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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - Vorrede zur f&uuml;nfundzwanzigsten Auflage</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_019.htm"><FONT SIZE=2>Vorrede zur vierunddrei&szlig;igsten Auflage</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 1-18.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">VORREDE ZUR F&Uuml;NFUNDZWANZIGSTEN AUFLAGE</P>
</FONT><B><P><A NAME="S1">|1|</A></B> Das "durch und durch unwissenschaftliche Buch", das nach H. Herkner <A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_001.htm#F1">(1)</A></A> "Die Frau" ist, erlebt hiermit den in der deutschen Literatur h&ouml;chst seltenen Fall einer f&uuml;nfundzwanzigsten Auflage, und ich hoffe, weitere werden folgen. Der au&szlig;erordentlich g&uuml;nstigen Aufnahme, die es bei dem deutschen Lesepublikum fand, entsprechen die vielen &Uuml;bersetzungen in die verschiedensten fremden Sprachen, die es seit seinem Erscheinen gefunden hat. Neben dem, da&szlig; es zweimal ins Englische &uuml;bersetzt wurde (London und New York), wurde es ins Franz&ouml;sische, Russische, Italienische, Schwedische, D&auml;nische, Polnische, Fl&auml;mische, Griechische, Bulgarische, Rum&auml;nische, Ungarische und Tschechische &uuml;bersetzt. Auf diesen Erfolg meines "durch und durch unwissenschaftlichen Buches" kann ich also stolz sein. </P>
<P>Zahlreiche Zuschriften, namentlich von Frauen aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen, zeigten mir weiter, wie es insbesondere in der Frauenwelt gewirkt hat und die<I> w&auml;rmste</I> Aufnahme fand. </P>
<P>Hierbei mu&szlig; ich meinen herzlichen Dank denjenigen aussprechen, die mich, sei es durch Einsendung von Material oder durch Berichtigung und Erg&auml;nzung angef&uuml;hrter Tatsachen, unterst&uuml;tzten und mich so in die Lage setzten, das Buch einwandfreier zu gestalten. Der warmen Anh&auml;ngerschaft auf der einen Seite steht aber eine heftige Gegnerschaft auf der anderen gegen&uuml;ber. W&auml;hrend die einen das Buch als das nichtsnutzigste und gef&auml;hrlichste Buch bezeichnen, das in neuerer Zeit erschienen sei (in diesem Sinne sprach sich eine in Berlin erscheinende antisemitische Zeitung aus), erkl&auml;ren andere - darunter zwei evangelische Geistliche - es f&uuml;r eines der sittlichsten und n&uuml;tzlichsten B&uuml;cher, die es gebe. Ich bin mit dem einen Urteil so zufrieden wie mit dem anderen. Ein Buch, das &uuml;ber &ouml;ffentliche Dinge geschrieben ist, soll wie eine Rede, die &uuml;ber &ouml;ffentliche Angelegen- <A NAME="S2"><B>|2|</A></B> heiten gehalten wird, zur Parteinahme<I> zwingen</I>. Nur dann erreicht es seinen Zweck.</P>
<P>Unter den zahlreichen Entgegnungen und versuchten Widerlegungen, die das vorliegende Buch im Laufe der Jahre hervorgerufen hat, sind zwei, die wegen des wissenschaftlichen Charakters ihrer Verfasser eine besondere. Beachtung herausfordern. So das Buch von Dr. H. E. Ziegler, au&szlig;erordentlicher Professor der Zoologie an der Universit&auml;t Freiburg i.B., das betitelt ist "Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie, ihr Verh&auml;ltnis dargelegt auf Grund der Werke von Darwin und Bebel" <A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_001.htm#F2">(2)</A></A>, und die diesem folgende Abhandlung von Dr. Alfred Hegar, Professor der Gyn&auml;kologie an der Universit&auml;t Freiburg i.B., die den Titel f&uuml;hrt "Der Geschlechtstrieb" <A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_001.htm#F3">(3)</A></A>. </P>
<P>Die beiden B&uuml;cher machen den Eindruck, als seien sie auf Verabredung ihrer Autoren zur "wissenschaftlichen Vernichtung" meines Buches geschrieben. Daf&uuml;r spricht, da&szlig; beide Autoren an derselben Universit&auml;t t&auml;tig sind, beide ihre B&uuml;cher in demselben Verlag erscheinen lie&szlig;en und beide die Herausgabe damit begr&uuml;nden, la&szlig; die ungew&ouml;hnlich weite Verbreitung, die mein Buch mit seinen "falschen" und "unwissenschaftlichen Theorien" gefunden habe, sie zu einer Widerlegung desselben anspornte. F&uuml;r die gegenseitige Abmachung spricht auch ferner die Arbeitsteilung, &uuml;ber die beide Autoren sich (so scheint es) verst&auml;ndigten. Indem Ziegler meine kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Anschauungen zu widerlegen versucht, wirft Hegar sich wesentlich auf die physiologische und psychologische Charakterisierung der Frau, wie ich sie in meinem Buche gebe, um diese als falsch und irrig nachzuweisen. Beide gehen dann, ein jeder von seinem Standpunkt, zu dem Versuch einer Widerlegung meiner &ouml;konomischen und sozialpolitischen Grundauffassungen &uuml;ber, ein Unterfangen, das zeigt, da&szlig; sie sich hier auf ein Gebiet begeben, auf dem sie beide nicht zu Hause sind und auf dem sie deshalb noch weniger Lorbeeren pfl&uuml;cken als auf dem Gebiet des Fachmanns, von dem aus ich am ehesten eine sachgem&auml;&szlig;e Widerlegung h&auml;tte erwarten k&ouml;nnen. </P>
<P>Beide B&uuml;cher haben auch das Gemeinsame, da&szlig; sie zum Teil Gebiete behandeln, die den von mir behandelten fernliegen und nichts mit denselben zu tun haben, oder, wie namentlich Hegar, sich in Er&ouml;rte- <A NAME="S3"><B>|3|</A></B> rungen ergehen, denen zu widersprechen ich keinen Grund habe. Beide Schriften sind ferner<I> Tendenzschriften,</I> die um jeden Preis beweisen sollen, da&szlig; weder die Naturwissenschaft noch die Anthropologie irgendwelches Material f&uuml;r die Notwendigkeit und die N&uuml;tzlichkeit des Sozialismus ergeben. Beide Verfasser haben auch mehrfach, wie das in Polemiken nichts Seltenes ist, das aus meiner Schrift aus dem Zusammenhang herausgerissen, was ihnen pa&szlig;te, und weggelassen, was ihnen unbequem war, so da&szlig; ich mitunter einige M&uuml;he hatte, das von mir Gesagte wiederzuerkennen. </P>
<P>In der Besprechung der beiden B&uuml;cher gehe ich zun&auml;chst zu der zuerst erschienenen Abhandlung Zieglers &uuml;ber. </P>
<P>Ziegler hat schon im Titel seines Buches ges&uuml;ndigt. Wollte er eine Kritik der sozialdemokratischen Theorien mit Beziehung auf Darwin schreiben, so durfte er nicht mein Buch zum Gegenstand seiner Kritik machen, denn es w&auml;re eine Anma&szlig;ung sondergleichen von mir, wollte ich mich als einen der sozialistischen Theoretiker betrachten: er mu&szlig;te alsdann die Schriften von Marx und Engels - auf deren Schultern wir anderen stehen - dazu ausersehen. Das hat er klugerweise unterlassen. Er konnte aber auch nicht mein Buch als eine Art Parteidogmenschrift ansehen, da ich darin, und zwar in der Einleitung, ausdr&uuml;cklich erkl&auml;rt habe, wieweit ich glaube in meinem Buche auf die Zustimmung meiner Parteigenossen z&auml;hlen zu k&ouml;nnen. Ziegler konnte das nicht &uuml;bersehen. Indem er dennoch den gew&auml;hlten Titel adoptierte, war es ihm wohl mehr um das Pikante als um das Richtige zu tun. </P>
<P>Ich mu&szlig; nun zun&auml;chst an dieser Stelle eine schwere Beleidigung zur&uuml;ckweisen, die Ziegler gegen Engels schleudert, dem er nachsagt, er habe in seiner Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" die ganzen Theorien Morgans<I> kritiklos</I> &uuml;bernommen. Engels hat zwar in der wissenschaftlichen Welt einen viel zu hochgeachteten Namen, als da&szlig; der Vorwurf Zieglers dort irgendwelchen Eindruck macht. Ein objektives Studium von Engels' Schrift beweist sogar dem Laien - und zu diesen geh&ouml;rt im vorliegenden Falle Ziegler nicht -, wie er die Anschauungen Morgans nur adoptierte, weil sie mit den Anschauungen und Studien, die er und Marx auf diesem Gebiet gemacht haben, &uuml;bereinstimmten. Und indem Engels sie adoptierte, hat er sie aus Eigenem auch weiter begr&uuml;ndet, so da&szlig; es den Gegnern unm&ouml;glich gemacht sein d&uuml;rfte, sie mit Aussicht auf Erfolg bek&auml;mpfen zu k&ouml;nnen. Was Ziegler, haupts&auml;chlich an der Hand <A NAME="S4"><B>|4|</A></B> von Westermarck und Starcke, gegen die Anschauungen Morgans, Engels' und all derer, die mit Morgan und Engels wesentlich auf dem gleichen Boden stehen, ausf&uuml;hrt, ist schief und haltlos und zeugt von einer Oberfl&auml;chlichkeit der Auffassung, die meinen Respekt vor den M&auml;nnern der Wissenschaft vom Schlage Zieglers gerade nicht erh&ouml;ht hat. </P>
<P>Ziegler f&uuml;rchtet (Seite 15 seiner Schrift), man werde auch gegen ihn die Verleumdung erheben, die ich gegen einen gro&szlig;en Teil der heutigen Gelehrten erhoben haben soll, n&auml;mlich die Anklage, ihre wissenschaftliche Stellung zugunsten der herrschenden Klassen auszunutzen. Ich verwahre mich dagegen, irgendwen verleumdet zu haben. Die Anschuldigung, man verleumde, scheint unseren Professoren sehr leicht aus der Feder zu flie&szlig;en, wie das auch aus dem Angriff Haeckels gegen mich (siehe Seite 294 dieses Buches) hervorgeht. Was ich in diesem Buche schreibe, ist, soweit ich meine eigenen Anschauungen darin ausspreche, meine volle &Uuml;berzeugung, die eine<I> irrt&uuml;mliche</I> sein kann, die aber nirgends<I> wider besseres Wissen -</I> und das allein w&auml;re Verleumdung - ausgesprochen wurde. Was ich also bez&uuml;glich eines gro&szlig;en Teiles unserer Gelehrten ausgef&uuml;hrt habe, glaube ich nicht nur, ich k&ouml;nnte es durch zahlreiche Tatsachen beweisen. Ich begn&uuml;ge mich aber, neben dem Urteil eines Mannes wie Buckle (Seite 291 dieses Buches) das Urteil eines Friedrich Albert Lange beizuf&uuml;gen, der auf Seite 15 der zweiten Auflage seiner "Arbeiterfrage" von einer<I> gef&auml;lschten Wissenschaft</I> spricht, die den Kapitalisten auf den Wink zu Gebote stehe. Und indem Lange weiter die herrschenden Anschauungen &uuml;ber die Staatswissenschaften und die Statistik er&ouml;rtert, f&auml;hrt er fort: "Da&szlig; solche Anschauungen (wie sie die Monarchen besitzen) auch auf den M&auml;nnern der Wissenschaft lasten, ist aus der Teilung der Arbeit auf geistigem Gebiet leicht zu erkl&auml;ren. Bei der Seltenheit einer freien, die Resultate aller Wissenschaften in einen Brennpunkt sammelnden Philosophie sind auch unsere gelehrtesten und erfolgreichsten Forscher bis zu einem gewissen Grade Kinder des allgemeinen Vorurteils, <I>indem sie zwar in ihrem engeren Kreise sehr scharf sehen, au&szlig;erhalb desselben aber nichts. Rechnet man dazu das Ungl&uuml;ck einer vom Staate bezahlten und gewerbsm&auml;&szlig;ig betriebenen 'Philosophie', welche stets bereit ist, das Bestehende f&uuml;r das Vern&uuml;nftige zu erkl&auml;ren, so wird man genug Gr&uuml;nde der Zur&uuml;ckhaltung entdecken, wo einmal die wissenschaftlichen Fragen selbst so ganz un-</I> <A NAME="S5"><B>|5|</A></B> <I>mittelbar auf die Elemente zuk&uuml;nftiger Weltrevolutionen hinf&uuml;hren, wie das in dem Gesetz der Konkurrenz um das Dasein der Fall ist.</I>" </P>
<P>Diese Ausf&uuml;hrungen F. A Langes sind deutlich, sie bed&uuml;rfen keines Zusatzes mehr. Ausf&uuml;hrlicheres findet Ziegler bei Lange im ersten und zweiten Kapitel seines Buches. Ziegler sag weiter, man habe ihm geraten, seine Schrift gegen mich zu unterlassen und statt ihrer ein schon lange begonnenes Buch &uuml;ber Embryologie zu beenden, "das sei seiner Karriere vorteilhafter". Ich, glaube auch, da&szlig; dieses vern&uuml;nftiger gewesen w&auml;re, nicht blo&szlig; seiner Karriere wegen, sondern auch wegen seines wissenschaftlichen Rufes, der durch sein Buch gegen mich nicht gewonnen hat. - Es kann mir nun nicht beikommen, an dieser Stelle auf die Einw&auml;nde Zieglers gegen die seit Bachofen und Morgan immer mehr in die wissenschaftliche Untersuchung gezogenen Geschlechtsverh&auml;ltnisse der auf den Unterstufen menschlicher Entwicklung stehenden V&ouml;lkerschaften ausf&uuml;hrlich einzugehen. Es vergeht nahezu kein Tag, der nicht neue beweiskr&auml;ftige Tatsachen im Sinne der Bachofen-Morganschen Anschauungen beibringt, und ich selbst habe in dem ersten Abschnitt des vorliegenden Buches einige f&uuml;r weitere Kreise neue Tatsachen angef&uuml;hrt, die nach meiner &Uuml;berzeugung ebenfalls in unwiderleglicher Weise die Richtigkeit dieser Anschauungen beweisen. Die mittlerweile von Cunow erschienene Abhandlung "Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger", auf die ich im ersten Abschnitt dieses Buches zu sprechen komme, bringt weiter nicht nur eine F&uuml;lle neuer Tatsachen in der gleichen Richtung, sie besch&auml;ftigt sich auch ausf&uuml;hrlich mit den Auffassungen Westermarcks und Starckes - den Gew&auml;hrsm&auml;nnern Zieglers - und widerlegt sie gr&uuml;ndlich. Der K&uuml;rze halber verweise ich Ziegler hier darauf. </P>
<P>Insofern Ziegler aus Eigenem den Beweis zu f&uuml;hren sucht, da&szlig; das monogame Verh&auml;ltnis zwischen Mann und Weib "eine auf der Natur beruhende Sitte" sei (Seite 88 seines Buches), macht er sich seine Beweisf&uuml;hrung au&szlig;erordentlich leicht. Einmal entstand ihm zufolge das monogame Verh&auml;ltnis aus rein psychologischen Gr&uuml;nden: "Liebe, gegenseitige Sehnsucht, Eifersucht", dann aber sagt er wieder, die Ehe sei notwendig, "denn durch die &ouml;ffentliche Eheschlie&szlig;ung erkennt der Mann der Gesellschaft gegen&uuml;ber die Verpflichtung an, seiner Frau treu zu bleiben, f&uuml;r seine Kinder zu sorgen und seine Kinder zu erziehen". Erst ist also die Monogamie eine "auf der Natur beruhende <A NAME="S6"><B>|6|</A></B> Sitte", ein Verh&auml;ltnis aus "rein psychologischen Gr&uuml;nden", also quasi naturgesetzlich selbstverst&auml;ndlich, wenige Seiten sp&auml;ter bezeichnet er die Ehe als eine gesetzliche Zwangsanstalt, welche die Gesellschaft errichtete, damit der Mann seiner Frau treu bleibe, f&uuml;r sie sorge und seine Kinder erziehe. "Erkl&auml;ret mir, Graf &Ouml;rindur, diesen Zwiespalt der Natur." Bei Ziegler geht der gute B&uuml;rger mit dem Naturwissenschaftler durch. </P>
<P>Wenn die &ouml;ffentliche Eheschlie&szlig;ung f&uuml;r den<I> Mann</I> notwendig ist, damit dieser seiner Frau treu sei, f&uuml;r sie sorge und seine Kinder erziehe, warum sagt denn Ziegler von der gleichen Verpflichtung der Frau kein Wort? Er ahnt unwillk&uuml;rlich, da&szlig; die Frau in der heutigen Ehe in einer Zwangslage sich befindet, die ihr aufzwingt, was von dem Manne erst durch ein besonders feierliches Gel&uuml;bde erreicht werden mu&szlig;, aber in unz&auml;hligen F&auml;llen nicht erreicht wird. Ziegler ist nicht so beschr&auml;nkt oder unwissend, um nicht zu wissen, da&szlig; zum Beispiel schon im Alten Testament die Grundlage der patriarchalischen Familie die Polygamie war, der sich die Erzv&auml;ter bis zu K&ouml;nig Salomo ergaben, ohne da&szlig; sie "die auf der Natur beruhende Sitte" davon abhielt oder "die psychologischen Gr&uuml;nde f&uuml;r die Monogamie" ihre Wirkung auf sie aus&uuml;bten. Polygamie und Polyandrie, die in historischer Zeit seit Jahrtausenden existieren und von welchen die erstere noch heute im Orient von vielen Hundert Millionen Menschen als soziale Institution anerkannt ist, widersprechen aufs schlagendste den von Ziegler angef&uuml;hrten "naturwissenschaftlichen" Gr&uuml;nden und f&uuml;hren sie ad absurdum. Dahin kommt man eben, wenn man mit beschr&auml;nkten b&uuml;rgerlichen Vorurteilen fremde Sitten und soziale Einrichtungen beurteilt und nach naturwissenschaftlichen Gr&uuml;nden sucht, wo allein<I> soziale Ursachen</I> ma&szlig;gebend sind. </P>
<P>Ziegler konnte sich auch seine Beispiele aus dem Geschlechtsleben anthropoider Affen anzuf&uuml;hren ersparen, um damit zu beweisen, da&szlig; Monogamie eine Art Naturnotwendigkeit sei, sintemalen die Affen nicht wie die Menschen eine soziale Organisation besitzen - und sei dieselbe noch so primitiv -, die ihr Denken und Handeln beherrscht. Darwin, auf den er sich gegen mich beruft, war in seinem Urteil weit vorsichtiger. Darwin erschien zwar die Existenz einer "Gemeinschaftsehe" und der ihr voraufgehende Zustand der Promiskuit&auml;t ebenfalls unglaubw&uuml;rdig, aber er war objektiv genug zu sagen, da&szlig; alle diejenigen, die den Gegenstand am gr&uuml;ndlichsten studiert h&auml;tten, darin and- <A NAME="S7"><B>|7|</A></B> derer Meinung seien als er und die "Gemeinschaftsehe" (Dieser spezifische Ausdruck r&uuml;hrt von uns. Der Verfasser) die urspr&uuml;ngliche und allgemeine Form des Geschlechtsverkehrs auf der ganzen Erde bildete, einschlie&szlig;lich der Ehe zwischen Geschwistern.<A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_001.htm#F4">(4)</A></A> Seit Darwin hat aber die Untersuchung der Urzust&auml;nde der Gesellschaft gro&szlig;e Fortschritte gemacht; vieles, was damals noch bezweifelt werden konnte, ist heute klar, und so w&uuml;rde Darwin wahrscheinlich selbst, wenn er noch lebte, seine alten Zweifel haben fallenlassen. Ziegler zweifelt die Lehre Darwins an, da&szlig; erworbene Eigenschaften vererbt werden k&ouml;nnten, und bek&auml;mpft diese Auffassung auf das nachdr&uuml;cklichste; aber die von Darwin selbst im Zweifel gelassene Anschauung, da&szlig; Monogamie das urspr&uuml;ngliche Verh&auml;ltnis der Geschlechter unter den Menschen gewesen sei, akzeptiert er als unfehlbar, mit der Inbrunst eines gl&auml;ubigen Christen, der sein Seelenheil gef&auml;hrdet sieht, wenn er nicht an das Dogma der heiligen Dreieinigkeit oder als Katholik an die unbefleckte Empf&auml;ngnis Marias glauben w&uuml;rde. Ziegler befindet sich in schwerer Selbstt&auml;uschung, wenn er durch seine sehr dogmatische, aber historisch und naturwissenschaftlich grundfalsche Anzweiflung erwiesener Tatsachen die Entwicklungsphasen im Geschlechtsverkehr der verschiedenen Kulturstufen der Menschheit wegleugnen zu k&ouml;nnen glaubt. </P>
<P>Es geht Ziegler und den mit ihm Gleichdenkenden mit dieser im Sinne Morgans aufgefa&szlig;ten Entwicklung des Geschlechtsverh&auml;ltnisses auf den verschiedenen Gesellschaftsstufen wie der gro&szlig;en Mehrzahl unserer Gelehrten mit der materialistischen Geschichtsauffassung. Die Einfachheit und Nat&uuml;rlichkeit derselben, durch die alle sonst so widersprechenden und unklar erscheinenden Vorg&auml;nge erst klar und verst&auml;ndlich werden, leuchtet ihnen nicht ein; sie ist zu einfach und gibt der Spekulation keinen Raum. Im weiteren f&uuml;rchten sie - ohne sich dessen oft selbst klar bewu&szlig;t zu sein - die Konsequenzen derselben f&uuml;r den Bestand der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung; denn gelten die Gesetze der Entwicklung auch f&uuml;r die Gesellschaft, wie kann dann die b&uuml;rgerliche Gesellschaft behaupten, da&szlig; es &uuml;ber sie hinaus keine bessere Gesellschaftsordnung mehr gebe? </P>
<P>Ziegler begreift nicht den Zusammenhang der Lehren Darwins mit der sozialistischen Weltanschauung; ich empfehle ihm auch hier, die <A NAME="S8"><B>|8|</A></B> beiden ersten Kapitel aus F. A Langes "Arbeiterfrage" zu lesen, betitelt "Der Kampf um das Dasein" und "Der Kampf um die bevorzugte Stellung"; vielleicht wird ihm dort klar, was ihm bei mir unklar geblieben ist. Da&szlig; ferner Ziegler unrecht hat, wenn er glaubt, Virchows Ansicht &uuml;ber den Darwinismus, der zum Sozialismus f&uuml;hre, gegen mich verwenden zu k&ouml;nnen, habe ich auf Seite 291 dieses Buches nachgewiesen. </P>
<P>Indem ich Darwins naturwissenschaftliche Lehren als in inniger Beziehung zur sozialistischen Weltanschauung betrachte, glaubt Ziegler diese Auffassung auch damit widerlegen zu k&ouml;nnen, da&szlig; er sich auf Darwins Urteil &uuml;ber die Kriege und auf seine malthusianischen Anschauungen bezieht. Vor allem mu&szlig; ich verlangen, da&szlig;, wenn man mich zitiert, man auch richtig zitiert. Was Ziegler auf Seite 186 seiner Schrift als meine Auffassung &uuml;ber den ewigen Frieden zitiert, ist grundfalsch und zeigt seine vollkommene Unf&auml;higkeit, sich in die Gedankenwelt eines Sozialisten finden zu k&ouml;nnen. Da&szlig; manche Kriege einen kulturf&ouml;rdernden Einflu&szlig; gehabt, kann man unbedenklich zugeben, da&szlig; aber alle Kriege diesen Charakter gehabt, kann nur ein Ignorant in der Geschichte behaupten. Und da&szlig; gar heute die Kriege bei der massenhaften T&ouml;tung der kr&auml;ftigsten M&auml;nner, der Bl&uuml;te der Kulturnationen, und der massenhaften Vernichtung von Kulturmitteln, die gegenw&auml;rtig Kriege verschulden, dem Fortschritt der Menschheit f&ouml;rderlich sein sollen, kann nur ein Barbar noch glauben. Jeder l&auml;ngere Friede w&auml;re dann nach der Auffassung der Ziegler und Genossen ein Verbrechen an der Menschheit. Was Ziegler &uuml;ber dieses Kapitel in seinem Buche sagt, erhebt sich nicht &uuml;ber die platteste Spie&szlig;b&uuml;rgerei. Nicht h&ouml;her steht, was er, gest&uuml;tzt auf Darwin, &uuml;ber den Malthusianismus sagt. Darwins g&auml;nzlicher Mangel an sozial&ouml;konomischem Wissen verleitete ihn zu den gewagtesten Behauptungen, sobald es sich um soziale Themata handelte; aber seit Darwin sind auf dem sozialen Gebiete so gewaltige Fortschritte gemacht worden, so da&szlig;, was f&uuml;r Darwin noch verzeihlich war, f&uuml;r einen seiner J&uuml;nger es nicht mehr ist, namentlich wenn dieser wie Ziegler mit der Pr&auml;tension auftritt, auf diesem Gebiete ein ma&szlig;gebendes Urteil zu haben. Was ich hier&uuml;ber gegen ihn zu sagen h&auml;tte, habe ich in dem Abschnitt dieses Buches "Bev&ouml;lkerung und &Uuml;berv&ouml;lkerung" gesagt, ich verweise hier darauf. Einer der Haupttr&uuml;mpfe, die Ziegler gegen mich ausspielt, betrifft <A NAME="S9"><B>|9|</A></B> meine Auffassung von der Entwicklungsf&auml;higkeit des Menschen und speziell der Frau unter vern&uuml;nftigen und naturgem&auml;&szlig;en gesellschaftlichen Beziehungen, und zwar durch Erziehung und Vererbung. Ziegler legt hier seiner abweichenden Meinung, da&szlig; Vererbung erworbener Eigenschaften ausgeschlossen oder doch erst in unendlich langen Zeitr&auml;umen m&ouml;glich sei - wobei er sich auf Weismann st&uuml;tzt -, eine solche Bedeutung bei, da&szlig; er davon die Durchf&uuml;hrung der sozialistischen Idee abh&auml;ngig macht. Er &auml;u&szlig;ert: "Ehe die Menschen der neuen sozialen Organisation sich angepa&szlig;t h&auml;tten, w&uuml;rde die neue Organisation l&auml;ngst untergegangen sein" (Seite 19). Dieser Satz spricht f&uuml;r eine eigent&uuml;mlich naive Auffassung, die Ziegler von werdenden Gesellschaftsformationen hat. Er verkennt, da&szlig; die gesellschaftlichen Bed&uuml;rfnisse es sind, welche neue Gesellschaftsformationen erzeugen, die Gesellschaftsformation also mit den Menschen und die Menschen mit ihr wachsen, eins aus dem anderen und beides miteinander entsteht. Eine neue Gesellschaftsordnung ist eben ohne die Menschen, welche sie wollen und bef&auml;higt sind, sie am Leben zu erhalten und zur Fortentwicklung zu bringen, unm&ouml;glich. Wenn irgendwo von Anpassung die Rede sein kann, so hier. Die g&uuml;nstigeren Umst&auml;nde, die jede neue Gesellschaftsordnung gegen&uuml;ber der fr&uuml;heren enth&auml;lt, &uuml;bertragen sich auch auf die Individuen und veredeln sie stetig. </P>
<P>Nach Ziegler erscheint die Auffassung von der Vererbung erworbener Eigenschaften bereits eine so abgetane, da&szlig; nur noch R&uuml;ckst&auml;ndige an sie glauben. Als Nichtfachmann und &uuml;berh&auml;uft mit Arbeiten der verschiedensten Art, die dem hier behandelten Thema fernliegen, kann ich mir nicht beikommen lassen, auf meine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen mich zu st&uuml;tzen, aber eine aufmerksame Beobachtung hat mir gezeigt, da&szlig; dieses von Ziegler mit so apodiktischer Sicherheit behandelte Thema sehr kontrovers ist und damit die anerkanntesten Vertreter des Darwinismus gegen sich hat. So ver&ouml;ffentlichte Dr. Ludwig B&uuml;chner in der "Beilage zur Allgemeinen Zeitung", M&uuml;nchen, 13. M&auml;rz 1894, einen Aufsatz, betitelt "Naturwissenschaft und Sozialdemokratie", in dem er die Zieglersche Schrift bespricht. B&uuml;chner spricht sich nicht nur gegen die Weismann-Zieglersche Auffassung aus, sondern weist zugleich darauf hin, da&szlig; neben Haeckel auch Huxley, Gegenbaur, F&uuml;rbringer, Eimer, Claus, Cope, Lester Ward und Herbert Spencer sich f&uuml;r die Darwinsche Auffassung aussprechen. Weiter hat Hake in einer von Fachleuten sehr gesch&auml;tz- <A NAME="S10"><B>|10|</A></B> ten Streitschrift "Gestaltung und Vererbung. Eine Entwicklungsmechanik der Organismen" <A NAME="ZF5"><A HREF="beaa_001.htm#F5">(5)</A></A>, gegen Weismann Stellung genommen. Auch Hegar spricht sich in seiner gegen mich gerichteten Abhandlung gegen Weismann aus (Seite 130 u. f.). Ganz und gar auf dem Boden der Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften steht ferner Professor Dr. Bodel, der in seiner Schrift "Moses oder Darwin. Eine Schulfrage" <A NAME="ZF6"><A HREF="beaa_001.htm#F6">(6)</A></A>, Seite 99 w&ouml;rtlich &auml;u&szlig;ert: "Von gr&ouml;&szlig;ter Wichtigkeit sind nun aber die Tatsachen der progressiven oder fortschreitenden Vererbung. Das Wesen derselben besteht darin, da&szlig; auch individuelle Merkmale, also neulich aufgetretene Merkmale, Eigenschaften j&uuml;ngeren Datums auf die Nachkommen vererbt werden k&ouml;nnen." Und Haeckel schreibt &uuml;ber dieselbe Frage in einem Briefe an L. B&uuml;chner unter dem 3. M&auml;rz 1894 - zitiert in der obenerw&auml;hnten Besprechung des Zieglerschen Buches durch B&uuml;chner -: "Aus folgendem Aufsatz ersehen Sie, da&szlig; mein Standpunkt in dieser fundamentalen Frage unver&auml;ndert derselbe streng monistische (und zugleich Lamarcksche) ist. Die Theorien von Weismann und &auml;hnliche f&uuml;hren immer zu<I> dualistischen</I> und<I> teleologischen</I> Vorstellungen, die zuletzt rein mystisch werden. In der Ontogenie f&uuml;hren sie direkt zum alten Pr&auml;formationsdogma" usw. </P>
<P>Auf demselben Boden stehen Lombroso und Ferrero in ihrem Werk "Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte" <A NAME="ZF7"><A HREF="beaa_001.htm#F7">(7)</A></A>, in dem sie auf Seite 140 von den Instinkten der Unterwerfung und Hingabe sprechen, welche die Frau durch Anpassung erworben habe. Ebenso l&auml;&szlig;t Tarnowsky <A NAME="ZF8"><A HREF="beaa_001.htm#F8">(8)</A></A> eine unter gewissen Verh&auml;ltnissen erworbene Perversit&auml;t des Geschlechtssinnes vererben, und Krafft-Ebing <A NAME="ZF9"><A HREF="beaa_001.htm#F9">(9)</A></A> spricht von dem Charakter der Frau, der durch unz&auml;hlige Generationen hindurch nach einer bestimmten Richtung hin ausgebildet wurde. Diese Angaben bezeugen, da&szlig; ich mich mit meiner Auffassung &uuml;ber die Vererbung erworbener Eigenschaften in angesehener Gesellschaft befinde und Ziegler mehr behauptete, als er beweisen kann. Ziegler ist seinem b&uuml;rgerlichen Beruf nach Naturwissenschaftler, aber als Zoon politikon - um mit Aristoteles zu reden - h&ouml;chst wahr- <A NAME="S11"><B>|11|</A></B> scheinlich Nationalliberaler. Daf&uuml;r spricht die h&auml;ufige Unbestimmtheit der Ausdrucksweise, wenn er f&uuml;r seine Beweisf&uuml;hrung in Verlegenheit kommt; daf&uuml;r sprechen ferner die krampfhaften Anstrengungen, die er macht, um die gesamte Menschheitsentwicklung mit dem gegenw&auml;rtigen b&uuml;rgerlichen Zustand in Einklang zu bringen, indem er zu zeigen versucht, da&szlig; die sozialen und politischen Institutionen in bezug auf Ehe, Familie, Staat usw. zu allen Zeiten den heutigen &auml;hnelten, womit bewiesen werden soll, da&szlig; am Ende des neunzehnten Jahrhunderts der Philister sich keine Gedanken dar&uuml;ber zu machen braucht, was das zwanzigste Jahrhundert ihm bringen wird. </P>
<P>Ich komme zu Hegar. Dieser bezeichnet sein Buch als eine sozialmedizinische Studie. Wenn er das "sozial" striche und den hierauf bez&uuml;glichen Teil seiner Abhandlung fortlie&szlig;e, h&auml;tte die Arbeit nicht unwesentlich gewonnen. Denn der soziale Teil ist &auml;u&szlig;erst d&uuml;rftig und zeugt von h&ouml;chst mangelhafter Kenntnis unserer sozialen Verh&auml;ltnisse und Zust&auml;nde. Hegar erhebt sich darin mit keinem Satze &uuml;ber das b&uuml;rgerliche Mittelma&szlig; hinaus, und wie Ziegler ist er g&auml;nzlich unverm&ouml;gend, auch nur einen Gedanken zu fassen, der &uuml;ber die engsten b&uuml;rgerlichen Auffassungen hinausgeht. Hegar hat daher in weiser Selbsterkenntnis sehr klug getan, da&szlig; er seinen urspr&uuml;nglichen Plan (siehe Vorrede in seinem Buche), eine Bearbeitung der ganzen Frauenfrage zu unternehmen, aufgab; er w&auml;hlte ein beschr&auml;nktes Thema, "um so den falschen und &uuml;beraus sch&auml;dlichen Ansichten und Lehren entgegenzutreten, welche ... insbesondere durch Bebels 'Die Frau und der Sozialismus' in die gro&szlig;en Klassen geworfen werden". Und er setzt weiter hinzu: Gute, auf wirklich wissenschaftlicher Grundlage fu&szlig;ende Arbeiten, wie Ribbings "Sexuelle Hygiene", f&auml;nden dagegen verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig wenig Anklang. </P>
<P>Letzteres Buch ist mir wohlbekannt, der Verfasser ist ein auf streng religi&ouml;sem Boden stehender Herr. Das Buch ist aber recht geringwertig und tr&auml;gt seine konservative Tendenz klar aufgedr&uuml;ckt. Von stark ausgepr&auml;gter Tendenz ist allerdings auch Hegars Widerlegung meiner Schrift. In seinem Eifer zu widerlegen, beweist er mehr, als er als Fachmann beweisen kann. Dabei nimmt er &uuml;berall die vornehmen Klassen in Schutz, die er als Muster von Sittlichkeit darstellt, wohingegen er Steine auf Steine auf die Arbeiter wirft, so da&szlig; man an zahlreichen Stellen glaubt, es mit einem klassenbewu&szlig;ten Bourgeois und nicht mit einem Manne der Wissenschaft zu tun zu haben. Soweit da- <A NAME="S12"><B>|12|</A></B> gegen Hegar als Mann der Wissenschaft in seiner Darlegung wirklich objektiv ist, enth&auml;lt seine Schrift eine Reihe belehrender Mitteilungen, deren Verbreitung man nur w&uuml;nschen kann. Dagegen sucht man in seiner Schrift vergeblich nach gro&szlig;en, allgemeinen Gesichtspunkten und Ma&szlig;regeln sozialer Hygiene, wie sie nur der Staat beziehungsweise die Gesellschaft durchf&uuml;hren kann, sobald einmal deren Notwendigkeit anerkannt ist, um das ganze Geschlecht auf dem Boden vorgeschrittenster wissenschaftlicher Erkenntnis zu erziehen. </P>
<P>In der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft gibt es zwei Klassen, die dem Proletariat nicht angeh&ouml;ren, die aber, wenn sie sich von ihrer engen b&uuml;rgerlichen Auffassungsweise zu emanzipieren verm&ouml;chten, mit Jubel dem Sozialismus zustimmen m&uuml;&szlig;ten: das sind die Lehrer und die Mediziner (Hygieniker, Gyn&auml;kologen, &Auml;rzte). Man sollte also gerade von M&auml;nnern wie Hegar und seinesgleichen erwarten, die durch ihre berufliche Stellung die zahllosen &Uuml;bel kennen, an welchen die gro&szlig;e Mehrheit der Menschen und insbesondere die Frauen wesentlich infolge unserer sozialen Verh&auml;ltnisse leiden, da&szlig; sie sozialen Heil- und Umgestaltungsma&szlig;regeln im gro&szlig;en, die allein wirklich helfen k&ouml;nnen, das Wort redeten. Das geschieht aber nicht. Sie verteidigen vielmehr Zust&auml;nde, welche die Unnatur selbst sind, und decken mit ihrer Autorit&auml;t die faul und morsch gewordene Gesellschaftsordnung einer Gesellschaft, die t&auml;glich beweist, wie ratlos sie den immer gr&ouml;&szlig;er werdenden &Uuml;beln physischer und moralischer Natur gegen&uuml;bersteht. Das ist eben das Emp&ouml;rende an dem Verhalten so vieler M&auml;nner der Wissenschaft, die zum Teil nur den einen Entschuldigungsgrund f&uuml;r sich haben, da&szlig; das gesellschaftliche Milieu, in dem sie leben, und die ihnen durch dasselbe zur zweiten Natur gewordenen Vorurteile ihnen das Dar&uuml;berhinausdenken unm&ouml;glich machen; sie bleiben bei aller Wissenschaftlichkeit "Arme im Geiste".</P>
<P>Hegar hat wie Ziegler eine eigene Art zu zitieren; auch er nimmt Unwesentliches heraus und l&auml;&szlig;t Wesentliches fort und konstruiert alsdann die Widerlegung. Die gro&szlig;e Bedeutung, die ich der<I> normalen</I> Befriedigung des Geschlechtstriebs f&uuml;r reife Menschen beilege, veranla&szlig;t ihn haupts&auml;chlich, gegen mich zu polemisieren, wobei er tut, als rede ich der Unm&auml;&szlig;igkeit das Wort. Er hebt hervor, da&szlig; ich mich auf Buddha und Schopenhauer beziehe, und bezeichnet die &Auml;u&szlig;erungen Hegewischs und Buschs als veraltet, verschweigt aber, da&szlig; Autorit&auml;ten wie Klencke, Plo&szlig; und Krafft-Ebing, die sich weit eingehen- <A NAME="S13"><B>|13|</A></B> der als die Vorgenannten &auml;u&szlig;ern, auf meiner Seite stehen, In der vorliegenden Auflage zitiere ich weiter den konservativen Moralstatistiker v. &Ouml;ttingen (Seite 130 ff.), der auf Grund seiner statistischen Studien zu ganz &auml;hnlichen Resultaten kommt wie ich. Diesen allen hat Hegar nichts Besseres gegen&uuml;berzustellen als eine Statistik von Decarpieux &uuml;ber die Sterblichkeit der Ledigen in Frankreich aus den Jahren 1685 bis 1745 (!!!) und eine solche der Eheleute nach Bauer, die sich auf die Jahre 1776 bis 1834 bezieht. Beide Statistiken sind zu einer Zeit aufgenommen, wo die Statistik noch sehr im argen lag, und k&ouml;nnen als beweiskr&auml;ftig nicht angesehen werden. </P>
<P>Aber Hegar verwickelt sich auch in starke Widerspr&uuml;che. Auf Seite 9 seiner Schrift f&uuml;hrt er als Beweis an f&uuml;r die Ungef&auml;hrlichkeit geschlechtlicher Enthaltsamkeit erwachsener Menschen die katholischen Geistlichen sowie die m&auml;nnlichen und weiblichen Ordensangeh&ouml;rigen, die aus freiem Willen das Z&ouml;libat auf sich nehmen. Er bek&auml;mpft den Einwand, da&szlig; diese Personen nicht enthaltsam lebten; dazu zwinge sie au&szlig;er dem Pflichtgef&uuml;hl die &ouml;ffentliche Stellung, wodurch jeder Fehltritt dem allgemeinen Klatsch verfiele und bald zu Ohren des Vorgesetzten k&auml;me. Aber auf Seite 37 und 38 seines Buches f&uuml;hrt er w&ouml;rtlich aus: "Eine von Druruy (bei Bertillon zitiert) festgestellte Tatsache<I> spricht doch sehr entschieden f&uuml;r einen direkten nachteiligen Einflu&szlig; des unterdr&uuml;ckten Geschlechtstriebs auf die Erzeugung dieser Kategorie von Verbrechen</I> (Notzucht, Attentate gegen Kinder usw.). Druruy hat die w&auml;hrend drei&szlig;ig Monaten in von Laien oder von Geistlichen geleiteten Schulen vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Sittlichkeit gegen&uuml;bergestellt. 34.873 Laienschulen wiesen 19 Verbrechen und 8 Vergehen, 3.581 Kongregationistenschulen 23 Verbrechen und 32 Vergehen auf.<I> Die von religi&ouml;sen Kongregationen gehaltenen Institute z&auml;hlen daher viermal mehr Vergehen und zw&ouml;lfmal mehr Verbrechen gegen die Sittlichkeit!</I>" Ich meine, wer sich selbst so widerlegt, den brauche ich nicht zu widerlegen. </P>
<P>&Auml;hnliche Widerspr&uuml;che enth&auml;lt Hegars Schrift noch mehrere. Auf Seite 18 und 19 gibt er Sterblichkeitstabellen &uuml;ber Frankreich, Paris, Belgien, Holland, Preu&szlig;en, Bayern, welche Auskunft geben &uuml;ber die Zahl der Gestorbenen in den verschiedenen Altersklassen auf je 1.000 Verheiratete oder Ledige. Diese Tabellen sprechen fast s&auml;mtlich zugunsten meiner Auffassung, denn sie ergeben, da&szlig; die Sterblichkeit der Ledigen, die j&uuml;ngste Altersklasse von 15 bis 20 Jahren ausgenom- <A NAME="S14"><B>|14|</A></B> men, durchschnittlich eine h&ouml;here ist als die der Verheirateten. Allerdings stirbt ein nicht unerheblicher Teil verheirateter Frauen im Kindbett oder an den Folgen des Kindbetts im Alter von 20 bis 40 Jahren, und Hegar schlie&szlig;t aus dieser Tatsache und aus den vielfachen Krankheiten, die aus &uuml;berstandenen Geburten der Frauen entstehen, da&szlig; die Befriedigung des Liebesbed&uuml;rfnisses die Sterblichkeit bei dem Weibe erheblich steigere. Er &uuml;bersieht aber, da&szlig; diese nicht am Geschlechtsverkehr, sondern an den Folgen desselben sterben, und hieran nur die<I> physische</I> Beschaffenheit einer gro&szlig;en Zahl von Frauen schuld ist, die ihnen das &Uuml;berstehen des Geburtsaktes so erschwert. Und diese physische Schw&auml;che ist wiederum die Wirkung unserer erb&auml;rmlichen<I> sozialen</I> Verh&auml;ltnisse: schlechte Ern&auml;hrungs-, Wohn-, Lebensweise, die Art der Besch&auml;ftigung, der geistigen und physischen Erziehung, der Bekleidung (Korsett) usw. Auch mu&szlig; Hegar als Fachmann wissen, in wie zahlreichen F&auml;llen mangelhafte oder falsche Geburtshilfe oder Ansteckung durch den Ehemann die Schuld an schweren Leiden der W&ouml;chnerinnen tragen. Alle diese M&auml;ngel k&ouml;nnten durch vern&uuml;nftige soziale Einrichtungen und Erziehungsmethoden behoben werden, und die Folgen, die heute eintreten, w&auml;ren nicht vorhanden. Indem Hegar ferner mir vorwirft, die sch&auml;dliche Einwirkung unbefriedigten Geschlechtstriebs stark zu &uuml;bertreiben, verf&auml;llt er in das andere Extrem; er schildert die Sch&auml;den des befriedigten Geschlechtstriebs bei der Frau derart, da&szlig; der Apostel Paulus recht beh&auml;lt, der bekanntlich lehrte: Heiraten ist gut, nicht heiraten besser. </P>
<P>Hegar bestreitet ferner die Richtigkeit meiner Auffassung, da&szlig; bei Unverheirateten Unbefriedigtsein des Geschlechtstriebs auch auf die Zahl der Selbstmorde von Einflu&szlig; sei. Ich verweise hier zun&auml;chst auf die statistischen Angaben auf Seite 130 f. meines Buches. Hegar mu&szlig; aber selbst zugeben (Seite 23):<I> "Im gro&szlig;en und ganzen ist die Selbstmordfrequenz des ledigen Standes h&ouml;her."</I> Warum also der Streit? </P>
<P>Im weiteren bek&auml;mpft Hegar meine Auffassung, da&szlig; die Unterdr&uuml;ckung des Geschlechtstriebs bei Frauen h&auml;ufig zu Geisteskrankheiten, zu Satyriasis und Nymphomanie f&uuml;hre. Aber auch diese Widerlegung meiner Auffassung ist ihm vollst&auml;ndig mi&szlig;lungen. Auf Seite 80 &auml;u&szlig;ert er: "Das weibliche Geschlecht ist dem Irrsinn im gro&szlig;en und ganzen mehr unterworfen als das m&auml;nnliche; doch ist der Unterschied nicht bedeutend. Dagegen findet sich eine<I> sehr gro&szlig;e Differenz zwischen Ledigen und Verheirateten</I>, indem sich bei<I> ersteren</I> <A NAME="S15"><B>|15|</A></B> die Zahl etwa<I> verdoppelt</I>. Das Verh&auml;ltnis tritt noch<I> viel sch&auml;rfer hervor</I>, wenn man die Kinder, bei welchen die geistige Erkrankung nur selten beobachtet wird, nicht ber&uuml;cksichtigt, sondern nur die Ledigen vom f&uuml;nfzehnten Jahre an rechnet.<I> Man erh&auml;lt dann eine nahezu viermal gr&ouml;&szlig;ere Irrsinnsquote f&uuml;r die Ledigen gegen&uuml;ber den Verheirateten.</I>" Hegar sucht zwar diese gro&szlig;e Differenz zuungunsten der Ledigen aus verschiedenen Gr&uuml;nden zu erkl&auml;ren, und ich kann einen Teil dieser Gr&uuml;nde um so leichter gelten lassen, da ich nirgends behauptete, da&szlig; der unterdr&uuml;ckte Geschlechtstrieb die<I> einzige</I> Ursache krankhafter Zust&auml;nde bei Ledigen bilde; aber dennoch mu&szlig; Hegar schlie&szlig;lich zugeben (Seite 31):<I> "Doch ist der Unterschied zwischen Ledigen und Verheirateten zu gro&szlig;, um hieraus</I> (aus den von ihm angef&uuml;hrten Gr&uuml;nden)<I> allein erkl&auml;rt zu werden."</I> Ich frage wieder: Warum dann der Streit? </P>
<P>Weiter sagt er Seite 23: "Nymphomanie und Satyriasis entstehen zuweilen bei sehr erheblichen anatomischen Ver&auml;nderungen in dem Sexualapparat oder auch im Zentralnervenapparat." Aber woher diese St&ouml;rungen kommen, dar&uuml;ber gibt er nur eine sehr unbefriedigende Erkl&auml;rung. Da&szlig; Nichtbefriedigung einen Beitrag zur Entstehung des Leidens bilde,<I> gibt er zu</I>. "Allein das erste und die Hauptsache ist doch die k&uuml;nstlich und gewaltsam hervorgerufene Erregung." (!) Aber diese Erregung ist doch in der geschlechtlichen Natur des Menschen begr&uuml;ndet, sonst w&auml;re sie unm&ouml;glich. Da&szlig; ferner die Entstehung der Hysterie schon in alten Zeiten dem unterdr&uuml;ckten Geschlechtstrieb zugeschrieben wurde, gibt Hegar ebenfalls zu, er will aber diesen Grund nicht gelten lassen; dennoch &auml;u&szlig;ert er Seite 35: "In fr&uuml;herer Zeit und, wenn auch seltener, in unseren Tagen hat man<I> geh&auml;ufte Erkrankungen</I> von Hysterie, hysterische Psychose, Veitstanz in geschlossenen Anstalten wie<I> Nonnenkl&ouml;stern, M&auml;dchenpensionaten</I> beobachtet, welche ebenfalls vielfach dem unterdr&uuml;ckten Geschlechtstrieb zugeschrieben worden sind." Hegar widerspricht diesem nicht, er sucht nur die Ursachen zu erkl&auml;ren, gegen die ich mich ebenfalls um so weniger zu erkl&auml;ren brauche, als ich sie selbst bereits teilweise anf&uuml;hrte. "Das Krankheitsbild gewinnt, zumal bei dem Weibe, leicht einen sexuellen Anstrich", sagt Hegar weiter, ein Zugest&auml;ndnis, das ich wiederum akzeptiere. Ferner sagt er: "Inwieweit bei der Entstehung solcher mit sexuellem Anstrich verlaufender Nervenleiden und Gem&uuml;tsst&ouml;rungen noch die gewaltsame Zur&uuml;ckdr&auml;ngung eines der <A NAME="S16"><B>|16|</A></B> Kraft und dem Lebensalter des Beteiligten ad&auml;quaten Geschlechtstriebs mitwirkte, ist schwer zu entscheiden." Auch dieses Zugest&auml;ndnis gen&uuml;gt mir. </P>
<P>Im sechsten Abschnitt seiner Schrift behandelt Hegar die &Uuml;bel, welche f&uuml;r die Frau aus dem Fortpflanzungsgesch&auml;ft erwachsen. Wie schon weiter oben angef&uuml;hrt, sieht Hegar weit gr&ouml;&szlig;ere Gefahren und &Uuml;bel als vorhanden an f&uuml;r die verheiratete Frau als f&uuml;r die nichtverheiratete, obgleich er die Nachtseite der Nichtbefriedigung nicht g&auml;nzlich absprechen will. Und doch belehrt das ganze Aussehen alternder M&auml;dchen, sogenannter alter Jungfern, sogar den Laien &uuml;ber die &Uuml;bel des Nichtverheiratetseins. Das kann auch Hegar nicht ganz verschweigen, deshalb &auml;u&szlig;ert er auf Seite 30: "Es gibt aber auch eine andere Klasse von M&auml;dchen, welche ganz gesund sind oder wenigstens keine irgend betr&auml;chtlichere St&ouml;rung ihrer K&ouml;rperentwicklung darbieten und die allm&auml;hlich in ein h&ouml;heres Lebensalter einr&uuml;cken, ohne zu heiraten. Diese bieten nun nicht selten in mehr oder weniger ausgepr&auml;gter Weise ein Bild dar, welches mit dem der Bleichs&uuml;chtigen manches gemein hat; Gef&uuml;hl der Schw&auml;che und Hinf&auml;lligkeit, Unlust zur Arbeit, Verstimmung, gro&szlig;e Reizbarkeit, blasses Aussehen, Abmagerung, St&ouml;rungen der Genitalfunktionen u.a." Diese S&auml;tze enthalten also ebenfalls wieder ein wertvolles Zugest&auml;ndnis. Und dennoch R&auml;uber und M&ouml;rder &uuml;ber mich, weil ich, nur weniger verklausuliert als er, die Dinge beim rechten Namen nenne. </P>
<P>Was Hegar im siebenten Abschnitt seiner Abhandlung &uuml;ber die Unm&auml;&szlig;igkeit im Geschlechtsgenu&szlig; und die Folgen sogenannter wilder Liebe sagt, dar&uuml;ber verliere ich kein Wort. Einmal, weil er, soweit er darin gegen mich polemisiert, mich nur mi&szlig;verstanden hat, ob absichtlich oder unabsichtlich, lasse ich dahingestellt sein, oder weil es sich um Ausf&uuml;hrungen handelt, die meine Ausf&uuml;hrungen &uuml;berhaupt nicht treffen. </P>
<P>Im weiteren passiert es Hegar, wie allen b&uuml;rgerlichen Ideologen, da&szlig; er die Wirkung an die Stelle der Ursache setzt, zum Beispiel die Trunksucht aus einem "ethischen Defekt" statt aus sozialen Ursachen ableitet. Ich habe mich in diesem Buche so gr&uuml;ndlich &uuml;ber die Wirkung sozialer Verh&auml;ltnisse auf alle Lebensbeziehungen der Menschen ausgesprochen, da&szlig; ich an dieser Stelle kein Wort weiter hier&uuml;ber verlieren will. </P>
<P>Sehr aufgebracht ist Hegar dar&uuml;ber, da&szlig; ich ausf&uuml;hre, wie so h&auml;ufig <A NAME="S17"><B>|17|</A></B> die T&ouml;chter des Volkes von den Angeh&ouml;rigen der "besitzenden und gebildeten Klassen" verf&uuml;hrt w&uuml;rden. Das sei unwahr, fast ohne Ausnahme seien die Schuldigen Soldaten, Arbeiter, Gesellen, Diener, selten figuriere auch einmal ein Angeh&ouml;riger der besseren St&auml;nde, welcher dann seinen Fehler, an dem er vielleicht nicht einmal allein beteiligt sei, sehr schwer b&uuml;&szlig;en m&uuml;sse. Eine unverfrorenere Behauptung als diese ist wohl kaum m&ouml;glich. Gewi&szlig; sind die V&auml;ter der zirka 170.000 unehelichen Kinder, die in Deutschland durchschnittlich j&auml;hrlich geboren werden, nur zum Teil Angeh&ouml;rige der "besitzenden und gebildeten Klassen", aber<I> prozentual</I> stellen sie ein<I> ungew&ouml;hnlich gro&szlig;es Kontingent</I>. Leider kommt es nur gar zu h&auml;ufig vor, da&szlig; Knechte, Arbeiter und namentlich Diener in vornehmen H&auml;usern bereit sind, die S&uuml;nden ihrer Herren auf sich zu nehmen. Hegar mache doch nur einmal die entsprechenden Untersuchungen in der Geburtsklinik zu Freiburg, und er wird, wenn er in diesem Punkte &uuml;berhaupt der Belehrung zug&auml;nglich ist, eines Besseren belehrt werden. Auch empfehle ich ihm, die Schrift seines j&uuml;ngeren Kollegen, des Dr. Max Taube in Leipzig, "Der Schutz der unehelichen Kinder", zu lesen, der bei Er&ouml;rterung dieses Kapitels zu ganz<I> entgegengesetzten</I> Urteilen wie Hegar kommt. Es ist der blinde, voreingenommene Verteidiger der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, der bei Beurteilung namentlich sozialer Momente aus Hegar spricht. So auch, wenn er sich zu einem f&ouml;rmlichen Panegyrikus f&uuml;r das in Frankreich herrschende Zweikindersystem erhebt, das nach seiner Meinung als eine Art Idealzustand anzusehen ist. &Uuml;ber Ursachen und Wirkungen dieses Systems habe ich mich im zweiten Abschnitt dieses Buches gen&uuml;gend ausgesprochen. Hegar, indem er sich zum Verteidiger dieses Systems aufwirft, &uuml;bersieht wiederum vollkommen die Folgen, die dasselbe auf den<I> Moralzustand</I> der franz&ouml;sischen Bev&ouml;lkerung aus&uuml;bt. Da&szlig; der Massenabortus, der Kindsmord, der Kindermi&szlig;brauch und die unnat&uuml;rliche Unzucht sehr erheblich dadurch gef&ouml;rdert wurden, ist ihm, dem Gyn&auml;kologen, unbekannt. Auf derselben H&ouml;he der Anschauung stehen die &uuml;brigen sozialen wie die politischen Gesichtspunkte, die er gegen meine bez&uuml;glichen Ausf&uuml;hrungen geltend macht. So zum Beispiel, was er &uuml;ber das Recht auf Arbeit - das bekanntlich die deutsche Sozialdemokratie niemals als Programmforderung anerkannte -, &uuml;ber die internationalen Beziehungen, die Arbeitseinheiten und die Natur des Geldes sagt. Von <A NAME="S18"><B>|18|</A></B> wahrhaft ph&auml;nomenaler Oberfl&auml;chlichkeit zeugen auch seine wirtschaftlichen Ansichten &uuml;ber die Agrarfragen. Danach ist der Ruin des englischen Ackerbaues der Aufhebung der Kornz&ouml;lle in England - die bekanntlich 1846 aufgehoben wurden - geschuldet! Da&szlig; ich mehrfach in meinem Buche hervorhebe, wie heute fruchtbarer Boden vielfach zur Anlegung von Wald verwendet werde, der dann mit Hirschen und Rehen bev&ouml;lkert wird, damit vornehme und reiche Herren ihre Jagdpassionen befriedigen k&ouml;nnen, veranla&szlig;t ihn (Seite 94) zu folgender Entgegnung: "Der Jagd zuliebe sind bei uns in Deutschland keine oder gewi&szlig; sehr wenige zu sonstigen Zwecken besser brauchbare L&auml;ndereien zu Wald angepflanzt oder sonst ihrer richtigen Bestimmung entzogen worden. Kaum gelingt es, manche Tiergattungen wie Hirsche, Wildschweine noch vor der g&auml;nzlichen Ausrottung zu sch&uuml;tzen; freilich, dem Anh&auml;nger eines einseitigen Utilit&auml;tsprinzips ist dies gleichg&uuml;ltig, und es ist ihm schon recht, wenn der letzte Hase und das letzte Reh niedergeknallt w&auml;ren. Wie s&auml;he es aber dann in Wald und Flur aus!" </P>
<P>So schreibt nur ein Mann, der von dem, was sich in Wirklichkeit zutr&auml;gt, keine Ahnung hat, sonst m&uuml;&szlig;te er wissen, da&szlig; unsere Bauern in Nord und S&uuml;d, Ost und West alle darin &uuml;bereinstimmen, da&szlig; der Schaden, den die geflissentliche Hegung des Wildstandes in allen Teilen Deutschlands verursacht, allm&auml;hlich eine H&ouml;he erreicht hat, die eine Kalamit&auml;t genannt werden mu&szlig;. In der Feudalzeit konnten die Zust&auml;nde hierin kaum schlimmer sein, als sie es in einer Anzahl Gegenden Deutschlands bereits geworden sind. </P>
<P>Auch die eigentliche Agrarfrage l&ouml;st Hegar wunderbar einfach. Er schreibt (Seite 106): "Die Handelspolitik, die Art der Besteuerung, die Gesetzgebung<I> und der gute Wille der Latifundienbesitzer werden das meiste f&uuml;r die Hebung des kleinen und mittleren Bauern tun m&uuml;ssen</I> ..." Er erhofft also vom Wolf die Rettung der Schafe. Da versagt meine F&auml;higkeit und meine Neigung weiterzupolemisieren. </P>
<P>Stellt das deutsche Professorentum keine geschickteren K&auml;mpen wider den Drachen Sozialismus als die Hegar und Ziegler, dann wird dieses moderne "Ungeheuer" der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft Herr. Schlaflose N&auml;chte machen uns solche Siegfriede nicht.<I> </P>
<P>Ostern 1895.</I> </P>
<P ALIGN="RIGHT">A. BEBEL </P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Die Arbeiterfrage. Eine Einf&uuml;hrung von Dr. H. Herkner. Berlin 1894. <A HREF="beaa_001.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Stuttgart 1894, Verlag von Ferdinand Enke. <A HREF="beaa_001.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Stuttgart 1894, Verlag von Ferdinand Enke. <A HREF="beaa_001.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, von Charles Darwin. 20. Kapitel. Sekund&auml;re Geschlechtscharaktere der Menschen. Halle a.d.S., Otto Hendel. <A HREF="beaa_001.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Leipzig 1895. <A HREF="beaa_001.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Stuttgart 1895. F&uuml;nfte, vermehrte Auflage. <A HREF="beaa_001.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> Leipzig 1894. <A HREF="beaa_001.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">(8)</A> Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinnes. Berlin 1886. <A HREF="beaa_001.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">(9)</A> Lehrbuch der Psychiatrie. 1. Band 2. Auflage. <A HREF="beaa_001.htm#ZF9">&lt;=</A></P></BODY>
</HTML>