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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<HEAD>
<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
</HEAD>
<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H3>
IX. SIEG
</H3>
<P>
<P align=center>
&AElig;Befehl Nr. 1
<P align=center>
A n d i e S o l d a t e n d e r P u l k o w o e r T r u p p e n a b t e i
l u n g !
<P align=right>
13. November 1917, 9:38 morgens.
<P>
Nach schwerem Kampf hat die Pulkowoer Truppenabteilung einen vollen Sieg
&uuml;ber die konterrevolution&auml;ren Streitkr&auml;fte errungen; diese
haben sich aus ihren Stellungen in Unordnung zur&uuml;ckgezogen, um unter
dem Schutze von Zarskoje Selo nach Gattschina und Pawlowsk zur&uuml;ckzugehen.
Unsere Vorposten haben die nord&ouml;stliche Grenze von Zarskoje Selo und
den Alexandrowskaja-Bahnhof besetzt. Die Truppenabteilung von Kolpino
k&auml;mpfte links. Die Abteilung von Krasnoje Selo rechts von uns. Die Abteilung
von Pulkowo hat Befehl, Zarskoje Selo zu besetzen und seine Zug&auml;nge,
im Besonderen auf der Gatschinaer Seite zu befestigen. Sie soll bis nach
Pawlowsk vorsto&szlig;en und den Ort einnehmen, seine S&uuml;dseite befestigen
und die Eisenbahn bis Dno in ihre H&auml;nde bringen. Alle Ma&szlig;nahmen
sind zu treffen, um die eroberten Stellungen zu befestigen - Aushebung von
Sch&uuml;tzengr&auml;ben und Durchf&uuml;hrung anderer Befestigungsarbeiten.
Die engste F&uuml;hlung mit den Truppenabteilungen von Kolpino und Krasnoje
Selo sowie mit dem Petrograder Stab ist aufrechtzuerhalten.
<P>
Der Oberbefehlshaber
<P>
aller gegen die konterrevolution&auml;ren Kerenskitruppen
<P>
k&auml;mpfenden Streitkr&auml;fte
<P>
Oberstleutnant <I>Murawjow</I>."
<P>
Dienstag morgen. Aber wie war das m&ouml;glich? Noch vor zwei Tagen war die
Umgebung von Petrograd voll von f&uuml;hrerlos umherirrenden Truppen, ohne
Lebensmittel, ohne Artillerie, ohne Plan. Welche geheimnisvolle Macht hatte
die desorganisierte und undisziplinierte Masse von Rotgardisten und Soldaten
ohne Offiziere in eine Armee zu verwandeln vermocht, die, den Anordnungen
ihrer selbstgew&auml;hlten F&uuml;hrer folgend, sich als f&auml;hig erwiesen
hat, den w&uuml;tenden Ansturm von Kanonen und Kosakenkavallerie nicht nur
auszuhalten, sondern siegreich abzuschlagen? Die Geschichte lehrt, da&szlig;
revolution&auml;re V&ouml;lker seit je der milit&auml;rischen Routine zu
trotzen wu&szlig;ten. Die in Lumpen geh&uuml;llten Armeen der Franz&ouml;sischen
Revolution sind noch nicht vergessen - nicht Valmy und die Linien von
Wei&szlig;enburg. Gegen die Sowjetkr&auml;fte standen Offizierssch&uuml;ler,
Kosaken, die Landeigent&uuml;mer, der Adel, die Schwarzhunderter. Das hie&szlig;:
R&uuml;ckkehr des Zaren, Ochrana und sibirische Ketten, die ungeheure und
schreckliche Bedrohung durch die Deutschen. Der Sieg, das war das Ende aller
Bedr&uuml;ckung, der Beginn eines neuen, gl&uuml;cklichen Zeitalters!
<P>
Als Sonntagnacht die Kommissare des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees
verzweifelt aus dem Felde zur&uuml;ckkehrten, w&auml;hlte die Petrograder
Garnison ihren Stab: ein F&uuml;nferkomitee, drei Soldaten und zwei Offiziere,
s&auml;mtlich zuverl&auml;ssige Revolution&auml;re. Das Oberkommando erhielt
der Expatriot Murawjow - ein f&auml;higer Offizier, der aber nicht aus den
Augen gelassen werden durfte. In Kolpino, Obuchowo, Pulkowo und Krasnoje
Selo wurden provisorische Truppenk&ouml;rper gebildet, die die in der Umgebung
umherirrenden Haufen - ein Durcheinander von Soldaten, Matrosen und Rotgardisten,
Splitter von Infanterie-, Kavallerie und Artillerieregimentern und einige
wenige Panzerwagen - an sich zogen und die zu stattlicher Gr&ouml;&szlig;e
anwuchsen. Als es tagte, machten sich Vorposten von Kerenskis Kosaken bemerkbar.
Vereinzeltes Gewehrfeuer, Aufforderungen, die Waffen zu strecken. Dann erhob
sich &uuml;ber die &ouml;de Fl&auml;che das Tosen der Schlacht, verdr&auml;ngte
die Stille des kalten Morgens und dr&ouml;hnte in den Ohren der noch verstreuten
Soldaten, die wartend um ihre Feuer lagerten. So fing es an. Sie eilten,
am Kampfe teilzunehmen, und die die Chausseen sich entlangw&auml;lzenden
Arbeiterkolonnen beschleunigten ihren Schritt. Und so sammelten sich ganz
automatisch an allen Angriffspunkten in ihrer Kampfbegeisterung kaum zu haltende
Menschenmassen, von den Kommissaren empfangen und den strategischen
Notwendigkeiten entsprechend auf die Stellungen verteilt oder mit
Armierungsarbeiten beauftragt. Sie wu&szlig;ten: Das hier war ihre Schlacht,
hier k&auml;mpften sie f&uuml;r ihre eigene Welt, die Offiziere hatten sie
sich selbst gew&auml;hlt, und damit war aus dem zusammenhanglosen Hin und
Her der unz&auml;hligen Einzelwillen ein einziger Wille geworden. Von allen,
die Augenzeugen der K&auml;mpfe gewesen sind, habe ich dasselbe geh&ouml;rt:
wie die Matrosen schossen, bis ihnen die Patronen ausgingen, und dann
vorw&auml;rtsst&uuml;rmten; wie die unausgebildeten Arbeiter die w&uuml;tenden
Angriffe der Kosaken zur&uuml;ckschlugen, sie von ihren Pferden rei&szlig;end;
wie in der Dunkelheit un&uuml;bersehbare Volksmassen sich um die Schlacht
sammelten und dann, einer Sturmflut gleich, pl&ouml;tzlich &uuml;ber den
Feind herbrausten. Schon vor Montagmitternacht war der Widerstand der Kosaken
gebrochen. Sie flohen, ihre Artillerie zur&uuml;cklassend, und die Armee
des Proletariats stie&szlig; in breiter Front vorw&auml;rts und rollte nach
Zarskoje hinein, noch ehe der Feind Zeit hatte, die gro&szlig;e
Regierungsfunkstation zu zerst&ouml;ren, von der aus nun die Kommissare des
Smolny der Welt den Sieg des Proletariats verk&uuml;ndeten.
<P>
&AElig;A n a l l e S o w j e t s d e r A r b e i t e r - u n d S o l d a
t e n d e p u t i e r t e n
<P>
In blutigen K&auml;mpfen sind am 12. November in der N&auml;he von Zarskoje
Selo die konterrevolution&auml;ren Truppen Kerenskis und Kornilows von der
revolution&auml;ren Armee geschlagen worden. Im Namen der revolution&auml;ren
Regierung befehle ich allen Regimentern die Aufnahme der Offensive gegen
den Feind der revolution&auml;ren Demokratie, die Durchf&uuml;hrung umfassender
Ma&szlig;nahmen zur Verhaftung Kerenskis und die entschiedene Ablehnung aller
Abenteuer, die die Eroberungen der Revolution und den Sieg des Proletariats
gef&auml;hrden k&ouml;nnten.
<P>
Es lebe die Revolution&auml;re Armee!
<P>
<I>Murawjow</I>."
<P>
Nachrichten aus den Provinzen...
<P>
In Sewastopol hat der lokale Sowjet die Macht &uuml;bernommen. Eine gro&szlig;e
Versammlung von Matrosen der im Hafen liegenden Kriegsschiffe hat die Offiziere
gezwungen, sich der Revolution anzuschlie&szlig;en. In Nishni-Nowgorod ist
die Macht in die H&auml;nde der Sowjets &uuml;bergegangen. Aus Kasan liegen
Berichte &uuml;ber Stra&szlig;enk&auml;mpfe vor: Offizierssch&uuml;ler und
eine Brigade Artillerie gegen die bolschewistische Garnison.
<P>
In Moskau sind erneut heftige K&auml;mpfe ausgebrochen. Die
Offizierssch&uuml;ler und Wei&szlig;gardisten halten das Stadtzentrum und
den Kreml besetzt, von allen Seiten hart bedr&auml;ngt durch die Truppen
des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees. Die Sowjetartillerie ist am
Skobelewplatz aufgefahren, die Stadtduma, die Pr&auml;fektur und das Hotel
Metropol bombardierend. Das Pflaster der Twerskaja und Nikitskaja ist aufgerissen
worden und zum Bau von Sch&uuml;tzengr&auml;ben und Barrikaden verwendet.
Die gro&szlig;en Bank- und Handelsviertel durchfegt ein Hagel von
Maschinengewehrfeuer. Es gibt weder Licht noch Telefon. Die
Bourgeoisbev&ouml;lkerung haust in den Kellern! Das letzte Bulletin besagte,
da&szlig; das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee von dem Komitee f&uuml;r
die &ouml;ffentliche Sicherheit die sofortige &Uuml;bergabe gefordert hat
und im Falle der Weigerung mit der Bombardierung des Kreml droht. &AElig;Was,
den Kreml bombardieren?" kreischten die guten Durchschnittsb&uuml;rger.
&AElig;Das wagen sie nicht!" &Uuml;berall flammte der B&uuml;rgerkrieg. Von
Wologda bis Tschita im fernen Sibirien, von Psowsk bis Sewastopol am Schwarzen
Meer - in den St&auml;dten, in den kleinsten D&ouml;rfern. Tausende von Fabriken,
Bauerngemeinden, Regimenter, Armeen, Schiffe auf hoher See entsandten ihre
Gr&uuml;&szlig;e nach Petrograd, gr&uuml;&szlig;ten die Regierung des Volkes.
Die Kosakenregierung in Nowotscherkassk telegrafierte An die Kerenskiregierung:
<I>&AElig;Die Regierung der Kosakentruppen richtet an die Provisorische Regierung
und an die Mitglieder des Rates der Russischen Republik die Einladung, wenn
irgend m&ouml;glich, nach Nowotscherkassk zu kommen, um dort mit ihr zusammen
den Kampf gegen die Bolschewiki zu organisieren..."</I>
<P>
In Finnland spitzten sich die Dinge gleichfalls zu. Der Sowjet in Helsingfors
und der Zentrobalt (das Zentralkomitee der Baltischen Flotte) proklamierten
zusammen den Belagerungszustand und erkl&auml;rten, da&szlig; alle Versuche
einer Intervention gegen die Bolschewiki und jede bewaffnete Auflehnung gegen
ihre Befehle erbarmungslos unterdr&uuml;ckt werden w&uuml;rden. Zur selben
Zeit proklamierte der finnische Eisenbahnerverband einen Generalstreik, um
die Durchf&uuml;hrung der Gesetze zu erzwingen, die der von Kerenski
aufgel&ouml;ste sozialistische Landtag im Juni 1917 beschlossen hatte...
<P>
Am Morgen in aller Fr&uuml;he ging ich nach dem Smolny. Ich schlenderte den
am &auml;u&szlig;eren Torweg beginnenden langen holzgepflasterten Fu&szlig;weg
hinab und sah die ersten sch&uuml;chternen Schneeflocken aus dem von keinem
Hauch bewegten Himmel herniederflattern. &AElig;Schnee!" rief der am Tor
wachestehende Soldat vergn&uuml;gt. &AElig;Das ist gesund!" Im Innern schienen
mir die endlosen dunklen G&auml;nge und die kahlen Zimmer im ersten Moment
v&ouml;llig ver&ouml;det. Nicht eine Menschenseele war zu sehen. Bald aber
traf ein tiefer, unruhiger Laut mein Ohr, und n&auml;her zusehend, bemerkte
ich l&auml;ngs der Wand am Boden hingestreckt schlafende M&auml;nner. Arbeiter
und Soldaten, rauhe, schmutzige Gestalten, noch &uuml;ber und &uuml;ber
kotbeschmiert und bespritzt, allein oder in Haufen, als w&auml;ren sie tot.
Einige waren verwundet und notd&uuml;rftig mit blutdurchtr&auml;nkten Lappen
verbunden. &Uuml;berall lagen Gewehre und Patroneng&uuml;rtel....Die siegreiche
proletarische Armee! In der oberen Etage, am B&uuml;ffet, lagen sie so dicht,
da&szlig; man kaum treten konnte. Die Luft war entsetzlich. Durch die
beschlagenen Fenster str&ouml;mte fahles Licht. Auf dem B&uuml;ffet standen
ein &uuml;bel zugerichteter Samowar und zahlreiche Gl&auml;ser mit Teeresten.
Daneben lag ein Exemplar des letzten Bulletins des Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees, auf dessen R&uuml;ckseite eine ungelenke Hand etwas
geschrieben hatte. Eine Gedenkschrift irgendeines Soldaten f&uuml;r seine
gefallenen Kameraden, verfa&szlig;t unmittelbar, bevor er auf den Boden zum
Schlafen niedersank. Die Schriftz&uuml;ge waren verwischt, als w&auml;ren
Tr&auml;nen daraufgefallen....
<P>
Alexej Winogradow
<P>
D. Moskwin
<UL>
<P>
S. Stolbikow
</UL>
<UL>
<P>
A.Woskressenski
</UL>
<P>
D.Leonski
<P>
D.Preobrashenski
<P>
W.Laidanski
<P>
M.Bertschikow
<P>
Eingezogen zur Armee am 15. November 1916. Von ihnen am Leben nur noch drei:
<P>
Michail Bertschikow
<P>
Alexej Woskressenski
<P>
Dmitri Leonski
<P>
Schlaft nun, ihr k&uuml;hnen Adler,
<P>
ihr K&auml;mpfer voll Heldentum.
<P>
Ihr habt euch, Br&uuml;der, erworben,
<P>
Frieden und ewigen Ruhm."
<P>
<P>
Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee allein arbeitete noch, es durfte
nicht schlafen. Der aus dem inneren Zimmer kommende Skrypnik erz&auml;hlte,
da&szlig; Goz verhaftet worden sei, aber ebenso wie Awxentjew entschieden
bestreite, die Proklamation des Komitees zur Rettung des Vaterlandes und
der Revolution unterzeichnet zu haben; das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
und der Revolution selbst habe den Aufruf an die Garnison abgelehnt. Unter
den Regimentern der Stadt, berichtete Skrypnik, herrschte noch immer
Unentschlossenheit; das Wolynski-Regiment hatte sich geweigert, gegen Kerenski
zu marschieren.
<P>
Eine Anzahl &AElig;neutraler" Truppen, mit Tschernow an ihrer Spitze, seien
in Gattschina bem&uuml;ht, Kerenski von dem Angriff auf Petrograd abzuhalten.
Skrypnik lachte. &AElig;Heute kann es keine ,Neutralen' mehr geben", sagte
er. &AElig;Wir haben gesiegt! Mehr als sechzig Delegierte sind von der Front
angekommen, mit Zusicherungen der Hilfe von s&auml;mtlichen Armeen, ausgenommen
die Truppen von der rum&auml;nischen Front, von denen wir bisher keine Nachricht
haben. Die Armeekomitees haben alle Nachrichten aus Petrograd aufgehalten,
wir haben jedoch jetzt einen regelm&auml;&szlig;igen Verbindungsdienst
eingerichtet..."
<P>
Unten im vorderen Saal kam gerade Kamenew herein, todm&uuml;de von der
n&auml;chtlichen Konferenz f&uuml;r die Bildung einer neuen Regierung, aber
froh. &AElig;Die Sozialrevolution&auml;re sind schon geneigt, uns in die
neue Regierung hereinzunehmen", erz&auml;hlte er. &AElig;Die Rechten schrecken
die Revolutionstribunale, sie verlangen, da&szlig; wir dieselben aufl&ouml;sen
sollen, bevor man weitergehe...Wir haben den Vorschlag des Wikshel, eine
einheitliche sozialistische Regierung zu bilden, angenommen, und sie arbeiten
jetzt in dieser Richtung. Sie sehen, das alles ist das Ergebnis unseres Sieges.
W&auml;ren wir unterlegen, so w&uuml;rden sie um keinen Preis etwas von uns
wissen wollen; jetzt sind alle in irgendeiner Hinsicht f&uuml;r die
Verst&auml;ndigung mit den Sowjets... Was wir brauchen, ist ein wirklich
entscheidender Sieg. Kerenski m&ouml;chte einen Waffenstillstand, er wird
sich ergeben m&uuml;ssen..."
<P>
So war die Stimmung der bolschewistischen F&uuml;hrer. Einem ausl&auml;ndischen
Journalisten, der Trotzki fragte, was er der Welt mitzuteilen habe, erwiderte
Trotzki: &AElig;Die einzig m&ouml;gliche Feststellung ist in diesem Moment
die, die wir durch den Mund unserer Gesch&uuml;tze machen!" Die Siegerstimmung
war jedoch nicht ohne eine Unterstr&ouml;mung ernsthafter Besorgnis, verursacht
durch die Frage der Finanzen. Anstatt die Banken den Befehlen des
Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees gem&auml;&szlig; zu &ouml;ffnen,
hatte der Verband der Bankangestellten eine Versammlung abgehalten und den
Streik proklamiert. Der Smolny hatte von der Staatsbank die Auszahlung von
f&uuml;nfunddrei&szlig;ig Millionen Rubel gefordert, der Kassierer hatte
rundweg abgelehnt und zahlte Geld nur an die Vertreter der Provisorischen
Regierung aus. Die Staatsbank war eine gef&auml;hrliche politische Waffe
in den H&auml;nden der Reaktion&auml;re; als zum Beispiel der Wikshel Geld
verlangte, um den Angestellten der Staatsbahnen die Geh&auml;lter auszuzahlen,
wurde ihm bedeutet, da&szlig; er sich an den Smolny wenden solle...
<P>
Ich war in der Staatsbank, um den neuen Kommissar zu sehen, einen rothaarigen
ukrainischen Bolschewik, Petrowitsch mit Namen. Er gab sich die
gr&ouml;&szlig;te M&uuml;he, Ordnung in das Chaos zu bringen, das die streikenden
Beamten hinterlassen hatten. In s&auml;mtlichen B&uuml;ros des riesigen
Geb&auml;udes sa&szlig;en Freiwillige, Arbeiter, Soldaten und Matrosen,
schwitzend, die Zunge vorstreckend vor Anstrengung, bem&uuml;ht, sich in
den gro&szlig;en Hauptb&uuml;chern zurechtzufinden... Das Dumageb&auml;ude
war &uuml;berf&uuml;llt. Es gab noch vereinzelte Ausf&auml;lle gegen die
neue Regierung, aber sie waren selten. Das Zentrale Bodenkomitee hatte einen
Aufruf an die Bauern gerichtet mit der Aufforderung, das von dem
Sowjetkongre&szlig; beschlossene Landdekret nicht anzuerkennen, weil es
Verwirrung und B&uuml;rgerkrieg zur Folge haben w&uuml;rde. Der
B&uuml;rgermeister Schrejder prophezeite, da&szlig; infolge des bolschewistischen
Aufruhrs die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung auf unabsehbare Zeit
vertagt werden m&uuml;&szlig;ten. Zwei Fragen waren es, die hier alle K&ouml;pfe
beherrschten, erschreckt durch die Wildheit des B&uuml;rgerkrieges: 1. Einhalt
dem Blutvergie&szlig;en, 2. Bildung einer neuen Regierung. Von der
&AElig;Vernichtung der Bolschewiki" war &uuml;berhaupt nicht mehr die Rede
und sehr wenig von ihrem Ausschlu&szlig; bei der Bildung der Regierung, abgesehen
von den Volkssozialisten und den Bauernsowjets. Sogar das Zentrale Armeekomitee
beim Stab, der erbittertste Gegner des Smolny, telefonierte aus Mogiljow:
&AElig;Falls f&uuml;r die Bildung einer neuen Regierung eine Verst&auml;ndigung
mit den Bolschewiki notwendig, sind wir einverstanden, sie als Minderheit
in die Regierung aufzunehmen." Die &AElig;Prawda" druckte, mit einem ironischen
Hinweis auf Kerenskis &AElig;Menschlichkeit", dessen Telegramm an das Komitee
zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution ab:
<P>
&AElig;In &Uuml;bereinstimmung mit den Vorschl&auml;gen des Komitees zur
Rettung des Vaterlandes und der Revolution und aller um dasselbe gruppierten
demokratischen Organisationen habe ich die milit&auml;rischen Aktionen gegen
die Rebellen eingestellt. Ein Delegierter des Komitees wurde abgeschickt,
damit er Verhandlungen er&ouml;ffnet. Trefft alle Ma&szlig;nahmen, um zweckloses
Blutvergie&szlig;en zu vermeiden." Der Wikshel schickte ein Telegramm durch
ganz Ru&szlig;land: &AElig;Die Konferenz des Verbandes der Eisenbahner, an
der von beiden gegnerischen Parteien Vertreter teilnehmen, die die Notwendigkeit
einer Verst&auml;ndigung einsehen, protestiert energisch gegen die Anwendung
des politischen Terrors im B&uuml;rgerkrieg, im besonderen zwischen verschiedenen
Parteien der revolution&auml;ren Demokratie, und sie erkl&auml;rt, da&szlig;
der politische Terror, gleichg&uuml;ltig in welcher Form, im Widerspruch
steht zu dem Gedanken der Verhandlungen &uuml;ber die Bildung einer neuen
Regierung..."
<P>
Von der Konferenz wurden Delegierte an die Front nach Gattschina geschickt.
In der Konferenz selbst schien die endg&uuml;ltige Regelung aller Dinge sicher.
Es war beschlossen worden, einen Provisorischen Rat der Volksbeauftragten
zu w&auml;hlen, der sich aus etwa vierhundert Mitgliedern zusammensetzen
sollte, von denen f&uuml;nfundsiebzig auf den Smolny, f&uuml;nfundsiebzig
auf das alte Zentralexekutivkomitee und der Rest auf die Stadtdumas, die
Gewerkschaften, die Bodenkomitees und politischen Parteien entfallen sollten.
<P>
Tschernow war als der neue Ministerpr&auml;sident genannt. Lenin und Trotzki
sollten, so gingen die Ger&uuml;chte, ausgeschlossen sein...
<P>
Gegen Mittag war ich wieder am Smolny. Ich sprach den F&uuml;hrer eines
Sanit&auml;tsautos, der zur revolution&auml;ren Front fuhr. Ob er mich mitnehmen
k&ouml;nnte? Selbstverst&auml;ndlich! Er war ein Freiwilliger, ein Student,
und w&auml;hrend wir in schnellem Tempo die Stra&szlig;e entlangrollten,
schrie er mir von Zeit zu Zeit in scheu&szlig;lichem Deutsch etwas &uuml;ber
die Schulter zu: &AElig;Also gut! Wir nach die Kasernen zu essen gehen!"
Ich begriff schlie&szlig;lich, da&szlig; in einigen Kasernen
Fr&uuml;hst&uuml;ck ausgegeben wurde. In der Kirotschnaja bogen wir in einen
Von Milit&auml;rgeb&auml;uden umgebenen riesigen Hof. &Uuml;ber eine dunkle
Treppe gelangte man in einen niedrigen, von einem einzigen Fenster erleuchteten
Raum. Dort sa&szlig;en an einem langen Holztisch gegen zwanzig Soldaten,
die unter lautem Schwatzen und vielem Gel&auml;chter mit h&ouml;lzernen
L&ouml;ffeln aus einem gro&szlig;en zinnenen Waschtrog Schtschi (Kohlsuppe)
a&szlig;en. &AElig;Wir gr&uuml;&szlig;en das Bataillonskomitee des 6.
Reserve-Pionierbataillons!" rief mein Begleiter und stellte mich als einen
amerikanischen Sozialisten vor. Alle erhoben sich, mir die Hand zu dr&uuml;cken,
und einer umarmte und k&uuml;&szlig;te mich herzlich. Man besorgte mir einen
Holzl&ouml;ffel, und ich nahm am Tische Platz. Bald kam ein neuer Kessel
mit Kascha, ein riesiger Laib Schwarzbrot und nat&uuml;rlich der unvermeidliche
Tee. Ich wurde mit Fragen &uuml;ber Amerika best&uuml;rmt: Ob es wahr sei,
da&szlig; in diesem freien Lande Leute ihre Stimmen f&uuml;r <I>Geld</I>
verkauften? Wenn das so sei, wie setzten die Menschen dann ihre eigenen
W&uuml;nsche durch? Was ist das mit dem &AElig;Tammany" ? Traf es zu, da&szlig;
in dem freien Amerika eine Handvoll Leute eine ganze Stadt beherrschen und
zu ihrem Vorteil ausbeuten konnte? Warum das Volk dies dulde? In Ru&szlig;land
w&auml;re derartiges nicht einmal unter dem Zaren m&ouml;glich gewesen.
Bestechung hat es hier wohl immer gegeben; aber eine ganze Stadt zu kaufen
- und das in einem freien Lande! Ob denn die Menschen gar kein
revolution&auml;res F&uuml;hlen h&auml;tten? Ich gab mir M&uuml;he, ihnen
klarzumachen, da&szlig; man bei uns im Lande bem&uuml;ht sei, diese Dinge
auf legalem Wege zu &auml;ndern. &AElig;Nat&uuml;rlich", nickte ein junger
Unteroffizier, der Baklanow gerufen wurde und franz&ouml;sisch sprach.
&AElig;Aber Sie haben bei sich doch eine hochentwickelte Kapitalistenklasse.
Sind da nicht auch die Parlamente und die Gerichte in der Hand der Kapitalisten?
Wie kann das Volk hoffen, auch nur das geringste auf legalem Weg &auml;ndern
zu k&ouml;nnen? Ich will mich ja gern &uuml;berzeugen lassen, denn ich kenne
ja Ihr Land nicht; bis jetzt aber ist mir dies alles unverst&auml;ndlich."
Als ich ihnen sagte, da&szlig; ich nach Zarskoje Selo wollte, erkl&auml;rte
Baklanow pl&ouml;tzlich, da&szlig; er mitgehen w&uuml;rde. &AElig;Ich auch,
ich auch", schallte es in der ganzen Runde, und alle beschlossen, sofort
nach Zarskoje zu gehen. Indem klopfte es, und in der sich &ouml;ffnenden
T&uuml;r wurde die Gestalt des Obersten sichtbar. Niemand erhob sich, aber
alle gr&uuml;&szlig;ten freundlich. &AElig;Ist es erlaubt, einzutreten?"
- &AElig;Prossim! Prossim!" (Bitte! Bitte!) antworteten die Soldaten herzlich.
Er trat ein, eine hochgewachsene, vornehme Erscheinung in einem
goldbetre&szlig;ten Ziegenfellmantel. &AElig;Wenn ich nicht irre, sprachen
Sie eben davon, nach Zarskoje zu gehen, Genossen", sagte er. &AElig;D&uuml;rfte
ich mich Ihnen wohl anschlie&szlig;en?" Baklanow &uuml;berlegte. &AElig;Ich
glaube nicht, da&szlig; es hier heute etwas zu tun geben wird", antwortete
er. &AElig;Gewi&szlig;, Genosse, Sie sind willkommen." Der Oberst dankte
und nahm Platz, sich ein Glas Tee eingie&szlig;end. Mit leiser Stimme, um
den Oberst nicht zu verletzen, erkl&auml;rte mir Baklanow: &AElig;Ich bin
der Vorsitzende des Komitees. Die F&uuml;hrung des Bataillons liegt
vollst&auml;ndig in unseren H&auml;nden. Bei milit&auml;rischen Aktionen
hat der Oberst das Kommando in unserem Auftrag, und dann ist seinen Befehlen
nachzukommen; aber er ist uns verantwortlich. In der Kaserne darf er ohne
unsere Erlaubnis nichts unternehmen. Man k&ouml;nnte ihn unsern Exekutivoffizier
nennen." Wir erhielten Waffen: Revolver und Gewehre - &AElig;es k&ouml;nnte
sein, da&szlig; wir einige Kosaken treffen, und da ist es immerhin besser"
-, und dann kletterten wir alle in das Sanit&auml;tsauto, nahmen drei
m&auml;chtige B&uuml;ndel Zeitungen f&uuml;r die Front mit und ratterten
den Litejny- und den Sagorodny-Prospekt hinunter. Neben mir sa&szlig; ein
J&uuml;ngling mit den Achselst&uuml;cken eines Leutnants, der s&auml;mtliche
europ&auml;ische Sprachen mit der gleichen Fertigkeit zu sprechen schien.
Er war Mitglied des Bataillonskomitees. &AElig;Ich bin kein Bolschewik",
versicherte er mir mit Nachdruck. &AElig;Ich stamme aus einer sehr alten
adligen Familie. Meiner politischen &Uuml;berzeugung nach k&ouml;nnte man
mich zu den Kadetten rechnen..." &AElig;Aber wieso-?" begann ich verbl&uuml;fft.
&AElig;Ich geh&ouml;re allerdings dem Komitee an. Ich mache aus meiner
politischen &Uuml;berzeugung kein Hehl, aber die anderen machen sich nichts
daraus, weil sie wissen, da&szlig; ich mich dem Willen der Mehrheit
f&uuml;ge...Ich habe es jedoch abgelehnt, an dem gegenw&auml;rtigen
B&uuml;rgerkrieg irgendwie aktiv teilzunehmen, ich mag gegen meine russischen
Br&uuml;der nicht k&auml;mpfen..." &AElig;Provokateur! Kornilowmann!" riefen
ihm die anderen mit lustigem Spott zu, ihm auf die Schulter klopfend. Durch
die steinernen B&ouml;gen des Moskauer Tores mit seinen goldenen Schriftzeichen,
gewichtigen kaiserlichen Adlern und den Namen aller fr&uuml;heren Zaren ging
es in flotter Fahrt die weite, schnurgerade, im ersten Schneefall grau daliegende
Hauptchaussee entlang. Sie war voller Rotgardisten, die zu Fu&szlig; der
Front zustolperten, schreiend und singend. Andere kamen von dort, bla&szlig;
und kotbespritzt. Die meisten von ihnen schienen noch Knaben zu sein. Frauen
mit Spaten, einige mit Gewehren und Patroneng&uuml;rteln, andere das
Rote-Kreuz-Abzeichen am Arm - die gebeugten, von Arbeitsqual zerm&uuml;rbten
Frauen aus den Proletariervierteln! Hin und wieder im Gleichschritt marschierende
Soldatentrupps, die mit gutm&uuml;tigem Spott den Rotgardisten Platz machten.
Grimmig dreinschauende Matrosen und dazwischen Kinder mit gro&szlig;en
B&uuml;ndeln, die ihren V&auml;tern und M&uuml;ttern das Essen zur Front
brachten. All diese kamen und gingen und stampften durch den Schneematsch,
der das Kopfsteinpflaster der Stra&szlig;e zentimeterhoch bedeckte. Wir
passierten Gesch&uuml;tze, die mit ihren Munitionskarren s&uuml;dw&auml;rts
polterten, Lastwagen voller Bewaffneter, Krankenautos mit Verwundeten, die
aus der Richtung des Schlachtfeldes kamen, und einmal einen langsam und knarrend
dahinziehenden Bauernwagen, in dem ein bleicher Knabe lag, der einen
Bauchschu&szlig; erhalten hatte und ununterbrochen schrie. Rechts und links
in den Feldern arbeitende Frauen und alte M&auml;nner, die
Sch&uuml;tzengr&auml;ben aushoben und Drahtverhaue errichteten.
<P>
Hinter uns, gegen Norden, zerstoben die Wolken. Fahl drang die Sonne durch,
und jenseits des flachen und sumpfigen Gel&auml;ndes ergl&auml;nzte Petrograd.
Rechts wei&szlig;e, vergoldete und buntfarbene Kuppeln und T&uuml;rme, links
hochragende, teilweise schwarzen Rauch aussto&szlig;ende Schornsteine und
dar&uuml;ber hinaus, am fernen Horizont, Finnland. Zu beiden Seiten unseres
Weges waren Kirchen und Kl&ouml;ster. Dann und wann sahen wir einen M&ouml;nch,
der in tiefem Schweigen der proletarischen Armee nachschaute. In Pulkowo
teilte sich der Weg, und wir hielten dort inmitten einer riesigen Menschenmenge,
die aus drei Richtungen immer neuen Zuzug erhielt; Freunde sahen sich wieder,
aufgeregt, einander begl&uuml;ckw&uuml;nschend und Einzelheiten aus der Schlacht
erz&auml;hlend. Eine Reihe H&auml;user an den Querstra&szlig;en trugen arge
Spuren der Schie&szlig;erei, und der Erdboden war in weitem Umkreis zertrampelt.
Ein wilder Kampf hatte hier gew&uuml;tet... In der N&auml;he irrten reiterlose
Kosakenpferde hungrig umher, denn das Gras der Ebene war seit langem verdorrt.
Rechts vor uns versuchte ein Rotgardist eines dieser Pferde zu reiten, wurde
aber, zum gro&szlig;en Vergn&uuml;gen der zuschauenden Menge, immer wieder
abgeworfen. Der linke Weg, Die R&uuml;ckzugsstra&szlig;e der fliehenden
Kosakenreste, f&uuml;hrte auf einen kleinen H&uuml;gel zu einem D&ouml;rfchen,
von dem aus man einen herrlichen Ausblick auf die ungeheure Ebene hatte,
die grau, einer unbewegten Wasserfl&auml;che gleich, dalag. Weit hinten links
sah man den kleinen H&uuml;gel von Krasnoje Selo, das Paradefeld des Sommerlagers
der kaiserlichen Garde. In der Mitte unterbrachen die flache Eint&ouml;nigkeit
einige ummauerte Kl&ouml;ster, vereinzelte Fabriken und eine Anzahl gro&szlig;er
Geb&auml;ude inmitten ungepflegter G&auml;rten - Asyle und Waisenh&auml;user...
<P>
&AElig;Hier", sagte pl&ouml;tzlich der Fahrer, als wir einen kahlen H&uuml;gel
passierten, &AElig;hier war es, wo Wera Sluzkaja der Tod ereilte. - Ja, das
bolschewistische Dumamitglied. Heute in aller Fr&uuml;he ist es geschehen.
Sie war in einem Automobil, mit Salkind und einem anderen Mann. Es war
Waffenruhe, und sie wollten zu den Sch&uuml;tzengr&auml;ben an der Front.
Sie plauderten und lachten, als pl&ouml;tzlich von dem Panzerzuge aus, in
dem sich Kerenski selber befand, das Automobil bemerkt und eine Granate
abgefeuert wurde. Die Granate traf Wera Sluzkaja und t&ouml;tete sie..."
So kamen wir nach Zarskoje, das von Helden der proletarischen Armee wimmelte,
die stolz ihre Siegesfreude zur Schau trugen. Im Palast, den inzwischen der
Sowjet bezogen hatte, herrschte gesch&auml;ftiges Treiben. Rotgardisten und
Matrosen bev&ouml;lkerten die H&ouml;fe, Wachen standen an den Toren, und
ein Strom von Kurieren und Kommissaren dr&auml;ngte hinein und heraus. Im
Sowjetsaal war ein Samowar aufgestellt, und f&uuml;nfzig oder noch mehr Arbeiter,
Soldaten, Matrosen und Offiziere standen dort, Tee trinkend und laut miteinander
redend. In einer Ecke versuchten zwei Arbeiter, mit ungelenken H&auml;nden
einen Vervielf&auml;ltigungsapparat in Betrieb zu setzen. Am Tisch in der
Mitte des Saales beugte sich der hochaufgeschossene Dybenko &uuml;ber eine
Karte, mit roten und blauen Stiften die Stellungen der Truppen einzeichnend.
In seiner freien Hand hielt er, wie gew&ouml;hnlich, einen riesigen Revolver.
Gleich darauf setzte er sich an eine Schreibmaschine und begann, mit einem
Finger zu tippen. Alle Augenblicke hielt er inne, um in verliebter Weise
mit seinem Revolver zu spielen. An der Wand stand ein Diwan, auf dem ein
junger Arbeiter lag. &Uuml;ber ihn beugten sich zwei Rotgardisten, sonst
schien niemand auf ihn zu achten. Er hatte einen Brustschu&szlig;, und aus
der Wunde brach mit jedem Herzschlag ein Strom frischen Blutes hervor. Seine
Augen waren geschlossen, sein junges, b&auml;rtiges Gesicht war
gr&uuml;nlich-wei&szlig;. Noch atmete er, kaum merklich und langsam, dabei
ununterbrochen fl&uuml;sternd: &AElig;Mir budet! Mir budet!" (Der Friede
kommt! Der Friede kommt!) Dybenko blickte auf, als wir hereintraten. &AElig;Ah",
sagte er zu Baklanow. &AElig;Genosse, w&uuml;rden Sie bitte zum Kommandanten
gehen und dessen Posten &uuml;bernehmen? Warten Sie, ich werde ihnen ein
Beglaubigungsschreiben mitgeben." Er ging an die Schreibmaschine und tippte
m&uuml;hselig, Buchstabe f&uuml;r Buchstabe. Der neugebackene Kommandant
von Zarskoje Selo und ich gingen zum Jekaterinapalast, Baklanow sehr aufgeregt
und wichtig. In dem mir schon bekannten vornehmen wei&szlig;en Saal
st&ouml;berten einige Rotgardisten neugierig herum, in der N&auml;he des
Fensters sah ich meinen alten Bekannten, den Oberst, der nerv&ouml;s seinen
Schnurrbart kaute. Er begr&uuml;&szlig;te mich wie einen verschollenen Bruder.
An einem Tisch, in der N&auml;he der T&uuml;r, sa&szlig; der Franzose aus
Bessarabien. Die Bolschewiki hatten ihm befohlen, zu bleiben und seine Arbeit
fortzusetzen. &AElig;Was sollte ich tun?" fl&uuml;sterte er. &AElig;Leute
wie ich k&ouml;nnen in einem solchen Krieg weder auf der einen noch auf der
anderen Seite k&auml;mpfen, wenn wir auch instinktiv die Diktatur des
P&ouml;bels verabscheuen....Wenn ich nur nicht so fern von meiner Mutter
w&auml;re, die in Bessarabien geblieben ist!"
<P>
Baklanow &uuml;bernahm von dem Kommandanten formell das B&uuml;ro. &AElig;Hier
sind die Schl&uuml;ssel zum Pult", sagte der Oberst nerv&ouml;s. Ein Rotgardist
unterbrach ihn. &AElig;Wo ist das Geld?" fragte er rauh. Der Oberst schien
&uuml;berrascht. &AElig;Geld? Geld? Ach, Sie meinen die Kasse. Hier ist sie.
Genau so, wie ich sie vorfand, als ich sie vor drei Tagen &uuml;bernahm.
- Schl&uuml;ssel?" Der Oberst zuckte die Schultern. &AElig;Ich habe keine
Schl&uuml;ssel." Der Rotgardist lachte sp&ouml;ttisch. &AElig;Sehr bequem",
sagte er. &AElig;Wir wollen die Kasse aufmachen", schlug Baklanow vor.
&AElig;Bring eine Axt! Hier ist ein amerikanischer Genosse. La&szlig; ihn
die Kasse aufschlagen, und er soll dann niederschreiben, was er vorfand."
Ich schlug zu. Die Kasse war leer. &AElig;Verhaften", tobte der Rotgardist.
&AElig;Er ist ein Kerenskimann. Er hat das Geld gestohlen und es Kerenski
gegeben." Baklanow wehrte ab. &AElig;Ach nein", sagte er. &AElig;Er ist
unschuldig. Es waren die Kornilowleute, die vor ihm da waren." &AElig;Teufel!"
schrie der Rotgardist. &AElig;Er ist ein Kerenskimann, sage ich euch. Wenn
du ihn nicht verhaften willst, werden wir es tun. Wir werden ihn nach Petrograd
mitnehmen und in die Peter-Pauls-Festung stecken, wo er hingeh&ouml;rt!"
Die andren Rotgardisten br&uuml;llten Beifall. Ein kl&auml;glicher Blick
des Obersten traf uns, als er abgef&uuml;hrt wurde... Unten stand vor dem
Sowjetpalast ein Lastauto, im Begriff, zur Front abzufahren. Ein halbes Dutzend
Rotgardisten, einige Matrosen und ein oder zwei Soldaten, unter dem Kommando
eines hochgewachsenen Arbeiters, kletterten hinauf und riefen mir zu, mit
ihnen zu fahren. Rotgardisten, schwerbepackt, mit einer Last kleiner, gerippter
eisener Handgranaten, schwankten heran und warfen die Handgranaten in das
Auto. Die Granaten waren mit Grubit gef&uuml;llt, das, wie sie mir sagten,
eine zehnmal gr&ouml;&szlig;ere Explosivkraft hat und f&uuml;nfmal empfindlicher
ist als Dynamit. Ein dreiz&ouml;lliges Gesch&uuml;tz wurde geladen und mittels
Dr&auml;hten und Seilen hinten am Auto befestigt. Wir fuhren los, in schnellstem
Tempo nat&uuml;rlich. Der schwere Wagen schaukelte hin und her. Das
Gesch&uuml;tz hinter uns tanzte abwechselnd auf dem einen und dem anderen
Rad. Die Grubitgranaten rollten von rechts nach links und von vorn nach hinten,
&uuml;ber unsere F&uuml;&szlig;e und sprangen krachend an den W&auml;nden
des Wagens empor. Der lange Rotgardist, der sich Wladimir Nikolajewitsch
nannte, best&uuml;rmte mich mit Fragen &uuml;ber Amerika. &AElig;Warum ist
Amerika in den Krieg eingetreten? Sind die amerikanischen Arbeiter bereit,
die Kapitalisten zu st&uuml;rzen? Wie ist gegenw&auml;rtig die Situation
in der Angelegenheit Mooney? Wird Berkman nach San Franzisko ausgeliefert
werden?" und viele andere noch, die zu beantworten nicht leicht war. Um den
L&auml;rm des Autos zu &uuml;bert&ouml;nen, mu&szlig;ten wir laut schreien,
w&auml;hrend wir uns aneinander festhielten und mit den hin- und herrollenden
Granaten um die Wette tanzten. Von Zeit zu Zeit versuchte eine Patrouille
uns anzuhalten. Soldaten stellten sich uns in den Weg, mit erhobenem Gewehr
und schreiend: &AElig;Stoi! Stoi!" (Halt! Halt!) Wir lie&szlig;en sie schreien.
&AElig;Der Teufel soll euch holen!" schimpften die Rotgardisten. &AElig;Wir
halten nicht f&uuml;r all und jeden! Wir sind Rotgardisten!" Und weiter donnerten
wir, w&auml;hrend mir Wladimir Nikolajewitsch, mit seiner ganzen Lungenkraft
schreiend, seine Ansichten &uuml;ber die Internationalisierung des Panamakanals
und &auml;hnliche Dinge entwickelte. Nach zirka acht Kilometer Fahrt sahen
wir einen uns entgegenkommenden Trupp Matrosen und fuhren langsamer. &AElig;Wo
ist die Front, Br&uuml;der?" Der an der Spitze marschierende Matrose blieb
stehen und kratzte sich den Kopf. &AElig;Heute morgen", sagte er, &AElig;war
sie etwa einen halben Kilometer weiter die Stra&szlig;e hinunter. Aber jetzt
ist das verfluchte Ding sonstwo. Wir sind marschiert und marschiert und
k&ouml;nnen die Front nicht finden." Sie kletterten zu uns in den Wagen,
und wir setzten unseren Weg fort. Etwa einen Kilometer weiter spitzte Wladimir
Nikolajewitsch die Ohren und rief dem Chauffeur zu, zu halten. &AElig;Es
wird geschossen!" sagte er. &AElig;H&ouml;rt ihr?" Einen Moment Totenstille,
und dann etwas weiter nach vorn und linker Hand von uns in schneller Folge
drei Sch&uuml;sse. Der Weg war hier von dichtem Geh&ouml;lz eingefa&szlig;t.
Aufgeregt fuhren wir langsam weiter, nur im Fl&uuml;sterton sprechend, bis
unser Auto in der N&auml;he der Stelle anlangte, von wo das Schie&szlig;en
gekommen war. Herunterspringend, verteilten wir uns, die Gewehre
schu&szlig;bereit, und drangen in das Geh&ouml;lz ein. Inzwischen banden
zwei Genossen die Kanone los und brachten sie, so gut es ging, in unsere
Richtung in Stellung. Im Walde war Totenstille. Die B&auml;ume waren kahl,
und ihre St&auml;mme ergl&auml;nzten fahl im Widerschein der untergehenden
Herbstsonne. Nichts regte sich, nur der gefrorene Boden knirschte unter unseren
F&uuml;&szlig;en. War es ein Hinterhalt? Unruhig gingen wir weiter, bis der
Wald sich lichtete, und blieben stehen. Vor uns auf einer Lichtung sa&szlig;en
drei Soldaten um ein Feuer, in voller Sorglosigkeit. Wladimir Nikolajewitsch
ging auf sie zu. &AElig;Guten Tag, Genossen!" gr&uuml;&szlig;te er. Die Kanone
hinter ihm, die zwanzig Gewehre und der Lastwagen voller Grubitgranaten -
all das schien an einem Haar zu h&auml;ngen. Die Soldaten sprangen auf.
&AElig;Was bedeutete das Schie&szlig;en hier eben?" Einer der Soldaten
antwortete, wieder beruhigt: &AElig;Nichts weiter, wir haben nur eben ein
paar Kaninchen geschossen..."
<P>
Wir ratterten weiter, nach Romanowo zu. An der ersten Wegkreuzung stellten
sich uns zwei Soldaten mit erhobenen Gewehren entgegen. Wir fuhren langsamer
und hielten. &AElig;Eure Ausweise, Genossen!" Die Rotgardisten erhoben ein
wildes Geschrei. &AElig;Wir sind Rotgardisten. Wir brauchen keine Ausweise...
Weiter! La&szlig;t sie schreien!" Einer der Matrosen widersprach jedoch.
&AElig;Das ist nicht richtig, Genossen. Wir m&uuml;ssen revolution&auml;re
Disziplin halten. Stellt euch vor, Konterrevolution&auml;re k&auml;men hier
in einem Auto dahergefahren und erkl&auml;rten einfach, sie brauchten keine
Ausweise.- Die Genossen kennen euch doch nicht." Eine Debatte entspann sich,
und einer nach dem anderen traten die Matrosen und Soldaten der Auffassung
des Matrosen bei, der zuerst gesprochen hatte. Zu guter Letzt holten auch
die Rotgardisten ihre schmuddligen &AElig;Bumagi" (Papiere) hervor. Alle
waren sie von gleichem Aussehen, bis auf meinen, den ich vom revolution&auml;ren
Stab im Smolny hatte. Die Posten erkl&auml;rten mir, da&szlig; ich mit ihnen
gehen m&uuml;sse. Die Rotgardisten widersprachen lebhaft, aber der schon
erw&auml;hnte Matrose nahm noch einmal das Wort: &AElig;Ich wei&szlig;, da&szlig;
dieser Genosse gut und zuverl&auml;ssig ist", sagte er, &AElig;aber die Befehle
des Komitees m&uuml;ssen unbedingt respektiert werden. Das eben ist
revolution&auml;re Disziplin!" Um den Streit zu beenden, kletterte ich
schlie&szlig;lich von dem Wagen hinunter. Er fuhr weiter, und die Genossen
winkten mir zu, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Die Soldaten berieten
eine Weile miteinander und f&uuml;hrten mich dann zu einer Mauer, an die
sie mich stellten - und pl&ouml;tzlich begriff ich: Sie wollten mich
erschie&szlig;en! In allen drei Richtungen war kein Mensch zu sehen. Nur
ein d&uuml;nner Rauchfaden, der von dem Schornstein eines alleinstehenden
Holzhauses aufstieg, zeugte von Lebewesen. ES mochte ein halber Kilometer
bis dahin sein, den Weg hinunter. Die beiden Soldaten gingen ein St&uuml;ck
in den Weg hinein. Ich lief verzweifelt hinter ihnen her. &AElig;Aber Genossen!
Seht doch! Hier ist der Stempel des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees!"
Sie starrten dumm auf meinen Ausweis und blickten dann einander an. &AElig;Er
ist nicht wie die anderen, Bruder", sagte der eine eigensinnig. &AElig;Wir
k&ouml;nnen nicht lesen." Ich nahm ihn beim Arm. &AElig;Kommt", sagte ich.
&AElig;La&szlig;t uns dort nach dem Hause gehen. Da ist sicher jemand, der
lesen kann." Sie z&ouml;gerten. &AElig;Nein", sagte der eine. Der andere
musterte mich. &AElig;Warum nicht? Es ist immerhin eine gro&szlig;e S&uuml;nde,
einen unschuldigen Menschen zu t&ouml;ten." Wir gingen nach dem Hause und
klopften an die T&uuml;r. Eine kleine untersetzte Frau &ouml;ffnete und schreckte
entsetzt zur&uuml;ck, stammelnd: &AElig;Ich kann ihnen gar nichts sagen."
Einer meiner W&auml;chter hielt ihr meinen Ausweis unter die Nase. Sie kreischte.
&AElig;Sie sollen nur lesen, Genossin." Z&ouml;gernd nahm sie das Papier
und las dann laut und flie&szlig;end: &AElig;Der Inhaber dieses Ausweises,
John Reed, ist ein Internationalist und ein Vertreter der amerikanischen
Sozialdemokratie." Nachdem wir wieder drau&szlig;en waren, hielten die Soldaten
eine neue Beratung ab. &AElig;Wir m&uuml;ssen Sie zum Regimentskomitee bringen",
erkl&auml;rten sie mir. Wir stampften in der schnell sinkenden D&auml;mmerung
den schmutzigen Weg entlang. Verschiedene Male begegneten uns Soldatentrupps,
die stehenblieben und mich drohend umringten, meinen Ausweis von Hand zu
Hand reichend und heftig streitend, ob ich erschossen werden m&uuml;sse oder
nicht. Es war schon finster, als wir die Kaserne des 2.
Zarskoselski-Sch&uuml;tzenregiment erreichten, niedrige, langgestreckte
Geb&auml;ude, die eng aneinandergedr&auml;ngt l&auml;ngs der Hauptstra&szlig;e
standen. Am Eingang wieder Soldaten, in nachl&auml;ssiger Haltung, die meine
W&auml;chter mit Fragen best&uuml;rmten. &AElig;Ein Spion? Ein Provokateur?"
Wir stiegen eine Wendeltreppe hinauf und kamen an einen gro&szlig;en kahlen
Raum, mit einem riesigen Ofen in der Mitte und Reihen von Lagerst&auml;tten
am Boden, wo gegen tausend Soldaten Karten spielten, sangen, plauderten oder
schliefen. Im Dache war ein m&auml;chtiges Loch, das von einer kerenskischen
Granate herr&uuml;hrte. Ich blieb am Eingang stehen. Durch die Gruppe lief
ein pl&ouml;tzliches Schweigen. Alles wandte sich nach uns um und starrte
mich an. Dann begannen die Soldaten auf uns einzudringen, langsam erst, dann
immer schneller, schreiend, mit ha&szlig;erf&uuml;llten Gesichtern. &AElig;Halt,
halt, Genossen!" schrie einer meiner W&auml;rter. &AElig;Das Komitee! Das
Komitee!" Die Menge stand, mich umringend, murrend. Ein hagerer junger Mensch,
mit einer roten Armbinde, dr&auml;ngte sich vor. &AElig;Wer ist das?" fragte
er rauh. Die W&auml;chter erstatteten ihm Bericht. &AElig;Geben Sie mir den
Ausweis!" Er las ihn aufmerksam, mich mit durchdringendem Blick musternd.
Dann flog ein L&auml;cheln &uuml;ber sein Gesicht, und e gab mir seinen Ausweis
zur&uuml;ck. &AElig;Genossen! Dies ist ein amerikanischer Genosse!" Und zu
mir gewendet: &AElig;Ich bin der Vorsitzende des Komitees. Ich hei&szlig;e
Sie in unserem Regiment willkommen.." Bei den Soldaten erst ein erstauntes
Gemurmel, das rasch zu herzlichen Begr&uuml;&szlig;ungen anwuchs. Alle
dr&auml;ngten vorw&auml;rts, mir die Hand zu dr&uuml;cken. &AElig;Sie haben
sicher noch nicht gegessen? Wir sind hier schon fertig. Aber Sie k&ouml;nnen
in den Offiziersklub gehen. Da sind auch Leute, die ihre Sprache sprechen."
Er f&uuml;hrte mich &uuml;ber den Hof zum Eingang eines anderen Geb&auml;udes.
Ein vornehm auftretender junger Mensch, den Achselst&uuml;cken nach ein Leutnant,
ging gerade nach oben. Der Vorsitzende stellte mich vor, und sich mit einem
H&auml;ndedruck verabschiedend, ging er wieder zur&uuml;ck. &AElig;Stepan
Georgijewitsch Morowski, zu ihren Diensten", sagte der Leutnant in tadellosem
Franz&ouml;sisch. Von der reichgeschm&uuml;ckten Vorhalle f&uuml;hrte eine
von funkelnden Kronleuchtern erleuchtete Treppe nach oben .In der zweiten
Etage Billard- und Kartens&auml;le, eine Bibliothek. Wir betraten den Speisesaal,
wo an einem in der Mitte stehenden Tisch gegen zwanzig Offiziere sa&szlig;en,
in Galauniform, mit gold- und silberknaufigen Degen und mit den B&auml;ndern
und Kreuzen ihrer kaiserlichen Orden geschm&uuml;ckt. Alle erhoben sich
h&ouml;flich, als ich eintrat, und mir wurde ein Platz neben dem Obersten
offeriert. Gewandte Burschen servierten das Essen. Die Atmosph&auml;re
unterschied sich in nichts von der eines beliebigen europ&auml;ischen
Offizierskasinos. Wo war hier die Revolution? &AElig;Sie sind keine Bolschewiki?"
fragte ich Morowski. Ein L&auml;cheln lief durch die Runde; aber ich sah
auch einen oder zwei einen fl&uuml;chtigen Blick auf die Ordonnanzen werfen.
&AElig;Nein", erwiderte mein Freund. &AElig;Im Regiment ist nur ein
bolschewistischer Offizier, und der ist heute abend in Petrograd. Der Oberst
ist Menschewik, der Hauptmann Cherlow geh&ouml;rt der Kadettenpartei an,
und ich selber geh&ouml;re zu den rechten Sozialrevolution&auml;ren. Die
Offiziere der Armee sind wohl meist keine Bolschewiki; aber sie sind
&uuml;berzeugte Demokraten, und sie halten es f&uuml;r ihre Pflicht, den
Soldatenmassen zu folgen." Nach dem Essen wurde eine Karte hereingebracht,
die der Oberst auf dem Tisch ausbreitete. Alles dr&auml;ngte sich heran,
um zu sehen. &AElig;Hier", sagte der Oberst, auf eine Bleistiftlinie weisend,
&AElig;befanden sich unsere Stellungen heute morgen. Wladimir Kirillowitsch,
wo ist jetzt Ihre Kompanie?" Hauptmann Cherlow zeigte: &AElig;Wir haben laut
Befehl die Stellungen l&auml;ngs dieses Weges bezogen. Karsawin hat mich
um f&uuml;nf Uhr abgel&ouml;st." In diesem Augenblick wurde die T&uuml;r
ge&ouml;ffnet, und der Vorsitzende des Regimentskomitees und ein anderer
Soldat traten ein. Sie gesellten sich zu der Gruppe hinter dem Obersten und
betrachteten die Karte. &AElig;Gut!" sagte der Oberst. &AElig;Die Kosaken
haben sich in unserem Abschnitt um zehn Kilometer zur&uuml;ckgezogen. Ein
weiteres Vorr&uuml;cken scheint mir in diesem Moment nicht n&ouml;tig. Meine
Herren, halten Sie heute nacht die gegenw&auml;rtige Linie und befestigen
sie die Stellung mittels..." &AElig;Wenn ich bitten darf", unterbrach hier
der Vorsitzende des Regimentskomitees. &AElig;Die Befehle lauten: ,Im
schnellstm&ouml;glichen Tempo vorr&uuml;cken, die Kosaken morgen in aller
Fr&uuml;he n&ouml;rdlich von Gattschina angreifen, sie vernichtend schlagen.'
Bitte, treffen Sie die entsprechenden Ma&szlig;regeln." Ein kurzes Schweigen
folgte. Der Oberst wandte sich von neuem der Karte zu. &AElig;Sehr gut",
sagte er in ver&auml;ndertem Tonfall. &AElig;Stepan Georgijewitsch, wollen
Sie bitte..." Und rasch einige blaue Linien zeichnend, gab er seine Befehle,
w&auml;hrend ein Unteroffizier stenografierte. Der Unteroffizier ging dann
hinaus, um zehn Minuten sp&auml;ter eine maschinenschriftliche Ausfertigung
des Befehls nebst einer Kopie hereinzubringen. Der Vorsitzende des Komitees
studierte die Karte anhand der Kopie des Befehls. &AElig;In Ordnung", sagte
er, sich erhebend. Er faltete die Kopie zusammen und steckte sie in die Tasche.
Dann unterzeichnete er den Befehl, holte aus seiner Tasche einen Stempel,
dr&uuml;ckte ihn neben die Unterschrift und &uuml;berreichte den Befehl dem
Obersten. Hier f&uuml;hlte ich wieder die Revolution.
<P>
Mit dem Auto des Regimentsstabes kehrte ich nach Zarskoje in den Sowjetpalast
zur&uuml;ck. Immer noch str&ouml;mten Arbeiter, Soldaten und Matrosen hinein
und heraus, immer noch das Gewimmel von Lastautos, Panzerwagen, eine Kanone
vor der T&uuml;r und der frohe L&auml;rm des ungewohnten Sieges. Ein halbes
Dutzend Rotgardisten dr&auml;ngte sich durch die Menge, in ihrer Mitte ein
Priester. Das sei Vater Iwan, sagten sie, der die Kosaken bei ihrem Einmarsch
in die Stadt gesegnet habe. Sp&auml;ter h&ouml;rte ich, da&szlig; man ihn
erschossen hat. Eben kam Dybenko heraus, nach allen Seiten rasch Befehle
erteilend. In der Hand hielt er seinen gro&szlig;en Revolver. Ein Automobil
stand da, mit ratterndem Motor. Dybenko schwang sich auf den hinteren Sitz,
ohne Begleitung, und sauste davon - nach Gattschina, um Kerenski einen Schlag
zu versetzen. Gegen abend hatte er die Stadtgrenze erreicht und ging zu Fu&szlig;
weiter. Was er mit den Kosaken besprochen hat, wei&szlig; niemand. Tatsache
aber ist, da&szlig; der General Krasnow mit seinem Stabe und einige tausend
Kosaken die Waffen streckte und Kerenski den Rat gab, dasselbe zu tun. Hier
die Aussage des Generals Krasnow am Morgen des 14. November in bezug auf
Kerenski: &AElig;Gattschina, 14. November 1917. Heute morgen gegen 3 Uhr
wurde ich zum Obersten Befehlshaber (Kerenski) beordert. Er war
&auml;u&szlig;erst aufgeregt und nerv&ouml;s. ,General', sagte er mir,,Sie
haben mich verraten. Ihre Kosaken erkl&auml;ren kategorisch, da&szlig; sie
mich verhaften und an die Matrosen ausliefern wollen.' ,Jawohl', antwortete
ich,,davon ist tats&auml;chlich die Rede, und mir ist auch bekannt, da&szlig;
sie nirgendwo Freunde haben.'
<P>
,Aber die Offiziere sagen dasselbe.' ,Stimmt, gerade die Offiziere sind mit
ihnen besonders unzufrieden.'
<P>
,Was soll ich tun? Mich erschie&szlig;en?' ,Wenn Sie ein Ehrenmann sind,
so werden Sie unverz&uuml;glich mit einer wei&szlig;en Fahne nach Petrograd
zum Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee gehen und als Chef der Provisorischen
Regierung in Verhandlungen eintreten.' ,Gut, ich werde das tun, General.'
,Ich werde Ihnen eine Schutzwache mitgeben und einen Matrosen bitten, Sie
zu begleiten.' ,Nein, nein, nur keinen Matrosen. Es hei&szlig;t, da&szlig;
Dybenko hier sein soll. Ist das wahr?' ;Dybenko? Ich wei&szlig; nicht, wer
das ist.' ,Mein Feind.' ,Da kann man nichts tun. Wenn man einen hohen Einsatz
wagt, mu&szlig; man alle M&ouml;glichkeiten n&uuml;tzen.' ,Jawohl, ich werde
heute nacht gehen!' ,Heute nacht? Das w&uuml;rde als Flucht gedeutet werden.
Gehen Sie in aller Ruhe und ganz &ouml;ffentlich, so da&szlig; jeder sehen
kann, da&szlig; Sie nicht davonlaufen.' ;Sie haben recht. Aber Sie m&uuml;ssen
mir eine Begleitung geben, auf die ich mich verlassen kann.' ,Gut.' Ich ging
hinaus und rief den Kosaken Russakow vom 10. Don-Regiment. Ich gab ihm Befehl,
zehn Kosaken auszusuchen, die den Obersten Befehlshaber begleiten sollten.
Eine halbe Stunde sp&auml;ter berichteten die Kosaken, Kerenski sei nicht
in seinem Quartier, er sei davongelaufen. Ich alarmierte sofort alles und
befahl, nach ihm zu suchen, in der Annahme, da&szlig; er Gattschina noch
nicht verlassen haben k&ouml;nnte, er wurde jedoch nicht gefunden..."
<P>
So war Kerenski also allein geflohen, allein, als Matrose verkleidet; er
verlor auf diese Weise das letzte bi&szlig;chen Popularit&auml;t, das ihm
unter den russischen Massen geblieben war...
<P>
Zur&uuml;ck nach Petrograd fuhr ich in einem Lastauto, das voller Rotgardisten
war. Der Fahrer, ein Arbeiter, hatte mir einen Platz neben sich einger&auml;umt.
Wir hatten kein Leucht&ouml;l, und so fuhr unser Wagen unbeleuchtet. Auf
der Chaussee dr&auml;ngten sich die Soldaten der proletarischen Armee,
heimw&auml;rts marschierende, und herausstr&ouml;mende frische Reserven.
Riesige Lastautos, Artilleriekolonnen, Wagen tauchten aus der Nacht auf,
gleichfalls ohne Licht. Wir ratterten ungest&uuml;m los, mit pl&ouml;tzlichem
Ruck bald nach rechts, bald nach links ausweichend, um Zusammenst&ouml;&szlig;e
zu vermeiden, unter den wilden Verw&uuml;nschungen der Fu&szlig;g&auml;nger.
<P>
Am Horizont schimmerten die Lichter der Hauptstadt, als w&auml;re die weite,
kahle Ebene mit Juwelen &uuml;bers&auml;t. Der alte Arbeiter am Steuer hielt
das Lenkrad nur noch mit einer Hand, w&auml;hrend er mit der anderen voll
&uuml;berschwenglicher Freude auf die in der Ferne leuchtende Hauptstadt
wies. &AElig;Mein!" rief er mit gl&auml;nzenden Augen. &AElig;Ganz geh&ouml;rt
es jetzt mir! Mein Petrograd!"
</BODY></HTML>