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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - IV. 1</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_643.htm"><FONT SIZE=2>III. 4</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_687.htm"><FONT SIZE=2>IV. 3</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 652-687.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">IV <BR>
<I>Wirtschaftsgeschichtliches </I>(II)</P>
<P ALIGN="CENTER">1</P>
</FONT><B><P><A NAME="S652">|652|</A></B> Sehen wir uns die am besten untersuchte, die germanische Markgenossenschaft in ihren inneren Einrichtungen an.</P>
<P>Die Germanen siedelten sich, wie wir wissen, in St&auml;mmen und Geschlechtern an. In jedem Geschlecht erhielt jeder Familienvater eine Baustelle nebst Hofraum zugewiesen, um darauf Haus und Hof einzurichten. Dann wurde ein Teil des Gebietes zum Ackerbau verwendet, und zwar kriegte jede Familie ein Los darauf. Zwar bebaute noch - nach C&auml;sars Zeugnis - um den Beginn der christlichen &Auml;ra ein Stamm der Deutschen (die Sueven oder Schwaben) den Acker gemeinsam, ohne ihn unter die Familien erst zu verteilen, doch war j&auml;hrliche Umteilung der Lose bereits allgemein &uuml;blich, namentlich zu des r&ouml;mischen Historikers Tacitus Zeiten, also im 2. Jahrhundert. In vereinzelten Gegenden, so in der Gemeinde Frickhofen im Nassauischen, waren j&auml;hrliche Umteilungen noch im 17. und 18. Jahrhundert &uuml;blich. Noch im 19. Jahrhundert waren in einigen Ge- <A NAME="S653"><B>|653|</A></B> meinden der Bayrischen Pfalz und am Rhein Verlosungen der &Auml;cker &uuml;blich, wenn auch in gr&ouml;&szlig;eren Zeitabst&auml;nden: alle 3, 4, 9. 12, 14, 18 Jahre. Diese &Auml;cker sind also erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts definitiv zum Privateigentum geworden. Auch in einigen Gegenden Schottlands haben Ackerumteilungen bis auf die j&uuml;ngste Zeit bestanden. Alle Lose waren urspr&uuml;nglich ganz gleich und in ihrer Gr&ouml;&szlig;e den durchschnittlichen Bed&uuml;rfnissen einer Familie sowie der Ertragsf&auml;higkeit des Bodens und der damaligen Arbeit angepa&szlig;t. Sie betrugen je nach Bodeng&uuml;te in verschiedenen Gegenden 15, 30, 40 oder mehr Morgen Landes. Im gr&ouml;&szlig;ten Teil Europas gingen die Losg&uuml;ter durch immer seltener werdende und schlie&szlig;lich in Wegfall gekommene Umteilungen bereits im 5. und 6. Jahrhundert in Erbg&uuml;ter der Einzelfamilien &uuml;ber. Doch das bezog sich nur auf die &Auml;cker. Das ganze &uuml;brige Gebiet: W&auml;lder, Wiesen, Gew&auml;sser sowie unbenutzte Strecken, blieb ungeteilt im Gemeineigentum der Mark. Aus dem Ertrage der Waldungen zum Beispiel wurden Gemeindebed&uuml;rfnisse und &ouml;ffentliche Abgaben bestritten, was &uuml;brigblieb, wurde verteile.</P>
<P>Die Weiden wurden gemeinsam benutzt. Diese ungeteilte Mark oder Allmende hat sich sehr lange erhalten, sie existiert heute noch in den Bayrischen, Tiroler und Schweizer Alpen, in Frankreich (in der Vend&eacute;e), in Norwegen und Schweden.</P>
<P>Um bei der Verteilung der &Auml;cker v&ouml;llige Gleichheit zu wahren, wurde die Feldmark zun&auml;chst nach G&uuml;te und Lage in einige Fluren (auch Oesche oder Gewanne genannt) geteilt, und jede Flur wurde alsdann in so viel schmale Streifen geschnitten, wie berechtigte Markgenossen vorhanden waren. Hatte ein Markgenosse Zweifel, ob er ein gleiches Los mir anderen erhalten [habe], so durfte er jederzeit eine neue Vermessung der ganzen Feldmark verlangen, und der es ihm wehrte, wurde bestraft.</P>
<P>Aber auch dann, als die periodischen Umteilungen und Verlosungen ganz in Wegfall kamen, blieb die <I>Arbeit </I>aller Markgenossen, auch auf den &Auml;ckern, durchaus gemeinschaftlich und strengen Regeln der Gesamtheit unterstellt. Zun&auml;chst ergab sich daraus f&uuml;r jeden Inhaber eines Markanteils die Pflicht zur Arbeit &uuml;berhaupt. Denn es reichte die Ans&auml;ssigkeit in der Mark allein noch nicht hin, um darin wirklicher Markgenosse zu sein. Zu diesem Zwecke mu&szlig;te vielmehr jedermann auch noch in der Mark selbst wohnen und sein Gut selbst bebauen. Wer seinen Anteil eine Reihe von Jahren hindurch nicht bebaute, verlor ihn ohne weiteres, und die Mark konnte ihn einem anderen zur Bearbeitung geben. Dann stand aber auch die Arbeit selbst unter der Leitung der Mark. Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens stand in der ersten Zeit nach der Ansiedelung der <A NAME="S654"><B>|654|</A></B> Deutschen die Viehzucht, die auf gemeinsamen Wiesen und Weiden unter gemeinsamen Dorfhirten betrieben wurde. Als Viehweide wurden auch Brachland sowie die &Auml;cker nach der Ernte gebraucht. Daraus schon ergab sich, da&szlig; die Zeiten f&uuml;r Aussaat und Ernte, der Wechsel der Acker und Brachejahre f&uuml;r jede Flur, die Reihenfolge der Saaten gemeinsam geregelt wurde, und jedermann mu&szlig;te sich den allgemeinen Anordnungen f&uuml;gen. Jede Flur war durch einen Zaun mit Falltoren umgeben und von der Saat bis zur Ernte geschlossen; die Zeit der Schlie&szlig;ung und der &Ouml;ffnung der Fluren wurde f&uuml;r das ganze Dorf bestimmt. Jede Feldflur stand unter einem Aufseher, Flursch&uuml;tzen, der von der Mark als &ouml;ffentlicher Beamter die vorgeschriebene Ordnung zu handhaben hatte; die sogenannten Flurumg&auml;nge der ganzen D&ouml;rfer gestalteten sich zu Feierlichkeiten, bei denen man auch Kinder mitnahm und ihnen Ohrfeigen gab, damit sie sich die Grenzen f&uuml;r sp&auml;tere Zeugnisabgabe merkten.</P>
<P>Die Viehzucht wurde gemeinsam betrieben, das Einzelh&uuml;ten von Herden war den Markgenossen verboten. Alle Tiere des Dorfes wurden in Gemeindeherden nach Tierarten geteilt, jede mit eigenen Dorfhirten und einem Leittier; auch war bestimmt, da&szlig; die Herden Schellen haben. Ebenso gemeinsam war allen M&auml;rkern das Jagd und Fischereirecht auf dem ganzen Markgebiete. Auf seinem eigenen Losgut durfte keiner Schlingen und Gruben legen, ohne die Genossen davon in Kenntnis zu setzen. Auch geh&ouml;rten Erze und dergleichen, die sich etwa in der Erde befanden, und tiefer als die Pflugschar reichte, auf dem ganzen Gebiete der Mark der Gemeinschaft und nicht dem einzelnen Finder. In jeder Mark mu&szlig;ten die notwendigen Handwerker ans&auml;ssig sein. Zwar verfertigte jede Bauernfamilie das meiste an Gebrauchsgegenst&auml;nden des t&auml;glichen Lebens selbst. Zu Hause wurde gebacken und gebraut, gesponnen und gewebt. Doch waren schon fr&uuml;h einige Handwerke spezialisiert, namentlich solche, die Ackerger&auml;tschaften verfertigten. So sollten in der Holzmark zu W&ouml;lpe in Niedersachsen die M&auml;rker "einen Mann von jedem Handwerk auf dem Walde haben, so von Holz was nutzhaftig machen kann"<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_652.htm#F1">[1]</A></A>. Es war &uuml;berall den Handwerkern bestimmt, welche Art Holz und wieviel sie benutzen d&uuml;rfen, um den Wald zu schonen und nur f&uuml;r die M&auml;rker das N&ouml;tige zu bereiten. Die Handwerker erhielten von der Mark das N&ouml;tige zum Leben und standen sich im allgemeinen genauso wie die Masse der &uuml;brigen Bauern; doch waren sie in der Mark nicht vollberechtigt - teils, weil sie wanderndes Volk waren, nicht bodenst&auml;ndiges Element, teils, was auf <A NAME="S655"><B>|655|</A></B> dasselbe hinauskommt, weil sie in der Hauptsache nicht der Landwirtschaft oblagen, diese aber stand damals im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, um sie drehte sich das &ouml;ffentliche Leben, Rechte und Pflichten der Markgenossen.<A NAME="ZN1"><A HREF="lu05_652.htm#N1">(1)</A></A> In die Markgenossenschaft konnte deshalb nicht jeder hineindringen. Zur Niederlassung f&uuml;r Fremde mu&szlig;te die Erlaubnis von allen Markgenossen einstimmig erteilt werden. Und ver&auml;u&szlig;ern durfte jeder sein Losgut nur an einen Markgenossen, nicht an Fremde, und nur vor dem Gerichte der Mark.</P>
<P>An der Spitze der Markgenossenschaft stand der Dorfgraf oder Schulthei&szlig;, anderswo Markmeister und Centener genannt. Zu seinem Oberamt wurde er von den Mitm&auml;rkern gew&auml;hlt. Diese Wahl war nicht blo&szlig; Ehre, sondern auch Pflicht f&uuml;r den Gew&auml;hlten; bei Strafe durfte man die Wahl nicht ablehnen. Mit der Zeit sollte das Amt des Markvorstehers freilich in bestimmten Familien erblich werden, und dann war nur ein Schritt dazu, da&szlig; dieses Amt auch - wegen seiner Macht und Eink&uuml;nfte - k&auml;uflich wurde, zu Lehen vergeben werden konnte, sich &uuml;berhaupt aus einem rein demokratischen Amt der Gemeindewahl in ein Werkzeug der Herrschaft &uuml;ber die Gemeinde wandelte. In der Bl&uuml;tezeit der Markgenossenschaft jedoch war der Markvorsteher nichts anderes als Willensvollstrecker der Gesamtheit. Alle gemeinsamen Angelegenheiten wurden von der Versammlung aller Markgenossen geregelt, auch Streitigkeiten geschlichtet und Strafen verh&auml;ngt. Die gesamte Ordnung der landwirtschaftlichen Arbeiten, Wege und Bauten, Feld und Dorfpolizei wurde durch die Mehrheit der Versammlung beschlossen, ihr wurden auch Rechnungen aus den "M&auml;rkerb&uuml;chern", die &uuml;ber die Markwirtschaft gef&uuml;hrt werden mu&szlig;ten, abgelegt. Markfriede und Markgerichtsbarkeit wurde unter dem Vorsitz des Markvorstehers von den umstehenden Genossen (dem "Gerichtsumstand") als Urteilsfindern m&uuml;ndlich und &ouml;ffentlich ausge&uuml;bt; nur M&auml;rker durften bei dem Gericht zugegen sein, Fremden war der Zutritt verwehrt. Die M&auml;rker waren verpflichtet, f&uuml;reinander Zeuge und Eidhelfer zu sein, wie sie &uuml;berhaupt die Pflicht hatten, einander in jeder Not, bei Feuersbrunst, bei feindlichem &Uuml;berfall treu und br&uuml;derlich beizustehen. Im Heere bildeten die M&auml;rker eigene Abteilungen und fochten nebenein- <A NAME="S656"><B>|656|</A></B> ander. Keiner durfte seinen Genossen dem feindlichen Speer &uuml;berlassen. Bei Verbrechen und Sch&auml;den, die in der Mark geschahen oder von einem M&auml;rker ausw&auml;rts ver&uuml;bt wurden, haftete die ganze Mark solidarisch. Die M&auml;rker waren verpflichtet, Reisende zu beherbergen und Bed&uuml;rftige zu unterst&uuml;tzen. Jede Mark bildete urspr&uuml;nglich eine religi&ouml;se Gemeinschaft, seit der Einf&uuml;hrung des Christentums - was bei den Germanen zum Teil wie bei den Sachsen, sehr sp&auml;t, erst im 9. Jahrhundert, geschah - eine Kirchgemeinde. Endlich unterhielt die Mark in der Regel einen Schullehrer f&uuml;r die gesamte Jugend des Dorfes.</P>
<P>Man kann sich nichts Einfacheres und Harmonischeres zugleich vorstellen als dieses Wirtschaftssystem der alten germanischen Mark. Wie auf flacher Hand liegt hier der ganze Mechanismus des gesellschaftlichen Lebens. Ein strenger Plan, eine stramme Organisation umfassen hier das Tun und Lassen jedes einzelnen und f&uuml;gen ihn dem Ganzen als ein Teilchen ein. Die unmittelbaren Bed&uuml;rfnisse des t&auml;glichen Lebens und ihre gleichm&auml;&szlig;ige Befriedigung f&uuml;r alle, das ist der Ausgangspunkt und der Endpunkt der ganzen Organisation. Alle arbeiten gemeinsam f&uuml;r alle und bestimmen gemeinsam &uuml;ber alles. Woraus flie&szlig;t aber und worauf gr&uuml;ndet sich diese Organisation und die Macht der Gesamtheit &uuml;ber den einzelnen? Es ist nichts anderes als der Kommunismus an Grund und Boden, das hei&szlig;t gemeinsamer Besitz des wichtigsten Produktionsmittels durch die Arbeitenden. Die typischen Z&uuml;ge der agrarkommunistischen Wirtschaftsorganisation kommen jedoch am besten zum Vorschein, wenn man sie vergleichend auf internationaler Basis studiert, um sie somit als Weltform der Produktion in ihrer historischen Mannigfaltigkeit und Biegsamkeit zu erfassen.</P>
<P>Wenden wir uns nach dem alten Inkareich in S&uuml;damerika. Das Gebiet dieses Reiches, das die heutigen Republiken Peru, Bolivia und Chile, also ein Gebiet von [3.364.600 km<FONT SIZE="-1"><SUP>2</FONT></SUP>] mit einer heutigen Bev&ouml;lkerung von [12 Millionen Einwohnern], umfa&szlig;t, war zur Zeit der spanischen Eroberung durch Pizarro noch in derselben Weise bewirtschaftet wie lange Jahrhunderte ehedem. Zun&auml;chst finden wir hier genau dieselben Einrichtungen wie bei den alten Germanen. Jede Geschlechtsgenossenschaft, zugleich eine Hundertschaft wehrf&auml;higer M&auml;nner, nimmt ein bestimmtes Gebiet ein, das ihr als Mark geh&ouml;rt und merkw&uuml;rdigerweise bis auf den Namen <I>Marca </I>der germanischen gleicht. Vom Markgebiet war das Ackerland abgeschieden, in Lose geteilt und j&auml;hrlich vor der Aussaat unter die Familien verlost. Die Gr&ouml;&szlig;e der Lose richtete sich nach der Gr&ouml;&szlig;e der Familien, also nach ihren Bed&uuml;rfnissen. Die Dorfvorsteher, deren Amt zur Zeit der Ausbildung des Inkareiches, also um das 10.-11. Jahrhundert, bereits von <A NAME="S657"><B>|657|</A></B> der W&auml;hlbarkeit zur Erblichkeit &uuml;bergegangen war, erhielten den gr&ouml;&szlig;ten Losanteil. In Nordperu bebaute nicht jeder Familienvater seinen Ackeranteil einzeln, sondern sie arbeiteten in Zehnerschaften unter Leitung eines F&uuml;hrers - eine Einrichtung, auf die bestimmte Tatsachen auch bei den alten Germanen hinweisen. Die Zehnerschaft bestellte nach der Reihe die Anteile aller Mitglieder, auch der abwesenden, die den Kriegsdienst oder den Frondienst f&uuml;r die Inkas leisteten. Jede Familie bekam die Fr&uuml;chte, die auf ihrem Anteil gewachsen waren. Auf ein Ackerlos hatte nur Anspruch, wer in der Mark wohnte und dem Geschlecht angeh&ouml;rte. Jedermann war jedoch verpflichtet, seinen Anteil auch selbst zu bebauen. Wer ihn eine Reihe von Jahren (in Mexiko drei Jahre) unbebaut lie&szlig;, verlor sein Anrecht auf den Anteil. Die Anteile durften nicht verkauft oder verschenkt werden. Streng verboten war es, die eigene Mark zu verlassen und sich in einer fremden anzusiedeln, was wohl mit den starken Blutsbanden der Dorfsippen zusammenhing. Der Ackerbau in den K&uuml;stengegenden, wo nur periodisch Regen f&auml;llt, erforderte seit jeher k&uuml;nstliche Bew&auml;sserung durch Kan&auml;le, die durch gemeinschaftliche Arbeit der ganzen Mark erbaut wurden. &Uuml;ber den Gebrauch des Wassers und seine Verteilung unter einzelne D&ouml;rfer und innerhalb derselben bestanden strenge Regeln. Jedes Dorf hatte auch "Armenfelder", die von s&auml;mtlichen Markgenossen bebaut wurden und deren Ernte die Dorfvorsteher unter die Altersschwachen, Witwen und sonstige Bed&uuml;rftige verteilten. Alles &uuml;brige Gebiet au&szlig;er Ackerfeldern war <I>Marcapacha = </I>Allmende. Im gebirgigen Teil des Landes, wo der Feldbau nicht gedieh, war bescheidene Viehzucht, deren fast einzigen Gegenstand die Lamas bildeten, die Grundlage der Existenz der Bewohner, die von Zeit zu Zeit ihr Hauptprodukt - Wolle - ins Tal trugen, um daf&uuml;r von den Ackerbauern Mais, Pfeffer und Bohnen einzutauschen. Hier im Gebirge gab es schon zur Zeit der Eroberung Privatherden und bedeutende Verm&ouml;gensunterschiede. Ein gemeiner Markgenosse besa&szlig; wohl 3-10 Lamas, ein Oberh&auml;uptling mochte ihrer 50 bis 100 haben. Allein der Boden, Wald und Weide war auch hier Gemeineigentum, und au&szlig;er privaten Herden gab es Dorfherden, die nicht verteilt werden durften. Zu bestimmten Zeiten wurde ein Teil der Gemeindeherde geschlachtet und Fleisch und Wolle unter die Familien verteilt. Besondere Handwerker gab es nicht, jede Familie verfertigte alles N&ouml;tige im Haushalte, doch gab es D&ouml;rfer, die sich besonders in irgendeinem Handwerk, als Weber, T&ouml;pfer oder Metallarbeiter, geschickt erwiesen. An der Spitze jedes Dorfes stand urspr&uuml;nglich der gew&auml;hlte, dann erbliche Dorfvorsteher, der die Aufsicht &uuml;ber den Feldbau f&uuml;hrte, in jeder wichti- <A NAME="S658"><B>|658|</A></B> geren Angelegenheit aber mit der Ve
<P>Soweit bietet die alte peruanische Markgenossenschaft ein getreues Abbild der germanischen in allen wesentlichen Z&uuml;gen. Doch ist sie geeignet, unser Eindringen in das Wesen dieses sozialen Systems fast noch mehr zu f&ouml;rdern dadurch, worin sie von dem uns bekannten typischen Bilde abweicht, als durch das, worin sie ihm entspricht. Das eigent&uuml;mliche an dem alten Inkareich ist, da&szlig; es ein erobertes Land war, in dem sich Fremdherrschaft festgesetzt hatte. Die eingewanderten Eroberer, die Inkas, geh&ouml;rten zwar auch zu den Indianerst&auml;mmen, sie unterwarfen sich aber die friedlichen se&szlig;haften Vechuast&auml;mme gerade dank der Weltabgeschiedenheit, in der diese in ihren D&ouml;rfern lebten, jede Mark nur f&uuml;r sich sorgend in ihren vier Pf&auml;hlen, ohne Zusammenhang auf gr&ouml;&szlig;eren Gebieten, ohne Interessen f&uuml;r alles, was au&szlig;erhalb der Markgrenzen lag und vorgehen mochte. Diese im h&ouml;chsten Grade partikulariatische soziale Organisation, die den Inkas ihren Eroberungsfeldzug sosehr erleichtert hatte, wurde von ihnen im allgemeinen unangetastet gelassen. Sie pfropften aber auf dieselbe ein raffiniertes System der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Herrschaft auf. Jede eroberte Mark mu&szlig;te einige L&auml;ndereien als "Inkafelder" und "Sonnenfelder" ausscheiden, die zwar ihr Eigentum blieben, deren Ertrag aber in Naturalien an den Herrscherstamm der Inkas wie an deren Priesterkaste abgef&uuml;hrt wurde. Ebenso mu&szlig;ten die viehz&uuml;chtenden Gebirgsmarken einen Teil der Herden als "Herrenherden" abstempeln und f&uuml;r die Herrscher reservieren. Das H&uuml;ten dieser Herden sowie die Bearbeitung der Inka- und der Priesterfelder lag als Frondienet der Gesamtheit der Markgenossen ob. Dazu kamen noch Fronden an Minenarbeiten, an &ouml;ffentlichen Arbeiten, wie Wege und Br&uuml;ckenbauten, deren Leitung die Herrscher in die Hand nahmen, ein streng disziplinierter Heeresdienst, endlich ein Tribut an jungen M&auml;dchen, die teils als Opfer f&uuml;r Kultzwecke, teils als Kebsweiber von den Inkas benutzt wurden. Dieses straffe System der Ausbeutung belie&szlig; jedoch das Markleben im Innern sowie seine kommunistisch-demokratischen Einrichtungen beim alten; die Fronden und Abgaben selbst wurden als gemeinsame Lasten der Marken kommunistisch getragen. Was das Merkw&uuml;rdige jedoch ist, die kommunistische Dorforganisation erwies sich nicht blo&szlig;, wie schon sovielmal in der Geschichte, als solide und geduldige Basis f&uuml;r ein jahrhundertelanges System der Ausbeutung und der Knechtschaft, sondern dieses System seinerseits war auch kommunistisch organisiert. Die Inkas n&auml;mlich, die sich auf dem R&uuml;cken der unterworfenen peruanischen St&auml;mme wohnlich ein- <A NAME="S659"><B>|659|</A></B> richteten, lebten selbst in Geschlechtsverb&auml;nden und markgenossenschaftlichen Verh&auml;ltnissen. Ihr Hauptsitz, die Stadt Cuzco, war nichts anderen als die Zusammenfassung von anderthalb Dutzend Massenquartieren, jedes der Sitz eines kommunistischen Haushalts des ganzen Geschlechts mit einem gemeinsamen Begr&auml;bnisplatz im Innern, also auch einem gemeinsamen Kultus. Um diese gro&szlig;en Sippenh&auml;user herum lagen die Markgebiete der Inkageschlechter mit ungeteilten W&auml;ldern und Weiden und geteiltem Ackerland, das gleichfalls gemeinschaftlich bearbeitet wurde. Als primitives Volk hatten diese Ausbeuter und Herrscher n&auml;mlich der Arbeit noch nicht entsagt, sie gebrauchten ihre Herrscherstellung nur dazu, besser zu leben als die Beherrschten und ihrem Kultus reichlichere Opfer darzubringen. Die moderne Kunst, sich ausschlie&szlig;lich von fremder Arbeit ern&auml;hren zu lassen und die eigene Nichtarbeit zum Attribut der Herrschaft zu machen, war dem Wesen dieser Gesellschaftsorganisation, in der Gemeineigentum und allgemeine Arbeitspflicht tiefgewurzelte Volkssitte waren, noch fremd. Auch die Aus&uuml;bung der politischen Herrschaft wurde als gemeinsame Funktion der Inkageschlechter organisiert. Die in die Provinzen Perus gesetzten Inkav
<P>Hier haben wir also vor uns gewisserma&szlig;en zwei &uuml;bereinandergelagerte soziale Schichten, die, beide kommunistisch im Innern organisiert, zueinander in einem Verh&auml;ltnis der Ausbeutung und Knechtung standen. Dieses Ph&auml;nomen mag auf den ersten Blick unbegreiflich, weil mit den Prinzipien der Gleichheit, Br&uuml;derlichkeit und Demokratie, die der Organisation der Markgenossenschaft zur Basis dienten, im schroffsten Widerspruch erscheinen. Aber hier gerade haben wir einen lebendigen Beweis daf&uuml;r, wie wenig die urkommunistischen Einrichtungen in Wirklichkeit mit irgendwelchen Prinzipien von allgemeiner Gleichheit und Freiheit der Menschen zu tun hatten. Diese in ihrer sich wenigstens auf die "zivilisierten" L&auml;nder, das hei&szlig;t auf L&auml;nder der kapitalistischen Kultur, erstreckenden allgemeinen G&uuml;ltigkeit, sich auf den abstrakten "Menschen", also auf alle Menschen beziehenden "Prinzipien" sind erst sp&auml;tes Produkt der neuzeitlichen b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, deren Revolutionen - in Amerika wie in Frankreich - sie auch zum erstenmal proklamiert haben. Die urkommu- <A NAME="S660"><B>|660|</A></B> nistische Gesellschaft kannte keine allgemeinen Prinzipien f&uuml;r alle Menschen; ihre Gleichheit und Solidarit&auml;t erwuchs aus den Traditionen der gemeinsamen Blutsbande und aus dem gemeinsamen Besitz der Produktionsmittel. So weit diese Blutsbande und dieser Besitz reichten, so weit reichten auch Gleichheit der Rechte und Solidarit&auml;t der Interessen. Was au&szlig;erhalb dieser Schranken lag - und sie waren so eng wie die vier Pf&auml;hle eines Dorfes, im weitesten Sinne wie die Gebietsgrenzen eines Stammes -, war fremd, konnte also auch feindlich sein. Ja, die im Innern auf wirtschaftlicher Solidarit&auml;t beruhenden Gemeinwesen konnten und mu&szlig;ten durch die tiefe Stufe der Produktionsentwicklung, durch Unergiebigkeit oder Ersch&ouml;pfung der Nahrungsquellen bei zunehmender Bev&ouml;lkerung periodisch dazu getrieben werden, mit andern gleichgearteten Gemeinwesen in t&ouml;dlichen Interessenkonflikt zu geraten, in dem der tierische Kampf, der Krieg, entscheiden mu&szlig;te und dessen Ausgang die Ausrottung einer der streitenden Seiten oder - viel h&auml;ufiger - die Etablierung eines Ausbeutungsverh&auml;ltnisses war. Es war nicht die Hingebung an abstrakte Grunds&auml;tze der Gleichheit und Freiheit, was dem Urkommunismus zugrunde lag, sondern die eherne Notwendigkeit der niedrigen Entwicklung der menschlichen Kultur, der Hilflosigkeit der Menschen der &auml;u&szlig;eren Natur gegen&uuml;ber, die ihnen das feste Zusammenhalten in gr&ouml;&szlig;eren Verb&auml;nden und das planm&auml;&szlig;ige vereinigte Vorgehen bei der Arbeit, bei dem Kampfe um die Existenz als absolute Existenzbedingung aufzwangen. Dieselbe geringe Beherrschung der Natur aber war es andererseits, die zugleich den gemeinsamen Plan und das gemeinsame Vorgehen bei der Arbeit nur auf ein verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig ganz geringes Gebiet nat&uuml;rlicher Wiesen oder urbar gemachter Dorfansiedlungen beschr&auml;nkte und sie f&uuml;r ein gemeinsames Vorgehen auf gr&ouml;&szlig;erem Ma&szlig;stab ganz ungeeignet machte. Der primitive Stand der Landwirtschaft gestattete damals keine gr&ouml;&szlig;ere Kultur als die einer Dorfmark, und damit steckte sie dem Spielraum der Interessensolidarit&auml;t ganz enge Schranken. Und dieselbe mangelhafte Entwicklung der Produktivit&auml;t der Arbeit war es endlich, die zugleich auch den periodischen Interessengegensatz zwischen den einzelnen sozialen Verb&auml;nden hervorbrachte und damit die rohe Gewalt als das einzige Mittel, diesen Gegensatz zu l&ouml;sen. Der Krieg war damit als st&auml;ndige Methode der L&ouml;sung von Interessenkonflikten zwischen sozialen Gemeinwesen geschaffen, eine Methode, die so lange vorherrschen sollte, bis die h&ouml;chste Entwicklung der Produktivit&auml;t der Arbeit, das hei&szlig;t die v&ouml;llige Beherrschung der Natur durch die Menschen, ihren materiellen Interessengegens&auml;tzen ein Ziel setzen wird. War aber der Zusammensto
<P>Wer die innere Struktur des Inkareiches kennt, dem bieten die oben geschilderten Verh&auml;ltnisse gar keine Schwierigkeiten. Sie sind zweifellos das Produkt lauter solcher parasit&auml;rer Doppelgebilde, die aus der Unterjochung einer ackerbauenden Markgenossenschaft durch ein anderes kommunistisches Gemeinwesen entstanden sind. Wieweit sich in den Sitten der Herrschenden wie in der Lage der Unterjochten dabei die kommunistische Grundlage erhalten hat, h&auml;ngt von der Entwicklungsstufe, der Dauer, der Umgebung dieser Gebilde ab, die eine ganze Skala von Abstufungen darbieten k&ouml;nnen. Das Inkareich, in dem die Herrschenden noch selbst arbeiten, das Grundeigentum des Unterworfenen im ganzen noch nicht angetastet ist und jede Gesellschaftsschicht f&uuml;r sich geschlossen organisiert ist, kann wohl als die urspr&uuml;nglichste Form solcher Ausbeu- <A NAME="S663"><B>|663|</A></B> tungsverh&auml;ltnisse betrachtet werden, die sich nur dank der verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig primitiven Kulturstufe und der Weltabgeschiedenheit des Landes jahrhundertelang konservieren konnte. Auf ein vorger&uuml;cktes Stadium weisen die &Uuml;berlieferungen Kretas hin, wo die unterworfene Bauerngemeinde den ganzen Ertrag ihrer Arbeit abz&uuml;glich ihres Unterhalts abliefern mu&szlig;te, wo sich also die herrschende Gemeinde nicht aus eigener Feldarbeit, sondern aus den Abgaben der ausgebeuteten Markgenossenschaft erhielt, diese aber noch unter sich kommunistisch verzehrte. In Sparta finden wir - einen Schritt weiter in der Entwicklung -, da&szlig; der Grund und Boden nicht mehr als Eigentum der unterworfenen Gemeinde, sondern als Eigentum der Herrschenden gilt und unter <I>ihnen </I>in markgenossenschaftlicher Weise umgeteilt und verlost wird. Die gesellschaftliche Organisation der Unterworfenen ist durch den Verlust ihrer Basis, des Eigentumsrechtes am Grund und Boden, gesprengt, sie sind selbst Eigentum der herrschenden Gemeinde, die sie kommunistisch "von Staats wegen", gleich den Ackerlosen an die einzelnen Markgenossen als Arbeitskraft &uuml;berl&auml;&szlig;t. Die herrschenden Spartaner leben selbst noch in streng markgenossenschaftlichen Verh&auml;ltnissen. Und &auml;hnliche Verh&auml;ltnisse d&uuml;rften in dieser oder jener Abstufung in Thessalien geherrscht haben, wo die fr&uuml;heren Bewohner, die Penesten oder "arme Leute", von &Auml;oliern unterworfen wurden, in Bithynien, wo die Mariandyner von thrakischen St&auml;mmen in eine &auml;hnliche Lage gebracht wurden. Doch f&uuml;hrt das parasit&auml;re Dasein unaufhaltsam dazu, auch in die herrschende Gemeinde den Keim der Zersetzung zu tragen. Schon die Eroberung und die Notwendigkeit, die Ausbeutung als st&auml;ndige Einrichtung zu festigen, f&uuml;hrt zur starken Ausbildung des Kriegswesens, was wir sowohl im Inkastaat wie in den spartanischen Staaten sehen. Damit ist die erste Grundlage zur Ungleichheit, zur Ausbildung bevorrechteter St&auml;nde im Scho&szlig;e der urspr&uuml;nglich freien und gleichen Bauernmasse gelegt. Es bedarf dann nur g&uuml;nstiger geographisch-kulturhistorischer Umst&auml;nde, die durch den Zusammensto&szlig; mit h&ouml;her gebildeten V&ouml;lkern verfeinerte Lebensbed&uuml;rfnisse und lebhaften Austausch wecken, damit die Ungleichheit auch innerhalb der Herrschenden rasche Fortschritte macht, den kommunistischen Zusammenhalt schw&auml;cht, dem Privateigentum mit seiner Spaltung in Reiche und Arme Platz macht. Ein klassisches Beispiel dieser Vorg&auml;nge bleibt die fr&uuml;heste Geschichte der griechischen Welt nach ihrem Zusammensto&szlig; mit den alten Kulturv&ouml;lkern des Orients. So ist das Ergebnis der Unterwerfung einer urkommunistischen Gesellschaft durch eine andere, ob fr&uuml;her oder sp&auml;ter, stets dasselbe: die Sprengung der kommunistischen traditionellen Gesellschaftsbande bei den Herrschern <A NAME="S664"><B>|664|</A></B> wie bei den Beherrschten und die Geburt einer ganz neuen Gesellschaftsformation, in der das Privateigentum mit der Ungleichheit und Ausbeutung, einander gegenseitig erzeugend, zugleich auf die Welt kommt.
<P>Die innere Organisation des peruanischen Inkastaates hat uns eine wich- <A NAME="S665"><B>|665|</A></B> tige Seite im Wesen der primitiven Gesellschaftsform enth&uuml;llt und zugleich eine bestimmte historische Methode ihres Untergangs aufgezeigt. Eine andere Wendung in den Schicksalen dieser Gesellschaftsform wird sich vor uns zeigen, wenn wir das weitere Kapitel in der Geschichte der Peru-Indianer wie der sonstigen spanischen Kolonien in Amerika verfolgen. Hier tritt uns vor allem eine ganz neue Methode des Eroberung [entgegen], von der zum Beispiel die Inkaherrschaft nichts &Auml;hnliches kennt: Die Herrschaft der Spanier als der ersten Europ&auml;er in der Neuen Welt begann sogleich mit einer unbarmherzigen Ausrottung der unterworfenen Bev&ouml;lkerung. Nach eigenen Zeugnissen der Spanier selbst erreicht die Zahl der Indianer, die von ihnen binnen weniger Jahre nach der Entdeckung Amerikas ausgerottet worden sind, 12 - 15 Millionen. "Wir sehen uns berechtigt zu behaupten", sagt Las Casas, "da&szlig; die Spanier durch ihre ungeheuerliche und unmenschliche Behandlung 12 Millionen Menschen ausgerottet haben, darunter Frauen und Kinder; nach meiner pers&ouml;nlichen Meinung", sagt er weiter, "&uuml;bertrifft die Zahl der in dieser Zeit dahingerafften Eingeborenen selbst 15 Millionen."<A NAME="ZN4"><A HREF="lu05_652.htm#N4">(4)</A></A> "Auf der Insel Haiti", sagt Handelmann, "belief sich die Zahl der von den Spaniern vorgefundenen Eingeborenen im Jahre 1492 auf 1 Million, im Jahre 1508 sind von dieser millionenk&ouml;pfigen Bev&ouml;lkerung nur 60.000 &uuml;briggeblieben und neun Jahre sp&auml;ter nur noch 14.000, so da&szlig; die Spanier, um die n&ouml;tige Zahl von Arbeitsh&auml;nden zu haben, zur Einfuhr von Indianern aus benachbarten Inseln greifen mu&szlig;ten. Im Jahre 1508 allein wurden auf die Insel Haiti transportiert und in Sklaven verwandelt 40.000 Eingeborene von den Bahama-Inseln."<A NAME="ZN5"><A HREF="lu05_652.htm#N5">(5)</A></A> Die Spanier machten regelrechte Jagd auf die Roth&auml;ute, die uns von einem Augenzeugen und Teilnehmer, dem Italiener Girolamo Benzoni, beschrieben worden ist. "Teils vor Nahrungsmangel, teils vor Kummer infolge der Trennung von ihren V&auml;tern, M&uuml;ttern und Kindern", sagt Benzoni nach einer solchen Jagd auf der Insel Kumagna, in der 4.000 Indianer gefangengenommen wurden, "war der gr&ouml;&szlig;te Teil der versklavten Eingeborenen auf dem Wege zum Hafen Kumani gestorben. Jedesmal, wo diese oder jene von den Sklaven vor M&uuml;digkeit nicht imstande waren, ebenso schnell zu marschieren wie ihre Kameraden, durchbohrten sie die Spanier, vor Angst, da&szlig; sie zur&uuml;ckbleiben und einen R&uuml;ckenangriff ausf&uuml;hren m&ouml;chten, mit ihren Dolchen von hinten und ermordeten sie unmenschlich. Es war ein herzzerrei&szlig;ender Anblick, diese <A NAME="S666"><B>|666|</A></B> ungl&uuml;cklichen Wesen zu sehen, ganz nackt, erm&uuml;det, verwundet und so durch den Hunger ersch&ouml;pft, da&szlig; sie kaum auf den F&uuml;&szlig;en stehen konnten. Eiserne Ketten fesselten ihren Hals, H&auml;nde und F&uuml;&szlig;e. Es gab nicht eine Jungfrau unter ihnen, die nicht vergewaltigt w&auml;re durch diese R&auml;uber (Spanier), die sich in diesem Fall einer so ekelerregenden Ausschweifung hingaben, da&szlig; viele von ihnen f&uuml;r immer ganz von Syphilis zerfressen blieben ... Alle in Sklaverei getanen Eingeborenen werden mit gl&uuml;hendem Eisen gezeichnet. Darauf lassen die Kapit&auml;ne einen Teil f&uuml;r sich, die &uuml;brigen verteilen sie unter die Soldaten. Diese verspielen sie entweder aneinander oder verkaufen sie an die spanischen Kolonisten. Kaufleute, die diese Ware gegen Wein, Mehl, Zucker und andere t&auml;gliche Bed&uuml;rfnisse eingetauscht haben, transportieren die Sklaven in jene Teile der spanischen Kolonien, wo die gr&ouml;&szlig;te Nachfrage nach ihnen besteht. W&auml;hrend des Transports geht ein Teil dieser Ungl&uuml;cklichen zugrunde infolge des Mangels an Wasser und der schlechten Luft in den Kaj&uuml;ten, was daher kommt, weil die Kaufleute alle Sklave
<P>Endlich gelang es den Kolonisten durch die Vermittlung des kaiserlichen Beichtvaters, des frommen Paters Garzia de Loyosa, von dem Habsburger Karl V. ein Dekret zu erwirken, das die Indianer summarisch zu erblichen Sklaven der spanischen Kolonisten erkl&auml;rte. Benzoni meint zwar, das Dekret habe sich nur auf die karaibischen Menschenfresser bezogen, es war aber ausgelegt und angewendet auf alle Indianer &uuml;berhaupt. Um ihre Greuel zu rechtfertigen, verbreiteten n&auml;mlich die spanischen Kolonisten planm&auml;&szlig;ig die gr&ouml;&szlig;ten Schauerm&auml;ren &uuml;ber die Menschenfresserei und die sonstigen Laster der Indianer, so da&szlig; zum Beispiel ein zeitgen&ouml;ssischer franz&ouml;sischer Historiker, Marly de Ch&acirc;tel, in seiner "Allgemeinen Geschichte Westindiens" (Paris 1569) von ihnen schreiben konnte: "Der Gott hat sie mit Sklaverei bestraft, f&uuml;r ihre Bosheit und ihre Laster, denn selbst Ham <A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_652.htm#F2">[2]</A></A> hat sich nicht in diesem Ma&szlig;e gegen seinen Vater Noah vers&uuml;ndigt wie die Indianer gegen den Herrgott."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_652.htm#F3">[3]</A></A> Und doch schrieb ungef&auml;hr um dieselbe Zeit ein Spanier, Acosta, in seiner "Historia natural y moral de las Indias" (Barcelona 1591) &uuml;ber dieselben Indianer, sie seien ein "gutm&uuml;tiges Volk, das stets bereit sei, den Europ&auml;ern eine Gef&auml;lligkeit zu erweisen, ein Volk, das in seinem Benehmen eine so r&uuml;hrende Harmlosigkeit und Aufrichtigkeit zeige, da&szlig; Leute, die nicht ganz von allen Eigenschaften der menschlichen Natur entbl&ouml;&szlig;t seien, sie unm&ouml;glich anders als mit Z&auml;rtlichkeit und Liebe behandeln k&ouml;nnten"<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_652.htm#F4">[4]</A></A>.</P>
<P>Freilich gab es auch Versuche, den Greueln entgegenzuwirken. Im Jahre 1531 erlie&szlig; Papst Paul III. eine Bulle, in der er die Indianer als zur Menschengattung geh&ouml;rig und deshalb von der Sklaverei frei erkl&auml;rte. Auch der spanische kaiserliche Rat f&uuml;r Westindien erkl&auml;rte sich sp&auml;ter <A NAME="S668"><B>|668|</A></B> gegen die Sklaverei, wovon die wiederholten Dekrete mehr die Fruchtlosigkeit als die Aufrichtigkeit dieser Bestrebungen bezeugen.</P>
<P>Was die Indianer von der Sklaverei befreite, war nicht die fromme Aktion der katholischen Geistlichkeit oder die Proteste der spanischen K&ouml;nige, sondern die einfache Tatsache, da&szlig; die Indianer ihrer physischen und geistigen Konstitution nach zur schweren Sklavenarbeit absolut nicht taugten. Gegen diese nackte Unm&ouml;glichkeit halfen auf die Dauer die gr&ouml;&szlig;ten Grausamkeiten der Spanier nicht; die Roth&auml;ute fielen in der Sklaverei wie die Fliegen, entflohen, entleibten sich, kurz - das Gesch&auml;ft wurde h&ouml;chst unrentabel. Und erst als der warme und unerm&uuml;dliche Verteidiger der Indianer, Bischof Las Casas, die Idee erfand, anstatt der untauglichen Indianer die robusteren Neger aus Afrika als Sklaven zu importieren, wurden die unn&uuml;tzen Experimente mit den Indianern zun&auml;chst eingestellt. Diese praktische Erfindung hat rascher und durchgreifender gewirkt als alle Pamphlete Las Casas' &uuml;ber die Grausamkeiten der Spanier. Die Indianer wurden nach einigen Jahrzehnten von der Sklaverei befreit, und die Sklaverei der Neger hub an, die von nun an vier Jahrhunderte dauern sollte. Zu Ende des 18. Jahrhunderts f&uuml;hrte ein biederer Deutscher, der "brave alte Nettelbeck" aus Kolberg, als Schiffskapit&auml;n auf seinem Schiffe von Guinen nach Guayana in S&uuml;damerika, wo andere "brave Ostpreu&szlig;en" Plantagen ausbeuteten, Hunderte von Negersklaven, die er nebst anderen Waren in Afrika eingehandelt hatte und die er genauso im unteren Schiffsraum eingepfercht hielt wie die spanischen Kapit&auml;ne des 16. Jahrhunderts. Der Fortschritt des humanen Aufkl&auml;rungszeitalters zeigte sich darin, da&szlig; Nettelbeck seine Sklaven zur Verh&uuml;tung der Schwermut und des Aussterbens unter ihnen jeden Abend auf dem Schiffsdeck unter Musik und Peitschenknall tanzen lie&szlig;, worauf die rohen spanischen Sklavenh&auml;ndler noch nicht verfallen waren. Und Ende des 19. Jahrhunderts, 1871, schrieb der edle David Livingstone, der 30 Jahre in Afrika verbracht hatte, um die Nilquellen aufzufinden, in seinem ber&uuml;hmten Briefe an den Amerikaner Gordon Bennett: "Sollten meine Enth&uuml;llungen &uuml;ber die Verh&auml;ltnisse in Udjidji dem entsetzlichen Sklavenhandel in Ostafrika ein Ende machen, so w&uuml;rde ich diese Errungenschaft h&ouml;her erachten als die Entdeckungen aller Nilquellen miteinander. Bei Ihnen zu Hause ist die Sklaverei &uuml;berall abgeschafft, reichen Sie uns Ihre m&auml;chtige hilfreiche Hand, auch das noch zu erreichen. Dieses sch&ouml;ne Land ist wie mit Mehltau oder mit dem Fluche des H&ouml;chsten belastet."<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_652.htm#F5">[5]</A></A></P>
<B><P><A NAME="S669">|669|</A></B> &Uuml;brigens war das Los der Indianer in den spanischen Kolonien durch diesen Umschwung noch durchaus nicht gebessert. Es war nur ein anderes Kolonisationssystem an Stelle des fr&uuml;heren getreten. Statt der <I>Repartimientos</I>, die auf direkte Sklaverei der Bev&ouml;lkerung eingerichtet waren, f&uuml;hrte man die sogenannte <I>"Encomiendas" </I>ein.<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_652.htm#F6">[6]</A></A> Formell wurde dabei den Einwohnern pers&ouml;nliche Freiheit und volles Eigentum am Grund und Boden zuerkannt. Nur wurden die Gebiete unter die administrative Leitung der spanischen Kolonisten, vor allem der Nachkommen der ersten Konquistadores, der Eroberer, gestellt, die als <I>Encomenderos </I>&uuml;ber die f&uuml;r unm&uuml;ndig erkl&auml;rten Indianer Vormundschaft f&uuml;hren und namentlich auch das Christentum unter ihnen verbreiten sollten. Zur Deckung der Kosten des Kirchenbaues f&uuml;r die Eingeborenen sowie auch zur Entsch&auml;digung f&uuml;r die eigene M&uuml;hewaltung bei dem Amt der Vormundschaft erhielten die Encomenderos gesetzlich das Recht, "m&auml;&szlig;ige Geld und Naturalabgaben" von der Bev&ouml;lkerung zu fordern. Diese Bestimmungen gen&uuml;gten, um die Encomiendas bald f&uuml;r die Indianer zur H&ouml;lle zu machen. Grund und Boden wurde ihnen freilich belassen, und zwar als ungeteiltes Eigentum der St&auml;mme. Allein darunter verstanden oder wollten verstehen die Spanier nur das Ackerland, das unter dem Pfluge war. Die ungeteilte Mark sowie unbenutzte L&auml;ndereien, ja h&auml;ufig selbst die unter Brache gelassenen Fluren wurden als "w&uuml;stes Land" von den Spaniern an sich gerissen. Und das mit solcher Gr&uuml;ndlichkeit und Schamlosigkeit, da&szlig; Zurita dar&uuml;ber schreibt: "Es gibt nicht eine Bodenparzelle, nicht eine Farm, die nicht als Eigentum der Europ&auml;er erkl&auml;rt worden w&auml;re, ungeachtet der Beeintr&auml;chtigung der Interessen und der Eigentumsrechte der Eingeborenen, die auf diese Weise gezwungen werden, die von ihnen seit uralten Zeiten bewohnten Gebiete zu verlassen. Nicht selten nimmt man ihnen selbst bebaute L&auml;ndereien unter dem Vorwande, sie h&auml;tten sie nur zu dem Behufe bes&auml;t, um die Aneignung durch die Europ&auml;er zu verhindern. Dank diesem System haben die Spanier in einigen Provinzen ihren Besitz so ausgedehnt, da&szlig; den Eingeborenen gar kein Land mehr zum Bebauen &uuml;brigbleibt."<A NAME="ZN9"><A HREF="lu05_652.htm#N9">(9)</A></A> Zugleich wurden die "m&auml;&szlig;igen" Abgaben von den spanischen Encomenderos so schamlos gesteigert, da&szlig; die Indianer unter ihrer Last erdr&uuml;ckt wurden. "Das ganze Hab und Gut des Indianers", sagt derselbe Zurita, "reicht nicht aus, um die auf ihn gelegten Steuern zu entrichten. Man begegnet vielen Leuten unter den Roth&auml;uten, deren <A NAME="S670"><B>|670|</A></B> Verm&ouml;gen nicht mal einen <I>Peso </I>ausmacht und die von t&auml;glicher Lohnarbeit leben; auf diese Weise verbleiben den Ungl&uuml;cklichen nicht einmal gen&uuml;gend Mittel, um die Familie zu erhalten. Dies ist der Grund, weshalb sooft junge Leute den unehelichen Verkehr dem ehelichen vorziehen, besonders wenn ihre Eltern nicht einmal &uuml;ber vier oder f&uuml;nf Real verf&uuml;gen. Die Indianer k&ouml;nnen sich nur schwer den Luxus einer Bekleidung gestatten; viele, die keine Mittel haben, um sich ein Kleid zu kaufen, sind nicht in der Lage, den Gottesdienst zu besuchen. Kein Wunder, da&szlig; die Mehrzahl von ihnen in Verzweiflung ger&auml;t, da sie keine Mittel finden, ihren Familien die n&ouml;tige Nahrung zu verschaffen ... W&auml;hrend meiner j&uuml;ngsten Reisen erfuhr ich, da&szlig; viele Indianer sich vor Verzweiflung erh&auml;ngt haben, nachdem sie ihren Frauen und Kindern erkl&auml;rt hatten, sie t&auml;ten dies angesichts der Unm&ouml;glichkeit, die von ihnen geforderten Steuern zu entrichten."<A NAME="ZN10"><A HREF="lu05_652.htm#N10">(10)</A></A></P>
<P>Endlich kam zur Erg&auml;nzung des Landdiebstahls und des Steuerdruckes die Zwangsarbeit. Anfangs des 17. Jahrhunderts kehren die Spanier offen zu dem im 16. Jahrhundert formell aufgegebenen System zur&uuml;ck. Zwar ist die Sklaverei f&uuml;r die Indianer abgeschafft, aber an ihre Stelle tritt ein eigent&uuml;mliches System der Zwangslohnarbeit, das sich im Wesen fast durch nichts von jener unterscheidet. Schon um die Mitte des 16, Jahrhunderts schildert uns Zurita folgenderma&szlig;en die Lage der indianischen Lohnarbeiter bei den Spaniern: "Die Indianer kriegen in dieser ganzen Zeit keine anderen Nahrungsmittel als Maisbrote ... Der Encomendor l&auml;&szlig;t sie vom Morgen bis in die Nacht arbeiten, wobei er sie im Morgen- und Abendfrost, unter Sturm und Gewitter nackt l&auml;&szlig;t, ohne ihnen eine andere Nahrung zu geben als halbverfaulte Brote ... Die Indianer verbringen die Nacht unter freiem Himmel. Da der Lohn erst am Ende der Periode der Zwangsarbeit ausgezahlt wird, so haben die Indianer keine Mittel, um sich die n&ouml;tige warme Kleidung zu kaufen. Kein Wunder, da&szlig; unter solchen Umst&auml;nden bei den Encomenderos die Arbeit f&uuml;r sie &auml;u&szlig;erst erm&uuml;dend ist und als eine der Ursachen ihres raschen Aussterbens erkannt werden kann."<A NAME="ZN11"><A HREF="lu05_652.htm#N11">(11)</A></A> Dieses System der Zwangslohnarbeit wurde nun anfangs des 17. Jahrhunderts von der spanischen Krone offiziell und allgemein gesetzlich eingef&uuml;hrt. Als Grund gibt das Gesetz an, da&szlig; die Indianer freiwillig nicht arbeiten wollten, ohne sie aber die Bergwerke selbst bei der vorhandenen Zahl der Neger nur &auml;u&szlig;erst schwer betrieben werden k&ouml;nn- <A NAME="S671"><B>|671|</A></B> ten. Die indianischen D&ouml;rfer werden nun verpflichtet, die erforderliche Zahl der Arbeiter zu stellen (in Peru den siebenten Teil, in Neuspanien vier Prozent der Bev&ouml;lkerung), die den Encomenderos auf Gnade und Ungnade ausgeliefert werden. Die t&ouml;dlichen Folgen dieses Systems werden alsbald sichtbar. In einer anonymen Denkschrift an Philipp IV., die den Titel tr&auml;gt "Bericht &uuml;ber den gef&auml;hrlichen Zustand des K&ouml;nigreichs Chile in weltlicher und geistlicher Hinsicht", hei&szlig;t es: "Die bekannte Ursache der raschen Abnahme der Zahl der Eingeborenen ist das System der Zwangsarbeit in den Bergwerken und auf den Feldern der Encomenderos. Obwohl die Spanier &uuml;ber eine enorme Zahl Neger verf&uuml;gen, obwohl sie die Indianer mir Steuern belegt haben, die unvergleichlich h&ouml;her sind, als jene ihren H&auml;uptlingen vor der Eroberung gezahlt hatten, halten sie es nichtsdestoweniger nicht f&uuml;r m&ouml;glich, das System der Zwangsarbeiten aufzugeben."<A NAME="ZN12"><A HREF="lu05_652.htm#N12">(12)</A></A> Die Zwangsarbeiten hatten im &uuml;brigen zur Folge, da&szlig; die Indianer vielfach nicht in der Lage waren, ihre Felder zu bebauen, was den Spaniern wiederum einen Vorwand bot, sie als "&Ouml;dland" an sich zu raffen. Der Ruin der indianischen Landwirtschaft bot naturgem&auml;&szlig; einen gedeihlichen Boden f&uuml;r den Wucher. "Unter ihren einheimischen Herrschern", sagt Zurita, "kannten die Indianer keine Wucherer."<A NAME="ZF7"><A HREF="lu05_652.htm#F7">[7]</A></A> Die Spanier lie&szlig;en sie diese Bl&uuml;te der Geldwirtschaft und des Steuerdrucks gr&uuml;ndlich kennenlernen. Durch Schulden zerfressen, gingen massenhaft L&auml;ndereien der Indianer, die nicht einfach von den Spaniern geraubt worden waren, in die H&auml;nde spanischer Kapitalisten &uuml;ber, wobei noch die Einsch&auml;tzung des Grundwertes dieser G&uuml;ter ein besonderes Kapitel der europ&auml;ischen Niedertracht f&uuml;r sich bildet. So schlossen sich Diebstahl an Grund und Boden, Steuern, Zwangsarbeit und Wucher zu einem eisernen Ring, in dem die Existenz der indianischen Markgenossenschaft zusammenbrach. Die traditionelle &ouml;ffentliche Ordnung, die hergebrachten sozialen Bande der Indianer wurden schon durch den Zusammenbruch ihrer wirtschaftlichen Unterlage - der markgenossenschaftlichen Landwir
<P>Man mu&szlig; in der Tat die phantastische Z&auml;higkeit des Indianervolkes und der markgenossenschaftlichen Einrichtungen bewundern, da&szlig; sich von beiden trotz dieser Wirtschaft noch bis ins 19. Jahrhundert hinein Reste erhalten haben.</P>
<P>Von anderer Seite zeigt uns die Schicksale der alten Markgenossenschaft die gro&szlig;e englische Kolonie - Indien. Hier wie in keinem anderen Winkel der Welt kann man eine ganze Musterkarte verschiedenster Formen des Grundbesitzes studieren, die wie der Herschelsche Sternhimmel zugleich eine auf eine Fl&auml;che projizierte Geschichte von Jahrtausenden darstellt. Dorfgemeinde neben Geschlechtsgemeinde, periodische Umteilungen gleicher Bodenanteile neben der Lebensl&auml;nglichkeit ungleicher Anteile, gemeinschaftliche Bodenbearbeitung neben privatem Einzelbetrieb, Gleichberechtigung aller Dorfbewohner an Gemeindel&auml;ndereien neben Privilegien gewisser Gruppen, endlich neben allen diesen Formen des Gemeinbesitzes reines Privateigentum an Grund und Boden und dieses in Form b&auml;uerlicher Zwergparzellen, kurzfristiger Pachten und enormer Latifundien - dies alles konnte man in Indien noch vor wenigen Jahrzehnten in Lebensgr&ouml;&szlig;e studieren. Da&szlig; die Markgenossenschaft in Indien eine uralte Einrichtung ist, bezeugen die indischen Rechtsquellen, so das &auml;lteste kodifizierte Gewohnheitsrecht <I>Manu </I>aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., das zahlreiche Bestimmungen &uuml;ber Grenzstreitigkeiten zwischen den Marken, &uuml;ber ungeteilte Mark, &uuml;ber Neuansiedlungen von Tochterd&ouml;rfern auf ungeteilten L&auml;ndereien alter Marken enth&auml;lt. Das Rechtsbuch kennt nur Eigentum, das auf eigener Arbeit beruht; es erw&auml;hnt noch das Handwerk als Nebenbesch&auml;ftigung der Landwirtschaft; es sucht der &ouml;konomischen Macht der Brahminen, das hei&szlig;t der Priester, einen Riegel vorzuschieben, indem es nur erlaubt, ihnen bewegliche Habe zu schenken. Die sp&auml;teren einheimischen F&uuml;rsten, die Radschas, figurieren hier noch als die gew&auml;hlten Stammesoberh&auml;upter. Auch die beiden sp&auml;teren Rechtsb&uuml;cher aus dem 5. Jahrhundert <I>Jadschnawalkja </I>und <I>Narada </I>erkennen den Geschlechtsverband als die soziale Organisation an, und die &ouml;ffentliche Gewalt sowie die Gerichtsbarkeit ruht hier in den H&auml;nden der Versammlung der Markgenossen. Diese haften solidarisch f&uuml;r Vergehen und Verbrechen der einzelnen. An der Spitze des Dorfes steht der gew&auml;hlte Markvorsteher. Beide <A NAME="S674"><B>|674|</A></B> Rechtsb&uuml;cher raten, die besten, friedliebendsten und gerechtesten Mitglieder zu diesem Amt zu w&auml;hlen und ihnen unbedingten Gehorsam zu leisten. Das Buch <I>Naradu </I>unterscheidet schon zweierlei Markgenossenschaften: "Verwandte", das hei&szlig;t Geschlechtsgenossenschaften, und "Mitbewohner", das hei&szlig;t Nachbargemeinden als Ortsverb&auml;nde Nichtblutsverwandter. Beide Rechtsb&uuml;cher kennen aber gleichfalls das Eigentum nur auf Grundlage der eigenen Arbeit: Ein verlassener Boden geh&ouml;rt dem, der ihn zum Anbau nimmt, ein unrechtm&auml;&szlig;iger Besitz wird selbst nach drei Generationen nicht anerkannt, wenn nicht eigene Bearbeitung damit verbunden war. Bis dahin sehen wir also das indische Volk noch in denselben primitiven Gesellschaftsbanden und Wirtschaftsverh&auml;ltnissen begriffen, in denen es jahrtausendelang in dem Gebiete des Indus und nachher in der heroischen Zeit der Eroberung des Gangesgebietes lebte, aus der die gro&szlig;en Volksepen Ramayana und Mahabharata geboren wurden. Erst die Kommentare zu den alten Rechtsb&uuml;chern, die stets das charakteristische Symptom tiefer sozialer Ver&auml;nderungen und des Bestrebens sind, alte Rechtsanschauungen neuen Interessen gem&auml;&szlig; zu beugen und zu deuten, sind ein deutlicher Beweis, da&szlig; bis zum 14. Jahrhundert - der Wirkungsepoche der Kommentatoren - die indische Gesellschaft tiefgehende Verschiebungen in ihrer sozialen Struktur durchgemacht hat. Inzwischen ist n&auml;mlich eine einflu&szlig;reiche Priesterkaste entstanden, die sich materiell und rechtlich &uuml;ber der Masse der Bauern erhebt. Die Kommentatoren suchen die deutliche Sprache der alten Rechtsb&uuml;cher - genau wie ihre christlichen Kollegen im feudalen Westen - dahin "auszulegen", um den priesterlichen
<P>Die Lebensfrage jedes etwas vorgeschritteneren Ackerbaus in den meisten Gegenden des Orients ist die k&uuml;nstliche Bew&auml;sserung.<A NAME="ZF8"><A HREF="lu05_652.htm#F8">[8]</A></A> Wir sehen auch sowohl in Indien wie in &Auml;gypten schon fr&uuml;h als solide Grundlage der Landwirtschaft gro&szlig;artige Berieselungswerke, Kan&auml;le, Brunnen oder planm&auml;&szlig;ige Vorkehrungen zur Anpassung der Landwirtschaft an periodische &Uuml;berschwemmungen. Alle diese gro&szlig;angelegten Unternehmungen &uuml;berstiegen von vornherein die Kr&auml;fte, aber auch die Initiative und den Wirtschaftsplan der einzelnen Markgenossenschaften. Zu ihrer Leitung <A NAME="S675"><B>|675|</A></B> und Durchf&uuml;hrung geh&ouml;rt eine Autorit&auml;t, die &uuml;ber den einzelnen Dorfmarken stand und deren Arbeitskr&auml;fte in einer h&ouml;heren Einheit zusammenfassen konnte, es geh&ouml;rte dazu auch eine h&ouml;here Beherrschung der Naturgesetze, als sie dem Beobachtungs- und Erfahrungsfeld der Masse der in ihren Dorfpf&auml;hlen eingeschlossenen Ackerbauern zug&auml;nglich war. Aus diesen Bed&uuml;rfnissen ergab sich die wichtige Funktion der Priester im Orient, die durch Naturbeobachtung, die mit jeder Naturreligion verkn&uuml;pft ist wie durch die auf einer gewissen Stufe der Entwicklung eintretende Befreiung von der unmittelbaren Teilnahme an der landwirtschaftlichen Arbeit am besten bef&auml;higt waren, die gro&szlig;en &ouml;ffentlichen Unternehmungen der Berieselung zu leiten. Aus diesen rein wirtschaftlichen Funktion erwuchs aber naturgem&auml;&szlig; mit der Zeit auch eine besondere soziale Macht der Priester: die aus der Arbeitsteilung sich ergebende Spezialisierung eines Gesellschaftsteiles verwandelte sich in eine erbliche abgeschlossene Kaste mit Vorrechten und Ausbeutungsinteressen gegen&uuml;ber der Masse des Bauerntums. Wie rasch und wie weit dieser Proze&szlig; bei diesem oder jenem Volke gedieh, ob er in keimartigen Formen blieb, wie bei den peruanischen Indianern, oder zur f&ouml;rmlichen Staatsherrschaft des Priestertums, zur Theokratie, sich entwickelte, wie in &Auml;gypten oder bei den alten Hebr&auml;ern, hing jedesmal von den besonderen geographischen und historischen Umst&auml;nden, namentlich von der Frage ab, ob h&auml;ufige kriegerische Zusammenst&ouml;&szlig;e mit den umwohnenden V&ouml;lkern nicht au&szlig;er der Priesterkaste auch eine m&auml;chtige Kriegerkaste aufkommen lie&szlig;en, die sich als Milit&auml;radel konkurrierend neben oder &uuml;ber der Priesterkaste erhob. In jedem Fall war es wieder die spezifische partikularistische Beschr&auml;nktheit der alten kommunistischen Mark, deren Organisation f&uuml;r gr&ouml;&szlig;ere Aufgaben weder wirtschaftlicher noch politischer Natur geeignet war und sich deshalb die Herrschaft au&szlig;erhalb ihrer und &uuml;ber ihr stehender M&auml;chte gefallen lassen mu&szlig;te, die jene Funktionen &uuml;bernahmen. In diesen Funktionen lag so sicher der Schl&uuml;ssel zur politischen Herrschaft und wirtschaftlichen Ausbeutung der gro&szlig;en Bauernmasse, da&szlig; s&auml;mtliche barbarischen Eroberer des Orients - ob es Mongolen, Perser oder Araber waren - jedesmal neben der Milit&auml;rgewalt im eroberten Lande auch die Leitung und Durchf&uuml;hrung jener gro&szlig;en &ouml;ffentlichen Unternehmungen in ihre H&auml;nde nahmen, die die Lebensbedingung der Landwirtschaft darstellen. Genauso wie die Inkas in Peru die Oberaufsicht &uuml;ber die k&uuml;nstlichen Bew&auml;sserungsunternehmungen sowie den Wege und Br&uuml;ckenbau als ihr Vorrecht, aber auch als ihre Pflicht betrachteten, so lie&szlig;en sich in Indien die verschiedenen im Laufe der Jahrhunderte einander abl&ouml;senden asia- <A NAME="S676"><B>|676|</A></B> tischen Despotendynastien dieselbe M&uuml;he angelegen sein. Und trotz Kastenbildung, trotz despotischer Fremdherrschaft, die sich &uuml;ber dem Lande lagerte, trotz politischer Umw&auml;lzungen fristete in den Niederungen der indischen Gesellschaft das stille Dorf sein bescheidenes Dasein. Und im Innern jedes Dorfes herrschten die uralten trad
<P>1. Als &auml;lteste Form ist die reine Geschlechtsgemeinde aufzufassen, die die Gesamtheit der Blutsverwandten eines Geschlechts (einer Sippe) umfa&szlig;t, den Grund und Boden gemeinsam besitzt und ihn auch gemeinsam bearbeitet. Auch die Feldmark ist hier demnach ungeteilte Mark, und der Verteilung unterliegen blo&szlig; die geernteten und in gemeinsamen Dorfspeichern aufbewahrten Fr&uuml;chte. Dieser primitivste Typus der Dorfgemeinde hat sich nur in wenigen Gegenden Nordindiens erhalten, ihre Einwohnerschaft jedoch war meistens nur noch auf einige Zweige ("putti") der alten Gens beschr&auml;nkt. Kowalewski sieht darin, nach Analogie mit der bosnischen und herzegowinischen "Zadruga", das Produkt der Aufl&ouml;sung der urspr&uuml;nglichen Blutsverwandtschaft, die sich mit der Zeit infolge des Bev&ouml;lkerungszuwachses in einige Gro&szlig;familien spaltet, die auch mit ihren L&auml;ndereien ausscheiden. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es ansehnliche Dorfgemeinden dieses Typus, von denen einige zum Bei- <A NAME="S677"><B>|677|</A></B> spiel &uuml;ber 150, andere aber auch 400 Mitglieder umfa&szlig;ten. Vorwiegend jedoch war der Typus kleiner Dorfgemeinden, die nur in au&szlig;erordentlichen F&auml;llen, zum Beispiel bei Ver&auml;u&szlig;erungen des Grundbesitzes, zu gr&ouml;&szlig;eren Verwandtschaften im Bereiche der alten Gens zusammentraten. Im gew&ouml;hnlichen Leben f&uuml;hrten sie das abgeschiedene, streng geregelte Dasein, das Marx nach englischen Quellen in seinem "Kapital" in knappen Z&uuml;gen schildert <A NAME="ZF9"><A HREF="lu05_652.htm#F9">[9]</A></A>:</P>
<P>"Jene uraltert&uuml;mlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z.B., die zum Teil noch fortexistieren, beruhn auf gemeinschaftlichem Besitz des Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und Handwerk und auf einer festen Teilung der Arbeit, die bei Anlage neuer Gemeinwesen als gegebner Plan und Grundri&szlig; dient. Sie bilden sich selbst gen&uuml;gende Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis auf einige 1.000 Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird f&uuml;r den unmittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde produziert, nicht als <I>Ware</I>, und die Produktion selbst ist daher unabh&auml;ngig von der durch Warenaustausch vermittelten Teilung der Arbeit im gro&szlig;en und ganzen der indischen Gesellschaft. Nur der &Uuml;berschu&szlig; der Produkte verwandelt sich in <I>Ware</I>, zum Teil selbst wieder erst in der Hand des Staats, dem ein bestimmtes Quantum seit undenklichen Zeiten als Naturalrente zuflie&szlig;t. Verschiedne Teile Indiens besitzen verschiedne Formen des Gemeinwesens. In der einfachsten Form bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und verteilt seine Produkte unter ihre Glieder, w&auml;hrend jede Familie Spinnen, Weben usw. als h&auml;usliches Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig besch&auml;ftigten Masse finden wir <I>den 'Haupteinwohner'</I>, Richter, Polizei und Steuereinnehmer in einer Person; den <I>Buchhalter</I>, der die Rechnung &uuml;ber den Ackerbau f&uuml;hrt und alles darauf Bez&uuml;gliche katastriert und registriert; einen dritten Beamten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reisende besch&uuml;tzt und von einem Dorf zum andren geleitet; den <I>Grenzmann</I>, der die Grenzen der Gemeinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den <I>Wasseraufseher</I>, der das Wasser aus den gemeinschaftlichen Wasserbeh&auml;ltern zu Ackerbauzwecken verteilt; den <I>Brahminen</I>, der die Funktionen des religi&ouml;sen Kultus verrichtet; den <I>Schulmeister</I>, der die Gemeindekinder im Sand schreiben und lesen lehrt; den <I>Kalenderbrahminen</I>, der als Astrolog die Zeiten f&uuml;r Saat, Ernte und die guten und b&ouml;sen Stunden f&uuml;r alle besondren Ackerbauarbeiten angibt; einen <I>Schmied </I>und einen <I>Zimmermann</I>, welche alle Ackerbauwerkzeuge verfertigen und ausbessern; den <I>T&ouml;pfer</I>, der alle Gef&auml;&szlig;e f&uuml;r das Dorf macht; den <I>Barbier</I>, den <A NAME="S678"><B>|678|</A></B> <I>W&auml;scher </I>f&uuml;r die Reinigung der Kleider, den <I>Silberschmied</I>, hier und da den <I>Poeten</I>, der in einigen Gemeinden den Silberschmied, in andren den Schulmeister ersetzt. Dies Dutzend Personen wird auf Kosten der ganzen Gemeinde erhalten. W&auml;chst die Bev&ouml;lkerung, so wird eine neue Gemeinde nach dem Muster der alten auf unbebautem Boden angesiedelt ... Das Gesetz, das die Teilung der Gemeindearbeit regelt, wirkt hier mit der unverbr&uuml;chlichen Autorit&auml;t eines Naturgesetzes ... Der einfache produktive Organismus dieser selbstgen&uuml;genden Gemeinwesen, die sich best&auml;ndig in derselben Form reproduzieren und, wenn zuf&auml;llig zerst&ouml;rt, an demselben Ort, mit demselben Namen wieder aufbauen, liefert den Schl&uuml;ssel zum Geheimnis der <I>Unver&auml;nderlichkeit </I>asiatischer <I>Gesellschaften</I>, so auffallend kontrastiert durch die best&auml;ndige Aufl&ouml;sung und Neubildung asiatischer <I>Staaten </I>und rastlosen Dynastenwechsel. Die Struktur der &ouml;konomischen Grundelemente der Gesellschaft bleibt von den St&uuml;rmen der politischen Wolkenregion unber&uuml;hrt."<A NAME="ZN16"><A HREF="lu05_652.htm#N16">[16]</A></A> [Hervorhebungen - <I>R. L.</I>]</P>
<P>2. Zur Zeit der englischen Eroberung war die urspr&uuml;ngliche Geschlechtsgemeinde mit ungeteiltem Boden meist schon aufgel&ouml;st. Aus ihrer Aufl&ouml;sung war aber eine neue Form entstanden: eine Verwandtschaftsgemeinde mit verteiltem Ackerland, doch nicht mit gleichen, sondern mit ungleichen Familienanteilen, deren Gr&ouml;&szlig;e genau von dem Grad der Verwandtschaft mit dem Urahnen abhing. Diese Form war sehr verbreitet im nordwestlichen Indien sowie im F&uuml;nfstromland. Die Anteile sind hier weder lebensl&auml;nglich noch erblich, sie bleiben im Besitz der Familien so lange, bis der Zuwachs der Bev&ouml;lkerung oder die Notwendigkeit, zeitweilig abwesend gewesene Verwandte zum Anteil an der Feldmark zuzulassen, eine Neuumteilung erforderlich machen. H&auml;ufig jedoch werden neue Anspr&uuml;che nicht durch allgemeine Umteilung, sondern durch Zuweisung neuer Parzellen auf unbebautem Markland befriedigt. Auf diese Weise werden die Familienanteile oft - wenn nicht rechtlich, so doch faktisch - lebensl&auml;nglich und sogar erblich. Neben dieser so ungleich verteilten Feldmark bleiben aber W&auml;lder, S&uuml;mpfe, Wiesen, unbebaute L&auml;ndereien Gemeinbesitz aller Familien, die sie auch gemeinsam benutzen. Diese merkw&uuml;rdige, auf Ungleichheit basierte kommunistische Organisation ger&auml;t jedoch mit der Zeit in Widerspruch mir neuen Interessen. Mit jeder sp&auml;teren Generation wird die Feststellung des Verwandtschaftsgrades jedes einzelnen immer schwieriger, die Tradition der Blutsbande verbla&szlig;t, und die Ungleichheit der Familienanteile wird immer mehr von den <A NAME="S679"><B>|679|</A></B> Benachteiligten als Ungerechtigkeit empfunden. Andererseits tritt in vielen Gegenden unvermeidlich eine Vermischung der Bev&ouml;lkerung durch Abwanderung eines Teils der Verwandten, durch Kriege und Ausrottung eines anderen Teiles der angesessenen Bev&ouml;lkerung, durch Ansiedlung und Aufnahme neuer Ank&ouml;mmlinge [ein]. So wird trotz aller scheinbaren Unbeweglichkeit und Unver&auml;nderlichkeit der Verh&auml;ltnisse die Bev&ouml;lkerung der Gemeinden gewi&szlig; nach Bodeng&uuml;te in Fluren ("wund") eingeteilt, und jede Familie kriegt einzelne Streifen sowohl in den besseren, bew&auml;sserten Fluren (die "sholgura", von "shola" = Reis, hei&szlig;en) wie in den schlechteren ("culmee"). Umlosungen waren zun&auml;chst, wenigstens vor der englischen Eroberung, nicht periodisch, sondern sie fanden jedesmal statt, wenn der nat&uuml;rliche Zuwachs der Bev&ouml;lkerung eine tats&auml;chliche Ungleichheit in der wirtschaftlichen Lage der Familien hervorgerufen hat. Namentlich dauerte dies in l&auml;nderreichen Gemeinden, die einen Vorrat an brauchbaren Fluren hatten. In kleineren Gemeinden wurde die Umteilung alle 10, 8, 5 Jahre, oft jedes Jahr, vorgenommen. Letzteres fand besonders dort statt, wo Mangel an guten Fluren ihre gleichm&auml;&szlig;ige Verteilung an alle Markgenossen jedes Jahr unm&ouml;glich machte, wo also nur durch die abwechselnde Benutzung verschiedener Fluren die ausgleichende Gerechtigkeit bet&auml;tigt werden kann. So endet die indische Geschlechtsgemeinde in ihrer Zersetzung mit der Form, die geschichtlich als die urspr&uuml;ngliche germanische Markgenossenschaft festgestellt ist.</P>
<P>Wir haben in Britisch-Indien und in Algerien <A NAME="ZF10"><A HREF="lu05_652.htm#F10">[10]</A></A> zwei klassische Beispiele des Verzweiflungskampfes und des tragischen Endes der alten kommunistischen Wirtschaftsorganisation in ihrem Zusammensto&szlig; mit dem europ&auml;ischen Kapitalismus kennengelernt. Das Bild der wechselvollen Schicksale der Markgenossenschaft w&auml;re nicht vollst&auml;ndig, wenn wir zum Schlu&szlig; nicht das merkw&uuml;rdige Beispiel eines Landes ber&uuml;cksichtigen w&uuml;rden, wo scheinbar die Geschichte einen ganz anderen Lauf genommen hat, wo n&auml;mlich der Staat nicht gewaltsam das b&auml;uerliche Gemeineigentum zu zerst&ouml;ren, sondern gerade umgekehrt es mit allen Mitteln zu retten und zu konservieren suchte. Dies Land ist das zarische <I>Ru&szlig;land</I>.</P>
<P>Wir haben uns hier nicht mit dem gro&szlig;en theoretischen Streit zu befas- <A NAME="S680"><B>|680|</A></B> sen, der jahrzehntelang um den Ursprung der russischen b&auml;uerlichen Feldgemeinschaft gef&uuml;hrt wurde. Es war nur nat&uuml;rlich und stimmt ganz mit der allgemeinen, dem Urkommunismus feindlichen Gesinnung der heutigen b&uuml;rgerlichen Wissenschaft &uuml;berein, da&szlig; die "Entdeckung" des russischen Professors Tschitscherin aus dem Jahre 1858, wonach die Feldgemeinschaft in Ru&szlig;land gar nicht ein urspr&uuml;ngliches historisches Produkt, sondern ein k&uuml;nstliches Produkt der fiskalischen Politik des Zarismus gewesen sein soll, bei den deutschen Gelehrten willige Aufnahme und Zustimmung fand.<A NAME="ZN17"><A HREF="lu05_652.htm#N17">(17)</A></A> Tschitscherin, der wieder einmal den Beweis liefert, da&szlig; die liberalen Gelehrten als Historiker meist viel untauglicher sind als ihre reaktion&auml;ren Kollegen, nimmt noch f&uuml;r die Russen die seit Maurer f&uuml;r Westeuropa definitiv aufgegebene Theorie der Einzelsiedelungen an, aus denen erst im 16. und 17. Jahrhundert die Gemeinden entstanden sein sollen. Dabei leitet Tschitscherin die gemeinsame Feldwirtschaft und den Flurzwang aus der Gemengelage der Feldstreifen, den gemeinsamen Bodenbesitz aus Grenzstreitigkeiten, die &ouml;ffentliche Gewalt der Markgenossenschaft aus der fiskalischen Solidarhaft f&uuml;r die im 16. Jahrhundert eingef&uuml;hrte Kopfsteuer ab, stellt also so ziemlich alle historischen Zusammenh&auml;nge, Ursache und Wirkung h&ouml;chst liberal auf den Kopf.</P>
<P>Wie man aber auch &uuml;ber die Altert&uuml;mlichkeit und den Ursprung der b&auml;uerlichen Feldgemeinschaft in Ru&szlig;land denken mag, jedenfalls &uuml;berdauerte sie die ganze lange Geschichte der Leibeigenschaft und auch ihre Abstreifung bis in die letzten Zeiten hinein. Uns interessieren hier nur ihre Schicksale im 19. Jahrhundert.</P>
<P>Als Zar Alexander II. seine sogenannte "Bauernbefreiung" durchf&uuml;hrte, wurde den Bauern - ganz nach preu&szlig;ischem Muster - ihr eigenes Land von den Herren verkauft, wobei diese f&uuml;r die schlechtesten Teile der angeblichen Herreng&uuml;ter vom Fiskus in Wertpapieren reichlich abgefunden und auf das den Bauern "verliehene" Land eine Schuld im Betrage von [900 Millionen Rubel] gelegt wurde, die mit j&auml;hrlichen Abl&ouml;sungsraten von 6 Prozent binnen 49 Jahren an den Fiskus zu tilgen war. Dieses Land wurde aber nicht wie in Preu&szlig;en einzelnen Bauernfamilien in Privateigentum, sondern ganzen Gemeinden als unver&auml;u&szlig;erliches und unverpf&auml;ndbares Gemeineigentum zugewiesen. F&uuml;r die Abl&ouml;sungsschuld wie f&uuml;r s&auml;mtliche Steuern und Abgaben hafteten die Gemeinden solidarisch und waren in der Veranlagung unter ihre einzelnen Mitglieder frei. In dieser <A NAME="S681"><B>|681|</A></B> Weise wurde das ganze gewaltige Gebiet der gro&szlig;russischen Bauernmasse eingerichtet. Zu Beginn der neunziger Jahre war die Einteilung des gesamten Bodenbesitzes im europ&auml;ischen Ru&szlig;land (ohne Polen, Finnland und das Donsche Kosakengebiet) die folgende: Die Staatsdom&auml;nen, die meist aus enormen Waldgebieten des Nordens und aus &Ouml;dland bestehen, umfa&szlig;ten 150 Millionen De&szlig;jatinen,<A NAME="ZN18"><A HREF="lu05_652.htm#N18">(18)</A></A> kaiserliche Apanagen 7 Millionen, im Besitz der Kirche und der St&auml;dte befanden sich weniger als 9 Millionen, im Privatbesitz 93 Millionen - wovon nur 5 Prozent den Bauern, der Rest dem Adel geh&ouml;rte, 131 Millionen De&szlig;jatinen aber waren b&auml;uerlicher Gemeinbesitz. Noch im Jahre 1900 befanden sich in Ru&szlig;land 122 Millionen Hektar im Gemeinbesitz der Bauern und nur 22 Millionen im b&auml;uerlichen Privatbesitz.</P>
<P>Sieht man sich die Wirtschaft des russischen Bauerntums auf diesem enormen Gebiete an, wie sie bis in die letzte Zeit, zum Teil heute noch, gef&uuml;hrt wird, so erkennt man mit Leichtigkeit die typischen Einrichtungen der Markgenossenschaft wieder, wie sie in Deutschland so gut wie in Afrika, am Ganges so gut wie in Peru zu allen Zeiten &uuml;blich waren. Es gab geteilte Feldmark, w&auml;hrend Wald, Wiese, Wasser ungeteilte Allmende bildeten. Bei der allgemeinen Vorherrschaft der primitiven Dreifelderwirtschaft wurde Sommer wie Winterfeld nach Bodeng&uuml;te in Fluren ("Karten") geteilt, jede Flur in einzelne Streifen. Die Sommerfluren pflegte man im April, die Winterfluren im Juni zu verteilen. Bei der peinlichen Beobachtung der gleichm&auml;&szlig;igen Verteilung des Bodens wurde die Gemengelage so stark entwickelt, da&szlig; zum Beispiel im Moskauer Gouvernement im Durchschnitt auf das Sommer und das Winterfeld je 11 Fluren entfielen, so da&szlig; jeder Bauer mindestens 22 zerstreute Parzellen zu bebauen hatte, Die Gemeinde sonderte gew&ouml;hnlich Grundst&uuml;cke aus, die f&uuml;r Notf&auml;lle zu Gemeindezwecken bebaut wurden, oder legte Vorratsmagazine zum gleichen Zwecke an, in die einzelne Mitglieder Korn zu liefern hatten. F&uuml;r den technischen Fortschritt der Wirtschaft war in der Weise gesorgt, da&szlig; jede Bauernfamilie ihren Anteil 10 Jahre lang behalten durfte, unter der Bedingung, da&szlig; sie ihn d&uuml;ngte, oder aber wurden in jeder Flur von vornherein Parzellen abgeteilt, die ged&uuml;ngt wurden und nur alle 10 Jahre zur Umteilung gelangten. Derselben Regel unterlagen meist Flachsfelder, Obst und Gem&uuml;seg&auml;rten.</P>
<P>Die Verteilung der Gemeindeherden auf verschiedene Wiesen und Weiden, die Aufdingung der Hirten, Einz&auml;unung der Weiden, Flurschutz sowie Bestimmung des Feldsystems, des Zeitpunkts f&uuml;r einzelne Feld- <A NAME="S682"><B>|682|</A></B> arbeiten, des Termins und der Art der Umteilungen - das alles war Sache der Gemeinde, das hei&szlig;t der Dorfversammlung. Was die H&auml;ufigkeit der Umteilungen betrifft, so herrschte gro&szlig;e Mannigfaltigkeit. In einem einzigen Gouvernement, Saratow zum Beispiel, unternahmen im Jahre 1877 von 278 untersuchten Dorfgemeinden nahezu die H&auml;lfte die Umlosung j&auml;hrlich, die &uuml;brigen aber alle 2, 3, 5, 6, 8 und 11 Jahre, w&auml;hrend 38 Gemeinden, die allgemein das D&uuml;ngen praktizierten, die Umteilungen ganz aufgegeben hatten.<A NAME="ZN19"><A HREF="lu05_652.htm#N19">(19)</A></A></P>
<P>Das merkw&uuml;rdigste an der russischen Markgenossenschaft ist die Art der Bodenverteilung. Hier herrschte nicht das Prinzip gleicher Lose, wie bei den alten Deutschen, oder der Gr&ouml;&szlig;e der Familienbed&uuml;rfnisse, wie bei den Peruanern, sondern einzig [und] allein das Prinzip der Steuerkraft. Das fiskalische Steuerinteresse beherrschte seit der "Bauernbefreiung" das gesamte Leben der Dorfgemeinde, um die Steuern drehten sich alle Einrichtungen im Dorfe. F&uuml;r die zarische Regierung existierten zwar als Grundlage der Besteuerung nur die sogenannten "Revisionsseelen", das hei&szlig;t alle m&auml;nnlichen Einwohner der Gemeinde ohne Altersunterschied, wie sie seit der ersten Bauernz&auml;hlung unter Peter dem Gro&szlig;en etwa alle 20 Jahre durch die ber&uuml;hmten "Revisionen" festgestellt wurden, die der Schrecken des russischen Volkes waren und vor denen ganze D&ouml;rfer auseinanderliefen.<A NAME="ZN20"><A HREF="lu05_652.htm#N20">(20)</A></A></P>
<P>Die Regierung besteuerte die D&ouml;rfer nach der Zahl der revidierten "Seelen". Die Gemeinde aber veranlagte die auf sie entfallende Pauschalsumme der Steuern auf die Bauernh&ouml;fe nach Arbeitskr&auml;ften, und nach der so berechneten Steuerleistungsf&auml;higkeit wurde der Bodenanteil jedes Hofes bemessen. Der Bodenanteil erschien somit in Ru&szlig;land seit 1861 von vornherein nicht als Grundlage der Ern&auml;hrung der Bauern, sondern als Grundlage der Steuerleistung, er war nicht eine Wohltat, auf die der einzelne Bauernhof Anspruch hatte, sondern er war Pflicht, die jedem Mitglied von der Gemeinde als Staatsdienst aufgedrungen wurde. Nichts Originelleres deshalb als eine russische Dorfversammlung, bei der die Boden- <A NAME="S683"><B>|683|</A></B> umteilung stattfand. Allenthalben konnte man Proteste gegen zu gro&szlig;e zugewiesene Anteile h&ouml;ren, arme Familien ohne richtige Arbeitskr&auml;fte, mit vorwiegend weiblichen oder minderj&auml;hrigen Mitgliedern wurden wegen "Kraftlosigkeit" im Gnadenwege mit dem Anteil &uuml;berhaupt verschont, reichen Bauern wurden aber von der Masse der &auml;rmeren die gr&ouml;&szlig;ten Anteile aufgezwungen. Die Steuerlast, die so im Mittelpunkt des russischen Dorflebens steht, ist auch eine enorme. Zu den Abl&ouml;sungssummen kamen zun&auml;chst noch die Kopfsteuer, Gemeindesteuer, Kirchensteuer, Salzsteuer usw. In den achtziger Jahren wurde die Kopfsteuer und die Salzsteuer abgeschafft, trotzdem blieb die Steuerlast so enorm, da&szlig; sie alle wirtschaftlichen Mittel des Bauerntums verschlang. Nach einer Statistik aus den neunziger Jahren schlugen 70 Prozent der Bauernschaft aus ihrem Bodenanteile weniger als das Existenzminimum heraus, 20 Prozent waren imstande, sich selbst zu ern&auml;hren, nicht aber Vieh zu halten, und nur etwa 9 Prozent konnten einen &Uuml;berschu&szlig; &uuml;ber den eigenen Bedarf zum Verkauf bringen. Eine st&auml;ndige Erscheinung des russischen Dorfes wurden deshalb gleich nach der "Bauernbefreiung" die Steuerr&uuml;ckst&auml;nde. Schon in den siebziger Jahren erwies sich bei einem durchschnittlichen j&auml;hrlichen Eingang von 50 Millionen Rubel Kopfsteuer ein j&auml;hrlicher R&uuml;ckstand von 11 Millionen. Nach der Aufhebung der Kopfsteuer wuchs das Elend des russischen Dorfes dank der gleichzeitig seit den achtziger Jahren immer h&ouml;her geschraubten indirekten Besteuerung immer mehr. Im Jahre 1904 betrugen die Steuerr&uuml;ckst&auml;nde 127 Millionen Rubel, die bei der v&ouml;lligen Unm&ouml;glichkeit der Eintreibung und angesichts der revolution&auml;ren G&auml;rung fast ganz erlassen wurden. Die Steuern verschlangen bald nicht blo&szlig; fast den ganzen Erwerb der Bauernwirtschaft, sondern zwangen die Bauern, Nebenverdienst zu suchen. Einerseits waren es l&auml;ndliche Saisonarbeiten, die zur Erntezeit auch heute namentlich ganze V&ouml;lkerwanderungen im Inneren Ru&szlig;lands hervorrufen, wobei die kr&auml;ftigsten m&auml;nnlichen Dorfeinwohner auf die gro&szlig;en herrschaftlichen G&uuml;ter ziehen, um sich hier zum Tagelohn zu verdingen, w&auml;hrend sie ihre eigenen Parzellen auf schw&auml;chere Kr&auml;fte alter, weiblicher und halbw&uuml;chsiger Arbeiter zur&uuml;cklassen. Andererseits winkte die Stadt, die Fabrikindustrie. So bildete sich namentlich im zentralen Industrierayon jene Schicht der zeitweisen Arbeiter, die nur zum Winter in die St&auml;dte, meist in die Textilfabriken, zogen, um im Fr&uuml;hling mit dem Verdienst in ihr Dorf zu Feldarbeiten zur&uuml;ckzukehren. Endlich kam in vielen Gegenden noch industrielle Hausarbeit oder landwirtschaftlicher zuf&auml;lliger Nebenbetrieb, wie Fuhrgesch&auml;ft oder Holzhacken, hinzu. Und bei alledem konnte die gr&ouml;&szlig;te Klasse der Bauern kaum das <A NAME="S684"><B>|684|</A> </B>nackte Leben fristen. Nicht nur alle Fr&uuml;chte des Ackerbaus, sondern auch s&auml;mtlicher industrieller Nebenerwerb wurden von den Steuern verschlungen. Die Markgenossenschaft, die f&uuml;r die Steuern solidarisch haftete, war mit strengen Machtmitteln gegen&uuml;ber ihren Mitgliedern vom Staat
<P>Trotz all dieser k&uuml;nstlichen Gesetzesklammern, in die die Dorfgemeinde gepre&szlig;t war, trotz der Vormundschaft dreier Ministerien und eines Schwarms von Tschinowniks lie&szlig; sich die Aufl&ouml;sung nicht mehr aufhalten. Die erdr&uuml;ckende Steuerlast, der Verfall der b&auml;uerlichen Wirtschaft infolge des landwirtschaftlichen und industriellen Nebenerwerbs, Mangel an Boden, namentlich an Weide und Wald, die schon bei der Abl&ouml;sung meist von dem Adel an sich gerafft wurden, aber auch an brauchbarem Ackerland bei zunehmender Bev&ouml;lkerung, das alles erzeugte zweierlei entscheidende Erscheinungen im Leben der Dorfgemeinde: Flucht in die Stadt und Aufkommen des Wuchers im Innern des Dorfes. In dem Ma&szlig;e, wie der Landteil mitsamt dem industriellen oder anderweitigen Nebenerwerb immer mehr doch nur dazu diente, die Steuern abzutragen, ohne sie je wirklich abtragen und ohne das notd&uuml;rftige Leben fristen zu k&ouml;nnen, wurde die Zugeh&ouml;rigkeit zur Markgenossenschaft zu einer eisernen Fessel, zur Hungerkette am Halse des Bauern. Und dieser Kette zu entrinnen wurde das nat&uuml;rliche Ziel der Sehnsucht f&uuml;r ganze Massen der &auml;rmeren Gemeindemitglieder. Hunderte Fl&uuml;chtiger wurden als pa&szlig;lose Vagabunden von der Polizei in ihre Gemeinde zur&uuml;ckgeliefert und hier von den Markgenossen exemplarisch auf der Bank mit Ruten gez&uuml;chtigt. Aber die Rute und der Pa&szlig;zwang erwiesen sich als ohnm&auml;chtig gegen die Massenflucht der Bauern, die bei Nacht und Nebel aus der H&ouml;lle ihres "Dorfkommunismus" in die Stadt flohen, um hier in dem Meer des Industrieproletariats definitiv unterzutauchen. Andere, denen die Familienbande oder sonstige Umst&auml;nde die Flucht nicht ratsam machten, suchten auf legalem Wege den Austritt aus der Feldgemeinschaft zu bewerkstelligen. Dazu war aber die Tilgung der Abl&ouml;sungsschuld erforderlich, und hier half - der Wucherer aus. Sowohl die Steuerlast selbst wie der durch die Steuerentrichtung erzwungene Verkauf des Korns zu schlechtesten Bedingungen lieferten den russischen Bauer sehr fr&uuml;h dem Wucherer aus. Jeder Notstand, jede Mi&szlig;ernte machten wieder die Zuflucht zum Wucherer unabweislich. Und schlie&szlig;lich die Befreiung selbst aus dem Joch der Gemeinde war f&uuml;r die meisten nicht anders erreichbar, als indem sie sich ins Joch des Wucherers begaben, dem sie sich auf unabsehbare Zeit dienst und tributpflichtig machten. W&auml;hrend so die armen Bauern dem Markverband zu entrinnen suchten, um das Elend loszuwerden, kehrten ihm die reicheren <A NAME="S686"><B>|686|</A></B> Bauern vielfach den R&uuml;cken und traten aus, um der l&auml;stigen Solidarhaft f&uuml;r die Steuern der &Auml;rmeren zu entgehen. Aber auch wo formelle Ausscheidungen reicher Bauern unterblieben, bildeten diese - zum gr&ouml;&szlig;ten Teil zugleich Wucherer des Dorfes - in der Markversammlung gegen&uuml;ber der armen Masse die herrschende Macht, die durch die verschuldete und abh&auml;ngige Mehrheit sich genehme Beschl&uuml;sse durchzudr&uuml;cken wu&szlig;te. So bildete sich im Scho&szlig;e der formell auf Gleichheit und Gemeineigentum beruhenden Dorfgemeinde eine deutliche Klassenscheidung in eine kleine, aber einflu&szlig;reiche Dorfbourgeoisie und eine Masse abh&auml;ngiger und tats&auml;chlich proletarisierter Bauern. Der innere Verfall der von der Steuerlast erdr&uuml;ckten, vom Wucher zerfressenen, innerlich gespaltenen Dorfgemeinde machte sich endlich nach au&szlig;en Luft: Hungersnot und Bauernrevolte wurden in den achtziger Jahren in Ru&szlig;land zur periodischen Erscheinung, die die inneren Gouvernements mit derselben Unerbittlichkeit heimsuchte, mit der auch der Steuerexekutor und das Milit&auml;r zur "Beruhigung" des Dorfes ihr auf der Spur folgten. Die russischen Fluren wurden auf weiten Gebieten zum Theater grauenhaften Aussterbens vor Hunger und blutiger Tumulte. Der russische Muschik machte das Los des indischen Bauern durch, und Orissa hie&szlig; hier: Saratow, Samara und so weiter die Wolga herunter.<A NAME="ZN21"><A HREF="lu05_
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="N1">(1)</A> Genau dieselbe Stellung nahm der Handwerkes in der griechischen Gemeinde der homerischen Zeit ein: "Alle diese Leute (Metallarbeiter, Zimmermann, Spielmann, Anm. - <I>R. L.</I>) sind <I>Demiurgoi </I>(von Demos = Volk - <I>R. L.</I>), d.h., sie arbeiten f&uuml;r die Angeh&ouml;rigen der Gemeinde, nicht f&uuml;r sich selbst, sie sind pers&ouml;nlich frei, aber sie gelten nicht f&uuml;r voll, sie stehen unter den eigentlichen Gemeindeangeh&ouml;rigen, den kleinen Bauern. Vielfach sind sie nicht se&szlig;haft, sie ziehen von Ort zu Ort oder werden auch, wenn sie einen Namen haben, von weither gerufen." (Ed. Meyer: Die wirtschaftliche Entwickelung des Altertums [Jena 1895], S. 17.) <A HREF="lu05_652.htm#ZN1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N2">(2)</A> [Max Weber: Agrargeschichte. I:] Agrarverh&auml;ltnisse im Altertum. [In:] Handw&ouml;rterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl., Bd. 1 [Jena 1898], S. 69. <A HREF="lu05_652.htm#ZN2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N3">(3)</A> C., S. 37/38. [Ettore Giccoti: Der Untergang der Sklaverei im Altertum, Berlin 1910, S. 37.] <A HREF="lu05_652.htm#ZN3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N4">(4)</A> Brevissima Relaci&oacute;n de la destruycion de las Indias, Sevilla 1552, zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 471. <A HREF="lu05_652.htm#ZN4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N5">(5)</A> Heinrich Handelmann: Geschichte der Insel Hayti, Kiel 1856, S. 6. <A HREF="lu05_652.htm#ZN5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N6">(6)</A> Girolamo Benzoni: Storia del mundo nuovo, Venezia 1565, zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 51/52. <A HREF="lu05_652.htm#ZN6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N7">(7)</A> Charleroix: Histoire de l'Isle Espagnole ou de St. Dominique, Paris 1730, Teil I, S. 228, zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 50. <A HREF="lu05_652.htm#ZN7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N8">(8)</A> Acosta: Historia natural y moral de las Indias, Barcelona 1591, zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 52. <A HREF="lu05_652.htm#ZN8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N9">(9)</A> Zurita, S. 57-59, zit. nach: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 62. <A HREF="lu05_652.htm#ZN9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N10">(10)</A> Zurita, S. 329, zit. nach: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 62/63. <A HREF="lu05_652.htm#ZN10">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N11">(11)</A> Zurita, S. 295, zit. nach: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 65. <A HREF="lu05_652.htm#ZN11">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N12">(12)</A> Zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 66. <A HREF="lu05_652.htm#ZN12">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N13">(13)</A> Zurita, S. 87, zit. nach: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 69. <A HREF="lu05_652.htm#ZN13">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N14">(14)</A> Zurita, S. 341, zit. nach: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 60. <A HREF="lu05_652.htm#ZN14">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N15">(15)</A> Memorial que presenta a su Magesdad el licenciado Juan Ortez de Cervantes, Abogado y Procurador general del Reyno del Peru y encomenderos, sobre pedir remedio del danno y diminuci&oacute;n des los indios, 1619, zit. bei: [Maxim] Kowalewski[: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 61. <A HREF="lu05_652.htm#ZN15">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N16">(16)</A> Karl Marx: Das Kapital, Bd. I, S. 321. [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../../me/me23/me23_356.htm#S378">Bd. 23, S. 378-379</A>.] <A HREF="lu05_652.htm#ZN16">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N17">(17)</A> Die neue Auflage des Handw&ouml;rterbuchs. Plechanow und die russische Sozialdemokratie. Hingegen Engels in "Internationales aus dem 'Volksstaat'". [Friedrich Engels: Nachwort (1894) (zu "Soziales aus Ru&szlig;land"). In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../../me/me18/me18_663.htm">Bd. 18, S. 663-674</A>.] Eduard Meyer. <A HREF="lu05_652.htm#ZN17">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N18">(18)</A> 1 De&szlig;jatine = 1,09 Hektar. <A HREF="lu05_652.htm#ZN18">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N19">(19)</A> Siehe [W. G.] Trirogow[: Obstschina i podat, St. Petersburg 1882], S. 49. <A HREF="lu05_652.htm#ZN19">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N20">(20)</A> Die erste "Revision", die durch einen Ukas Peters 1719 durchgef&uuml;hrt wurde, war organisiert wie eine Art Strafexpedition im feindlichen Lande. Das Milit&auml;r war beauftragt, s&auml;umige Gouverneure in Eisen zu legen, in ihren eigenen Kanzleien in Haft zu setzen und so lange dort zu halten, "bis sie sich besserten". Die Popen, denen die Ausf&uuml;hrung der Bauernlisten aufgetragen war und die dabei die Unterschlagung von "Seelen" durchgehen lie&szlig;en, sollten ihres Amtes enthoben und "nach schonungsloser Z&uuml;chtigung auf den K&ouml;rper der Zuchthausstrafe unterworfen werden, sei auch einer in hohem Alter". Leute, die der Verheimlichung von "Seelen" verd&auml;chtig waren, wurden der Folter unterworfen. Die sp&auml;teren "Revisionen" wurden noch lange ebenso blutig, wenn auch mit abnehmender Strenge durchgef&uuml;hrt. <A HREF="lu05_652.htm#ZN20">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N21">(21)</A> Siehe C. Lehmann uad Parvus[: Das hungernde Ru&szlig;land. Reiseeindr&uuml;cke, Beobachtungen und Untersuchungen, Stuttgart 1900]. <A HREF="lu05_652.htm#ZN21">&lt;=</A></P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Siehe Georg Ludwig von Maurer: Geschichte des Markenverfassung in Deutschland, Erlangen 1856, S. 119. <A HREF="lu05_652.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> R. L. verwandte im Manuskript die hebr&auml;ische Bezeichnung f&uuml;r Ham = Cham. <A HREF="lu05_652.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Zit. nach: Maxim Kowalewski: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879. S. 49. <A HREF="lu05_652.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Zit. nach: Maxim Kowalewski: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879. S. 49. <A HREF="lu05_652.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Siehe Horace Waller: Letzte Reise von David Livingstone in Centralafrika von 1865 bis zu seinem Tode 1873, Zweiter Band, Hamburg 1875, S. 189, S. 209 u. S. 219. <A HREF="lu05_652.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">[6]</A> Randnotiz R. L.: Hier Verh. wie in Indien, Algerien (Ru&szlig;l.), Java etc. <A HREF="lu05_652.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">[7]</A> Zit. nach: Maxim Kowalewski: Obstschinnoje semlewladenije, pritschiny, chod i podsledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879. S. 68. <A HREF="lu05_652.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">[8]</A> Randnotiz R. L.: 1. Kanalbauten (Arbeitsteilung). Trotzdem Markgenoss. 2. Verschiedene Typen (Kowal.) der Gem. 3. Alles dies erhielt sich trotz Eroberer Mahom. Feudalisierung. 4. Engl&auml;nder! <A HREF="lu05_652.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">[9]</A> Randnotiz R. L.: James Mill!! <A HREF="lu05_652.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">[10]</A> Die Abhandlung &uuml;ber Algerien ist im Manuskript nicht enthalten. Unmittelbar vor diesem Satz, in dem Britisch-Indien und Algerien als Beispiel genannt werden, fehlen im Manuskript, Rosa Luxemburgs urspr&uuml;ngliche Paginierung zugrunde gelegt, die Bl&auml;tter 44 bis 67. Diesen Abschnitt hat Rosa Luxemburg offensichtlich aus dem Manuskript der "Einf&uuml;hrung" entnommen und f&uuml;r die "Akkumulation des Kapitals" verwandt, in der der Darstellung &uuml;ber die Kolonialwirtschaft des englischen Imperialismus in Indien eine solche &uuml;ber die Methoden des franz&ouml;sischen Imperialismus in Algerien folgt. (Siehe <A HREF="lu05_316.htm#S325">S. 325 - 333</A>). Diese Passage schlie&szlig;t inhaltlich die L&uuml;cke in der "Einf&uuml;hrung" und entspricht auch dem Umfang nach den fehlenden Manuskriptseiten. <A HREF="lu05_652.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
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