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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 29. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_515.htm"><FONT SIZE=2>28. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_528.htm"><FONT SIZE=2>30. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 525-527.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">Neunundzwanzigstes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Die Internationalit&auml;t</P>
</FONT><B><P>|<A NAME="S523"></A>523|</B> Das menschenw&uuml;rdige Dasein f&uuml;r alle kann aber nicht die Daseinsweise eines einzigen bevorzugten Volkes sein, das, isoliert von allen &uuml;brigen V&ouml;lkern, diesen Zustand weder zu begr&uuml;nden noch aufrechtzuhalten verm&ouml;chte. Unsere ganze Entwicklung ist das Produkt des Zusammenwirkens nationaler und internationaler Kr&auml;fte und Beziehungen. Obgleich die nationale Idee noch vielfach die K&ouml;pfe beherrscht und als Mittel zur Aufrechterhaltung politischer und sozialer Herrschaft dient, denn diese ist nur innerhalb nationaler Schranken m&ouml;glich, stecken wir bereits tief im Internationalismus. </P>
<P>Handels-, Zoll- und Schiffahrtsvertr&auml;ge, Weltpostverein, internationale Ausstellungen, Kongresse f&uuml;r V&ouml;lkerrecht und internationale Gradmessungen, sonstige internationale wissenschaftliche Kongresse und Verbindungen, internationale Erforschungsexpeditionen, unser Handel und Verkehr, insbesondere die internationalen Kongresse der Arbeiter, welche die Tr&auml;ger der neuen Zeit sind und deren moralischem Einflu&szlig; es geschuldet ist, da&szlig; im Fr&uuml;hjahr 1890 auf Einladung des Deutschen Reiches die erste internationale Arbeiterschutzgesetzkonferenz in Berlin stattfand, alles das legt Zeugnis ab f&uuml;r den internationalen Charakter, den die Beziehungen der verschiedenen Kulturnationen, trotz ihrer nationalen Abgeschlossenheit, die immer mehr durchbrochen wird, angenommen haben. Wir sprechen, im Gegensatz zur Nationalwirtschaft, von der Weltwirtschaft und legen letzterer die gr&ouml;&szlig;ere Bedeutung bei, weil von ihr wesentlich das Wohl und Gedeihen der einzelnen Nationen abh&auml;ngt. Ein gro&szlig;er Teil unserer eigenen Produkte wird gegen die Produkte fremder L&auml;nder, ohne die wir nicht mehr existieren k&ouml;nnen, ausgetauscht. Und wie ein Industriezweig durch den anderen gesch&auml;digt wird, wenn einer erlahmt, so erlahmt die Nationalproduktion eines Landes sehr erheblich, wenn die der anderen ins Stocken ger&auml;t. Die Beziehungen der einzelnen L&auml;nder werden, ungeachtet aller vor&uuml;bergehenden St&ouml;rungen, wie <A NAME="S524"><B>|524|</A></B> Kriege und nationale Verhetzungen, immer inniger, weil die materiellen Interessen, die st&auml;rksten von allen, sie beherrschen. Jeder neue Verkehrsweg, jede Verbesserung eines Verkehrsmittels, jede Erfindung oder Verbesserung im Produktionsproze&szlig;, wodurch die Waren verbilligt werden, verst&auml;rkt diese Beziehungen. Die Leichtigkeit, mit der pers&ouml;nliche Beziehungen zwischen weit voneinander entfernten L&auml;ndern und V&ouml;lkern hergestellt werden, ist ein neuer wesentlicher Faktor in der Kette der Verbindungen. Auswanderung und Kolonisation sind andere m&auml;chtige Hebel. Ein Volk lernt von dem anderen, eins sucht dem anderen im Wettstreit zuvorzukommen. Neben dem Austausch materieller Produkte der verschiedensten Art vollzieht sich der Austausch der Geisteserzeugnisse, sowohl in der Ursprache wie in &Uuml;bersetzungen. Das Erlernen fremder lebender Sprachen wird f&uuml;r Millionen eine Notwendigkeit. Nichts aber tr&auml;gt, neben materiellen Vorteilen, mehr dazu bei, Antipathien zu beseitigen und Sympathien zu erwecken, als das Eindringen in die Sprache und Geisteserzeugnisse eines fremden Volkes. </P>
<P>Die Wirkung dieses auf internationaler Stufenleiter sich vollziehenden Ann&auml;herungsprozesses ist, da&szlig; die verschiedenen L&auml;nder sich<I> immer mehr und mehr in ihren sozialen Zust&auml;nden &auml;hnlich sehen</I>. Bei den vorgeschrittensten und<I> darum ma&szlig;gebenden</I> Kulturnationen ist diese &Auml;hnlichkeit bereits so gro&szlig;, da&szlig;, wer die &ouml;konomische Struktur eines Volkes kennengelernt hat, in der Hauptsache diejenige aller &uuml;brigen ebenfalls kernt. Ungef&auml;hr so, wie in der Natur bei Tieren derselben Gattung das Gerippe in Organisation und Bau dasselbe ist, und besitzt man einzelne Teile eines solchen, kann man theoretisch das ganze Tier konstruieren. </P>
<P>Die weitere Folge ist, da&szlig;, wo gleichgeartete soziale Grundlagen vorhanden sind, auch die Wirkungen daraus die gleichen sein m&uuml;ssen: Aufh&auml;ufung gro&szlig;en Reichtums und sein Gegensatz: Lohnsklaverei, Knechtung der Massen unter die Maschinerie, Beherrschung der Massen durch die besitzende Minorit&auml;t, mit allen daraus entspringenden Folgen. </P>
<P>In der Tat sehen wir, da&szlig; die Klassengegens&auml;tze und Klassenk&auml;mpfe, die Deutschland durchw&uuml;hlen, ganz Europa, die Vereinigten Staaten, Australien usw. in Bewegung setzen. In Europa herrscht von Ru&szlig;land bis nach Portugal, vom Balkan, Ungarn und Italien bis nach England und Irland derselbe Geist der Unzufriedenheit, machen sich <A NAME="S525"><B>|525|</A></B> die gleichen Symptome sozialer G&auml;rung, allgemeinen Unbehagens und der Zersetzung bemerkbar. &Auml;u&szlig;erlich verschieden, je nach dem Grade der Entwicklung, dem Charakter der Bev&ouml;lkerung und der Form ihres politischen Zustandes, sind im Wesen diese Bewegungen &uuml;berall dieselben. Tiefe soziale Gegens&auml;tze sind ihre Ursache. Mit jedem Jahre versch&auml;rfen sich diese mehr, dringen die G&auml;rung und Unzufriedenheit immer tiefer und weiter in den Gesellschaftsk&ouml;rper, bis schlie&szlig;lich ein Anla&szlig;, vielleicht unbedeutender Art, die Explosion herbeif&uuml;hrt und diese sich blitzartig &uuml;ber die ganze Kulturwelt verbreitet und die Geister zur Parteinahme f&uuml;r und wider in die Schranken ruft. </P>
<P>Der Kampf der neuen Welt wider die alte ist entbrannt. Es treten Massen auf die B&uuml;hne, es wird mit einer F&uuml;lle von Intelligenz gek&auml;mpft, wie es die Welt noch in keinem Kampfe gesehen hat, in einem &auml;hnlichen Kampfe kein zweites Mal mehr sehen wird.<I> Denn es ist der letzte soziale Kampf.</I> Am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stehend, sehen wir, wie dieser Kampf sich immer mehr der letzten seiner Phasen n&auml;hert, in der die neuen Ideen siegen. </P>
<P>Die neue Gesellschaft wird sich dann auch auf internationaler Basis aufbauen. Die V&ouml;lker werden sich verbr&uuml;dern, sie werden sich gegenseitig die H&auml;nde reichen und danach trachten, den neuen Zustand allm&auml;hlich &uuml;ber alle V&ouml;lker der Erde auszudehnen.<A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_523.htm#F1">(1)</A></A> Ein Volk kommt nicht mehr zu dem anderen als Feind, um auszubeuten und zu unterdr&uuml;cken, nicht mehr als Vertreter eines fremden Glaubens, den es ihm aufn&ouml;tigen will, sondern als Freund, der alle Menschen zu Kulturmenschen erziehen will. Die Kultur- und Kolonisationsarbeiten der neuen Gesellschaft werden sich in ihrem Wesen und in ihren Mitteln ebenso von den jetzigen unterscheiden, wie beide Gesellschaften ihrem Wesen nach grundverschieden sind. Weder wird man Pulver und Blei noch Feuerwasser (Branntwein) und die Bibel anwenden; man unternimmt die Kulturmission nur mit friedlichen Mitteln, die die Zivilisatoren den Barbaren und Wilden nicht als Feinde, sondern als<I> Wohlt&auml;ter</I> erscheinen lassen. Verst&auml;ndige Reisende und Forscher wissen l&auml;ngst, wie erfolgreich dieser Weg ist. </P>
<P>Sind einmal die Kulturv&ouml;lker zu einer gro&szlig;en F&ouml;deration vereinigt, <A NAME="S526"><B>|526|</A></B> dann ist auch die Zeit gekommen, wo f&uuml;r immer "des Krieges St&uuml;rme schweigen". Der ewige Frieden ist dann kein Traum mehr, wie die heute in Uniformen einhergehenden Herren die Welt glauben machen wollen. Diese Zeit ist gekommen, sobald die V&ouml;lker ihre wahren Interessen erkannt haben. Diese werden nicht gef&ouml;rdert durch Kampf und Streit, durch L&auml;nder und V&ouml;lker zugrunde richtende R&uuml;stungen, sondern durch friedliche Verst&auml;ndigung und gemeinsame Kulturarbeiten. Au&szlig;erdem sorgen die herrschenden Klassen und ihre Regierungen daf&uuml;r, wie das oben ausgef&uuml;hrt wurde, da&szlig; die milit&auml;rischen R&uuml;stungen und Kriege an ihrer eigenen Ungeheuerlichkeit ihr Ende erreichen. So werden die letzten Waffen gleich so vielen ihnen vorangegangenen in die Antiquit&auml;tensammlungen wandern, und zuk&uuml;nftigen Geschlechtern zu bezeugen, wie vergangene Generationen w&auml;hrend Jahrtausenden sich oft wie wilde Tiere zerfleischten - bis endlich der Mensch &uuml;ber das Tier in ihm triumphierte. </P>
<P>Da&szlig; nur die nationalen Besonderheiten und Interessengegens&auml;tze - die h&uuml;ben und dr&uuml;ben durch die herrschenden Klassen k&uuml;nstlich gen&auml;hrt werden, um gegebenenfalls durch einen gro&szlig;en Krieg einen Abzugskanal f&uuml;r gef&auml;hrliche Str&ouml;mungen im Innern zu besitzen - es sind, welche die Kriege hervorrufen, best&auml;tigt eine &Auml;u&szlig;erung des verstorbenen Generalfeldmarschalls<I> Moltke</I>. Im ersten Bande seines Nachlasses, der den Deutsch-Franz&ouml;sischen Krieg von 1870/71 behandelt, hei&szlig;t es unter anderem in den einleitenden Bemerkungen:<I> </P>
<P>"Solange die Nationen ein gesondertes Dasein f&uuml;hren, wird es Streitigkeiten geben, welche nur mit den Waffen geschlichtet werden k&ouml;nnen, aber im Interesse der Menschheit ist zu hoffen, da&szlig; die Kriege seltener werden, wie sie furchtbarer geworden sind."</I> </P>
<P>Nun, dieses nationale Sonderdasein, das hei&szlig;t die feindselige Absperrung der einen Nation gegen die andere, schwindet trotz aller gegenteiligen Bem&uuml;hungen, sie aufrechtzuerhalten, immer mehr, und so werden k&uuml;nftige Generationen ohne M&uuml;he auch Aufgaben verwirklichen, an die geniale K&ouml;pfe l&auml;ngst gedacht und Versuche zur L&ouml;sung machten, ohne zum Ziele gelangen zu k&ouml;nnen. So hatte schon Condorcet die Idee, eine allgemeine Weltsprache ins Leben zu rufen. Und der verstorbene ehemalige Pr&auml;sident der Vereinigten Staaten, Ulysses Grant, &auml;u&szlig;erte in einer Ansprache: "Da Handel, Unterricht und die schnelle Bef&ouml;rderung von Gedanken und Materien durch Telegraphen und Dampf alles ver&auml;ndert haben, so glaube ich, da&szlig; Gott die Welt <A NAME="S527"><B>|527|</A></B> vorbereitet,<I> eine</I> Nation zu werden,<I> eine</I> Sprache zu sprechen, zu einem Zustand der Vollendung zu gelangen,<I> in welchem Heere und Kriegsflotten nicht mehr n&ouml;tig sind."</I> Nat&uuml;rlich mu&szlig; bei einem Vollblutyankee der liebe Gott die ausgleichende Rolle spielen, die einzig ein Produkt geschichtlicher Entwicklung ist. Man darf sich dar&uuml;ber nicht wundern. Heuchelei oder auch Borniertheit in Fragen der Religion ist nirgends gr&ouml;&szlig;er als in den Vereinigten Staaten. Je weniger die Staatsgewalt durch ihre Organisation die Massen leitet, um so mehr mu&szlig; es die Religion, die Kirche tun. Daher scheint &uuml;berall die Bourgeoisie dort am fr&ouml;mmsten, wo die Staatsgewalt am laxesten ist. Neben den Vereinigten Staaten in England, Belgien, der Schweiz. Auch der Revolution&auml;r Robespierre, der mit den K&ouml;pfen von Aristokraten und Geistlichen wie mit Kegelkugeln spielte, war bekanntlich sehr religi&ouml;s, weshalb er feierlich das h&ouml;chste Wesen wieder einsetzen lie&szlig;, das kurz zuvor - ebenso geschmacklos - der Konvent f&uuml;r abgesetzt erkl&auml;rt hatte. Und da vor der gro&szlig;en Revolution die leichtfertigen und liederlichen Aristokraten Frankreichs sich vielfach mit ihrem Atheismus br&uuml;steten, sah Robespierre denselben als aristokratisch an und denunzierte ihn vor dem Konvent in seiner Rede &uuml;ber das h&ouml;chste Wesen mit den Worten: "<I>Der Atheismus ist aristokratisch.</I> Die Idee eines h&ouml;chsten Wesens, das &uuml;ber der unterdr&uuml;ckten Unschuld wacht und das triumphierende Verbrechen straft, ist ganz volkst&uuml;mlich.<I> W&auml;re kein Gott, so m&uuml;&szlig;te man einen solchen erfinden.</I>" Der tugendhafte Robespierre ahnte, da&szlig; seine tugendhafte b&uuml;rgerliche Republik die sozialen Gegens&auml;tze nicht ausgleichen konnte,<I> darum</I> der Glaube an ein h&ouml;chstes Wesen, das Vergeltung &uuml;bt und auszugleichen trachtet, was in seiner Zeit die Menschen noch nicht ausgleichen konnten, daher war dieser Glaube f&uuml;r die erste Republik eine Notwendigkeit. </P>
<P>Diese Zeit geht vor&uuml;ber. Ein Kulturfortschritt wird den anderen hervorrufen, die Menschheit wird sich immer neue Aufgaben stellen und wird sie zu einer Kulturentwicklung f&uuml;hren, die Nationalit&auml;tenha&szlig;, Kriege, Religionsstreit und &auml;hnliche R&uuml;ckst&auml;ndigkeiten nicht mehr kennt. </P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A>Das nationale Interesse und das Menschheitsinteresse stehen sich heute feindlich gegen&uuml;ber. Auf einer h&ouml;heren Stufe der Zivilisation werden einst beide Interessen zusammenfallen und eins werden." v. Th&uuml;nen, Der isolierte Staat. <A HREF="beaa_523.htm#ZF1">&lt;=</A></P></BODY>
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