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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>Der amerikanische Pazifismus</title>
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<meta name="AUTHOR" content="Leo Trotzki">
<meta name="CREATED" content="19260215">
<meta name="CHANGEDBY" content="L&uuml;ko Willms">
<meta name="CHANGED" content="20001212;21022373">
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"Auf dem Weg in den 2. Weltkrieg">
<meta name="DESCRIPTION" content=
"Ausschnitt aus der Rede &quot;Europa und Amerika&quot;, ver&ouml;ffentlicht in &quot;Weltb&uuml;hne&quot; vom 26.3.1926 ">
<meta name="KEYWORDS" content="USA England Pazifismus Krieg ">
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<table width="100%" border="0" align="center" cellspacing="0" cellpadding="0">
<tr>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../../index.shtml.html"><small>Gesamt&uuml;bersicht "MLWerke"</small></a></td>
<td align="center">|</td>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href="../default.htm"><small>&Uuml;bersicht Leo Trotzki</small></a></td>
</tr>
</table>
<hr size="1">
<h2>Leo Trotzki</h2>
<h1>Der amerikanische Pazifismus<sup><a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote1anc" href="260215a.htm#sdfootnote1sym"><sup>1</sup></a></sup></h1>
Aus &raquo;Weltb&uuml;hne&laquo; vom 26.3.1926
<hr size="1">
<p>Der amerikanische &raquo;Pazifismus&laquo; hat auf der ganzen
Linie gesiegt - allerdings als Methode eines bisher
ger&auml;uschlosen imperialistischen R&auml;ubertums und als
halbmaskierte Vorbereitung zu gigantischen
Zusammenst&ouml;&szlig;en.</p>
<p>Das Wesen des amerikanischen &raquo;Pazifismus&laquo; hat seinen
klarsten Ausdruck in der Washingtoner Konferenz von 1922<a class=
"sdfootnoteanc" name="sdfootnote2anc" href=
"260215a.htm#sdfootnote2sym"><sup>2</sup></a> gefunden. In den Jahren 1919/20
fragten sich Viele, darunter auch ich: Was wird 1922/23 geschehen,
wo das Flottenprogramm der Vereinigten Staaten Gro&szlig;britannien
die Wage halten will? Wird England seine &Uuml;bermacht kampflos
abgeben? Viele, darunter wieder auch ich, hielten damals einen
Krieg zwischen England und Amerika unter Beteiligung von Japan
nicht f&uuml;r ausgeschlossen. Aber was kam heraus? Anstelle eines
Krie<brk>ges ... der reinste &raquo;Pazifismus&laquo;. Die
Vereinigten Staaten luden England nach Washington ein und sagten:
&raquo;Gestattet: wir haben nunmehr 5 Flotteneinheiten -- Ihr
gleichfalls; Japan soll sich an 3 Einheiten halten -- ebenso
Frankreich.&laquo; Und England nahm an. Was hat das zu bedeuten?
&raquo;Pazifismus&laquo;. Aber ein Pazifismus, der seinen Willen
durch ein ungeheures wirtschaftliches &Uuml;bergewicht aufzwingt
und sein milit&auml;risches &Uuml;bergewicht f&uuml;r die
n&auml;chste historische Periode &raquo;friedlich&laquo;
vorbereitet.</p>
<p>Und der Dawes-Plan?<a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote3anc" href="260215a.htm#sdfootnote3sym"><sup>3</sup></a>
W&auml;hrend Poincar&eacute;<a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote4anc" href="260215a.htm#sdfootnote4sym"><sup>4</sup></a> mit seinen
Spielzeugpl&auml;nchen in Mitteleuropa rumorte und das Ruhrgebiet
be<brk>setzte, schauten die Amerikaner ins Fernrohr und warteten
ab. Als dann der sinkende Franc und andre Unannehmlich<brk>keiten
Poincar&eacute; vom Schauplatz verscheuchten, kam der
Ame<brk>rikaner und kaufte sich das Recht, Deutschland zu regieren,
um 800 Millionen, wovon obendrein die H&auml;lfte England zahlte.
F&uuml;r diesen billigen Preis setzte die Newyorker B&ouml;rse dem
deut<brk>schen Volk ihren Kontrolleur auf den Nacken.
&raquo;Pazifismus&laquo;.</p>
<p>Und die Stabilisierung der Valuten? Dem Amerikaner pa&szlig;t es
nicht, wenn in Europa die Valuta schwankt, weil Eu<brk>ropa dann
billiger exportieren kann. Auch der Zinsendienst und die gesamte
Finanzordnung leiden darunter. Wo soll man seine Kapitalien
investieren? und so zwang der Amerikaner die Deutschen und nun auch
die Engl&auml;nder, zur festen Valuta zur&uuml;ckzukehren. Lloyd
George<a class="sdfootnoteanc" name="sdfootnote5anc" href=
"260215a.htm#sdfootnote5sym"><sup>5</sup></a> erkl&auml;rte unl&auml;ngst:
&raquo;Jetzt kann das Pfund Sterling dem Dollar getrost ins Auge
sehen&laquo;. Wacke<brk>rer Alter, dieser Lloyd George! Das Pfund
sieht dem Dollar getrost ins Auge, weil ihm ein paar hundert
Millionen geliehene Dollars den R&uuml;cken steifen.</p>
<p>Und Frankreich? Die franz&ouml;sische Bourgeoisie f&uuml;rchtet
sich vor der Stabilisierung der Valuta. Das ist eine sehr
schmerzliche Operation. Aber der Amerikaner erkl&auml;rt:
&raquo;sonst gebe ich keine Anleihen mehr&laquo; und fordert
&uuml;berdies die Ent<brk>waffnung Frankreichs, damit es seine
Schulden bezahlen k&ouml;nne. Reinster Pazifismus. Entwaffnung,
Valuta-Stabilisierung - was will man mehr? Und Amerika schickt sich
an, Frankreich &raquo;friedlich&laquo; auf die Knien zu
zwingen.</p>
<p>Mit England ist die Frage der Goldparit&auml;t und der
Schul<brk>den bereits geregelt. England zahlt den Vereinigten
Staaten, wenn ich nicht irre, ungef&auml;hr 300 Millionen Rubel im
Jahr. Daf&uuml;r wurde es zum amerikanischen Gerichtsvollzieher in
der europ&auml;ischen Provinz ernannt mit dem Auftrag, die
R&uuml;ck<brk>st&auml;nde der europ&auml;ischen V&ouml;lker
einzutreiben und an die Ver<brk>einigten Staaten abzuliefern. Welch
pazifistische und friedliche Organisation: auf Grund der
Verpflichtungen an Amerika werden wechselseitige Finanzbeziehungen
zwischen V&ouml;lkern Euro<brk>pas unter der Aufsicht des
Mustersteuerzahlers Gro&szlig;britan<brk>nien organisiert! Das ist
die Grundlage f&uuml;r die gesamte euro<brk>p&auml;ische Politik
Amerikas. Deutschland zahlt an Frankreich, Italien an England,
Frankreich an England; Ru&szlig;land, Deutsch<brk>land, Frankreich
und England zahlen alle an mich, an Amerika! Diese
Verschuldungshierarchie ist eine der Grundlagen des amerikanischen
Pazifismus.</p>
<p>Der Weltkampf zwischen England und Amerika um das Petroleum hat
bereits in Mexiko, in Persien und der T&uuml;rkei zu
revolution&auml;ren Ersch&uuml;tterungen und kriegerischen
Konflik<brk>ten gef&uuml;hrt. Aber m&ouml;glicherweise werden uns
morgen die Zei<brk>tungen melden, da&szlig; zwischen England und
Amerika eine fried<brk>liche Zusammenarbeit auf diesem Gebiet
festgelegt worden sei. Was bedeutet das dann? Das bedeutet: eine
Washingtoner Petroleumkonferenz, mit andern Worten: England, nimmt
mit einem bescheidenerem Petroleumanteil f&uuml;rlieb! Wiederum
96prozentiger Pazifismus.</p>
<p>Sehr interessant ist auch die Rohstoffrage. Eine Menge, die uns,
den Vereinigten Staaten, abgehen, besitzen die Andern. Die
amerikanischen Zeitungen brachten unl&auml;ngst eine Karte des
Erdballs. Die europ&auml;ischen Pygm&auml;en be<brk>unruhigen sich
&uuml;ber Albanien, Bulgarien, irgendwelche Korridore und so was.
Die Amerikaner denken nur noch in Kontinenten, was das
Geographiestudium erleichtert und vor allem dem Piratentum den
richtigen Schwung gibt. Also die amerikanischen Zeitungen brachten
eine Wirtschaftskarte des Erd<brk>balls mit zehn schwarzen Flecken,
zehn gro&szlig;en L&uuml;cken in der Rohstoffwirtschaft der
Vereinigten Staaten: Kautschuk, Kaffee, Salpeter, Zinn, Pottasche,
Hanf und noch einige weniger wich<brk>tige Rohstoffe, auf die -- O
Schreck -- nicht die Vereinigten Staaten, sondern andre L&auml;nder
das Monopol haben ... Stellt euch das arme Amerika vor, wie es von
allen Seiten ausgebeutet wird! Alles ist so monopolisiert,
da&szlig; der gute amerika<brk>nische Milliard&auml;r weder ruhig
Auto fahren noch ordentlich Kaffee trinken kann, da&szlig; er sich
nicht einmal an einer guten Schlinge aufh&auml;ngen oder sich auch
nur einfach eine Bleikugel in den Sch&auml;del schlie&szlig;en kann
- nichts dergleichen: von allen Seiten wird er ausgebeutet! Am
besten legt er sich noch bei Lebzeiten in sein standardisiertes
Grab.</p>
<p>Und dar&uuml;ber hat Mister Hoover<a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote6anc" href="260215a.htm#sdfootnote6sym"><sup>6</sup></a> einen
Artikel geschrieben, und was f&uuml;r einen! Er besteht aus 29
Fragen, ich habe sie nachgez&auml;hlt. Eine besser als die andre!
Alle mit einer Spitze gegen England: ob es gut sei, sich an
&uuml;bertriebenen Preisen zu bereichern? Und wenn nicht, ob dann
nicht etwa Erbitterung zwischen den Nationen entstehen k&ouml;nne?
Und ob dann eine Regierung nicht verpflichtet sei, sich
einzumischen? Und ob das nicht schwerwiegende Folgen haben
k&ouml;nne?</p>
<p>Eine englische Zeitung schrieb dazu mehr offenherzig als
liebensw&uuml;rdig: Ein Narr fragt mehr, als zehn Weise beantworten
k&ouml;nnen. Ich w&uuml;rde mich allerdings nie unterfangen,
anzunehmen, da&szlig; ein Narr auf einem so verantwortlichen Posten
stehe. Aber selbst wenn dem so w&auml;re, st&uuml;tzt Mister Hoover
sich eben auf den gigantischen Apparat des amerikanischen Kapitals,
das hei&szlig;t: er braucht keinen Verstand - f&uuml;r ihn denkt
die b&uuml;rgerliche &raquo;Staatsmaschine&laquo;. Und auf seine 29
Fragen hin, von denen eine jede Mister Baldwin<a class=
"sdfootnoteanc" name="sdfootnote7anc" href=
"260215a.htm#sdfootnote7sym"><sup>7</sup></a> wie ein Pistolenschu&szlig; in
die Ohren klang, wurde der Kautschuk mit einem Mal billiger, was
f&uuml;r die Weltlage mehr besagt als - ach, was nicht Alles!</p>
<p>Das ist der amerikanische Pazifismus in der Praxis.<br>
<br>
</p>
<hr size="1">
Fu&szlig;noten der Redaktion
<BR><br>
<div id="sdfootnote1">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote1sym"
href="260215a.htm#sdfootnote1anc">1</a>Dieser Artikel erschien in &raquo;Die
Weltb&uuml;hne&laquo;, Jahrgang 22, Heft 12 vom 23.3.1926. Es
handelt sich um das Kapitel &raquo;Die Praxis des amerikanischen
Pazifismus&laquo; aus der Rede &raquo;Europa und Amerika&laquo;
deren deutsche Fassung vollst&auml;ndig ver&ouml;ffentlicht wurde
in dem Buch &raquo;Europa und Amerika. Zwei Reden&laquo;, Neuer
Deutscher Verlag, Berlin 1926, S. 50 bis 91. Wann und wo diese Rede
gehalten wurde, ist darin leider nicht vermerkt.</font></dd>
<dd><font size="2">Der erste Absatz wurde f&uuml;r diesen Abdruck
in der &raquo;Weltb&uuml;hne&laquo; ver&auml;ndert.</font></dd>
<dd><font size="2">Die Fu&szlig;noten stammen von der Redaktion der Mlwerke - Stimmen der
proletarischen Revolution.</a></font></dd>
<dd><br>
</dd>
</dl>
</div>
<div id="sdfootnote2">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote2sym"
href="260215a.htm#sdfootnote2anc">2</a>Die Washingtoner
Abr&uuml;stungskonferenz tagte vom 12.11.1921 bis 6.2.1922 . Daraus
gingen vier Vertr&auml;ge hervor: 1. Flottenabkommen zwischen USA,
Britannien, Japan, Frankreich und Italien, das die
St&auml;rkeverh&auml;ltnisse der Kriegsmarinen auf das
Verh&auml;ltnis 5:3:3:1,75:1,75 festschreiben sollte ; 2. Das
Pazifikabkommen zwischen USA, Britannien, Japan und Frankreich,
womit die kolonialen Besitzst&auml;nde im Pazifik festgeschrieben
werden sollten; 3. ein Neunm&auml;chteabkommen &uuml;ber China, wo
die Politik der &raquo;Offenen T&uuml;r&laquo; den USA den Zugang
zum gesamten chinesischen Markt sicherte, ohne da&szlig; eine
einzelne der alten Kolonialm&auml;chte sie aussperren konnte; 4.
der Shantungvertrag, wonach Japan Shantung und Kiautschou freigeben
sollte.</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<div id="sdfootnote3">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote3sym"
href="260215a.htm#sdfootnote3anc">3</a>Der Dawes-Plan, benannt nach dem
US-Politiker Charles G. Dawes, wurde am 16.8.1924 in London
abgeschlossen , um die deutschen Reparationszahlungen nach dem 1.
Weltkrieg zu regeln. Der Plan sah j&auml;hrliche Zahlungen von 2,4
Mrd. Goldmark vor. Der Dawesplan wurde 1929 durch den Young-Plan
ersetzt.</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<div id="sdfootnote4">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote4sym"
href="260215a.htm#sdfootnote4anc">4</a>Raymond Poincar&eacute; (1860-1934),
franz&ouml;sischer Politiker, 1912 Ministerpr&auml;sident und
Au&szlig;enminister, 1913-1920 Pr&auml;sident, von 1922-24 und
1926-29 Ministerpr&auml;sident.</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<div id="sdfootnote5">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote5sym"
href="260215a.htm#sdfootnote5anc">5</a>Lloyd George (1863-1945) britischer Politker, seit 1890 MP f&uuml;r die Liberalen, im 1. WK Organisator der Kriegsf&uuml;hrung</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<div id="sdfootnote6">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote6sym"
href="260215a.htm#sdfootnote6anc">6</a>Herbert C. Hoover (1874-1964), 1921-28
Handelsminister der USA, 1929-31 Pr&auml;sident.</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<div id="sdfootnote7">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote7sym"
href="260215a.htm#sdfootnote7anc">7</a>Stanley Baldwin (1867-1947), britischer
Politiker der Tory-Partei. 1921 Handelsminister, 1922
Schatzkanzler, 1923 Premieminister, Wahlniederlage im Januar 1924,
aber nach Neuwahlen im Nov. 1924 erneut im Amt.</font></dd>
</dl>
</div>
<br>
<hr size="1">
<table width="100%" border="0" align="center" cellspacing="0"
cellpadding="0">
<tr>
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"../../index.shtml.html"><small>Gesamt&uuml;bersicht
"MLWerke"</small></a></td>
<td align="center">|</td>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../default.htm"><small>Leo Trotzki</small></a></td>
</tr>
</table>
</body>
</html>