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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx: Debatten &uuml;ber Pre&szlig;freiheit und Publikation der Landst&auml;ndischen Verhandlungen</TITLE><!-- #EndEditable -->
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band <!-- #BeginEditable "Band" --><SMALL>1</SMALL><!-- #EndEditable -->. Berlin/DDR. 19<!-- #BeginEditable "Jahr" --><SMALL>76</SMALL><!-- #EndEditable -->. S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahl" -->28-77<!-- #EndEditable -->.
<BR>1,5. Korrektur
<BR><!-- #BeginEditable "Erstelldatum" --><SMALL>Erstellt am 30.08.1999</SMALL><!-- #EndEditable --></SMALL></P>
<H2><!-- #BeginEditable "Autor" -->Karl Marx<!-- #EndEditable --></H2>
<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->Debatten &uuml;ber Pre&szlig;freiheit und Publikation der Landst&auml;ndischen Verhandlungen<!-- #EndEditable --></H1>
<!-- #BeginEditable "Editionsgeschichte" -->
<H3>Von einem Rheinl&auml;nder</H3>
<P>Sechster Artikel</P>
<P><A href="me01_028.htm">[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 125 vom 5. Mai 1842]</A>
<BR><A href="me01_033.htm"> [&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 128 vom 8. Mai 1842]</A>
<BR><A href="me01_041.htm">[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 130 vom 10. Mai 1842]</A>
<BR><A href="me01_050.htm">[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 132 vom 12. Mai 1842]</A>
<BR><A href="me01_060.htm">[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 135 vom 15. Mai 1842]</A>
<BR>[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 139 vom 19. Mai 1842]</P>
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<P><SMALL><A name="Rheinische Zeitung Nr. 139 vom 19. Mai 1842">[&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; Nr. 139 vom 19. Mai 1842]</A></SMALL></P>
<P><B>|66|</B>Die Pre&szlig;freiheit <EM>macht </EM>so wenig die &raquo;wandelbaren Zust&auml;nde&laquo;, als das Fernglas des Astronomen die rastlose Bewegung des Weltsystems macht. B&ouml;se Astronomie! Was war das f&uuml;r sch&ouml;ne Zeit, als die Erde noch, wie ein ehrbarer b&uuml;rgerlicher Mann, in der Mitte der Welt sa&szlig;, ruhig ihre irdene Pfeife schmauchte und nicht einmal ihr Licht sich selber anzustecken brauchte, da Sonne, Mond und Sterne als ebensoviele devote Nachtlampen und &raquo;sch&ouml;ne Sachen&laquo; um sie hertanzten.</P>
<P class="zitat">&raquo;Wer nie, was er gebaut, zerst&ouml;rt, der steht st&auml;t
<BR>Auf dieser ird'schen Welt, die selbst nicht st&auml;t steht&laquo;,</P>
<P>sagt Hariri, der kein geborner Franzose, sondern ein Araber ist.</P>
<P>Ganz bestimmt spricht sich nun der <EM>Stand </EM>des Redners in dem Einfall aus:</P>
<P class="zitat">&raquo;Der wahre redliche Patriot verm&ouml;ge die Regung in sich nicht zu unterdr&uuml;cken, Konstitution und Pre&szlig;freiheit seien nicht f&uuml;r das Wohl des Volkes, sondern f&uuml;r die Befriedigung des Ehrgeizes Einzelner und die Herrschaft der Parteien.&laquo;</P>
<P><STRONG><A name="S67"></A>|67|</STRONG> Es ist bekannt, da&szlig; eine gewisse Psychologie das Gro&szlig;e aus kleinen Ursachen erkl&auml;rt und in der richtigen Ahnung, da&szlig; alles, wof&uuml;r der Mensch k&auml;mpft, Sache seines Interesses ist, zu der unrichtigen Meinung fortgeht, es gebe nur &raquo;kleine&laquo; Interessen, nur die Interessen stereotyper Selbstsucht. Es ist ferner bekannt, da&szlig; diese Art Psychologie und Menschenkunde besonders in <EM>St&auml;dten</EM> sich vorfindet, wo es dann noch &uuml;berdem f&uuml;r Zeichen eines schlauen Kopfes gilt, die Welt zu durchschauen und hinter den Wolkenz&uuml;gen von Ideen und Tatsachen ganz kleine, neidische, intrigante Mannequins, die das Ganze am F&auml;dchen aufziehen, sitzen zu sehen. Allein es ist ebenfalls bekannt, da&szlig;, wenn man zu tief ins Glas guckt, man sich an <EM>seinen eigenen Kopf </EM>st&ouml;&szlig;t, und so ist denn die Menschenkunde und Weltkenntnis dieser klugen Leute zun&auml;chst ein mystifizierter Sto&szlig; an den eigenen Kopf.</P>
<P>Auch Halbheit und Unentschiedenheit bezeichnet den Stand des Redners.</P>
<P class="zitat">&raquo;Sein Unabh&auml;ngigkeitsgef&uuml;hl spreche f&uuml;r die Pre&szlig;freiheit&laquo; (sc. im Sinne des Antragstellers), &raquo;er m&uuml;sse aber der Vernunft und Erfahrung Geh&ouml;r gehen.&laquo;</P>
<P>H&auml;tte der Redner schlie&szlig;lich gesagt, da&szlig; zwar seine Vernunft f&uuml;r die Pre&szlig;freiheit aber sein Abh&auml;ngigkeitsgef&uuml;hl dagegen spreche, so w&auml;re seine Rede ein vollkommenes Genrebild der st&auml;dtischen Reaktion.</P>
<P class="zitat">&raquo;Wer eine Zung' hat und spricht nicht,
<BR>Wer eine Kling' hat und ficht nicht,
<BR>Was ist der wohl, wenn ein Wicht nicht?&laquo;</P>
<P>Wir kommen zu den <EM>Verteidigern der Pre&szlig;freiheit </EM>und beginnen mit dem <EM>Hauptantrage. </EM>Das Allgemeinere, was treffend und gut in den Eingangsworten des Antrags gesagt ist, &uuml;bergehen wir, um gleich den eigent&uuml;mlichen charakteristischen Standpunkt dieses Vortrags hervorzuheben.</P>
<P>Antragsteller will, da&szlig; das <EM>Gewerbe der Pre&szlig;freiheit </EM>von der <EM>allgemeinen Freiheit der Gewerbe </EM>nicht ausgeschlossen sei, wie es noch immer der Fall ist und wobei der innerliche Widerspruch als klassische Inkonsequenz erscheint.</P>
<P class="zitat">&raquo;Die Arbeiten von Armen und Beinen sind frei, diejenigen des Kopfes werden bevormundet. Von gr&ouml;&szlig;eren K&ouml;pfen ohne Zweifel? Gott bewahre, darauf kommt es bei den Zensoren nicht an. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand!&laquo;</P>
<P>Es frappiert zun&auml;chst, die <EM>Pre&szlig;freiheit </EM>unter die <EM>Gewerbefreiheit </EM>subsumiert zu sehen. Allein wir k&ouml;nnen die Ansicht des Redners nicht geradezu verwerfen. <EM>Rembrandt </EM>malte die Mutter Gottes als niederl&auml;ndische B&auml;uerin, warum sollte unser Redner die Freiheit nicht unter einer Gestalt malen, die ihm vertraut und gel&auml;ufig ist?</P>
<P><STRONG><A name="S68"></A>|68|</STRONG> Ebensowenig k&ouml;nnen wir dem R&auml;sonnement des Redners eine <EM>relative </EM>Wahrheit absprechen. Wenn man die Presse <EM>selbst nur </EM>als Gewerbe betrachtet, geb&uuml;hrt ihr, dem Kopfgewerbe, eine gr&ouml;&szlig;ere Freiheit als dem Gewerbe von Arm und Bein. Die Emanzipation von Arm und Bein wird erst menschlich bedeutsam durch die Emanzipation des Kopfes, denn bekanntlich werden Arme und Beine erst menschliche Arme und Beine durch den Kopf, dem sie dienen.</P>
<P>So originell daher die Betrachtungsweise des Redners auf den ersten Anblick erscheinen mag, so m&uuml;ssen wir ihr doch einen unbedingten Vorzug vor dem haltungslosen, nebelnden und schwebelnden R&auml;sonnement jener deutschen Liberalen zuschreiben, welche die Freiheit zu ehren meinen, wenn sie dieselbe in den Sternenhimmel der Einbildung, statt auf den soliden Boden der Wirklichkeit versetzen. Diesen R&auml;soneurs der Einbildung, diesen sentimentalen Enthusiasten, die jede Ber&uuml;hrung ihres Ideals mit der gemeinen Wirklichkeit als Profanation scheuen, verdanken wir Deutsche zum Teil, da&szlig; die Freiheit bis jetzt eine Einbildung und eine Sentimentalit&auml;t geblieben ist.</P>
<P>Die Deutschen sind &uuml;berhaupt zu Sentiments und &Uuml;berschwenglichkeiten geneigt, sie haben ein tendre f&uuml;r die Musik der blauen Luft. Es ist also erfreulich, wenn ihnen die gro&szlig;e Frage der Idee von einem derben, reellen, aus der n&auml;chsten Umgebung entlehnten Standpunkt demonstriert wird. Die Deutschen sind von Natur devotest, alleruntert&auml;nigst, ehrfurchtsvollst. Aus lauter Respekt vor den Ideen verwirklichen sie dieselben nicht. Sie weihen ihnen einen Kultus der Anbetung, aber sie kultivieren dieselben nicht. Der Weg des Redners scheint also geeignet, den Deutschen mit seinen Ideen zu <EM>familiarisieren, </EM>ihm zu zeigen, da&szlig; er es hier nicht mit Unnahbarem, sondern mit seinen n&auml;chsten Interessen zu tun hat, die Sprache der G&ouml;tter in die Sprache der Menschen zu &uuml;bersetzen.</P>
<P>Es ist bekannt, da&szlig; die Griechen in den &auml;gyptischen, lydischen, sogar den skythischen G&ouml;ttern ihren Apollo, ihre Athene, ihren Zeus wiederzuerkennen glaubten und das Eigent&uuml;mliche der fremden Kulte als Nebensache &uuml;bersahen. So ist es auch kein Vergehen, wenn der Deutsche die ihm unbekannte G&ouml;ttin der Pre&szlig;freiheit f&uuml;r eine seiner bekannten G&ouml;ttinnen ansieht und nach diesen sie Gewerbefreiheit oder Freiheit des Eigentums benennt.</P>
<P>Eben weil wir aber den Standpunkt des Redners anzuerkennen und zu w&uuml;rdigen wissen, unterwerfen wir ihn einer um so sch&auml;rferen <EM>Kritik.</EM></P>
<P class="zitat">&raquo;Es k&ouml;nne sich wohl gedacht werden: Fortdauer von Zunftwesen neben der Pre&szlig;freiheit, weil das Kopfgewerbe eine <EM>h&ouml;here Potenzierung, </EM>eine Gleichstellung mit den alten sieben freien K&uuml;nsten, in Anspruch nehmen k&ouml;nne; aber Fortdauer der Unfreiheit der Preise neben der Gewerbefreiheit sei eine S&uuml;nde wider den heiligen Geist.&laquo;</P>
<P><STRONG><A name="S69"></A>|69|</STRONG> Gewi&szlig;! Die untergeordnete Form der Freiheit ist von selbst f&uuml;r rechtlos erkl&auml;rt, wenn die h&ouml;here unberechtigt ist. Das Recht des einzelnen B&uuml;rgers ist eine Torheit, wenn das Recht des Staates nicht anerkannt ist. Wenn die Freiheit &uuml;berhaupt berechtigt ist, so versteht sich von selbst, da&szlig; eine Gestalt der Freiheit um so berechtigter ist, ein je gro&szlig;artigeres und entwickelteres Dasein die Freiheit in ihr gewonnen hat. Wenn der <EM>Polyp </EM>berechtigt ist, weil in ihm das Leben der Natur dunkelf&uuml;hlend tappt, wie nicht der <EM>L&ouml;we, </EM>in dem es st&uuml;rmt und br&uuml;llt?</P>
<P>So richtig nun aber der Schlu&szlig; ist, die h&ouml;here Gestalt des Rechtes durch das Recht einer niedrigeren Gestalt f&uuml;r bewiesen zu erachten, so verkehrt ist die <EM>Anwendung, </EM>welche die niedere Sph&auml;re zum <EM>Ma&szlig; </EM>der h&ouml;heren macht und ihre innerhalb der eigenen Begrenzung vern&uuml;nftigen Gesetze ins Komische verdreht, und [zwar] dadurch, da&szlig; sie ihnen die Pr&auml;tension unterschiebt, nicht Gesetze ihrer Sph&auml;re, sondern einer &uuml;bergeordneten zu sein. Es ist dasselbe, als wollte ich einen Riesen n&ouml;tigen, im Hause des Pygm&auml;en zu wohnen.</P>
<P>Gewerbefreiheit, Freiheit des Eigentums, des Gewissens, der Presse, der Gerichte, sind alle <EM>Arten </EM>einer und derselben Gattung, der <EM>Freiheit ohne Familiennamen. </EM>Allein wie g&auml;nzlich irrig ist es nun, &uuml;ber der Einheit den Unterschied zu vergessen und gar <EM>eine bestimmte Art </EM>zum Ma&szlig;, zur Norm, zur Sph&auml;re der anderen Arten zu machen? Es ist die <EM>Intoleranz </EM>einer Art der Freiheit, welche die anderen nur ertragen will, wenn sie von sich selbst abfallen und sich f&uuml;r ihre Vasallen erkl&auml;ren.</P>
<P>Die Gewerbefreiheit ist eben die Gewerbefreiheit und keine andere Freiheit, weil in ihr die Natur des Gewerbes sich ungest&ouml;rt seiner inneren Lebensregel gem&auml;&szlig; gestaltet; die Gerichtsfreiheit ist die Gerichtsfreiheit, wenn die Gerichte den eigenen eingeborenen Gesetzen des Rechts, nicht denen einer anderen Sph&auml;re, etwa der Religion, Folge leisten. Jede bestimmte Sph&auml;re der Freiheit ist die Freiheit einer bestimmten Sph&auml;re, wie jede bestimmte Weise des Lebens die Lebensweise einer bestimmten Natur ist. Wie verkehrt w&auml;re nicht die Forderung, der L&ouml;we solle sich nach den Lebensgesetzen des Polypen einrichten? Wie falsch w&uuml;rde ich den Zusammenhang und die Einheit des k&ouml;rperlichen Organismus fassen, wenn ich schl&ouml;sse: weil Arme und Beine nach ihrer Weise t&auml;tig sind, m&uuml;ssen Aug' und Ohr, diese Organe, die den Menschen von seiner Individualit&auml;t losrei&szlig;en und ihn zum Spiegel und zum Echo des Universums machen, ein noch gr&ouml;&szlig;eres Recht der T&auml;tigkeit haben, also eine <EM>potenzierte </EM>Arm- und Beint&auml;tigkeit sein?</P>
<P>Wie in dem Weltsystem jeder einzelne Planet sich nur um die Sonne bewegt, indem er sich um sich selbst bewegt, so kreiset in dem System der <A name="S70"></A><STRONG>|70|</STRONG> Freiheit jede ihrer Welten nur um die Zentralsonne der Freiheit, indem sie um sich selbst kreiset. Die Pre&szlig;freiheit zu einer Klasse der Gewerbefreiheit machen, ist sie verteidigen, indem man sie vor der Verteidigung totschl&auml;gt; denn, hebe ich die Freiheit eines Charakters nicht auf, wenn ich verlange, er solle in der Weise eines anderen Charakters frei sein? Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft die Presse dem Gewerbe zu. Wie du den Gesetzen deiner Sph&auml;re, so will ich den Gesetzen meiner Sph&auml;re gehorchen. In deiner Weise frei zu sein, ist mir identisch mit der Unfreiheit, wie der Tischler sich schwerlich erbaut f&uuml;hlen wurde, wenn er Freiheit seines Gewerbes verlangte und man g&auml;be ihm als &Auml;quivalent die Freiheit des Philosophen.</P>
<P>Wir wollen den Gedanken des Redners nackt aussprechen. Was ist Freiheit? Antwort: Die <EM>Gewerbefreiheit, </EM>wie etwa ein Student auf die Frage: Was ist Freiheit? antworten w&uuml;rde: Die <EM>Freinacht.</EM></P>
<P>Mit demselben Rechte wie die Pre&szlig;freiheit k&ouml;nnte man jede Art der Freiheit unter die Gewerbefreiheit subsumieren. Der Richter treibt das Gewerbe des Rechtes, der Prediger das Gewerbe der Religion, der Familienvater das Gewerbe der Kinderzucht; aber habe ich damit das Wesen der rechtlichen, der religi&ouml;sen, der sittlichen Freiheit ausgesprochen?</P>
<P>Man k&ouml;nnte die Sache auch umkehren und die Gewerbefreiheit <EM>eine Art der Pre&szlig;freiheit </EM>nennen. Arbeiten die Gewerbe blo&szlig; mit Hand und Bein und nicht auch mit dem Kopf? Ist die Sprache des Wortes die einzige Sprache des Gedankens? Spricht der Mechaniker nicht in der Dampfmaschine sehr vernehmlich zu meinem Ohr, der Bettfabrikant nicht deutlich zu meinem R&uuml;cken, der Koch nicht verst&auml;ndlich zu meinem Magen? Ist es kein Widerspruch, da&szlig; alle diese Arten der Pre&szlig;freiheit gestattet sind, nur die eine nicht, die vermittelst der Druckerschw&auml;rze zu meinem Geiste spricht?</P>
<P>Um die Freiheit einer Sph&auml;re zu verteidigen und selbst zu begreifen, mu&szlig; ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nicht in &auml;u&szlig;erlichen Beziehungen fassen. Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gem&auml;&szlig;, <EM>ist die Presse frei, </EM>die sich zum <EM>Gewerbe </EM>herabw&uuml;rdigt? Der Schriftsteller mu&szlig; allerdings erwerben, um existieren und schreiben zu k&ouml;nnen, aber er mu&szlig; keineswegs existieren und schreiben, um zu erwerben.</P>
<P>Wenn <EM>B&eacute;ranger </EM>singt:</P>
<P class="zitat">Je ne vis, que pour faire des chansons,
<BR>Si vous m'&ocirc;tez ma place Monseigneur,
<BR>Je ferai des chansons pour vivre,</P>
<P class="zitat">|Ich lebe nur, um Lieder zu machen.
<BR>Wenn Sie mir meinen Platz nehmen, o Herr,
<BR>werde ich Lieder machen, um zu leben.|</P>
<P><STRONG><A name="S71"></A>|71|</STRONG> liegt in dieser Drohung das ironische Gest&auml;ndnis, da&szlig; der Dichter aus seiner Sph&auml;re herabf&auml;llt, sobald ihm die Poesie zum Mittel wird.</P>
<P>Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als <EM>Mittel</EM>. Sie sind <EM>Selbstzwecke</EM>, sie sind so wenig Mittel f&uuml;r ihn selbst und f&uuml;r andere, da&szlig; er <EM>ihrer</EM> Existenz <EM>seine</EM> Existenz aufopfert, wenn's not tut, und in anderer Weise, wie der Prediger der Religion zum Prinzip macht: &raquo;Gott mehr gehorchen, denn den Menschen&laquo;, unter welchen Menschen er selbst mit seinen menschlichen Bed&uuml;rfnissen und W&uuml;nschen eingeschlossen ist. Dagegen sollte mir ein Schneider kommen, bei dem ich einen Pariser Frack bestellt, und er br&auml;chte mir eine r&ouml;mische Toga, weil sie angemessener sei dem ewigen Gesetz des Sch&ouml;nen!</P>
<P><EM>Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.</EM> Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, geb&uuml;hrt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die &auml;u&szlig;ere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe.</P>
<P>Allerdings existiert die Presse auch als Gewerbe, aber dann ist sie keine Angelegenheit der Schriftsteller, sondern der Buchdrucker und Buchh&auml;ndler. Es handelt sich hier aber nicht um die Gewerbefreiheit der Buchdrucker und Buchh&auml;ndler, sondern um die Pre&szlig;freiheit.</P>
<P>Unser Redner bleibt wirklich keineswegs dabei stehen, das Recht der Pre&szlig;freiheit durch die Gewerbefreiheit als erwiesen zu erachten, er verlangt, da&szlig; die Pre&szlig;freiheit statt ihren eigenen Gesetzen den Gesetzen der Gewerbefreiheit sich unterwerfe. Er polemisiert sogar gegen den Referenten des Ausschusses, der eine h&ouml;here Ansicht von der Pre&szlig;freiheit geltend macht, und verf&auml;llt in Forderungen, die nur humoristisch wirken k&ouml;nnen, denn der Humor ist gleich da, sobald die Gesetze einer niedrigeren Sph&auml;re auf eine h&ouml;here angewandt werden, wie es umgekehrt komisch affiziert, wenn Kinder pathetisch werden.</P>
<P class="zitat">&raquo;Er rede von <EM>befugten</EM> und <EM>unbefugten</EM> Autoren. Dies verstehe er dahin, da&szlig; er die Aus&uuml;bung eines verliehenen Rechtes immerhin auch in der Gewerbefreiheit an irgendeine Bedingung kn&uuml;pfe, die nach der Ma&szlig;gabe des Faches leichter oder schwerer zu erf&uuml;llen sei. Die Maurer-, Zimmer- und Baumeister h&auml;tten verst&auml;ndigerweise Bedingungen zu erf&uuml;llen, wovon die meisten anderen Gewerbe befreit seien.&laquo; &raquo;Sein Antrag gehe auf ein Recht im <EM>Besonderen</EM>, nicht im <EM>Allgemeinen</EM>.&laquo;</P>
<P>Zun&auml;chst, wer soll die <EM>Befugnis</EM> erteilen? Kant h&auml;tte Fichten nicht die Befugnis des Philosophen, Ptolem&auml;us dem Kopernikus nicht die Befugnis des Astronomen, Bernhard von Clairvaux dem Luther nicht die Befugnis des Theologen erteilt. Jeder Gelehrte z&auml;hlt seinen Kritiker zu den &raquo;<EM>unbefugten Autoren&laquo;.</EM> Oder sollen Ungelehrte entscheiden, wer ein befugter Gelehrter <STRONG><A name="S72"></A>|72|</STRONG> sei? Offenbar m&uuml;&szlig;te man das Urteil den unbefugten Autoren &uuml;berlassen, denn die Befugten k&ouml;nnen nicht Richter in eigener Sache sein. Oder soll die Befugnis an einen <EM>Stand </EM>gekn&uuml;pft sein! Der Schuster Jakob B&ouml;hme war ein gro&szlig;er Philosoph. Manche Philosophen von Ruf sind nur gro&szlig;e Schuster.</P>
<P>Wenn &uuml;brigens von befugten und unbefugten Autoren gesprochen wird, so darf man sich konsequenterweise nicht dabei beruhigen, die <EM>Personen </EM>zu unterscheiden, man mu&szlig; das Gewerbe der Presse wieder in <EM>verschiedene Gewerbe </EM>teilen, man mu&szlig; auf die verschiedenen Sph&auml;ren der schriftstellerischen T&auml;tigkeit verschiedene Gewerbescheine ausstellen, oder soll der befugte Schriftsteller &uuml;ber alles schreiben k&ouml;nnen? Von vornherein ist der Schuster befugter, &uuml;ber das Leder zu schreiben, als der Jurist. Der Tagl&ouml;hner ist ebenso befugt dar&uuml;ber zu schreiben, ob an Feiertagen zu arbeiten sei oder nicht, als der Theologe. Kn&uuml;pfen wir also die Befugnis an besondere sachliche Bedingungen, so wird jeder Staatsb&uuml;rger befugter und unbefugter Schriftsteller zugleich sein, befugt in den Angelegenheiten seines Berufes, unbefugt in allem &uuml;brigen.</P>
<P>Abgesehen davon, da&szlig; die Welt der Presse auf diese Weise statt allgemeines Band des Volkes, das wahre Mittel der Scheidung w&uuml;rde, da&szlig; der Unterschied der St&auml;nde so geistig fixiert und die Literaturgeschichte zur Naturgeschichte der besonderen geistigen Tierrassen herabs&auml;nke; abgesehen von den Grenzstreitigkeiten und Kollisionen, die nicht zu entscheiden und nicht zu vermeiden; abgesehen davon, da&szlig; der Presse die Geistlosigkeit und Borniertheit zum Gesetz gemacht w&auml;re, denn geistig und frei betrachte ich das Besondere nur im Zusammenhang mit dem Ganzen, also nicht in seiner Scheidung von ihm, von diesem allem abgesehen, da das <EM>Lesen </EM>gerade so wichtig ist als das Schreiben, so m&uuml;&szlig;te es auch <EM>befugte </EM>und <EM>unbefugte Leser </EM>geben, eine Konsequenz, die in &Auml;gypten gezogen wurde, wo die Priester, die befugten Autoren, in einem die einzig befugten Leser waren. Und es ist sehr zweckm&auml;&szlig;ig, da&szlig; den befugten Autoren auch allein die Befugnis gestattet werde, ihre eigenen Schriften zu kaufen und zu lesen.</P>
<P>Welche Inkonsequenz! Herrscht einmal Privilegium, gut, so hat die Regierung vollkommenes Recht zu behaupten, sie sei der <EM>einzig beugte Autor </EM>&uuml;ber ihr eigenes Tun und Lassen, denn haltet ihr euch au&szlig;er eurem besonderen Stand f&uuml;r befugt, als Staatsb&uuml;rger &uuml;ber das Allgemeinste, &uuml;ber den Staat zu schreiben, sollten nicht die anderen Sterblichen, die ihr ausschlie&szlig;en wollt, als Menschen befugt sein, &uuml;ber etwas sehr Partikul&auml;res, &uuml;ber <EM>eure Befugnis </EM>und eure Schriften zu urteilen?</P>
<P>Es <EM>entst&auml;nde der komische Widerspruch, </EM>da&szlig; der <EM>befugte Autor ohne Zensur &uuml;ber den Staat, aber der unbefugte nur mit Zensur &uuml;ber den befugten Autor schreiben d&uuml;rfte.</EM></P>
<P><STRONG><A name="S73"></A>|73|</STRONG> Die Pre&szlig;freiheit wird dadurch sicher nicht errungen, da&szlig; ihr die Schar der offiziellen Schriftsteller aus euren Reihen rekrutiert. Die befugten Autoren w&auml;ren die <EM>offiziellen </EM>Autoren, <EM>der Kampf zwischen Zensur und Pre&szlig;freiheit h&auml;tte sich in den Kampf der befugten und unbefugten Schriftsteller verwandelt.</EM></P>
<P>Mit Recht tr&auml;gt daher ein Glied des vierten Standes darauf an:</P>
<P class="zitat">&raquo;da&szlig;, wenn noch irgendein Pre&szlig;zwang bestehen solle, derselbe f&uuml;r alle Parteien gleich sei, d.h., da&szlig; in dieser Beziehung keiner Klasse der Staatsb&uuml;rger mehr Rechte als der anderen zugestanden w&uuml;rden&laquo;.</P>
<P>Die Zensur unterwirft uns alle, wie in der Despotie alle gleich sind, wenn auch nicht an Wert, so an Unwert; jene Art Pre&szlig;freiheit will die Oligokratie in den Geist einf&uuml;hren. Die Zensur erkl&auml;rt einen Schriftsteller h&ouml;chstens f&uuml;r unbequem, f&uuml;r unpassend in die Grenzen ihres Reiches. Jene Pre&szlig;freiheit geht zu der Anma&szlig;ung fort, die Weltgeschichte zu antizipieren, der Stimme des Volkes vorzugreifen, welche bisher allein geurteilt hat, welcher Schriftsteller &raquo;befugt&laquo; und welcher &raquo;unbefugt&laquo; sei. Wenn Solon einen Menschen erst <EM>nach </EM>Ablauf seines Lebens, <EM>nach seinem Tode </EM>zu beurteilen sich verma&szlig;, so vermi&szlig;t sich diese Ansicht, einen Schriftsteller <EM>vor seiner Geburt </EM>zu beurteilen.</P>
<P>Die Presse ist die allgemeinste Weise der Individuen, ihr geistiges Dasein mitzuteilen. Sie kennt kein Ansehen der Person, sondern nur das Ansehen der Intelligenz. Wollt ihr die geistige Mitteilungsf&auml;higkeit an besondere &auml;u&szlig;erliche Merkmale amtlich festbannen? Was ich nicht f&uuml;r andere sein kann, das bin ich nicht f&uuml;r mich und kann ich nicht f&uuml;r mich sein. Darf ich nicht f&uuml;r andere als Geist da sein, so darf ich nicht f&uuml;r mich als Geist da sein, und wollt ihr einzelnen Menschen das Privilegium geben, Geister zu sein? So gut, wie jeder schreiben und lesen lernt, mu&szlig; jeder schreiben und lesen <EM>d&uuml;rfen.</EM></P>
<P>Und <EM>f&uuml;r wen</EM> soll die Einteilung der Schriftsteller in &raquo;befugte&laquo; und &raquo;unbefugte&laquo; sein? Offenbar nicht f&uuml;r die wahrhaft Befugten, denn diese werden sich ohnehin geltend machen. Also f&uuml;r &raquo;Unbefugte&laquo;, die durch ein &auml;u&szlig;eres Privilegium sich sch&uuml;tzen und imponieren wollen?</P>
<P>Dabei macht dieses Palliativ nicht einmal das <EM>Pre&szlig;gesetz </EM>entbehrlich, denn wie ein Redner des Bauernstandes bemerkt:</P>
<P class="zitat">&raquo;Kann nicht auch der Privilegierte seine Befugnis &uuml;berschreiten und straff&auml;llig werden? So w&auml;re also auf alle Falle ein Pre&szlig;gesetz notwendig, wobei man auf dieselben Beschwernisse wie bei einem <EM>allgemeinen Pre&szlig;gesetz </EM>sto&szlig;en w&uuml;rde.&laquo;</P>
<P>Wenn der Deutsche auf seine Geschichte zur&uuml;ckblickt, so findet er <EM>einen </EM>Hauptgrund seiner langsamen politischen Entwicklung, wie der elenden <STRONG><A name="S74"></A>|74|</STRONG> Literatur vor <EM>Lessing, </EM>in den &raquo;<EM>befugten Schriftstellern&laquo;. </EM>Die Gelehrten von Fach, von Zunft, von Privilegium, die Doktoren und sonstigen Ohren, die charakterlosen Universit&auml;tsschriftsteller des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts mit ihren steifen Z&ouml;pfen und ihrer vornehmen Pedanterie und ihren winzig-mikrologischen Dissertationen, sie haben sich zwischen das Volk und den Geist, zwischen das Leben und die Wissenschaft, zwischen die Freiheit und den Menschen gestellt. Die <EM>unbefugten </EM>Schriftsteller haben unsere Literatur gemacht. <EM>Gottsched </EM>und <EM>Lessing, </EM>da w&auml;hlt zwischen einem &raquo;befugten&laquo; und einem &raquo;unbefugten&laquo; Autor!</P>
<P>Wir lieben &uuml;berhaupt die &raquo;Freiheit&laquo; nicht, die <EM>nur </EM>im Plural gelten will. England ist ein Beweis in historischer Lebensgr&ouml;&szlig;e, wie gef&auml;hrlich der beschr&auml;nkte Horizont der &raquo;<EM>Freiheiten&laquo; </EM>f&uuml;r &raquo;<EM>die Freiheit&laquo; </EM>ist.</P>
<P class="zitat">&raquo;Ce mot des <EM>libert&eacute;s</EM>&laquo;,<EM> </EM>sagt Voltaire, &raquo;des <EM>privil&egrave;ges, </EM>suppose l'assujettissement. Des libert&eacute;s sont des <EM>exemptions</EM> de la <EM>servitude g&eacute;n&eacute;rale.&laquo; </EM>|&raquo;Dieses Gerede &uuml;ber Freiheiten, Privilegien setzt Unterwerfung voraus. Freiheiten sind Ausnahmen von der allgemeinen Sklaverei&laquo;|</P>
<P>Wenn unser Redner ferner <EM>anonyme </EM>und <EM>pseudonyme </EM>Schriftsteller von der Pre&szlig;freiheit ausschlie&szlig;en und der Zensur unterwerfen will, so bemerken wir, da&szlig; der <EM>Name </EM>in der Presse nicht zur Sache geh&ouml;rt, da&szlig; aber, wo Pre&szlig;gesetz herrscht, der Verleger, also durch ihn auch der anonyme und pseudonyme Schriftsteller, den Gerichten unterworfen ist. Zudem verga&szlig; Adam, als er alle Tiere des Paradieses benannte, den deutschen Zeitungskorrespondenten Namen zu geben, und <EM>namenlos </EM>werden sie bleiben in saeculum saeculorum.</P>
<P>Hat der Antragsteller die <EM>Personen </EM>zu beschr&auml;nken gesucht, die Subjekte der Presse, so wollen andere Landst&auml;nde den <EM>sachlichen Stoff </EM>der Presse, den <EM>Kreis ihres Wirkens und Daseins </EM>beschr&auml;nken, und es entsteht ein geistloses Markten und Feilschen, <EM>wieviel Freiheit die Pre&szlig;freiheit haben solle.</EM></P>
<P>Ein Landstand will die Presse auf die Besprechung der materiellen geistigen und kirchlichen Verh&auml;ltnisse der Rheinprovinz beschr&auml;nken; ein anderer will &raquo;Gemeindebl&auml;tter&laquo;, deren Namen ihren beschr&auml;nkten Inhalt aussagt; ein dritter will gar, da&szlig; man in jeder Provinz nur <EM>in einem einzigen Blatte </EM>freim&uuml;tig sein d&uuml;rfe!!!</P>
<P>Alle diese Versuche erinnern an jenen Turnlehrer, der als die beste Methode des Springunterrichts vorschlug, den Sch&uuml;ler an eine gro&szlig;e Grube zu bringen und ihm nun durch einzelne Zwirnf&auml;den anzuzeigen, wie weit er <EM>&uuml;ber </EM>die Grube springen d&uuml;rfe. Versteht sich, der Sch&uuml;ler sollte sich erst im Springen &uuml;ben und durfte den ersten Tag nicht &uuml;ber die ganze Grube wegsetzen <STRONG><A name="S75"></A>|75|*</STRONG> setzen, aber von Zeit zu Zeit sollte der Zwirnfaden weiterger&uuml;ckt werden. Leider fiel der Sch&uuml;ler bei der ersten Lektion in die Grube, und bisher ist er in der Grube liegengeblieben. Der Lehrer war ein Deutscher, und der Sch&uuml;ler nannte sich: &raquo;Freiheit&laquo;.</P>
<P>Dem durchgehenden <EM>normalen Typus </EM>nach unterscheiden sich die <EM>Verteidiger der Pre&szlig;freiheit </EM>auf dem sechsten rheinischen Landtag also nicht durch den Gehalt, sondern durch die Richtung von ihren <EM>Gegnern. </EM>In diesen bek&auml;mpft, in jenen verteidigt die Beschr&auml;nktheit des <EM>besonderen Standes </EM>die Presse. Die einen wollen das Privilegium auf Seiten der Regierung allein, die anderen wollen es verteilen unter mehre Individuen; die einen wollen die ganze, die anderen die halbe Zensur, die einen drei Achtel Pre&szlig;freiheit, die anderen gar keine. Gott besch&uuml;tze mich vor meinen Freunden!</P>
<P>G&auml;nzlich divergierend aber von dem <EM>allgemeinen Geiste </EM>des Landtags sind die Reden des <EM>Referenten </EM>und einiger Mitglieder aus dem <EM>Bauernstande.</EM></P>
<P>Referent bemerkt unter anderem:</P>
<P class="zitat">&raquo;Es tritt in dem Leben der V&ouml;lker, sowie in dem der einzelnen Menschen, der Fall ein, wo die Fesseln einer zu langen Vormundschaft unertr&auml;glich werden, wo nach Selbst&auml;ndigkeit gestrebt wird und wo ein jeder seine Handlungen selbst verantworten will. Alsdann hat die Zensur ausgelebt; da, wo sie noch fortbesteht, wird sie als ein <EM>geh&auml;ssiger </EM>Zwang betrachtet, der zu schreiben verbietet, was &ouml;ffentlich gesagt wird.&laquo;</P>
<P>Schreibe, wie du sprichst, und sprich, wie du schreibst, lehren uns schon die Elementarlehrer. Sp&auml;ter hei&szlig;t es: Sprich, was dir vorgeschrieben ist, und schreibe, was du nachsprichst.</P>
<P class="zitat">&raquo;So oft das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit ein neues, wichtiges Interesse entwickelt oder ein neues Bed&uuml;rfnis herausstellt, f&uuml;r welche die bestehende Gesetzgebung keine hinreichenden Bestimmungen enth&auml;lt, m&uuml;ssen neue Gesetze diesen neuen Zustand der Gesellschaft regulieren. Ein solcher Fall tritt vollkommen hier ein.&laquo;</P>
<P>Das ist die <EM>wahrhaft geschichtliche </EM>Ansicht gegen&uuml;ber der imagin&auml;ren, welche die Vernunft der Geschichte erschl&auml;gt, um hinterher ihren Knochen den historischen Reliquiendienst zu erweisen.</P>
<P class="zitat">&raquo;Die Aufgabe&laquo; (eines Pre&szlig;kodex) &raquo;mag allerdings nicht ganz leicht zu l&ouml;sen sein; der erste Versuch, der gemacht werden wird, mag vielleicht sehr unvollkommen bleiben! Dem Gesetzgeber aber, der sich zuerst damit belassen wird, werden alle Staaten Dank schuldig sein, und unter einem K&ouml;nige, wie der unsrige, ist vielleicht der preu&szlig;ischen Regierung die <EM>Ehre </EM>beschieden, den &uuml;brigen L&auml;ndern auf diesem Wege, der allein zum Ziele f&uuml;hren kann, voranzugehen.&laquo;</P>
<P>Wie <EM>isoliert </EM>diese m&auml;nnlich w&uuml;rdige, entschiedene Ansicht auf dem Landtage stand, das hat unsere ganze Darstellung bewiesen, das bemerkt der <STRONG><A name="S76"></A>|76|</STRONG> Vorsitzende zum &Uuml;berflu&szlig; selbst dem Referenten, das spricht endlich ein Mitglied des Bauernstandes in unmutigem, aber trefflichem Vortrage aus:</P>
<P class="zitat"><EM>&raquo;Man umkreise die vorliegende Frage, </EM>wie die <EM>Katze den </EM>warmen <EM>Brei.&laquo; &raquo;</EM>Der menschliche Geist m&uuml;sse sich <EM>nach seinen ihm inwohnenden Gesetzen </EM>frei entwickeln und das Errungene mitteilen d&uuml;rfen, sonst w&uuml;rde aus einem klaren belebenden Strom ein verpestender Sumpf. Wenn ein Volk sich f&uuml;r Pre&szlig;freiheit eigne, so sei dieses sicher das ruhige, gem&uuml;tliche deutsche, welches wohl eher noch einer Aufstachelung aus seinem Phlegma bed&uuml;rfe als der geistigen Zwangsjacke der Zensur. Seine Gedanken und Gef&uuml;hle seinen Mitmenschen nicht unbehindert mitteilen zu d&uuml;rfen, habe viel &Auml;hnlichkeit mit dem nordamerikanischen Absperrungssystem der Str&auml;flinge, welches in seiner vollen Schroffheit h&auml;ufig zum Wahnsinn f&uuml;hre. Wer nicht tadeln d&uuml;rfe, von dem habe auch das Lob keinen Wert; &auml;hnlich in seiner Ausdruckslosigkeit sei ein chinesisches Gem&auml;lde, dem der Schatten mangle. M&ouml;chten wir uns doch nicht diesem erschlafften Volke beigesellt finden!&laquo;</P>
<P>Werfen wir nun einen Blick auf die Pre&szlig;debatten im ganzen zur&uuml;ck, k&ouml;nnen wir nicht Herr werden &uuml;ber den &ouml;den und unbehaglichen Eindruck, den eine Versammlung von Vertretern der <EM>Rheinprovinz </EM>hervorbringt, die nur zwischen der absichtlichen Verstocktheit des Privilegiums und der nat&uuml;rlichen Ohnmacht eines halben Liberalismus hin- und herschwanken, m&uuml;ssen wir vor allem den fast durchgehenden Mangel an allgemeinen und weiten Gesichtspunkten mi&szlig;f&auml;llig bemerken, wie jene nachl&auml;ssige Oberfl&auml;chlichkeit, welche die Angelegenheit der freien Presse debattiert und beseitigt: so fragen wir uns noch einmal, ob die Presse den Landst&auml;nden zu fern lag, zu wenig reelle Ber&uuml;hrung mit ihnen hatte, als da&szlig; sie die Pre&szlig;freiheit mit dem gr&uuml;ndlichen und ernsten Interesse des Bed&uuml;rfnisses h&auml;tten verteidigen k&ouml;nnen?</P>
<P>Die Pre&szlig;freiheit reichte ihre Bittschrift den St&auml;nden mit der <EM>feinsten </EM>captatio benevolentiae |haschen nach Wohlwollen| ein.</P>
<P>Gleich im Beginn des Landtags entstand n&auml;mlich eine Debatte, worin der <EM>Vorsitzende </EM>bemerkt, da&szlig; der <EM>Druck der Landtagsverhandlungen, </EM>so sehr, wie aller &uuml;brigen Schriften, der <EM>Zensur </EM>unterworfen sei, da&szlig; <EM>er</EM> aber hier die Stelle des Zensors vertrete.</P>
<P>Fiel in diesem <EM>einen </EM>Punkte die Sache der <EM>Pre&szlig;freiheit </EM>nicht zusammen mit der <EM>Freiheit des Landtages? </EM>Diese Kollision ist um so interessanter, als dem Landtag hier an seiner eigenen Person der Beweis statuiert wurde, wie mit dem Mangel der Pre&szlig;freiheit alle anderen Freiheiten illusorisch werden. Jede Gestalt der Freiheit bedingt die andere, wie ein Glied des K&ouml;rpers das andere. So oft eine bestimmte Freiheit in Frage gestellt ist, ist die Freiheit in <STRONG><A name="S77"></A>|77|</STRONG> Frage gestellt. So oft eine Gestalt der Freiheit verworfen ist, ist die Freiheit verworfen und kann &uuml;berhaupt nur mehr ein Scheinleben f&uuml;hren, indem es her reiner Zufall ist, an welchem Gegenstande die Unfreiheit als die herrschende Macht sich bet&auml;tigt. Die Unfreiheit ist die Regel und die Freiheit eine Ausnahme des Zufalls und der Willk&uuml;r. Nichts ist daher verkehrter als, wenn es sich um ein <EM>besonderes </EM>Dasein der Freiheit handelt, zu meinen, dieses sei eine <EM>besondere Frage. </EM>Es ist die allgemeine Frage innerhalb einer besonderen Sph&auml;re. Freiheit bleibt Freiheit, dr&uuml;cke sie sich nun in der Druckerschw&auml;rze, oder in Grund und Boden, oder im Gewissen, oder in einer politischen Versammlung aus; aber der loyale Freund der Freiheit, dessen Ehrgef&uuml;hl schon verletzt w&uuml;rde, wenn er abstimmen sollte: <EM>Sein oder Nichtsein der Freiheit? - </EM>dieser Freund wird stutzig vor dem eigent&uuml;mlichen Material, in welchem die Freiheit erscheint, er verkennt in der Art die Gattung, er vergi&szlig;t &uuml;ber der Presse die Freiheit, er glaubt ein fremdes Wesen zu beurteilen und verurteilt sein eigenes Wesen. So hat der sechste rheinische Landtag sich selbst verurteilt, indem er der Pre&szlig;freiheit das Urteil sprach.</P>
<P>Die hochweisen B&uuml;rom&auml;nner von Praxis, welche im stillen und mit Unrecht von sich denken, was <EM>Perikles </EM>laut und mit Recht von sich r&uuml;hmte:</P>
<P class="zitat">&raquo;Ich bin ein Mann, der sich in der Kenntnis der Staatsbed&uuml;rfnisse wie in der Kunst, sie zu entwickeln, mit jedem messen kann&laquo;,</P>
<P>diese Erbp&auml;chter der politischen Intelligenz werden die Achseln zucken und mit orakelnder Vornehmheit bemerken, da&szlig; die Verteidiger der Pre&szlig;freiheit leere Spreu dreschen, denn eine <EM>milde </EM>Zensur sei besser als eine <EM>herbe </EM>Pre&szlig;freiheit. Wir erwidern ihnen, was die Spartaner <EM>Sperthias </EM>und <EM>Bulis </EM>dem <EM>Satrapen </EM>Hydarnes:</P>
<P class="zitat">&raquo;Hydarnes, dein Rat f&uuml;r uns ist nicht von beiden Seiten gleich abgewogen. Denn das Eine, wor&uuml;ber du r&auml;tst, hast du versucht; das Andere blieb dir unversucht. N&auml;mlich was Knecht sein hei&szlig;t, das kennst du; die Freiheit aber hast du noch nie versucht, ob sie s&uuml;&szlig; ist oder nicht. Denn h&auml;ttest du sie versucht, du w&uuml;rdest uns raten, nicht nur mit Lanzen f&uuml;r sie zu fechten, sondern auch mit Beilen.&laquo;</P><!-- #EndEditable -->
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<P><SMALL>Pfad: &raquo;../me/me<!-- #BeginEditable "Verzeichnis" -->01/<!-- #EndEditable -->&laquo;</SMALL></P>
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