dunkeln, gl&auml;nzenden, reichen Haaren und den ebenso dunkeln,
gl&auml;nzenden, sanften Augen und dem dunkeln Kreolenteint, der aber echt englische
bl&uuml;hende Tinten angenommen hat&laquo;. Die f&uuml;nfzehnj&auml;hrige Laura war
mehr das Ebenbild der Mutter, &raquo;mit dem wellenf&ouml;rmigen, sich kr&auml;uselnden,
kastanienbraunen Haar und den gr&uuml;nlich schillernden Augen, die wie ewige
Freudenfeuer flackern&laquo;. &raquo;Ein wahrhaft <A NAME="S305"></A><B>|305|*</B> bl&uuml;hendes
Kolorit zeichnet beide Schwestern aus, die wirklich beide so wenig eitel sind,
da&szlig; ich mich oft im stillen &uuml;ber sie wundere um so mehr, als ich von
ihrer Frau Mama aus ihren j&uuml;ngeren Jahren, als sie noch im Fl&uuml;gelkleide
war, nichts gleiches berichten kann.&laquo;</P>
<P>Aber soviel Freude die beiden &auml;lteren T&ouml;chter den Eltern machten,
so war &raquo;der Abgott und Verzug des ganzen Hauses&laquo; doch das j&uuml;ngste T&ouml;chterchen
Eleanor oder Tussy, wie ihr Kosename lautete. &raquo;Das Kind wurde gerade geboren,
als mein armer lieber Edgar von uns schied, und alle Liebe zum Br&uuml;derchen,
alle Z&auml;rtlichkeit f&uuml;r ihn wurde nun auf das kleine Schwesterchen &uuml;bertragen,
das die &auml;lteren M&auml;dchen mit fast m&uuml;tterlicher Sorgfalt gehegt und
gepflegt haben. Es gibt aber auch wohl kaum ein lieblicheres Kind, bildh&uuml;bsch
und launigen Humors. Besonders zeichnet sich das Kind durch sein allerliebstes
Sprechen und Erz&auml;hlen aus. Das hat es von seinen Br&uuml;dern Grimm gelernt,
die Tag und Nacht seine Begleiter sind. Wir alle lesen uns stumm und dumm an den
M&auml;rchen, aber wehe uns, wenn im Rumpelstilzchen oder im K&ouml;nig Drosselbart
oder im Schneewittchen auch nur eine Silbe ausgelassen wird. Durch diese M&auml;rchen
hat das Kind neben dem Englischen, das in der Luft liegt, auch das Deutsche gelernt,
das es mit besonderer Regelrichtigkeit und P&uuml;nktlichkeit spricht. Das Kind
ist Karls wahrer Liebling und lacht und schwatzt ihm manche Sorge weg.&laquo; Dann wird
auch des treuen Hausgeistes Lenchen gedacht. &raquo;Fragen Sie Ihren lieben Mann nach
ihr; er wird Ihnen sagen, welch einen Schatz ich an ihr habe. Sie ist seit sechzehn
Jahren durch Sturm und Wetter mit uns gesegelt.&laquo; Der k&ouml;stliche Brief schlie&szlig;t
mit einem Bericht &uuml;ber die Freunde, die, wo sie sich ihrem Karl nicht ganz
bew&auml;hrt haben, nach echter Frauenart strenger beurteilt werden als von ihm
selbst. &raquo;Ich liebe halbe Ma&szlig;nahmen nicht&laquo;; so hat Frau Jenny mit dem weiblichen
Teil der Familie Freiligrath ganz gebrochen.</P>
<P>Derweil war der &raquo;Raubzug&laquo; in Holland beim Onkel Philips leidlich gegl&uuml;ckt.
Von da ging Marx nach Berlin, um einen Plan zu verfolgen, den Lassalle wiederholt
angeregt hatte, die Gr&uuml;ndung eines eigenen Parteiorgans, dessen Notwendigkeit
sich in der Krise des Jahres 1859 besonders f&uuml;hlbar gemacht hatte und dessen
M&ouml;glichkeit durch die Amnestie geschaffen worden war, die der nunmehrige
K&ouml;nig Wilhelm im Januar 1861 bei seiner Thronbesteigung erlassen hatte. Sie
war sch&auml;big genug, voller Fallt&uuml;ren und Hintertreppen, aber sie gestattete
den ehemaligen Redakteuren der &raquo;Neuen Rheinischen Zeitung&laquo; immerhin die Heimkehr
nach Deutschland.</P>
<P>In Berlin wurde Marx von Lassalle &raquo;mit gro&szlig;er Freundschaft&laquo; aufgenommen,
allein der &raquo;Platz&laquo; blieb ihm &raquo;pers&ouml;nlich widrig&laquo;. Keine <A NAME="S306"></A><B>|306|</B>
hohe Politik, sondern nur Zank mit der Polizei und der Gegensatz zwischen Milit&auml;r
und Zivil. &raquo;Der Ton, der in Berlin herrscht, ist frech und frivol. Die Kammern
sind verachtet.&laquo; Selbst im Vergleich mit der Vereinbarern von 1848, die sicher
auch keine Titanen gewesen seien, sah Marx in dem preu&szlig;ischen Abgeordnetenhaus
mit seinen Simsons und Vinckes &raquo;ein sonderbares Mixtum von Beamten- und Schulstube&laquo;;
die einzigen wenigstens anst&auml;ndig aussehenden Figuren in diesem Pygm&auml;enstall
seien Waldeck auf der einen Seite, auf der anderen Wagener und Don Quichotte von
Blankenburg. Immerhin aber glaubte Marx einen allgemeinen Aufkl&auml;rungsduft
und in einem gro&szlig;en Teil des Publikums gro&szlig;e Unzufriedenheit mit der
b&uuml;rgerlichen Presse zu sp&uuml;ren; Leute von jedem Range betrachteten eine
Katastrophe als unvermeidlich. Bei den im Herbst bevorstehenden Wahlen w&uuml;rden
die ehemaligen Vereinbarer, die der K&ouml;nig als rote Republikaner f&uuml;rchte,
unbedingt gew&auml;hlt werden, und &uuml;ber die neuen Milit&auml;rvorlagen k&ouml;nne
es zum Klappen kommen. So hielt Marx diesen Zeitungsplan Lassalles an und f&uuml;r
sich f&uuml;r erw&auml;genswert.</P>
<P>Aber doch nicht in der Ausf&uuml;hrung, wie sie Lassalle plante. Lassalle wollte
neben Marx Chefredakteur sein und als dritten Chefredakteur auch Engels zulassen,
unter der Bedingung, da&szlig; Marx und Engels nicht mehr Stimmen haben d&uuml;rften
als er, da er sonst jedesmal &uuml;berstimmt werden w&uuml;rde. Vermutlich hat
Lassalle diesen abenteuerlichen Plan, der die geplante Zeitung von vornherein
zum totgeborenen Kinde gemacht h&auml;tte, nur im Laufe eines fl&uuml;chtigen
Gespr&auml;ches hingeworfen, indessen kommt es darauf um so weniger an, als Marx
&uuml;berhaupt nicht geneigt war, ihm einen irgend bestimmenden Einflu&szlig;
einzur&auml;umen. Geblendet durch das Ansehen, das er in gewissen Gelehrtenkreisen
durch seinen &raquo;Heraklit&laquo; und in einem andern Kreise von Schmarotzern durch guten
Wein und K&uuml;che habe, wisse Lassalle - so urteilte Marx - nat&uuml;rlich nicht,
da&szlig; er im gro&szlig;en Publikum verrufen sei. &raquo;Au&szlig;erdem seine Rechthaberei;
sein Stecken im &#155;spekulativen Begriff&#139; (der Bursche tr&auml;umt sogar von einer
neuen hegelschen Philosophie auf der 2ten Potenz, die er schreiben will), seine
Infektion mit altem franz&ouml;sischem Liberalismus, seine breitspurige Feder,
Zudringlichkeit, Taktlosigkeit usw. Lassalle k&ouml;nnte als einer der Redakteure,
unter strenger Disziplin, Dienste leisten. Sonst nur blamieren.&laquo; So berichtete
Marx an Engels &uuml;ber die Verhandlungen mit Lassalle, mit dem Hinzuf&uuml;gen,
er habe, um den Gastfreund nicht zu kr&auml;nken, seinen endg&uuml;ltigen Beschlu&szlig;
verschoben, bis er mit Engels und Wilhelm Wolff beraten habe. Engels hatte &auml;hnliche
Bedenken wie Marx und winkte ab.</P>
<P><B><A NAME="S307">|307|</A></B> Im &uuml;brigen war der ganze Plan ein spanisches
Luftschlo&szlig;, wie ihn Lassalle einmal vorahnend genannt hatte. Zu den T&uuml;cken
der preu&szlig;ischen Amnestie geh&ouml;rte auch, da&szlig; sie den Fl&uuml;chtlingen
der Revolutionsjahre, soweit sie ihnen die straflose Heimkehr unter halbwegs annehmbaren
Bedingungen gew&auml;hrte, doch keineswegs das Heimatsrecht wiedergab, das sie
nach den preu&szlig;ischen Gesetzen durch mehr als zehnj&auml;hrigen Aufenthalt
im Auslande verloren hatten. Wer von ihnen heute heimkehrte, konnte morgen wieder
durch die &uuml;ble Laune irgendeines Polizeipaschas &uuml;ber die Grenze gejagt
werden. F&uuml;r Marx kam noch hinzu, da&szlig; er schon mehrere Jahre vor der
Revolution, allerdings unter dem Druck preu&szlig;ischer Polizeiplackereien, aber
doch durch ausdr&uuml;cklichen Antrag, seine Entlassung aus dem preu&szlig;ischen
Staatsverbande genommen hatte. Als sein bevollm&auml;chtigter Vertreter setzte
nun Lassalle Himmel und H&ouml;lle in Bewegung, um ihm das preu&szlig;ische Staatsb&uuml;rgerrecht
zu erwerben; er machte zu diesem Zweck dem Berliner Polizeipr&auml;sidenten von
Zedlitz wie dem Grafen Schwerin, dem Minister des Innern, einer Haupts&auml;ule
der Neuen &Auml;ra, die sch&ouml;nsten T&auml;nze, aber vergebens! Zedlitz erkl&auml;rte,
es l&auml;ge kein anderer Grund gegen die Naturalisation von Marx vor, als dessen
&raquo;republikanische oder mindestens nicht royalistische Gesinnung&laquo;, und Schwerin
antwortete auf Lassalles nachdr&uuml;ckliche Vorstellungen, er m&ouml;ge doch
nicht dieselbe &raquo;Gesinnungsinquisition und Verfolgung wegen politischen Gesinnungen&laquo;
treiben, die er an seinen Vorg&auml;ngern Manteuffel und Westphalen so scharf
getadelt habe, mit dem trockenen Bescheide, es seien &raquo;zur Zeit wenigstens durchaus
keine besonderen Gr&uuml;nde vorhanden, die f&uuml;r die Erteilung der Naturalisation
an den p. Marx sprechen k&ouml;nnten&laquo;. Ein Staatswesen wie das preu&szlig;ische,
konnte den p. Marx allerdings nicht ertragen; darin hatten diese obskuren Minister
schon recht, der Graf Schwerin wie seine Vorg&auml;nger K&uuml;hlwetter und Manteuffel.</P>
<P>Von Berlin unternahm Marx noch einen Abstecher in die Rheinlande, besuchte
alte Freunde in K&ouml;ln und seine betagte Mutter in Trier, die ihrer Aufl&ouml;sung
entgegenging; in den ersten Tagen des Mai war er wieder in London. Er hoffte jetzt,
dem gehetzten Leben der Familie ein Ende zu machen und sein Buch zu vollenden.
In Berlin war ihm die wiederholt gescheiterte Ankn&uuml;pfung mit der &raquo;Wiener
Presse&laquo; gelungen, die ihm den Leitartikel mit einem Pfund und die Korrespondenz
mit der H&auml;lfte zu honorieren versprach; auch die Verbindung mit der &raquo;New-York
Daily Tribune&laquo; schien sich wieder zu beleben. Sie druckte wiederholt seine Artikel
mit ausdr&uuml;cklichen Hinweisen auf ihre Vortrefflichkeit ab; &raquo;sonderbare Manier
dieser Yankees&laquo;, meinte Marx, &raquo;ihren eignen <A NAME="S308"></A><B>|308|</B> correspondents
testimonia zu erteilen&laquo;. Auch die &raquo;Wiener Presse&laquo; machte &raquo;gro&szlig;es Wesen von
seinen Beitr&auml;gen&laquo;. Aber die alten Schulden waren nie ganz abgetragen worden,
und der Ausfall aller Einnahmen in den Tagen der Krankheit und der deutschen Reise
half &raquo;den alten Dreck wieder aufschwemmen&laquo;; den Neujahrsgru&szlig; an Engels kleidete
Marx in den Fluch, f&uuml;r sein Teil w&uuml;nsche er das neue Jahr zum Teufel,
wenn es dem alten Jahre gleichen sollte.</P>
<P>Das Jahr 1862 glich seinem Vorg&auml;nger nicht nur, sondern &uuml;bertraf
ihn noch an Schrecknissen. Die &raquo;Wiener Presse&laquo; erwies sich trotz aller Reklame,
die sie mit Marx trieb, wom&ouml;glich noch ruppiger als das amerikanische Blatt.
Bereits im M&auml;rz schrieb Marx an Engels: &raquo;Es ist mir gleichg&uuml;ltig, da&szlig;
sie die besten Artikel <I>nicht</I> drucken (obgleich ich <I>immer</I> so schreibe,
da&szlig; sie drucken k&ouml;nnen). Aber pekuni&auml;r geht das nicht, da&szlig;
sie auf 4-5 Artikel einen drucken und nur einen zahlen. Das setzt mich tief unter
die penny-a-liner [Mehring &uuml;bersetzt: Zeilenrei&szlig;er].&laquo; Mit der &raquo;New-York
Daily Tribune&laquo; h&ouml;rte im Laufe des Jahres &uuml;berhaupt jede Verbindung auf,
aus Gr&uuml;nden, die sich im einzelnen nicht mehr feststellen lassen, im allgemeinen
aber auf den amerikanischen Sezessionskrieg zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind.</P>
<P>Obgleich ihn dieser Krieg so in das gr&ouml;&szlig;te Pech brachte, begr&uuml;&szlig;te
Marx ihn mit der lebhaftesten Sympathie. &raquo;Man mu&szlig; sich nicht dar&uuml;ber
t&auml;uschen&laquo;, schrieb er einige Jahre sp&auml;ter in der Vorrede seines wissenschaftlichen
Hauptwerks; &raquo;wie der amerikanische Unabh&auml;ngigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts
die Sturmglocke f&uuml;r die europ&auml;ische Mittelklasse l&auml;utete, so der
amerikanische B&uuml;rgerkrieg d. 19. Jahrh. f&uuml;r die europ&auml;ische Arbeiterklasse.&laquo;<A name="ZT5"></A><A href="fm03_272.htm#Z5"><SPAN class="top">[5]</SPAN></A>
In seinem Briefwechsel mit Engels verfolgte er den Verlauf des Krieges mit eingehendem
Interesse. &Uuml;ber die milit&auml;rischen Einzelheiten lie&szlig; er sich, da
er sich nur als Laien in der Kriegswissenschaft betrachtete, gern von Engels belehren,
und was Engels dar&uuml;ber zu sagen hatte, ist noch heute von hohem, nicht nur
historischem, sondern auch politischem Interesse; so leuchtete er der Milit&auml;r-
und Milizfrage bis auf den Grund mit dem tiefen Worte: Erst eine kommunistisch
eingerichtete und <I>erzogene</I> Gesellschaft kann sich dem Milizsystem sehr
n&auml;hern, und auch da noch asymptotisch [Mehring &uuml;bersetzt: ohne es zu
erreichen].&laquo; Aber in anderem Sinne, wie es der Dichter gemeint hat, bew&auml;hrte
sich hier das Wort, da&szlig; sich in der Beschr&auml;nkung erst der Meister zeige.</P>
<P>Die Meisterschaft, die Engels im milit&auml;rischen Urteil besa&szlig;, schr&auml;nkte
seinen allgemeinen Gesichtskreis ein. Die elende Kriegf&uuml;hrung der Nordstaaten
lie&szlig; ihn mitunter an ihre Niederlage glauben. &raquo;Was mich <A NAME="S309"></A><B>|309|</B>
bei den Yankees an allem Erfolg irremacht&laquo;, schrieb er im Mai 1862, &raquo;ist nicht
die milit&auml;rische Sachlage an und f&uuml;r sich. Sie ist es nur als Resultat
der Schlaffheit und Stumpfheit, die sich im ganzen Norden zeigt. Wo ist die revolution&auml;re
Energie irgendwo im Volk? Sie lassen sich durchhauen und sind ordentlich stolz
auf die Keile, die sie kriegen. Wo ist im ganzen Norden auch nur ein einziges
Symptom, da&szlig; es den Leuten Ernst ist mit irgend etwas? Mir ist so was noch
nicht vorgekommen, in Deutschland in der schlimmsten Zeit nicht. Die Yankees scheinen
sich im Gegenteil am meisten schon darauf zu freuen, da&szlig; sie ihre Staatsgl&auml;ubiger
prellen werden.&laquo; So meinte er im Juli, es sei f&uuml;r den Norden alles aus, und
im September, die Kerle im S&uuml;den, die wenigstens w&uuml;&szlig;ten, was sie
wollten, k&auml;men ihm der schlappen Wirtschaft im Norden gegen&uuml;ber wie
Helden vor.</P>
<P>Dagegen hielt Marx unersch&uuml;tterlich am Siege des Nordens fest. Er antwortete
im September: &raquo;Was die Yankees angeht, so bin ich sicher nach wie vor der Ansicht,
da&szlig; der Norden schlie&szlig;lich siegt ... Die Art, wie der Norden Krieg
f&uuml;hrt, nicht anders zu erwarten von einer <I>b&uuml;rgerlichen</I> Republik,
wo der Schwindel so lange souver&auml;n gethront hat. Der S&uuml;den, eine Oligarchie,
pa&szlig;t besser dazu, namentlich eine Oligarchie, wo die ganze produktive Arbeit
den niggers zuf&auml;llt und die 4 Millionen &#155;white trash&#139; flibustiers [Mehring
&uuml;bersetzt: wei&szlig;e Freibeuter] von Profession sind. Trotz alledem wollte
ich meinen Kopf dagegen wetten, da&szlig; diese Burschen den K&uuml;rzern ziehn
...&laquo; Marx siegte mit der Auffassung, da&szlig; auch der Krieg in letzter Instanz
durch die &ouml;konomischen Zust&auml;nde bestimmt wird, worin die Kriegf&uuml;hrenden
leben.</P>
<P>Diese wundervolle Klarheit war um so bewundernswerter, als derselbe Brief zeigt,
in wie pressender Not Marx damals lebte. Wie er an Engels schrieb, hatte er sich
zu einem Schritt entschlossen, zu dem er sich weder vor- noch nachher hat entschlie&szlig;en
k&ouml;nnen: er hatte sich um einen b&uuml;rgerlichen Beruf beworben und besa&szlig;
einige Aussicht, in einem englischen Eisenbahnb&uuml;ro angestellt zu werden.
Die Sache zerschlug sich - er wu&szlig;te nicht, ob er es ein Gl&uuml;ck oder
Ungl&uuml;ck nennen sollte - an seiner undeutlichen Handschrift. Aber die Not
stieg h&ouml;her und h&ouml;her. Marx selbst kr&auml;nkelte fortw&auml;hrend;
neben neuen Anf&auml;llen seines alten Leberleidens begannen ihn, auf lange Jahre
hinaus, schmerzhafte Karbunkeln und Furunkeln zu plagen, und seine Frau drohte,
unter der g&auml;nzlichen Aussichtslosigkeit der Lage, wieder zusammenzubrechen.
Den Kindern mangelten selbst die f&uuml;r den Schulbesuch n&ouml;tigen Kleider
und Schuhe; w&auml;hrend ihre Kameradinnen sich in dem Jahre der Weltausstellung
<A NAME="S310"></A><B>|310|</B> am&uuml;sierten, &auml;ngstigten sie sich in ihrem
Elende vor jedem Besuch. Die &auml;lteste Tochter, die nun erwachsen genug war,
die ganzen Verh&auml;ltnisse zu durchschauen, begann schwer zu leiden; hinter
dem R&uuml;cken der Eltern machte sie den Versuch, sich f&uuml;rs Theater ausbilden
zu lassen.</P>
<P>So befreundete sich Marx mit einem Gedanken, den er schon lange erwogen, aber
mit R&uuml;cksicht auf die Erziehung der T&ouml;chter immer wieder aufgeschoben
hatte. Er wollte dem Landlord, der ihm schon den Pf&auml;nder ins Haus geschickt
hatte, seine M&ouml;bel &uuml;berlassen, allen &uuml;brigen Gl&auml;ubigern gegen&uuml;ber
sich f&uuml;r bankrott erkl&auml;ren, den beiden &auml;lteren T&ouml;chtern durch
die Vermittlung einer befreundeten englischen Familie Stellen als Gouvernanten
besorgen, Lenchen Demuth in einen anderen Dienst entlassen, selbst aber mit seiner
Frau und dem j&uuml;ngsten T&ouml;chterchen in eine der Mietskasernen ziehen,
die f&uuml;r die Bed&uuml;rfnisse der armen Volksklassen eingerichtet waren.</P>
<P>Engels wandte dies &Auml;u&szlig;erste ab. Er hatte im Fr&uuml;hjahr 1860 seinen
Vater verloren, danach eine g&uuml;nstigere Stellung, freilich auch mit gr&ouml;&szlig;eren
Repr&auml;sentationspflichten, in der Firma Ermen &amp; Engels erhalten und dazu
die Anwartschaft, sp&auml;ter als Teilhaber einzutreten. Aber die amerikanische
Krisis dr&uuml;ckte schwer und beschr&auml;nkte seine Einnahmen empfindlich. In
den ersten Tagen des Jahres 1863 traf ihn das Ungl&uuml;ck, Mary Burns zu verlieren,
das irische Volkskind, dem er seit zehn Jahren durch freie Liebe verbunden war.
Tief ersch&uuml;ttert schrieb er an Marx: &raquo;Ich kann Dir nicht sagen, wie mir zumute
ist. Das arme M&auml;dchen hat mich mit ihrem ganzen Herzen geliebt.&laquo; Marx aber
antwortete - und das zeigte schlagender als alles andere, wie hoch ihm das Wasser
bis an den Hals stand - nicht so teilnehmend, wie Engels erwarten durfte; er ging
mit einigen, innerlich k&uuml;hlen Worten &uuml;ber den Todesfall hinweg und schilderte
eingehend die verzweifelte Lage, worin er sich befand; k&ouml;nne er keine gr&ouml;&szlig;ere
Summe erheben, so dauere die Wirtschaft kaum zwei Wochen mehr. Freilich fand er
es selbst &raquo;scheu&szlig;lich egoistisch&laquo;, dem Freund in diesem Augenblick mit solchen
Dingen zu kommen. &raquo;Und, au bout du compte [Mehring &uuml;bersetzt: Aber schlie&szlig;lich],
was soll ich machen? In ganz London ist kein einziger Mensch, gegen den ich mich
auch nur frei aussprechen kann, und in meinem eignen Hause spiele ich den schweigsamen
Stoiker, um den Ausbr&uuml;chen von der andern Seite das Gegengewicht zu halten.&laquo;
Gleichwohl f&uuml;hlte sich Engels durch die &raquo;frostige Auffassung&laquo; seines Ungl&uuml;cks
durch Marx verletzt, und er machte kein Hehl daraus in seiner Antwort, die er
um einige Tage verz&ouml;gerte. &Uuml;ber eine gr&ouml;&szlig;ere Summe k&ouml;nne
er nicht verf&uuml;gen, doch machte er mehrere Vorschl&auml;ge, Marx dem Pech
zu entrei&szlig;en.</P>
<P><B><A NAME="S311">|311|</A></B> Dieser z&ouml;gerte seine Erwiderung ebenfalls
hin, doch nur, um die Gem&uuml;ter sich beruhigen zu lassen, nicht weil er sich
in seinem Unrecht versteifte. Er bekannte es vielmehr ehrlich und lehnte nur den
Verdacht der &raquo;Herzlosigkeit&laquo; ab: was ihn den Kopf hatte wirbeln machen, sprach
er in diesem und einem sp&auml;teren Briefe offen aus und zugleich in taktvoll
vers&ouml;hnender Form, denn es lag nahe, da&szlig; Engels sich am tiefsten gekr&auml;nkt
f&uuml;hlen mu&szlig;te, weil Frau Marx ihm kein Wort der Teilnahme an dem Tode
seiner Geliebten hatte zukommen lassen. &raquo;Die Weiber sind komische Kreaturen, selbst
die mit viel Verstand ausger&uuml;steten. Morgens weinte meine Frau &uuml;ber
die Marie und Deinen Verlust, so da&szlig; sie ihr eignes Pech, was grade an dem
Tage kulminierte, ganz verga&szlig;, und abends glaubte sie, da&szlig; au&szlig;er
uns kein Mensch in der Welt leiden k&ouml;nne, der nicht den broker [Mehring &uuml;bersetzt:
Pf&auml;nder] im Hause und Kinder habe.&laquo; Engels war aber schon durch das eine
Wort der Reue vers&ouml;hnt. &raquo;Man kann nicht solange Jahre mit einem Frauenzimmer
zusammenleben, ohne ihren Tod furchtbar zu empfinden. Ich f&uuml;hlte, da&szlig;
ich mit ihr das letzte St&uuml;ck meiner Jugend begrub. Als ich Deinen Brief erhielt,
war sie noch nicht begraben. Ich sage Dir, der Brief lag mir eine Woche lang im
Kopf, ich konnte ihn nicht vergessen. Never mind [Mehring &uuml;bersetzt: Gleichviel].
Dein letzter Brief macht ihn wett, und ich bin froh, da&szlig; ich nicht auch
mit der Mary gleichzeitig meinen &auml;ltesten und besten Freund verloren habe.&laquo;
Es war die erste, aber auch die letzte Spannung in dem Verh&auml;ltnis der beiden
M&auml;nner.</P>
<P>Durch einen &raquo;h&ouml;chst gewagten Streich&laquo; brachte Engels 100 Pfund Sterling
auf, durch die Marx soweit &uuml;ber Wasser gehalten wurde, da&szlig; er auf die
&Uuml;bersiedlung in eine Mietskaserne verzichten konnte. Er schlug sich dann
m&uuml;hsam durch das Jahr 1863, gegen dessen Schlu&szlig; seine Mutter starb.
Was er von ihr erbte, mag freilich nicht bedeutend gewesen sein. Einige Ruhe verschafften
ihm erst die 800 bis 900 Pfund, die ihm als Haupterben Wilhelm Wolff testamentarisch
vermachte.</P>
<P>Wolff starb im Mai 1864, tief betrauert von Marx und Engels. Er z&auml;hlte
noch nicht 55 Jahre; im Sturm und Wetter eines bewegten Lebens hatte er sich nie
geschont, und wie Engels klagte, durch eigensinnige Pflichttreue in seinem Lehrerberufe
sein Ende beschleunigt. Durch seine gro&szlig;e Beliebtheit bei den Deutschen
in Manchester war er, nachdem ihm das Exil zun&auml;chst arg mitgespielt hatte,
in ganz behagliche Lebensverh&auml;ltnisse gekommen, und es scheint auch, da&szlig;
ihm sein v&auml;terliches Erbe nicht lange vor seinem Tode zugekommen ist. Marx
hat sp&auml;ter &raquo;seinem unverge&szlig;lichen Freunde, dem k&uuml;hnen, treuen,
edlen Vork&auml;mpfer des Proletariats&laquo; <A name="ZT6"></A><A href="fm03_272.htm#Z6"><SPAN class="top">[6]</SPAN></A> den ersten Band seines unsterblichen Meisterwerks
<A NAME="S312"></A><B>|312|*</B> gewidmet, an dem ungest&ouml;rt zu arbeiten ihm
der letzte Freundschaftsdienst Wolffs wesentlich erleichtert hat.</P>
<P>Auf die Dauer war die Sorge freilich nicht verscheucht, aber in so herz- und
hirnzerrei&szlig;ender Form wie in diesen letzten Jahren, trat sie an Marx nicht
wieder heran, da Engels im September 1864 auf f&uuml;nf Jahre mit den Ermens einen
Kontrakt abschlo&szlig;, der ihn zum Teilhaber der Firma machte, so da&szlig;
er mit denselben nimmerm&uuml;den, aber nun mehr volleren H&auml;nden helfen konnte,
wo Hilfe not tat.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">7. Die Agitation Lassalles<A name="Kap_7"></A></H3>
<P>In den Tagen schwerster Bedr&auml;ngnis, im Juli 1862, stattete Lassalle seinen
Gegenbesuch in London ab.</P>
<P>&raquo;Um gewisse dehors dem Burschen gegen&uuml;ber aufrechtzuerhalten hatte meine
Frau alles nicht Niet- und Nagelfeste ins Pfandhaus zu bringen&laquo;, schrieb Marx
an Engels. Lassalle hatte keine Ahnung von diesen traurigen Verh&auml;ltnissen;
er nahm den Schein, den Marx und seine Frau um sich verbreiteten, f&uuml;r Wirklichkeit;
als sorgsame Schaffnerin des Hauses hat Lenchen Demuth den gesegneten Appetit
dieses Besuchs niemals vergessen. So entstand eine &raquo;scheu&szlig;liche Position&laquo;,
und es wirf keinen Schatten auf Marx, wenn er sich, zumal bei Lassalles Auftreten,
das niemals an &uuml;berm&auml;&szlig;iger Bescheidenheit litt, nicht v&ouml;llig
jene Stimmung ferngehalten hat, in der Schiller einmal von Goethe sagte: Wie leicht
ist diesem Menschen alles geworden und wie schwer mu&szlig; ich um alles ringen!</P>
<P>Erst beim Abschied, nach mehrw&ouml;chigem Aufenthalt, scheint Lassalle die
Lage der Dinge durchschaut zu haben. Er bot seine Hilfe an und wollte bis zum
Jahreswechsel 15 Pfund liefern; auch d&uuml;rfe Marx bis zum beliebigen Betrage
Wechsel auf ihn ziehen, wenn ihm die Zahlung von Engels oder anderen versprochen
w&uuml;rde. Mit Hilfe Borkheims versuchte Marx sich auf diese Weise 400 Taler
zu verschaffen, doch machte Lassalle nunmehr sein Akzept brieflich davon abh&auml;ngig,
da&szlig; &raquo;zur Ausschlie&szlig;ung aller unvorhergesehenen Umst&auml;nde und um
Lebens oder Sterbens willen&laquo; Engels sich schriftlich verpflichten m&uuml;sse,
ihn acht Tage vor Verfall des Wechsels in den Besitz der Deckungssumme zu setzen.
Das Mi&szlig;trauen an seiner pers&ouml;nlichen Versicherung konnte Marx nicht
angenehm ber&uuml;hren, doch bat ihn Engels, sich nicht &uuml;ber &raquo;diese Eseleien&laquo;
zu ereifern, und stellte sofort die gew&uuml;nschte B&uuml;rgschaft aus.</P>
<P><B><A NAME="S313">|313|</A></B> Der weitere Verlauf dieser finanziellen Angelegenheit
ist nicht ganz klar; am 29. Oktober schrieb Marx an Engels, Lassalle, der &raquo;sehr
erz&uuml;rnt&laquo; auf ihn sei, verlange die Deckung an seine pers&ouml;nliche Adresse
geschickt, da er keinen Bankier habe, und am 4. November, Freiligrath sei bereit,
die 400 Taler an Lassalle zu &uuml;bermitteln. Am n&auml;chsten Tage antwortete
Engels, er werde &raquo;morgen&laquo; 60 Pfund an Freiligrath schicken. Zugleich aber sprachen
beide von einer &raquo;Erneuerung&laquo; des Wechsels, und dabei mu&szlig; es irgendwie gehapert
haben; wenigstens &auml;u&szlig;erte Lassalle am 24. April 1864 gegen eine dritte
Person, er schreibe seit zwei Jahren nicht mehr an Marx, weil er &raquo;aus finanzieller
Veranlassung&laquo; mit ihm gespannt sei. In der Tat hat Lassalle Ende 1862 zuletzt
an Marx geschrieben und ihm seine Flugschrift &raquo;Was nun?&laquo; &uuml;bermittelt. Der
Brief ist nicht erhalten, doch gab Marx in einem Schreiben an Engels 1863 als
seinen Inhalt die Bitte um R&uuml;cksendung eines Buches an, und am 12. Juni schrieb
er ebenfalls an Engels nach einer scharfen Kritik an Lassalles Agitation: &raquo;Ich
habe mich seit Anfang dieses Jahrs nicht entschlie&szlig;en k&ouml;nnen, dem Kerl
zu schreiben&laquo;, wonach Marx den Briefwechsel aus politischem Verdru&szlig; abgebrochen
hat.</P>
<P>Deshalb braucht kein eigentlicher Widerspruch zwischen beiden Angaben zu sein;
es mag eben eins zum anderen gekommen sein. Die &auml;u&szlig;erst unbehaglichen
Umst&auml;nde, unter denen die beiden M&auml;nner sich zum letzten Male pers&ouml;nlich
begegnet sind, haben wohl beigetragen, politischen Meinungsverschiedenheiten zu
versch&auml;rfen. Diese Meinungsverschiedenheiten waren ohnehin mindestens nicht
geringer geworden seit dem Besuche, den Marx in Berlin abgestattet hatte.</P>
<P>Im Herbste 1861 hatte Lassalle eine Reise nach der Schweiz und Italien gemacht,
war in Z&uuml;rich mit R&uuml;stow und auf der Insel Caprera mit Garibaldi bekannt
geworden; auch in London suchte er Mazzini auf. Er scheint sich f&uuml;r einen
etwas phantastischen und niemals ausgef&uuml;hrten Plan der italienischen Aktionspartei
interessiert zu haben, wonach Garibaldi mit seinen Freischaren nach Dalmatien
&uuml;bersetzen und von hier aus Ungarn insurgieren sollte. Von Lassalle selbst
liegt dar&uuml;ber nichts Urkundliches vor, und es kann sich im schlimmsten Falle
nur um einen vor&uuml;bergehenden Einfall gehandelt haben. Denn Lassalle trug
ganz andere Dinge im Kopfe, mit deren Ausf&uuml;hrung er schon, ehe er nach London
kam, durch zwei Vortr&auml;ge begonnen hatte.</P>
<P>F&uuml;r diese Pl&auml;ne in Marx einen Gef&auml;hrten zu gewinnen, lag ihm
ungleich mehr am Herzen als all die italienischen Geschichten. Aber Marx erwies
sich noch unzug&auml;nglicher als im Vorjahre. F&uuml;r ein Blatt, das Lassalle
noch immer plante, wollte er wohl gegen gute Bezahlung als <A NAME="S314"></A><B>|314|</B>
englischer Korrespondent t&auml;tig sein, aber ohne irgendwie irgendeine Verantwortung
oder politische Teilhaberschaft zu &uuml;bernehmen, da er mit Lassalle in Nichts
&uuml;bereinstimme als einigen weit abliegenden Endzwecken. Nicht minder ablehnend
stellte er sich zu dem Plan einer Arbeiteragitation, den ihm Lassalle entwickelte.
Lassalle lasse sich zu sehr durch die unmittelbaren Zeitumst&auml;nde beherrschen;
er wolle einen Gegensatz gegen einen Zwerg wie Schulze-Delitzsch zum Zentralpunkt
seiner Agitation machen: Staatshilfe gegen Selbsthilfe. Damit erneuere Lassalle
die Parole, womit der katholische Sozialist Buchez in den vierziger fahren die
wirkliche Arbeiterbewegung in Frankreich bek&auml;mpft habe. Wenn er den Chartistenruf
des allgemeinen Wahlrechts wieder aufnehme, so &uuml;bersehe er die Verschiedenheit
zwischen den deutschen und den englischen Zust&auml;nden sowie die Lektionen des
zweiten Kaiserreichs &uuml;ber dies Wahlrecht. Indem er allen nat&uuml;rlichen
Zusammenhang mit der fr&uuml;heren Bewegung in Deutschland verleugne, verfalle
er in die Fehler der Sektenstifter, den Fehler Proudhons, die reelle Basis nicht
in den wirklichen Elementen der Klassenbewegung zu suchen, sondern dieser nach
einem gewissen doktrin&auml;ren Rezept ihren Verlauf vorschreiben zu wollen.</P>
<P>Lassalle lie&szlig; sich dadurch nicht abschrecken, sondern setzte seine Agitation
fort, seit dem Fr&uuml;hjahr 1863 als ausgesprochene Arbeiteragitation. Er gab
nicht einmal die Hoffnung auf, Marx dennoch von der G&uuml;te seiner Sache zu
&uuml;berzeugen, denn auch nachdem ihr Briefwechsel eingeschlafen war, sandte
er seine Agitationsschriften regelm&auml;&szlig;ig an Marx. Sie fanden freilich
eine Aufnahme, die Lassalle nicht erwartet haben mochte. Marx urteilte &uuml;ber
sie in seinen Briefen an Engels mit einer Sch&auml;rfe, die sich bis zur bittersten
Ungerechtigkeit steigern konnte. Es er&uuml;brigt hier, in die unerfreulichen
Einzelheiten einzugehen, die in dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels nachgelesen
werden k&ouml;nnen; genug, da&szlig; Marx diese Schriften, die seitdem Hunderttausenden
von deutschen Arbeitern ein neues Leben geschenkt haben, als die Plagiate eines
Sextaners abtat, wenn er sie las, oder wenn er sie nicht las, als Sch&uuml;lerpensa,
mit deren Lesen sich nicht lohne, seine Zeit zu t&ouml;ten.</P>
<P>Nur ein flachk&ouml;pfiges Pharis&auml;ertum kann dar&uuml;ber hinweggehen
mit der albernen Redensart, als Lassalles Lehrer habe Marx so &uuml;ber Lassalle
sprechen d&uuml;rfen. Marx war kein &Uuml;bermensch, und wollte selbst nicht mehr
sein als ein Mensch, dem nichts Menschliches fremd war; gedankenlose Nachbeterei
war gerade das, was er vertragen konnte! In seinem Sinne ehrt man ihn nicht minder,
wenn man das Unrecht <A NAME="S315"></A><B>|315|</B> das er getan hat, als wenn
man das Unrecht s&uuml;hnt, das ihm widerfahren ist. Und er selbst gewinnt mehr,
wenn man seinem Verh&auml;ltnis zu Lassalle mit unbefangener Kritik auf den Grund
geht, als wenn man den buchstabengl&auml;ubigen Nachbetern folgt, die, nach dem
Lessingischen Vergleich, mit seinen Pantoffeln in der Hand, den von ihm gebahnten
Weg daherschlendern.</P>
<P>Marx war der Lehrer Lassalles, und er war es auch wieder nicht. Unter einem
bestimmten Gesichtspunkte h&auml;tte er von Lassalle sagen k&ouml;nnen, was Hegel
auf seinem Sterbebett von seinen Sch&uuml;lern gesagt haben soll: Nur einer hat
mich verstanden, und der eine hat mich mi&szlig;verstanden. Lassalle war der unvergleichlich
genialste Anh&auml;nger, den Marx und Engels gewonnen hatten, aber das A und O
ihrer neuen Weltanschauung, den historischen Materialismus, hat er nie mit v&ouml;lliger
Klarheit erfa&szlig;t. Er wurde in der Tat den &raquo;spekulativen Begriff&laquo; der Hegelschen
Philosophie niemals los, und so sehr er die weltgeschichtliche Bedeutung des proletarischen
Klassenkampfs begriff, so vollzog sich dies Begreifen doch erst in den idealistischen
Denkformen, die in erster Reihe dem b&uuml;rgerlichen Zeitalter eigent&uuml;mlich
waren, in den Denkformen der Philosophie und der Rechtswissenschaft.</P>
<P>Damit hing zusammen, da&szlig; er als &Ouml;konom nicht entfernt an Marx heranreichte
und dessen &ouml;konomische Ansichten unzul&auml;nglich auffa&szlig;te oder auch
ganz mi&szlig;verstand. Marx selbst hat ihn darin gelegentlich zu milde, h&auml;ufiger
freilich zu scharf beurteilt. Wenn Marx in der Wiedergabe seiner Werttheorie durch
Lassalle nur &raquo;bedeutende Mi&szlig;verst&auml;ndnisse&laquo; fand, so k&ouml;nnte man
eher sagen, da&szlig; Lassalle diese Theorie &uuml;berhaupt nicht verstanden habe.
Lassalle entnahm aus ihr nur das, was seiner rechtsphilosophischen Weltanschauung
zusagte: den Nachweis, da&szlig; die allgemeine gesellschaftliche Arbeitszeit,
die den Wert bildet, die gemeinsame Produktion der Gesellschaft notwendig mache,
um dem Arbeiter den vollen Ertrag seiner Arbeit zu sichern. F&uuml;r Marx aber
war die von ihm entwickelte Werttheorie die L&ouml;sung aller R&auml;tsel, die
die kapitalistische Produktionsweise einschlie&szlig;t, ein Faden, woran sich
die Wert- und Mehrwertbildung verfolgen lie&szlig; als ein weltgeschichtlicher
Proze&szlig;, der die kapitalistische in die sozialistische Gesellschaft umw&auml;lzen
mu&szlig;. Lassalle &uuml;bersah den Unterschied zwischen der Arbeit, sofern sie
in Gebrauchswerten, und der Arbeit, sofern sie in Tauschwerten resultiert, jene
zwieschl&auml;chtige Natur der in den Waren enthaltenen Arbeit, die f&uuml;r Marx
der Springpunkt war, um den sich das Verst&auml;ndnis der politischen &Ouml;konomie
drehte. In diesem entscheidenden Punkte tat sich der tiefste Unterschied auf,
der zwischen Lassalle und Marx bestand, <A NAME="S316"></A><B>|316|</B> der Unterschied
zwischen rechtsphilosophischer und &ouml;konomisch-materialistischer Auffassung.</P>
<P>In anderen &ouml;konomischen Fragen hat Marx allzu scharf &uuml;ber Lassalles
Schw&auml;chen geurteilt, so namentlich &uuml;ber die &ouml;konomischen Hauptpfeiler,
auf die Lassalle seine Agitation st&uuml;tzte: das von ihm so getauft eherne Lohngesetz
und die Produktivassoziationen mit Staatskredit. Marx meinte, jenes habe Lassalle
den englischen &Ouml;konomen Malthus und Ricardo, diese aber dem franz&ouml;sischen
katholischen Sozialisten Buchez entlehnt. Tats&auml;chlich hat Lassalle beides
dem &raquo;Kommunistischen Manifest&laquo; entnommen.</P>
<P>Aus der Bev&ouml;lkerungstheorie des Malthus, wonach die Menschen sich immer
schneller vermehren als die Nahrungsmittel, hatte Ricardo das Gesetz abgeleitet,
wonach sich der durchschnittliche Arbeitslohn auf die in einem Volk gewohnheitsm&auml;&szlig;ig
zur Fristung der Existenz und zu Fortpflanzung erforderliche Lebensnotdurft beschr&auml;nke.
Diese Begr&uuml;ndung des Lohngesetzes durch ein angebliches Naturgesetz hat Lassalle
niemals &uuml;bernommen; er hat die Bev&ouml;lkerungstheorie des Malthus ebenso
scharf bek&auml;mpft wie Engels und Marx. Nur f&uuml;r die kapitalistische Gesellschaft,
&raquo;unter den heutigen Verh&auml;ltnissen, unter der Herrschaft von Angebot und Nachfrage
nach Arbeit&laquo;, betonte er den &raquo;ehernen&laquo; Charakter des Lohngesetzes, und darin folgte
er den Spuren des &raquo;Kommunistischen Manifestes&laquo;.</P>
<P>Erst drei Jahre nach Lassalles Tode hat Marx den elastischen Charakter des
Lohngesetzes nachgewiesen, wie es sich auf dem H&ouml;hepunkt der kapitalistischen
Gesellschaft gestaltet, indem es seine Grenze nach oben hin in dem Verwertungsbed&uuml;rfnis
des Kapitals findet und nach unten hin in dem Ma&szlig;e an Elend, das der Arbeiter
ertragen kann, ohne den augenblicklichen Hungertod zu sterben. Innerhalb dieser
Schranken wird die Lohnh&ouml;he nicht durch die nat&uuml;rliche Bewegung der
Bev&ouml;lkerung bestimmt, sondern durch den Widerstand, den die Arbeiter der
steten Tendenz des Kapitals, m&ouml;glichst viel unbezahlte Arbeit au ihrer Arbeitskraft
zu quetschen, entgegensetzen. Dadurch gewinnt die gewerkschaftliche Organisation
der Arbeiterklasse f&uuml;r den proletarischen Emanzipationskampf eine ganz andere
Bedeutung, als Lassalle ihr zuerkennen wollte.</P>
<P>Blieb Lassalle in diesem Punkt an &ouml;konomischer Einsicht nur hinter Marx
zur&uuml;ck, so verfiel er mit seinen Produktivassoziationen einem argen Mi&szlig;verst&auml;ndnis.
Er hat sie nicht von Buchez &uuml;bernommen und sie auch nicht als Allheilmittel
betrachtet, sondern als einen Anfang zu. Vergesellschaftung der Produktion, unter
welchem Gesichtspunkt die <A NAME="S317"></A><B>|317|</B> Zentralisation des Kredits
in den H&auml;nden des Staats und die Einrichtung von Nationalfabriken im &raquo;Kommunistischen
Manifest&laquo; genannt werden. Hier neben einer Reihe anderer Ma&szlig;regeln, von
denen allen es hei&szlig;t, da&szlig; sie &raquo;&ouml;konomisch unzureichend und unhaltbar
erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung &uuml;ber sich selbst hinaustreiben
und als Mittel zur Umw&auml;lzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich&laquo; <A name="ZT7"></A><A href="fm03_272.htm#Z7"><SPAN class="top">[7]</SPAN></A> seien.
Lassalle dagegen sah in seinen Produktivassoziationen &raquo;das organische, unaufhaltsam
zu aller weiteren Entwicklung treibende und sie aus sich selbst entfaltende Senfkorn&laquo;.
Dadurch verriet Lassalle allerdings eine &raquo;Infektion mit franz&ouml;sischem Sozialismus&laquo;,
indem er annahm, da&szlig; sich die Gesetze der Warenproduktion auf dem Boden
der Warenproduktion beseitigen lie&szlig;en.</P>
<P>Die &ouml;konomischen Schw&auml;chen Lassalles, die hier nur in ein paar Hauptpunkten
angedeutet werden konnten, waren wohl geeignet, Marx zu verstimmen. Was er l&auml;ngst
ins reine gebracht hatte, war wieder ins ungewisse gestellt. Einige unwirsche
Worte dar&uuml;ber waren durchaus begreiflich. Aber in seinem verst&auml;ndlichen
Arger verkannte Marx doch, da&szlig; es im Grunde seine Politik war, die Lassalle
trieb, trotz aller Mi&szlig;griffe in der Theorie. An das &auml;u&szlig;erste
Ende einer einmal vorhandenen Bewegung anzukn&uuml;pfen, um sie so voranzutreiben,
war die Praxis, die Marx selbst stets empfohlen und im Jahre 1848 auch befolgt
hatte. Lassalle lie&szlig; sich durch die &raquo;unmittelbaren Zeitumst&auml;nde&laquo; nicht
mehr beherrschen, als es Marx in den Revolutionsjahren getan hatte. Wenn Lassalle
als Sektenstifter allen nat&uuml;rlichen Zusammenhang mit der fr&uuml;heren Bewegung
verleugnet haben sollte, so ist daran soviel richtig, da&szlig; Lassalle in seiner
Agitation niemals den Kommunistenbund und das &raquo;Kommunistische Minifest&laquo; erw&auml;hnt
hat. Aber in den mehreren hundert Nummern der &raquo;Neuen Rheinischen Zeitung&laquo; wird
man ebenso erfolglos nach einer Erw&auml;hnung des Bundes und des &raquo;Manifestes&laquo;
suchen.</P>
<P>Nach dem Tode beider M&auml;nner hat Engels die Taktik Lassalles zwar nur mittelbar,
aber um so durchschlagender gerechtfertigt. Als sich in den Jahren 1886 und 1887
eine proletarische Massenbewegung in den Vereinigten Staaten zu begann, mit sehr
konfusem Programm, schrieb Engels an den alten Freund Sorge: &raquo;Der erste gro&szlig;e
Schritt, worauf es in jedem neu in die Bewegung eintretenden Land ankommt, ist
immer die Konstituierung der Arbeiter als selbst&auml;ndige politische Partei,
einerlei wie, sobald es nur eine distinkte [Mehring &uuml;bersetzt: besondere]
Arbeiterpartei ist.&laquo; Wenn das erste Programm dieser Partei noch konfus und &auml;u&szlig;erst
mangelhaft sei, so seien das <A NAME="S318"></A><B>|318| </B>unvermeidliche, aber
auch nur vor&uuml;bergehende &Uuml;belst&auml;nde. &Auml;hnlich an andere Parteifreunde
in Amerika. Die marxistische Theorie sei kein alleinseligmachendes Dogma, sondern
die Darstellung eines Entwicklungsprozesses; man solle die unvermeidliche Konfusion
des ersten Aufmarsches nicht noch schlimmer machen, indem man die Leute zw&auml;nge,
Sachen hinabzuw&uuml;rgen, die sie augenblicklich noch nicht begreifen k&ouml;nnten,
aber bald lernen w&uuml;rden.</P>
<P>Dabei berief sich Engels auf das Vorbild, das er und Marx in den Revolutionsjahren
gegeben h&auml;tten. &raquo;Als wir im Fr&uuml;hling 1848 nach Deutschland zur&uuml;ckkehrten,
haben wir uns der demokratischen Partei angeschlossen als einzige M&ouml;glichkeit,
das Ohr der Arbeiterklasse zu gewinnen; wir waren der fortgeschrittenste Fl&uuml;gel
der Partei, aber immerhin ihr Fl&uuml;gel.&laquo; Und wie die &raquo;Neue Rheinische Zeitung&laquo;
von dem &raquo;Kommunistischen Manifest&laquo; geschwiegen hatte, so warnte Engels, es in
die amerikanische Bewegung zu werfen; das &raquo;Manifest&laquo; wie fast alle kleineren Sachen
von Marx und ihm seien f&uuml;r Amerika noch viel zu schwer verst&auml;ndlich;
die dortigen Arbeiter k&auml;men erst in die Bewegung hinein, seien noch ganz
roh, namentlich theoretisch enorm zur&uuml;ck; &raquo;es mu&szlig; da der Hebel unmittelbar
an die Praxis angesetzt werden, und dazu ist eine ganz neue Literatur n&ouml;tig
... Sind die Leute erst einigerma&szlig;en auf der richtigen Bahn, dann wird das
&#155;Manifest&#139; seine Wirkung nicht verfehlen, jetzt w&uuml;rde es nur bei wenigen
wirken.&laquo; Und als Sorge einwandte, wie tief das &raquo;Manifest&laquo; bei seinem Erscheinen
auf ihn schon als Knaben gewirkt habe, erwiderte Engels: &raquo;Ihr waret vor 40 Jahren
Deutsche mit deutschem theoretischem Sinn und deshalb wirkte das &#155;Manifest&#139; damals,
w&auml;hrend es, obwohl franz&ouml;sisch, englisch, fl&auml;misch, d&auml;nisch
usw. &uuml;bersetzt, bei den anderen V&ouml;lkern absolut wirkungslos blieb.&laquo;
Von diesem theoretischen Sinn war 1863, nach den langen Jahren bleierner Unterdr&uuml;ckung,
in der deutschen Arbeiterklasse wenig mehr &uuml;brig; auch sie bedurfte einer
langen Erziehung, um das &raquo;Manifest&laquo; wieder zu verstehen.</P>
<P>In dem aber, was Engels, unter steter und vollkommen zutreffend Berufung auf
Marx, als die &raquo;Hauptsache&laquo; einer neu beginnenden Arbeiterbewegung bezeichnete,
war Lassalles Agitation untadelhaft. Wenn er als &Ouml;konom weit hinter Marx
zur&uuml;ckstand, so war er ihm als Revolution&auml;r durchaus ebenb&uuml;rtig,
es sei denn, man wolle tadeln, da&szlig; in ihm das rastlose Ungest&uuml;m der
revolution&auml;ren Tatkraft die unerm&uuml;dliche Geduld des wissenschaftlichen
Forschers &uuml;berwog. Alle seine Schriften - mit einziger Ausnahme des &raquo;Heraklit&laquo;
- waren auf unmittelbare praktische Wirksamkeit berechnet.</P>
<P><B><A NAME="S319">|319|</A></B> So baute er seine Agitation auf der breiten
und festen Grundlage des Klassenkampfs auf und steckte ihr als unverr&uuml;ckbares
Ziel die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Er schrieb
der Bewegung auch keineswegs, wie Marx ihm vorwarf, nach einem gewissen doktrin&auml;ren
Rezept ihren Verlauf vor, sondern kn&uuml;pfte an die &raquo;wirklichen Elemente&laquo; an,
die schon von selbst eine Bewegung unter den deutschen Arbeitern hervorgerufen
hatten: das allgemeine Stimmrecht und die Assoziationsfrage. Das allgemeine Stimmrecht
hat Lassalle als Hebel des proletarischen Klassenkampfs viel richtiger eingesch&auml;tzt
als es, wenigstens zu seiner Zeit, Marx und Engels taten, und was sich sonst immer
gegen seine Produktivassoziationen mit Staatskredit einwenden lie&szlig;, so beruhten
sie doch auf dem richtigen Grundgedanken, da&szlig; - um einige Worte zu zitieren,
die Marx selbst einige Jahre sp&auml;ter ge&auml;u&szlig;ert hat - &raquo;die Kooperativarbeit,
um die arbeitenden Massen zu retten, zu nationalen Dimensionen anwachsen und folgerichtig
durch Staatsmittel gef&ouml;rdert werden m&uuml;sse&laquo;.<A name="ZT8"></A><A href="fm03_272.htm#Z8"><SPAN class="top">[8]</SPAN></A> Als &raquo;Sektenstifter&laquo; konnte
Lassalle h&ouml;chstens &auml;u&szlig;erlich erscheinen durch die mitunter &uuml;berschw&auml;ngliche
Verehrung, die ihm seine Anh&auml;nger entgegenbrachten, aber daran trug er wenigstens
nicht die eigentliche und urspr&uuml;ngliche Schuld. Er hat sich M&uuml;he gegeben
zu vermeiden, da&szlig; &raquo;die Bewegung vor Schafsk&ouml;pfen die Gestalt einer
blo&szlig;en Person annehme&laquo;; er hat nicht nur Marx und Engels, sondern auch Bucher
und Rodbertus und manchen anderen noch f&uuml;r seine Agitation zu werben gesucht;
wenn er dennoch keinen geistig ebenb&uuml;rtigen Gef&auml;hrten gewann, so war
es nat&uuml;rlich, da&szlig; die Dankbarkeit der Arbeiter die nicht immer geschmackvollen
Formen eines Personenkultus annahm. Sein Licht unter den Scheffel zu stellen,
war er freilich der Mann auch nicht; die Selbstverleugnung, womit Marx seine Person
immer hinter die Sache zur&uuml;cktreten lie&szlig;, hat Lassalle nicht besessen.</P>
<P>Dann ist noch ein entscheidender Gesichtspunkt zu erw&auml;gen: der scheinbar
heftige Kampf der liberalen Bourgeoisie mit der preu&szlig;ischen Regierung, aus
dem heraus sich die Agitation Lassalles entwickelte. Seit dem Jahre 1859 hatten
Marx und Engels den deutschen Dingen ihre erh&ouml;hte Aufmerksamkeit geschenkt,
aber wie ihre Briefe bis zum Jahre 1866 in mannigfacher Weise zeigen, doch nicht
die richtige F&uuml;hlung mit ihnen gewonnen. Trotz ihrer Erfahrungen aus den
Revolutionsjahren rechneten sie immer noch mit der M&ouml;glichkeit einer b&uuml;rgerlichen
und sogar milit&auml;rischen Revolution, und wie sie die deutsche Bourgeoisie
&uuml;bersch&auml;tzten, so untersch&auml;tzten sie die gro&szlig;preu&szlig;ische
Politik. Sie haben niemals die Eindr&uuml;cke ihrer Jugend &uuml;berwunden, wo
ihre rheinische <A NAME="S320"></A><B>|320|</B> Heimat in dem stolzen Bewu&szlig;tsein
moderner Kultur ver&auml;chtlich auf die altpreu&szlig;ischen Stammprovinzen herabsah,
und je mehr sich ihre Hauptaufmerksamkeit auf die zarischen Weltherrschaftspl&auml;ne
richtete, um so mehr sahen sie in dem preu&szlig;ischen Staat schlechthin nur
ein russisches Paschalik. In Bismarck waren sie selbst geneigt, nur das Werkzeug
eines russischen Werkzeugs zu erblicken, jenes &raquo;geheimnisvollen Mannes in den
Tuilerien&laquo;, von dem sie schon 1859 gesagt hatten, da&szlig; er nur nach der Pfeife
der russischen Diplomatie tanze; der Gedanke, da&szlig; die gro&szlig;preu&szlig;ische
Politik bei aller sonstigen Anfechtbarkeit zu Ergebnissen f&uuml;hren k&ouml;nne,
die in Paris wie Petersburg gleich unangenehm &uuml;berraschten, lag ihnen vollkommen
fern. Hielten sie aber eine b&uuml;rgerliche Revolution in Deutschland noch f&uuml;r
m&ouml;glich, so mu&szlig;te ihnen Lassalles Schilderhebung als durchaus unzeitig
erscheinen, und wenn sie anders richtig geurteilt h&auml;tten, so h&auml;tte ihnen
niemand bereitwilliger zugestimmt als Lassalle.</P>
<P>Aber er sah die Dinge aus der N&auml;he und beurteilte sie treffender. Er ging
gerade davon aus und siegte auch in diesem Zeichen, da&szlig; die Philisterbewegung
der fortschrittlichen Bourgeoisie niemals zu etwas f&uuml;hren k&ouml;nne, &raquo;und
wenn wir Jahrhunderte, und wenn wir durch ganze geologische Erdperioden warten
wollten&laquo;. Fiel aber die M&ouml;glichkeit einer b&uuml;rgerlichen Revolution fort,
so sah Lassalle voraus, da&szlig; die nationale Einigung Deutschlands, soweit
sie dann &uuml;berhaupt noch m&ouml;glich war, das Werk einer dynastischen Umw&auml;lzung
sein w&uuml;rde, in der nach seiner Ansicht die neue Arbeiterpartei als treibender
Keil wirken sollte. Allerdings, wenn er selbst schon in seinen Verhandlungen mit
Bismarck die gro&szlig;preu&szlig;ische Politik aufs Glatteis zu locken versuchte,
so &uuml;berschritt er, ohne schon ein Prinzip zu verletzen, doch die Gebote des
politischen Takts, woran Marx und Engels gerechten Ansto&szlig; nehmen konnten
und nahmen.</P>
<P>Was sie in den Jahren 1863 und 1864 von Lassalle trennte, waren im letzten
Grunde wie im Jahre 1859, &raquo;gegens&auml;tzliche Urteile &uuml;ber tats&auml;chliche
Voraussetzungen&laquo;, womit der Schein pers&ouml;nlicher Geh&auml;ssigkeit entf&auml;llt,
der den harten Urteilen anhaftet, die Marx gerade in dieser Zeit &uuml;ber Lassalle
gef&auml;llt hat. Aber &uuml;berwunden hat Marx doch niemals v&ouml;llig seine
Vorurteile gegen den Mann, den die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie immer
in dem gleichen Atem mit ihm und Engels nennen wird. Selbst die vers&ouml;hnende
Macht des Todes hat hier nicht dauernd gewirkt.</P>
<P>Durch Freiligrath erhielt Marx die Nachricht vom Tode Lassalles und telegraphierte
sie am 3. September 1864 an Engels, der am n&auml;chsten <A NAME="S321"></A><B>|321|</B>
Tage antwortete: &raquo;Du kannst Dir denken, wie mich die Nachricht &uuml;berraschte.
Lassalle mag sonst gewesen sein, pers&ouml;nlich, literarisch, wissenschaftlich,
wer er war, aber politisch war er sicher einer der bedeutendsten Kerle in Deutschland.
Er war f&uuml;r uns gegenw&auml;rtig ein sehr unsichrer Freund, zuk&uuml;nftig
ein ziemlich sichrer Feind, aber einerlei, es trifft einen doch hart an, wenn
man sieht, wie Deutschland alle einigerma&szlig;en t&uuml;chtigen Leute der extremen
Partei kaputt macht. Welcher Jubel wird unter den Fabrikanten und unter den Fortschrittsschweinhunden
herrschen, L[assalle] war doch der einzige Kerl in Deutschland selbst, vor dem
sie Angst hatten.&laquo;</P>
<P>Marx lie&szlig; einige Tage verstreichen, ehe er am 7. September schrieb: &raquo;Das
Ungl&uuml;ck des L[assalle] ist mir dieser Tage verdammt durch den Kopf gegangen.
Er war doch noch immer einer von der vieille souche [Mehring &uuml;bersetzt: alten
Garde] und der Feind unsrer Feinde ... With all that [Mehring &uuml;bersetzt:
Bei alledem] tut's mir leid, da&szlig; in den letzten Jahren das Verh&auml;ltnis
getr&uuml;bt war, allerdings durch seine Schuld. Andrerseits ist's mir sehr lieb,
da&szlig; ich den Anreizungen von verschiednen Seiten widerstand und ihn nie w&auml;hrend
seines &#155;Jubeljahrs&#139; angegriffen habe. Der Teufel mag wissen, der Haufen wird immer
kleiner, neu kommt nicht's zu.&laquo; An die Gr&auml;fin Hatzfeld schrieb Marx tr&ouml;stend:
&raquo;Er starb jung - im Kampfe - als Achilles.&laquo; Als bald nachher der Schw&auml;tzer
Blind sich auf Lassalles Unkosten wichtig machen wollte, fertigte ihn Marx mit
den derben Worten ab: &raquo;Es liegt mir durchaus fern, einen Mann wie Lassalle und
die wirkliche Tendenz seiner Agitation einem grotesken Clown, hinter dem nichts
steht als sein eigener Schatten, verst&auml;ndlich machen zu wollen. Ich bin im
Gegenteil &uuml;berzeugt, da&szlig; Herr Karl Blind nur seinen von Natur ihm auferlegten
Beruf erf&uuml;llt, wenn er nach dem toten L&ouml;wen tritt.&laquo; Und noch einige
Jahre sp&auml;ter hat Marx in einem Briefe an Schweitzer das &raquo;unsterbliche Verdienst
Lassalles&laquo; anerkannt, nach f&uuml;nfzehnj&auml;hrigem Schlummer die deutsche Arbeiterbewegung
wieder wachgerufen zu haben, trotz &raquo;gro&szlig;er Fehler&laquo;, die er in seiner Agitation
begangen habe.</P>
<P>Aber es kamen dann auch wieder Tage, wo Marx &uuml;ber den toten Lassalle noch
bitterer und ungerechter urteilte als nur je &uuml;ber den lebenden. So bleibt
ein peinlicher Rest, der sich erst l&ouml;st in dem erhebenden Gedanken, da&szlig;
die moderne Arbeiterbewegung viel zu gewaltig ist, als da&szlig; auch der gewaltigste
Kopf sie ersch&ouml;pfen k&ouml;nnte.</P>
<HR size="1">
<P><A name="Z1"></A><SPAN class="top">[1]</SPAN> Friedrich Engels: Po und Rhein, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me13/me13_225.htm">Bd. 13, S. 225-268.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT1">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z2"></A><SPAN class="top">[2]</SPAN> Friedrich Engels: Savoyen, Nizza und der Rhein, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me13/me13_571.htm">Bd. 13, S. 571-612.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT2">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z3"></A><SPAN class="top">[3]</SPAN> Karl Marx: Herr Vogt, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me14/me14_381.htm">Bd. 14, S. 381-686.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT3">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z4"></A><SPAN class="top">[4]</SPAN> Karl Marx: Herr Vogt, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me14/me14_389.htm#S390">Bd. 14, S. 390.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT4">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z5"></A><SPAN class="top">[5]</SPAN> Karl Marx: Das Kapital, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me23/me23_011.htm#S15">Bd. 23, S. 15.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT5">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z6"></A><SPAN class="top">[6]</SPAN> Karl Marx: Das Kapital, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me23/me23_000.htm">Bd. 23.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT6">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z7"></A><SPAN class="top">[7]</SPAN> Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me04/me04_459.htm#S481">Bd. 4, S. 481.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT7">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z8"></A><SPAN class="top">[8]</SPAN> Mehring zitiert hier nicht die Marxsche &Uuml;bersetzung, die am 21. und 30. Dezember 1864 im &raquo;Social-Demokrat&laquo; ver&ouml;ffentlicht worden war und auch den neueren Ausgaben zugrunde gelegt ist, sondern benutzt die &Uuml;bersetzung, die Wilhelm Eichoff in seinem 1868 erschienenen Buch &raquo;Die Internationale Arbeiterassoziation&laquo; ver&ouml;ffentlichte, nachdem er sie von Marx hat autorisieren lassen. In der &raquo;Inauguraladresse&laquo; lautet das Zitat: &raquo;Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der F&ouml;rderung durch nationale Mittel.&laquo; Karl Marx: Die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_005.htm#S12">Bd. 16, S. 12.</A> <A href="fm03_272.htm#ZT8">&lt;=</A></P>
<!-- #EndEditable -->
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Pfad: &raquo;../fm/fm03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
</SMALL>
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<TR>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="fm03_000.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "link2b" --><A HREF="fm03_322.htm"><SMALL>11.
Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
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