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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 19. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_225.htm"><FONT SIZE=2>18. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_238.htm"><FONT SIZE=2>20. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 231-238.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Neunzehntes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Herr Woronzow und sein "&Uuml;berschu&szlig;"</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S231">&lt;231&gt;</A></B> Was die Vertreter der "volkst&uuml;mlerischen" Theorie in Ru&szlig;land auf das Problem der kapitalistischen Reproduktion f&uuml;hrte, war ihre &Uuml;berzeugung von der Aussichtslosigkeit des Kapitalismus in Ru&szlig;land, und zwar infolge des Mangels an Absatzm&auml;rkten. W. Woronzow hatte seine Theorie in dieser Hinsicht in der Revue "Vaterl&auml;ndische Memoiren" und in anderen Revuen in einer Reihe von Artikeln niedergelegt, die 1882 zu einem Buch gesammelt unter dem Titel "Schicksale des Kapitalismus in Ru&szlig;land" erschienen, sodann in einem Aufsatz im Maiheft derselben Revue 1883 unter dem Titel "Der &Uuml;berschu&szlig; bei der Versorgung des Marktes mit Waren", im Septemberheft der Revue "Russischer Gedanke" 1889 in einem Aufsatz &uuml;ber "Militarismus und Kapitalismus", in dem Buche "Unsere Richtungen" 1893, endlich 1895 in Buchform unter dem Titel "Umrisse der theoretischen National&ouml;konomie". Die Stellung Woronzows zur kapitalistischen Entwicklung in Ru&szlig;land ist nicht ganz leicht zu fassen. Er steht weder auf seiten der rein slavophilen Theorie, die aus den "Eigen- <A NAME="S232"><B>&lt;232&gt;</A></B> t&uuml;mlichkeiten" der &ouml;konomischen Struktur Ru&szlig;lands und seines besonderen "Volksgeistes" die Verkehrtheit und Verderblichkeit des Kapitalismus f&uuml;r Ru&szlig;land ableitete, noch auf seiten der Marxisten, die in der kapitalistischen Entwicklung eine unvermeidliche historische Etappe erblickten, welche auch f&uuml;r die russische Gesellschaft den einzig gangbaren Weg des sozialen Fortschritts er&ouml;ffnen k&ouml;nne. Woronzow seinerseits behauptete, der Kapitalismus sei in Ru&szlig;land einfach unm&ouml;glich, er habe keine Wurzeln und keine Zukunft. Es sei gleicherma&szlig;en verkehrt, ihn zu verw&uuml;nschen oder ihn herbeizuw&uuml;nschen, denn es fehlen in Ru&szlig;land die Lebensbedingungen selbst f&uuml;r eine kapitalistische Entwicklung, so da&szlig; alle die mit schweren Opfern verbundenen Anstrengungen, von Staats wegen den Kapitalismus in Ru&szlig;land gro&szlig;zuziehen, verlorene Liebesm&uuml;h w&auml;ren. Sieht man jedoch n&auml;her zu, dann schr&auml;nkt Woronzow diese von ihm aufgestellte Behauptung sehr wesentlich wieder ein. Hat man nicht die Anh&auml;ufung des kapitalistischen Reichtums, sondern die kapitalistische Proletarisierung der kleinen Produzenten, die Unsicherheit der Existenz der Arbeiter, die periodischen Krisen im Auge, so stellt Woronzow alle diese Erscheinungen f&uuml;r Ru&szlig;land durchaus nicht in Abrede. Im Gegenteil, er sagt ausdr&uuml;cklich in der Vorrede zu seinen "Schicksalen des Kapitalismus in Ru&szlig;land": "Indem ich die M&ouml;glichkeit der Herrschaft des Kapitalismus in Ru&szlig;land als einer Produktionsform bestreite, will ich nichts &uuml;ber seine Zukunft als Ausbeutungsform und -grad der Volkskr&auml;fte aussagen." Woronzow meint also, der Kapitalismus k&ouml;nne in Ru&szlig;land blo&szlig; nicht jenen Reifegrad erlangen wie im Westen, hingegen der Proze&szlig; der Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln sei in den russischen Verh&auml;ltnissen wohl zu gew&auml;rtigen. Ja, Woronzow geht noch weiter. Er bestreitet gar nicht die M&ouml;glichkeit der Entwicklung kapitalistischer Produktionsformen in gewissen Zweigen der russischen Industrie, selbst der kapitalistischen Ausfuhr aus Ru&szlig;land nach den ausw&auml;rtigen M&auml;rkten. Sagt er doch in seinem Aufsatz "Der &Uuml;berschu&szlig; bei der Versorgung des Marktes": "Die kapitalistische Produktion entwickelt sich in einigen Zweigen der Industrie sehr rasch (versteht sich: im russischen Sinne des Wortes)."<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_231.htm#F1">(1)</A></A> "Es ist sehr wahrscheinlich, da&szlig; Ru&szlig;land, wie andere L&auml;nder, gewisse nat&uuml;rliche Vorteile hat, infolge deren es als Lieferant gewisser Arten Waren auf ausw&auml;rtigen M&auml;rkten auftreten kann; es ist sehr m&ouml;glich, da&szlig; sich das Kapital dies zunutze machen und die entsprechenden Produktionszweige in seine H&auml;
<P>In dieser Form bekommt die Skepsis des Herrn Woronzow offenbar ein ziemlich anderes Gesicht, als man zuerst annehmen mochte. Er hegt Zweifel dar&uuml;ber, ob sich die kapitalistische Produktionsweise je der gesamten Produktion in Ru&szlig;land wird bem&auml;chtigen k&ouml;nnen. Dieses Kunstst&uuml;ck hat sie aber bis jetzt noch in keinem Lande der Welt, nicht einmal in England ganz fertiggebracht. Eine derartige Skepsis in bezug auf die Zukunft des russischen Kapitalismus d&uuml;rfte also vorerst ganz international gefa&szlig;t werden Und in der Tat l&auml;uft hier die Theorie Woronzows auf ganz allgemeine Erw&auml;gungen &uuml;ber die Natur und die Lebensbedingungen des Kapitalismus hinaus, sie st&uuml;tzt sich auf allgemeine theoretische Ansichten &uuml;ber den Reproduktionsproze&szlig; des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Woronzow formuliert in folgender deutlicher Weise den besonderen Zusammenhang der kapitalistischen Produktionsweise mit der Frage der Absatzm&auml;rkte: "Die nationale Arbeitsteilung, die Verteilung aller Industriezweige unter den am Welthandel beteiligten L&auml;ndern hat mit dem Kapitalismus gar nichts zu tun. Der Absatzmarkt, der sich auf diese Weise bildet, die Nachfrage nach den Produkten verschiedener L&auml;nder, die sich aus einer solchen Arbeitsteilung zwischen den V&ouml;lkern ergibt, hat ihrem Charakter nach nichts gemein mit dem Absatzmarkt, den die kapitalistische Produktionsweise ben&ouml;tigt ... Die Produkte der kapitalistischen Industrie kommen auf den Markt zu einem anderen Zwecke: Sie ber&uuml;hren nicht die Frage, ob alle Bed&uuml;rfnisse des Landes befriedigt sind; sie brauchen nicht unbedingt dem Unternehmer anstatt ihrer selbst ein anderes materielles Produkt zu liefern, das der Konsumtion dient. Ihr Hauptzweck ist: <I>den in ihnen verborgenen Warenwert zu realisieren</I>. Was ist das aber f&uuml;r ein Mehrwert, der den Kapitalisten um seiner selbst willen interessiert? Von dem Standpunkt, von dem aus wir die Frage betrachten, ist der erw&auml;hnte Mehrwert - der &Uuml;berschu&szlig; der Produktion &uuml;ber die Konsumtion im Innern des Landes. Jeder Arbeiter produziert mehr, als er selbst konsumiert, und alle diese &Uuml;bersch&uuml;sse sammeln sich in wenigen H&auml;nden; die Besitzer dieser &Uuml;bersch&uuml;sse verzehren sie selbst, zu welchem Zwecke sie sie innerhalb des Landes sowie im Auslande gegen verschiedenste Lebensmittel und Gegenst&auml;nde des Luxus austauschen; doch soviel sie auch essen, <A NAME="S234"><B>&lt;234&gt;</A></B> trinken und tanzen m&ouml;gen - den ganzen Mehrwert zu verjubeln, bringen sie doch nicht fertig; es verbleibt noch ein bedeutender Rest, den sie nicht gegen ein anderes Produkt austauschen, sondern ganz einfach loswerden, zu Geld machen m&uuml;ssen, sonst wird er sowieso umkommen. Da niemand im Lande da ist, an den sie diesen Rest loswerden k&ouml;nnten, so mu&szlig; er ins Ausland ausgef&uuml;hrt werden - und da haben wir die Ursache, weshalb L&auml;nder, die sich kapitalisieren, ohne ausw&auml;rtige Absatzm&auml;rkte nicht auskommen k&ouml;nnen."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_231.htm#F3">(3)</A></A></P>
<P>Die Leser haben in dem obigen Zitat, das wir w&ouml;rtlich mit allen Eigent&uuml;mlichkeiten der Woronzowschen Ausdrucksweise &uuml;bersetzt haben, eine Stichprobe, die ihnen eine Ahnung von dem geistvollen russischen Theoretiker gehen kann, bei dessen Lekt&uuml;re man die k&ouml;stlichsten Augenblicke verlebt.</P>
<P>Dieselben Ansichten hat Woronzow sp&auml;ter in seinem Buche "Umrisse der theoretischen National&ouml;konomie" 1895 zusammengefa&szlig;t, und hier wollen wir ihn h&ouml;ren. W. polemisiert gegen die Ansichten Say-Ricardos, namentlich auch gegen J. St. Mill, die die M&ouml;glichkeit einer allgemeinen &Uuml;berproduktion bestritten. Dabei entdeckt er, was keiner vor ihm wu&szlig;te: Er hat die Quelle aller Verirrungen der klassischen Schule in bezug auf die Krisen ausfindig gemacht. Diese Quelle liege in der irrt&uuml;mlichen Theorie der Produktionskosten, der die b&uuml;rgerliche &Ouml;konomie fr&ouml;ne. Vom Standpunkte der Produktionskosten (die W. ohne Profit annimmt, was gleichfalls keiner vor ihm fertiggebracht hat) sei allerdings sowohl der Profit wie Krisen undenkbar und unerkl&auml;rlich. Doch dieser originelle Denker will in seinen eigenen Worten genossen sein: "Nach der Lehre der b&uuml;rgerlichen National&ouml;konomie wird der Wert des Produkts durch die Arbeit bestimmt, die zu seiner Herstellung aufgewendet wurde. Nachdem sie aber diese Wertbestimmung gegeben hat, vergi&szlig;t sie sie sofort, und bei den folgenden Erkl&auml;rungen der Tauscherscheinungen st&uuml;tzt sie sich auf eine andere Theorie, in der die Arbeit durch Produktionskosten ersetzt ist. So werden zwei Produkte gegeneinander in solchen Quantit&auml;ten ausgetauscht, da&szlig; auf beiden Seiten gleiche Produktionskosten vorhanden sind. Bei einer solchen Auffassung des Austausches ist f&uuml;r einen &Uuml;berschu&szlig; an Waren im Lande tats&auml;chlich kein Platz. Irgendein Produkt der Jahresarbeit eines Arbeiters erscheint von diesem Standpunkt als Vertreter eines gewissen Quantums Stoff, aus dem es verfertigt ist, Werkzeuge, die dabei abgenutzt sind, und der Produkte, die zur Erhaltung des Arbeiters w&auml;hrend der Produktionsperiode dienten. Bei seiner Erscheinung auf dem <A NAME="S235"><B>&lt;235&gt;</A></B> Markte hat es (wohl "das Produkt"! - <I>R. L.</I>) den Zweck, seine Gebrauchsform zu &auml;ndern, sich wieder in den Stoff zu verwandeln, in Produkte f&uuml;r den Arbeiter und in den Wert, der zur Erneuerung der Werkzeuge n&ouml;tig ist, und nach diesem Proze&szlig; seiner Zerst&uuml;ckelung in Bestandteile wird der Proze&szlig; ihrer Wiedervereinigung, der Produktionsproze&szlig; einsetzen, w&auml;hrenddessen alle aufgez&auml;hlten Werte verzehrt werden, daf&uuml;r aber ein neues Produkt entstehen wird, das ein Bindeglied zwischen der vergangenen Konsumtion und der k&uuml;nftigen darstellt." Aus diesem ganz eigenartigen Versuch, die gesellschaftliche Reproduktion als einen fortlaufenden Proze&szlig; vom Standpunkte der Theorie der Produktionskosten darzustellen, folgt pl&ouml;tzlich, wie aus der Pistole geschossen, der folgende Schlu&szlig;: "Wenn wir somit die Gesamtmasse der Produkte eines Landes betrachten, so werden wir gar keine &uuml;berfl&uuml;ssige Ware vorfinden, die den Bedarf der Gesellschaft &uuml;bersteigen w&uuml;rde; der unabsetzbare &Uuml;berschu&szlig; ist daher vom Standpunkte der Werttheorie der b&uuml;rgerlichen National&ouml;konomie unm&ouml;glich." Nachdem Woronzow so durch eine h&ouml;chst souver&auml;ne Mi&szlig;handlung der "b&uuml;rgerlichen Werttheorie" aus den Produktionskosten den Kapitalprofit ausgeschaltet hat, macht er nun diese seine Unterlassung im n&auml;chsten Moment zu einer gro&szlig;artigen Entdeckung: "Aber die angef&uuml;hrte Analyse deckt noch einen anderen Zug in der bis vor kurzem herrschenden Werttheorie auf: Es stellt sich heraus, da&szlig; auf dem Boden dieser Theorie f&uuml;r den Kapitalprofit kein Platz da ist." Hier folgt eine in ihrer K&uuml;rze und Einfachheit verbl&uuml;ffende Beweisf&uuml;hrung: "In der Tat, wenn mein Produkt, dessen Produktionskosten mit 5 Rubeln ausgedr&uuml;ckt sind, gegen ein anderes Produkt von gleichem Wert ausgetauscht wird, so wird das von mir Erhaltene nur ausreichen, um meine Auslagen zu decken, f&uuml;r meine Enthaltung aber (w&ouml;rtlich so - <I>R. L.</I>) werde ich nichts kriegen." Und jetzt hat Woronzow das Problem an der Wurzel gepackt:</P>
<P>"So stellt sich heraus, da&szlig; auf dem Boden einer streng logischen Entwicklung der Ideen der b&uuml;rgerlichen National&ouml;konomie das Schicksal des &Uuml;berschusses von Waren auf dem Markte und das Schicksal des kapitalistischen Profits dasselbe ist. Dieser Umstand berechtigt uns zu dem Schlu&szlig;, da&szlig; sich beide Ph&auml;nomene in gegenseitiger Abh&auml;ngigkeit befinden, da&szlig; die M&ouml;glichkeit des einen durch das Vorhandensein des anderen bedingt ist. Und in der Tat: Solange es keinen Profit gibt, gibt es auch keinen Waren&uuml;berschu&szlig; ... Anders, wenn sich im Lande Profit bildet. Dieser steht in keinem organischen Zusammenhang mit der Produktion, er ist ein Ph&auml;nomen, das mit der letzteren nicht durch technisch-nat&uuml;rliche Bedingungen verbunden ist, sondern durch ihre &auml;u&szlig;ere, soziale Form. Die Pro- <A NAME="S236"><B>&lt;236&gt;</A></B> duktion braucht zu ihrer Fortsetzung ... nur Stoff, Werkzeuge, Lebensmittel f&uuml;r die Arbeiter und verzehrt deshalb selbst nur den entsprechenden Teil der Produkte; der &Uuml;berschu&szlig; aber, der den Profit bildet und der f&uuml;r sich in dem st&auml;ndigen Element des industriellen Lebens - in der Produktion - keinen Platz findet, mu&szlig; f&uuml;r sich andere Konsumenten suchen, die mit der Produktion nicht organisch verkn&uuml;pft sind, Konsumenten bis zu einem gewissen Grad zuf&auml;lligen Charakters. Er (der &Uuml;berschu&szlig;) kann solche Konsumenten finden, es ist aber auch m&ouml;glich, da&szlig; er sie nicht findet in dem erforderlichen Ma&szlig;e, in diesem Fall werden wir einen Waren&uuml;berschu&szlig; auf dem Markte haben."<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_231.htm#F4">(4)</A></A> H&ouml;chst zufrieden mit dieser "einfachen" Aufkl&auml;rung, bei der er das Mehrprodukt zu einer Erfindung des Kapitals gemacht hat und den Kapitalisten zu einem "nicht organisch" mit der kapitalistischen Produktion verkn&uuml;pften "zuf&auml;lligen" Konsumenten, entwickelt Woronzow nunmehr auf Grund der Marxschen "konsequenten" Arbeitswerttheorie, die er nach seiner Erkl&auml;rung im weiteren "benutzt" hat, die Krisen direkt aus dem Mehrwert in folgender Weise:</P>
<P>"Wenn das, was in Gestalt des Arbeitslohnes in die Produktionskosten eingeht, von dem arbeitenden Teil der Bev&ouml;lkerung verzehrt wird, so mu&szlig; der Mehrwert, ausgenommen den Teil, der f&uuml;r die vom Markt erforderte Erweiterung der Produktion bestimmt ist, durch die Kapitalisten selbst vernichtet werden (w&ouml;rtlich so! - <I>R. L.</I>). Sind sie dazu imstande und tun sie's, dann findet kein Waren&uuml;berschu&szlig; statt, wenn nicht - dann stellt sich &Uuml;berproduktion, Industriekrise ein, Verdr&auml;ngung der Arbeiter von den Fabriken und sonstige &Uuml;belst&auml;nde." Wer aber an diesen &Uuml;belst&auml;nden in letzter Linie schuld ist, das ist nach Herrn Woronzow "<I>die ungen&uuml;gende Elastizit&auml;t des menschlichen Organismus</I>, der seine Konsumtionsf&auml;higkeit nicht mit der Rapidit&auml;t zu erweitern vermag, mit der der Mehrwert w&auml;chst". Wiederholt formuliert er diesen genialen Gedanken in den folgenden Worten: "Somit liegt die Achillesferse der kapitalistischen Industrieorganisation in der Unf&auml;higkeit der Unternehmer, ihr ganzes Einkommen zu verzehren."</P>
<P>Hier gelangt also Woronzow, nachdem er die Ricardosche Werttheorie in der Marxschen "konsequenten" Fassung "benutzt" hat, zu der Sismondischen Krisentheorie, die er auch noch in einer m&ouml;glichst rohen und simplistischen Form sich zu eigen macht. W&auml;hrend er aber die Auffassung Sismondis wiedergibt, glaubt er nat&uuml;rlich die von Rodbertus zu akzeptieren. "Die induktive Forschungsmethode hat zu derselben Theorie der Krisen und des Pauperismus gef&uuml;hrt, die von Rodbertus objektiv aufgestellt wor- <A NAME="S237"><B>&lt;237&gt;</A></B> den war"<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_231.htm#F5">(5)</A></A>, erkl&auml;rt er triumphierend. Was Woronzow unter der "induktiven Forschungsmethode" versteht, die er der "objektiven" entgegenstellt, ist freilich nicht ganz klar, doch kann darunter, da bei Herrn Woronzow alles m&ouml;glich ist, auch die Marxsche Theorie zu verstehen sein. Aber auch Rodbertus sollte nicht "unverbessert" aus den H&auml;nden des originellen russischen Denkers hervorgehen. Zu der Rodbertusschen Theorie macht Woronzow nur die Korrektur, da&szlig; er aus ihr ausschaltet, was bei Rodbertus der Zentralpunkt des ganzen Systems war: die Fixierung der Lohnquote am Wert des Gesamtprodukts. Nach Herrn Woronzow w&auml;re n&auml;mlich auch diese Ma&szlig;regel gegen Krisen ein Palliativmittel, denn "die unmittelbare Ursache der erw&auml;hnten Erscheinungen (&Uuml;berproduktion, Arbeitslosigkeit usw.) liegt nicht darin, da&szlig; der Anteil der arbeitenden Klassen am Nationaleinkommen zu klein ist, sondern darin, da&szlig; die Kapitalistenklasse nicht imstande ist, jedes Jahr die Masse Produkte zu verzehren, die ihr zuf&auml;llt."<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_231.htm#F6">(6)</A></A> Nachdem er aber soeben die Rodbertussche Reform der Einkommensverteilung abgelehnt hat, landet Woronzow mit der ihm eigenen "streng logischen Konsequenz" schlie&szlig;lich bei der folgenden Prognose f&uuml;r die k&uuml;nftigen Schicksale des Kapitalismus:</P>
<P>"Wenn nach alledem der industriellen Organisation, die in Westeuropa herrscht, noch weiter zu bl&uuml;hen und zu gedeihen beschieden sein sollte, so nur unter der Bedingung, da&szlig; Mittel gefunden werden, denjenigen Teil des Nationaleinkommens zu vernichten (w&ouml;rtlich so! - <I>R. L.</I>), der die Konsumtionsf&auml;higkeit der Kapitalistenklasse &uuml;bersteigt und nichtsdestoweniger in ihre H&auml;nde gelangt. Die allereinfachste L&ouml;sung dieser Frage w&auml;re eine entsprechende &Auml;nderung in der Verteilung des Nationaleinkommens unter den Teilnehmern der Produktion. Das kapitalistische Regime w&auml;re f&uuml;r lange Zeit gesichert, wenn die Unternehmer von jedem Zuwachs des Nationaleinkommens f&uuml;r sich nur soviel behielten, wie sie zur Befriedigung aller ihrer Einf&auml;lle und Launen brauchen, den Rest aber der Arbeiterklasse, d.h. der Masse der Bev&ouml;lkerung, &uuml;berlie&szlig;en.<A NAME="ZF7">"<A HREF="lu05_231.htm#F7">(7)</A></A> So endet das Ragout aus Ricardo, Marx, Sismondi und Rodbertus mit der Entdeckung, da&szlig; die kapitalistische Produktion von der &Uuml;berproduktion radikal kuriert w&auml;re und in alle Ewigkeit "bl&uuml;hen und gedeihen" k&ouml;nnte, wenn die Kapitalisten auf die Kapitalisierung des Mehrwerts verzichteten und den entsprechenden Teil des Mehrwerts den Arbeitern zum Geschenk machen w&uuml;rden. Inzwischen, bis die Kapitalisten so vern&uuml;nftig werden, <A NAME="S238"><B>&lt;238&gt;</A></B> den guten Rat des Herrn Woronzow anzunehmen, verfallen sie auf andere Mittel, allj&auml;hrlich einen Teil ihres Mehrwerts zu "vernichten". Zu diesen probaten Mitteln geh&ouml;rt unter anderm der moderne Militarismus, und zwar, da Herr Woronzow mit t&ouml;dlicher Sicherheit alles auf den Kopf zu stellen wei&szlig;, gerade in dem Ma&szlig;e, wie die Kosten des Militarismus nicht aus den Mitteln der arbeitenden Volksmasse, sondern aus dem Einkommen der Kapitalistenklasse bestritten werden. In erster Linie aber besteht das Rettungsmittel des Kapitalismus im <I>ausw&auml;rtigen Handel</I>. Und das ist wiederum die "Achillesferse" des russischen Kapitalismus. Als letzter an der Tafel des Weltmarktes hat er bei der Konkurrenz &auml;lterer kapitalistischer L&auml;nder des Westens nur das Nachsehen, und so geht dem russischen Kapitalismus zusammen mit der Aussicht auf ausw&auml;rtige M&auml;rkte auch die wichtigste Bedingung seiner Lebensf&auml;higkeit ab, Ru&szlig;land bleibt das "Reich der Bauern" und der "Volksproduktion".</P>
<P>"Wenn das alles richtig ist", schlie&szlig;t W. W. seinen Aufsatz vom "&Uuml;berschu&szlig; bei der Versorgung des Marktes mit Waren", "dann ergeben sich daraus auch die Schranken f&uuml;r die Herrschaft des Kapitalismus in Ru&szlig;land: Die Landwirtschaft mu&szlig; seiner Leitung entzogen werden; aber auch auf dem Gebiete der Industrie darf seine Entwicklung nicht zu sehr vernichtend auf die Hausindustrie einwirken, die bei unseren klimatischen Verh&auml;ltnissen (!) f&uuml;r den Wohlstand eines gro&szlig;en Teils der Bev&ouml;lkerung unentbehrlich ist. Wenn der Leser darauf bemerken wird, da&szlig; der Kapitalismus sich auf solche Kompromisse nicht einlassen wird, dann antworten wir: um so schlimmer f&uuml;r ihn." So w&auml;scht Herr Woronzow zum Schlu&szlig; seine H&auml;nde und lehnt f&uuml;r seine Person jede Verantwortung f&uuml;r die weiteren Schicksale der wirtschaftlichen Entwicklung in Ru&szlig;land ab.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Vaterl&auml;ndische Memoiren, 1883, V, Zeitgen&ouml;ssische Rundschau, S. 4. <A HREF="lu05_231.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> l.c., S. 10. <A HREF="lu05_231.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> l.c., S. 14. <A HREF="lu05_231.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Umrisse der theoretischen National&ouml;konomie, Petersburg, 1895, S. 157 ff. <A HREF="lu05_231.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Militarismus und Kapitalismus. In: Russische Gedanke, 1889, Bd. IX, S. 78. <A HREF="lu05_231.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> l.c., S. 80. <A HREF="lu05_231.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> l.c., S. 83. Vgl. Umrisse der theoretischen National&ouml;konomie, S. 196. <A HREF="lu05_231.htm#ZF7">&lt;=</A></P></BODY>
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