emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me08/me08_383.htm

35 lines
11 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Karl Marx - Die politischen Parteien und Perspektiven</TITLE>
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unver<65>nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 383405-386</SMALL>
<H2>Karl Marx</H2>
<H1>Die politischen Parteien und Perspektiven</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 3625 vom 29. November 1852]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S383">&lt;383&gt;</A></B> London, Dienstag, 2. November 1852</P>
<P>Wir wollen mit der Er&ouml;rterung der politischen Konsequenzen fortfahren, die unvermeidlich der jetzigen Industrie- und Handelsprosperit&auml;t auf dem Fu&szlig;e folgen werden. &lt;<A HREF="me08_374.htm">Siehe Band 8, S. 374-378</A>&gt;</P>
<P>Inmitten dieser Atmosph&auml;re allgemeiner industrieller Aktivit&auml;t, beschleunigten Handelsverkehrs und politischer Gleichg&uuml;ltigkeit vollziehen die parlamentarischen Parteien, jeglichen Druckes von au&szlig;en beraubt, in aller Ruhe den Proze&szlig; ihrer eigenen Aufl&ouml;sung.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Peeliten und die Russelliten f&uuml;hlen sich in diesem Augenblick auf die seltsamste Weise zueinander hingezogen. Da diese unvermeidbaren 'Staatsm&auml;nner', die Peeliten, nicht imstande sind, allein etwas fertigzubringen w&uuml;nschen sie jetzt in die Sippe der regierenden Familie aufgenommen zu werden. Man sehe nur, wie ihr Organ, der 'Morning Chronicle', die v&ouml;llig banale Rede lobt, die Lord Russell in Perth hielt."</P>
</FONT><P>So &auml;u&szlig;ert sich der "Morning Herald", das halbamtliche Organ der Regierung.</P>
<P>Gerade das Gegenteil sei richtig, sagt der "Guardian". Man h&ouml;re nur, was der Handelsminister Henley in der M&auml;lzerei in Banbury zu seinen Freunden aus der Landwirtschaft sagt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Diese Partei", erkl&auml;rt Henley, "hatte ihre eigenen Prinzipien und blieb ihnen auch treu. Ob Freihandel oder Schutzzoll, war eine offene Frage und ist nur durch den verstorbenen Sir Robert Peel zu einer Parteifrage gemacht worden. Voller Respekt &auml;u&szlig;ert er sich &uuml;ber die Peeliten und meint, da&szlig; kein ernstes Hindernis mehr existiere gegen die Vereinigung der <I>gro&szlig;en konservativen Partei</I>".</P>
</FONT><B><P><A NAME="S384">&lt;384&gt;</A></B> So mu&szlig; man's machen, ereifert sich der "Guardian", den Schutzzoll fallen lassen, dann lebt der Konservativismus auf. Mit anderen Worten, der "Guardian" glaubt, die Peeliten seien bereit - von der Frage der Korngesetze abgesehen - ein reaktion&auml;res B&uuml;ndnis mit den Tories einzugehen. Und die "Daily News" berichtet als vollendete Tatsache, da&szlig; eine Reihe von Peeliten schon in das Lager Derbys &uuml;bergegangen sind. Aber auch eine Anzahl Whigs verd&auml;chtigt man desselben Vergehens, und daran w&auml;re nichts Wunderbares angesichts der Tatsache, da&szlig; der aristokratische Kern dieser Partei aus einer Clique von Stellenj&auml;gern besteht. Da gibt es zum Beispiel Lord Dalhousie. Mylord war Minister unter Peel, in dessen liberaler Regierungsperiode. Nach dem Falle Peels bot ihm Russell einen Sitz in seinem neuen Kabinett an. Im Verein mit dem Herzog von Newcastle, Lord St. Germans und andern Mitgliedern der fr&uuml;heren Regierung unterst&uuml;tzte er im Oberhaus die Man&ouml;ver der Whigs und wurde daf&uuml;r, als die Stelle frei wurde, zum Generalgouverneur von Indien ernannt, diesem pr&auml;chtigsten aller Preise in der oligarchischen Lotterie. Er verstand sich darauf, die gr&ouml;&szlig;ten &ouml;konomischen Vorteile daraus zu ziehen. Die Whigs r&uuml;hmten sich des noch "nie dagewesenen" Opfers, das sie gebracht hatten, indem sie einen so begehrten Posten ihrer eigenen engsten Clique vorenthalten hatten. Der K&ouml;der, den man Lord Dalhousie im Augenblick hinh&auml;lt, ist der Gouverneursposten der Cinque Ports, eine Sinekure, die j&auml;hrlich Tausende einbringt. Der gute Mann soll n&auml;mlich von Hause aus nicht gerade mit Geld und Gut gesegnet sein, und er soll es f&uuml;r seine patriotische Pflicht halten, die Cinque Ports selbst unter einem Derby-Ministerium gegen &Uuml;berraschungen zu sch&uuml;tzen.</P>
<P>Solche Geschichten aus der chronique scandaleuse &lt;Skandalchronik&gt;, solche Anekdoten &uuml;ber den Preis, zu dem dieser oder jener Whig mit sich verhandeln l&auml;&szlig;t und sich zu den Tories schl&auml;gt, finden sich zu Dutzenden in der liberalen Wochenpresse. Sie zeugen von der tiefen Korruption der Whig-Partei, verlieren aber an Bedeutung angesichts der Spaltung zwischen den zwei bedeutendsten F&uuml;hrern der Partei, Russell und Palmerston. Schon vor einiger Zeit waren uns Vorg&auml;nge bei den letzten Wahlk&auml;mpfen bekannt geworden, in denen Lord Palmerstons Eingreifen zugunsten ministerieller Kandidaten unverantwortlich erschien, wie die liberalen Bl&auml;tter formulierten. Und dann kommt eines sch&ouml;nen Tages Palmerstons eigenes Organ, die "Morning Post", mit einem Leitartikel heraus, der sich auf das Ger&uuml;cht bezieht, wonach Palmerston entweder als Minister und F&uuml;hrer des Unterhauses in <A NAME="S385"><B>&lt;385&gt;</A></B> das Kabinett eintreten oder im Falle einer schnellen Aufl&ouml;sung des Derby-Ministeriums ein neues Kabinett bilden solle aus jenen Fragmenten des alten, die vielleicht noch nicht ganz "unm&ouml;glich" geworden. Die "Morning Post", der diese Ger&uuml;chte im gro&szlig;en ganzen durchaus nicht unangenehm sind, erkl&auml;rt, nicht in Lord Palmerstons, sondern im eigenen, privaten Namen zu sprechen. Palmerston jedoch h&auml;lt es trotz aller dringlichen, ja sogar aufdringlichen Forderungen der Whig-Presse und der liberalen Bl&auml;tter nicht f&uuml;r angezeigt, den verleumderischen Bericht zur&uuml;ckzuweisen. Der "Morning Chronicle" der Peeliten verzeichnet diese Ger&uuml;chte in einem Ton, der deutlich zeigt, da&szlig; Gladstone und Kompanie keinen horror vacui &lt;Schrecken vor der Leere&gt; empf&auml;nden, wenn sich Amalgamierungen solcher Art vollz&ouml;gen. Die "Daily News", ein Blatt der Manchesterm&auml;nner, deckt diesen Umstand auf und fordert emp&ouml;rt, da&szlig; die Verr&auml;ter unter den Whigs und Peeliten sich offen Derby anschlie&szlig;en sollen. Man sieht also, wie jede der parlamentarischen Koterien, die eine nach der anderen das politische Steuer in H&auml;nden gehalten, allen andern und auch den eigenen Mitgliedern mi&szlig;traut, wie sie sich gegenseitig der Fahnenflucht, der Korruption, des Paktierens anklagen und wie sie doch, einzeln und insgesamt, zugehen, da&szlig;, wenn man von den Korngesetzen absieht, ihrer Vereinigung mit den Derby-Leuten eigentlich nichts im Wege steht als pers&ouml;nliche Rank&uuml;ne und pers&ouml;nlicher Ehrgeiz. Sie nehmen Derby gegen&uuml;ber ungef&auml;hr dieselbe Stellung ein, die letztes Jahr vor dem 2. Dezember die verschiedenen Gruppierungen der Ordnungspartei gegen&uuml;ber Bonaparte einnahmen &lt;Siehe Band 8, S. 176-193&gt;.</P>
<P>Da&szlig; die Opposition der kommenden Parlamentskampagne recht kleinm&uuml;tig entgegensieht, ist leicht zu erkl&auml;ren.</P>
<P>Der kleine John Russell erhielt das Ehrenb&uuml;rgerrecht von Perth in einem kleinen Futteral und dankte daf&uuml;r nach einem Riesenbankett in einer kleinen Rede, deren wichtigster Teil in folgender Erkl&auml;rung bestand:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wir sind von Rechts wegen verpflichtet und auch, denke ich, durch <I>eine kluge Politik </I>angewiesen, <I>so lange zu warten</I>, <I>bis solche Ma&szlig;nahmen geschaffen sind</I>, <I>durch die die Interessengruppen der Landwirtschaft</I>, der Kolonien, der Schiffahrt jene Entsch&auml;digungen bekommen, die ihnen bis jetzt ungerechterweise vorenthalten blieben" (Heiterkeit) -"treffliche Ma&szlig;nahmen, die einem langen Kampfe ein Ende setzen sollen."</P>
</FONT><P>Das einzige Tagesblatt, &uuml;ber das Russell noch verf&uuml;gt, "The Globe" (eine Abendzeitung), gibt dazu folgenden Kommentar: "Jede Opposition der Art, wie man sie 1835 gegen Sir R. Peel betrieb, w&uuml;rde unweigerlich fehlschlagen", und zwar wegen der Rivalit&auml;t der liberalen F&uuml;hrer unter- <A NAME="S386"><B>&lt;386&gt;</A></B> einander. Darum wurde auch der Versuch vollst&auml;ndig aufgegeben, das Kabinett Derby gleich zu Beginn der Session durch ein kompaktes Votum der koalierten Opposition zu st&uuml;rzen, und Lord John Russell bleibt seiner Rolle treu, indem er als erster zum R&uuml;ckzug bl&auml;st. &Uuml;ber die allgemeinen Aussichten der parlamentarischen Opposition legt ihr F&uuml;hrer Joseph Hume in einem Brief an den "Hull Advertiser" folgendes Bekenntnis ab:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit den irischen Mitgliedern des Unterhauses darf man in ihnen kaum ein Material sehen, das sich dazu eignet, &uuml;berhaupt durch einen F&uuml;hrer geformt und in Positur gehalten zu werden. Die irischen Mitglieder sind zu &uuml;berspannt, zu hei&szlig;bl&uuml;tig, zu sehr durchdrungen von den Leiden und dem Ungemach Irlands. Bis jetzt ist meines Wissens nichts unternommen worden, um eine Einigung jener Liberalen herbeizuf&uuml;hren, die Zweifel hegen an den Taten des Derby Ministeriums. Und wenn ich mir die hohlen Beteuerungen jener M&auml;nner vor Augen halte, die Lord Derbys Vorg&auml;nger waren" (die Whigs), "und bedenke, wie sie lieber das Spiel aufgeben, anstatt den Reformern ein B&uuml;ndnis vorzuschlagen und dadurch ehrlich der Sache des Volkes zu dienen, so kann ich kein rechtes Vertrauen in Ma&szlig;nahmen setzen, die sie zur F&ouml;rderung der Einigung der Parteien unternehmen m&ouml;gen. Ich f&uuml;rchte, man mu&szlig; sie sich selbst und ihrem ewigen Gerede &uuml;berlassen, indes die Derby-Leute &Uuml;bergriffe aller Art in der Regierung begehen, um die eigene Sache zu f&ouml;rdern und die eigenen Anh&auml;nger zu beg&uuml;nstigen. Und die Dinge werden sich wohl <I>noch geraume Zeit </I>weiter so abspielen, ehe &uuml;berhaupt eine M&ouml;glichkeit eintritt, eine Volkspartei zu bilden."</P>
</FONT><P>John Bright, augenblickliches Haupt der Manchesterschule hat allerdings nach einem Bankett mit den Fabrikanten von Belfast in einer Rede versucht, durch Schmeicheleien gutzumachen, was Joseph Hume durch seine Angriffe auf die Iren verschuldet hatte. Aber es ist nun einmal so, da&szlig; in allen Dingen der parlamentarischen Disziplin die Autorit&auml;t bei "Old Joe" &lt;Joseph Hume&gt; liegt.</P>
<P>So verzweifelt denn die parlamentarische Opposition v&ouml;llig an sich selbst.</P>
<P>Ja, die alte parlamentarische Opposition hat sich derma&szlig;en &uuml;berlebt, da&szlig; ihr Nestor, Hume, am Ende seiner langen Laufbahn &ouml;ffentlich erkl&auml;rt, es g&auml;be im Unterhaus keine "Volkspartei". Was immer so genannt worden sei, sei nichts anderes gewesen als ein "Strick aus Sand".</P>
<P>So gibt es im Lager der Opposition nur allgemeine Aufl&ouml;sung, allgemeine Schw&auml;che und Impotenz.</P>
<P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P></BODY>
</HTML>