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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Frauenwahlrecht und Klassenkampf</TITLE>
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<HR size="1">
<H2>Rosa Luxemburg</H2>
<H1> Frauenwahlrecht und Klassenkampf</H1>
<P><SMALL>Aus: &raquo;Frauenwahlrecht&laquo;, Propagandaschrift zum II. sozialdemokratischen Frauentag,Stuttgart, 12. Mai 1912.</SMALL></P>
<HR size="1">
<P>&raquo;Warum gibt es in Deutschland keine Arbeiterinnenvereine?
Warum h&ouml;rt man so wenig von der Arbeiterinnenbewegung?&laquo; Mit diesen Worten leitete eine der Gr&uuml;nderinnen der proletarischen
Frauenbewegung in Deutschland, Emma Ihrer, im Jahre 1898
ihre Schrift ein: &raquo;Die Arbeiterinnen im Klassenkampf.&laquo; Kaum
vierzehn Jahre sind seitdem verflossen, und heute ist die proletarische
Frauenbewegung in Deutschland m&auml;chtig entfaltet. Mehr
als hundertf&uuml;nfzigtausend gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen
bilden mit die Kerntruppen des wirtschaftlich k&auml;mpfenden
Proletariats. Viele Zehntausende politisch organisierter Frauen
sind um das Banner der Sozialdemokratie geschart: das
sozialdemokratische Frauenorgan z&auml;hlt &uuml;ber hunderttausend
Abonnenten; die Forderung des Frauenwahlrechts steht auf der
Tagesordnung des politischen Lebens der Sozialdemokratie.
<P>
Manch einer k&ouml;nnte gerade aus diesen Tatsachen heraus die
Bedeutung des Kampfes um das Frauenwahlrecht untersch&auml;tzen.
Er k&ouml;nnte denken: auch ohne die politische Gleichberechtigung des
weiblichen Geschlechts haben wir gl&auml;nzende Fortschritte in der
Aufkl&auml;rung und Organisierung der Frauen erzielt, das Frauenwahlrecht
ist wohl auch weiterhin keine dringende Notwendigkeit.
Doch wer so denkt, unterliegt einer T&auml;uschung. Die gro&szlig;artige
politische und gewerkschaftliche Aufr&uuml;ttelung der Massen
des weiblichen Proletariats in den letzten anderthalb Jahrzehnten
ist nur deshalb m&ouml;glich geworden, weil die Frauen des arbeitenden
Volkes trotz ihrer Entrechtung am politischen Leben und an
den parlamentarischen K&auml;mpfen ihrer Klasse den regsten Anteil
nehmen. Die Proletarierinnen zehren bis jetzt vom Wahlrecht der
M&auml;nner, an dem sie tats&auml;chlich teilnehmen, wenn auch nur indirekt.
Der Wahlkampf ist jetzt schon f&uuml;r gro&szlig;e Massen der
Frauen wie der M&auml;nner der Arbeiterklasse ein gemeinsamer. In
allen sozialdemokratischen W&auml;hlerversammlungen bilden die
Frauen ein zahlreiches, manchmal das &uuml;berwiegende, stets ein regsames
und leidenschaftlich beteiligtes Publikum. In allen Wahlkreisen,
wo eine gefestigte sozialdemokratische Organisation besteht,
verrichten die Frauen mit die Wahlarbeit. Sie sind es auch,
denen ein gro&szlig;es Verdienst an der Verbreitung von Flugbl&auml;ttern,
an dem Werben von Abonnenten f&uuml;r die sozialdemokratische
Presse zuf&auml;llt, diese wichtigste Waffe des Wahlkampfes.
<P>
Der kapitalistische Staat hat den Frauen des Volkes nicht verwehren
k&ouml;nnen, da&szlig; sie alle diese M&uuml;hen und Pflichten im politischen
Leben auf sich nahmen. Er selbst hat ihnen die M&ouml;glichkeit
dazu Schritt f&uuml;r Schritt durch die Gew&auml;hrung des Vereins- und
Versammlungsrechts erleichtern und sichern m&uuml;ssen. Nur das
letzte politische Recht, das Recht, den Wahlzettel abzugeben,
unmittelbar &uuml;ber die Volksvertretung in den gesetzgebenden und
verwaltenden K&ouml;rperschaften zu entscheiden und diesen K&ouml;rperschaften
als Erw&auml;hlte anzugeh&ouml;ren, nur dieses Recht will der Staat
den Frauen nicht zugestehen. Allein hier, wie auf allen anderen
Gebieten des gesellschaftlichen Lebens hei&szlig;t es: &raquo;Wehre den Anf&auml;ngen!&laquo; Der heutige Staat ist vor den proletarischen Frauen schon
zur&uuml;ckgewichen, als er sie in &ouml;ffentliche Versammlungen, in
politische Vereine zulie&szlig;. Allerdings hat er das nicht aus freiem
Willen getan, sondern der bitteren Not gehorchend, unter dem
unwiderstehlichen Druck der aufstrebenden Arbeiterklasse. Nicht
zuletzt war es das st&uuml;rmische Vorw&auml;rtsdr&auml;ngen der Proletarierinnen
selbst, das den preu&szlig;isch-deutschen Polizeistaat gezwungen
hat, das famose &raquo;Frauensegment&laquo; in den politischen Vereinsversammlungen
preiszugeben und den Frauen die Tore der politischen
Organisationen sperrangelweit zu &ouml;ffnen. Damit ist der
Stein noch schneller ins Rollen gekommen. Der unaufhaltsame
Fortschritt des proletarischen Klassenkampfes hat die arbeitenden
Frauen mitten in den Strudel des politischen Lebens gerissen. Dank
der Ausn&uuml;tzung des Vereins- und Versammlungsrechts haben sich
die Proletarierinnen den regsten Anteil an dem parlamentarischen
Leben, an den Wahlk&auml;mpfen errungen. Und nun ist es nur eine
unabweisbare Folge, nur das logische Ergebnis der Bewegung, da&szlig;
heute Millionen proletarischer Frauen selbstbewu&szlig;t und trotzig
rufen: <B>Her mit dem Frauenwahlrecht!</B>
<P>
Ehemals, in den sch&ouml;nen Zeiten des vorm&auml;rzlichen Absolutismus,
hie&szlig; es gew&ouml;hnlich von dem ganzen arbeitenden Volke, es
sei &raquo;noch nicht reif&laquo; zur Aus&uuml;bung politischer Rechte. Heute kann
das nicht von den proletarischen Frauen gesagt werden, denn sie
haben ihre Reife f&uuml;r die Aus&uuml;bung politischer Rechte erwiesen.
Wei&szlig; doch jeder, da&szlig; ohne sie, ohne die begeisterte Mithilfe der
Proletarierinnen, die deutsche Sozialdemokratie am 12. Januar
nimmermehr den gl&auml;nzenden Sieg errungen, die 4 1/4 Millionen
Stimmen erhalten h&auml;tte. Aber gleichwohl: das arbeitende Volk
hat jedesmal seine Reife zur politischen Freiheit durch eine siegreiche
revolution&auml;re Massenerhebung erweisen m&uuml;ssen. Erst wenn
das Gottesgnadentum auf dem Thron und die Edelsten und Besten
der Nation die schwielige Faust des Proletariats fest auf dem
Auge und sein Knie auf ihrer Brust f&uuml;hlten, erst dann kam ihnen
auch blitzartig der Glaube an die politische &raquo;Reife&laquo; des Volkes.
<P>
Heute sind die Frauen des Proletariats an der Reihe, ihre Reife
dem kapitalistischen Staate zum Bewu&szlig;tsein zu bringen. Das geschieht
durch eine andauernde, machtvolle Massenbewegung, in
der alle Mittel des proletarischen Kampfes und Druckes in
Anwendung gebracht werden m&uuml;ssen.
<P>
Um das Frauenwahlrecht handelt es sich als Ziel, aber die
Massenbewegung daf&uuml;r ist nicht Frauensache allein, sondern gemeinsame
Klassenangelegenheit der Frauen und M&auml;nner des Proletariats.
Denn die Rechtlosigkeit der Frau ist heute in Deutschland
nur ein Glied in der Kette der Reaktion, die das Leben des Volkes
fesselt, und sie steht im engsten Zusammenhang mit der anderen
S&auml;ule dieser Reaktion: mit der Monarchie. In dem heutigen
gro&szlig;-kapitalistischen, hochindustriellen Deutschland des zwanzigsten
Jahrhunderts, im Zeitalter der Elektrizit&auml;t und der Luftschiffahrt,
ist die politische Rechtlosigkeit der Frau genau ein so reaktion&auml;res
&Uuml;berbleibsel alter abgelebter Zust&auml;nde wie die Herrschaft des
Gottesgnadentums auf dem Throne. Beide Erscheinungen: das
Instrument des Himmels als tonangebende Macht des politischen
Lebens und die Frau, die z&uuml;chtig am h&auml;uslichen Herde sa&szlig;,
unbek&uuml;mmert um die St&uuml;rme des &ouml;ffentlichen Lebens, um Politik
und Klassenkampf: sie beide wurzeln in den vermorschten
Verh&auml;ltnissen der Vergangenheit, in den Zeiten der Leibeigenschaft
auf dem Lande und der Z&uuml;nfte in der Stadt. In diesen Zeiten
waren sie begreiflich und notwendig. Beide: Monarchie wie
Rechtlosigkeit der Frau sind heute durch die moderne kapitalistische
Entwicklung entwurzelt, zur l&auml;cherlichen Karikatur auf die Menschheit
geworden. Sie bestehen jedoch in der heutigen modernen Gesellschaft
weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen h&auml;tte,
sie wegzur&auml;umen, nicht aus blo&szlig;er Beharrlichkeit und Tr&auml;gheit
der Zust&auml;nde. Nein, sie sind noch da, weil beide - Monarchie wie
Rechtlosigkeit der Frau - zu m&auml;chtigen Werkzeugen volksfeindlicher
Interessen geworden sind. Hinter dem Thron und Altar wie
hinter der politischen Versklavung des weiblichen Geschlechts
verschanzen sich heute die schlimmsten und brutalsten Vertreter
der Ausbeutung und der Knechtschaft des Proletariats. Monarchie
und Rechtlosigkeit der Frau sind zu den wichtigsten Werkzeugen
der kapitalistischen Klassenherrschaft geworden.
<P>
F&uuml;r den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit darum,
den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahlrecht vorzuenthalten.
Von ihnen bef&uuml;rchtet er mit Recht die Gef&auml;hrdung
aller althergebrachten Einrichtungen der Klassenherrschaft. So des
Militarismus, dessen Todfeindin jede denkende Proletarierin sein
mu&szlig;; der Monarchie; des Raubsystems der Z&ouml;lle und Steuern auf
Lebensmittel usw. Das Frauenwahlrecht ist f&uuml;r den heutigen
kapitalistischen Staat ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die
Millionen Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolution&auml;re
Sozialdemokratie st&auml;rken w&uuml;rden. K&auml;me es auf die Damen der
Bourgeoisie an, so h&auml;tte der kapitalistische Staat von ihnen nur
eine wirksame Unterst&uuml;tzung der Reaktion zu erwarten. Die meisten
b&uuml;rgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen &raquo;die Vorrechte
der M&auml;nner&laquo; wie L&ouml;winnen geb&auml;rden, w&uuml;rden im Besitz
des Wahlrechts wie fromme L&auml;mmlein mit dem Tro&szlig; der konservativen
und klerikalen Reaktion gehen. Ja, sie w&auml;ren sicher noch
um ein Betr&auml;chtliches reaktion&auml;rer als der m&auml;nnliche Teil ihrer
Klasse. Von der kleinen Zahl Berufst&auml;tiger unter ihnen abgesehen,
nehmen die Frauen der Bourgeoisie an der gesellschaftlichen
Produktion keinen Anteil, sie sind blo&szlig;e Mitverzehrerinnen des
Mehrwerts, den ihre M&auml;nner aus dem Proletariat herauspressen,
sie sind Parasiten der Parasiten am Volksk&ouml;rper. Und Mitverzehrer
sind gew&ouml;hnlich noch rabiater und grausamer in der Verteidigung
ihres &raquo;Rechts&laquo; auf Parasitendasein, als die unmittelbaren
Tr&auml;ger der Klassenherrschaft und der Ausbeutung. Die Geschichte
aller gro&szlig;en Revolutionsk&auml;mpfe hat dies grauenvoll best&auml;tigt. Als
nach dem Fall der Jakobinerherrschaft in der gro&szlig;en franz&ouml;sischen
Revolution der gefesselte Robespierre auf dem Wagen zum Richtplatz
gefahren wurde, da f&uuml;hrten die nackten Lustweiber der
siegestrunkenen Bourgeoisie auf den Stra&szlig;en einen schamlosen
Freudentanz um den gefallenen Revolutionshelden auf. Und als
im Jahre 1871 in Paris die heldenm&uuml;tige Arbeiterkommune mit
Mitrailleusen besiegt wurde, da &uuml;bertrafen die rasenden Weiber
der Bourgeoisie in ihrer blutigen Rache an dem niedergeworfenen
Proletariat noch ihre bestialischen M&auml;nner. Die Frauen der
besitzenden Klassen werden stets fanatische Verteidigerinnen der
Ausbeutung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von
der sie aus zweiter Hand die Mittel f&uuml;r ihr gesellschaftlich
unn&uuml;tzes Dasein empfangen.
<P>
Wirtschaftlich und sozial stellen die Frauen der ausbeutenden
Klassen keine selbst&auml;ndige Schicht der Bev&ouml;lkerung dar. Sie &uuml;ben
blo&szlig; die soziale Funktion als Werkzeuge der nat&uuml;rlichen Fortpflanzung
f&uuml;r die herrschenden Klassen aus. Hingegen sind die
Frauen des Proletariats wirtschaftlich selbst&auml;ndig, sie sind f&uuml;r die
Gesellschaft produktiv t&auml;tig so gut wie die M&auml;nner. Nicht in dem
Sinne, da&szlig; sie dem Manne durch h&auml;usliche Arbeit helfen, mit dem
kargen Lohn das t&auml;gliche Dasein der Familie zu fristen und Kinder
zu erziehen. Diese Arbeit ist nicht produktiv im Sinne der
heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und mag sie in
tausendf&auml;ltigen kleinen M&uuml;hen eine Riesenleistung an Selbstaufopferung
und Kraftaufwand ergeben. Sie ist nur eine private Angelegenheit
des Proletariers, sein Gl&uuml;ck und Segen, und gerade
deshalb blo&szlig;e Luft f&uuml;r die heutige Gesellschaft. Als produktiv
gilt - solange Kapitalherrschaft und Lohnsystem dauern werden -
nur diejenige Arbeit, die Mehrwert schafft, die kapitalistischen
Profit erzeugt. Von diesem Standpunkt ist die T&auml;nzerin im Tingeltangel,
die ihrem Unternehmer mit ihren Beinen Profit in die
Tasche fegt, eine produktive Arbeiterin, w&auml;hrend die ganze M&uuml;hsal
der Frauen und M&uuml;tter des Proletariats in den vier W&auml;nden
ihres Heimes als unproduktive T&auml;tigkeit betrachtet wird. Das
klingt roh und wahnwitzig, entspricht aber genau der Roheit und
dem Wahnwitz der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung,
und diese rohe Wirklichkeit klar und scharf zu erfassen, ist die
erste Notwendigkeit f&uuml;r die proletarischen Frauen.
<P>
Denn gerade von diesem Standpunkt aus ist jetzt der Anspruch
der Proletarierinnen auf politische Gleichberechtigung in fester
wirtschaftlicher Grundlage verankert. Millionen von proletarischen
Frauen schaffen heute kapitalistischen Profit gleich M&auml;nnern - in
Fabriken, Werkst&auml;tten, in der Landwirtschaft, in der
Hausindustrie, in B&uuml;ros, in L&auml;den. Sie sind also produktiv im
strengsten wissenschaftlichen Sinne der heutigen Gesellschaft. Jeder
Tag vergr&ouml;&szlig;ert die Scharen der kapitalistisch ausgebeuteten
Frauen, jeder neue Fortschritt in der Industrie, in der Technik
schafft neuen Platz f&uuml;r Frauen im Getriebe der kapitalistischen
Profitmacherei. Und damit f&uuml;gt jeder Tag und jeder industrielle
Fortschritt einen neuen Stein zur festen Grundlage der politischen
Gleichberechtigung der Frauen. F&uuml;r den wirtschaftlichen Mechanismus
selbst ist jetzt Schulbildung und geistige Intelligenz der
Frauen notwendig geworden. Die beschr&auml;nkte weltfremde Frau
des altv&auml;terischen &raquo;h&auml;uslichen Herdes&laquo; taugt heute so wenig f&uuml;r
die Anspr&uuml;che der Gro&szlig;industrie und des Handels wie f&uuml;r die
Anforderungen des politischen Lebens. Freilich, auch in dieser Beziehung
hat der kapitalistische Staat seine Pflichten vernachl&auml;ssigt.
Bis jetzt haben die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen
Organisationen das meiste und beste f&uuml;r die geistige und
moralische Erweckung und Schulung der Frauen getan. Wie schon
vor Jahrzehnten in Deutschland die Sozialdemokraten als die
t&uuml;chtigsten, intelligentesten Arbeiter bekannt waren, so sind heute
die Frauen des Proletariats durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften
aus der Stickluft ihres engen Daseins, aus der k&uuml;mmerlichen
Geistlosigkeit und Kleinlichkeit des h&auml;uslichen Waltens
emporgehoben worden. Der proletarische Klassenkampf hat
ihren Gesichtskreis erweitert, ihren Geist elastisch gemacht, ihr
Denkverm&ouml;gen entwickelt, hat ihrem Streben gro&szlig;e Ziele gewiesen.
Der Sozialismus hat die geistige Wiedergeburt der Masse der
proletarischen Frauen bewirkt und sie dadurch zweifellos auch
zu t&uuml;chtigen produktiven Arbeiterinnen f&uuml;r das Kapital gemacht.
<P>
Nach alledem ist die politische Rechtlosigkeit der proletarischen
Frauen eine um so niedertr&auml;chtigere Ungerechtigkeit, als sie bereits
eine halbe L&uuml;ge geworden ist. Beteiligen sich doch die Frauen
in Massen und aktiv am politischen Leben. Jedennoch die Sozialdemokratie
k&auml;mpft nicht mit dem Argument der &raquo;Ungerechtigkeit&laquo;.
Der grundlegende Unterschied zwischen uns und dem fr&uuml;heren
sentimentalen utopischen Sozialismus beruht gerade darauf,
da&szlig; wir nicht auf die Gerechtigkeit der herrschenden Klassen,
sondern einzig und allein auf die revolution&auml;re Macht der
Arbeitermassen bauen und auf den Gang der gesellschaftlichen
Entwicklung, der jener Macht den Boden schafft. So ist die
Ungerechtigkeit an sich gewi&szlig; kein Argument, um reaktion&auml;re
Einrichtungen zu st&uuml;rzen. Wenn sich jedoch das Empfinden der
Ungerechtigkeit weiter Kreise der Gesellschaft bem&auml;chtigt - sagt Friedrich
Engels, der Mitsch&ouml;pfer des wissenschaftlichen Sozialismus -, so
ist das immer ein sicheres Zeichen, da&szlig; in den wirtschaftlichen
Grundlagen der Gesellschaft weitgehende Verschiebungen Platz
gegriffen haben, da&szlig; bestehende Zust&auml;nde bereits mit dem Fortschritt
der Entwicklung in Widerspruch geraten sind. Die jetzige
kraftvolle Bewegung der Millionen proletarischer Frauen, die ihre
politische Rechtlosigkeit als ein schreiendes Unrecht empfinden,
ist ein solches untr&uuml;gliches Zeichen, da&szlig; die gesellschaftlichen
Grundlagen der bestehenden Staatsordnung bereits morsch und
ihre Tage gez&auml;hlt sind.
<P>
Einer der ersten gro&szlig;en Verk&uuml;nder der sozialistischen Ideale,
der Franzose Charles Fourier, hat vor hundert Jahren die denkw&uuml;rdigen
Worte geschrieben: In jeder Gesellschaft ist der Grad
der weiblichen Emanzipation (Freiheit) das nat&uuml;rliche Ma&szlig; der
allgemeinen Emanzipation. Das stimmt vollkommen f&uuml;r die heutige
Gesellschaft. Der jetzige Massenkampf um die politische
Gleichberechtigung der Frau ist nur eine &Auml;u&szlig;erung und ein Teil
des allgemeinen Befreiungskampfes des Proletariats, und darin
liegt gerade seine Kraft und seine Zukunft. Das allgemeine, gleiche,
direkte Wahlrecht der Frauen w&uuml;rde - dank dem weiblichen
Proletariat - den proletarischen Klassenkampf ungeheuer
vorw&auml;rtstreiben und versch&auml;rfen. Deshalb verabscheut und f&uuml;rchtet
die b&uuml;rgerliche Gesellschaft das Frauenwahlrecht, und deshalb
wollen und werden wir es erringen. Auch durch den Kampf um
das Frauenwahlrecht wollen wir die Stunde beschleunigen, wo die
heutige Gesellschaft unter den Hammerschl&auml;gen des revolution&auml;ren
Proletariats in Tr&uuml;mmer st&uuml;rzt.</P>
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Quelle: &raquo;die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"&laquo;<BR>
Pfad: &raquo;../lu/&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>&laquo;</SMALL></P>
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