888 lines
62 KiB
HTML
888 lines
62 KiB
HTML
|
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
|||
|
<HTML>
|
|||
|
<!-- #BeginTemplate "/Templates/Junius.dwt" -->
|
|||
|
<HEAD>
|
|||
|
<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - VII</TITLE>
|
|||
|
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
|||
|
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">
|
|||
|
</HEAD>
|
|||
|
<BODY link="#6000FF" vlink="#8080C0" alink="#FF0000" bgcolor="#FFFFCC">
|
|||
|
<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
|
|||
|
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
|||
|
<TR>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201a" --><A HREF="luf_6.htm"><SMALL>Teil 6</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%202a" --><A HREF="luf_8.htm"><SMALL>Teil 8</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
|||
|
</TR>
|
|||
|
</TABLE>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
|
|||
|
<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->VII.<BR>
|
|||
|
Invasion und Klassenkampf<!-- #EndEditable --></H1>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<!-- #BeginEditable "Text" -->
|
|||
|
<P ALIGN=left>Wie aber nun trotz alledem ­ wenn wir den Kriegsausbruch nicht haben
|
|||
|
verhindern können, wenn der Krieg einmal da ist, wenn das Land vor
|
|||
|
einer feindlichen Invasion steht ­ sollen wir da das eigene Land wehrlos
|
|||
|
machen, es dem Feinde preisgeben­, die Deutschen den Russen, die Franzosen
|
|||
|
und Belgier den Deutschen, die Serben den Österreichern? Besagt nicht
|
|||
|
der sozialistische Grundsatz: das Selbstbestimmungsrecht der Nationen,
|
|||
|
daß jedes Volk berechtigt und verpflichtet ist, seine Freiheit und
|
|||
|
Unabhängigkeit zu schützen? Wenn das Haus brennt, muß man
|
|||
|
da nicht vor allem löschen, statt nach dem Schuldigen zu suchen, der
|
|||
|
den Brand angelegt hat? Dieses Argument vom »brennenden Hause« hat in der Haltung der Sozialisten hüben wie drüben, in Deutschland
|
|||
|
wie in Frankreich, eine große Rolle gespielt. Auch in neutralen Ländern
|
|||
|
hat es Schule gemacht: ins Holländische übertragen heißt
|
|||
|
es: wenn das Schiff leck ist, muß man es da nicht vor allem zu verstopfen
|
|||
|
suchen?</P>
|
|||
|
<P align="left">Gewiß, nichtswürdig das Volk, das vor dem äußeren
|
|||
|
Feinde kapituliert, wie nichtswürdig die Partei, die vor dem inneren
|
|||
|
Feinde kapituliert. Nur eins haben die Feuerwehrleute des »brennenden
|
|||
|
Hauses« vergessen: daß im Munde des Sozialisten die Verteidigung
|
|||
|
des Vaterlandes anderes bedeutet, als die Rolle des Kanonenfutters unter
|
|||
|
dem Kommando der imperialistischen Bourgeoisie. Zunächst was die »Invasion« betrifft, ist das wirklich jenes Schreckbild, vor dem jeder Klassenkampf
|
|||
|
im Innern des Landes wie von einem übermächtigen Zauber gebannt
|
|||
|
und gelähmt verschwindet? Nach der polizeilichen Theorie des bürgerlichen
|
|||
|
|
|||
|
Patriotismus und des Belagerungszustandes ist jeder Klassenkampf ein Verbrechen
|
|||
|
an den Verteidigungsinteressen des Landes, weil er die Gefährdung
|
|||
|
und Schwächung der Wehrkraft der Nation sein soll. Von diesem Geschrei
|
|||
|
hat sich die offizielle Sozialdemokratie verblüffen lassen. Und doch
|
|||
|
zeigte die moderne Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft auf Schritt
|
|||
|
und Tritt, daß ihr die fremde Invasion nicht der Greuel aller Greuel,
|
|||
|
als welcher sie heute hingemalt wird, sondern ein mit Vorliebe angewandtes
|
|||
|
und erprobtes Mittel gegen den »inneren Feind« ist. Riefen nicht
|
|||
|
die Bourbonen und die Aristokraten Frankreichs die Invasion ins Land gegen
|
|||
|
die Jakobiner? Rief die österreichische und kirchenstaatliche Konterrevolution
|
|||
|
nicht 1849 die französische Invasion gegen Rom, die russische gegen
|
|||
|
Budapest? Drohte nicht in Frankreich die »Ordnungspartei« 1850
|
|||
|
offen mit der Invasion der Kosaken, um die Nationalversammlung kirre zu
|
|||
|
machen? Und wurde nicht durch den famosen Vertrag vom 18. Mai 1871 zwischen
|
|||
|
Jules Favre, Thiers und Co. und Bismarck die Freilassung der gefangenen
|
|||
|
bonapartistischen Armee und die direkte Unterstützung der preußischen
|
|||
|
Truppen zur Ausrottung der Kommune von Paris abgemacht? Für <B>Karl
|
|||
|
Marx</B> genügte die geschichtliche Erfahrung, um schon vor 45 Jahren
|
|||
|
die »nationalen Kriege« der modernen bürgerlichen Staaten
|
|||
|
als Schwindel zu entlarven. In seiner berühmten Adresse des Generalrats
|
|||
|
der Internationalen zum Fall der Pariser Kommune sagt er:
|
|||
|
</P>
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Daß nach dem gewaltigsten Kriege der neueren
|
|||
|
Zeit die siegreiche und die besiegte Armee sich verbünden zum gemeinsamen
|
|||
|
Abschlachten des Proletariats ­ ein so unerhörtes Ereignis beweist,
|
|||
|
nicht wie Bismarck glaubt, die endliche Niederdrückung der sich emporarbeitenden
|
|||
|
neuen Gesellschaft, sondern die vollständige Zerbröckelung der
|
|||
|
alten Bourgeoisgesellschaft. <B>Der höchste heroische Aufschwung,
|
|||
|
dessen die alte Gesellschaft noch fähig war, ist der Nationalkrieg,
|
|||
|
und dieser erweist sich jetzt als reiner Regierungsschwindel</B>, der keinen
|
|||
|
anderen Zweck mehr hat, als den Klassenkampf hinauszuschieben, und der
|
|||
|
beiseite fliegt, sobald der Klassenkampf im Bürgerkrieg auflodert.
|
|||
|
Die Klassenherrschaft ist nicht länger imstande, sich unter einer
|
|||
|
nationalen Uniform zu verstecken; die nationalen Regierungen sind eins
|
|||
|
gegenüber dem Proletariat!«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Invasion und Klassenkampf sind also in der bürgerlichen Geschichte
|
|||
|
nicht Gegensätze, wie es in der offiziellen Legende heißt, sondern
|
|||
|
eins ist Mittel und Äußerung des anderen. Und wenn für
|
|||
|
die herrschenden Klassen die Invasion ein erprobtes Mittel gegen den Klassenkampf
|
|||
|
darstellt, so hat sich für die aufstrebenden Klassen der schärfste
|
|||
|
Klassenkampf noch immer als das beste Mittel gegen die Invasion erwiesen.
|
|||
|
An der Schwelle der Neuzeit zeigt schon die stürmische, von zahllosen
|
|||
|
inneren Umwälzungen und äußeren Anfeindungen aufgewühlte
|
|||
|
Geschichte der Städte, namentlich der italienischen, die Geschichte
|
|||
|
von Florenz, von Mailand mit ihrem hundertjährigen Ringen gegen die
|
|||
|
Hohenstaufen, daß die Gewalt und das Ungestüm der inneren Klassenkämpfe
|
|||
|
die Abwehrkraft des Gemeinwesens nach außen, nicht bloß nicht
|
|||
|
schwächen, sondern daß im Gegenteil erst aus der Esse dieser
|
|||
|
Kämpfe die mächtige Lohe aufsteigt, die stark
|
|||
|
|
|||
|
genug ist, jedem feindlichen Anprall von außen Trotz zu bieten. Aber das
|
|||
|
klassische Beispiel aller Zeiten ist die große französische
|
|||
|
Revolution. Wenn je, so galt für das Frankreich des Jahres 1793, für
|
|||
|
das Herz Frankreichs, Paris: Feinde ringsum! Wenn Paris und Frankreich der
|
|||
|
Sturmflut des koalierten Europas, der Invasion von allen Seiten damals
|
|||
|
nicht erlegen waren, sondern sich im Verlaufe des beispiellosen Ringens
|
|||
|
mit dem Wachsen der Gefahr und des feindlichen Angriffs zu immer gigantischerem
|
|||
|
Widerstand emporrafften, jede neue Koalition der Feinde durch erneute Wunder
|
|||
|
des unerschöpflichen Kampfmuts aufs Haupt schlugen, so war es nur
|
|||
|
der schrankenlosen Entfesselung der inneren Kräfte der Gesellschaft
|
|||
|
in der großen Auseinandersetzung der Klassen zu danken. Heute, aus
|
|||
|
der Perspektive eines Jahrhunderts, ist es deutlich sichtbar, daß
|
|||
|
nur der schärfste Ausdruck jener Auseinandersetzung, daß nur
|
|||
|
die Diktatur des Pariser Volkes und ihr rücksichtsloser Radikalismus
|
|||
|
aus dem Boden der Nation Mittel und Kräfte zu stampfen vermocht haben,
|
|||
|
die ausreichend waren, die neugeborene bürgerliche Gesellschaft gegen
|
|||
|
eine Welt von Feinden zu verteidigen und zu behaupten: gegen die Intrigen
|
|||
|
der Dynastie, die landesverräterischen Machinationen der Aristokraten,
|
|||
|
die Zettelungen des Klerus, den Aufstand der Vendée, den Verrat
|
|||
|
der Generale, den Widerstand von sechzig Departements und Provinzialhauptstädten
|
|||
|
und gegen die vereinigten Heere und Flotten der monarchischen Koalition
|
|||
|
Europas. Wie Jahrhunderte bezeugen, ist also nicht der Belagerungszustand,
|
|||
|
sondern der rücksichtslose Klassenkampf, der das Selbstgefühl,
|
|||
|
den Opfermut und die sittliche Kraft der Volksmassen wachrüttelt,
|
|||
|
der beste Schutz und die beste Wehr des Landes gegen äußere
|
|||
|
Feinde.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Dasselbe tragische Quidproquo [Mißverständnis] passiert der
|
|||
|
Sozialdemokratie, wenn sie sich zur Begründung ihrer Haltung in diesem
|
|||
|
Kriege auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen beruft. Es ist wahr:
|
|||
|
der Sozialismus gesteht jedem Volke das Recht auf Unabhängigkeit und
|
|||
|
Freiheit, auf selbständige Verfügung über die eigenen Geschicke
|
|||
|
zu. Aber es ist ein wahrer Hohn auf den Sozialismus, wenn die heutigen
|
|||
|
kapitalistischen Staaten als der Ausdruck dieses Selbstbestimmungsrechts
|
|||
|
der Nationen hingestellt werden. In welchem dieser Staaten hat denn die
|
|||
|
Nation bis jetzt über die Formen und Bedingungen seines nationalen,
|
|||
|
politischen oder sozialen Daseins bestimmt?</P>
|
|||
|
<P>Was die Selbstbestimmung des deutschen Volkes bedeutet, was sie will,
|
|||
|
das haben die Demokraten von 1848, das haben die Vorkämpfer des deutschen
|
|||
|
Proletariats, Marx, Engels und Lassalle, Bebel und Liebknecht verkündet
|
|||
|
und verfochten: <B>es ist die einige großdeutsche Republik</B>. Um
|
|||
|
dieses Ideal haben die Märzkämpfer in Wien und Berlin auf den
|
|||
|
Barrikaden ihr Herzblut verspritzt, zur Verwirklichung dieses Programms
|
|||
|
wollten Marx und Engels 1848 Preußen zu einem Krieg mit dem russischen
|
|||
|
Zarismus zwingen. Das erste Erfordernis für die Erfüllung dieses
|
|||
|
nationalen Programms war die Liquidierung des »Haufens organisierte
|
|||
|
Verwesung«, genannt habsburgische Monarchie, und die Abschaffung der
|
|||
|
preußischen Militärmonarchie sowie der zwei Dutzend Zwergmonarchien
|
|||
|
in Deutschland. Die Niederlage der deutschen Revolution, der Verrat des
|
|||
|
deutschen Bürgertums an seinen eigenen demokratischen Idealen führten
|
|||
|
zum Bismarckschen Regiment und zu dessen Schöpfung: dem heutigen Großpreußen
|
|||
|
mit den zwanzig Vaterländern unter einer Helmspitze, das sich das
|
|||
|
Deutsche Reich nennt. Das heutige Deutschland ist auf dem Grabe der Märzrevolution,
|
|||
|
auf den Trümmern des nationalen Selbstbestimmungsrechts des deutschen
|
|||
|
Volkes errichtet. Der heutige Krieg, der neben der Erhaltung der Türkei
|
|||
|
die Erhaltung der habsburgischen Monarchie und die Stärkung der preußischen
|
|||
|
Militärmonarchie zum Zweck hat, ist eine abermalige Verscharrung der
|
|||
|
Märzgefallenen und des nationalen Programms Deutschlands. Und es liegt
|
|||
|
ein wahrhaft teuflischer Witz der Geschichte darin, daß Sozialdemokraten,
|
|||
|
die Erben der deutschen Patrioten von 1848, in diesen Krieg ziehen ­
|
|||
|
das Banner des »Selbstbestimmungsrechts der Nationen« in der
|
|||
|
Hand! Oder ist etwa die dritte Republik mit den Kolonialbesitzungen in
|
|||
|
vier und mit Kolonialgreueln in zwei Weltteilen ein Ausdruck der »Selbstbestimmung« der französischen Nation? Oder ist es das Britische Reich mit Indien
|
|||
|
und der südafrikanischen Herrschaft einer Million Weißer über
|
|||
|
fünf Millionen farbiger Bevölkerung? Oder ist es gar die Türkei,
|
|||
|
das Zarenreich? Nur für einen bürgerlichen Politiker, für
|
|||
|
den die Herrenrassen die Menschheit und die herrschenden Klassen die Nation
|
|||
|
darstellen, kann in den Kolonialstaaten überhaupt von einer »nationalen
|
|||
|
Selbstbestimmung« die Rede sein. Im sozialistischen Sinne dieses Begriffs
|
|||
|
gibt es keine freie Nation, wenn ihre staatliche Existenz auf der Versklavung
|
|||
|
anderer Völker beruht, denn auch die Kolonialvölker zählen
|
|||
|
als Völker und als Glieder des Staates. Der internationale Sozialismus
|
|||
|
erkennt das Recht freier, unabhängiger, gleichberechtigter Nationen,
|
|||
|
aber nur er kann solche Nationen schaffen, erst er kann das Selbstbestimmungsrecht
|
|||
|
der Völker verwirklichen. Auch diese Losung des Sozialismus ist, wie
|
|||
|
alle anderen, nicht eine Heiligsprechung des Bestehenden, sondern ein Wegweiser
|
|||
|
und Ansporn für die revolutionäre, umgestaltende, aktive Politik
|
|||
|
des Proletariats. Solange kapitalistische Staaten bestehen, namentlich
|
|||
|
solange die imperialistische Weltpolitik das innere und äußere
|
|||
|
Leben der Staaten bestimmt und gestaltet, hat das nationale Selbstbestimmungsrecht
|
|||
|
mit ihrer Praxis im Krieg wie im Frieden nicht das geringste gemein.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Noch mehr: in dem heutigen imperialistischen Milieu kann es überhaupt
|
|||
|
keine nationalen Verteidigungskriege mehr geben, und jede sozialistische
|
|||
|
Politik, die von diesem bestimmenden historischen Milieu absieht, die sich
|
|||
|
mitten im Weltstrudel nur von den isolierten Gesichtspunkten eines Landes
|
|||
|
leiten lassen will, ist von vornherein auf Sand gebaut.</P>
|
|||
|
<P>Wir haben bereits den Hintergrund des jetzigen Zusammenstoßes
|
|||
|
Deutschlands mit seinen Gegnern aufzuzeigen gesucht. Es war nötig,
|
|||
|
|
|||
|
die eigentlichen Triebfedern und die inneren Zusammenhänge des heutigen
|
|||
|
Krieges näher zu beleuchten, weil in der Stellungnahme unserer Reichstagsfraktion
|
|||
|
wie unserer Presse die Verteidigung der Existenz, Freiheit und Kultur Deutschlands
|
|||
|
die entscheidende Rolle spielte. Demgegenüber muß an der historischen
|
|||
|
Wahrheit festgehalten werden, daß es sich um einen vom deutschen
|
|||
|
Imperialismus durch seine weltpolitischen Ziele seit Jahren vorbereiteten
|
|||
|
und im Sommer 1914 durch die deutsche und österreichische Diplomatie
|
|||
|
zielbewußt herbeigeführten Präventivkrieg handelt. Darüber
|
|||
|
hinaus ist bei der allgemeinen Einschätzung des Weltkrieges und seiner
|
|||
|
Bedeutung für die Klassenpolitik des Proletariats die Frage der Verteidigung
|
|||
|
und des Angriffs, die Frage nach dem »Schuldigen« völlig
|
|||
|
belanglos. Ist Deutschland am allerwenigsten in der Selbstverteidigung,
|
|||
|
so sind es auch Frankreich und England nicht, denn was sie »verteidigen«,
|
|||
|
ist nicht ihre nationale, sondern ihre weltpolitische Position, ihr von
|
|||
|
den Anschlägen des deutschen Emporkömmlings bedrohter alter imperialistischer
|
|||
|
Besitzstand. Haben die Streifzüge des deutschen und österreichischen
|
|||
|
Imperialismus im Orient den Weltbrand zweifellos entzündet, so hatten
|
|||
|
zu ihm der französische Imperialismus durch die Verspeisung Marokkos,
|
|||
|
der englische durch seine Vorbereitungen zum Raub Mesopotamiens und Arabiens
|
|||
|
wie durch alle Maßnahmen zur Sicherung seiner Zwingherrschaft in
|
|||
|
Indien, der russische durch seine auf Konstantinopel zielende Balkanpolitik
|
|||
|
Scheit für Scheit den Brennstoff zusammengeschleppt und aufgeschichtet.
|
|||
|
Wenn die militärischen Rüstungen eine wesentliche Rolle als Triebfeder
|
|||
|
zum Losbrechen der Katastrophe gespielt haben, so waren sie ein Wettkampf
|
|||
|
aller Staaten. Und wenn Deutschland zu dem europäischen Wettrüsten
|
|||
|
durch die Bismarcksche Politik von 1870 den Grundstein gelegt hatte, so
|
|||
|
war jene Politik vorher durch die des zweiten Kaiserreichs begünstigt
|
|||
|
und nachher durch die militärische koloniale Abenteurerpolitik der
|
|||
|
dritten Republik, durch ihre Expansionen in Ostasien und Afrika gefördert.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Die französischen Sozialisten waren in ihre Illusion von der »nationalen
|
|||
|
Verteidigung« besonders durch die Tatsache hineingetrieben worden,
|
|||
|
daß die französische Regierung wie das ganze Volk im Juli 1914
|
|||
|
nicht die geringsten Kriegsabsichten hatten. »In Frankreich sind heute
|
|||
|
alle aufrichtig und ehrlich, rückhaltlos und vorbehaltlos für
|
|||
|
den Frieden«, bezeugte Jaures in der letzten Rede seines Lebens, am
|
|||
|
Vorabend des Krieges, im Brüsseler Volkshaus. Die Tatsache stimmt
|
|||
|
vollkommen, und sie kann psychologisch die Entrüstung begreiflich
|
|||
|
machen, die sich der französischen Sozialisten bemächtigt hatte,
|
|||
|
als der verbrecherische Krieg ihrem Lande aufgezwungen wurde. Aber zur
|
|||
|
Beurteilung des Weltkrieges als einer historischen Erscheinung und zur
|
|||
|
Stellungnahme der proletarischen Politik ihm gegenüber reicht diese
|
|||
|
Tatsache nicht aus. Die Geschichte, aus der der heutige Krieg geboren wurde,
|
|||
|
begann nicht erst im Juli 1914, sondern sie reicht Jahrzehnte zurück,
|
|||
|
wo sich Faden an Faden mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes knüpfte,
|
|||
|
bis das dichtmaschige Netz der
|
|||
|
imperialistischen Weltpolitik fünf Weltteile umstrickt hatte - ein
|
|||
|
gewaltiger historischer Komplex von Erscheinungen,
|
|||
|
deren Wurzeln in die plutonischen Tiefen des ökonomischen Werdens
|
|||
|
hinabreichen, deren äußerste Zweige in die undeutlich heraufdämmernde
|
|||
|
neue Welt hinüberwinken ­ Erscheinungen, bei deren umfassender
|
|||
|
Größe die Begriffe von Schuld und Sühne, von Verteidigung
|
|||
|
und Angriff wesenlos verblassen.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger
|
|||
|
Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung
|
|||
|
des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares
|
|||
|
Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und <B>dem
|
|||
|
sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag</B>. </P>
|
|||
|
<P>Von hier aus kann erst die Frage der »nationalen Verteidigung« im heutigen Kriege richtig gewertet werden. Der Nationalstaat, nationale
|
|||
|
Einheit und Unabhängigkeit, das war das ideologische Schild, unter
|
|||
|
dem sich die bürgerlichen Großstaaten in Mitteleuropa im vorigen
|
|||
|
Jahrhundert konstituierten. Der Kapitalismus kann sich mit der Kleinstaaterei,
|
|||
|
mit wirtschaftlicher und politischer Zersplitterung nicht vertragen, er
|
|||
|
bedarf zu seiner Entfaltung eines möglichst großen, innerlich
|
|||
|
geschlossenen Gebietes und einer geistigen Kultur, ohne die weder die Bedürfnisse
|
|||
|
der Gesellschaft auf das der kapitalistischen Warenproduktion entsprechende
|
|||
|
Niveau gehoben werden, noch der Mechanismus der modernen bürgerlichen
|
|||
|
Klassenherrschaft funktionieren kann. Bevor der Kapitalismus zur erdumspannenden
|
|||
|
Weltwirtschaft sich auswachsen konnte, suchte er sich in den nationalen
|
|||
|
Grenzen eines Staates ein geschlossenes Gebiet zu schaffen. Dieses Programm
|
|||
|
ist - da es sich auf dem vom feudalen Mittelalter überwiesenen politischen
|
|||
|
und nationalen Schachbrett nur auf revolutionärem Wege durchführen
|
|||
|
ließ - in Frankreich allein, in der großen Revolution, verwirklicht
|
|||
|
worden. Im übrigen Europa ist es, wie die bürgerliche Revolution
|
|||
|
überhaupt, Stückwerk geworden, auf halbem Weg stehengeblieben.
|
|||
|
Das Deutsche Reich und das heutige Italien, der Fortbestand Österreich-Ungarns
|
|||
|
und der Türkei bis heute, das Russische Reich und das Britische Weltreich
|
|||
|
sind dafür lebendige Beweise. Das nationale Programm hatte nur als
|
|||
|
ideologischer Ausdruck der aufstrebenden, nach der Macht im Staate zielenden
|
|||
|
Bourgeoisie eine geschichtliche Rolle gespielt, bis sich die bürgerliche
|
|||
|
Klassenherrschaft in den Großstaaten Mitteleuropas schlecht und recht
|
|||
|
zurechtgesetzt, sich in ihnen die nötigen Werkzeuge und Bedingungen
|
|||
|
geschaffen hat.</P>
|
|||
|
<P>Seitdem hat der Imperialismus das alte bürgerlich-demokratische
|
|||
|
Programm vollends zu Grabe getragen, indem er die Expansion über nationale
|
|||
|
Grenzen hinaus und ohne jede Rücksicht auf nationale Zusammenhänge
|
|||
|
zum Programm der Bourgeoisie aller Länder erhoben hat. Die nationale
|
|||
|
Phrase freilich ist geblieben. Ihr realer Inhalt, ihre Funktion ist aber
|
|||
|
in ihr Gegenteil verkehrt; sie fungiert nur noch als
|
|||
|
|
|||
|
notdürftiger Deckmantel imperialistischer Bestrebungen und als Kampfschrei
|
|||
|
imperialistischer Rivalitäten, als einziges und letztes ideologisches Mittel,
|
|||
|
womit die Volksmassen für ihre Rolle des Kanonenfutters in den
|
|||
|
imperialistischen Kriegen eingefangen werden können.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Die allgemeine Tendenz der jetzigen kapitalistischen Politik beherrscht
|
|||
|
dabei so gut als übermächtiges blindwaltendes Gesetz die Politik
|
|||
|
der einzelnen Staaten, wie die Gesetze der wirtschaftlichen Konkurrenz
|
|||
|
die Produktionsbedingungen des einzelnen Unternehmers gebieterisch bestimmen.</P>
|
|||
|
<P>Denken wir uns für einen Augenblick ­ um das des »nationalen
|
|||
|
Krieges«, das die sozialdemokratische Politik gegenwärtig beherrscht,
|
|||
|
nachzuprüfen ­, daß in einem der heutigen Staaten der Krieg
|
|||
|
in seinem Ausgangspunkt tatsächlich als reiner nationaler Verteidigungskrieg
|
|||
|
begonnen hat, so führt vor allem militärischer Erfolg zur Besetzung
|
|||
|
fremder Gebiete. Bei dem Vorhandensein höchst einflußreicher
|
|||
|
kapitalistischer Gruppen aber, die an imperialistischen Erwerbungen interessiert
|
|||
|
sind, werden im Laufe des Krieges selbst Expansionsappetite geweckt, die
|
|||
|
imperialistische Tendenz, die zu Beginn des Krieges erst im Keime vorhanden
|
|||
|
war oder schlummerte, wird im Verlauf des Krieges selbst wie in einer Treibhausatmosphäre
|
|||
|
aufwuchern und den Charakter des Krieges, seine Ziele und Ergebnisse bestimmen.
|
|||
|
Ferner: das System der Bündnisse zwischen den Militärstaaten,
|
|||
|
das seit Jahrzehnten die politischen Beziehungen der Staaten beherrscht,
|
|||
|
bringt es mit sich, daß jede der kriegführenden Parteien im
|
|||
|
Verlaufe des Krieges auch aus reinen Defensivrücksichten Bundesgenossen
|
|||
|
auf ihre Seite zu bringen sucht. Dadurch werden immer weitere Länder
|
|||
|
in den Krieg mit hineingezogen und damit unvermeidlich imperialistische
|
|||
|
Kreise der Weltpolitik berührt und neue geschaffen. So hat auf der
|
|||
|
einen Seite England Japan hineingezogen, den Krieg aus Europa auf Ostasien
|
|||
|
übergeleitet und die Schicksale Chinas auf die Tagesordnung gestellt,
|
|||
|
die Rivalitäten zwischen Japan und den Vereinigten Staaten, zwischen
|
|||
|
England und Japan geschürt, also neuen Stoff zu künftigen Konflikten
|
|||
|
gehäuft. So hat auf der anderen Seite Deutschland die Türkei
|
|||
|
in den Krieg gezerrt, wodurch die Frage Konstantinopels, der ganze Balkan
|
|||
|
und Vorderasien unmittelbar zur Liquidierung gestellt worden sind. Wer
|
|||
|
nicht begriff, daß der Weltkrieg schon in seinen Ursachen und Ausgangspunkten
|
|||
|
ein rein imperialistischer war, kann nach diesen Wirkungen jedenfalls einsehen,
|
|||
|
daß der Krieg sich unter den jetzigen Bedingungen ganz mechanisch,
|
|||
|
unabwendbar zum imperialistischen Weltumteilungsprozeß auswachsen
|
|||
|
mußte. Ja, er ist schon fast vom ersten Augenblick seiner Dauer zu
|
|||
|
einem solchen geworden. Das beständig schwankende Gleichgewicht der
|
|||
|
Kräfte zwischen den kämpfenden Parteien zwingt jede von ihnen,
|
|||
|
schon aus rein militärischen Gesichtspunkten, um die eigene Position
|
|||
|
zu stärken oder Gefahren neuer Feindseligkeiten zu verhüten,
|
|||
|
auch die Neutralen durch intensiven Völker- und Länderschacher im
|
|||
|
|
|||
|
Zügel zu halten. Siehe einerseits die deutsch-österreichischen,
|
|||
|
andererseits die englisch-russischen »Angebote« in Italien, in
|
|||
|
Rumänien, in Griechenland und Bulgarien. Der angeblich »nationale
|
|||
|
Verteidigungskrieg« hat so die frappante Wirkung, daß er sogar
|
|||
|
bei unbeteiligten Staaten eine all gemeine Verschiebung des Besitzstandes,
|
|||
|
der Machtverhältnisse, und zwar in der ausdrücklichen Richtung
|
|||
|
zur Expansion, herbeiführt. Endlich die Tatsache selbst, daß
|
|||
|
heute alle kapitalistischen Staaten Kolonialbesitzungen haben, die im Kriege,
|
|||
|
mag er auch als »nationaler Verteidigungskrieg« beginnen, schon
|
|||
|
aus rein militärischen Gesichtspunkten mit in den Krieg gezogen werden,
|
|||
|
indem jeder kriegführende Staat die Kolonien des Gegners zu okkupieren
|
|||
|
oder mindestens zum Aufruhr zu bringen sucht - siehe die Beschlagnahme
|
|||
|
der deutschen Kolonien durch England und die Versuche, den »Heiligen
|
|||
|
Krieg« in den englischen und französischen Kolonien zu entfachen
|
|||
|
­, diese Tatsache verwandelt gleichfalls automatisch jeden heutigen
|
|||
|
Krieg in einen imperialistischen Weltbrand.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>So ist der Begriff selbst jenes bescheidenen tugendhaften vaterländischen
|
|||
|
Verteidigungskriegs, der unseren Parlamentariern und Redakteuren heute
|
|||
|
vorschwebt, reine Fiktion, die jede geschichtliche Erfassung des Ganzen
|
|||
|
und seiner Weltzusammenhänge vermissen läßt. Über
|
|||
|
den Charakter des Krieges entscheiden eben nicht die feierlichen Erklärungen
|
|||
|
und nicht einmal die ehrlichen Absichten der sogenannten leitenden Politiker,
|
|||
|
sondern die jeweilige historische Beschaffenheit der Gesellschaft und ihrer
|
|||
|
militärischen Organisation.</P>
|
|||
|
<P>Das Schema des reinen »nationalen Verteidigungskriegs« könnte
|
|||
|
auf den ersten Blick vielleicht auf ein Land wie die Schweiz passen. Aber
|
|||
|
die Schweiz ist ausgerechnet kein Nationalstaat und dazu kein Typus für
|
|||
|
die heutigen Staaten. Gerade ihr »neutrales« Dasein und ihr Luxus
|
|||
|
an Miliz ist selbst nur negative Frucht des latenten Kriegszustandes der
|
|||
|
sie umgebenden großen Militärstaaten und auch nur solange haltbar,
|
|||
|
als sie sich mit jenem Zustand vertragen kann. Wie eine solche Neutralität
|
|||
|
im Weltkriege im Nu vom Kommisstiefel des Imperialismus zertreten wird,
|
|||
|
zeigt das Schicksal Belgiens. Hier kommen wir speziell zur Situation der
|
|||
|
Kleinstaaten. Geradezu eine klassische Probe auf das Exempel des »nationalen
|
|||
|
Krieges« bildet heute Serbien. Wenn irgend ein Staat nach allen äußeren
|
|||
|
formalen Merkmalen das Recht der nationalen Verteidigung auf seiner Seite
|
|||
|
hat, so ist es Serbien. Durch Österreichs Annexionen um die nationale
|
|||
|
Einheit gebracht, von Österreich in seiner nationalen Existenz bedroht,
|
|||
|
durch Österreich zum Kriege gezwungen, kämpft Serbien allem menschlichen
|
|||
|
Ermessen nach den echten Verteidigungskrieg um Existenz, Freiheit und Kultur
|
|||
|
seiner Nation. Hat die deutsche sozialdemokratische Fraktion mit ihrer
|
|||
|
Stellungnahme recht, dann sind die serbischen Sozialdemokraten, die im
|
|||
|
Belgrader Parlament gegen den Krieg protestierten und die Kriegskredite
|
|||
|
ablehnten, geradezu Verräter an den Lebensinteressen des eigenen Landes.
|
|||
|
In Wirklichkeit
|
|||
|
|
|||
|
haben die Serben Lapstewitsch und Kazlerowitsch sich nicht
|
|||
|
nur mit goldenen Lettern in die Geschichte des internationalen Sozialismus
|
|||
|
eingetragen, sondern zugleich einen scharfen historischen Blick für
|
|||
|
die wirklichen Zusammenhänge des Krieges gezeigt, wodurch sie ihrem
|
|||
|
Lande, der Aufklärung ihres Volkes, den besten Dienst erwiesen haben.
|
|||
|
Serbien ist allerdings formell im nationalen Verteidigungskrieg. Aber die
|
|||
|
Tendenzen seiner Monarchie und seiner herrschenden Klassen gehen, wie die
|
|||
|
Bestrebungen der herrschenden Klassen in allen heutigen Staaten, auf Expansion,
|
|||
|
unbekümmert um nationale Grenzen, und bekommen dadurch aggressiven
|
|||
|
Charakter. So geht auch die Tendenz Serbiens nach der Adriaküste,
|
|||
|
wo es mit Italien einen recht imperialistischen Wettstreit auf dem Rücken
|
|||
|
der Albaner auszufechten hat, dessen Ausgang, außerhalb Serbiens,
|
|||
|
von den Großmächten entschieden wird. Die Hauptsache jedoch
|
|||
|
ist dies: hinter dem serbischen Nationalismus steht der russische Imperialismus.
|
|||
|
Serbien selbst ist nur eine Schachfigur im großen Schachspiel der
|
|||
|
Weltpolitik, und eine Beurteilung des Krieges in Serbien, die von diesen
|
|||
|
großen Zusammenhängen, von dem allgemeinen weltpolitischen Hintergrund
|
|||
|
absieht, muß in der Luft hängen. Genau dasselbe bezieht sich
|
|||
|
auf die jüngsten Balkankriege. Isoliert für sich und formal betrachtet,
|
|||
|
waren die jungen Balkanstaaten in ihrem guten historischen Recht, führten
|
|||
|
das alte demokratische Programm des Nationalstaates durch. In dem realen
|
|||
|
historischen Zusammenhang jedoch, der den Balkan zum Brennpunkt und Wetterwinkel
|
|||
|
der imperialistischen Weltpolitik gemacht hat, waren auch die Balkankriege
|
|||
|
objektiv nur ein Fragment der allgemeinen Auseinandersetzung, ein Glied
|
|||
|
in der verhängnisvollen Kette jener Geschehnisse, die zu dem heutigen
|
|||
|
Weltkrieg mit fataler Notwendigkeit geführt haben. Die internationale
|
|||
|
Sozialdemokratie hat auch den Balkansozialisten für ihre entschiedene
|
|||
|
Ablehnung jeder moralischen und politischen Mitwirkung an dem Balkankriege
|
|||
|
und für die Entlarvung seiner wahren Physiognomie eine begeisterte
|
|||
|
Ovation in Basel bereitet, womit sie die Haltung der deutschen und französischen
|
|||
|
Sozialisten im heutigen Kriege im voraus gerichtet hat.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>In der gleichen Lage wie die Balkanstaaten befinden sich aber heute
|
|||
|
alle Kleinstaaten, so zum Beispiel auch Holland. »Wenn das Schiff
|
|||
|
leck ist, muß vor allem daran gedacht werden, es zu verstopfen.«
|
|||
|
Um was könnte es sich in der Tat bei dem kleinen Holland handeln,
|
|||
|
als um reine nationale Verteidigung, um die Verteidigung der Existenz und
|
|||
|
der Unabhängigkeit des Landes? Zieht man lediglich die <B>Absichten</B>
|
|||
|
des holländischen Volkes und selbst seiner herrschenden Klassen in
|
|||
|
Betracht, so steht allerdings reine nationale Verteidigung in Frage. Aber
|
|||
|
die proletarische Politik, die auf historischer Erkenntnis ruht, kann sich
|
|||
|
nicht nach den subjektiven Absichten in einem einzelnen Lande richten,
|
|||
|
sie muß sich an dem Gesamtkomplex der weltpolitischen Lage international
|
|||
|
orientieren. Auch Holland ist, ob es will oder nicht, nur ein kleines Rädchen
|
|||
|
in dem ganzen Getriebe
|
|||
|
|
|||
|
der heutigen Weltpolitik und Diplomatie. Dies würde
|
|||
|
sofort klarwerden, falls Holland tatsächlich in den Mahlstrom des
|
|||
|
Weltkrieges hineingerissen würde. Das erste ist, daß seine Gegner
|
|||
|
auch gegen seine Kolonien den Schlag zu führen suchen würden.
|
|||
|
Hollands Kriegführung würde sich also von selbst auf die Erhaltung
|
|||
|
seines heutigen Besitzstandes richten, die Verteidigung der nationalen
|
|||
|
Unabhängigkeit des Flamenvolkes an der Nordsee würde sich konkret
|
|||
|
erweitern zur Verteidigung seines Herrschafts- und Ausbeutereichs über
|
|||
|
die Malaien im Ostindischen Archipel. Aber nicht genug: der Militarismus
|
|||
|
Hollands würde, auf sich gestellt, in dem Strudel des Weltkriegs wie
|
|||
|
eine Nußschale zerschellen, Holland würde auch, ob es will oder
|
|||
|
nicht, sofort Mitglied eines der kämpfenden Großstaatkonsortien,
|
|||
|
also auch von dieser Seite Träger und Werkzeug rein imperialistischer
|
|||
|
Tendenzen werden.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Auf diese Weise ist es immer wieder das historische Milieu des heutigen
|
|||
|
Imperialismus, das den Charakter der Kriege in den einzelnen Ländern
|
|||
|
bestimmt, und dieses Milieu macht es, daß <B>heutzutage nationale
|
|||
|
Verteidigungskriege überhaupt nicht mehr möglich sind</B>. </P>
|
|||
|
<P>So schrieb auch Kautsky erst vor wenigen Jahren in seiner Broschüre <B>»Patriotismus und Sozialdemokratie«,</B> Leipzig 1907:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Sind der Patriotismus der Bourgeoisie und des Proletariats
|
|||
|
zwei ganz verschiedene, geradezu gegensätzliche Erscheinungen, so gibt
|
|||
|
es doch Situationen, in denen beide Arten von Patriotismus zu gemeinsamem
|
|||
|
Wirken sogar in einem Kriege zusammenfließen können. Bourgeoisie
|
|||
|
und Proletariat einer Nation haben das gleiche Interesse an ihrer Unabhängigkeit
|
|||
|
und Selbständigkeit, an der Beseitigung und Fernhaltung jeder Art
|
|||
|
von Unterdrückung und Ausbeutung durch eine fremde Nation... Bei den
|
|||
|
nationalen Kämpfen, die derartigen Bestrebungen entsprossen, hat sich
|
|||
|
stets der Patriotismus des Proletariats mit dem der Bourgeoisie vereinigt...
|
|||
|
Seitdem aber das Proletariat eine Macht geworden ist, die bei jeder größeren
|
|||
|
Erschütterung des Staates für die herrschenden Klassen gefährlich
|
|||
|
wird, seitdem am Ende eines Krieges die Revolution droht, wie die Pariser
|
|||
|
Kommune 1871 und der russische Terrorismus nach dem russisch-türkischen
|
|||
|
Krieg bewiesen, seitdem hat die Bourgeoisie auch solcher Nationen, die
|
|||
|
nicht oder nicht genügend selbständig und geeint sind, ihre nationalen
|
|||
|
Ziele tatsächlich aufgegeben, wenn diese nur durch den Umsturz einer
|
|||
|
Regierung erreichbar sind, da sie die Revolution mehr haßt und fürchtet
|
|||
|
als sie die Selbständigkeit und Größe der Nation liebt.
|
|||
|
Daher verzichtet sie auf die Selbständigkeit Polens und läßt
|
|||
|
so vorsintflutliche Staatsgebilde wie Österreich und die Türkei
|
|||
|
weiter bestehen, die schon vor einem Menschenalter dem Untergange geweiht
|
|||
|
erschienen. Damit haben in den zivilisierten Teilen Europas die nationalen
|
|||
|
Kämpfe als Ursache von Revolutionen oder Kriegen aufgehört. Jene
|
|||
|
nationalen Probleme, die doch auch heute noch nur durch Krieg oder Revolution
|
|||
|
zu lösen sind, können fortan erst gelöst werden nach dem
|
|||
|
Siege des Proletariats. Dann aber nehmen sie sofort, dank der internationalen
|
|||
|
Solidarität, eine ganz andere Gestalt an, als heute, in der Gesellschaft
|
|||
|
der Ausbeutung und Unterdrückung. Sie brauchen in den kapitalistischen
|
|||
|
Staaten das Proletariat bei seinen praktischen Kämpfen von heute nicht
|
|||
|
mehr zu beschäftigen, dieses hat seine ganze Kraft anderen Aufgaben
|
|||
|
zuzuwenden.« (S. 12­14.)</SMALL></P>
|
|||
|
<P>
|
|||
|
|
|||
|
<P><SMALL>»Indessen schwindet die Wahrscheinlichkeit immer
|
|||
|
mehr, daß sich jemals noch der proletarische und der bürgerliche
|
|||
|
Patriotismus zur Verteidigung der Freiheit des eigenen Volkes vereinigen.«
|
|||
|
Die französische Bourgeoisie habe sich vereinigt mit dem Zarismus.
|
|||
|
Rußland sei keine Gefahr mehr für die Freiheit Westeuropas,
|
|||
|
weil durch die Revolution geschwächt. »Unter diesen Verhältnissen
|
|||
|
ist ein <B>Krieg zur Verteidigung</B> der Nation, in dem bürgerlicher
|
|||
|
und proletarischer Patriotismus sich vereinigen könnten, nirgends
|
|||
|
mehr zu erwarten.« (S. 16.)</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Wir haben schon gesehen, daß die Gegensätze
|
|||
|
aufgehört hatten, die im 19. Jahrhundert noch manche freiheitlichen
|
|||
|
Völker zwingen konnten, ihren Nachbarn kriegerisch entgegenzutreten;
|
|||
|
wir haben gesehen, daß der heutige Militarismus auch nicht im entferntesten
|
|||
|
mehr der Verfechtung wichtiger Volksinteressen, sondern nur der Verfechtung
|
|||
|
des Profits gilt; <B>nicht der Sicherstellung der Unabhängigkeit und
|
|||
|
Unverletztheit des eigenen Volkstums, das niemand bedroht, sondern nur
|
|||
|
der Sicherstellung und Erweiterung der überseeischen Eroberungen</B>,
|
|||
|
die bloß der Förderung des kapitalistischen Profits dienen.
|
|||
|
<B>Die heutigen Gegensätze der Staaten können keinen Krieg mehr
|
|||
|
bringen, dem der proletarische Patriotismus nicht aufs entschiedenste zu
|
|||
|
widerstreben hätte.«</B> (S. 23.)</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Was ergibt sich aus alledem für das praktische Verhalten der Sozialdemokratie
|
|||
|
in dem heutigen Kriege? Sollte sie etwa erklären: da dieser Krieg
|
|||
|
ein imperialistischer, da dieser Staat nicht dem sozialen Selbstbestimmungsrecht,
|
|||
|
nicht dem nationalen Ideal entspricht, so ist er uns gleichgültig,
|
|||
|
und wir geben ihn dem Feinde preis? Das passive Gehen- und Geschehenlassen
|
|||
|
kann niemals die Richtschnur für das Verhalten einer revolutionären
|
|||
|
Partei, wie die Sozialdemokratie, abgeben. Weder sich zur Verteidigung
|
|||
|
des bestehenden Klassenstaates unter das Kommando der herrschenden Klassen
|
|||
|
stellen, noch schweigend auf die Seite gehen, um abzuwarten, bis der Sturm
|
|||
|
vorbei ist, sondern <B>selbständige Klassenpolitik</B> einschlagen,
|
|||
|
die in jeder großen Krise der bürgerlichen Gesellschaft die
|
|||
|
herrschenden Klassen <B>vorwärts</B> peitscht, die Krise über
|
|||
|
sich selbst hinaustreibt, das ist die Rolle der Sozialdemokratie, als der
|
|||
|
Vorhut des kämpfenden Proletariats. Statt also dem imperialistischen
|
|||
|
Kriege den Mantel der nationalen Verteidigung fälschlich umzuhängen,
|
|||
|
galt es gerade mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und mit der
|
|||
|
nationalen Verteidigung <B>Ernst</B> zu machen, sie als revolutionären
|
|||
|
Hebel <B>gegen</B> den imperialistischen Krieg zu wenden. Das elementarste
|
|||
|
Erfordernis der nationalen Verteidigung ist, daß die Nation die Verteidigung
|
|||
|
in die eigene Hand nimmt. Der erste Schritt dazu ist: <B>die Miliz</B>,
|
|||
|
das heißt: nicht bloß sofortige Bewaffnung der gesamten erwachsenen
|
|||
|
männlichen Bevölkerung, sondern vor allem auch die <B>Entscheidung
|
|||
|
des Volkes über Krieg und Frieden</B>, das heißt ferner: die sofortige
|
|||
|
Beseitigung aller politischen Entrechtung, da die größte politische
|
|||
|
Freiheit als Grundlage der Volksverteidigung notwendig ist. Diese wirklichen
|
|||
|
Maßnahmen der nationalen Verteidigung zu proklamieren, ihre Verwirklichung
|
|||
|
zu fordern, das war die erste Aufgabe der Sozialdemokratie. Vierzig Jahre
|
|||
|
lang haben wir den herrschenden Klassen wie den Volksmassen bewiesen,
|
|||
|
|
|||
|
daß nur die Miliz imstande sei, das Vaterland wirklich zu verteidigen, es
|
|||
|
unbesiegbar zu machen. Und nun, wo es zu der ersten großen Probe kam,
|
|||
|
haben wir die Verteidigung des Landes als etwas ganz Selbstverständliches
|
|||
|
in die Hände des stehenden Heeres, des Kanonenfutters unter der Fuchtel
|
|||
|
der herrschenden Klassen überwiesen. Unsere Parlamentarier haben offenbar
|
|||
|
gar nicht bemerkt, daß sie indem sie dieses Kanonenfutter »mit
|
|||
|
heißen Wünschen« als wirkliche Wehr des Vaterlandes ins
|
|||
|
Feld begleiteten, indem sie ohne weiteres zugaben, das königlich-preußische
|
|||
|
stehende Heer sei in der Stunde der größten Not des Landes sein
|
|||
|
wirklicher Retter, daß sie dabei den Angelpunkt unseres politischen
|
|||
|
Programms: die Miliz, glatt preisgaben, die praktische Bedeutung unserer
|
|||
|
vierzigjährigen Milizagitation in Dunst auflösten, zur doktrinär-utopischen
|
|||
|
Schrulle machten, die kein Mensch mehr ernst nehmen wird.<SPAN class="top"><A name="ZF12"></A><A href="luf_7.htm#F12">(12)</A></SPAN>
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Anders verstanden die Vaterlandsverteidigung die Meister des internationalen
|
|||
|
Proletariats. Als das Proletariat in dem von Preußen belagerten Paris
|
|||
|
1871 das Heft in die Hände nahm, schrieb Marx begeistert über
|
|||
|
seine Aktion:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Paris, der Mittelpunkt und Sitz der alten Regierungsmacht
|
|||
|
und gleichzeitig der gesellschaftliche Schwerpunkt der französischen
|
|||
|
Arbeiterklasse, Paris hatte sich in Waffen erhoben gegen den Versuch des
|
|||
|
Herrn Thiers und seiner Krautjunker, diese ihnen vom Kaisertum überkommne
|
|||
|
alte Regierungsmacht wiederherzustellen und zu verewigen. Paris konnte
|
|||
|
nur Widerstand leisten, weil es infolge der Belagerung die Armee losgeworden
|
|||
|
war, an deren Stelle es eine hauptsächlich aus Arbeitern bestehende
|
|||
|
Nationalgarde gesetzt hatte. Diese Tatsache galt es jetzt in eine bleibende
|
|||
|
Einrichtung zu verwandeln. <B>Das erste Dekret der Kommune
|
|||
|
war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzumg
|
|||
|
durch das bewaffnete Volk</B> ... Wenn sonach
|
|||
|
die Kommune die wahre Vertreterin aller gesunden Elemente der französischen
|
|||
|
Gesellschaft war, und daher <B>die wahrhaft nationale Regierung</B>,
|
|||
|
so war sie gleichzeitig, als eine Arbeiterregierung, als der kühne
|
|||
|
Vorkämpfer der Befreiung der Arbeit, im vollen Sinn des Worts international.
|
|||
|
Unter den Augen der preußischen Armee, die zwei französische
|
|||
|
Provinzen an Deutschland annektiert hatte, annektierte die Kommune die
|
|||
|
Arbeiter der ganzen Welt an Frankreich.« (Adresse des Generalrats
|
|||
|
der Internationale.) </SMALL></P>
|
|||
|
<P>Und wie dachten unsere Altmeister über die Rolle der Sozialdemokratie
|
|||
|
in einem Kriege wie der heutige? Friedrich Engels schrieb im Jahre 1892
|
|||
|
über die Grundlinien der Politik, die in einem großen Kriege
|
|||
|
der Partei des Proletariats zufällt, wie folgt:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Ein Krieg, wo Russen und Franzosen in Deutschland
|
|||
|
einbrächen, wäre für dieses ein Kampf auf Leben und Tod,
|
|||
|
worin es seine nationale Existenz <B>nur sichern könnte durch Anwendung
|
|||
|
der revolutionären Maßregeln</B>. Die jetzige Regierung, falls
|
|||
|
sie nicht gezwungen wird, entfesselt die Revolution sicher nicht. Aber
|
|||
|
wir haben eine starke Partei, <B>die sie dazu zwingen oder im Notfall sie
|
|||
|
ersetzen kann, die sozialdemokratische Partei</B>.</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Und wir haben das großartige Beispiel nicht vergessen,
|
|||
|
das Frankreich uns 1793 gab. Das hundertjährige Jubiläum von
|
|||
|
1793 naht heran. Sollte der Eroberungsmut des Zaren und die chauvinistische
|
|||
|
Ungeduld der französischen Bourgeoisie den siegreichen, aber friedlichen
|
|||
|
Vormarsch der deutschen Sozialisten aufhalten, so sind diese - verlaßt
|
|||
|
euch darauf - bereit, der Welt zu beweisen, <B>daß die deutschen
|
|||
|
Proletarier von heute der französischen Sanskulotten nicht unwürdig
|
|||
|
sind und daß 1893 sich sehen lassen kann neben 1793</B>. Und wenn
|
|||
|
dann die Soldaten des Herrn Constans' den Fuß auf deutsches Gebiet
|
|||
|
setzen, wird man sie begrüßen mit den Worten der Marseillaise:</SMALL></P>
|
|||
|
<UL>
|
|||
|
<UL>
|
|||
|
<P><SMALL>Quoi? ces cohortes étrangères<BR>
|
|||
|
Feraient la loi dans nos foyers? </SMALL><BR>
|
|||
|
</P>
|
|||
|
<P><SMALL>Wie, sollen diese fremden Kohorten <BR>
|
|||
|
Das Gesetz uns schreiben am eigenen Herd? </SMALL></P>
|
|||
|
</UL>
|
|||
|
</UL>
|
|||
|
<P><SMALL>Kurz und gut: Der Friede sichert den Sieg der deutschen
|
|||
|
sozialdemokratischen Partei in ungefähr zehn Jahren. Der Krieg bringt
|
|||
|
ihr entweder den Sieg in zwei bis drei Jahren, oder vollständigen
|
|||
|
Ruin wenigstens auf fünfzehn bis zwanzig Jahre.«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Engels hatte, als er das schrieb, eine ganz andere Situation im Sinn
|
|||
|
als die heutige. Er hatte noch das alte Zarenreich vor den Augen, während
|
|||
|
wir seitdem die große russische Revolution erlebt haben. Er dachte
|
|||
|
ferner an einen wirklichen nationalen Verteidigungskrieg des überfallenen
|
|||
|
Deutschlands gegen zwei gleichzeitige Angriffe in Ost und West. Er hat
|
|||
|
schließlich die Reife der Verhältnisse in Deutschland und die
|
|||
|
Aussichten auf die soziale Revolution überschätzt, wie wirkliche
|
|||
|
Kämpfer das Tempo der Entwicklung meist zu überschätzen
|
|||
|
pflegen. Was aber bei alledem aus seinen Ausführungen mit aller Deutlichkeit
|
|||
|
hervorgeht, ist, daß Engels unter nationaler Verteidigung im Sinne
|
|||
|
der sozialdemokratischen Politik nicht die Unterstützung der preußisch-junkerlichen
|
|||
|
Militärregierung und ihres Generalstabs verstand, sondern eine revolutionäre
|
|||
|
Aktion nach dem Vorbild der französischen Jakobiner.</P>
|
|||
|
<P>Ja, die Sozialdemokraten sind verpflichtet, ihr Land in einer großen
|
|||
|
historischen Krise zu verteidigen. Und darin gerade liegt eine schwere
|
|||
|
Schuld der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, daß sie in ihrer
|
|||
|
Erklärung vom 4. August 1914 feierlich verkündete: »Wir
|
|||
|
lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich«, ihre
|
|||
|
Worte aber im
|
|||
|
|
|||
|
gleichen Augenblick verleugnete. Sie hat das Vaterland in
|
|||
|
der Stunde der größten Gefahr im Stiche gelassen. Denn die erste
|
|||
|
Pflicht gegenüber dem Vaterland in jener Stunde war: ihm den wahren
|
|||
|
Hintergrund dieses imperialistischen Krieges zu zeigen, das Gewebe von
|
|||
|
patriotischen und diplomatischen Lügen zu zerreißen, womit dieser
|
|||
|
Anschlag auf das Vaterland umwoben war; laut und vernehmlich auszusprechen,
|
|||
|
daß für das deutsche Volk in diesem Krieg Sieg wie Niederlage
|
|||
|
gleich verhängnisvoll sind; sich der Knebelung des Vaterlandes durch
|
|||
|
den Belagerungszustand bis zum äußersten zu widersetzen; die
|
|||
|
Notwendigkeit der sofortigen Volksbewaffnung und der Entscheidung des Volkes
|
|||
|
über Krieg und Frieden zu proklamieren; die permanente Tagung der
|
|||
|
Volksvertretung für die Dauer des Krieges mit allem Nachdruck zu fordern,
|
|||
|
um die wachsame Kontrolle der Regierung durch die Volksvertretung und der
|
|||
|
Volksvertretung durch das Volk zu sichern; die sofortige Abschaffung aller
|
|||
|
politischen Entrechtung zu verlangen, da nur ein freies Volk sein Land
|
|||
|
wirksam verteidigen kann; endlich dem imperialistischen, auf die Erhaltung
|
|||
|
Österreichs und der Türkei, das heißt der Reaktion in Europa
|
|||
|
und in Deutschland gerichteten Programm des Krieges das alte wahrhaft nationale
|
|||
|
Programm der Patrioten und Demokraten von 1848, das Programm von Marx,
|
|||
|
Engels und Lassalle: die Losung der einigen großen deutschen Republik
|
|||
|
entgegenzustellen. Das war die Fahne, die dem Lande vorangetragen werden
|
|||
|
mußte, die wahrhaft national, wahrhaft freiheitlich gewesen wäre
|
|||
|
und in Übereinstimmung mit den besten Traditionen Deutschlands wie
|
|||
|
mit der internationalen Klassenpolitik des Proletariats.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Die große geschichtliche Stunde des Weltkrieges heischte offenbar
|
|||
|
eine entschlossene politische Leitung, eine großzügige umfassende
|
|||
|
Stellungnahme, eine überlegene Orientierung des Landes, die nur die
|
|||
|
Sozialdemokratie zu geben berufen war. Statt dessen erfolgte von der parlamentarischen
|
|||
|
Vertretung der Arbeiterklasse, die in jenem Augenblick das Wort hatte,
|
|||
|
ein jämmerliches, beispielloses Versagen. Die Sozialdemokratie hat
|
|||
|
- dank ihren Führern ­ nicht eine falsche Politik, sondern überhaupt
|
|||
|
<B>gar keine</B> eingeschlagen, sie hat sich als besondere Klassenpartei
|
|||
|
mit eigener Weltanschauung völlig ausgeschaltet, hat das Land kritiklos
|
|||
|
dem furchtbaren Verhängnis des imperialistischen Krieges nach außen
|
|||
|
und der Säbeldiktatur im Inneren preisgegeben und obendrein die Verantwortung
|
|||
|
für den Krieg auf sich geladen. Die Erklärung der Reichstagsfraktion
|
|||
|
sagt: nur die Mittel zur Verteidigung des Landes hätte sie bewilligt,
|
|||
|
die Verantwortung hingegen für den Krieg abgelehnt. Das gerade Gegenteil
|
|||
|
ist wahr. Die Mittel zu <B>dieser</B> »Verteidigung«, das heißt
|
|||
|
zur imperialistischen Menschenschlächterei durch die Heere der Militärmonarchie
|
|||
|
brauchte die Sozialdemokratie gar nicht zu bewilligen, denn ihre Anwendung
|
|||
|
hing nicht im geringsten von der Bewilligung der Sozialdemokratie ab: dieser
|
|||
|
als Minderheit stand die kompakte Dreiviertelmajorität des bürgerlichen
|
|||
|
Reichstags gegenüber. Durch ihre freiwillige Bewilligung hat die sozialdemokratische
|
|||
|
|
|||
|
Fraktion nur eines erreicht: die Demonstration der Einigkeit des ganzen
|
|||
|
Volkes im Kriege, die Proklamierung des Burgfriedens, das heißt die
|
|||
|
Einstellung des Klassenkampfes, die Auslöschung der oppositionellen
|
|||
|
Politik der Sozialdemokratie im Kriege, also die moralische Mitverantwortung
|
|||
|
für den Krieg. Durch ihre freiwillige Bewilligung der Mittel hat <B>sie
|
|||
|
dieser</B> Kriegführung den Stempel der demokratischen Vaterlandsverteidigung
|
|||
|
aufgedrückt, die Irreführung der Massen über die wahren
|
|||
|
Bedingungen und Aufgaben der Vaterlandsverteidigung unterstützt und
|
|||
|
besiegelt.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>So ist das schwere Dilemma zwischen Vaterlandsinteressen und internationaler
|
|||
|
Solidarität des Proletariats, der tragische Konflikt, der unsere Parlamentarier
|
|||
|
nur »mit schwerem Herzen« auf die Seite des imperialistischen
|
|||
|
Krieges fallen ließ, reine Einbildung, bürgerlich-nationalistische
|
|||
|
Fiktion. Zwischen den Landesinteressen und dem Klasseninteresse der proletarischen
|
|||
|
Internationale besteht vielmehr im Krieg wie im Frieden vollkommene Harmonie:
|
|||
|
beide erfordern die energischste Entfaltung des Klassenkampfes und die
|
|||
|
nachdrücklichste Vertretung des sozialdemokratischen Programms.</P>
|
|||
|
<P>Was sollte aber unsere Partei tun, um ihrer Opposition gegen den Krieg,
|
|||
|
um jenen Forderungen Nachdruck zu verleihen? Sollte sie den Massenstreik
|
|||
|
proklamieren? Oder zur Dienstverweigerung der Soldaten auffordern? So wird
|
|||
|
gewöhnlich die Frage gestellt. Eine Bejahung solcher Fragen wäre
|
|||
|
genauso lächerlich, wie wenn die Partei etwa beschließen wollte: »Wenn der Krieg ausbricht, dann machen wir Revolution.« Revolutionen
|
|||
|
werden nicht »gemacht«, und große Volksbewegungen werden
|
|||
|
nicht mit technischen Rezepten aus der Tasche der Parteiinstanzen inszeniert.
|
|||
|
Kleine Verschwörerzirkel können für einen bestimmten Tag
|
|||
|
und Stunde einen Putsch »vorbereiten«, können ihren paar
|
|||
|
Dutzend Anhängern im nötigen Moment das Signal zum »Losschlagen« geben. Massenbewegungen in großen historischen Augenblicken können
|
|||
|
mit dergleichen primitiven Mitteln nicht geleitet werden. Der »bestvorbereitete« Massenstreik kann unter Umständen just, wenn ein Parteivorstand zu
|
|||
|
ihm »das Signal« gibt, kläglich versagen oder nach einem
|
|||
|
ersten Anlauf platt zu Boden fallen. Ob große Volkskundgebungen und
|
|||
|
Massenaktionen, sei es in dieser oder jener Form, wirklich stattfinden,
|
|||
|
darüber entscheidet die ganze Menge ökonomischer, politischer
|
|||
|
und psychischer Faktoren, die jeweilige Spannung der Klassengegensätze,
|
|||
|
der Grad der Aufklärung, die Reife der Kampfstimmung der Massen, die
|
|||
|
unberechenbar sind und die keine Partei künstlich erzeugen kann. Das
|
|||
|
ist der Unterschied zwischen den großen Krisen der Geschichte und
|
|||
|
den kleinen Paradeaktionen, die eine gutdisziplinierte Partei im Frieden
|
|||
|
sauber nach dem Taktstock der »Instanzen« ausführen kann.
|
|||
|
Die geschichtliche Stunde heischt jedesmal die entsprechenden Formen der
|
|||
|
Volksbewegung und <B>schafft sich selbst neue</B>, improvisiert vorher
|
|||
|
unbekannte Kampfmittel,
|
|||
|
|
|||
|
sichtet und bereichert das Arsenal des Volkes, unbekümmert um alle
|
|||
|
Vorschriften der Parteien.
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Was die Führer der Sozialdemokratie als der Vorhut des klassenbewußten
|
|||
|
Proletariats zu geben hatten, waren also nicht lächerliche Vorschriften
|
|||
|
und Rezepte technischer Natur, sondern <B>die politische Losung, die Klarheit
|
|||
|
über die politischen Aufgaben</B> und Interessen des Proletariats
|
|||
|
im Kriege. Auf jede Massenbewegung paßt nämlich, was sich von
|
|||
|
den Massenstreiks in der russischen Revolution sagen ließ:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Wenn die Leitung der Massenstreiks
|
|||
|
im Sinne des Kommandos über ihre Entstehung und im Sinne der Berechnung
|
|||
|
und Deckung ihrer Kosten Sache der revolutionären Periode selbst ist,
|
|||
|
so kommt dafür die Leitung in einem ganz andern Sinne der Sozialdemokratie
|
|||
|
und ihren führenden Organen zu. Statt sich mit der technischen Seite,
|
|||
|
mit dem Mechanismus der Massenbewegung fremden Kopf zu zerbrechen, ist
|
|||
|
die Sozialdemokratie berufen, die <B>politische</B> Leitung auch mitten
|
|||
|
in der historischen Krise zu übernehmen. Die Parole, die Richtung
|
|||
|
dem Kampfe zu geben, die Taktik des politischen Kampfes so einzurichten,
|
|||
|
daß in jeder Phase und in jedem Moment die ganze Summe der vorhandenen
|
|||
|
und bereits ausgelösten, betätigten Macht des Proletariats realisiert
|
|||
|
wird und in der Kampfstellung der Partei zum Ausdruck kommt, daß
|
|||
|
die Taktik der Sozialdemokratie nach ihrer Entschlossenheit und Schärfe
|
|||
|
nie <B>unter</B> dem Niveau des tatsächlichen Kräfteverhältnisses
|
|||
|
steht, sondern vielmehr diesem Verhältnis vorauseilt, das ist die
|
|||
|
wichtige Aufgabe der 'Leitung' in der großen geschichtlichen Krise.
|
|||
|
Und diese Leitung schlägt von selbst gewissermaßen in technische
|
|||
|
Leitung um. Eine konsequente, entschlossene, vorwärtsstrebende Taktik
|
|||
|
der Sozialdemokratie ruft in der Masse das Gefühl der Sicherheit,
|
|||
|
des Selbstvertrauens und der Kampflust hervor; eine schwankende, schwächliche,
|
|||
|
auf der Unterschätzung des Proletariats basierte Taktik wirkt auf
|
|||
|
die Masse lähmend und verwirrend. Im ersteren Falle brechen Massenaktionen
|
|||
|
'von selbst' und immer 'rechtzeitig' aus, im zweiten bleiben mitunter direkte
|
|||
|
Aufforderungen der Leitung zur Massenaktion erfolglos.« </SMALL>
|
|||
|
<SMALL>[R. Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. Hamburg 1907.]</SMALL>
|
|||
|
</P>
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Daß es nicht auf die äußere technische Form der Aktion,
|
|||
|
sondern auf ihren politischen <B>Inhalt</B> ankommt, beweist die Tatsache,
|
|||
|
daß zum Beispiel gerade die <B>Parlamentstribüne</B>, als der
|
|||
|
einzige freie, weithin vernehmbare und international sichtbare Posten,
|
|||
|
zum gewaltigen Werkzeug der Volksaufrüttelung in diesem Falle werden
|
|||
|
konnte, wenn sie von der sozialdemokratischen Vertretung dazu benutzt worden
|
|||
|
wäre, um laut und deutlich die Interessen, die Aufgaben und die Forderungen
|
|||
|
der Arbeiterklasse in dieser Krise zu formulieren.</P>
|
|||
|
<P>Ob diesen Losungen der Sozialdemokratie die Massen durch ihr Verhalten
|
|||
|
Nachdruck verliehen hätten? Niemand kann das im Drang sagen. Aber
|
|||
|
das ist auch gar nicht das Entscheidende. Haben doch unsere Parlamentarier
|
|||
|
auch die Generale des preußisch-deutschen Heeres in den Krieg »vertrauensvoll« ziehen lassen, ohne ihnen etwa vor der Kreditbewilligung die seltsame Zusicherung
|
|||
|
im voraus abzufordern, daß sie unbedingt siegen werden, daß
|
|||
|
Niederlagen ausgeschlossen bleiben. Was für die militärischen
|
|||
|
|
|||
|
Armeen, gilt auch für revolutionäre Armeen: sie nehmen den Kampf
|
|||
|
auf, wo er sich bietet, ohne im voraus die Gewißheit des Gelingens
|
|||
|
zu beanspruchen. Schlimmstenfalls wäre die Stimme der Partei zuerst
|
|||
|
ohne sichtbare Wirkung geblieben. Ja, die größten Verfolgungen
|
|||
|
wären wahrscheinlich der Lohn der mannhaften Haltung unserer Partei
|
|||
|
geworden, wie sie 1870 der Lohn Bebels und Liebknechts gewesen. »Aber
|
|||
|
was hat das zu sagen?« ­ meinte schlicht <B>Ignaz Auer</B> in
|
|||
|
seiner Rede über die Sedanfeier 1895 ­, »eine Partei, welche
|
|||
|
die Welt erobern will, muß ihre Grundsätze hochhalten, ohne
|
|||
|
Rücksicht darauf, mit welchen Gefahren das verknüpft ist; sie
|
|||
|
wäre verloren, wenn sie anders handelte!«
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Gegen den Strom schwimmen ist nie leicht« ­
|
|||
|
schrieb der alte Liebknecht ­, »und wenn der Strom mit der reißenden
|
|||
|
Schnelle und Wucht eines Niagara dahinschnellt, dann ist's erst recht keine
|
|||
|
Kleinigkeit.</SMALL><BR>
|
|||
|
</P>
|
|||
|
<P><SMALL>Den älteren Genossen ist noch die Sozialistenhatz
|
|||
|
des Jahres der tiefsten nationalen Schmach: der Sozialistengesetz-Schmach
|
|||
|
­ 1878 ­ im Gedächtnis. Millionen sahen damals in jedem Sozialdemokraten
|
|||
|
einen Mörder und gemeinen Verbrecher, wie 1870 einen Vaterlandsverräter
|
|||
|
und Todfeind. Solche Ausbrüche der 'Volksseele' haben durch ihre ungeheure
|
|||
|
Elementarkraft etwas Verblüffendes, Betäubendes, Erdrückendes.
|
|||
|
Man fühlt sich machtlos einer höheren Macht gegenüber ­
|
|||
|
einer richtigen, jeden Zweifel ausschließenden force majeure. Man
|
|||
|
hat keinen greifbaren Gegner. Es ist wie eine Epidemie ­ in den Menschen,
|
|||
|
in der Luft, überall.</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Der Ausbruch von 1878 war jedoch an Stärke und Wildheit
|
|||
|
bei weitem nicht vergleichbar mit dem von 1870. Nicht bloß dieser
|
|||
|
Orkan menschlicher Leidenschaft, der alles, was er packt, auch beugt, niederwirft,
|
|||
|
zerbricht ­ dazu noch die furchtbare Maschinerie des Militarismus in
|
|||
|
vollster furchtbarster Tätigkeit, und wir zwischen dem Herumsausen
|
|||
|
der eisernen Räder, deren Berührung der Tod war, und zwischen
|
|||
|
den eisernen Armen, die um uns herumschwirrten und jeden Augenblick uns
|
|||
|
fassen konnten. Neben der Elementarkraft entfesselter Geister der vollendetste
|
|||
|
Mechanismus der Mordkunst, den die Welt bis dahin gesehen. Und alles in
|
|||
|
wildester Arbeit ­ alle Dampfkessel geheizt zum Bersten. Wo bleibt
|
|||
|
da die Einzelkraft, der Einzelwille? Namentlich wenn man sich in verschwindender
|
|||
|
Minderheit weiß und im Volke selbst keinen sicheren Stützpunkt
|
|||
|
hat.</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Unsere Partei war erst im Werden. Wir waren auf die denkbar
|
|||
|
schwerste Probe gestellt, ehe die erforderliche Organisation geschaffen
|
|||
|
war. Als die Sozialistenhatz kam, im Jahre der Schande für unsere
|
|||
|
Feinde und im Jahre des Ruhms für die Sozialdemokratie, hatten wir
|
|||
|
schon eine so starke und weitverzweigte Organisation, daß jeder durch
|
|||
|
das Bewußtsein eines mächtigen Rückhalts gekräftigt
|
|||
|
war und daß kein Denkfähiger an ein Erliegen der Partei glauben
|
|||
|
konnte.</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Also eine Kleinigkeit war's nicht, damals gegen den Strom
|
|||
|
zu schwimmen. Aber was war zu machen? Was sein mußte, mußte
|
|||
|
sein. Da hieß es: die Zähne zusammenbeißen und was kommen
|
|||
|
wollte, an sich herankommen lassen. Zur Furcht war keine Zeit ... Nun, Bebel
|
|||
|
und ich... beschäftigten uns keine Minute mit der Warnung. Das Feld
|
|||
|
räumen konnten wir nicht, wir mußten auf dem Posten bleiben,
|
|||
|
komme was komme.«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Sie blieben auf dem Posten, und die deutsche Sozialdemokratie zehrte
|
|||
|
vierzig Jahre lang von der moralischen Kraft, die sie damals gegen eine
|
|||
|
Welt von Feinden aufgeboten hatte.</P>
|
|||
|
<P>So wäre es auch diesmal gegangen. Im ersten Moment wäre vielleicht
|
|||
|
nichts anderes erreicht, als daß die Ehre des deutschen Proletariats
|
|||
|
gerettet war, als daß Tausende und aber Tausende Proletarier, die
|
|||
|
jetzt in den Schützengräben bei Nacht und Nebel umkommen, nicht
|
|||
|
in dumpfer seelischer Verwirrung, sondern mit dem Lichtfunken im Hirn sterben
|
|||
|
würden, daß das, was ihnen im Leben das Teuerste war: die internationale,
|
|||
|
völkerbefreiende Sozialdemokratie, kein Trugbild sei. Aber schon als
|
|||
|
ein mächtiger Dämpfer auf den chauvinistischen Rausch und die
|
|||
|
Besinnungslosigkeit der Menge hätte die mutige Stimme unserer Partei
|
|||
|
gewirkt, sie hätte die aufgeklärten Volkskreise vor dem Delirium
|
|||
|
bewahrt, hätte den Imperialisten das Geschäft der Volksvergiftung
|
|||
|
und der Volksverdummung erschwert. Gerade der Kreuzzug gegen die Sozialdemokratie
|
|||
|
hätte die Volksmassen am raschesten ernüchtert. Sodann im weiteren
|
|||
|
Verlaufe des Krieges, im Maße, wie der Katzenjammer der unendlichen
|
|||
|
grausigen Massenschlächterei in allen Ländern wächst, wie
|
|||
|
der imperialistische Pferdefuß des Krieges immer deutlicher hervorguckt,
|
|||
|
wie der Marktlärm des blutgierigen Spekulantentums frecher wird, würde
|
|||
|
alles Lebendige, Ehrliche, Humane, Fortschrittliche sich um die Fahne der
|
|||
|
Sozialdemokratie scharen. Und dann vor allem: Die deutsche Sozialdemokratie
|
|||
|
wäre in dem allgemeinen Strudel, Zerfall und Zusammenbruch wie ein
|
|||
|
Fels im brausenden Meer der hohe Leuchtturm der Internationale geblieben,
|
|||
|
nach dem sich bald alle anderen Arbeiterparteien orientiert hätten.
|
|||
|
Die enorme moralische Autorität, welche die deutsche Sozialdemokratie
|
|||
|
bis zum 4. August 1914 in der ganzen proletarischen Welt genoß, hätte
|
|||
|
ohne jeden Zweifel auch in dieser allgemeinen Verwirrung in kurzer Frist
|
|||
|
einen Wandel herbeigeführt. Damit wäre die Friedensstimmung und
|
|||
|
der Druck der Volksmassen zum Frieden in allen Ländern gesteigert,
|
|||
|
die Beendigung des Massenmordes beschleunigt, die Zahl seiner Opfer verringert
|
|||
|
worden. Das deutsche Proletariat wäre der Turmwächter des Sozialismus
|
|||
|
und der Befreiung der Menschheit geblieben ­ und dies ist wohl ein
|
|||
|
patriotisches Werk, das der Jünger von Marx, Engels und Lassalle nicht
|
|||
|
unwürdig war. -
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<P>Fußnoten von Rosa Luxemburg</P>
|
|||
|
<P><SPAN class="top">(12)<A name="F12"></A></SPAN> »Wenn trotzdem die sozialdemokratische
|
|||
|
Reichstagsfraktion jetzt einstimmig die Kriegskredite bewilligte« ­ schrieb
|
|||
|
das <B>Münchener</B> Parteiorgan am 6. August ­, »wenn sie
|
|||
|
heiße Wünsche des Erfolges allen auf den Weg mitgab, die zur
|
|||
|
Verteidigung des Deutschen Reiches hinausziehen, so war das nicht etwa
|
|||
|
ein ,taktischer Zug', es war die ganz natürliche Konsequenz der Haltung
|
|||
|
einer Partei, die stets bereit war, ein Volksheer zur Verteidigung des
|
|||
|
Landes <B>an die Stelle eines Systems zu setzen, das ihr mehr der Ausdruck
|
|||
|
der Klassenherrschaft als des Verteidigungswillens der Nation gegen freche
|
|||
|
Überfälle schien</B>.«</P>
|
|||
|
<P>Schien!!... In der <B>»Neuen Zeit« </B>ist der
|
|||
|
heutige Krieg gar direkt zum »Volkskrieg«, die stehende Armee
|
|||
|
zum »Volksheer« erhoben (siehe Nr. 20 und 23 vom August-September
|
|||
|
1914). ­ Der sozialdemokratische Militärschriftsteller Hugo Schulz
|
|||
|
rühmt im Kriegsbericht vom 24. August 1914 den »starken Milizengeist«,
|
|||
|
der in der habsburgischen Armee »lebendig« sei!...</P>
|
|||
|
<!-- #EndEditable -->
|
|||
|
<HR size="1" align="left" width="200">
|
|||
|
<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
|
|||
|
Pfad: »../lu/«<BR>
|
|||
|
Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
|||
|
<TR>
|
|||
|
<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD align="center"><B>|</B></TD>
|
|||
|
<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201b" --><A href="luf_6.htm"><SMALL>Teil 6</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
|
|||
|
<TD align="center">|</TD>
|
|||
|
<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD align="center">|</TD>
|
|||
|
<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%202b" --><A href="luf_8.htm"><SMALL>Teil 8</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
|
|||
|
<TD align="center"><B>|</B></TD>
|
|||
|
<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
|||
|
</TR>
|
|||
|
</TABLE>
|
|||
|
</BODY>
|
|||
|
<!-- #EndTemplate -->
|
|||
|
</HTML>
|
|||
|
|