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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx/Friedrich Engels - Erklaerung zum Abschluss des Koelner Prozesses</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unver<65>nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 394-397</SMALL>
<H2>Karl Marx/Friedrich Engels</H2>
<H1>Erkl&auml;rung zum Abschlu&szlig; des K&ouml;lner Prozesses</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["The Morning Advertiser" Nr. 19168 vom 29. November 1852]</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">An den Redakteur des "Morning Advertiser"</P>
</I><B><P><A NAME="S394">&lt;394&gt;</A></B> Sir,</P>
<P>die Unterzeichneten erf&uuml;llen eine Pflicht gegen&uuml;ber sich selbst und ihren in K&ouml;ln neuerdings verurteilten Freunden, wenn sie der englischen &Ouml;ffentlichkeit eine Reihe von Tatsachen unterbreiten, die mit dem j&uuml;ngst durchgef&uuml;hrten Monsterproze&szlig; in jener Stadt zusammenh&auml;ngen und die die Londoner Presse in ungen&uuml;gendem Ma&szlig;e bekanntgemacht hat.</P>
<P>Achtzehn Monate sind vergeudet worden, nur um die Beweismittel f&uuml;r diesen Proze&szlig; zu pr&auml;parieren. W&auml;hrend dieser ganzen Zeit sind unsere Freunde in Einzelhaft gehalten worden, jeder Besch&auml;ftigungsm&ouml;glichkeit, selbst der B&uuml;cher, beraubt; wurden sie krank, so verweigerte man ihnen eine ordnungsgem&auml;&szlig;e &auml;rztliche Behandlung, oder wenn sie sie erhielten, so hinderte sie die Verfassung, in der sie sich befanden, Nutzen daraus zu ziehen. Sogar nachdem ihnen die "Anklageakte" &uuml;bermittelt worden war, hat man ihnen - entgegen den Gesetzen - verboten, sich mit ihren Advokaten zu beraten. Und was waren die Vorw&auml;nde f&uuml;r diese in die L&auml;nge gezogene grausame Haft? Nach Ablauf der ersten neun Monate erkl&auml;rte der "Anklagesenat", da&szlig; kein objektiver Tatbestand f&uuml;r eine Anklage vorliege, und die Untersuchung daher von neuem beginnen m&uuml;sse. Man fing wieder von vorn an. Drei Monate sp&auml;ter, bei der Er&ouml;ffnung der Assisenverhandlungen, gab der Staatsanwalt vor, die Masse der Beweismaterialien sei derart angewachsen, da&szlig; er sie noch nicht habe verarbeiten k&ouml;nnen. Und nach weiteren drei Monaten wurde der Proze&szlig; wiederum sistiert, und zwar auf Grund der Krankheit eines der Hauptzeugen der Regierung.</P>
<P>Der wahre Grund dieser ganzen Verz&ouml;gerung war die Furcht der preu- <A NAME="S395"><B>&lt;395&gt;</A></B> &szlig;ischen Regierung, die magere Substanz der Tatsachen den pomp&ouml;s angek&uuml;ndigten "unerh&ouml;rten Enth&uuml;llungen" gegen&uuml;berzustellen. Schlie&szlig;lich gelang es der Regierung, ein Geschworenengericht zustande zu bringen, wie es die Rheinprovinz noch nie gesehen, zusammengesetzt aus sechs reaktion&auml;ren Adligen, vier Mitgliedern der haute finance &lt;Finanzaristokratie&gt; und zwei Mitgliedern der B&uuml;rokratie.</P>
<P>Worin bestand nun das Beweismaterial, das dieser Jury vorgelegt wurde? Es waren dies einzig und allein die absurden Proklamationen und Korrespondenzen einer Gruppe von unwissenden Phantasten, von Verschw&ouml;rern, die sich wichtig machen wollten, von Handlangern, die zugleich Komplizen eines gewissen Cherval waren, eines eingestandenen Polizeiagenten. Der gr&ouml;&szlig;ere Teil dieser Dokumente war fr&uuml;her im Besitz eines gewissen Oswald Dietz in London gewesen. W&auml;hrend der gro&szlig;en Industrieausstellung hatte die preu&szlig;ische Polizei, als Dietz nicht zu Hause war, seine Schubladen aufgebrochen und sich so die begehrten Dokumente mittels eines gew&ouml;hnlichen Diebstahls verschafft. Diese Papiere lieferten erstens einmal die Mittel, um das sogenannte franz&ouml;sisch-deutsche Komplott in Paris zu entdecken. Nun bewies aber der Proze&szlig; zu K&ouml;ln, da&szlig; jene Verschw&ouml;rer und ihr Pariser Agent Cherval just die politischen Gegner der Angeklagten und jener Londoner Freunde waren, die sich hiermit an Sie wenden. Der Staatsanwalt aber behauptete, da&szlig; ein rein pers&ouml;nlicher Streit die Letzteren daran gehindert h&auml;tte, am Komplott des Cherval und seiner Bundesgenossen teilzunehmen. Eine solche Argumentation sollte beweisen, da&szlig; die K&ouml;lner Angeklagten moralisch an dem Pariser Komplott mitschuldig gewesen. Und w&auml;hrend so die K&ouml;lner Angeklagten f&uuml;r die Taten ihrer ausgesprochenen Feinde verantwortlich gemacht wurden, brachte die Regierung die geschworenen Freunde Chervals und seiner Bundesgenossen bei, aber nicht, um sie wie die Angeklagten vor die Gerichtsschranken, sondern um sie in den Zeugenstand zu stellen und gegen jene aussagen zu lassen. Das jedoch machte einen gar zu schlechten Eindruck. Die &ouml;ffentliche Meinung zwang die Regierung, sich nach weniger zweideutigen Beweisen umzusehen. Unter der Leitung eines gewissen Stieber, des Hauptzeugen der Regierung in K&ouml;ln, der k&ouml;niglicher Polizeirat und Leiter der Berliner Kriminalpolizei war, wurde nun die ganze Polizeimaschine in Gang gesetzt. In der Sitzung vom 23. Oktober k&uuml;ndigte Stieber an, da&szlig; ihm ein au&szlig;erordentlicher Kurier von London h&ouml;chst wichtige Dokumente &uuml;berbracht habe, die unleugbar bewiesen, da&szlig; die Angeklagten gemeinsam mit den Unterzeichneten an einer angeblichen <A NAME="S396"><B>&lt;396&gt;</A></B> Verschw&ouml;rung beteiligt waren. "Unter anderen Dokumenten habe ihm der Kurier das Originalprotokollbuch der Sitzungen der Geheimgesellschaft &uuml;berbracht, deren Vorsitz Dr. Marx innehatte, mit dem die Angeklagten im Briefwechsel gestanden h&auml;tten." Stieber verwickelte sich jedoch in widerspr&uuml;chliche Angaben &uuml;ber das Datum, an dem ihn der Kurier erreicht haben sollte. Dr. Schneider, der Hauptverteidiger, beschuldigte ihn geradezu des Meineids, worauf Stieber keine andere Antwort zu geben wagte, als auszuweichen auf seine W&uuml;rde als Repr&auml;sentant der Krone, der von der allerh&ouml;chsten Autorit&auml;t im Staate mit einer &auml;u&szlig;erst wichtigen Mission betraut worden sei. Was das Protokollbuch betrifft, so erkl&auml;rte Stieber zweimal unter Eid, es sei das "echte Protokollbuch des Londoner Kommunistenbundes", aber sp&auml;ter, von der Verteidigung in die Enge getrieben, gab er zu, es k&ouml;nne ein einfaches Notizbuch sein, das einer seiner Spione an sich genommen habe. Schlie&szlig;lich stellte sich das Buch, nach Stiebers eigenem Zeugnis, als eine bewu&szlig;te F&auml;lschung heraus, und sein Zustandekommen wurde auf drei von Stiebers Londoner Agenten, Greif, Fleury und Hirsch, zur&uuml;ckgef&uuml;hrt. Der Letztgenannte hat seitdem selbst zugegeben, da&szlig; er das Buch unter Anleitung von Fleury und Greif zusammengestellt hat. Zu diesem Punkt waren die Beweise in K&ouml;ln so schl&uuml;ssig, da&szlig; selbst der Staatsanwalt Stiebers wichtiges Dokument ein "wahrhaft unseliges Buch", eine blo&szlig;e F&auml;lschung nannte. Dieselbe Pers&ouml;nlichkeit weigerte sich, Notiz zu nehmen von einem Brief, der zum Bew
<P>Wenn nun ein Urteilsspruch zustande kam, obwohl auch nicht ein &uuml;berzeugender Beweis vorlag, so war ein solches Ergebnis sogar vor einer solchen Jury nur m&ouml;glich auf Grund der r&uuml;ckwirkenden Anwendung des neuen Strafgesetzbuches, mit dessen Hilfe selbst die "Times" und die Friedensgesellschaft jederzeit wegen Hochverrats unter furchtbarste Anklage gestellt werden k&ouml;nnten. Dar&uuml;ber hinaus hat der K&ouml;lner Proze&szlig;, schon durch <A NAME="S397"><B>&lt;397&gt;</A></B> seine Dauer und durch die au&szlig;erordentlichen Mittel, die seitens der Anklage angewandt wurden, solch enorme Dimensionen angenommen, da&szlig; ein Freispruch einer Verurteilung der Regierung selbst gleichgekommen w&auml;re; und in der Rheinprovinz war man allgemein davon &uuml;berzeugt, da&szlig; ein Freispruch die Aufhebung der gesamten Einrichtung der Geschworenengerichte zur unmittelbaren Folge gehabt h&auml;tte.</P>
<P ALIGN="RIGHT">Wir verbleiben, Sir, Ihre sehr ergebenen Diener,<BR>
<I>F. Engels<BR>
F. Freiligrath<BR>
K. Marx<BR>
W. Wolff</P></I></BODY>
</HTML>