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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - III. 2</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_697.htm"><FONT SIZE=2>III. 1</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_716.htm"><FONT SIZE=2>III. 3</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 708-716.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III. 2</P>
</FONT><B><P><A NAME="S708">|708|</A></B> Der Austausch als einziges wirtschaftliches Bindeglied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft hat aber seine gro&szlig;en Schwierigkeiten und l&auml;uft nicht ohne weiteres so glatt ab, wie wir es bisher vorausgesetzt haben. Sehen wir uns die Sache n&auml;her an.</P>
<P>Solange wir nur den Tausch zwischen unseren zwei einzelnen Produzenten betrachteten, den Tausch zwischen dem Schuster und dem B&auml;cker, war die Sache ganz einfach. Der Schuster kann nicht von Stiefeln allein leben und braucht Brot; der B&auml;cker kann, wie schon die Heilige Schrift sagt, nicht von Brot allein leben und braucht zwar nicht das Wort Gottes im gegebenen Fall, aber Stiefel. Da hier v&ouml;llige Gegenseitigkeit vorliegt, kommt der Tausch glatt zustande: Das Brot wandert aus der Hand des B&auml;ckers, der es nicht braucht, in die Hand des Schusters; die Stiefel wandern aus der Schusterwerkstatt in den B&auml;ckerladen. Die beiden sind befriedigt in ihren Bed&uuml;rfnissen, und beide Privatarbeiten haben sich als gesellschaftlich notwendige bew&auml;hrt. Aber wir nehmen ja an, dasselbe passierte nicht nur zwischen dem Schuster und B&auml;cker, sondern zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft, das hei&szlig;t zwischen allen Warenproduzenten auf einmal. Und wir haben das Recht, dies anzunehmen, ja wir sind sogar gen&ouml;tigt, diese Annahme zu machen. Denn alle Mitglieder der Gesellschaft m&uuml;ssen ja leben, m&uuml;ssen verschiedenartige Bed&uuml;rfnisse befriedigen. Die <A NAME="S709"><B>|709|</A></B> Produktion der Gesellschaft - sagten wir fr&uuml;her - kann keinen Augenblick aufh&ouml;ren, weil die Konsumtion keinen Augenblick aufh&ouml;rt. Jetzt m&uuml;ssen wir hinzuf&uuml;gen: Da die Produktion nunmehr in einzelne selbst&auml;ndige Privatarbeiten zerrissen ist, von denen keine dem Menschen allein zu gen&uuml;gen vermag, so kann auch - soll die Konsumtion der Gesellschaft nicht aufh&ouml;ren - der Austausch keinen Augenblick aufh&ouml;ren. Alle tauschen also fortw&auml;hrend mit allen ihre Produkte aus. Wie kommt das zustande? Kehren wir zu unserem Beispiel zur&uuml;ck. Der Schuster braucht nicht nur das Produkt des B&auml;ckers, sondern er m&ouml;chte von jeder anderen Ware eine gewisse Menge haben. Er braucht au&szlig;er Brot noch Fleisch vom Schl&auml;chter, einen Rock vom Schneider, das Zeug zu einem Hemd vom Leinweber, einen Zylinderhut vom Hutmacher usw. Alle diese Waren kann er nur erlangen auf dem Wege des Tausches; was er aber seinerseits dagegen bieten kann, sind immer nur Stiefel. F&uuml;r den Schuster haben demnach alle Produkte, die er zum Leben f&uuml;r sich braucht, zun&auml;chst die Form von Stiefeln. Wenn er Brot braucht, macht er zuerst ein Paar Stiefel; braucht er ein Hemd, so macht er Stiefel; will er einen Hut oder Zigarren, er macht vor allem immer nur Stiefel. In seiner Spezialarbeit, f&uuml;r ihn pers&ouml;nlich hat der gesamte gesellschaftliche Reichtum, der ihm zug&auml;nglich ist, die Form von Stiefeln. Erst durch den Austausch auf dem Warenmarkt kann seine Arbeit aus der engen Stiefelform in die mannigfaltige Form der Lebensmittel verwandelt werden, die er braucht. Damit aber diese Verwandlung tats&auml;chlich zustande kommt, damit die viele flei&szlig;ige Arbeit des Schusters, von der er sich allerlei Lebensfreuden verspricht, nicht in der Stiefelform stecken bleibt, dazu ist eine wichtige Bedingung n&ouml;tig, die wir schon kennen: Es ist notwendig, da&szlig; gerade alle die anderen Produzenten, deren Arbeitsprodukte der Schuster braucht, auch seine Stiefel brauchen und in Tausch nehmen wollen. Der Schuster kriegte alle anderen Waren nur dann, wenn sein Produkt, die Stiefel, von allen anderen Produzenten begehrte Ware w&auml;re. Er kriegte von allen anderen Waren jederzeit so viel, wie er durch seine Arbeit eintauschen kann, wenn seine Stiefel eine jederzeit von jedermann begehrte Ware, also eine unbeschr&auml;nkt begehrte Ware w&auml;ren. Schon vom Schuster allein w&auml;re es offenbar eine ziemliche Anma&szlig;ung und ein unbegr&uuml;ndeter Optimismus, zu glauben, da&szlig; seine spezielle Ware von einer so absoluten und unbeschr&auml;nkten Unentbehrlichkeit f&uuml;r das Menschengeschlecht w&auml;re. Die Sache verschlimmert sich aber dadurch, da&szlig; sich genau in derselben Lage wie der Schuster auch jeder andere Einzelproduzent befindet: der B&auml;cker, der Sch
<P>Nun, das Mittel, um diese Schwierigkeit zu &uuml;berwinden und den gesellschaftlichen Austausch zu erm&ouml;glichen, ist gefunden worden. Zwar war es kein Kolumbus, der es entdeckte, aber die gesellschaftliche Erfahrung und die Gewohnheit haben unmerklich das Mittel im Austausch selbst gefunden, oder, wie man sagt, "das Leben" selbst hat die Aufgabe gel&ouml;st. Wie denn &uuml;berhaupt das gesellschaftliche Leben zugleich mit Schwierigkeiten immer auch die Mittel zu ihrer L&ouml;sung schafft. Alle Waren k&ouml;nnen freilich unm&ouml;glich von allen jederzeit, das hei&szlig;t in unbeschr&auml;nktem Ma&szlig;e, begehrt werden. Aber es gab jederzeit und in jeder Gesellschaft irgend<I>eine </I>Ware, die als Grundstock der Existenz f&uuml;r jedermann wichtig, notwendig, n&uuml;tzlich war, die er deshalb jederzeit begehrte. Eine solche d&uuml;rften allerdings kaum je gerade die Stiefel gewesen sein, so eitel ist die Menschheit nicht. Aber ein solches Produkt konnte zum Beispiel das Vieh sein. Mit Stiefeln allein kann man nicht auskommen, auch nicht mit Klei- <A NAME="S711"><B>|711|</A></B> dern, mit H&uuml;ten, mit Korn allein. Aber Vieh als Grundlage der Wirtschaft sichert jedenfalls die Existenz der Gesellschaft: Es liefert Fleisch, Milch, H&auml;ute, Arbeitskraft usw. Besteht doch bei den zahlreichen Nomadenv&ouml;lkern der ganze Reichtum &uuml;berhaupt in Viehherden. Auch jetzt leben noch oder lebten wenigstens bis vor kurzem die Negerst&auml;mme Afrikas fast ausschlie&szlig;lich von Viehzucht. Nehmen wir nun an, da&szlig; in unserer Gemeinde das Vieh ein vielbegehrtes St&uuml;ck Reichtum sei, wenn auch nicht einziges, sondern nur ein bevorzugtes unter vielen anderen Produkten, die in der Gesellschaft hergestellt werden. Der Viehz&uuml;chter verwendet hier seine Privatarbeit auf Produktion von Vieh, wie der Schuster auf Stiefel, der Weber auf Leinwand etc. Nur erfreut sich das Produkt des Viehz&uuml;chters nach unserer Annahme vor allen anderen einer allgemeinen unbeschr&auml;nkten Beliebtheit, weil es allen am unentbehrlichsten und wichtigsten scheint. Vieh ist also f&uuml;r jedermann eine willkommene Bereicherung. Da wir dabei bleiben, da&szlig; in unserer Gesellschaft nichts und von niemand anders erlangt werden kann als im Wege des Tausches, so kann man sich offenbar auch das vielbegehrte Vieh vom Viehz&uuml;chter nicht anders verschaffen als durch den Austausch gegen ein anderes Arbeitsprodukt. Da aber, wie vorausgesetzt, jedermann gern Vieh haben m&ouml;chte, so bedeutet dies, da&szlig; jedermann jederzeit seine Produkte gern gegen Vieh hingeben w&uuml;rde. F&uuml;r Vieh kann man also auch umgekehrt jederzeit jede Art Produkte haben. Wer also Vieh hat, hat nur zu w&auml;hlen, denn alles steht zu seiner Verf&uuml;gung. Und gerade deshalb will umgekehrt jeder sein besonderes Arbeitsprodukt gegen keine anderen mehr als gegen Vieh eintauschen; denn hat er Vieh, dann hat er alles, weil er ja f&uuml;r Vieh jederzeit alles kriegt. Hat sich das nach einiger Zeit allgemein klar gezeigt und [ist das] zur Gewohnheit geworden, dann ist das Vieh allm&auml;hlich zur allgemeinen Ware geworden, das hei&szlig;t zu der einzigen unbeschr&auml;nkt und allgemein begehrten, austauschbaren Ware. Und als solche allgemeine Ware vermittelt nun das Vieh den Austausch zwischen allen anderen Spezialwaren. Der Schuster nimmt nun f&uuml;r seine Stiefel vom B&auml;cker nicht etwa direkt Brot, sondern Vieh; denn er kann sich dann mit Vieh Brot und alles m&ouml;gliche kaufen, wann er will. Auch kann ihm jetzt der B&auml;cker die Stiefel mit Vieh bezahlen, weil er ja f&uuml;r sein eigenes Produkt, das Brot, gleichfalls von anderen, vom Schlosser, Viehz&uuml;chter, Fleischer, Vieh gekriegt hat. Jeder nimmt f&uuml;r sein eigener Produkt von anderen Vieh und zahlt wieder mit selbigem Vieh, wenn er die Produkte anderer haben will. So geht das Vieh aus einer Hand in die andere, es vermittelt jeden Tausch, es ist das geistige Band zwischen den einzelnen Warenproduzenten. (Und <A NAME="S712"><B>|712|</A></B> je mehr, je h&auml;ufiger das Vieh so als Verm
<P>Wir haben fr&uuml;her gesehen, jedes Arbeitsprodukt ist in einer Gesellschaft von zersplitterten Privatproduzenten ohne gemeinschaftlichen Arbeitsplan zun&auml;chst eine Privatarbeit. Ob diese Arbeit gesellschaftlich notwendig war, ob also ihr Produkt einen Wert hat und dem Arbeitenden einen Anteil an den Produkten der Gesamtheit sichert, ob es nicht vielmehr weggeworfene Arbeit war, das zeigt einzig und allein die Tatsache, da&szlig; dieses Produkt in Tausch genommen wird. Nun werden aber alle Produkte nur mehr gegen Vieh ausgetauscht. Jetzt gilt also ein Produkt nur insofern als gesellschaftlich notwendig, wenn es sich gegen Vieh austauschen l&auml;&szlig;t. Seine Tauschbarkeit gegen Vieh, seine Gleichwertigkeit mit Vieh gibt jetzt jedem Privatprodukt erst den Stempel der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Wir haben weiter gesehen, da&szlig; erst durch den Warenaustausch und nur durch den Warenaustausch der vereinzelte, isolierte Privatmensch zum Gesellschaftsmitglied gestempelt wird. Jetzt m&uuml;ssen wir genauer sagen: durch Austausch gegen das Vieh. Das Vieh gilt nunmehr als die Verk&ouml;rperung der gesellschaftlichen Arbeit, und somit ist das Vieh jetzt das einzige gesellschaftliche Band zwischen den Menschen.</P>
<P>Hier werden Sie sicher das innere Gef&uuml;hl haben, nun h&auml;tten wir uns verrannt. Soweit war noch alles einigerma&szlig;en fa&szlig;bar und lie&szlig; sich h&ouml;ren. Aber zum Schlu&szlig;: Dieses Vieh als allgemeine Ware, Vieh als Verk&ouml;rperung der gesellschaftlichen Arbeit, ja Vieh als einziges Band der menschlichen Gesellschaft - das ist schon eine verr&uuml;ckte Phantasie und dazu eine f&uuml;r das Menschengeschlecht beleidigende Phantasie! Doch Sie w&uuml;rden sich, wenn Sie etwas derartiges denken, ganz grundlos beleidigt f&uuml;hlen. Denn so geringsch&auml;tzig und von oben herab Sie auf das arme Vieh herabblicken m&ouml;gen. so ist es jedenfalls klar, da&szlig; es dem Menschen viel n&auml;her steht und ihm doch gewisserma&szlig;en &auml;hnlich, jedenfalls unendlich &auml;hnlicher ist als, sagen wir, ein vom Boden aufgehobener Klumpen Lehm oder ein Kiesel oder ein St&uuml;ckchen Eisen. Sie m&uuml;ssen zugeben, da&szlig; das Vieh jedenfalls schon eher w&uuml;rdig w&auml;re, das lebendige gesellschaftliche Band zwischen den Menschen darzustellen, als ein toter Klumpen Metall. Und doch hat die Menschheit in diesem Fall gerade dem Metall den Vorzug gegeben. Denn in der fr&uuml;her beschriebenen Bedeutung und Rolle des Viehs im Austausch ist es nichts anderes als - das <I>Geld</I>. Wenn Sie sich nun das Geld durchaus nicht anders als in der Gestalt von gem&uuml;nzten Gold oder Silber- <A NAME="S713"><B>|713|</A></B> st&uuml;cken oder gar in papiernen Banknoten vorstellen k&ouml;nnen und wenn Sie dabei finden, da&szlig; dieses metallene oder papierne Geld als allgemeiner Vermittler des Verkehrs zwischen den Menschen, als gesellschaftliche Macht etwas Selbstverst&auml;ndliches sei, hingegen meine Darstellung, in der das Vieh diese Rolle spielte, eine Verr&uuml;cktheit w&auml;re, so beweist das nur, wie sehr Sie mit dem Kopf in den Vorstellungen der heutigen kapitalistischen Welt stecken.<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_708.htm#F1">[1]</A></A> So kommt Ihnen dar Bild der gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse, die noch halbwegs vern&uuml;nftig ausschauen, ganz hirnverbrannt vor, und als selbstverst&auml;ndlich erscheint Ihnen das, was eine vollendete Verr&uuml;cktheit ist. Tats&auml;chlich hat das Geld in der Gestalt von Vieh genau dieselben Funktionen wie das Metallgeld, und es ist nichts als R&uuml;cksichten der Bequemlichkeit, die uns dazu gef&uuml;hrt haben, das Geld aus Metall zu machen. Das Vieh l&auml;&szlig;t sich freilich nicht so gut wechseln noch so genau in seinem Werte abmessen wie die gleichartigen metallenen Scheibchen, auch mu&szlig; man zum Aufbewahren von Viehgeld ein gar zu gro&szlig;es Portemonnaie haben, das einem Viehstall &auml;hnelt. Aber bevor die Menschheit auf die Idee kam, Geld aus Metall zu machen, war das Geld als unumg&auml;nglicher Vermittler des Austausches l&auml;ngst fertig. Denn Geld, die allgemeine Ware, ist eben jenes unentbehrliche Mittel, ohne das kein allgemeiner Austausch vom Fleck kommen, ohne das die aus Einzelproduzenten bestehende planlose gesellschaftliche Wirtschaft nicht existieren kann.</P>
<P>In der Tat, sehen wir uns jetzt die vielseitige Rolle des Viehs im Austausch an. Was hat das Vieh in der von uns untersuchten Gesellschaft zum Geld gemacht? Die Tatsache, da&szlig; es ein allseitig und jederzeit begehrtes Arbeitsprodukt war. Warum war aber das Vieh allzeit und allseitig begehrt. Wir haben gesagt: weil es ein &auml;u&szlig;erst n&uuml;tzliches Produkt war, das die Existenz als vielseitiges Lebensmittel sichern konnte. Ja, das stimmt im Anfang. Doch nachher, je mehr das Vieh im allgemeinen Austausch als Vermittler gebrauche wurde, desto mehr trat der unmittelbare Gebrauch des Viehs als Lebensmittel in den Hintergrund. Wer nun Vieh f&uuml;r sein Produkt zum Austausch kriegt, wird sich h&uuml;ten, es zu schlachten und aufzuessen oder vor den Pflug zu spannen; das Vieh ist f&uuml;r ihn jetzt wertvoller als Mittel, jederzeit jede beliebige andere Ware zu kaufen. Der Empf&auml;nger von Vieh wird es also jetzt nicht als Lebensmittel verbrauchen, sondern als Tauschmittel zu weiteren Tauschgesch&auml;ften aufbewahren. Sie werden auch merken, da&szlig; der unmittelbare Gebrauch des Viehs bei der hochentwickelten Arbeitsteilung, die wir in der Gesellschaft voraussetzen, auch nicht gut ang&auml;ngig ist. Was soll zum Beispiel der <A NAME="S714"><B>|714|</A></B> Schuster mit dem Vieh als solchem anfangen? Oder der Schlosser, der Weber, der Hutmacher, die keine Landwirtschaft treiben? Der unmittelbare Nutzen von Vieh als Lebensmittel wird also immer mehr au&szlig;er acht gelassen, und alsdann wird das Vieh von allen jederzeit begehrt nicht mehr, weil es zum Schlachten, Melken oder Pfl&uuml;gen n&uuml;tzlich ist, sondern weil es jederzeit die M&ouml;glichkeit zum Tausch gegen jede beliebige Ware gibt. Es wird immer mehr zur spezifischen N&uuml;tzlichkeit, zur Mission des Viehs, den Austausch zu erm&ouml;glichen, das hei&szlig;t zur jederzeitigen Verwandlung der Privatprodukte in gesellschaftliche, der Privatarbeiten in gesellschaftliche Arbeiten zu dienen. Da das Vieh somit seinen Privatgebrauch, dem Menschen als Lebensmittel zu dienen, immer mehr vernachl&auml;ssigt und sich ausschlie&szlig;lich seiner Funktion der st&auml;ndigen Vermittlung zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft widmet, so h&ouml;rt es auch allm&auml;hlich auf, Privatprodukt wie jedes andere zu sein, sondern es wird von vornherein, von Hause aus, sozusagen vom Stall aus, gesellschaftliches Produkt, und die Arbeit des Viehz&uuml;chters wird nun im Unterschied von allen anderen Arbeiten in der Gesellschaft zu der einzigen direkt gesellschaftlichen Arbeit. Alsdann wird auch das Vieh gez&uuml;chtet nicht mehr allein zum Verbrauch als Lebensmittel, sondern daneben direkt zu dem Zwecke, als gesellschaftliches Produkt, als allgemeine Ware, als Geld zu funktionieren. Freilich wird das Vieh zum geringeren Teil auch noch geschlachtet oder vor den Pflug gespannt, Aber dieser sozusagen Privatgebrauch, Privatcharakter des Viehs verschwindet immer mehr gegen&uuml;ber seinem offiziellen Charakter als Geld. Und als solches spielt es nun eine hervorragende und vielseitige Rolle im Leben der Gesellschaft.</P>
<P>1. Es wird endg&uuml;ltig allgemeines und offiziell anerkanntes <I>Tauschmittel</I>. Nun tauscht niemand mehr Stiefel gegen Brot oder Hemden gegen Hufeisen. Wer das wollte, w&uuml;rde mit Achselzucken abgewiesen. Nur f&uuml;r Vieh kann man etwas kriegen. Dadurch aber zerf&auml;llt der fr&uuml;here doppelseitige Tausch in zwei getrennte Gesch&auml;fte: in Verkauf und in Kauf. Fr&uuml;her, als der Schlosser mit dem B&auml;cker ihre Produkte austauschten, hat jeder durch den blo&szlig;en H&auml;ndewechsel zugleich seine Ware verkauft und die des anderen gekauft. Kauf und Verkauf waren ein und dasselbe Gesch&auml;ft. Jetzt, wenn der Schuster seine Stiefel verkauft, so kriegt er und nimmt er auch nur daf&uuml;r Vieh. Er hat zun&auml;chst erst sein eigenes Produkt verkauft. Wann er wieder etwas kauft, <I>was </I>er kauft, ob er &uuml;berhaupt kauft, bleibt eine Sache f&uuml;r sich. Genug, der Schuster ist sein Produkt losgeworden, er hat seine Arbeit jetzt aus der Stiefelform in die Viehform <A NAME="S715"><B>|715|</A></B> verwandelt. Die Viehform aber, das ist, wie wir wissen. die offizielle gesellschaftliche Form der Arbeit, und in dieser kann sie der Schuster solange aufbewahren, wie er will; denn er wei&szlig;, er hat es jederzeit in der Hand, sein Arbeitsprodukt wieder aus der Viehform in jedes beliebige umzutauschen, das hei&szlig;t, einen Kauf zu machen.</P>
<P>2. Ebendadurch wird aber das Vieh jetzt auch zum Mittel, den Reichtum aufzusparen und zu sammeln, es wird zum <I>Schatzmittel</I>. Solange der Schuster seine Produkte nur direkt gegen Lebensmittel eintauschte, arbeitete er auch nur so viel, wie er brauchte, um seine t&auml;glichen Bed&uuml;rfnisse zu decken. Denn was h&auml;rte es ihm gen&uuml;tzt, Stiefel auf Vorrat zu arbeiten oder gar gro&szlig;e Vorr&auml;te an Brot, Fleisch, Hemden, H&uuml;ten usw. zu machen? Gegenst&auml;nde des t&auml;glichen Gebrauchs werden meistens durch l&auml;ngeres Aufbewahren und Lagern nur besch&auml;digt oder gar unbrauchbar gemacht. Nun aber kann der Schuster das Vieh, das er f&uuml;r seine Arbeitsprodukte kriegt, aufbewahren als Mittel f&uuml;r die Zukunft. Nun erwacht in unserem Meister auch die Sparsamkeit, er sucht soviel wie m&ouml;glich zu verkaufen, h&uuml;tet sich aber, alles erhaltene Vieh wieder auszugeben; im Gegenteil, er sucht es anzusammeln, denn da das Vieh allezeit. zu allem gut ist, so spart und h&auml;uft er es f&uuml;r die Zukunft auf, und er l&auml;&szlig;t so die Fr&uuml;chte seiner Arbeit seinen Kindern als Erben.</P>
<P>3. Das Vieh wird zugleich auch zum <I>Ma&szlig; </I>aller <I>Werte </I>und Arbeiten. Wenn der Schuster wissen will, was sein Paar Schuhe ihm im Tausch einbringen wird, was sein Produkt wert ist, so sagt er sich zum Beispiel: Ich kriege ein halbes Rind pro Paar, mein Paar Stiefel ist ein halbes Rind wert.</P>
<P>4. Endlich wird das Vieh auf diese Weise zum Inbegriff des <I>Reichtums</I>. Nun sagt man nicht: Dieser oder jener ist reich, weil er viel Korn, Herden, Kleider, Schmucksachen, Diener hat, sondern: Er hat viel Vieh. Man sagt: Hut ab vor dem Manne, er ist 10.000 Ochsen "gut". Oder man sagt: Armer Kerl, er ist ganz viehlos!.</P>
<P>Wie Sie sehen, kann die Gesellschaft mit der Verbreitung des Viehs als allgemeines Tauschmittel nur noch in Viehformen denken. Man redet und tr&auml;umt immerw&auml;hrend von Vieh. Es bildet sich eine f&ouml;rmliche Viehanbetung und Viehbewunderung. Ein M&auml;dchen wird am liebsten geheiratet, wenn seine Reize durch gro&szlig;e Viehherden als Mitgift erh&ouml;ht werden, auch wenn nicht ein Schweinez&uuml;chter, sondern ein Professor, ein Geistlicher oder ein Dichter der Freier ist. Vieh ist der Inbegriff des menschlichen Gl&uuml;ckes. Auf das Vieh und seine wunderbare Macht werden Gedichte gemacht, um des Viehs wegen werden Verbrechen und Mordtaten ausge&uuml;bt. <B>|716|</B> Und die Menschen wiederholen kopfsch&uuml;ttelnd: "Vieh regiert die Welt." Wenn Ihnen dieses Sprichwort unbekannt vorkommt, so &uuml;bersetzen Sie's ins Lateinische; das altr&ouml;mische Wort pecunia = <I>Geld </I>stammt von pecus = "Vieh" ab.<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_708.htm#F2">[2]</A></A></P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Randnotiz R. L.: Aristoteles &uuml;ber Sklaverei. <A HREF="lu05_708.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Randnotiz R. L.: Im Metallgeld vollendet die Abstreifung des <I>Gebrauchswerts</I>! <A HREF="lu05_708.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
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