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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 25 March 2009), see www.w3.org">
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<title>Karl Marx - Die Klassenkaempfe in Frankreich 1848 bis 1850 - I</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p align="center"><a href="../me22/me22_509.htm"><font size="2">Einleitung (1895)</font></a> |
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<a href="me07_009.htm"><font size="2">Inhalt und Einleitung</font></a> | <a href=
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"me07_035.htm"><font size="2">II - Der 13. Juni 1849</font></a></p>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die
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Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850", S. 12-34<br>
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Dietz Verlag Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><font size="5">I<br>
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Die Juniniederlage 1848</font><br>
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<i>Vom Februar bis Juni 1848</i></p>
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<p><b><a name="S12"><12></a></b> Nach der Julirevolution, als der liberale Bankier Lafitte
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seinen compère <Gefatter; Helfershelfer>, den Herzog von Orléans, im Triumph
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auf das Hôtel de Ville <Stadthaus von Paris> geleitete, ließ er das Wort
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fallen: <i>"Von nun an werden die Bankiers herrschen."</i> Lafitte hatte das Geheimnis der
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Revolution verraten.</p>
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<p>Nicht die französische Bourgeoisie herrschte unter Louis-Philippe, sondern <i>eine
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Fraktion</i> derselben, Bankiers, Börsenkönige, Eisenbahnkönige, Besitzer von
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Kohlen- und Eisenbergwerken und Waldungen, ein Teil des mit ihnen ralliierten Grundeigentums -
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die sogenannte <i>Finanzaristokratie</i>. Sie saß auf dem Throne, sie diktierte in den
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Kammern Gesetze, sie vergab die Staatsstellen vom Ministerium bis zum Tabaksbüro.</p>
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<p>Die eigentliche <i>industrielle Bourgeoisie</i> bildete einen Teil der offiziellen Opposition,
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d.h., sie war in der Kammer nur als Minorität vertreten. Ihre Opposition trat um so
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entschiedener hervor, je reiner sich die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie entwickelte und
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je mehr sie selbst nach den in Blut erstickten Emeuten 1832, 1834 und 1839 ihre Herrschaft
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über die Arbeiterklasse gesichert wähnte. <i>Grandin</i>, Fabrikant von Rouen, in der
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konstituierenden wie in der legislativen Nationalversammlung das fanatische Organ der
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bürgerlichen Reaktion, war in der Deputiertenkammer der heftigste Widersacher Guizots.
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<i>Léon Faucher</i>, später durch seine ohnmächtigen Anstrengungen bekannt, sich
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zum Guizot der französischen Kontrerevolution aufzuschwingen, führte in den letzten
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Zeiten Louis-Philippes einen Federkrieg für die Industrie gegen die Spekulation und ihren
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Schleppenträger, die Regierung. <i>Bastiat</i> agitierte im Namen von Bordeaux und des
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ganzen weinproduzierenden Frankreichs gegen das herrschende System.</p>
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<p>Die <i>kleine Bourgeoisie</i> in allen ihren Abstufungen, ebenso die <i>Bauernklasse</i> waren
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vollständig von der politischen Macht ausgeschlossen. Es befanden <a name=
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"S13"><b><13></b></a> sich endlich in der offiziellen Opposition oder gänzlich
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außerhalb des pays légal <des Kreises der Wahlberechtigten> die
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<i>ideologischen</i> Vertreter und Wortführer der angeführten Klassen, ihre Gelehrten,
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Advokaten, Ärzte usw., mit einem Worte: ihre sogenannten <i>Kapazitäten</i>.</p>
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<p>Durch ihre Finanznot war die Julimonarchie von vorn herein abhängig von der hohen
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Bourgeoisie, und ihre Abhängigkeit von der hohen Bourgeoisie wurde die unerschöpfliche
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Quelle einer wachsenden Finanznot. Unmöglich, die Staatsverwaltung dem Interesse der
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nationalen Produktion unterzuordnen, ohne das Gleichgewicht im Budget herzustellen, das
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Gleichgewicht zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen. Und wie dies Gleichgewicht herstellen
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ohne Beschränkung des Staatsaufwandes, d.h. ohne Interessen zu verletzen, die ebenso viele
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Stützen des herrschenden Systems waren, und ohne die Steuerverteilung neu zu regeln, d.h.
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ohne einen bedeutenden Teil der Steuerlast auf die Schultern der hohen Bourgeoisie selbst zu
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wälzen?</p>
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<p><i>Die Verschuldung des Staates</i> war vielmehr das <i>direkte Interesse</i> der durch die
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Kammern herrschenden und gesetzgebenden Bourgeoisfraktion. Das <i>Staatsdefizit</i>, es war eben
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der eigentliche Gegenstand ihrer Spekulation und die Hauptquelle ihrer Bereicherung. Nach jedem
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Jahre ein neues Defizit. Nach dem Verlaufe von vier bis fünf Jahren eine neue Anleihe. Und
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jede neue Anleihe bot der Finanzaristokratie neue Gelegenheit, den künstlich in der Schwebe
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des Bankerotts gehaltenen Staat zu prellen - er mußte unter den ungünstigsten
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Bedingungen mit den Bankiers kontrahieren. Jede neue Anleihe gab eine zweite Gelegenheit, das
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Publikum, das seine Kapitalien in Staatspapiere angelegt, durch Börsenoperationen zu
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plündern, in deren Geheimnis Regierung und Kammermajorität eingeweiht waren.
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Überhaupt bot der schwankende Stand des Staatskredits und der Besitz der Staatsgeheimnisse
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den Bankiers wie ihren Affiliierten in den Kammern und auf dem Throne die Möglichkeit,
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außerordentliche, plötzliche Schwankungen im Kurse der Staatspapiere hervorzurufen,
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deren stetes Resultat der Ruin einer Masse kleinerer Kapitalisten sein mußte und die
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fabelhafte schnelle Bereicherung der großen Spieler. War das Staatsdefizit das direkte
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Interesse der herrschenden Bourgeoisfraktion, so erklärt es sich, wie die
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<i>außerordentlichen</i> Staatsverwendungen in den letzten Regierungsjahren Louis-Philippes
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bei weitem um das Doppelte die außerordentlichen Staatsverwendungen unter Napoleon
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überstiegen, ja beinah jährlich die Summe von 400 Millionen frs. erreichten,
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während die jährliche Gesamtausfuhr Frankreichs im Durchschnitt sich selten zur
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Höhe von 750 Millionen frs. erhob. Die enormen Summen, die so durch <a name=
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"S14"><b><14></b></a> die Hände des Staates flossen, gaben überdem Gelegenheit zu
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gaunerischen Lieferungskontrakten, Bestechungen, Unterschleifen, Spitzbübereien aller Art.
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Die Übervorteilung des Staates, wie sie durch die Anleihen im Großen geschah,
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wiederholte sich bei den Staatsarbeiten im Detail. Das Verhältnis zwischen Kammer und
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Regierung vervielfältigte sich als Verhältnis zwischen den einzelnen Administrationen
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und den einzelnen Unternehmern.</p>
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<p>Wie die Staatsverwendungen überhaupt und die Staatsanleihen, so exploitierte die
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herrschende Klasse die <i>Eisenbahnbauten</i>. Dem Staate wälzten die Kammern die
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Hauptlasten zu, und der spekulierenden Finanzaristokratie sicherten sie die goldenen
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Früchte. Man erinnert sich der Skandale in der Deputiertenkammer, wenn es gelegentlich zu
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Vorschein kam, daß sämtliche Mitglieder der Majorität, ein Teil der Minister
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eingerechnet, als Aktionäre bei denselben Eisenbahnbauten beteiligt waren, die sie hinterher
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als Gesetzgeber auf Staatskosten ausführen ließen.</p>
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<p>Die kleinste finanzielle Reform scheiterte dagegen an dem Einflusse der Bankiers. So z.B. die
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<i>Postreform</i>. Rothschild protestierte. Durfte der Staat Einnahmequellen schmälern, aus
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denen seine wachsende Schuld zu verzinsen war?</p>
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<p>Die Julimonarchie war nichts als eine Aktienkompanie zur Exploitation des französischen
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Nationalreichtums, deren Dividenden sich verteilten unter Minister, Kammern, 240.000 Wähler
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und ihren Anhang. Louis-Philippe war der Direktor dieser Kompanie - Robert Macaire auf dem
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Throne. Handel, Industrie, Ackerbau, Schiffahrt, die Interessen der industriellen Bourgeois
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mußten beständig unter diesem System gefährdet und beeinträchtigt werden.
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Wohlfeile Regierung, gouvernement à bon marché, hatte sie in den Julitagen auf ihre
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Fahne geschrieben.</p>
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<p>Indem die Finanzaristokratie die Gesetze gab, die Staatsverwaltung leitete, über
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sämtliche organisierte öffentliche Gewalten verfügte, die öffentliche Meinung
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durch die Tatsachen und durch die Presse beherrschte, wiederholte sich in allen Sphären, vom
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Hofe bis zum Café Borgne <Bezichnung für verrufene Kaffehäuser und Kneipen in
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Paris> dieselbe Prostitution, derselbe schamlose Betrug, dieselbe Sucht, sich zu bereichern,
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nicht durch die Produktion, sondern durch die Eskamotage schon vorhandenen fremden Reichtums,
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brach namentlich an den Spitzen der bürgerlichen Gesellschaft die schrankenlose, mit den
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bürgerlichen Gesetzen selbst jeden Augenblick kollidierende Geltendmachung der ungesunden
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und liederlichen Gelüste aus, worin der aus dem Spiele entspringende Reichtum
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naturgemäß seine Befriedigung sucht, wo der Genuß crapuleux
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<ausschweifend> wird, wo Geld, Schmutz und Blut <a name="S15"><b><15></b></a>
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zusammenfließen. Die Finanzaristokratie, in ihrer Erwerbsweise wie in ihren Genüssen,
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ist nichts als die <i>Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den Höhen der
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bürgerlichen Gesellschaft</i>.</p>
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<p>Und die nicht herrschenden Fraktionen der französischen Bourgeoisie schrien
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<i>Korruption!</i> Das Volk schrie: <i>À bas les grands voleurs! À bas les
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assassins!</i> <<i>Nieder mit den großen Dieben! Nieder mit den Mördern!</i>>
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als im Jahre 1847 auf den erhabensten Bühnen der bürgerlichen Gesellschaft dieselben
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Szenen öffentlich aufgeführt wurden, welche das Lumpenproletariat regelmäßig
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in die Bordells, in die Armen- und Irrenhäuser, vor den Richter, in die Bagnos und auf das
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Schafott führen. Die industrielle Bourgeoisie sah ihre Interessen gefährdet, die kleine
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Bourgeoisie war moralisch entrüstet, die Volksphantasie war empört, Paris war von
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Pamphlets überflutet - "La dynastie Rothschild", "Les juifs rois de l'époque"
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<"Die Dynastie Rothschild", "Die Juden - Könige unserer Zeit"> etc. -, worin die
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Herrschaft der Finanzaristokratie mit mehr oder weniger Geist denunziert und gebrandmarkt
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wurde.</p>
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<p>Rien pour la gloire! <Nichts für den Ruhm!> Der Ruhm bringt nichts ein! La paix
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partout et toujours! <>Friede überall und immer!> Der Krieg drückt den Kurs
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der drei- und vierprozentigen! - hatte das Frankreich der Börsenjuden auf seine Fahne
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geschrieben. Seine auswärtige Politik verlor sich daher in eine Reihe von Kränkungen
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des französischen Nationalgefühls, das um so lebhafter auffuhr, als mit der
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Einverleibung Krakaus in Österreich der Raub an Polen vollendet wurde und Guizot im
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schweizerischen Sonderbundskrieg aktiv auf seiten der Heiligen Allianz trat. Der Sieg der
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Schweizer Liberalen in diesem Scheinkriege hob das Selbstgefühl der bürgerlichen
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Opposition in Frankreich, die blutige Erhebung des Volkes zu Palermo wirkte wie ein elektrischer
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Schlag auf die paralysierte Volksmasse und rief ihre großen revolutionären
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Erinnerungen und Leidenschaften wach.<a name="Z1"></a><a href="me07_012.htm#M1">(1)</a></p>
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<p>Der Ausbruch des allgemeinen Mißbehagens wurde endlich beschleunigt, die Verstimmung zur
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Revolte gereift durch zwei <i>ökonomische Weltereignisse</i>.</p>
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<p>Die <i>Kartoffelkrankheit</i> und <i>Mißernten</i> von 1845 und 1846 steigerten die
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allgemeine Gärung im Volke. Die Teuerung von 1847 rief in Frankreich wie auf dem
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übrigen Kontinente blutige Konflikte hervor. Gegenüber den schamlosen Orgien der
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Finanzaristokratie - der Kampf des Volkes um die ersten Lebensmittel! Zu Buzançais die
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Emeutiers des Hungers hingerichtet, zu <a name="S16"><b><16></b></a> Paris
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übersättigte Escrocs <Gauner> den Gerichten durch die königliche Familie
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entrissen!</p>
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<p>Das zweite große ökonomische Ereignis, welches den Ausbruch der Revolution
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beschleunigte, war eine <i>allgemeine Handels- und Industriekrise</i> in England; schon Herbst
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1845 angekündigt durch die massenhafte Niederlage der Eisenbahnaktien-Spekulaten,
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hingehalten während des Jahres 1846 durch eine Reihe von Inzidenzpunkten wie die
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bevorstehende Abschaffung der Kornzölle, eklatierte sie endlich Herbst 1847 in den
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Bankerotten der großen Londoner Kolonialwarenhändler, denen die Falliten der
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Landbanken und das Schließen der Fabriken in den englischen Industriebezirken auf dem
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Fuße nachfolgten. Noch war die Nachwirkung dieser Krise auf dem Kontinent nicht
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erschöpft, als die Februarrevolution ausbrach.</p>
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<p>Die Verwüstung des Handels und der Industrie durch die ökonomische Epidemie machte
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die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie noch unerträglicher. In ganz Frankreich rief die
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oppositionelle Bourgeoisie die <i>Bankettagitation</i> für eine <i>Wahlreform</i> hervor,
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welche ihr die Majorität in den Kammern erobern und das Ministerium des Börse
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stürzen sollte. Zu Paris hatte die industrielle Krisis noch speziell die Folge, eine Masse
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Fabrikanten und Großhändler, die auf dem auswärtigen Markte unter den
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gegenwärtigen Umständen keine Geschäfte mehr machen konnten, auf den inneren
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Handel zu werfen. Sie errichteten große Etablissements, deren Konkurrenz Épiciers
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und Boutiquiers <Krämer und Kleinhändler> massenhaft ruinierte. Daher eine Unzahl
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Falliten in diesem Teile der Pariser Bourgeoisie, daher ihr revolutionäres Auftreten im
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Februar.. Es ist bekannt, wie Guizot und die Kammern die Reformvorschläge mit einer
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unzweideutigen Herausforderung beantworteten, wie Louis-Philippe sich zu spät zu einem
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Ministerium Barrot entschloß, wie es zum Handgemenge zwischen dem Volke und der Armee kam,
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wie die Armee durch die passive Haltung der Nationalgarde entwaffnet wurde, wie die Julimonarchie
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einer provisorischen Regierung den Platz räumen mußte.</p>
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<p>Die <i>provisorische Regierung</i>, die sich auf den Februarbarrikaden erhob, spiegelte in
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ihrer Zusammensetzung notwendig die verschiedenen Parteien ab, worunter sich der Sieg verteilte.
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Sie konnte nichts anderes sein als ein <i>Kompromiß der verschiedenen Klassen</i>, die
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gemeinsam den Julithron umgestürzt, deren Interessen sich aber feindlich
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gegenüberstanden. Ihre <i>große Majorität</i> bestand aus Vertretern der
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Bourgeoisie. Das republikanische Kleinbürgertum vertreten in Ledru-Rollin und Flocon, die
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republikanische Bourgeoisie in den Leuten vom "National", die dynastische Opposition in <a name=
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"S17"><b><17></b></a> Crémieux, Dupont de l'Eure usw. Die Arbeiterklasse besaß
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nur zwei Repräsentanten, Louis Blanc und Albert. Lamartine endlich in der provisorischen
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Regierung, das war zunächst kein wirkliches Interesse, keine bestimmte Klasse, das war die
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Februarrevolution selbst, die gemeinsame Erhebung mit ihren Illusionen, ihrer Poesie, ihrem
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eingebildeten Inhalt und ihrer Phrase. Übrigens gehörte der Wortführer der
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Februarrevolution, seiner Stellung wie seinen Ansichten nach, der <i>Bourgeoisie</i> an.</p>
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<p>Wenn Paris infolge der politischen Zentralisation Frankreich beherrscht, beherrschen die
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Arbeiter in Augenblicken revolutionärer Erdbeben Paris. Der erste Lebensakt der
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provisorischen Regierung war der Versuch, sich diesem überwältigenden Einflusse zu
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entziehen durch einen Appell von dem trunkenen Paris an das nüchterne Frankreich. Lamartine
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bestritt den Barrikadenkämpfern das Recht, die Republik auszurufen, dazu sei nur die
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Majorität der Franzosen befugt; ihre Stimmgebung sei abzuwarten, das Pariser Proletariat
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dürfe seinen Sieg nicht beflecken durch eine Usurpation. Die Bourgeoisie erlaubte dem
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Proletariat nur <i>eine</i> Usurpation - die des Kampfes.</p>
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<p>Um die Mittagsstunde des 25. Februar war die Republik noch nicht ausgerufen, waren dagegen
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sämtliche Ministerien schon verteilt unter die bürgerlichen Elemente der provisorischen
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Regierung und unter die Generale, Bankiers und Advokaten des "National". Aber die Arbeiter waren
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entschlossen, diesmal keine ähnliche Eskamotage zu dulden wie im Juli 1830. Sie waren
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bereit, von neuem den Kampf aufzunehmen und die Republik durch Waffengewalt zu erzwingen. Mit
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dieser Botschaft begab sich <i>Raspail</i> auf das Hôtel de Ville: Im Namen des Pariser
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Proletariats <i>befahl</i> er der provisorischen Regierung, die Republik auszurufen.; sei dieser
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Befehl des Volkes im Laufe von zwei Stunden nicht vollstreckt, so werde er an der Spitze von
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200.000 Mann zurückkehren. Noch waren die Leichen der Gefallenen kaum erkaltet , die
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Barrikaden nicht weggeräumt, die Arbeiter nicht entwaffnet, und die einzige Macht, die man
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ihnen entgegenstellen konnte, war die Nationalgarde. Unter diesen Umständen verschwanden
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plötzlich die staatsklugen Bedenken und juristischen Gewissensskrupel der provisorischen
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Regierung. Die Frist von zwei Stunden war nicht abgelaufen, und schon prangten an allen Mauern
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von Paris die historischen Riesenworte:</p>
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<p><i>République français! Liberté, Egalité,
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Fraternité!</i></p>
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<p>Mit der Proklamation der Republik auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts war selbst die
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Erinnerung an die beschränkten Zwecke und Motive ausgelöscht, welche die Bourgeoisie in
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die Februarrevolution gejagt hatten. <a name="S18"><b><18></b></a> Statt einer weniger
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Fraktionen des Bürgertums - sämtliche Klassen der französischen Gesellschaft
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plötzlich in den Kreis der politischen Macht hineingeschleudert, gezwungen, die Logen, das
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Parterre, die Galerie zu verlassen und in eigener Person auf der revolutionären Bühne
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mitzuspielen! Mit dem konstitutionellen Königtum auch der Schein einer eigenmächtig der
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bürgerlichen Gesellschaft gegenüberstehenden Staatsmacht verschwunden und die ganze
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Reihe von untergeordneten Kämpfen, welche diese Scheinmacht herausfordert!</p>
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<p>Das Proletariat, indem es der provisorischen Regierung und durch die provisorische Regierung
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ganz Frankreich die Republik diktierte, trat sofort als selbständige Partei in den
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Vordergrund, aber es forderte zugleich das ganze bürgerliche Frankreich gegen sich in die
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Schranken. Was es eroberte, war das Terrain für den Kampf um seine revolutionäre
|
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|
Emanzipation, keineswegs diese Emanzipation selbst.</p>
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<p>Die Februarrepublik mußte zunächst vielmehr die <i>Herrschaft der Bourgeoisie
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vervollständigen</i>, indem sie neben der Finanzaristokratie <i>sämtliche besitzenden
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Klassen</i> in den Kreis der politischen Macht eintreten ließ. Die Majorität der
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großen Grundbesitzer, die Legitimisten wurden von der politischen Nichtigkeit emanzipiert,
|
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|
wozu die Julimonarchie sie verurteilt hatte. Nicht umsonst hatte die "Gazette de France"
|
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gemeinsam mit den Oppositionsblättern agitiert, nicht umsonst La Rochejaquelein in der
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Sitzung der Deputiertenkammer vom 24. Februar die Partei der Revolution ergriffen. Durch das
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allgemeine Wahlrecht wurden die nominellen Eigentümer, welche die große Majorität
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||
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der Franzosen bilden, die <i>Bauern</i>, zu Schiedsrichtern über das Schicksal Frankreichs
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eingesetzt. Die Februarrepublik ließ endlich die Bourgeoisherrschaft rein hervortreten,
|
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|
indem sie die Krone abschlug, hinter der sich das Kapital versteckt hielt.</p>
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|
<p>Wie die Arbeiter in den Julitagen die <i>bürgerliche Monarchie</i>, hatten sie in den
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|
Februartagen die <i>bürgerliche Republik</i> erkämpft. Wie die Julimonarchie gezwungen
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|
war, sich anzukündigen als eine <i>Monarchie, umgeben von republikanischen
|
||
|
Institutionen</i>, so die Februarrepublik als eine <i>Republik, umgeben von sozialen
|
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|
Institutionen</i>. Das Pariser Proletariat <i>erzwang</i> auch diese Konzession.</p>
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<p>Marche, ein Arbeiter, diktierte das Dekret, worin die eben erst gebildete provisorische
|
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|
Regierung sich verpflichtete, die Existenz der Arbeiter durch die Arbeit sicherzustellen, allen
|
||
|
Bürgern Arbeit zu verschaffen usw. Und als sie wenige Tage später ihre Verpflichtung
|
||
|
vergaß und aus den Augen verloren zu haben schien, marschierte eine Masse von 20.000
|
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Arbeitern auf das Hôtel de Ville mit dem Rufe: <i>Organisation der Arbeit! Bildung eines
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||
|
eigenen Ministeriums der Arbeit!</i> Widerstrebend und nach langen Debat- <a name=
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"S19"><b><19></b></a> ten ernannte die provisorische Regierung eine permanente
|
||
|
Spezialkommission, beauftragt, die Mittel zur Verbesserung der arbeitenden Klassen
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<i>auszufinden</i>! Diese Kommission wurde gebildet aus Delegierten der Pariser
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Handwerkskorpoationen und präsidiert von Louis Blanc und Albert. Das Luxembourg wurde ihr
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als Sitzungssaal angewiesen. So waren die Vertreter der Arbeiterklasse von dem Sitze der
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|
provisorischen Regierung verbannt, der bürgerliche Teil derselben behielt die wirkliche
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|
Staatsmacht und die Zügel der Verwaltung ausschließlich in den Händen, und
|
||
|
<i>neben</i> den Ministerien der Finanzen, des Handels, der öffentlichen Arbeiten,
|
||
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<i>neben</i> der Bank und der Börse erhob sich eine <i>sozialistische Synagoge</i>, deren
|
||
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Hohepriester, Louis Blanc und Albert, die Aufgabe hatten, das gelobte Land zu entdecken, das neue
|
||
|
Evangelium zu verkünden und das Pariser Proletariat zu beschäftigen. Zum Unterschiede
|
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von jeder profanen Staatsmacht stand ihnen kein Budget, keine exekutive Gewalt zur
|
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|
Verfügung. Mit dem Kopfe sollten sie die Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft
|
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einrennen. Während das Luxembourg den Stein der Weisen suchte, schlug man im Hôtel de
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Ville die kurshabende Münze.</p>
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<p>Und dennoch, die Ansprüche des Pariser Proletariats, soweit sie über die
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bürgerliche Republik hinausgingen, sie konnte keine andere Existent gewinnen als die
|
||
|
nebelhafte des Luxembourg.</p>
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<p>Gemeinsam mit der Bourgeoisie hatten die Arbeiter die Februarrevolution gemacht, <i>neben</i>
|
||
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der Bourgeoisie suchten sie ihre Interessen durchzusetzen, wie sie in der provisorischen
|
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Regierung selbst neben die bürgerliche Majorität einen Arbeiter installiert hatten.
|
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<i>Organisation der Arbeit!</i> Aber die Lohnarbeit, das ist die vorhandene bürgerliche
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Organisation der Arbeit. Ohne sie kein Kapital, keine Bourgeoisie, keine bürgerliche
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Gesellschaft. Ein <i>eigenes Ministerium der Arbeit!</i> Aber die Ministerien der Finanzen, des
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Handels, der öffentlichen Arbeiten, sind sie nicht die <i>bürgerlichen</i> Ministerien
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der Arbeit? Und <i>neben</i> ihnen ein <i>proletarisches</i> Ministerium des Arbeit, es
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mußte ein Ministerium der Ohnmacht sein, ein Ministerium der frommen Wünsche, eine
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Kommission des Luxembourg. Wie die Arbeiter glaubten, neben der Bourgeoisie sich emanzipieren, so
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meinten sie, neben den übrigen Bourgeoisienationen innerhalb der nationalen Wände
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Frankreichs eine proletarische Revolution vollziehen zu können. Aber die französischen
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Produktionsverhältnisse sind bedingt durch den auswärtigen Handel Frankreichs, durch
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seine Stellung auf dem Weltmarkt und die Gesetze desselben; wie sollte Frankreich sie brechen
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ohne einen europäischen Revolutionskrieg, der auf den Despoten des Weltmarkts, England,
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zurückschlüge?</p>
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<p>Eine Klasse, worin sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentrieren,
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sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen <a name=
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"S20"><b><20></b></a> Lage den Inhalt und das Material ihrer revolutionären
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Tätigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bedürfnis des Kampfes gegebene
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Maßregeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer eigenen Taten treiben sie weiter. Sie stellt
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keine theoretischen Untersuchungen über ihre eigene Aufgabe an. Die französische
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Arbeiterklasse befand sich aber nicht auf diesem Standpunkte, sie war noch unfähig, ihre
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eigene Revolution durchzuführen.</p>
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<p>Die Entwicklung des industriellen Proletariats ist überhaupt bedingt durch die
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Entwicklung der industriellen Bourgeoisie. Unter ihrer Herrschaft gewinnt es erst die ausgedehnte
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nationale Existenz, die seine Revolution zu einer nationalen erheben kann, schafft es selbst erst
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die modernen Produktionsmittel, welche ebenso viele Mittel seiner revolutionären Befreiung
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werden. Ihre Herrschaft reißt erst die materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft aus
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und ebnet das Terrain, worauf allein eine proletarische Revolution möglich ist. Die
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französische Industrie ist ausgebildeter und die französische Bourgeoisie
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revolutionärer entwickelt als die des übrigen Kontinents. Aber die Februarrevolution,
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war sie nicht unmittelbar gegen die Finanzaristokratie gerichtet? Diese Tatsache bewies,
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daß die industrielle Bourgeoisie Frankreich nicht beherrschte. Die industrielle Bourgeoisie
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kann nur da herrschen, wo die moderne Industrie alle Eigentumsverhältnisse sich
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gemäß gestaltet, und nur da kann die Industrie diese Gewalt gewinnen, wo sie den
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Weltmarkt erobert hat, denn die nationalen Grenzen genügen ihrer Entwicklung nicht.
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Frankreichs Industrie aber, zum großen Teil, behauptet selbst den nationalen Markt nur
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durch ein mehr oder minder modifiziertes Prohibitivsystem. Wenn das französische Proletariat
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daher in dem Augenblicke einer Revolution zu Paris eine faktische Gewalt und einen Einfluß
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besitzt, die es zu einem Anlaufe über seine Mittel hinaus anspornen, so ist es in dem
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übrigen Frankreich an einzelnen zerstreuten industriellen Zentralpunkten
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zusammengedrängt, fast verschwindend unter einer Überzahl von Bauern und
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Kleinbürgern. Der Kampf gegen das Kapital in seiner entwickelten modernen Form, in seinem
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Springpunkt, der Kampf des industriellen Lohnarbeiters gegen den industriellen Bourgeois ist in
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Frankreich ein partielles Faktum, das nach den Februartagen um so weniger den nationalen Inhalt
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der Revolution abgeben konnte, als der Kampf gegen die untergeordneten Exploitationsweisen des
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Kapitals, des Bauern gegen den Wucherer und die Hypotheke, des Kleinbürgers gegen den
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Großhändler, Bankier und Fabrikanten, mit einem Worte, gegen den Bankerott, noch
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eingehüllt war in die allgemeine Erhebung gegen die Finanzaristokratie. Nichts
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erklärlicher also, als daß das Pariser Proletariat sein Interesse <i>neben</i> dem
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bürgerlichen durchzusetzen suchte, statt es als das revolutionäre Interesse der
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Gesellschaft selbst zur Geltung zu bringen, daß <a name="S21"><b><21></b></a> es die
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<i>rote</i> Fahne vor der <i>trikoloren</i> fallen ließ. Die französischen Arbeiter
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konnten keinen Schritt vorwärts tun, kein Haar der bürgerlichen Ordnung krümmen,
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bevor der Gang der Revolution die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie stehende Masse der
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Nation, Bauern und Kleinbürger, nicht gegen diese Ordnung, gegen die Herrschaft des Kapitals
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empört, sie gezwungen hatte, sich den Proletariern als ihren Vorkämpfern
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anzuschließen. Nur durch die ungeheure Niederlage im Juni konnten die Arbeiter diesen Sieg
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erkaufen.</p>
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<p>Die Kommission des Luxembourg, diesem Geschöpfe der Pariser Arbeiter, bleibt das
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Verdienst, das Geheimnis der Revolution des neunzehnten Jahrhunderts von einer europäischen
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Tribüne herab verraten zu haben: <i>die Emanzipation des Proletariat</i>. Der "Moniteur"
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errötete, als er die "wilden Schwärmereien" offiziell propagieren mußte, die
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bisher vergraben lagen in den apokryphischen Schriften der Sozialisten und nur von Zeit zu Zeit
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als ferne, halb fürchterliche, halb lächerliche Sagen an das Ohr der Bourgeoisie
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anschlugen. Europa fuhr überrascht aus seinem bürgerlichen Halbschlummer auf. In der
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Idee der Proletarier also, welche die Finanzaristokratie mit der Bourgeoisie überhaupt
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verwechselten; in der Einbildung republikanischer Biedermänner, welche die Existenz selbst
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der Klassen leugneten oder höchstens als Folge der konstitutionellen Monarchie zugaben; in
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den heuchlerischen Phrasen der bisher von der Herrschaft ausgeschlossenen bürgerlichen
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Fraktionen war die <i>Herrschaft der Bourgeoisie</i> abgeschafft mit der Einführung der
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Republik. Alle Royalisten verwandelten sich damals in Republikaner und alle Millionäre von
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Paris in Arbeiter. Die Phrase, welche dieser eingebildeten Aufhebung der Klassenverhältnisse
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entsprach, war die <i>fraternité</i>, die allgemeine Verbrüderung und
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Brüderschaft. Diese gemütliche Abstraktion von den Klassengegensätzen, diese
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sentimentale Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen, diese schwärmerische
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Erhebung über den Klassenkampf, die fraternité , sie war das eigentliche Stichwort
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der Februarrevolution. Die Klassen waren durch ein bloßes <i>Mißverständnis</i>
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gespalten und Lamartine taufte die provisorische Regierung am 24. Februar: "un gouvernement qui
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suspende <i>ce malentendu terrible qui existe entre les différent classes"</i>. <"eine
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Regierung, die <i>dieses fürchterliche Mißverständnis aufhebt</i>, das
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<i>zwischen den verschiedenen Klassen besteht</i>"> Das Pariser Proletariat schwelgte in
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diesem großmütigen Fraternitätsrausche.</p>
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<p>Die provisorische Regierung ihrerseits, einmal gezwungen, die Republik zu proklamieren, tat
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alles, um sie der Bourgeoisie und den Provinzen annehm <a name="S22"><b><22></b></a> bar zu
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machen. Die blutigen Schrecken der ersten französischen Republik wurden desavouiert durch
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die Abschaffung der Todesstrafe für politische Verbrechen, die Presse wurde allen Meinungen
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freigegeben, die Armee, die Gerichte, die Administration blieben mit wenigen Ausnahmen in den
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Händen ihrer alten Würdenträger, keiner der großen Schuldigen der
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Julimonarchie wurde zur Rechenschaft gezogen. Die bürgerlichen Republikaner des "National"
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amüsierten sich damit, monarchische Namen und Kostüme mit altrepublikanischen zu
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vertauschen. Für sie war die Republik nichts als ein neuer Ballanzug für die alte
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bürgerliche Gesellschaft. Ihr Hauptverdienst suchte die junge Republik darin, nicht
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abzuschrecken, vielmehr selbst beständig zu erschrecken und durch die weiche Nachgiebigkeit
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und Widerstandslosigkeit ihrer Existenz Existenz zu gewinnen und den Widerstand zu entwaffnen.
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Den privilegierten Klassen im Innern, den despotischen Mächten nach außen wurde laut
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verkündet, die Republik sei friedfertiger Natur. Leben und leben lassen sei ihr Motto. Es
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kam hinzu, daß kurz nach der Februarrevolution Deutsche, Polen, Österreicher, Ungarn,
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Italiener, jedes Volk seiner unmittelbaren Situation gemäß revoltierte. Rußland
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und England waren, letzteres selbst bewegt und das andere eingeschüchtert, nicht
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vorbereitet. Die Republik fand also vor sich keinen <i>nationalen</i> Feind. Also keine
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großartigen auswärtigen Verwicklungen, welche die Tatkraft entzünden, den
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revolutionären Prozeß beschleunigen, die provisorische Regierung vorwärtstreiben
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oder über Bord werfen konnten. Das Pariser Proletariat, das in der Republik seine eigene
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Schöpfung erblickte, akklamierte natürlich jedem Akt der provisorischen Regierung, der
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sie leichter in der bürgerlichen Gesellschaft Platz greifen ließ. Von
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Caussidière ließ es sich willig zu Polizeidiensten verwenden, um das Eigentum in
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Paris zu beschützen, wie es die Lohnzwiste zwischen Arbeitern und Meistern von Louis Blanc
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schlichten ließ. Es war sein Point d'honneur, vor den Augen von Europa die bürgerliche
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Ehre der Republik unangetastet zu erhalten.</p>
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<p>Die Republik fand keinen Widerstand, weder von außen noch von innen. Damit war sie
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entwaffnet. Ihre Aufgabe bestand nicht mehr darin, die Welt revolutionär umzugestalten, sie
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bestand nur noch darin, sich den Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft
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anzupassen. Mit welchem Fanatismus sich die provisorische Regierung dieser Aufgabe unterzog,
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dafür gibt es keine sprechenderen Zeugnisse als ihre <i>finanziellen
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Maßregeln</i>.</p>
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<p>Der <i>öffentliche Kredit</i> und der <i>Privatkredit</i> waren natürlich
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erschüttert. Der <i>öffentliche Kredit</i> beruhte auf dem Vertrauen, daß sich
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der Staat durch die Juden der Finanz exploitieren läßt. Aber der alte Staat war
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verschwunden, und die Revolution war vor allem gegen die Finanzaristokratie gerichtet. Die
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<a name="S23"><b><23></b></a> Schwingungen der letzten europäischen Handelskrise
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hatten noch nicht ausgeschlagen: Noch folgten Bankerotte auf Bankerotte.</p>
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<p>Der <i>Privatkredit</i> war also paralysiert, die Zirkulation gehemmt, die Produktion
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gestockt, ehe die Februarrevolution ausbrach. Die revolutionäre Krise steigerte die
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kommerzielle. Und wenn der Privatkredit auf dem Vertrauen beruht, daß die bürgerliche
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Produktion in dem ganzen Umfange ihrer Verhältnisse, daß die bürgerliche Ordnung
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unangetastet und unantastbar ist, wie mußte eine Revolution wirken, welche die Grundlage
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der bürgerlichen Produktion, die ökonomische Sklaverei des Proletariats in Frage
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stellte, welche der Börse gegenüber die Sphinx des Luxembourg aufrichtet? Die Erhebung
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des Proletariats, das ist die Abschaffung des bürgerlichen Kredits; denn es ist die
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Abschaffung der bürgerlichen Produktion und ihrer Ordnung. Der öffentliche Kredit und
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der Privatkredit sind der ökonomische Thermometer, woran man die Intensität einer
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Revolution messen kann. <i>In demselben Grade, worin sie fallen, steigt die Glut und die
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Zeugungskraft der Revolution.</i></p>
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<p>Die provisorische Regierung wollte der Republik den antibürgerlichen Schein abstreifen.
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Sie mußte daher vor allem den <i>Tauschwert</i> dieser neuen Staatsform, ihren <i>Kurs</i>
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auf der Börse zu sichern suchen. Mit dem Preiskurant der Republik auf der Börse hob
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sich notwendig wieder der Privatkredit.</p>
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<p>Um selbst den <i>Verdacht</i> zu beseitigen, als wolle oder könne sie den von der
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Monarchie übernommenem Verpflichtungen nicht nachkommen, um an die bürgerliche Moral
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und Zahlungsfähigkeit der Republik glauben zu machen, nahm die provisorische Regierung zu
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einer ebenso würdelosen als kindischen Renommage ihre Zuflucht. <i>Vor</i> dem gesetzlichen
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Zahlungstermin zahlte sie den Staatsgläubigern die Zinsen der 5%, 41/2%, 4% aus. Das
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bürgerliche Aplomb, das Selbstgefühl der Kapitalisten erwachte plötzlich, als sie
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die ängstliche Hast sahen, womit man ihr Vertrauen zu erkaufen suchte.</p>
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<p>Die Geldverlegenheit der provisorischen Regierung verminderte sich natürlich nicht durch
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einen Theaterstreich, der sie des vorrätigen baren Geldes beraubte. Die Finanzklemme war
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nicht länger zu verbergen, und <i>Kleinbürger</i>, <i>Dienstboten, Arbeiter</i>
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mußten die angenehme Überraschung zahlen, welche man den Staatsgläubigern
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bereitet hatte.</p>
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<p>Die <i>Sparkassenbücher</i> über den Betrag von 100 frs. hinaus wurden für
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nicht mehr in Geld einwechselbar erklärt. Die in den Sparkassen niedergelegten Summen wurden
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konfisziert und durch ein Dekret in eine nicht rückzahlbare Staatsschuld verwandelt. Damit
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wurde der ohnehin bedrängte <i>Kleinbürger</i> gegen die Republik erbittert. Indem er
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an die Stelle seiner Sparkassenbücher Staatsschuldscheine erhielt, wurde er gezwungen, auf
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die Börse <a name="S24"><b><24></b></a> zu gehen, um sie zu verkaufen und sich so
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direkt in die Hände der Börsenjuden zu liefern, gegen die er die Februarrevolution
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gemacht hatte.</p>
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<p>Die Finanzaristokratie, welche unter der Julimonarchie herrschte, hatte ihre Hochkirche in der
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<i>Bank</i>. Wie die Börse den Staatskredit regiert, so die Bank den
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<i>Handelskredit</i>.</p>
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<p>Durch die Februarrevolution direkt bedroht, nicht nur in ihrer Herrschaft, sondern in ihrer
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Existenz, suchte die Bank von vornherein die Republik zu diskreditieren, indem sie die
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Kreditlosigkeit allgemein machte. Den Bankiers, den Fabrikanten, den Kaufleuten kündigte sie
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plötzlich den Kredit auf. Dieses Manöver, indem es nicht sofort eine Kontrerevolution
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hervorrief, schlug notwendig auf die Bank selbst zurück. Die Kapitalisten zogen das Geld
|
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zurück, das sie in den Kellern der Bank niedergelegt hatten. Die Inhaber von Banknoten
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stürzten an ihre Kasse, um sie gegen Gold und Silber auszuwechseln.</p>
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<p>Ohne gewaltsame Einmischung, auf legale Weise konnte die provisorische Regierung die Bank zum
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<i>Bankerott</i> zwingen; sie hatte sich nur passiv zu verhalten und die Bank ihrem Schicksale zu
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überlassen. Der <i>Bankerott der Bank</i> - das war die Sündflut, welche die
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Finanzaristokratie, die mächtigste und gefährlichste Feindin der Republik, das goldene
|
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Piedestal der Julimonarchie, in einem Nu von dem französischen Boden wegfegte. Und die Bank
|
||
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einmal bankerott, mußte die Bourgeoisie selbst es als einen letzten verzweifelten
|
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Rettungsversuch betrachten, wenn die Regierung eine Nationalbank schuf und den nationalen Kredit
|
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der Kontrolle der Nation unterwarf.</p>
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<p>Die provisorische Regierung gab dagegen den Noten der Bank <i>Zwangskurs</i>. Sie tat mehr.
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Sie verwandelte alle Provinzialbanken in Zweiginstitute der Banque de France und ließ sie
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ihr Netz über ganz Frankreich auswerfen. Sie versetzte ihr später die
|
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<i>Staatswaldungen</i> als Garantie für eine Anleihe, die sie bei ihr kontrahierte. So
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befestigte und erweiterte die Februarrevolution unmittelbar die Bankokratie, die sie stürzen
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sollte.</p>
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<p>Unterdessen krümmte sich die provisorische Regierung unter dem Alp eines wachsenden
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Defizits. Vergebens bettelte sie um patriotische Opfer. Nur die Arbeiter warfen ihr Almosen hin.
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Er mußte zu einem heroischen Mittel geschritten werden, zur Ausschreibung einer <i>neuen
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Steuer</i>. Aber wen besteuern? Die Börsenwölfe, die Bankkönige, die
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Staatsgläubiger, die Rentiers, die Industriellen? Das war kein Mittel, die Republik bei der
|
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Bourgeoisie einzuschmeicheln. Das hieß von der einen Seite des Staatskredit und den
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Handelskredit gefährden, während man ihn von der anderen Seite mit so großen
|
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Opfern und Demütigungen zu erkaufen suchte. Aber jemand mußte blechen. Wer wurde dem
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bürgerlichen Kredit geopfert? Jacques le bonhomme, der <i>Bauer</i>.</p>
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<p><b><a name="S25"><25></a></b> Die provisorische Regierung schrieb eine Zusatzsteuer von
|
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45 Centimes pro Franc auf die vier direkten Steuern aus. Dem Pariser Proletariat schwindelte die
|
||
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Regierungspresse vor, diese Steuer falle vorzugsweise auf das große Grundeigentum, auf die
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Inhaber der von der Restauration oktroyierten Milliarde. In der Wirklichkeit traf sie aber vor
|
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allem die <i>Bauernklasse</i>, d.h. die große Majorität des französischen Volkes.
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<i>Sie mußten die Kosten der Februarrevolution zahlen</i>, an ihnen gewann die
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Kontrerevolution ihr Hauptmaterial. Die 45-Centimes-Steuer, das war eine Lebensfrage für den
|
||
|
französischen Bauer, er machte sie zur Lebensfrage für die Republik. Die
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||
|
<i>Republik</i> für den französischen Bauer, das war von diesem Augenblicke an die
|
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<i>45-Centimes-Steuer</i>, und in dem Pariser Proletariat erblickte er den Verschwender, der sich
|
||
|
auf seine Kosten gemütlich tat.</p>
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<p>Während die Revolution von 1789 damit begann, den Bauern die Feudallasten
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||
|
abzuschütteln, kündigte sich die Revolution von 1848, um das Kapital nicht zu
|
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|
gefährden und seine Staatsmaschinerie im Gange zu halten, mit einer neuen Steuer bei der
|
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|
Landbevölkerung an.</p>
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<p>Nur durch <i>ein</i> Mittel konnte die provisorische Regierung alle diese Ungelegenheiten
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beseitigen und den Staat aus seiner alten Bahn herausschleudern - durch die <i>Erklärung des
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|
Staatsbankerotts</i>. Man erinnert sich, wie Ledru-Rollin in der Nationalversammlung
|
||
|
nachträglich die tugendhafte Entrüstung rezitierte, womit er diese Zumutung des
|
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|
Börsenjuden Fould, jetzigen französischen Finanzministers, von sich abwies. Fould hatte
|
||
|
ihm den Apfel vom Baume der Erkenntnis gereicht.</p>
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|
<p>Indem die provisorische Regierung die Wechsel anerkannte, welche die alte bürgerliche
|
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Gesellschaft auf den Staat gezogen hatte, war sie ihr verfallen. Sie war zum bedrängten
|
||
|
Schuldner der bürgerlichen Gesellschaft geworden, statt ihr als drohender Gläubiger
|
||
|
gegenüberzustehen, der vieljährige revolutionäre Schuldforderungen einzukassieren
|
||
|
hatte. Sie mußte die wankenden bürgerlichen Verhältnisse befestigen, um
|
||
|
Verpflichtungen nachzukommen, die nur innerhalb dieser Verhältnisse zu erfüllen sind.
|
||
|
Der Kredit ward zu ihrer Lebensbedingung und die Konzessionen an das Proletariat, die ihm
|
||
|
gemachten Verheißungen, zu ebenso vielen <i>Fesseln</i>, die gesprengt werden
|
||
|
<i>mußten</i>. Die Emanzipation der Arbeiter - selbst als <i>Phrase</i> - wurde zu einer
|
||
|
unerträglichen Gefahr für die neue Republik, denn sie war eine beständige
|
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|
Protestation gegen die Herstellung des Kredits, der auf der ungestörten und ungetrübten
|
||
|
Anerkennung der bestehenden ökonomischen Klassenverhältnisse beruhte. Es mußte
|
||
|
also mit <i>den Arbeitern geendet werden.</i></p>
|
||
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|
<p>Die Februarrevolution hatte die Armee aus Paris hinausgeworfen. Die Nationalgarde, d.h. die
|
||
|
Bourgeoisie in ihren verschiedenen Abstufungen, <a name="S26"><b><26></b></a> bildete die
|
||
|
einzige Macht. Allein fühlte sie sich indes dem Proletariat nicht gewachsen. Überdem
|
||
|
war sie gezwungen, wenngleich nach dem zähesten Widerstande, hundert verschiedene
|
||
|
Hindernisse entgegenhaltend, allmählich und bruchweise ihre Reihen zu öffnen und
|
||
|
bewaffnete Proletarier in dieselben eintreten zu lassen. Es blieb also nur ein Ausweg übrig:
|
||
|
<i>einen Teil der Proletarier dem andren entgegenzustellen</i>.</p>
|
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||
|
<p>Zu diesem Zwecke bildete die provisorische Regierung 24 Bataillone <i>Mobilgarden</i>, jedes
|
||
|
zu tausend Mann, aus jungen Leuten von 15 bis 20 Jahren. Sie gehörten
|
||
|
größtenteils dem <i>Lumpenproletariat</i> an, das in allen großen Städten
|
||
|
eine vom industriellen Proletariat genau unterschiedende Masse bildet, ein Rekrutierplatz
|
||
|
für Diebe und Verbrecher aller Art, von den Abfällen der Gesellschaft lebend, Leute
|
||
|
ohne bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, gens sans feu et sans aveu <dunkle Existenzen
|
||
|
(Menschen ohne Heim und ohne gesellschaftliche Anerkennung)>, verschieden nach dem
|
||
|
Bildungsgrade der Nation, der sie angehören, nie den Lazzaronicharakter verleugnend; in dem
|
||
|
jugendlichen Alter, worin die provisorische Regierung sie rekrutierte, durchaus bestimmbar, der
|
||
|
größten Heldentaten und der exaltiertesten Aufopferung fähig, wie der gemeinsten
|
||
|
Banditenstreiche und der schmutzigsten Bestechlichkeit. Die provisorische Regierung zahlte ihnen
|
||
|
pro Tag 1 fr. 50 cts., d.h., sie erkaufte sie. Sie gab ihnen eine eigene Uniform, d.h., sie
|
||
|
unterschied sie äußerlich von der Bluse. Zu Führern wurden ihnen teils Offiziere
|
||
|
aus dem stehenden Heere zugeordnet, teils wählten sie selbst junge Bourgeoissöhne,
|
||
|
deren Rodomontaden vom Tode fürs Vaterland und Hingebung für die Republik
|
||
|
bestachen.</p>
|
||
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|
||
|
<p>So stand dem Pariser Proletariat eine aus seiner eigenen Mitte gezogene Armee von 24.000
|
||
|
jugendlich kräftigen, tollkühnen Männern gegenüber. Es schrie der Mobilgarde
|
||
|
auf ihren Zügen durch Paris <i>Vivats</i>! zu. Es erkannte in ihr seine Vorkämpfer auf
|
||
|
den Barrikaden. Es betrachtete sie als die <i>proletarische</i> Garde im Gegensatze zur
|
||
|
bürgerlichen Nationalgarde. Sein Irrtum war verzeihlich.</p>
|
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||
|
<p>Neben der Mobilgarde beschloß die Regierung noch eine industrielle Arbeiterarmee um sich
|
||
|
zu scharen. Hunderttausend durch die Krise und die Revolution auf das Pflaster geworfene Arbeiter
|
||
|
einrollierte der Minister Marie in sogenannte Nationalateliers. Unter diesem prunkenden Namen
|
||
|
versteckte sich nichts anderes als die Verwendung der Arbeiter zu langweiligen, eintönigen,
|
||
|
unproduktiven <i>Erdarbeiten</i> für einen Arbeitslohn von 23 Sous. <i>Englische workhouses
|
||
|
im Freien</i> - weiter waren diese Nationalateliers nichts. In ihnen glaubte die provisorische
|
||
|
Regierung eine <i>zweite proletarische Armee</i> <a name="S27"><b><27></b></a> <i>gegen die
|
||
|
Arbeiter selbst</i> gebildet zu haben. Diesmal irrte sich die Bourgeoisie in den
|
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Nationalateliers, wie sich die Arbeiter in der Nationalgarde irrten. Sie hatte eine <i>Armee
|
||
|
für die Emeute</i> geschaffen.</p>
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|
<p>Aber <i>ein</i> Zweck war erreicht.</p>
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<p><i>Nationalateliers</i> - das war der Name der Volkswerkstätten, die Louis Blanc im
|
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Luxembourg predigte. Die Ateliers Maries, im direkten <i>Gegensatze</i> zum Luxembourg entworfen,
|
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boten durch die gemeinsame Firma den Anlaß zu einer Intrige der Irrungen, würdig der
|
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spanischen Bedientenkomödie. Die provisorische Regierung selbst verbreitete unter der Hand
|
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das Gerücht, diese Nationalateliers seien die Erfindung Louis Blanc, und es schien dies um
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so glaublicher, als Louis Blanc, der Prophet der Nationalateliers, Mitglied der provisorischen
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Regierung war. Und in der halb naiven, halb absichtlichen Verwechslung der Pariser Bourgeoisie,
|
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in der künstlich unterhaltenen Meinung Frankreichs, Europas waren jene workhouses die erste
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Verwirklichung des Sozialismus, der mit ihnen an den Pranger gestellt wurde.</p>
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<p>Nicht durch ihren Inhalt, aber durch ihren Titel waren die <i>Nationalateliers</i> die
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verkörperte Protestation des Proletariats gegen die bürgerliche Industrie, den
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bürgerlichen Kredit und die bürgerliche Republik. Auf sie wälzte sich also der
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ganze Haß der Bourgeoisie. In ihnen hatte sie zugleich den Punkt gefunden, worauf sie den
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Angriff richten konnte, sobald sie genug erstarkt war, offen mit der Februarrevolution zu
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brechen. Alles Unbehagen, aller Mißmut der <i>Kleinbürger</i> richtete sich
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gleichzeitig auf diese Nationalateliers, die gemeinsame Zielscheibe. Mit wahrem Grimme
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berechneten sie die Summen, welche die proletarischen Tagediebe verschlangen, während ihre
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eigene Lage täglich unerträglicher wurde. Eine Staatspension für eine
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Scheinarbeit, das ist der Sozialismus! knurrten sie in sich hinein. Die Nationalateliers, die
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Deklamationen des Luxembourg, die Züge der Arbeiter durch Paris - in ihnen suchten sie den
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Grund ihrer Misere. Und niemand fanatisierte sich mehr gegen die angeblichen Machinationen der
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Kommunisten als der Kleinbürger, der rettungslos am Abgrunde des Bankerotts schwebte.</p>
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<p>So waren im bevorstehenden Handgemenge zwischen Bourgeoisie und Proletariat alle Vorteile,
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alle entscheidenden Posten, alle Mittelschichten der Gesellschaft in den Händen der
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Bourgeoisie zur selben Zeit, als die Wellen der Februarrevolution über den ganzen Kontinent
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hoch zusammenschlugen und jede neue Post ein neues Revolutionsbulletin brachte, bald aus Italien,
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bald aus Deutschland, bald aus dem fernsten Südosten von Europa, und den allgemeinen Taumel
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des Volkes unterhielt, ihm beständiges Zeugnisse eines Sieges bringend, den es schon
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verwirkt hatte.</p>
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<p>Der <i>17. März</i> und der <i>16. April</i> waren die ersten Plänklergefechte in
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dem <a name="S28"><b><28></b></a> großen Klassenkampfe, den die bürgerliche
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Republik unter ihren Fittichen verbarg.</p>
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<p>Der <i>17. März</i> offenbarte die zweideutige, keine entscheidende Tat zulassende
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Situation des Proletariats. Seine Demonstration bezweckte ursprünglich, die provisorische
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Regierung auf die Bahn der Revolution zurückzuwerfen, nach Umständen die
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Ausschließung ihrer bürgerlichen Glieder zu bewirken und die Aufschiebung der Wahltage
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für die Nationalversammlung und die Nationalgarde zu erzwingen. Aber am 16. März machte
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die in der Nationalgarde vertretene Bourgeoisie eine der provisorischen Regierung feindselige
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Demonstration. Unter dem Rufe: À bas Ledru-Rollin! <Nieder mit Ledru-Rollin!> drang
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sie zum Hôtel de Ville. Und das Volk war gezwungen, am 17. März zu rufen: Es lebe
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Ledru-Rollin! Es lebe die provisorische Regierung! Es war gezwungen, <i>gegen</i> das
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Bürgertum die Partei der bürgerlichen Republik zu ergreifen, die ihm in Frage gestellt
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schien. Der 17. März verpuffte in eine melodramatische Szene, und wenn das Pariser
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Proletariat an diesem Tage noch einmal seinen Riesenleib zur Schau trug, war die Bourgeoisie
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innerhalb und außerhalb der provisorischen Regierung um so entschlossener, ihn zu
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brechen.</p>
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<p>Der <i>16. April</i> war ein durch die provisorische Regierung mit der Bourgeoisie
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veranstaltetes <i>Mißverständnis</i>. Die Arbeiter hatten sich zahlreich auf dem
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Marsfelde versammelt und im Hippodrom, um ihre Wahlen für den Generalstab der Nationalgarde
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vorzubereiten. Plötzlich verbreitete sich in ganz Paris, von einem Ende bis zum anderen, mit
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Blitzesschnelle das Gerücht, die Arbeiter hätten sich im Marsfeld bewaffnet versammelt,
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unter der Abführung Louis Blanc, Blanquis, Cabets und Raspails, um von da auf das
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Hôtel de Ville zu ziehen, die provisorische Regierung zu stürzen und eine
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kommunistische Regierung zu proklamieren. Der Generalmarsch wird geschlagen - Ledru-Rollin,
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Marrast, Lamartine machten sich später die Ehre seiner Initiative streitig -, in einer
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Stunde stehen 100.000 Mann unter den Waffen, das Hôtel e Ville ist an allen Punkten von
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Nationalgarden besetzt, der Ruf: Nieder mit den Kommunisten! Nieder mit Louis Blanc, mit Blanqui,
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mit Raspail, mit Cabet! donnerte durch ganz Paris, und der provisorischen Regierung wird von
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einer Unzahl Deputationen gehuldigt, alle bereit, das Vaterland und die Gesellschaft zu retten.
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Als die Arbeiter endlich vor dem Hôtel de Ville erscheinen, um der provisorischen Regierung
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eine patriotische Kollekte zu überreichen, die sie auf dem Marsfelde gesammelt hatten,
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erfahren sie zu ihrer Verwunderung, daß das bürgerliche Paris in einem höchst
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behut- <a name="S29"><b><29></b></a> sam angelegten Scheinkampfe ihren Schatten geschlagen
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hat. Das furchtbare Attentat vom 16. April gab den Vorwand <i>zur Zurückberufung der Armee
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nach Paris</i> - der eigentliche Zweck der plump angelegten Komödie - und zu den
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reaktionären föderalistischen Demonstrationen der Provinzen.</p>
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<p>Am 4. Mai trat die aus den <i>direkten allgemeinen Wahlen</i> hervorgegangene
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<i>Nationalversammlung</i> zusammen. Das allgemeine Stimmrecht besaß nicht die magische
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Kraft, welche ihm die Republikaner alten Schlages zugetraut hatten. In ganz Frankreich,
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wenigstens in der Majorität der Franzosen, erblickten sie <i>Citoyens</i> mit denselben
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Interessen, derselben Einsicht usw. Es war dies ihr <i>Volkskultus</i>. Statt ihres
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<i>eingebildeten</i> Volkes brachten die Wahlen das <i>wirkliche</i> Volk ans Tageslicht, d.h.
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Repräsentanten der verschiedenen Klassen, worin es zerfällt. Wir haben gesehen, warum
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Bauern und Kleinbürger unter der Leitung der kampflustigen Bourgeoisie und der
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restaurationswütigen großen Grundeigentümer wählen mußten. Aber wenn
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das allgemeine Stimmrecht nicht die wundertätige Wünschelrute war, wofür
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republikanische Biedermänner es angesehen hatten, besaß es das ungleich höhere
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Verdienst, den Klassenkampf zu entfesseln, die verschiedenen Mittelschichten der
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bürgerlichen Gesellschaft ihre Illusionen und Enttäuschungen rasch durchleben zu
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lassen, sämtliche Fraktionen der exploitierenden Klasse in einem Wurfe auf die
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Staatsbühne zu schleudern und ihnen so die trügerische Larve abzureißen,
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während die Monarchie mit ihrem Zensus nur bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie sich
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kompromittieren und die anderen hinter den Kulissen im Versteck ließ und sie mit dem
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Heiligenschein einer gemeinsamen Opposition umgab.</p>
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<p>In der konstituierenden Nationalversammlung, die am 4. Mai zusammentrat, besaßen die
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<i>Bourgeoisrepublikaner</i>, die Republikaner des "National" die Oberhand. Legitimisten und
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Orleanisten selbst wagten sich zunächst nur unter der Maske des bürgerlichen
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Republikanismus zu zeigen. Nur im Namen der Republik konnte der Kampf gegen das Proletariat
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aufgenommen werden.</p>
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<p><i>Vom 4. Mai</i>, <i>nicht vom 25. Februar, datiert die Republik</i>, d.h. die vom
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französischen Volke anerkannte Republik; es ist nicht die Republik, welche das Pariser
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Proletariat der provisorischen Regierung aufdrang, nicht die Republik mit sozialen Institutionen,
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nicht das Traumbild, das des Barrikadenkämpfern vorschwebte. Die von der Nationalversammlung
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proklamierte, die einzig legitime Republik, es ist die Republik, welche keine revolutionäre
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Waffe gegen die bürgerliche Ordnung, vielmehr ihre politische Rekonstitution, die politische
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Wiederbefestigung der bürgerlichen Gesellschaft ist, mit einem Worte: <i>die
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bürgerliche Republik</i>. Von der Tribüne der Nationalversammlung erscholl <a name=
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"S30"><b><30></b></a> diese Behauptung, in der gesamten republikanischen und
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antirepublikanischen Bürgerpresse fand sie ihr Echo.</p>
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<p>Und wie haben gesehen, wie die Februarrepublik wirklich nichts anderes war und sein konnte als
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eine <i>bürgerliche</i> Republik, wie aber die provisorische Regierung unter dem
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unmittelbaren Drucke des Proletariats gezwungen war, sie als eine <i>Republik mit sozialen
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Institutionen</i> anzukündigen, wie das Pariser Proletariat noch unfähig war, anders
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als in der <i>Vorstellung</i>, in der <i>Einbildung</i> über die bürgerliche Republik
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hinauszugehen, wie es überall in ihrem Dienste handelte, wo es wirklich zur Handlung kam,
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wie die ihm gemachten Verheißungen zur unerträglichen Gefahr für die neue
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Republik wurden, wie der ganze Lebensprozeß der provisorischen Regierung sich in einen
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fortdauernden Kampf gegen die Forderungen des Proletariats zusammenfaßte.</p>
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<p>In der Nationalversammlung saß ganz Frankreich zu Gericht über das Pariser
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Proletariat. Sie brach sofort mit den sozialen Illusionen der Februarrevolution, sie proklamierte
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rundheraus die <i>bürgerliche Republik</i>, nichts als die bürgerliche Republik. Sofort
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schloß sie aus der von ihr ernannten Exekutivkommission die Vertreter des Proletariats aus:
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Louis Blanc und Albert; sie verwarf den Vorschlag eines besondern Arbeitsministeriums, sie
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empfing mit stürmischen Beifallsrufen die Erklärung des Ministers Trélat: "Es
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handelt sich nur noch darum, <i>die Arbeit auf ihre alten Bedingungen
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zurückzuführen</i>."</p>
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<p>Aber das alles genügte nicht. Die Februarrevolution war von den Arbeitern erkämpft
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unter dem passiven Beistande der Bourgeoisie. Die Proletarier betrachteten sich mit Recht als die
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Sieger des Februar, und sie machten die hochmütigen Ansprüche des Siegers. Sie
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mußten auf der Straße besiegt, es mußte ihnen gezeigt werden, daß sie
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unterlagen, sobald sie nicht <i>mit</i> der Bourgeoisie, sondern <i>gegen</i> die Bourgeoisie
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kämpften. Wie die Februarrepublik mit ihren sozialistischen Zugeständnissen einer
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Schlacht des mit der Bourgeoisie gegen das Königtum vereinten Proletariats bedurfte, so war
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eine zweite Schlacht nötig, um die Republik von den sozialistischen Zugeständnissen zu
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scheiden, um die <i>bürgerliche Republik</i> offiziell als die herrschende herauszuarbeiten.
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Mit den Waffen in der Hand mußte die Bourgeoisie die Forderungen des Proletariats
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widerlegen. Und die wirkliche Geburtsstätte der bürgerlichen Republik, es ist nicht der
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<i>Februarsieg</i>, es ist die <i>Juniniederlage</i>.</p>
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<p>Das Proletariat beschleunigte die Entscheidung, als es den 15. Mai in die Nationalversammlung
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drang, seinen revolutionären Einfluß erfolglos wiederzuerobern suchte und nur seine
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energischen Führer den Kerkermeistern der Bourgeoisie ausgeliefert hatte. <i>Il faut en
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finir!</i> Diese Situation muß endigen! In diesem Schrei machte die Nationalversammlung
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ihrem Entschlusse Luft, das Proletariat zum entscheidenden Kampfe zu zwingen. Die Exekutiv-
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<a name="S31"><b><31></b></a> kommission erließ eine Reihe herausfordernder Dekrete,
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wie das Verbot der Volkszusammenscharungen usw. Von der Tribüne der konstituierenden
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Nationalversammlung herab wurden die Arbeiter direkt provoziert, beschimpft, verhöhnt. Aber
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der eigentliche Angriffspunkt war, wie wir gesehen haben, in den <i>Nationalateliers</i> gegeben.
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Auf sie wies die konstituierende Versammlung gebieterisch die Exekutivkommission hin, die nur
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darauf harrte, ihren eigenen Plan als Gebot der Nationalversammlung ausgesprochen zu
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hören.</p>
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<p>Die Exekutivkommission begann damit, den Zutritt in die Nationalateliers zu erschweren, den
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Taglohn in Stücklohn zu verwandeln, die nicht in Paris gebürtigen Arbeiter nach der
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Sologne, angeblich zur Ausführung von Erdarbeiten, zu verbannen. Diese Erdarbeiten waren nur
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eine rhetorische Formel, womit man ihre Verjagung beschönigte, wie die enttäuschten
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zurückkehrenden Arbeiter ihren Genossen verkündeten. Endlich am 21. Juni erschien ein
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Dekret im "Moniteur", welches die gewaltsame Austreibung aller unverheirateten Arbeiter aus den
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Nationalateliers verordnete oder ihre Einrollierung in die Armee.</p>
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<p>Es blieb den Arbeitern keine Wahl, sie mußten verhungern oder losschlagen. Sie
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antworteten am 22. Juni mit der ungeheuren Insurrektion, worin die erste große Schlacht
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geliefert wurde zwischen den beiden Klassen, welche die moderne Gesellschaft spalten. Es war der
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Kampf um die Erhaltung oder Vernichtung der <i>bürgerlichen</i> Ordnung. Der Schleier, der
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die Republik verhüllte, zerriß.</p>
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<p>Es ist bekannt, wie die Arbeiter mit beispielloser Tapferkeit und Genialität, ohne Chefs,
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ohne gemeinsamen Plan, ohne Mittel, zum größten Teil der Waffen entbehrend, die Armee,
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die Mobilgarde, die Pariser Nationalgarde und die aus der Provinz hinzuströmende
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Nationalgarde während fünf Tagen im Schach hielten. Es ist bekannt, wie die Bourgeoisie
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für die ausgestandene Todesangst sich in unerhörter Brutalität entschädigte
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und über 3.000 Gefangene massakrierte.</p>
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<p>So sehr waren die offiziellen Vertreter der französischen Demokratie in der
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republikanischen Ideologie befangen, daß sie erst einige Wochen später den Sinn des
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Junikampfes zu ahnen begannen. Sie waren wie betäubt von dem Pulverdampfe, worin ihre
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phantastische Republik zerrann.</p>
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<p>Der unmittelbare Eindruck, den die Nachricht von der Juniniederlage auf uns hervorbrachte, der
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Leser wird uns erlauben, ihn mit den Worten der "Neuen Rheinischen Zeitung" zu schildern:</p>
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<p>"Der letzte offizielle Rest der Februarrevolution, die Exekutivkommission, ist vor dem Ernst
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der Ereignisse wie ein Nebelbild zerflossen. Lamartines Leuchtkugeln haben sich verwandelt in die
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Brandraketen Cavaignacs. Die <a name="S32"><b><32></b></a> Fraternité, die
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Brüderlichkeit der entgegengesetzten Klassen, wovon die eine die andere exploitiert, die
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Fraternité, im Februar proklamiert, mit großen Buchstaben auf die Stirne von Paris
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geschrieben, auf jedes Gefängnis, auf jede Kaserne - ihr wahrer, unverfälschter, ihr
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prosaischer Ausdruck, das ist der <i>Bürgerkrieg</i>, der Bürgerkrieg in seiner
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fürchterlichsten Gestalt, der Krieg der Arbeit und des Kapitals. Diese Brüderlichkeit
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flammte vor allen Fenstern von Paris am Abend des 25. Juni, als das Paris der Bourgeoisie
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illuminierte, während das Paris des Proletariats verbrannte, verblutete, verächzte. Die
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Brüderlichkeit währte gerade so lange, als das Interesse der Bourgeoisie mit dem
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Interesse des Proletariats verbrüdert war. - Pedanten der alten revolutionären
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Überlieferung von 1793, sozialistische Systematiker, die bei der Bourgeoisie für das
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Volk bettelten und denen erlaubt worden wurde, lange Predigten zu halten und sich so lange zu
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kompromittieren, als der proletarische Löwe in Schlaf gelullt werden mußte,
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Republikaner, welche die ganze alte bürgerliche Ordnung mit dem Abzug des gekrönten
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Kopfes verlangten, dynastische Oppositionelle, denen der Zufall an die Stelle eines
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Ministerwechsels den Sturz einer Dynastie unterschob, Legitimisten, welche die Livrée
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nicht abwerfen, sondern ihren Schnitt verändern wollten, das waren die Bundesgenossen, womit
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das Volk seinen Februar machte ... Die Februarrevolution war die <i>schöne</i> Revolution,
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die Revolution der allgemeinen Sympathie, weil die Gegensätze, die in ihr gegen das
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Königtum eklatierten, <i>unentwickelt</i>, einträchtig nebeneinander schlummerten, weil
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der soziale Kampf, der ihren Hintergrund bildete, nur eine luftige Existenz gewonnen hatte, die
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Existenz der Phrase, des Worts. Die <i>Junirevolution</i> ist die <i>häßliche</i>
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Revolution, die abstoßende Revolution, weil an die Stelle der Phrase die Sache getreten
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ist, weil die Republik das Haupt des Ungeheuers selbst entblößte, indem sie ihm die
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schirmende und versteckende Krone abschlug. - <i>Ordnung!</i> war der Schlachtruf Guizots.
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<i>Ordnung!</i> schrie Sébastiani, der Guizotin, als Warschau russisch wurde.
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<i>Ordnung!</i> schreit Cavaignac, das brutale Echo der französischen Nationalversammlung
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und der republikanischen Bourgeoisie. <i>Ordnung!</i> donnerten seine Kartätschen, als sie
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||
|
den Leib des Proletariats zerrissen. Keine der zahlreichen Revolutionen der französischen
|
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Bourgeoisie seit 1789 war ein Attentat auf die <i>Ordnung</i>, denn sie ließ die
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|
<i>bürgerliche</i> Ordnung bestehen, sooft auch die politische Form dieser Herrschaft und
|
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|
dieser Sklaverei wechselte. Der Juni hat diese Ordnung angetastet. Wehe über den Juni!" ("N.
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|
Rh. Z.", 29. Juni 1848)</p>
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|
<p>Wehe über den Juni! schallt das europäische Echo zurück.</p>
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<p><b><a name="S33"><33></a></b> Von der Bourgeoisie wurde das Pariser Proletariat zur
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|
Juniinsurrektion <i>gezwungen</i>. Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein
|
||
|
unmittelbares eingestandenes Bedürfnis trieb es dahin, den Sturz der Bourgeoisie gewaltsam
|
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|
erkämpfen zu wollen, noch war es dieser Aufgabe gewachsen. Der <i>"Moniteur"</i> mußte
|
||
|
ihm offiziell eröffnen. daß die Zeit vorüber, wo die Republik vor seinen
|
||
|
Illusionen die Honneurs zu machen sich veranlaßt sah, und erst seine Niederlage
|
||
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überzeugte es von der Wahrheit, daß die geringste Verbesserung seiner Lage eine
|
||
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<i>Utopie</i> bleibt <i>innerhalb</i> der bürgerlichen Republik, eine Utopie, die zum
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||
|
Verbrechen wird, sobald sie sich verwirklichen will. An die Stelle seiner, der Form nach
|
||
|
überschwenglichen, dem Inhalte nach kleinlichen und selbst noch bürgerlichen
|
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Forderungen, deren Konzession es der Februarrepublik abdingen wollte, trat die kühne
|
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revolutionäre Kampfparole: <i>Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!</i></p>
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|
<p>Indem das Proletariat seine Leichenstätte zur Geburtsstätte der <i>bürgerlichen
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Republik</i> machte, zwang es sie sogleich, in ihrer reinen Gestalt herauszutreten als der Staat,
|
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|
dessen eingestandener Zweck ist, die Herrschaft des Kapitals, die Sklaverei der Arbeit zu
|
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verewigen. Im steten Hinblicke auf den narbenvollen, unversöhnbaren, unbesiegbaren Feind -
|
||
|
unbesiegbar, weil seine Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist - mußte die von
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||
|
allen Fesseln befreite Bourgeoisherrschaft sofort in den <i>Bourgeoisterrorismus</i> umschlagen.
|
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Das Proletariat einstweilen von der Bühne beseitigt, die Bourgeoisdiktatur offiziell
|
||
|
anerkannt, mußten die mittleren Schichten der bürgerlichen Gesellschaft,
|
||
|
Kleinbürgertum und Bauernklasse, in dem Maße, als ihre Lage unerträglicher und
|
||
|
ihr Gegensatz gegen die Bourgeoisie schroffer wurde, mehr und mehr sich an das Proletariat
|
||
|
anschließen. Wie früher in seinem Aufschwunge, mußten sie jetzt in seiner
|
||
|
Niederlage den Grund ihrer Misere finden.</p>
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|
<p>Wenn die Juniinsurrektion überall auf dem Kontinent das Selbstgefühl der Bourgeoisie
|
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|
hob und sie offen in einen Bund mit dem feudalen Königtum gegen das Volk treten ließ,
|
||
|
wer war das erste Opfer diese Bundes? Die kontinentale Bourgeoisie selbst. Die Juniniederlage
|
||
|
verhinderte sie, ihre Herrschaft zu befestigen und das Volk auf der untergeordnetsten Stufe der
|
||
|
bürgerlichen Revolution halb befriedigt, halb verstimmt, stillstehn zu machen.</p>
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|
||
|
<p>Endlich verriet die Juniniederlage den despotischen Mächten Europas das Geheimnis,
|
||
|
daß Frankreich unter allen Bedingungen den Frieden nach außen aufrechterhalten
|
||
|
müsse, um den Bürgerkrieg nach innen führen zu können. So wurden die
|
||
|
Völker, die den Kampf um ihre nationale Unabhängigkeit begonnen hatten, der
|
||
|
Übermacht Rußlands, Österreichs und Preußens preisgegeben., aber
|
||
|
gleichzeitig wurde das Schicksal dieser nationalen Revolutionen <a name=
|
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|
"S34"><b><34></b></a> dem Schicksal der proletarischen Revolution unterworfen, ihrer
|
||
|
scheinbaren Selbständigkeit, ihrer Unabhängigkeit von der großen sozialen
|
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|
Umwälzung beraubt. Der Ungar soll nicht frei sein, nicht der Pole, nicht der Italiener,
|
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|
solange der Arbeiter Sklave bleibt!</p>
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<p>Endlich nahm Europa durch die Siege der Heiligen Allianz eine Gestalt an, die jede neue
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||
|
proletarische Erhebung in Frankreich mit einem <i>Weltkriege</i> unmittelbar zusammenfallen
|
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|
läßt. Die neue französische Revolution ist gezwungen, sofort den nationalen Boden
|
||
|
zu verlassen und das <i>europäische Terrain zu erobern</i>, auf dem allein die soziale
|
||
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Revolution des 19. Jahrhunderts sich durchführen kann.</p>
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<p>Erst durch die Juniniederlage also wurden alle Bedingungen geschaffen, innerhalb deren
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Frankreich die <i>Initiative</i> der europäischen Revolution ergreifen kann. Erst in das
|
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Blut der <i>Juniinsurgenten</i> getaucht, wurde die Trikolore zur Fahne der europäischen
|
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|
Revolution - zur <i>roten Fahne!</i></p>
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<p>Und wir rufen: <i>Die Revolution ist tot! - Es lebe die Revolution!</i></p>
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<hr>
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|
<p>Anmerkungen von Friedrich Engels zur Ausgabe von 1895</p>
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<p><a name="M1">(1)</a> Annexion von Krakau durch Österreich im Einverständnis mit
|
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Rußland und Preußen 11. November 1846. - Schweizer Sonderbundskrieg 4. bis 28.
|
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|
November 1847. - Aufstand in Palermo 12. Januar 1848, Ende Januar neuntägiges Bombardement
|
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|
der Stadt durch die Neapolitaner. <a href="me07_012.htm#Z1"><=</a></p>
|
||
|
</body>
|
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|
</html>
|