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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 25 March 2009), see www.w3.org">
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<title>Friedrich Engels - Die deutsche Reichsverfassungskampagne - IV</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p align="center"><a href="me07_146.htm"><font size="2">III - Die Pfalz</font></a> | <a href=
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"me07_109.htm"><font size="2">Inhalt</font></a></p>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die deutsche
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Reichsverfassungskampagne", S. 162-197<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><font size="5">IV</font></p>
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<p align="center"><font size="5">Für Republik zu sterben!</font></p>
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<div style="margin-left: 4em">
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<p><font size="2">Nur im Sturz von sechsunddreißig Thronen<br>
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Kann die deutsche Republik gedeihn;<br>
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Darum, Brüder, stürzt sie ohne Schonen,<br>
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Setzet Gut und Blut und Leben ein.<br>
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Für Republik zu sterben,<br>
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Ist ein Los, hehr und groß, ist das Ziel unsres Muts!</font></p>
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<p><b><a name="S162" id="S162"><162></a></b> So sangen die Freischärler auf der
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Eisenbahn, als ich nach Neustadt fuhr, um dort Willichs momentanes Hauptquartier zu erfragen.</p>
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<p>Für Republik zu sterben, war also von nun an das Ziel meines Muts oder sollte es
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wenigstens sein. Ich kam mir sonderbar vor mit diesem neuen Ziel. Ich sah mir die
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Freischärler an, junge, hübsche, flotte Burschen. Sie sahen gar nicht aus, als ob der
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Tod für Republik vorderhand das Ziel ihres Mutes sei.</p>
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<p>Von Neustadt aus fuhr ich mit einem requirierten Bauerwagen nach Offenbach, zwischen Landau
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und Germersheim, wo Willich noch war. Dicht hinter Edenkoben stieß ich auf die ersten, von
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den Bauern auf seinen Befehl ausgestellten Wachtposten, die sich von nun an beim Ein- und Ausgang
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jedes Dorfs und auf allen Kreuzwegen wiederholten und niemanden ohne schriftliche Legitimation
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von den Insurrektionsbehörden durchließen. Man sah, daß man dem Kriegszustand
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etwas näher kam. Spät in der Nacht traf ich in Offenbach ein und übernahm sogleich
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bei Willich Adjutantendienste.</p>
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<p>Während dieses Tages - es war der 13. Juni - hatte ein kleiner Teil des Willichschen
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Korps ein glänzendes Gefecht bestanden. Willich hatte zu seinem Freikorps einige Tage vorher
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noch ein badisches Volkswehrbataillon, das Bataillon Dreher-Obermüller, als Verstärkung
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bekommen und von diesem Bataillon etwa fünfzig Mann gegen Germersheim, nach Bellheim
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vorgeschoben. Hinter ihnen lag noch in Knittelsheim eine Kompanie des Freikorps nebst einigen
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Sensenmännern. Ein Bataillon Bayern mit zwei Geschützen und <a name="S163" id=
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"S163"><b><163></b></a> einer Schwadron Chevaulegers machten einen Ausfall. Die Badenser
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flohen, ohne Widerstand zu leisten; nur einer von ihnen, von drei reitenden Gendarmen
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überholt, verteidigte sich wütend, bis er endlich, ganz zerhackt von Säbelhieben,
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hinfiel und von den Angreifern vollends getötet wurde. Als die Flüchtigen in
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Knittelsheim ankamen, brach der dort stationierte Hauptmann mit nicht ganz 50 Mann, von denen
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einige noch Sensen hatten, gegen die Bayern auf. Er verteilte seine Leute geschickt in mehre
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Detachements und ging in Tirailleurlinie mit solcher Entschiedenheit vor, daß die mehr als
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zehnfach überlegnen Bayern nach zweistündigem Kampf in das von den Badensern im Stich
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gelassene Dorf zurückgedrängt und endlich, als noch einige Verstärkung vom
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Willichschen Korps ankam, aus dem Dorf wieder hinausgeworfen wurden. Mit einem Verlust von etwa
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zwanzig Toten und Verwundeten zogen sie sich nach Germersheim zurück. Es tut mir leid,
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daß ich den Namen dieses tapfern und talentvollen jungen Offiziers nicht nennen darf, da er
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sich wahrscheinlich noch nicht in Sicherheit befindet. Seine Leute hatten nur fünf
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Verwundete, unter denen keiner gefährlich. Der eine dieser fünf, ein französischer
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Freiwilliger, hatte einen Schuß in den Oberarm bekommen, ehe er selbst zum Feuern kam.
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Trotzdem verschoß er noch seine sämtlichen sechzehn Patronen, und als seine Wunde ihn
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am Laden hinderte, ließ er sein Gewehr durch einen Sensenmann laden, um nur feuern zu
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können. Am nächsten Tage gingen wir nach Bellheim, um den Kampfplatz anzusehen und neue
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Dispositionen zu treffen. Die Bayern hatten mit Vollkugeln und Kartätschen auf unsre
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Tirailleurei gefeuert, aber nichts getroffen als die Zweige der Bäume, mit denen die ganze
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Straße übersät war, und den Baum, hinter dem der Hauptmann stand.</p>
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<p>Das Bataillon Dreher-Obermüller war heute vollzählig gegenwärtig, um sich jetzt
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ganz in Bellheim und Umgegend festzusetzen. Es war ein schönes, gutbewaffnetes Bataillon,
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und namentlich die Offiziere sahen mit ihren Knebelbärten und braunen Gesichtern voll Ernst
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und Begeisterung wie wahre denkende Menschenfresser aus. Zum Glück waren sie so
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gefährlich nicht, wie wir mehr und mehr sehen werden.</p>
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<p>Zu meiner Verwunderung erfuhr ich, daß fast gar keine Munition vorhanden sei, daß
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die meisten Leute nur fünf bis sechs, einige wenige zwanzig Patronen besäßen und
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daß der Vorrat nicht einmal ausreiche, um die ganz leeren Patrontaschen der gestern im
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Feuer gewesenen Mannschaft zu füllen. Ich erbot mich sogleich, nach Kaiserslautern zu gehen,
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um Munition zu holen, und machte mich denselben Abend noch auf den Weg.</p>
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<p>Die Bauerwagen fahren schlecht; die Notwendigkeit, stationsweise neue Wagen zu requirieren,
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die Unkenntnis der Wege usw. halten ebenfalls auf. <a name="S164" id=
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"S164"><b><164></b></a> Es war Tagesanbruch, als ich nach Maikammer, etwa halbwegs
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Neustadt, kam. Hier stieß ich auf eine Abteilung Pirmasenser Volkswehr nebst den vier nach
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Homburg geschickten Kanonen, die man in Kaiserslautern schon verloren geglaubt hatte. Über
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Zweibrücken und Pirmasens, von da auf den elendesten Bergwegen war es ihnen gelungen, bis
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hierher durchzukommen, wo sie endlich in die Ebene debouchierten. Die Herren Preußen waren
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so eilig mit der Verfolgung nicht, obgleich unsere Pirmasenser, durch Strapazen,
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Nachtmärsche und Wein aufgeregt, sie schon auf ihren Fersen glaubten.</p>
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<p>Einige Stunden später - es war am 15. Juni - kam ich nach Neustadt. Die ganze
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Bevölkerung war auf den Straßen, dazwischen Soldaten und Freischärler, wie man in
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der Pfalz alle Volkswehren in Blusen ohne Unterschied nannte. Wagen, Kanonen und Pferde
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versperrten die Zugänge. Kurz, ich war mitten in die Retirade der gesamten pfälzischen
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Armee geraten. Die provisorische Regierung, der General Sznayde, der Generalstab, die Büros,
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alles war da. Kaiserslautern war aufgegeben, die Fruchthalle, der "Donnersberg", die
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Bierhäuser, der "strategisch gelegenste Punkt der Pfalz", und für den Moment war
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Neustadt das Zentrum der pfälzischen Verwirrung, die erst jetzt, wo es zum Kampf kam, ihren
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Höhepunkt erreichte. Genug, ich unterrichtete mich über alles, nahm möglichst
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viele Fässer Pulver, Blei und fertige Patronen mit - was sollte die Munition auch dieser
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ohne eine Schlacht in Trümmer aufgelösten Armee weiter nützen? -, schaffte mir
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nach zahllosen vergeblichen Versuchen endlich in einem benachbarten Dorfe einen Leiterwagen und
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fuhr mit meiner Beute und einigen Mann Bedeckung abends wieder ab.</p>
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<p>Vorher ging ich zu Herrn Sznayde und frug, ob er nichts für Willich zu bestellen habe.
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Der alte Gourmand gab mir einige nichtssagende Bescheide und fügte mit wichtiger Miene
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hinzu: "Sehen Sie, wir machen es jetzt gerade wie Kossuth."</p>
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<p>Wie die Pfälzer aber dazu kamen, es geradeso wie Kossuth zu machen, das hing
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folgendermaßen zusammen. Die Pfalz besaß in der blühendsten Epoche der
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"Erhebung", d.h. am Tage vor dem Einrücken der Preußen, etwa 5.000 bis 6.000 Mann, die
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mit Gewehren aller Art bewaffnet waren, und an 1.000 bis 1.500 Sensenmänner. Diese 5.000 bis
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6.000 möglichen Kombattanten bestanden erstens aus dem Willichschen und rheinhessischen
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Freikorps und zweitens aus der sogenannten Volkswehr. In jedem Landkommissariatsbezirk war ein
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Militärkommissär mit dem Auftrage, ein Bataillon zu organisieren. Als Kern und
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Instruktoren dienten die dem Bezirk angehörigen übergegangenen Soldaten. Dies System
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der Vermischung der Linientruppen mit den neuausgehobenen Rekruten, das während eines
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aktiven Feldzugs mit strenger Disziplin und fortwährender Waffenübung zu den besten
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Resultaten geführt <a name="S165" id="S165"><b><165></b></a> hätte, verdarb hier
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alles. Die Bataillone kamen aus Mangel an Waffen nicht zustande; die Soldaten, die nichts zu tun
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hatten, verbummelten alle Disziplin und kriegerische Haltung und liefen großenteils
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auseinander. Endlich kam in einigen Bezirken eine Art Bataillon zusammen, in den andern
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existierten nur einige bewaffnete Haufen. Mit den Sensenmännern war vollends nichts
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anzufangen; überall im Wege, nie wirklich zu gebrauchen, hatte man sie teils als
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interimistisches Anhängsel bei ihren respektiven Bataillonen gelassen, bis man Gewehre
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für sie bekäme, teils in ein besondres Korps unter dem halbnärrischen Hauptmann
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Zinn vereinigt. Der Bürger Zinn, der vollständigste Shakespearesche Pistol, den man
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sehen kann, der beim Ausreißen vor Landau unter Held Blenker über seine
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Säbelscheide gestolpert war, daß sie zerbrach, der aber nachher mit großem
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Pathos schwor, eine "vierundzwanzigpfündige feurige Bombenkugel" habe sie ihm
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entzweigerissen, dieser selbe unüberwindliche Pistol wurde bisher zu Exekutionen gegen
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reaktionäre Dörfer verwandt. Er unterzog sich diesem Amte mit großem Eifer, so
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daß die Bauern zwar sehr großen Respekt vor ihm und seinem Korps hatten, ihn aber
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auch jedesmal gehörig durchprügelten, wo sie ihn allein zu fassen bekamen. Auf ihrer
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Rückkehr von solchen Fahrten mußten dann die Sensenmänner ihre Sensen in Scharten
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und Splitter schlagen, und wenn er nach Kaiserslautern kam, erzählte er mörderliche
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Falstaffiaden von seinen Kämpfen mit den Bauern.</p>
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<p>Da mit solchen Kräften natürlich wenig auszurichten war, so befahl Mieroslawski, der
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erst am 10. im badischen Hauptquartier eintraf, daß die Pfälzer sich fechtend an den
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Rhein zurückziehen; womöglich den Rheinübergang bei Mannheim gewinnen, sonst aber
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bei Speyer oder Knielingen auf das rechte Rheinufer gehen und sodann von Baden aus die
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Rheinübergänge verteidigen sollten. Gleichzeitig mit diesem Befehl traf die Nachricht
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ein, daß die Preußen von Saarbrücken aus in die Pfalz eingedrungen seien und
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unsre wenigen an der Grenze aufgestellten Leute nach einigen Flintenschüssen gegen
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Kaiserslautern zurückgeworfen hätten. Zugleich konzentrierten sich fast alle mehr oder
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weniger organisierten Truppenteile in der Richtung auf Kaiserslautern und Neustadt; es entstand
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eine grenzenlose Verwirrung, und ein großer Teil der Rekruten lief auseinander. Ein junger
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Offizier der schleswigholsteinischen Freischaren von 1848, Rakow, ging mit 30 Mann aus, die
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Deserteure wieder zu sammeln, und brachte in zweimal vierundzwanzig Stunden ihrer 1.400 zusammen,
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die er in ein "Bataillon Kaiserslautern" formierte und bis zum Ende des Feldzugs führte.</p>
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<p>Die Pfalz ist in strategischer Beziehung ein so einfaches Terrain, daß selbst die
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Preußen hier keine Schnitzer machen konnten. Längs dem Rhein liegt <a name="S166" id=
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"S166"><b><166></b></a> ein vier bis fünf Stunden breites Tal ohne alle
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Terrainhindernisse. In drei bequemen Tagemärschen kamen die Preußen von Kreuznach und
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Worms bis nach Landau und Germersheim. Über die gebirgige Hinterpfalz führt die
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"Kaiserstraße" von Saargemünd nach Mainz, meist auf dem Bergrücken oder durch ein
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breites Bachtal. Auch hier sind so gut wie gar keine Terrainhindernisse, hinter denen eine
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numerisch schwache und taktisch ungebildete Armee sich nur einigermaßen halten könnte.
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Von der Kaiserstraße endlich trennt sich hart an der preußischen Grenze, bei Homburg,
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eine vortreffliche Straße, die teils durch Flußtäler, teils über den
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Rücken der Vogesen über Zweibrücken und Pirmasens direkt nach Landau führt.
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Diese Straße bietet freilich größere Schwierigkeiten dar, ist aber auch mit
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wenig Truppen und ohne Artillerie nicht zu versperren, besonders wenn ein feindliches Korps in
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der Ebene manöveriert und den Rückzug über Landau und Bergzabern verlegen
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kann.</p>
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<p>Hiernach war der Angriff der Preußen sehr einfach. Der erste Einfall geschah von
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Saarbrücken gegen Homburg; von hier aus marschierte eine Kolonne direkt auf Kaiserslautern,
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die andre über Pirmasens auf Landau. Gleich darauf griff ein zweites Korps im Rheintal an.
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Dies Korps fand in Kirchheimbolanden den ersten heftigen Widerstand an den dort liegenden
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Rheinhessen. Die Mainzer Schützen verteidigten den Schloßgarten mit großer
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Hartnäckigkeit und trotz bedeutender Verluste. Sie wurden endlich umgangen und zogen sich
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zurück. Ihrer siebenzehn fielen den Preußen in die Hände. Sie wurden sogleich an
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die Bäume gestellt und von den schnapstrunkenen Heroen des "herrlichen Kriegsheers" ohne
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weiteres erschossen. Mit dieser Niederträchtigkeit begannen die Preußen ihren "zwar
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kurzen, aber ruhmvollen Feldzug" in der Pfalz.</p>
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<p>Hiermit war die ganze nördliche Hälfte der Pfalz gewonnen und die Verbindung der
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beiden Hauptkolonnen hergestellt. Sie brauchten jetzt nur noch in der Ebene vorzugehen und Landau
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und Germersheim zu entsetzen, um sich die ganze übrige Pfalz zu sichern und alle im Gebirg
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sich etwa noch haltenden Korps gefangenzunehmen.</p>
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<p>Es waren etwa 30.000 Preußen in der Pfalz, mit zahlreicher Kavallerie und Artillerie
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versehen. In der Ebene, wo der Prinz von Preußen und Hirschfeld mit dem stärksten
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Korps vordrangen, stand zwischen ihnen und Neustadt nichts als ein paar widerstandsunfähige,
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schon halb aufgelöste Volkswehrabteilungen und ein Teil der Rheinhessen. Ein rascher Marsch
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auf Speyer und Germersheim, und die ganzen bei Neustadt und Landau konzentrierten oder vielmehr
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verworren durcheinanderzottelnden 4.000 bis 5.000 Mann Pfälzer waren verloren, zersprengt,
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aufgelöst und gefangen. Aber die Herren Preußen, <a name="S167" id=
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"S167"><b><167></b></a> so aktiv, wenn es ans Füsilieren wehrloser Gefangener ging,
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waren höchst zurückhaltend im Gefecht, höchst schläfrig in der
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Verfolgung.</p>
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<p>Wenn ich im ganzen Lauf des Feldzugs auf diese höchst seltsame Lauheit der Preußen
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und übrigen Reichstruppen, sowohl im Angriff wie in der Verfolgung, gegenüber einer
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meist sechsfach, stets wenigstens dreifach geringeren, schlecht organisierten und stellenweise
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erbärmlich kommandierten Armee, wenn ich auf diesen Umstand häufiger zurückkommen
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muß, so ist es klar, daß ich ihn nicht auf Rechnung einer aparten Feigheit der
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preußischen Soldaten schiebe, um so weniger, als man schon gesehen haben wird, daß
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ich mir über die besondre Tapferkeit unsrer Truppen durchaus keine Illusionen mache.
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Ebensowenig führe ich ihn, wie dies von Reaktionären geschieht, auf eine Art von
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Großmut oder auf den Wunsch zurück, sich nicht mit zu vielen Gefangenen zu
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belästigen. Die preußische bürgerliche und militärische Bürokratie hat
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von jeher ihren Ruhm darin gesucht, Triumphe über schwache Feinde mit großem Eklat
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davonzutragen und sich an den Wehrlosen mit der ganzen Wollust des Blutdurstes zu rächen.
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Sie hat dies auch in Baden und der Pfalz getan - Beweis: die Füsilladen von Kirchheim, die
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nächtlichen Erschießungen in der Fasanerie von Karlsruhe, die zahllosen
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Niedermetzelungen von Verwundeten und sich Ergebenden auf allen Schlachtfeldern, die
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Mißhandlungen der wenigen, die zu Gefangenen gemacht wurden, die standrechtlichen Morde in
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Freiburg und Rastatt und endlich die langsame, heimliche und darum um so grausamere Tötung
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der Rastatter Gefangenen durch Mißhandlung, Hunger, Aufhäufung in feuchten,
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erstickenden Löchern und den durch alles dies hervorgebrachten Typhus. Die laue
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Kriegführung der Preußen hatte ihren Grund allerdings in der Feigheit, und zwar in der
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|
Feigheit der Kommandierenden. Abgesehen von der langsamen, ängstlichen Präzision unsrer
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preußischen Gamaschen- und Manöverhelden, die allein jeden kühnen Zug, jeden
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raschen Entschluß unmöglich macht, abgesehen von den umständlichen
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Dienstreglements, die die Wiederkehr so vieler schmählicher Niederlagen auf Umwegen
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hintertreiben sollen - wo würden die Preußen jemals diese für uns so
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unerträglich langweilige, für sie so höchst blamable Kriegführung angewandt
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haben, wenn sie ihrer eignen Laute sicher gewesen wären? Aber darin lag die Ursache. Die
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Herren Generäle wußten, daß ein Drittel ihrer Armee aus widerspenstigen
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Landwehrregimentern bestand, die nach dem ersten Sieg der Insurrektionsarmee sich zu ihr schlagen
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und sehr bald den Abfall der Hälfte auch der Linie und namentlich aller Artillerie nach sich
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ziehen würde. Und wie es dann um das Haus Hohenzollern und die ungeschwächte Krone
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gestanden haben würde, ist wohl ziemlich klar.</p>
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<p>In Maikammer, wo ich auf neue Fuhre und Bedeckung bis zum Morgen <a name="S168" id=
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"S168"><b><168></b></a> des 16. warten mußte, holte mich die in aller Frühe von
|
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Neustadt aufgebrochne Armee schon wieder ein. Man hatte tags vorher noch von einem Marsch auf
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|
Speyer gesprochen, dieser Plan war also aufgegeben, und man zog direkt nach der Knielinger
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Brücke. Mit fünfzehn Pirmasensern, halbwilden Bauernjungen aus den Urwäldern der
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Hinterpfalz, marschierte ich ab. Erst in der Nähe von Offenbach erfuhr ich, daß
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|
Willich mit allen seinen Truppen nach Frankweiler, einem nordwestlich <In der "Revue":
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nordöstlich> von Landau gelegenen Ort, abmarschiert sei. Ich kehrte also um und kam gegen
|
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|
Mittag in Frankweiler an. Hier fand ich nicht nur Willich, sondern abermals den ganzen Vortrab
|
||
|
der Pfälzer, die, um nicht zwischen Landau und Germersheim durchzumarschieren, den Weg
|
||
|
westlich <In der "Revue": östlich> von Landau eingeschlagen hatten. Im Wirtshaus
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||
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saß die provisorische Regierung mit ihren Beamten, der Generalstab und die zahlreichen
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||
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demokratischen Bummler, die sich an beide angeschlossen hatten. Der General Sznayde
|
||
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frühstückte. Alles lief durcheinander - im Gasthof die Regenten, Kommandanten und
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|
Bummler, auf der Straße die Soldaten. Allmählich zog das Gros der Armee ein: Herr
|
||
|
Blenker, Herr Trocinski, Herr Straßer und wie sie alle heißen, hoch zu Roß, an
|
||
|
der Spitze ihrer Tapfern. Die Verwirrung wurde immer größer. Nach und nach gelang es,
|
||
|
einzelne Korps weiter fortzuschicken, in der Richtung auf Impflingen und Kandel zu.</p>
|
||
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|
||
|
<p>Man sah es dieser Armee nicht an, daß sie auf dem Rückzug war. Die Unordnung war
|
||
|
von Anfang an bei ihr zu Hause, und wenn die jungen Krieger auch schon anfingen, über das
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||
|
ungewohnte Marschieren zu jammern, so hielt sie das nicht ab, in den Wirtshäusern nach
|
||
|
Herzenslust zu zechen, zu lärmen und den Preußen mit baldigster Vernichtung zu drohen.
|
||
|
Trotz dieser Siegesgewißheit hätte ein Regiment Kavallerie mit einigen reitenden
|
||
|
Geschützen hingereicht, die ganze heitre Gesellschaft in alle vier Winde zu zersprengen und
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|
das "rheinpfälzische Freiheitsheer" total aufzulösen. Es gehörte nichts dazu als
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||
|
ein rascher Entschluß und etwas Verwegenheit; aber von beidem war im preußischen
|
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|
Lager keine Rede.</p>
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<p>Am nächsten Morgen brachen wir auf. Während das Gros der Flüchtigen nach der
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|
Knielinger Brücke abzog, marschierte Willich mit seinem Korps und dem Bataillon Dreher ins
|
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|
Gebirge gegen die Preußen. Eine unsrer Kompanien, etwa fünfzig Landauer Turner, waren
|
||
|
ins höchste Gebirg, nach Johanniskreuz, vorgegangen. Schimmelpfennig stand mit seinem Korps
|
||
|
auch noch auf der Straße von Pirmasens nach Landau. Es galt, die Preußen aufzuhalten
|
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|
und ihnen in [Hinter]weidenthal die Straßen nach Bergzabern und ins Lautertal zu
|
||
|
verlegen.</p>
|
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||
|
<p><b><a name="S169" id="S169"><169></a></b> Schimmelpfennig hatte indes [Hinter]weidenthal
|
||
|
schon aufgegeben und stand in Rinnthal und Annweiler. Die Straße macht hier eine Biegung,
|
||
|
und grade in dieser Biegung bilden die das Queichtal einschließenden Berge eine Art
|
||
|
Defilee, hinter dem das Dorf Rinnthal liegt. Dies Defilee war mit einer Art Feldwache besetzt. In
|
||
|
der Nacht hatten seine Patrouillen gemeldet, daß auf sie geschossen worden sei;
|
||
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frühmorgens brachten der Exzivilkommissär Weiß von Zweibrücken und ein
|
||
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junger Rheinländer, M. J. Becker, die Nachricht, daß die Preußen
|
||
|
heranrückten, und forderten zu Rekognoszierungspatrouillen auf. Aber weder Rekognoszierungen
|
||
|
wurden vorgenommen noch die Höhen zu beiden Seiten des Defilees besetzt, so daß
|
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Weiß und Becker sich entschlossen, auf eigne Faust rekognoszieren zu gehen. Als sich die
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Berichte vom Herannahen des Feindes mehrten, fingen Schimmelpfennigs Leute an, das Defilee zu
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verbarrikadieren; Willich kam an, rekognoszierte die Position, gab einige Befehle zur Besetzung
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der Höhen und ließ die ganz nutzlose Barrikade wieder forträumen. Er ritt dann
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rasch nach Annweiler zurück und holte seine Truppen.</p>
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<p>Als wir durch Rinnthal marschierten, hörten wir die ersten Schüsse fallen. Wir
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eilten durchs Dorf und sahen auf der Chaussee Schimmelpfennigs Leute aufgestellt, viel
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Sensenmänner, wenig Flinten, einige schon vor ins Gefecht. Die Preußen rückten
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tiraillierend auf den Höhen vor; Schimmelpfennig hatte sie rühig in die Position kommen
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lassen, die er selbst besetzen sollte. Noch fiel keine Kugel in unsre Kolonnen; sie flogen alle
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hoch über uns weg. Wenn eine Kugel über die Sensenmänner hinpfiff, schwankte die
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ganze Linie, schrie alles durcheinander.</p>
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<p>Mit Mühe kamen wir an diesen Truppen vorbei, die fast die ganze Straße versperrten,
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alles in Unordnung brachten und mit ihren Sensen doch ganz nutzlos waren. Die Kompanieführer
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und Leutnants waren so ratlos und verwirrt wie die Soldaten selbst. Unsre Schützen wurden
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vorkommandiert, einige rechts, einige links auf die Höhen, dazu links noch zwei Kompanien
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zur Verstärkung der Schützen und zur Umgehung der Preußen. Die Hauptkolonne blieb
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im Tal stehen. Einige Schützen postierten sich hinter die Trümmer der Barrikade in der
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Biegung der Straße und schossen auf die preußische Kolonne, die einige Hundert
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Schritt weiter zurück stand. Ich ging links mit einigen Leuten den Berg hinauf.</p>
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<p>Wir hatten kaum den buschigen Abhang erklettert, als wir auf ein freies Feld stießen,
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von dessen jenseitigem, waldigem Rand uns preußische Schützen ihre Spitzkugeln
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herüberschickten. Ich holte noch einige der ratlos und etwas scheu am Abhang
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herumkletternden Freischärler hinauf, stellte sie möglichst gedeckt auf und sah mir das
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Terrain näher an. Vorgehen konnte ich nicht mit <a name="S170" id=
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"S170"><b><170></b></a> den paar Mann über ein ganz offenes Feld von 200 bis 250
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Schritt Breite, solange nicht das weiter links vorgeschickte Umgehungsdetachement die Flanke der
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Preußen erreicht hatte; wir konnten uns höchstens halten, da wir ohnehin nur schlecht
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gedeckt waren. Die Preußen schossen trotz ihrer Spitzkugelbüchsen übrigens
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herzlich schlecht; wir standen fast gar nicht gedeckt über eine halbe Stunde im heftigsten
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Tirailleurfeuer, und die feindlichen Scharfschützen trafen nur einen Flintenlauf und einen
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Blusenzipfel.</p>
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<p>Ich mußte endlich sehn, wo Willich war. Meine Leute versprachen, sich zu halten, ich
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kletterte den Abhang wieder hinab. Unten stand alles gut. Die Hauptkolonne der Preußen, von
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unsern Schützen auf der Straße und rechts von der Straße beschossen, mußte
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sich etwas weiter zurückziehn. Auf einmal springen links, wo ich gestanden hatte, unsre
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Freischärler eilig den Abhang hinunter und lassen ihre Position im Stich. Die auf dem
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äußersten linken Flügel vorgegangenen Kompanien, durch Hinterlassung zahlreicher
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Tirailleure geschwächt, fanden den Weg durch ein weiter liegendes Gehölz zu lang; den
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Hauptmann, der das Gefecht von Bellheim gewonnen, an der Spitze, gingen sie quer über die
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Felder vor. Ein heftiges Feuer empfing sie; der Hauptmann und mehrere andere stürzten, und
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der Rest, ohne Führer, wich der Übermacht. Die Preußen gingen nun vor, nahmen
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unsre Tirailleure in die Flanke, schossen von oben auf sie herab und zwangen sie so zum
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Rückzug. Der ganze Berg war bald in den Händen der Preußen. Sie schossen von oben
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in unsre Kolonnen; es war nichts mehr zu machen, und wir traten den Rückzug an. Die
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Straße war versperrt durch die Schimmelpfennigschen Truppen und durch das Bataillon
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Dreher-Obermüller, das nach löblicher badischer Sitte nicht in Sektionen von vier bis
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sechs, sondern in Halbzügen von zwölf bis fünfzehn Mann Front marschierte und die
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ganze Breite der Chaussee einnahm. Durch sumpfige Wiesen mußten unsre Leute ins Dorf
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marschieren. Ich blieb bei den Schützen, die den Rückzug deckten.</p>
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<p>Das Gefecht war verloren, teils dadurch, daß Schimmelpfennig gegen Willichs Befehl die
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Höhen nicht hatte besetzen lassen, die wir mit den wenigen verwendbaren Truppen den
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Preußen nicht wieder abnehmen konnten, teils durch die gänzliche Unbrauchbarkeit der
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Schimmelpfennigschen Leute und des Bataillons Dreher, teils endlich durch die Ungeduld des zur
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Umgehung der Preußen kommandierten Hauptmanns, die ihm fast das Leben kostete und unsern
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linken Flügel bloßstellte. Es war übrigens unser Glück, daß wir
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geschlagen wurden; eine preußische Kolonne war schon auf dem Weg nach Bergzabern, Landau
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war entsetzt, und so wären wir in [Hinter]weidenthal von allen Seiten umzingelt gewesen.</p>
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<p>Auf dem Rückzug verloren wir mehr Leute als im Gefecht. Von Zeit zu <a name="S171" id=
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"S171"><b><171></b></a> Zeit schlugen die preußischen Büchsenkugeln in die
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dichte Kolonne, die sich größtenteils in erbaulicher Unordnung, schreiend und polternd
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fortbewegte. Wir hatten etwa fünfzehn Verwundete, darunter Schimmelpfennig, der ziemlich im
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Anfang des Gefechts einen Schuß ins Knie erhalten hatte. Die Preußen verfolgten uns
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wieder sehr lau und hörten bald auf zu schießen. Es waren nur einige Tirailleure an
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den Bergabhängen, die uns nachfolgten. In Annweiler, eine halbe Stunde vom Kampfplatz,
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nahmen wir sehr ruhig einige Erfrischungen zu uns und marschierten dann nach Albersweiler. Die
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Hauptsache hatten wir: 3.000 Gulden Einzahlungen für die Zwangsanleihe, die in Annweiler
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bereitgelegen hatten. Die Preußen nannten das nachher Kassenraub. Sie behaupteten auch in
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ihrem Siegesrausch, den Hauptmann Manteuffel von unserm Korps, Vetter Ehren-Manteuffels in Berlin
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und übergegangnen preußischen Unteroffizier, bei Rinnthal getötet zu haben. Herr
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Manteuffel ist so wenig tot, daß er seitdem in Zürich noch einen Turnpreis gewonnen
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hat.</p>
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<p>In Albersweiler stießen zwei badische Geschütze zu uns, ein Teil der von
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Mieroslawski gesandten Verstärkung. Wir wollten sie benutzen, um uns in der Nähe noch
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einmal zu stellen; da brachte man uns die Nachricht, die Preußen seien schon in Landau, und
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hiernach blieb uns nichts, als direkt nach Langenkandel abzumarschieren.</p>
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<p>In Albersweiler wurden wir glücklich die unbrauchbaren Truppen los, die mit uns
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marschierten. Das Korps Schimmelpfennig hatte sich nach dem Verlust seines Führers schon
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teilweise aufgelöst und marschierte auf eigene Faust seitwärts nach Kandel ab. Es
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ließ noch jeden Augenblick Marode und sonstige Nachzügler in den Wirtshäusern
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zurück. Das Bataillon Dreher fing in Albersweiler an, rebellisch zu werden. Willich und ich
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gingen hin und frugen, was sie wollten. Allgemeines Schweigen. Endlich rief ein schon ziemlich
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bejahrter Freischärler: "Man will uns auf die Schlachtbank führen!" Diese Exklamation
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war höchst komisch bei einem Korps, das gar nicht einmal im Gefecht gewesen war und auf dem
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Rückzug zwei, höchstens drei Leichtverwundete gehabt hatte. Willich ließ den Mann
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vortreten und sein Gewehr abgeben. Der etwas angetrunkene Graubart tat es, machte eine
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tragikomische Szene und heulte eine lange Rede, deren kurzer Sinn war, daß ihm das noch nie
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passiert sei. Darüber erhob sich eine allgemeine Entrüstung unter diesen sehr
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gemütlichen, aber schlecht disziplinierten Kämpfern, so daß Willich der ganzen
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Kompanie befahl, sofort abzumarschieren, er sei des Schwatzens und Murrens satt und wolle solche
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Soldaten keinen Augenblick länger führen. Die Kompanie ließ sich das nicht
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zweimal sagen, schwenkte rechts ab und setzte sich in Marsch. Fünf Minuten darauf folgte ihr
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der Rest des Bataillons, <a name="S172" id="S172"><b><172></b></a> dem Willich noch zwei
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Geschütze beigab. Das war ihnen zu arg, daß sie "auf die Schlachtbank geführt"
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werden und Disziplin halten sollten! Wir ließen sie mit Vergnügen ziehn.</p>
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<p>Wir schlugen uns rechts ins Gebirg in der Richtung auf Impflingen zu. Bald kamen wir in die
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Nähe der Preußen; unsre Schützen wechselten einige Kugeln mit ihnen.
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Überhaupt wurde den ganzen Abend von Zeit zu Zeit geschossen. Im ersten Dorf blieb ich
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zurück, um unsrer Landauer Turnerkompanie durch Boten Nachrichten zuzuschicken; ob sie sie
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erhielt, weiß ich nicht, doch ist sie glücklich nach Frankreich und von da nach Baden
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herübergekommen. Durch diesen Aufenthalt verlor ich das Korps und mußte meinen Weg
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nach Kandel selbst suchen. Die Wege waren bedeckt mit Nachzüglern der Armee; alle
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Wirtshäuser lagen voll; die ganze Herrlichkeit schien in Wohlgefallen aufgelöst.
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Offiziere ohne Soldaten hier, Soldaten ohne Offiziere dort, Freischärler aller Korps bunt
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durcheinander eilten zu Fuß und zu Wagen nach Kandel zu. Und die Preußen dachten gar
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nicht an ernsthafte Verfolgung! Impflingen liegt nur eine Stunde von Landau, Wörth (vor der
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Knielinger Brücke) nur vier bis fünf Stunden von Germersheim; und die Preußen
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schickten weder nach dem einen noch nach dem andern Punkt rasch Truppen hin, die hier die
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Zurückgebliebenen, dort die ganze Armee abschneiden konnten. In der Tat, die Lorbeeren des
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Prinzen von Preußen sind auf eine eigene Art errungen worden!</p>
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<p>In Kandel fand ich Willich, aber nicht das Korps, das weiter zurück einquartiert war.
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Dafür fand ich wieder die provisorische Regierung, den Generalstab und das zahlreiche
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Gefolge von Bummlern. Dieselbe Überfüllung von Truppen, nur eine noch viel
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größere Unordnung und Verwirrung als gestern in Frankweiler. Jeden Augenblick kamen
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Offiziere, die nach ihren Korps, Soldaten, die nach ihren Führern frugen. Kein Mensch
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wußte ihnen Bescheid zu geben. Die Auflösung war komplett.</p>
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<p>Am nächsten Morgen, 18. Juni, defilierte die ganze Gesellschaft durch Wörth und
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über die Knielinger Brücke. Trotz der vielen Versprengten und Heimgegangenen betrug die
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Armee mit den aus Baden gekommenen Verstärkungen doch an 5.000 bis 6.000 Mann. Sie
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marschierten so stolz durch Wörth, als hätten sie das Dorf soeben erobert und
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zögen neuen Triumphen entgegen. Sie machten es noch immer wie Kossuth. Ein badisches
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Linienbataillion war übrigens das einzige, das militärische Haltung hatte und das an
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einer Kneipe vorbeimarschieren konnte, ohne daß einige davon hineinsprangen. Endlich kam
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unser Korps. Wir blieben zur Deckung zurück, bis die Brücke abgefahren werden konnte;
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als alles in Ordnung war, marschierten wir nach Baden hinüber und halfen die Joche
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ausfahren</p>
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<p><b><a name="S173" id="S173"><173></a></b> Die badische Regierung, um die braven
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Karlsruher Spießbürger zu schonen, die sich am 6. Juni so tapfer gegen die
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Republikaner gehalten hatten, quartierte die ganze pfälzische Gesellschaft in der Umgegend
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ein. Wir hatten gerade darauf gedrungen, mit unserm Korps nach Karlsruhe zu kommen; wir hatten
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eine Menge Reparaturen und Kleidungsgegenstände nötig und hielten außerdem die
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Anwesenheit eines zuverlässigen, revolutionären Korps in Karlsruhe für sehr
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wünschenswert. Aber Herr Brentano hatte für uns gesorgt. Er dirigierte uns auf
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Daxianden, ein Dorf anderthalb Stunden von Karlsruhe, das uns als ein wahres Eldorado geschildert
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wurde. Wir marschieren hin und finden das reaktionärste Nest der ganzen Gegend. Nichts zu
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essen, nichts zu trinken, kaum etwas Stroh; das halbe Korps mußte auf dem harten
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Fußboden schlafen. Dazu saure Gesichter an allen Türen und Fenstern. Wir machten
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kurzen Prozeß. Herr Brentano wurde avertiert: Wenn uns nicht vorher ein anderes, besseres
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Quartier angewiesen sei, würden wir am nächsten Morgen, den 19. Juni, in Karlsruhe
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sein. Gesagt, getan. Um neun Uhr morgens wird abmarschiert. Noch keinen Büchsenschuß
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vor dem Dorf kommt uns Herr Brentano mit einem Stabsoffizier entgegen und bietet alle
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Schmeicheleien, alle Künste der Beredsamkeit auf, um uns von Karlsruhe entfernt zu halten.
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Die Stadt beherberge schon 5.000 Mann, die reichere Klasse sei fortgereist, der Mittelstand mit
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Einquartierung überladen; er werde nicht dulden, daß das tapfre Willichsche Korps, des
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||
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Lob auf allen Zungen sei, schlecht untergebracht werde, usw. Half alles nichts. Willich forderte
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einige leere Paläste fortgereister Aristokraten, und als Brentano sie nicht geben wollte,
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gingen wir in Karlsruhe in Quartiere.</p>
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<p>In Karlsruhe erhielten wir Gewehre für unsre Sensenkompanie und einiges Tuch zu
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Mänteln. Wir ließen Schuhe und Kleider so rasch wie möglich reparieren. Auch neue
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Leute kamen zu uns, mehre Arbeiter, die ich vom Elberfelder Aufstand her kannte, ferner Kinkel,
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der als Musketier in die Besançoner Arbeiterkompanie eintrat, und Zychlinski, Adjutant des
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Oberkommandos im Dresdner Aufstand und Führer der Arrieregarde beim Rückzug der
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|
Insurgenten. Er trat als Schütze in die Studentenkompanie.</p>
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<p>Neben der Vervollständigung der Ausrüstung wurde die taktische Ausbildung nicht
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vergessen. Es wurde fleißig exerziert und am zweiten Tage unsrer Anwesenheit ein
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simulierter Sturm auf Karlsruhe vom Schloßplatz aus vorgenommen. Die Spießbürger
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bewiesen durch ihre allgemeine und tiefgefühlte Entrüstung über dies Manöver,
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daß sie die Drohung vollständig verstanden hatten.</p>
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<p>Man faßte endlich den kühnen Entschluß, die Waffensammlung des
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Großherzogs in Requisition zu setzen, die bisher wie ein Heiligtum unangetastet <a name=
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"S174" id="S174"><b><174></b></a> geblieben war. Wir waren eben im Begriff, zwanzig daraus
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erhaltene Büchsen pistonieren zu lassen, als die Nachricht kam, die Preußen seien bei
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Germersheim über den Rhein gegangen und ständen in Graben und Bruchsal.</p>
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<p>Wir marschierten sogleich - am 20. Juni abends - nebst zwei pfälzischen Kanonen ab. Als
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wir nach Blankenloch kamen, anderthalb Stunden von Karlsruhe gegen Bruchsal zu, fanden wir dort
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Herrn Clement mit seinem Bataillon und erfuhren, daß die preußischen Vorposten bis
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etwa eine Stunde von Blankenloch vorgeschoben seien. Während unsre Leute unterm Gewehr zu
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Abend speisten, hielten wir Kriegsrat. Willich schlug vor, die Preußen sogleich
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anzugreifen. Herr Clement erklärte, mit seinen ungeübten Truppen keinen
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nächtlichen Angriff machen zu können. Es wurde also beschlossen, daß wir sogleich
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auf Karlsdorf vorgehn, etwas vor Tagesanbruch angreifen und die preußische Linie zu
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durchbrechen suchen sollten. Gelang uns dies, so wollten wir auf Bruchsal marschieren und uns
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womöglich hineinwerfen. Herr Clement sollte dann bei Tagesanbruch über Friedrichsthal
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angreifen und unsre linke Flanke unterstützen.</p>
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<p>Es war etwa Mitternacht, als wir aufbrachen. Unser Unternehmen war passabel verwegen. Wir
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waren nicht ganz siebenhundert Mann mit zwei Kanonen; unsre Truppen waren besser exerziert und
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zuverlässiger als der Rest der Pfälzer Truppen, auch ziemlich ans Feuer gewöhnt.
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Wir wollten mit ihnen ein feindliches Korps angreifen, das jedenfalls viel geübter und mit
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geübtern Subalternoffizieren versehen war als wir, bei denen einzelne Hauptleute kaum in der
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Bürgerwehr gewesen waren; ein Korps, dessen Stärke wir nicht genau kannten, das aber
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nicht unter 4.000 Mann zählte. Unser Korps hatte indessen schon ungleichere Kämpfe
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bestanden, und auf minder ungünstige Zahlenverhältnisse war ja in diesem Feldzug
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überhaupt nicht zu rechnen.</p>
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<p>Wir schickten zehn Studenten als Avantgarde hundert Schritt vor; dann folgte die erste
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Kolonne, an der Spitze ein halbes Dutzend badische Dragoner, die uns zum Stafettendienst
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zugeteilt waren, dahinter drei Kompanien. Die Geschütze nebst den drei übrigen
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Kompanien blieben etwas weiter zurück, die Schützen bildeten den Schluß. Der
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Befehl war gegeben, unter keiner Bedingung zu schießen, mit der größten Stille
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zu marschieren und, sowie der Feind sich zeige, mit dem Bajonett auf ihn loszugehn.</p>
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<p>Bald sahen wir in der Ferne den Schein der preußischen Wachtfeuer. Wir kommen
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unangefochten bis Spöck. Das Gros hält; die Avantgarde allein marschiert vor.
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Plötzlich fallen Schüsse; auf der Straße am Eingang des Dorfes flackert ein
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helles Strohfeuer auf, die Glocke läutet Sturm. Rechts und links gehen unsre Plänkler
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||
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um das Dorf, und die Kolonne marschiert hinein. <a name="S175" id="S175"><b><175></b></a>
|
||
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Drinnen brennen ebenfalls große Feuer; an jeder Ecke erwarten wir eine Salve. Aber alles
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||
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ist still, und nur eine Art Wachtposten von Bauern kampiert vor dem Rathaus. Der preußische
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Posten hatte sich bereits davongemacht.</p>
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<p>Die Herren Preußen - das sahen wir hier - hielten sich trotz ihrer kolossalen
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Überzahl nicht für sicher, wenn sie nicht ihre pedantischen Vorpostendienstreglements
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bis ins langweiligste Detail ausgeführt hatten. Eine ganze Stunde weit von ihrem Lager stand
|
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dieser äußerste Posten. Hätten wir unsre, an Kriegsstrapazen ungewohnten Leute in
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||
|
derselben Weise durch Vorpostendienst abmatten wollen, wir hätten zahllose Marode gehabt.
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Wir verließen uns auf die preußische Ängstlichkeit und waren der Meinung, sie
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|
würden mehr Respekt vor uns haben als wir vor ihnen. Und mit Recht. Unsre Vorposten wurden
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||
|
bis an die Schweizer Grenze nie angegriffen, unsre Quartiere nie überfallen.</p>
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|
<p>Jedenfalls waren die Preußen jetzt avertiert. Sollten wir umkehren? Wir waren nicht der
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|
Ansicht, wir marschierten durch.</p>
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<p>Bei Neuthard <In der "Revue": Neithart> abermals die Sturmglocke; diesmal aber weder
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|
Signalfeuer noch Schüsse. Wir marschieren in etwas geschlossener Ordnung auch hier durch das
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||
|
Dorf und die Höhe gegen Karlsdorf hinan. Unsre Avantgarde, jetzt nur noch dreißig
|
||
|
Schritt vor, ist kaum auf der Höhe angekommen, als sie die preußische Feldwache dicht
|
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|
vor sich sieht und von ihr angerufen wird. Ich höre das "Wer da?"' und springe vor. Einer
|
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meiner Kameraden sagte: "Der ist verloren, den sehn wir auch nicht wieder." Aber gerade mein
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Vorgehn war meine Rettung.</p>
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<p>In demselben Augenblick nämlich gibt die feindliche Feldwache eine Salve, und unsre
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Avantgarde, statt sie mit dem Bajonett über den Haufen zu werfen, feuert wieder. Die
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||
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Dragoner, neben denen ich marschiert hatte, machen mit ihrer gewöhnlichen Feigheit sofort
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kehrt, sprengen im Galopp in die Kolonne hinein, reiten eine Anzahl Leute nieder, sprengen die
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||
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ersten vier bis sechs Sektionen total auseinander und galoppieren davon. Zugleich geben die in
|
||
|
den Feldern rechts und links aufgestellten feindlichen Vedetten Feuer auf uns, und um die
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Verwirrung vollständig zu machen, fangen mitten in unsrer Kolonne einige Tölpel an, auf
|
||
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ihre eigne Spitze zu feuern, und andere Tölpel machen es ihnen nach. In einem Nu ist die
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||
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erste Hälfte der Kolonne zersprengt, teils in den Feldern zerstreut, teils auf der Flucht,
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||
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teils auf der Straße in verworrenem Knäul zusammengeballt. Verwundete, Tornister,
|
||
|
Hüte, Flinten liegen bunt durcheinander im jungen Korn. Dazwischen wildes, verworrenes
|
||
|
Geschrei, Schüsse und Kugelpfeifen in allen möglichen Rich- <a name="S176" id=
|
||
|
"S176"><b><176></b></a> tungen. Und wie der Lärm etwas nachläßt, höre
|
||
|
ich weit hinten unsre Kanonen in eiliger Flucht davonrollen. Sie hatten der zweiten Hälfte
|
||
|
der Kolonne denselben Dienst geleistet wie die Dragoner der ersten.</p>
|
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||
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<p>So wütend ich in diesem Augenblick über den kindischen Schrecken war, der unsre
|
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|
Soldaten ergriffen hatte, so erbärmlich kamen mir die Preußen vor, die, avertiert, wie
|
||
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sie von unsrer Ankunft waren, das Feuer nach ein paar Schüssen einstellten und ebenfalls
|
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eiligst ausrissen. Unsre Avantgarde stand noch auf ihrem alten Platz, und ganz unangegriffen.
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||
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Eine Schwadron Kavallerie oder ein erträglich genährtes Tirailleurfeuer hätte uns
|
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|
in die wildeste Flucht aufgelöst.</p>
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<p>Willich kam von der Avantgarde eilig herangesprungen. Die Besançoner Kompanie war
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||
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zuerst wieder formiert; die andern, mehr oder minder beschämt, schlossen sich an. Es wurde
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||
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eben Tag. Unser Verlust betrug sechs Verwundete, worunter einer unsrer Stabsoffiziere, der an
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derselben Stelle von einem Dragonerpferd zu Boden gestampft war, die ich den Augenblick vorher
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verlassen hatte, um zur Avantgarde zu eilen. Mehrere andere waren offenbar von den Kugeln unsrer
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||
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eignen Leute getroffen. Wir sammelten sorgfältig alle weggeworfenen Armaturstücke auf,
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|
damit den Preußen auch nicht die geringste Trophäe zufiele, und zogen uns dann langsam
|
||
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nach Neuthard zurück. Die Schützen postierten sich zur Deckung hinter die ersten
|
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Häuser. Aber kein Preuße kam; und als Zychlinski noch einmal rekognoszieren ging, fand
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||
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er sie noch hinter der Höhe, von woher sie ihm ein paar Kugeln sandten, ohne etwas zu
|
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|
treffen.</p>
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<p>Die Pfälzer Bauern, die unsre Geschütze fuhren, waren mit der einen Kanone bis durch
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das Dorf gefahren; die andere hatte umgeworfen, und die Führer waren mit fünf Pferden,
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deren Stränge sie abhieben, fortgeritten. Wir mußten das Geschütz aufrichten und
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mit dem einen Stangenpferde allein fortschaffen.</p>
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<p>Bei Spöck angekommen, hörten wir rechts, nach Friedrichsthal zu, eine
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allmählich lebhafter werdende Füsillade. Herr Clement hatte, eine Stunde später
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als verabredet, endlich angegriffen. Ich schlug vor, ihn durch einen Flankenangriff zu
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unterstützen, um die erhaltene Scharte auszuwetzen. Willich war derselben Meinung und
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befahl, den ersten Weg rechts einzuschlagen. Ein Teil unsres Korps hatte schon eingebogen, als
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ein Ordonnanzoffizier von Clement meldete, dieser ziehe sich zurück. Wir gingen also nach
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Blankenloch. Bald begegnete uns Herr Beust vom Generalstab und war höchst erstaunt, uns am
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Leben und das Korps in bester Ordnung zu sehn. Die schuftigen Dragoner hatten auf ihrer Flucht,
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die bis Karlsruhe ging, überall erzählt, Willich sei tot, die Offiziere seien alle tot
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und das Korps in alle vier Winde zersprengt und <a name="S177" id="S177"><b><177></b></a>
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vernichtet. Man habe mit Kartätschen und "feurigen Bombenkugeln" auf uns geschossen.</p>
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<p>Vor Blankenloch kamen uns pfälzische und badische Truppen entgegen und endlich Herr
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Sznayde mit seinem Stab. Der alte Kauz, der die Nacht wahrscheinlich sehr ruhig im Bette
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zugebracht hatte, war unverschämt genug, uns zuzurufen: "Meine Herren, wo gehen Sie hin?
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Dort ist der Feind!" Wir antworteten ihm natürlich, wie sich's gebührte, marschierten
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vorbei und sorgten in Blankenloch für etwas Ruhe und Erfrischung. Nach zwei Stunden kam Herr
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Sznayde mit seiner Truppe zurück, natürlich ohne den Feind gesehen zu haben, und
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frühstückte.</p>
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<p>Herr Sznayde hatte jetzt mit den aus Karlsruhe und Umgegend erhaltenen Verstärkungen
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ungefähr 8.000 bis 9.000 Mann unter seinem Befehl, darunter drei badische Linienbataillone
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und zwei badische Batterien. Im ganzen mochten 25 Geschütze dabeisein. Infolge der etwas
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unbestimmten Befehle Mieroslawskis und noch mehr der totalen Unfähigkeit des Herrn Sznayde
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blieb die ganze pfälzische Armee in der Gegend von Karlsruhe stehn, bis die Preußen
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unter dem Schutz des Germersheimer Brückenkopfs über den Rhein gegangen waren.
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Mieroslawski (s. seine Rapporte über den Feldzug in Baden) hatte den allgemeinen Befehl
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gegeben, nach dem Rückzug aus der Pfalz die Rheinübergänge von Speyer bis
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Knielingen zu verteidigen, und den speziellen, Karlsruhe zu decken und die Knielinger Brücke
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zum Sammelplatz des ganzen Armeekorps zu machen. Herr Sznayde legte dies so aus, daß er bis
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auf weiteres bei Karlsruhe und Knielingen stehnbleiben sollte. Hätte er, wie die allgemeinen
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Befehle Mieroslawskis implizierten, ein starkes Korps mit Artillerie gegen den Germersheimer
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Brückenkopf geschickt, so wäre nicht der Unsinn passiert, daß man dem Major
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Mniewski, mit 450 Rekruten ohne Geschütz, den Befehl gab, den Brückenkopf wegzunehmen,
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so wären nicht 30.000 Preußen unangefochten über den Rhein gekommen, so wäre
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nicht die Verbindung mit Mieroslawski abgeschnitten worden, so hätte die Pfälzer Armee
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rechtzeitig auf dem Schlachtfeld von Waghäusel erscheinen können. Statt dessen trieb
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sie sich am Tage des Waghäuseler Gefechts, am 21. Juni, ratlos zwischen Friedrichsthal,
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Weingarten und Bruchsal umher, verlor den Feind aus den Augen und vergeudete die Zeit mit Kreuz-
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und Quermärschen.</p>
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<p>Wir erhielten Befehl, nach dem rechten Flügel aufzubrechen und über Weingarten am
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Bergrande vorzugehn. Wir brachen also an demselben Mittag - den 21. Juni - von Blankenloch und
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abends gegen fünf von Weingarten auf. Die Pfälzer Truppen fingen endlich an, unruhig zu
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werden; sie merkten, welche Überzahl ihnen entgegenstand, und verloren die prahlerische
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Sicherheit, die sie bisher wenigstens vor dem Gefecht gehabt hatten. Von jetzt <a name="S178" id=
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"S178"><b><178></b></a> an begann bei der pfälzischen und badischen Volkswehr und
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allmählich auch bei der Linie und Artillerie jene Preußenriecherei, jene
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alltägliche Wiederholung blinden Lärms, die alles in Verwirrung brachte und zu den
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ergötzlichsten Szenen Anlaß gab. Gleich auf der ersten Höhe hinter Weingarten
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stürzten uns Patrouillen und Bauern mit dem Ruf entgegen: Die Preußen sind da! Unser
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Korps formierte sich in Schlachtordnung und ging vor. Ich ging ins Städtchen zurück, um
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dort Alarm schlagen zu lassen, und verlor dadurch das Korps. Der ganze Lärm war
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natürlich grundlos. Die Preußen hatten sich gegen Waghäusel zurückgezogen,
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und Willich rückte noch denselben Abend in Bruchsal ein.</p>
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<p>Ich brachte die Nacht mit Herrn Oswald und seinem Pfälzer Bataillon in Obergrombach zu
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und marschierte mit diesem am nächsten Morgen nach Bruchsal. Vor der Stadt kommen uns Wagen
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mit Nachzüglern entgegen: Die Preußen sind da! Sogleich geriet das ganze Bataillon ins
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Schwanken, und nur mit Mühe war es vorwärts zu bringen. Natürlich wieder blinder
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Lärm; in Bruchsal lag Willich und der Rest der Pfälzer Avantgarde; die übrigen
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rückten nach der Reihe ein, und von den Preußen war keine Spur. Außer der Armee
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und ihren Führern waren d'Ester, die pfälzische Exregierung und Goegg dort, der
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überhaupt seit Brentanos unwidersprechlich gewordener Diktatur sich fast
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ausschließlich bei der Armee aufhielt und die laufenden Zivilgeschäfte besorgen half.
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Die Verpflegung war schlecht, die Verwirrung groß. Nur im Hauptquartier wurde, wie immer,
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gut gelebt.</p>
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<p>Wir erhielten abermals eine ansehnliche Zahl Patronen aus den Karlsruher Vorräten und
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marschierten abends ab, mit uns die ganze Avantgarde. Während diese in Ubstadt ihr Quartier
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aufschlug, zogen wir nach Unteröwisheim rechts ab, um im Gebirg die Flanke zu decken.</p>
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<p>Wir waren jetzt, dem Ansehen nach, eine ganz respektable Macht. Unser Korps hatte sich durch
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zwei neue Abteilungen verstärkt. Erstens durch das Bataillon Langenkandel, das auf dem Wege
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von seiner Heimat bis zur Knielinger Brücke auseinandergelaufen war und dessen beaux restes
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<schöne Überreste> sich uns angeschlossen hatten; sie bestanden aus einem
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Hauptmann, einem Leutnant, einem Fahnenträger, einem Feldwebel, einem Unteroffizier und zwei
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Mann. Zweitens die "Kolonne Robert Blum" mit einer roten Fahne, ein Korps von ungefähr
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sechzig Mann, die wie die Kannibalen aussahen und im Requirieren bedeutende Heldentaten
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verrichtet hatten. Außerdem waren uns noch vier badische Geschütze und ein Bataillon
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badischer Volkswehr zugeteilt, das Bataillon Kniery, Knüry oder Knierim (die richtige Lesart
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des Namens war <a name="S179" id="S179"><b><179></b></a> nicht zu entdecken). Das Bataillon
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Knierim war seines Führers, und Herr Knierim war seines Bataillons würdig. Beide waren
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gesinnungstüchtig, erschreckliche Maulhelden und Lärmschläger und stets besoffen.
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Die bekannte "Begeisterung" durchzuckte ihre Herzen, wie wir sehen werden, zu den gewaltigsten
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Heldentaten.</p>
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<p>Am Morgen des 23. erhielt Willich ein Billett von Anneke, der die pfälzische Avantgarde
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in Ubstadt kommandierte, des Inhalts: Der Feind rücke heran, man habe Kriegsrat gehalten und
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beschlossen, sich zurückzuziehn. Willich, im höchsten Grade erstaunt über diese
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seltsame Nachricht, ritt sogleich hinüber, bewog Anneke und seine Offiziere, das Gefecht bei
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Ubstadt anzunehmen, rekognoszierte selbst die Position und gab die Aufstellung der Geschütze
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an. Er kam dann zurück und ließ seine Leute unters Gewehr treten. Während unsre
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Truppen sich aufstellten, erhielten wir folgenden Befehl aus dem Hauptquartier Bruchsal,
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unterzeichnet von Techow: Das Gros der Armee werde auf der Straße nach Heidelberg vorgehn
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und hoffe, denselben Tag noch bis Mingolsheim zu kommen, und wir sollten gleichzeitig über
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Odenheim auf Waldangelloch marschieren und dort übernachten. Weitere Nachrichten über
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die Erfolge des Hauptkorps und Befehle über unser ferneres Verhalten würden uns dorthin
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nachgeschickt werden.</p>
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<p>Herr Struve hat in seiner abenteuerlichen "Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden", p.
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311-317, einen Bericht über die Operationen der Pfälzer Armee vom 20. bis 26. Juni
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veröffentlicht, der nur eine Apologie des unfähigen Sznayde ist und von Unrichtigkeiten
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und Entstellungen wimmelt. Schon aus dem Erzählten geht hervor, 1. daß Sznayde
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keineswegs "einige Stunden nach seinem Einrücken in Bruchsal (am 22.) sichere Kunde
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über das Treffen von Waghäusel und dessen Ausgang erhielt"; 2. daß also
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keineswegs "hierdurch sein Plan ein andrer wurde und daß er, statt nach Mingolsheim zu
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marschieren, wie anfangs die Absicht gewesen", keineswegs schon am 22. "beschloß, mit dem
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Gros seiner Division in Bruchsal zu bleiben" (das erwähnte Billett von Techow war in der
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Nacht vom 22. auf den 23. geschrieben); 3. daß keineswegs "am Morgen des 23. eine
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große Rekognoszierung vorgenommen werden sollte", sondern allerdings der Marsch auf
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Mingolsheim. Daß 4. "alle Detachements Befehl erhielten, sobald sie feuern hörten, in
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der Richtung des Feuers zu marschieren", und 5. "das Detachement des rechten Flügels
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(Willich) sein Nichterscheinen beim Gefecht von Ubstadt damit entschuldigte, es habe vom Feuern
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nichts gehört", sind, wie sich zeigen wird, grobe Lügen.</p>
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<p>Wir marschierten sogleich ab. In Odenheim sollte gefrühstückt werden. Einige
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bayrische Chevaulegers, die uns zum Stafettendienst zugeteilt waren, <a name="S180" id=
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"S180"><b><180></b></a> ritten links um das Dorf, um etwaige feindliche Korps zu
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rekognoszieren. Preußische Husaren waren im Dorf gewesen und hatten Fourage requiriert, die
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sie später abholen wollten. Während wir diese Fourage mit Beschlag belegten und unsre
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Leute unterm Gewehr Wein und Eßwaren verteilt erhielten, kam einer der Chevaulegers
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hereingesprengt und schrie: Die Preußen sind da! In einem Nu war das Bataillon Knierim, das
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zunächst stand, aus den Gliedern und wälzte sich in einem wilden Knäuel schreiend,
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fluchend und polternd in allen Richtungen durcheinander, während der Herr Major über
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seinem scheu gewordnen Pferd seine Leute im Stich lassen mußte. Willich kam herangeritten,
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stellte die Ordnung wieder her, und wir marschierten ab. Die Preußen waren natürlich
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nicht da.</p>
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<p>Auf der Höhe hinter Odenheim hörten wir den Kanonendonner von Ubstadt herüber.
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Die Kanonade wurde bald lebhafter. Geübtere Ohren konnten schon die Kugelschüsse von
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den Kartätschenschüssen unterscheiden. Wir hielten Rat, ob unser Marsch fortgesetzt
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oder die Richtung des Feuers eingeschlagen werden sollte. Da unser Befehl positiv war und da das
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Feuer sich nach der Richtung von Mingolsheim zu ziehen schien, was ein Vorrücken der Unsern
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bezeichnete, entschlossen wir uns für den gefährlicheren Marsch, den auf Waldangelloch.
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Wurden die Pfälzer bei Ubstadt geschlagen, so waren wir dort oben im Gebirg so gut wie
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abgeschnitten und in einer ziemlich kritischen Position.</p>
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<p>Herr Struve behauptet, das Gefecht bei Ubstadt hätte "zu glänzenden Resultaten
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führen können, wenn die Seitendetachements im gehörigen Moment eingegriffen
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hätten" (p. 314). Die Kanonade dauerte keine Stunde, und wir hätten zwei bis
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zweieinhalb Stunden gebraucht, um zwischen Stettfeld <In der "Revue": "Mattfeld"> und
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Ubstadt auf dem Kampfplatz erscheinen zu können, daß heißt anderthalb Stunden,
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nachdem er aufgegeben war. So schreibt Herr Struve "Geschichte".</p>
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<p>In der Nähe von Tiefenbach wurde haltgemacht. Während unsre Truppen sich
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erfrischten, expedierte Willich einige Depeschen. Das Bataillon Knierim entdeckte in Tiefenbach
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eine Art Gemeindekeller, belegte ihn mit Beschlag, holte die Weinfässer heraus, und in Zeit
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von einer Stunde war alles berauscht. Der Ärger über den Preußenschrecken vom
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Morgen, der Kanonendonner von Ubstadt, das geringe Vertrauen dieser Helden ineinander und in ihre
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Offiziere, alles das, durch den Wein gesteigert, brach plötzlich in offene Rebellion aus.
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Sie verlangten, es solle sofort zurückmarschiert werden; das ewige Marschieren in den Bergen
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vor dem Feind gefalle ihnen nicht. Als davon natürlich keine Rede war, machten sie kehrt und
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marschierten auf eigene <a name="S181" id="S181"><b><181></b></a> Faust ab. Die
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menschenfressende "Kolonne Robert Blum" schloß sich ihnen an. Wir ließen sie ziehn
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und marschierten nach Waldangelloch.</p>
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<p>Hier, in einem tiefen Talkessel, war es unmöglich, mit einiger Sicherheit zu
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übernachten. Es wurde also haltgemacht und Nachrichten über die
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Terrainverhältnisse der Umgegend und die Stellung des Feindes eingezogen. Inzwischen hatten
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sich durch Bauern einzelne vage Gerüchte vom Rückzug der Neckararmee verbreitet. Man
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wollte wissen, daß über Sinsheim und Eppingen bedeutende badische Korps auf Bretten zu
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marschiert seien, daß Mieroslawski selbst in strengstem Inkognito durchgekommen sei und man
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ihn in Sinsheim habe verhaften wollen. Die Artillerie wurde unruhig, und selbst unsere Studenten
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fingen an zu murren. Die Artillerie wurde also zurückgeschickt, und wir marschierten auf
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Hilsbach. Hier erfuhren wir Näheres über den seit 48 Stunden bewerkstelligten
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Rückzug der Neckararmee und über die anderthalb Stunden von uns, in Sinsheim, stehenden
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Bayern. Ihre Zahl wurde auf 7.000 angegeben, war aber, wie wir später erfuhren, gegen
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10.000. Wir waren nur 700 Mann höchstens. Unsre Leute konnten nicht weitermarschieren. Wir
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quartierten sie also in Scheunen ein, wie immer, wenn wir sie möglichst zusammenhalten
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mußten, stellten starke Feldwachen aus und legten uns schlafen. Als wir am nächsten
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Morgen, dem 24., ausmarschierten, hörten wir ganz deutlich bayrischen Feldschritt schlagen.
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Eine gute Viertelstunde nach unserm Abmarsch waren die Bayern in Hilsbach.</p>
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<p>Mieroslawski hatte zwei Tage vorher, am 22., in Sinsheim übernachtet und war bereits mit
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seinen Truppen in Bretten, als wir in Hilsbach einrückten. Becker, der die Arrieregarde
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führte, war ebenfalls schon durch. Er kann also nicht, wie Herr Struve p. 308 behauptet, die
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Nacht vom 23. auf den 24. in Sinsheim zugebracht haben, denn dort standen abends acht Uhr, und
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wahrscheinlich schon früher, die Bayern, die schon den Abend vorher Mieroslawski ein kleines
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Gefecht geliefert hatten. Der Rückzug Mieroslawskis von Waghäusel über Heidelberg
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nach Bretten wird von den Beteiligten als ein höchst gefährliches Manöver
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dargestellt. Die Operationen Mieroslawskis vom 20. Juni bis zum 24., die rasche Konzentrierung
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eines Korps bei Heidelberg, mit dem er sich auf die Preußen warf, und sein rascher
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Rückzug nach dem Verlust des Gefechts bei Waghäusel, bilden allerdings den
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glänzendsten Teil seiner gesamten Tätigkeit in Baden; daß aber gegenüber
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einem so schläfrigen Feind dies Manöver keineswegs so gefährlich war, beweist
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unser mit einem kleinen Korps von Hilsbach aus 24 Stunden später ganz unbelästigt
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bewerkstelligter Rückzug. Selbst durch das Defilee von Flehingen <In der "Revue":
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Fleingen>, wo schon <a name="S182" id="S182"><b><182></b></a> Mieroslawski am 23. einen
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Angriff erwartet hatte, kamen wir unangegriffen und marschierten auf Büchig. Hier wollten
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wir bleiben, um das von Mieroslawski bei Bretten aufgeschlagene Lager vor einem ersten Angriff zu
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decken.</p>
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<p>Überall auf unserm Marsch, der über Eppingen, Zaisenhausen und Flehingen ging,
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erregten wir Verwunderung, da schon alle Korps der Neckararmee, auch die Arrieregarde,
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durchmarschiert waren. Als wir in Büchig einmarschierten und unser Hornist anblies, erregten
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wir dort einen Preußenschrecken. Ein Kommando Brettener Bürgerwehr, das Lebensmittel
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für Mieroslawskis Lager requirierte, hielt uns für Preußen und bot das
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schönste Beispiel von Verwirrung dar, bis wir um die Ecke bogen und der Anblick unsrer
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Blusen sie beruhigte. Wir nahmen die Lebensmittel sogleich in Beschlag und hatten sie kaum
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verzehrt, als die Nachricht, Mieroslawski sei mit allen Truppen von Bretten aufgebrochen, unsern
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Abzug nach Bretten veranlaßte.</p>
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<p>In Bretten blieben wir über Nacht, während die Bürgerwehr Vorposten ausstellte.
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Für den nächsten Morgen waren Wagen requiriert, um das ganze Korps nach Ettlingen zu
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führen. Da Bruchsal schon am 24. von den Preußen genommen war und wir uns für den
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Fall, daß die Straße über Diedelsheim nach Durlach vom Feinde besetzt war (sie
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war es, wie wir später erfuhren, wirklich), in kein Gefecht einlassen konnten, so blieb uns
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kein andrer Weg zur Hauptarmee.</p>
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<p>In Bretten kam eine Deputation der Studenten zu uns mit der Erklärung, das ewige
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Marschieren vor dem Feinde gefalle ihnen nicht und sie bäten um ihre Entlassung. Sie
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erhielten, wie sich versteht, zur Antwort, vor dem Feinde werde niemand entlassen; wenn sie aber
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desertieren wollten, so stehe ihnen das frei. Ungefähr die Hälfte der Kompanie
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marschierte darauf ab; der Rest schmolz durch Einzeldesertion bald so zusammen, daß nur
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||
|
noch die Schützen übrigblieben. Überhaupt zeigten sich die Studenten während
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||
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des ganzen Feldzugs als malkontente, ängstliche junge Herrchen, die immer in alle
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Operationspläne eingeweiht sein wollten, über wunde Füße klagten und
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murrten, wenn der Feldzug nicht alle Annehmlichkeiten einer Ferienreise bot. Unter diesen
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|
"Vertretern der Intelligenz" waren nur einige, die durch wirklich revolutionären Charakter
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und glänzenden Mut eine Ausnahme machten.</p>
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<p>Eine halbe Stunde nach unserm Abmarsch, wurde uns später berichtet, rückte der Feind
|
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in Bretten ein. Wir kamen nach Ettlingen, wo uns Herr Corvin-Wiersbitzki aufforderte, nach
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||
|
Durlach zu marschieren, wo Becker den Feind aufhalten solle, bis Karlsruhe ausgeräumt sei.
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||
|
Willich schickte einen Chevauleger mit einem Billett an Becker, um zu erfahren, ob er sich noch
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||
|
<a name="S183" id="S183"><b><183></b></a> einige Zeit halten wolle; der Mann kam in einer
|
||
|
Viertelstunde mit der Nachricht zurück, die Truppen Beckers seien ihm schon in vollem
|
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|
Rückzug entgegengekommen. Wir marschierten also nach Rastatt ab, wo sich alles
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|
konzentrierte.</p>
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<p>Die Straße nach Rastatt bot das Bild der schönsten Unordnung dar. Eine Menge der
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verschiedensten Korps marschierten oder lagerten bunt durcheinander, und nur mit Mühe
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hielten wir unter der glühenden Sonnenhitze und der allgemeinen Verwirrung unsre Leute
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||
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zusammen. Auf dem Glacis von Rastatt lagerten die Pfälzer Truppen und einige badische
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Bataillone. Die Pfälzer waren sehr zusammengeschmolzen. Das beste Korps, das rheinhessische,
|
||
|
war vor dem Gefecht von Ubstadt durch die Herren Zitz und Bamberger in Karlsruhe zusammenberufen
|
||
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worden. Diese tapfern Freiheitskämpfer eröffneten dem Korps: Es sei alles verloren, die
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||
|
Übermacht sei zu groß, noch könnten sie alle ungefährdet heimkehren; sie,
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||
|
der Parlamentspolterer Zitz und der mutige Bamberger, wollten ihr Gewissen frei halten von
|
||
|
unschuldig vergossenem Blut und sonstigem Unheil und erklärten damit das Korps für
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||
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aufgelöst. Die Rheinhessen waren über diese infame Zumutung natürlich so
|
||
|
entrüstet, daß sie die beiden Verräter arretieren und erschießen wollten;
|
||
|
auch d'Ester und die Pfälzer Regierung stellten ihnen nach, um sie zu verhaften. Aber die
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||
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ehrenwerten Bürger waren bereits entflohen, und der tapfere Zitz sah sich schon vom sichern
|
||
|
Basel aus den weitern Verlauf der Reichsverfassungskampagne an. Wie im September 1848 mit seiner
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||
|
"Frakturschrift", so im Mai 1849 hatte Herr Zitz zu denjenigen Parlamentsrenommisten gehört,
|
||
|
die das Volk am meisten zum Aufstand gereizt hatten, und beide Male nahm er einen rühmlichen
|
||
|
Platz unter denen ein, die es im Aufstand zuerst im Stich ließen. Auch bei
|
||
|
Kirchheimbolanden war Herr Zitz unter den ersten Ausreißern, während seine
|
||
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Schützen sich schlugen und füsiliert wurden. - Das rheinhessische Korps, ohnehin wie
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||
|
alle Korps durch Desertion schon sehr geschwächt, durch den Rückzug nach Baden
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||
|
entmutigt, verlor momentan allen Halt. Ein Teil löste sich auf und ging nach Hause; der Rest
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formierte sich neu und focht bis ans Ende des Feldzugs mit. Die übrigen Pfälzer wurden
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||
|
bei Rastatt durch die Nachricht demoralisiert, daß alle, die bis zum 5. Juli nach Hause
|
||
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zurückkehrten, Amnestie erhalten sollten. Mehr als die Hälfte lief auseinander,
|
||
|
Bataillone schmolzen zu Kompanien zusammen, die Subalternoffiziere waren zum großen Teil
|
||
|
fort, und die etwa 1.200 Mann, die noch zusammenblieben, waren fast gar nichts mehr wert. Auch
|
||
|
unser Korps, wenn auch keineswegs entmutigt, war doch durch Verluste, Krankheiten und die
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||
|
Desertion der Studenten auf wenig mehr als 500 Mann zusammengeschmolzen.</p>
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<p><b><a name="S184" id="S184"><184></a></b> Wir kamen nach Kuppenheim, wo schon andre
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Truppen standen, ins Quartier. Am nächsten Morgen ging ich mit Willich nach Rastatt und traf
|
||
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dort <i>Moll</i> wieder.</p>
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||
|
<p>Den mehr oder weniger gebildeten Opfern des badischen Aufstandes sind von allen Seiten in der
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||
|
Presse, in den demokratischen Vereinen, in Versen und in Prosa Denksteine gesetzt worden. Von den
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Hunderten und Tausenden von Arbeitern, die die Kämpfe ausgefochten, die auf den
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||
|
Schlachtfeldern gefallen, die in den Rastatter Kasematten lebendig verfault sind oder jetzt im
|
||
|
Auslande allein von allen Flüchtlingen das Exil bis auf die Hefen des Elends durchzukosten
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||
|
haben - von denen spricht niemand. Die Exploitation der Arbeiter ist eine althergebrachte, zu
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||
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gewohnte Sache, als daß unsre offiziellen "Demokraten" die Arbeiter für etwas andres
|
||
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ansehen sollten als für agitablen, exploitablen und exlosiblen Rohstoff, für pures
|
||
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Kanonenfutter. Um die revolutionäre Stellung des Proletariats, um die Zukunft der
|
||
|
Arbeiterklasse zu begreifen, dazu sind unsre Demokraten viel zu unwissend und bürgerlich.
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||
|
Deswegen sind ihnen auch jene echt proletarischen Charaktere verhaßt, die, zu stolz, um
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ihnen zu schmeicheln, zu einsichtig, um sich von ihnen benutzen zu lassen, dennoch jedesmal mit
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den Waffen in der Hand dastehn, wenn es sich um den Umsturz einer bestehenden Gewalt handelt, und
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die in jeder revolutionären Bewegung die Partei des Proletariats direkt vertreten. Liegt es
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aber nicht im Interesse der sog. Demokraten, solche Arbeiter anzuerkennen, so ist es Pflicht der
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Partei des Proletariats, sie so zu ehren, wie sie es verdienen. Und zu den besten dieser Arbeiter
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gehörte <i>Joseph Moll von Köln</i>.</p>
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<p>Moll war Uhrmacher. Er hatte Deutschland seit Jahren verlassen und in Frankreich. Belgien und
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England an allen revolutionären öffentlichen und geheimen Gesellschaften teilgenommen.
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Den deutschen Arbeiterverein in London hatte er 1840 mit stiften helfen. Nach der
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Februarrevolution kam er nach Deutschland zurück und übernahm bald mit seinem Freunde
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Schapper die Leitung des Kölner Arbeitervereins. Flüchtig in London seit dem
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Kölner Septemberkrawall von 1848, kam er bald unter falschem Namen nach Deutschland
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zurück, agitierte in den verschiedensten Gegenden und übernahm Missionen, deren
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Gefährlichkeit jeden andren zurückschreckte. In Kaiserslautern traf ich ihn wieder.
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Auch hier übernahm er Missionen nach Preußen, die ihm, wäre er entdeckt worden,
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sofortige Begnadigung zu Pulver und Blei zuziehen mußten. Von seiner zweiten Mission
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zurückkehrend, kam er durch alle feindlichen Armeen glücklich durch bis Rastatt, wo er
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sofort in die Besançoner Arbeiterkompanie unsres Korps eintrat. Drei Tage nachher war er
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gefallen. Ich verlor in ihm einen alten Freund, die Partei einen ihrer unermüdlichsten,
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unerschrockensten und zuverlässigsten Vorkämpfer.</p>
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<p><b><a name="S185" id="S185"><185></a></b> Die Partei des Proletariats war ziemlich stark
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in der badisch-pfälzischen Armee vertreten, besonders in den Freikorps, wie im unsrigen, in
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der Flüchtlingslegion usw., und sie kann ruhig alle andern Parteien herausfordern, auf nur
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einen einzigen ihrer Angehörigen den geringsten Tadel zu werfen. Die entschiedensten
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Kommunisten waren die couragiertesten Soldaten.</p>
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<p>Am nächsten Tage, am 27., wurden wir etwas weiter ins Gebirg, nach Rothenfels verlegt.
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Die Einteilung der Armee und die Dislozierung der verschiedenen Korps wurde allmählich
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festgestellt. Wir gehörten zur Division des rechten Flügels, die von Oberst Thome,
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demselben, der Mieroslawski in Meckesheim hatte verhaften wollen und dem man kindischerweise sein
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Kommando gelassen hatte, und vom 27. an von Mersy befehligt wurde. Willich, der das ihm von Sigel
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angebotene Kommando der Pfälzer ausgeschlagen hatte, fungierte als Chef des Divisionsstabs.
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Die Division stand von Gernsbach und der württembergischen Grenze bis jenseits Rothenfels
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und lehnte sich links an die Division Oborski, die um Kuppenheim konzentriert war. Die Avantgarde
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war bis an die Grenze sowie nach Sulzbach, Michelbach und Winkel vorgeschoben. Die Verpflegung,
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anfangs regellos und schlecht, wurde vom 27. an besser. Unsre Division bestand aus mehreren
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badischen Linienbataillonen, dem Rest der Pfälzer unter Held Blenker, unsrem Korps und einer
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oder anderthalb Batterien Artillerie. Die Pfälzer lagen in Gernsbach und Umgegend, die Linie
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und wir in und um Rothenfels. Das Hauptquartier war in dem gegenüber Rothenfels liegenden
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Hotel zur Elisabethenquelle.</p>
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<p>Wir saßen - der Divisionsstab und der unsres Korps nebst Moll, Kinkel und andern
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Freischärlern - in diesem Hotel am 28. nach Tische eben beim Kaffee, als die Nachricht
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ankam, unsre Vorhut bei Michelbach sei von den Preußen angegriffen. Wir brachen gleich auf,
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obwohl wir alle Ursache hatten zu vermuten, daß der Feind nur eine Rekognoszierung
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beabsichtige. Es war in der Tat weiter nichts. Das von den Preußen momentan eroberte, unten
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im Tal gelegene Dorf Michelbach war ihnen bei unsrer Ankunft schon wieder abgenommen. Man
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schoß von beiden Bergabhängen über das Tal hin aufeinander und verschoß
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nutzlos viel Munition. Ich sah nur einen Toten und einen Verwundeten. Während die Linie ihre
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Patronen auf Entfernungen von 600 bis 800 Schritt zwecklos verschoß, ließ Willich
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unsre Leute sehr ruhig die Gewehre zusammenstellen und sich dicht neben den angeblichen
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Kämpfern und im angeblichen Feuer ausruhen. Nur die Schützen gingen den waldigen Abhang
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hinab und vertrieben, von einigen Linientruppen unterstützt, die Preußen von der
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gegenüberliegenden Höhe. Einer unsrer Schützen schoß mit seinem kolossalen
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Standrohr, einer wahren tragbaren Kanone, auf <a name="S186" id="S186"><b><186></b></a>
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ungefähr 900 Schritt einen preußischen Offizier vom Pferde; seine ganze Kompanie
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machte sofort rechtsum und marschierte in den Wald zurück. Eine Anzahl preußischer
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Toten und Verwundeten sowie zwei Gefangene fielen in unsre Hände.</p>
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<p>Am nächsten Tag fand der allgemeine Angriff auf der ganzen Linie statt. Diesmal
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störten uns die Herren Preußen beim Mittagessen. Der erste Angriff, der uns gemeldet
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wurde, war gegen Bischweier, also gegen den Verbindungspunkt der Division Oborski mit der
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unsrigen. Willich drang darauf, daß unsre Truppen bei Rothenfels möglichst disponibel
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gehalten werden sollten, da der Hauptangriff jedenfalls in der entgegengesetzten Richtung, bei
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Gernsbach, zu erwarten sei. Aber Mersy antwortete: Man wisse ja, wie es gehe; wenn eines unsrer
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Bataillone angegriffen werde und die übrigen kämen ihm nicht gleich in Masse zur
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Hülfe, so würde über Verrat geschrieen, und alles risse aus. Es wurde also gegen
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Bischweier zu marschiert.</p>
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<p>Willich und ich gingen mit der Schützenkompanie auf der Straße nach Bischweier auf
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dem rechten Murgufer vor. Eine halbe Stunde von Rothenfels stießen wir auf den Feind. Die
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Schützen verteilten sich in Tirailleurlinie, und Willich ritt zurück, um das Korps, das
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etwas zurückstand, in die Linie zu holen. Eine Zeitlang hielten unsre Schützen, hinter
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Obstbäumen und Weinbergen gedeckt, ein ziemlich lebhaftes Feuer aus, das sie ebenso lebhaft
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erwiderten. Als aber eine starke feindliche Kolonne auf der Straße vorrückte, um ihre
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Tirailleure zu unterstützen, gab der linke Flügel unsrer Schützen nach und war
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trotz alles Zuredens nicht mehr zum Stehen zu bringen. Der rechte war weiter hinauf gegen die
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Höhen vorgegangen und wurde später von unserm Korps aufgenommen.</p>
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<p>Als ich sah, daß mit den Schützen nichts zu machen war, überließ ich sie
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ihrem Schicksal und ging nach den Höhen zu, wo ich die Fahnen unsres Korps sah. Eine
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Kompanie war zurückgeblieben; ihr Hauptmann, ein Schneider, sonst ein braver Kerl,
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wußte sich nicht zu helfen. Ich nahm sie mit zu den übrigen und traf Willich, als er
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eben die Besançoner Kompanie in Tirailleurlinie vorschickte und die übrigen dahinter
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in zwei Treffen, nebst einer zur Flankendeckung rechts gegen das Gebirg vorgeschickten Kompanie,
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aufstellte.</p>
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<p>Unsre Tirailleure wurden von einem heftigen Feuer empfangen. Es waren preußische
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Schützen, die ihnen gegenüberstanden, und unsre Arbeiter hatten den
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Spitzkugelbüchsen nur Musketen gegenüberzustellen. Sie gingen aber, unterstützt
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von dem rechten Flügel unsrer Schützen, der zu ihnen stieß, so entschlossen vor,
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daß die kurze Entfernung sehr bald, namentlich auf dem rechten Flügel, die schlechtere
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Qualität der Waffe ausglich und die Preußen geworfen wurden. Die beiden Treffen
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blieben ziemlich dicht hinter der <a name="S187" id="S187"><b><187></b></a>
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Tirailleurlinie. Inzwischen waren auch zwei badische Geschütze links von uns, im Murgtal,
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aufgefahren und eröffneten das Feuer gegen preußische Infanterie und Artillerie, die
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auf der Straße stand.</p>
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<p>Ungefähr eine Stunde mochte der Kampf hier unter dem lebhaftesten Gewehr- und
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Büchsenfeuer und unter fortwährendem Zurückgehen der Preußen gedauert haben
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- einige unsrer Schützen waren bereits bis nach Bischweier hereingekommen -, als die
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Preußen Verstärkung erhielten und ihre Bataillone vorschickten. Unsre Tirailleure
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zogen sich zurück; das erste Treffen gab Pelotonfeuer, das zweite zog sich eine Strecke
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links in einen Hohlweg und gab ebenfalls Feuer. Aber die Preußen drangen in dichten Massen
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auf der ganzen Linie nach; die beiden badischen Geschütze, die unsre linke Flanke deckten,
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waren schon zurückgegangen, in der rechten Flanke kamen die Preußen vom Gebirg
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herunter, und wir mußten zurück.</p>
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<p>Sobald wir aus dem feindlichen Kreuzfeuer waren, nahmen wir neue Aufstellung am Gebirgsrand.
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Hatten wir bisher Front gegen die Rheinebene, gegen Bischweier und Niederweier gemacht, so
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machten wir jetzt Front gegen das Gebirg, das die Preußen von Oberweier her besetzt hatten.
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Jetzt endlich kamen auch die Linienbataillone in der Schlachtlinie an und nahmen den Kampf auf,
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in Gemeinschaft mit zwei Kompanien unsres Korps, die abermals zum Tiraillieren vorgeschickt
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wurden.</p>
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<p>Wir hatten starke Verluste gehabt. Ungefähr dreißig fehlten, darunter Kinkel und
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Moll - die versprengten Schützen nicht zu rechnen. Die beiden Genannten waren mit dem
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rechten Flügel ihrer Kompanie und einigen Schützen zu weit vor gegangen. Der
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Schützenhauptmann, Oberförster Emmermann aus Thronecken in Rheinpreußen, der
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gegen die Preußen marschierte, als ging er auf die Hasenjagd, hatte sie an eine Stelle
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geführt, wo sie in einen Zug preußischer Artillerie hineinfeuerten und ihn zum eiligen
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Rückzug brachten. Sogleich aber debouchierte eine Kompanie Preußen aus einem Hohlweg
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und schoß auf sie. Kinkel stürzte, am Kopf getroffen, und wurde solange mitgeschleppt,
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bis er wieder allein gehen konnte; bald aber gerieten sie in ein Kreuzfeuer und mußten
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sehen, wie sie davonkamen. Kinkel konnte nicht mit und ging in einen Bauernhof, wo er von den
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Preußen gefangengenommen und gemißhandelt wurde; Moll erhielt einen Schuß durch
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den Unterleib, wurde ebenfalls gefangen und starb nachher an seiner Wunde. Auch Zychlinski hatte
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einen Prellschuß in den Nacken erhalten, der ihn indes nicht hinderte, beim Korps zu
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bleiben.</p>
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<p>Während das Gros stehenblieb und Willich nach einer andern Gegend des Kampfplatzes ritt,
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eilte ich nach der Murgbrücke unterhalb Rothenfels, die eine Art Sammelplatz bildete. Ich
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wollte Nachrichten von Gernsbach haben. <a name="S188" id="S188"><b><188></b></a> Aber
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schon ehe ich hinkam, sah ich den Rauch des brennenden Gernsbach aufsteigen, und an der
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Brücke selbst erfuhr ich, daß man den Kanonendonner von dorther gehört habe. Ich
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ging später noch einigemal nach dieser Brücke; jedesmal schlimmere Nachrichten von
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Gernsbach <In der "Revue": Gernsberg>, jedesmal mehr badische Linientruppen hinter der
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Brücke versammelt, die, kaum im Feuer gewesen, schon demoralisiert waren. Der Feind war
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schon in Gaggenau, erfuhr ich zuletzt. Jetzt war hohe Zeit, ihm dort entgegenzutreten. Willich
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marschierte mit dem Korps über die Murg, um gegenüber Rothenfels Position zu fassen,
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und nahm noch vier Geschütze mit, die ihm gerade in den Wurf kamen. Ich ging, unsre beiden
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tiraillierenden Kompanien zu holen, die inzwischen weit vorgegangen waren. Überall kamen mir
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Linientruppen, großenteils ohne Offiziere, entgegen. Ein Detachement wurde von einem Arzt
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geführt, der die Gelegenheit benutzte, um sich mir mit folgenden Worten zu introduzieren:
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"Sie werden mich kennen, ich bin Neuhaus, der Chef der thüringischen Bewegung!" Die guten
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Leute hatten die Preußen überall geschlagen und kamen jetzt zurück, weil sie
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keinen Feind mehr sahen. Ich fand unsre Kompanien nirgends - sie waren durch Rothenfels aus
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demselben Grunde zurückgegangen - und begab mich wieder nach der Brücke. Hier traf ich
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Mersy mit seinem Stab und seinen Truppen. Ich bat ihn, mir wenigstens ein paar Kompanien zur
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Unterstützung Willichs mitzugeben. "Nehmen Sie die ganze Division, wenn Sie mit den Leuten
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noch etwas anfangen können", war die Antwort. Dieselben Soldaten, die den Feind auf allen
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Punkten zurückgetrieben hatten, die erst seit fünf Stunden auf den Beinen waren, lagen
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jetzt aufgelöst, demoralisiert, zu nichts brauchbar auf den Wiesen. Die Nachricht, daß
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sie in Gernsbach umgangen seien, hatte sie vernichtet. Ich ging meiner Wege. Eine von Michelbach
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zurückkommende Kompanie, die mir begegnete, war ebenfalls zu nichts zu bewegen. Als ich an
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unserm alten Hauptquartier das Korps wiederfand, drängten von Gaggenau die flüchtigen
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Pfälzer - Pistol Zinn mit seiner Schar, die jetzt übrigens Musketen hatte - heran.
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Während Willich eine Position für die Geschütze gesucht und gefunden hatte, eine
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Position, die das Murgtal beherrschte und bedeutende Vorteile für ein gleichzeitiges
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Tirailleurgefecht bot, waren die Artilleristen mit den Kanonen durchgegangen, ohne daß der
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Hauptmann sie halten konnte. Sie war[en] schon wieder bei Mersy an der Brücke. Zugleich
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zeigte mir Willich ein Billett von Mersy, worin ihm dieser anzeigte, alles sei verloren, er werde
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sich nach Oos zurückziehen. Uns blieb nichts übrig, als dasselbe zu tun, und wir
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marschierten sofort ins Gebirg. Es war etwa sieben Uhr.</p>
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<p><b><a name="S189" id="S189"><189></a></b> Bei Gernsbach war es folgendermaßen
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zugegangen. Die Peuckerschen Reichstruppen, die unsre Patrouillen schon tags vorher bei Herrenalb
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auf württembergischem Gebiet gesehen hatten, nahmen die an der Grenze aufgestellten
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Württemberger mit und griffen am 29. nachmittags Gernsbach an, nachdem sie unsre Vorposten
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durch Verrat zum Weichen gebracht hatten; sie näherten sich ihnen mit dem Ruf, nicht zu
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schießen, sie seien Brüder, und gaben dann auf achtzig Schritt eine Salve. Dann
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schossen sie Gernsbach mit Granaten in Brand, und als den Flammen kein Einhalt mehr zu tun war,
|
||
|
gab Herr Sigel, den Mieroslawski hingeschickt hatte, um den Posten um jeden Preis zu
|
||
|
<i>halten</i>, gab Herr Sigel <i>selbst</i> den Befehl, Herr Blenker solle sich mit seinen
|
||
|
Truppen fechtend zurückziehn. Herr Sigel wird dies nicht leugnen, ebensowenig wie er es in
|
||
|
Bern tat, als ein Adjutant des Herrn Blenker in seiner, des Herrn Sigel, und Willichs Gegenwart
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||
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dies Kuriosum erzählte. Mit diesem Befehl, den Schlüssel der ganzen Murgposition
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"fechtend" (!) aufzugeben, war natürlich das Treffen auf der ganzen Linie, war die letzte
|
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|
Position der badischen Armee verloren.</p>
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<p>Die Preußen haben sich übrigens durch das gewonnene Treffen von Rastatt keinen
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besondern Ruhm erworben. Wir hatten 13.000 größtenteils demoralisierte und mit wenigen
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Ausnahmen erbärmlich geführte Truppen; ihre Armee zählte mit den Reichstruppen,
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die auf Gernsbach vorgingen, mindestens 60.000 Mann. Trotz dieser kolossalen Überzahl wagten
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||
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sie keinen ernstlichen Frontangriff, sondern schlugen uns durch feigen Verrat, indem sie das
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neutrale, uns verschlossene württembergische Gebiet verletzten. Und selbst dieser Verrat
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hätte ihnen, wenigstens zunächst, nicht viel genutzt, hätte ihnen
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schließlich doch einen entscheidenden Frontangriff nicht erspart, wenn nicht Gernsbach so
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unbegreiflich schlecht besetzt gewesen wäre und wenn nicht Herr Sigel den obigen erbaulichen
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Befehl gegeben hätte. Die ohnehin gar nicht so formidable Position wäre uns am
|
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nächsten Tage entrissen worden, das kann nicht bezweifelt werden; aber der Sieg hätte
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||
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den Preußen ganz andre Opfer gekostet, hätte ihrem militärischen Ruf unendlich
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geschadet. Und deshalb zogen sie es vor, die Neutralität Württembergs zu verletzen, und
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||
|
Württemberg ließ es ruhig geschehn.</p>
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<p>Wir zogen uns, kaum noch 450 Mann stark, durchs Gebirge nach Oos zurück. Hier war die
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|
Straße bedeckt mit Truppen in wildester Auflösung, mit Wagen, Geschützen etc. in
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der größten Verwirrung. Wir marschierten durch und rasteten in Sinzheim. Am
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||
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nächsten Morgen sammelten wir hinter Bühl eine Anzahl der Flüchtigen und
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übernachteten in Oberachern. An diesem Tage fand das letzte Gefecht statt; die
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deutsch-polnische Legion nebst einigen andern Truppen von der Beckerschen Division schlug bei Oos
|
||
|
die Reichs- <a name="S190" id="S190"><b><190></b></a> truppen zurück und nahm ihnen
|
||
|
eine (mecklenburgische) Haubitze ab, die auch richtig bis in die Schweiz gebracht wurde.</p>
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|
<p>Die Armee war vollständig aufgelöst. Mieroslawski und die übrigen Polen legten
|
||
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ihre Kommandos nieder; Oberst Oborski hatte schon auf dem Schlachtfeld, am Abend des 29., seinen
|
||
|
Posten verlassen. Doch hatte diese momentane Auflösung nicht viel zu bedeuten. Die
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||
|
Pfälzer waren schon drei- bis viermal aufgelöst gewesen und hatten sich jedesmal tant
|
||
|
bien que mal <recht und schlecht> wieder formiert. Möglichst langsamer Rückzug
|
||
|
unter Anschluß aller Aufgebote aus den aufzugebenden Gebietsstrecken, rasche Konzentrierung
|
||
|
der Aufgebote des Oberlandes bei Freiburg und Donaueschingen, das waren zwei Mittel, die noch zu
|
||
|
versuchen waren. Sie hätten die Ordnung und Disziplin bald wieder auf einen
|
||
|
erträglichen Punkt gebracht und einen letzten hoffnungslosen, aber ehrenvollen Kampf, am
|
||
|
Kaiserstuhl vor Freiburg oder bei Donaueschingen, möglich gemacht. Aber die Chefs, sowohl
|
||
|
der bürgerlichen wie der Militärverwaltung, waren demoralisierter als die Soldaten. Sie
|
||
|
überließen die Armee und die ganze Bewegung ihrem Schicksal und gingen
|
||
|
niedergeschlagen, ratlos, vernichtet immer weiter zurück.</p>
|
||
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|
<p>Seit dem Angriff auf Gernsbach war die Furcht vor der Umgehung durch württembergisches
|
||
|
Gebiet allgemein eingerissen und trug sehr zur allgemeinen Demoralisation bei. Das Willichsche
|
||
|
Korps ging nun, um die württembergische Grenze zu decken, mit zwei Berghaubitzen - mehrere
|
||
|
andere uns zugeteilte Geschütze wollten von Kappel aus nicht weiter mit - durch das Kappeler
|
||
|
Tal ins Gebirg. Unser Marsch durch den Schwarzwald, auf dem wir keinen Feind zu sehen bekamen,
|
||
|
war eine wahre Vergnügungstour. Wir kamen über Allerheiligen am 1. Juli nach Oppenau,
|
||
|
über den Hundskopf am 2. nach Wolfach. Hier erfuhren wir am 3. Juli, daß die Regierung
|
||
|
in Freiburg sei und daß man daran denke, auch diese Stadt aufzugeben. Dies veranlaßte
|
||
|
uns sogleich, dorthin aufzubrechen. Wir wollten die Herren Regenten und das Oberkommando, das
|
||
|
Held Sigel jetzt führte, zwingen, Freiburg nicht ohne Kampf aufzugeben. Es war schon
|
||
|
spät, als wir von Wolfach abmarschierten, und so kamen wir erst spät abends nach
|
||
|
Waldkirch. Hier erfuhren wir, daß Freiburg schon aufgegeben und daß Regierung und
|
||
|
Hauptquartier nach Donaueschingen verlegt sei. Zugleich erhielten wir den positiven Befehl, das
|
||
|
Simonswalder Tal zu besetzen und zu verschanzen und in Furtwangen unser Hauptquartier
|
||
|
aufzuschlagen. Wir mußten also zurück nach Bleibach.</p>
|
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||
|
<p>Herr Sigel hatte seine Truppen jetzt hinter dem Bergrücken des Schwarzwaldes aufgestellt.
|
||
|
Die Verteidigungslinie sollte von Lörrach über Todtnau <a name="S191" id=
|
||
|
"S191"><b><191></b></a> und Furtwangen nach der württembergischen Grenze gehn, in der
|
||
|
Richtung auf Schramberg. Den linken Flügel bildeten Mersy und Blenker, die sich durch das
|
||
|
Rheintal auf Lörrach zogen; dann folgte Herr Doll, ehemaliger commis voyageur
|
||
|
<Handlungsreisender>, der in seiner Eigenschaft als Heckerscher General zum Divisionär
|
||
|
ernannt worden war und in der Gegend des Höllentals stand; dann unser Korps in Furtwangen
|
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|
und dem Simonswalder Tal und endlich auf dem rechten Flügel Becker bei Sankt Georgen und
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||
|
Triberg. Hinter dem Gebirge stand Herr Sigel mit der Reserve bei Donaueschingen. Die
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||
|
Streitkräfte, durch Desertion bedeutend geschwächt, durch keine herangezogenen
|
||
|
Aufgebote verstärkt, betrugen immer noch an 9.000 Mann mit 40 Kanonen.</p>
|
||
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|
<p>Die Befehle, die uns vom Hauptquartier aus Freiburg, Neustadt an der Gutach <In der
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||
|
"Revue": Wutach> und Donaueschingen nacheinander zukamen, atmeten die entschlossenste
|
||
|
Todesverachtung. Man erwartete zwar, daß der Feind abermals durch Württemberg
|
||
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über Rottweil und Villingen uns in den Rücken fallen werde; man war aber entschlossen,
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||
|
ihn zu schlagen und den Kamm des Schwarzwaldes unter allen Umständen zu behaupten, und zwar,
|
||
|
wie es in einem dieser Befehle heißt, "fast ohne alle Rücksicht auf die Bewegungen des
|
||
|
Feindes", d.h., Herr Sigel hatte sich von Donaueschingen aus einen in vier Stunden zu
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||
|
bewerkstelligenden glorreichen Rückzug auf Schweizer Gebiet gesichert; was aus uns, den im
|
||
|
Gebirg Umzingelten, geworden wäre, konnte er dann in Schaffhausen mit aller Gemütsruhe
|
||
|
abwarten. Welch ein heitres Ende diese Todesverachtung nahm, wird sich bald zeigen.</p>
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||
|
<p>Am 4. kamen wir nach Furtwangen mit zwei Kompanien (160 Mann), der Rest war zur Besetzung des
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Simonswalder Tals und der Pässe von Gütenbach und St. Märgen <In der "Revue":
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|
St, Mörgen> verwandt. Über letztem Orte standen wir mit dem Dollschen Korps,
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||
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über Schönwald mit Becker in Verbindung. Alle Pässe wurden verbarrikadiert. - Wir
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blieben den 5. in Furtwangen stehn. Am 6. kam die Nachricht von Becker, die Preußen
|
||
|
rückten auf Villingen, nebst der Aufforderung, sie über Vöhrenbach anzugreifen, um
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||
|
Sigels Operation zu unterstützen. Zugleich zeigte er uns an, sein Hauptkorps stehe
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|
gehörig verschanzt in Triberg, wohin er selbst gehen werde, sobald Villingen von Sigel
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|
besetzt sei.</p>
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<p>An einen Angriff von unsrer Seite konnte nicht gedacht werden. Mit weniger als 450 Mann hatten
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wir drei Quadratmeilen besetzt zu halten und konnten also keinen Mann entbehren. Wir mußten
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stehenbleiben und setzten Becker davon in Kenntnis. Bald darauf traf eine Depesche aus dem
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Hauptquartier ein: Willich solle sofort nach Donaueschingen kommen und den Befehl über die
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||
|
gesamte Artillerie übernehmen. Wir bereiteten uns eben, <a name="S192" id=
|
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"S192"><b><192></b></a> schnell hinüberzufahren, als eine Kolonne Volkswehr, gefolgt
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|
von Artillerie und mehreren anderen Bataillonen Volkswehr, nach Furtwangen hineinmarschiert kam.
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Es war Becker mit seinem Korps. Die Leute seien rebellisch geworden, hieß es. Ich
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erkundigte mich bei einem mir befreundeten Stabsoffizier, "Major" Nerlinger, und erfuhr
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folgendes: Er, Nerlinger, hatte die Position bei Triberg unter seinem Befehl und ließ eben
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die Schanzen aufwerfen, als das Offizierkorps ihm eine schriftliche, von ihnen allen
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unterzeichnete Erklärung überreichte: Die Leute seien rebellisch, und wenn nicht sofort
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der Befehl zum Abmarsch gegeben würde, so würden sie mit allen Truppen abmarschieren.
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Ich sah mir die Unterschriften an: Es war abermals das tapfre Bataillon Dreher-Obermüller!
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Nerlinger konnte nichts andres tun, als Becker hiervon in Kenntnis setzen und nach Furtwangen
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marschieren. Becker brach gleich auf, um sie einzuholen, und so kam er mit seiner ganzen Truppe
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nach Furtwangen, wo die furchtsamen Offiziere und Soldaten von unsern Freischärlern mit
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immensem Gelächter empfangen wurden. Sie schämten sich, und am Abend konnte Becker sie
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wieder in ihre Position zurückführen.</p>
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<p>Wir fuhren indes, gefolgt von der Besançoner Kompanie, nach Donaueschingen. Die
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Preußen schwärmten schon bis hart an die Chaussee; Villingen war von ihnen besetzt.
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Doch kamen wir unangefochten durch, und gegen zehn Uhr abends langten auch die Besançoner
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an. In Donaueschingen fand ich d'Ester und erfuhr von ihm, daß Herr Struve in der
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Konstituante in Freiburg verlangt habe, man solle sofort nach der Schweiz gehn, alles sei
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verloren, und daß Held Blenker diesem Rate gefolgt und schon heute morgen bei Basel auf
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Schweizer Gebiet übergetreten sei. Beides war ganz richtig. Held Blenker war am 6. Juli nach
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Basel gegangen, obwohl er gerade am weitesten vom Feinde stand. Er hatte sich bloß noch die
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Zeit genommen, schließlich eine Anzahl Requisitionen eigener Art vorzunehmen, die zwischen
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ihm und Herrn Sigel und später den Schweizer Behörden einigen üblen Geruch
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verursachten. Und Held Struve, derselbe, der am 29. Juni noch Herrn Brentano und jeden, der mit
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dem Feinde unterhandeln wollte, für einen Volksverräter erklärte, war drei Tage
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später, am 2. Juli, so vernichtet, daß er sich nicht schämte, in einer
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vertraulichen Sitzung der badischen Konstituante den Antrag zu stellen:</p>
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<p><font size="2">"Damit nicht das Oberland gleichwie das Unterland die Schrecknisse des Kriegs
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empfinde und noch viel kostbares Blut vergossen werde und da man retten müsse, was noch zu
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retten sei (!), so solle, wie der Landesversammlung, jedem bei der Revolution Beteiligten sein
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Gehalt oder Sold bis zum 10. Juli nebst entsprechendem Reisegeld ausgezahlt werden und alles sich
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mit Kassen, Vorräten, Waffen etc. auf Schweizer Gebiet zurückziehen!"</font></p>
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<p><b><a name="S193" id="S193"><193></a></b> Diesen saubern Antrag stellte der tapfre
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Struve am 2. Juli, als wir in Wolfach oben im Schwarzwald standen, zehn Stunden vor Freiburg und
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zwanzig Stunden von der Schweizer Grenze! Herr Struve ist naiv genug, in einer "Geschichte", p.
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237 ff., diesen Vorfall selbst zu erzählen und sich seiner noch zu rühmen. Die einzige
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Folge, die die Annahme eines solchen Antrags haben konnte, war, daß die Preußen uns
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so sehr wie möglich drängten, um "zu retten, was noch zu retten war", um uns
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nämlich Kassen, Geschütze und Vorräte abzujagen, da die Gefahrlosigkeit einer
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lebhaften Verfolgung nach diesem Beschluß feststand; und dann, daß unsre Truppen
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sofort massenhaft debandierten und ganze Korps auf eigne Faust nach der Schweiz ausrissen, wie
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dies wirklich geschah. Unser Korps hätte sich am schlechtesten dabei gestanden; es war bis
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zum 12. auf badischem Gebiet und erhielt seinen Sold bis zum 17. ausbezahlt.</p>
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<p>Herr Sigel, statt Villingen wieder zu nehmen, beschloß anfangs, hinter Donaueschingen
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bei Hüfingen Position zu fassen und den Feind zu erwarten. Aber noch an demselben Abend
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wurde beschlossen, nach Stühlingen zu marschieren, hart an die Schweizer Grenze. Wir
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schickten eilig reitende Boten nach Furtwangen, um unser Korps und das Beckersche zu avertieren.
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Beide sollten über Neustadt und Bonndorf ebenfalls nach Stühlingen gehn. Willich ging
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nach Neustadt dem Korps entgegen, ich blieb bei der Besançoner Kompanie. Wir
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übernachteten in Riedböhringen und kamen am nächsten Nachmittag, 7. Juli, in
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Stühlingen an. Am 8. hielt Herr Sigel Revue über seine halbauseinandergelaufene Armee,
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empfahl ihr, in Zukunft nicht mehr zu fahren, sondern zu marschieren (an der Grenze!), und zog
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ab. Uns hinterließ er eine halbe Batterie und einen Befehl für Willich.</p>
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<p>Inzwischen war von Furtwangen aus die Nachricht vom allgemeinen Rückzug zuerst an Becker
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und sodann an unsere vorwärts stationierten Kompanien geschickt worden. Unser Korps war
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zuerst in Furtwangen zusammen und traf in Neustadt Willich an. Becker, der näher an
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Furtwangen stand als unsre vorgeschobnen Korps, traf dennoch erst später dort ein und folgte
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auf demselben Wege. Er stieß auf Verschanzungen, die seinen Marsch aufhielten und von denen
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es später in Schweizer Blättern hieß, sie seien von unserm Korps aufgeworfen.
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Dies ist irrig; unser Korps hat nur jenseits des Schwarzwaldkamms, und zwar nicht auf der
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Straße von Triberg nach Furtwangen, die es gar nicht besetzt hielt, die Wege verrammelt.
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Außerdem marschierten unsre Freischärler erst dann von Furtwangen ab, als Beckers
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Avantgarde dort eingetroffen war.</p>
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<p>In Donaueschingen war abgemacht, daß die Trümmer der ganzen Armee hinter der
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Wutach, von Eggingen bis Thiengen sammeln und dort die <a name="S194" id=
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"S194"><b><194></b></a> Annäherung des Feindes erwarten sollten. Hier, die Flanken an
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Schweizer Gebiet gelehnt, konnten wir mit unsrer bedeutenden Artillerie noch ein letztes Gefecht
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versuchen. Man konnte es sogar abwarten, ob nicht die Preußen das Schweizer Gebiet
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verletzen und dadurch die Schweiz in den Krieg hineinziehen würden. Aber wie erstaunten wir,
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als wir bei Willichs Ankunft in dem Befehl des tapfern Sigel lasen: "Das Gros geht nach Thiengen
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und Waldshut und nimmt dort feste Position (!!). Suchen Sie die Stellung (bei Stüblingen und
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Eggingen) so lange als möglich zu behaupten." - "Feste Position" bei Thiengen und Waldshut,
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den Rhein im Rücken, dem Feind zugängliche Höhen vor der Front! Das hieß
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weiter nichts als: Wir wollen über die Säckinger Brücke in die Schweiz gehn. Und
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dennoch hatte Held Sigel bei Gelegenheit des Struveschen Antrags gesagt: Werde dieser angenommen,
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so werde er, Sigel, der erste sein, der rebelliere.</p>
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<p>Wir bezogen nun die Stellung hinter der Wutach selbst und verteilten unsre Truppen von
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Eggingen bis Wutöschingen, wo unser Hauptquartier war. Hier erhielten wir folgendes noch
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erbaulichere Aktenstück von Herrn Sigel:</p>
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<p><font size="2">"Befehl. Hauptquartier Thiengen, 8. Juli 1849. - An den Obersten Willich in
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Eggingen. Da der Kanton Schaffhausen schon jetzt in einer feindseligen Weise gegen mich auftritt,
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so ist es mir unmöglich, die von uns besprochene Position einzunehmen. Du wirst danach Deine
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Bewegungen richten und Dich gegen Griessen, Lauchringen und Thiengen zu bewegen. Ich marschiere
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morgen von hier ab, um entweder nach Waldshut oder hinter die Alb" (d.h. nach Säckingen) "zu
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gehn ... Der Obergeneral, <i>Sigel</i>."</font></p>
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<p>Das überstieg alles. Am Abend fuhren Willich und ich nach Thiengen, wo uns der
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"Generalquartiermeister" Schlinke gestand, es gehe richtig nach Säckingen und dort über
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den Rhein. Sigel wollte anfangs etwas den "Obergeneral" vorwiegen lassen, aber Willich ließ
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sich hierauf nicht ein und brachte ihn endlich dahin, daß der Befehl zur Umkehr und zum
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Marsch auf Griessen gegeben wurde. Der Vorwand für den Marsch nach Säckingen war die
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Vereinigung mit Doll, der dorthin marschiert sei, und eine angeblich starke Position. Die
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Position, offenbar dieselbe, von der aus Moreau 1800 dort ein Gefecht lieferte, hatte nur den
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Nachteil, daß sie nach einer ganz andern Seite Front machte, als woher <i>uns</i> der Feind
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kam; und was den edlen Doll betrifft, so säumte dieser nicht, zu beweisen, daß er auch
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ohne Herrn Sigel in die Schweiz gehen könne.</p>
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<p>Zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen liegt ein kleiner Strich badischen Gebiets
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mit den Ortschaften Jestetten und Lottstetten, der bis auf einen schmalen Zugang, bei
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Baltersweil, ganz von der Schweiz umschlossen ist. Hier sollte die letzte Position gefaßt
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werden. Die Höhen hinter Balters- <a name="S195" id="S195"><b><195></b></a> weil zu
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beiden Seiten der Straße boten vortreffliche Stellungen für unsre Geschütze, und
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unsre Infanterie war noch zahlreich genug, sie zu decken, bis sie im Notfall das Schweizer Gebiet
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erreicht hätten. Hier, so wurde ausgemacht, sollten wir erwarten, ob die Preußen uns
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angreifen oder aushungern würden. Das Gros, dem Becker sich angeschlossen hatte, bezog hier
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ein Lager. Willich hatte die Position für die Geschütze ausgesucht (später fanden
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wir dort ihre Parks, wo ihre Gefechtstellung sein sollte). Wir selbst bildeten die Arrieregarde
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und zogen langsam dem Gros nach. Am 9. abends gingen wir nach Erzingen, am 10. nach Riedern. An
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diesem Tage wurde im Lager ein allgemeiner Kriegsrat gehalten, Willich allein sprach für die
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weitere Verteidigung, Sigel, Becker und andre für den Rückzug auf Schweizer Gebiet. Ein
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Schweizer Kommissär, ich glaube Oberst Kurz, war dagewesen und hatte erklärt, falls
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noch ein Kampf angenommen würde, werde die Schweiz kein Asyl geben. Bei der Abstimmung blieb
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Willich mit zwei oder drei Offizieren allein. Von unserm Korps war außer ihm niemand
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zugegen.</p>
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<p>Noch während Willich im Lager war, erhielt die bei uns befindliche halbe Batterie Befehl
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zum Abmarsch und entfernte sich, ohne daß uns die geringste Anzeige gemacht wurde. Auch
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alle andern Truppen außer uns erhielten Befehl, ins Lager zu kommen. In der Nacht fuhr ich
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abermals mit Willich ins Hauptquartier nach Lottstetten; als wir bei Tagesanbruch
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zurückfuhren, begegneten wir auf der Straße der ganzen Gesellschaft, die aus dem Lager
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aufgebrochen war und sich in der wildesten Verwirrung der Grenze zuwälzte. An demselben
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Tage, am 11. frühmorgens, ging Herr Sigel mit seinen Leuten bei Rafz, Herr Becker mit den
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seinigen bei Rheinau auf Schweizer Gebiet. Wir konzentrierten unser Korps, folgten ins Lager und
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von da nach Jestetten. Hier erhielten wir gegen Mittag durch einen Ordonnanzoffizier einen Brief
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Sigels von Eglisau, daß er sich bereits glücklich in der Schweiz befinde, daß
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die Offiziere ihre Säbel behielten und daß wir möglichst bald nachkommen sollten.
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Man dachte erst an uns, als man auf neutralem Boden war!</p>
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<p>Wir marschierten durch Lottstetten bis an die Grenze, biwakierten die Nacht noch auf deutschem
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Boden, schossen am Morgen des 12. unsre Gewehre ab und betraten dann, die letzten der
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badisch-pfälzischen Armee, das Schweizer Gebiet. An demselben Tage, gleichzeitig mit uns,
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wurde auch Konstanz von dem dortigen Korps verlassen. Eine Woche später fiel Rastatt durch
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Verrat, und die Kontrerevolution hatte für den Moment wieder Deutschland bis auf den letzten
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Winkel erobert.</p>
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<p align="center">*</p>
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<p><b><a name="S196" id="S196"><196></a></b> Die Reichsverfassungskampagne ging zugrunde an
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ihrer eignen Halbheit und innern Misere. Seit der Juniniederlage 1848 steht die Frage für
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den zivilisierten Teil des europäischen Kontinents so: entweder Herrschaft des
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revolutionären Proletariats oder Herrschaft der Klassen, die vor dem Februar herrschten. Ein
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Mittelding ist nicht mehr möglich. In Deutschland namentlich hat sich die Bourgeoisie
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unfähig gezeigt zu herrschen; sie konnte ihre Herrschaft nur dadurch gegenüber dem Volk
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erhalten, daß sie sie an den Adel und die Bürokratie wieder abtrat. In der
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Reichsverfassung versuchte die Kleinbürgerschaft, verbündet mit der deutschen
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Ideologie, eine unmögliche Ausgleichung, die den Entscheidungskampf aufschieben sollte. Der
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Versuch mußte scheitern: denjenigen, denen es ernst war mit der Bewegung, war es nicht
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ernst mit der Reichsverfassung, und denen es ernst war mit der Reichsverfassung, war es nicht
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ernst mit der Bewegung.</p>
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<p>Die Reichsverfassungskampagne hat aber darum nicht minder bedeutende Resultate gehabt. Sie hat
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vor allem die Situation vereinfacht. Sie hat eine endlose Reihe von Vermittlungsversuchen
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abgeschnitten; nachdem sie verloren ist, kann nur die etwas konstitutionalisierte
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feudal-bürokratische Monarchie siegen oder die wirkliche Revolution. Und die Revolution kann
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in Deutschland nicht eher mehr abgeschlossen werden als mit der vollständigen Herrschaft des
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Proletariats.</p>
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<p>Die Reichsverfassungskampagne hat ferner in den deutschen Ländern, wo die
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Klassengegensätze noch nicht scharf entwickelt waren, zu ihrer Entwicklung bedeutend
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beigetragen. Namentlich in Baden. In Baden bestanden, wie wir sehen, vor der Insurrektion fast
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gar keine Klassengegensätze. Daher die anerkannte Herrschaft der Kleinbürger über
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alle Oppositionsklassen, daher die scheinbare Einstimmigkeit der Bevölkerung, daher die
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Raschheit, mit der die Badenser wie die Wiener von der Opposition in die Insurrektion
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übergehn, bei jeder Gelegenheit einen Aufstand versuchen und selbst den Kampf im offnen Feld
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mit einer regelmäßigen Armee nicht scheuen. Sobald aber die Insurrektion ausgebrochen
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war, traten die Klassen bestimmt hervor, schieden sich die Kleinbürger von den Arbeitern und
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Bauern. In ihrem Repräsentanten Brentano blamierten sie sich auf ewige Zeiten. Sie selbst
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sind durch die preußische Säbelherrschaft so zur Verzweiflung getrieben, daß sie
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jetzt jedes Regime, selbst das der Arbeiter, dem jetzigen Druck vorziehn; sie werden einen viel
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tätigeren Anteil an der nächsten Bewegung nehmen als an jeder bisherigen; aber
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glücklicherweise werden sie nie wieder die selbständige, herrschende Rolle spielen
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können wie unter der Diktatur Brentanos. Die Arbeiter und Bauern, die unter der jetzigen
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Säbelherrschaft ebensosehr leiden wie die Kleinbürger, haben die Erfahrung des letzten
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Aufstands nicht umsonst <a name="S197" id="S197"><b><197></b></a> gemacht; sie, die
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außerdem ihre gefallenen und gemordeten Brüder zu rächen haben, werden schon
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dafür sorgen, daß bei der nächsten Insurrektion <i>sie</i> und nicht die
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Kleinbürger das Heft in die Hand bekommen. Und wenn auch keine insurrektionellen Erfahrungen
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die Klassenentwickelung ersetzen können, die nur durch einen langjährigen Betrieb der
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großen Industrie erreicht wird, so ist doch Baden durch seinen letzten Aufstand und dessen
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Folgen in die Reihe <i>der</i> deutschen Provinzen getreten, die bei der bevorstehenden
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Revolution eine der wichtigsten Stellen einnehmen werden.</p>
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<p>Politisch betrachtet, war die Reichsverfassungskampagne von vornherein verfehlt.
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Militärisch betrachtet, war sie es ebenfalls. Die einzige Chance ihres Gelingens lag
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außerhalb Deutschlands, im Sieg der Republikaner in Paris am 13. Juni - und der 13. Juni
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schlug fehl. Nach diesem Ereignis konnte die Kampagne nichts mehr sein als eine mehr oder minder
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blutige Posse. Sie war weiter nichts. Dummheit und Verrat ruinierten sie vollends. Mit Ausnahme
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einiger weniger waren die militärischen Chefs Verräter oder unberufene, unwissende und
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feige Stellenjäger, und die wenigen Ausnahmen wurden überall von den übrigen wie
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von der Brentanoschen Regierung im Stich gelassen. Wer bei der bevorstehenden Erschütterung
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keine anderen Titel aufzuweisen hat als die, Heckerscher General oder Reichsverfassungsoffizier
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gewesen zu sein, verdient, sogleich die Tür gewiesen zu bekommen. Wie die Chefs, so die
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Soldaten. Das badische Volk hat die besten kriegerischen Elemente in sich; in der Insurrektion
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wurden diese Elemente von vornherein so verdorben und vernachlässigt, daß die Misere
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daraus entstand, die wir des breiteren geschildert haben. Die ganze "Revolution" löste sich
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in eine wahre Komödie auf, und es war nur der Trost dabei, daß der sechsmal
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stärkere Gegner selbst noch sechsmal weniger Mut hatte.</p>
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<p>Aber diese Komödie hat ein tragisches Ende genommen, dank dem Blutdurst der
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Kontrerevolution. Dieselben Krieger, die auf dem Marsch oder dem Schlachtfelde mehr als einmal
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von panischem Schrecken ergriffen wurden - sie sind in den Gräben von Rastatt gestorben wie
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die Helden. Kein einziger hat gebettelt, kein einziger hat gezittert. Das deutsche Volk wird die
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Füsilladen und die Kasematten von Rastatt nicht vergessen; es wird die großen Herren
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nicht vergessen, die diese Infamien befohlen haben, aber auch nicht die Verräter, die sie
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durch ihre Feigheit verschuldeten: die Brentanos von Karlsruhe und von <i>Frankfurt</i>.</p>
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</body>
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</html>
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