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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>Karl Marx/Friedrich Engels - Revue, mai bis Oktober 1850</title>
</head>
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<p><font size="2">Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz
Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960,
Berlin/DDR. S. 421-463.</font></p>
<h2>Karl Marx/Friedrich Engels</h2>
<h1>Revue</h1>
<h2>Mai bis Oktober [1850]</h2>
<p><font size="2">"Neue Rheinische Zeitung. Politisch-&ouml;konomische Revue", F&uuml;nftes und
Sechstes Heft, Mai bis Oktober 1850.</font></p>
<p><a name="S421"></a></p>
<hr>
<p><b>&lt;421&gt;</b> Die politischen Agitationen der letzten sechs Monate unterscheiden sich
wesentlich von den unmittelbar vorhergehenden. Die revolution&auml;re Partei ist &uuml;berall vom
Schauplatz zur&uuml;ckgedr&auml;ngt, die Sieger streiten sich um die Fr&uuml;chte des Sieges. So
in Frankreich die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie, in Deutschland die verschiednen
F&uuml;rsten. Der Streit wird mit gro&szlig;em Ger&auml;usch gef&uuml;hrt, der offne Bruch, die
Entscheidung durch die Waffen scheint unvermeidlich; unvermeidlich aber ist, da&szlig; die Waffen
in der Scheide ruhen bleiben, da&szlig; die Entscheidungslosigkeit sich stets von neuem hinter
Friedensvertr&auml;ge verbirgt, um sich von neuem auf den Scheinkrieg vorzubereiten.</p>
<p>Betrachten wir zuerst die <i>reale</i> Grundlage, auf der diese oberfl&auml;chlichen Wallungen
spielen.</p>
<p>Die Jahre 1843-1845 waren Jahre der industriellen und kommerziellen Prosperit&auml;t,
notwendige Folgen der fast ununterbrochenen Depression der Industrie der Epoche 1837-42. Wie
immer, entwickelte die Prosperit&auml;t sehr rasch die Spekulation. Die Spekulation tritt
regelm&auml;&szlig;ig ein in den Perioden, wo die &Uuml;berproduktion schon in vollem Gange ist.
Sie liefert der &Uuml;berproduktion ihre momentanen Abzugskan&auml;le, w&auml;hrend sie eben
dadurch das Hereinbrechen der Krise beschleunigt und ihre Wucht vermehrt. Die Krise selbst bricht
zuerst aus auf dem Gebiet der Spekulation und bem&auml;chtigt sich erst sp&auml;ter der
Produktion. Nicht die &Uuml;berproduktion, sondern die &Uuml;berspekulation, die selbst nur ein
Symptom der &Uuml;berproduktion ist, erscheint daher der oberfl&auml;chlichen Betrachtung als
Ursache der Krise. Die sp&auml;tere Zerr&uuml;ttung der Produktion erscheint nicht als
notwendiges Resultat ihrer eignen vorhergegangenen Exuberanz, sondern als blo&szlig;er
R&uuml;ckschlag der zusammenbrechenden Spekulation. Da wir jedoch in diesem Augenblick keine
vollst&auml;ndige Geschichte der Krise [nach] 1843-45 geben k&ouml;nnen, so stellen wir nur die
bedeutendsten eben dieser <i>Symptome</i> der &Uuml;berproduktion zusammen.</p>
<p><b><a name="S422">&lt;422&gt;</a></b> Die Spekulation der Prosperit&auml;tsjahre 1843-1845
warf sich haupts&auml;chlich auf Eisenbahnen, wo sie ein wirkliches Bed&uuml;rfnis zu ihrer
Grundlage hatte, auf Getreide, infolge der Teuerung von 1845 und der Kartoffelkrankheit, auf
Baumwolle, nach der schlechten Ernte von 1846, und auf den ostindischen und chinesischen Handel,
wo sie der Er&ouml;ffnung des chinesischen Markts durch England auf dem Fu&szlig; folgte</p>
<p>Die Ausdehnung des englischen Eisenbahnsystems begann schon 1844, entwickelte sich aber
vollst&auml;ndig erst 1845. In diesem Jahr allein betrug die Zahl der registrierten Bills zur
Errichtung von Eisenbahngesellschaften 1.035. Im Februar 1846, nachdem schon eine Unzahl von
diesen registrierten Projekten wieder aufgegeben war, beliefen sich die bei der Regierung
f&uuml;r die beibehaltenen Projekte zu deponierenden Gelder immer noch auf die enorme Summe von
&pound; 14.000.000, und noch im Jahr 1847 betrug die Gesamtsumme der in England eingeforderten
Einzahlungen &uuml;ber &pound; 42.000.000, wovon &uuml;ber 36 Mill. f&uuml;r englische,
sp&auml;ter 5<sup><font size="2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> Mill. f&uuml;r
ausw&auml;rtige Eisenbahnen. Die Bl&uuml;tezeit dieser Spekulation fiel in den Sommer und Herbst
1845. Die Preise der Aktien stiegen fortw&auml;hrend, und die Gewinne der Spekulanten rissen bald
alle Klassen der Bev&ouml;lkerung in den Strudel hinein. Herz&ouml;ge und Grafen wetteiferten mit
Kaufleuten und Fabrikanten um die eintr&auml;gliche Ehre, in den Direktionen der verschiednen
Linien zu sitzen; die Mitglieder des Unterhauses, das Barreau, die Geistlichkeit waren zahlreich
in diesen Beh&ouml;rden vertreten. Wer einen Pfennig gespart, wer &uuml;ber einen Funken Kredit
zu verf&uuml;gen hatte, spekulierte in Eisenbahnaktien. Die Zahl der Eisenbahnzeitungen stieg von
3 auf mehr als 20. Einzelne gro&szlig;e Tagesbl&auml;tter verdienten an Eisenbahnannoncen und
Prospekten oft &pound; 14.000 in einer Woche. Die Ingenieure waren nicht in hinreichender Zahl
aufzutreiben und wurden enorm bezahlt. Drucker, Lithographen, Buchbinder, Papierh&auml;ndler etc.
etc., die zur Anfertigung von Prospekten. Pl&auml;nen, Karten etc. etc. in Bewegung gesetzt
wurden, M&ouml;belfabrikanten, die die pilurtig aufschie&szlig;enden B&uuml;ros der zahllosen
neuen Direktionen, provisorischen Komitees usf. m&ouml;blierten, erhielten splendide Preise
bezahlt. Auf der Grundlage der wirklichen Ausdehnung des englischen und kontinentalen
Eisenbahnsystems und der damit verkn&uuml;pften Spekulation erhob sich w&auml;hrend dieser
Periode allm&auml;hlich ein &Uuml;berbau von Schwindel, der an die Zeiten von Law und der
S&uuml;dseegesellschaft erinnert. Hunderte von Linien wurden projektiert ohne die geringste
Chance auf Erfolg, wo die Projektoren selbst nie an wirkliche Ausf&uuml;hrung dachten, wo es sich
&uuml;berhaupt nur um das Aufzehren der Deposita durch die Direktoren und um die Schwindelprofite
auf den Verkauf der Aktien handelte.</p>
<p><b><a name="S423">&lt;423&gt;</a></b> Im Oktober 1845 trat die Reaktion ein, die sich bald zu
einem vollst&auml;ndigen panic steigerte. Schon vor dem Februar 1846, wo die Depositengelder an
die Regierung gezahlt werden mu&szlig;ten, hatten die unhaltbarsten Projekte Bankerott gemacht.
Im April 1846 hatte der R&uuml;ckschlag schon die kontinentalen Aktienm&auml;rkte erreicht. In
Paris, Hamburg, Frankfurt, Amsterdam fanden Zwangsverk&auml;ufe zu sehr gesunkenen Preisen statt,
die die Bankerotte von Bankiers und M&auml;klern nach sich zogen. Die Eisenbahnkrisis zog sich
hin bis in den Herbst 1848, verl&auml;ngert durch die sukzessiven Bankerotte auch der weniger
unsoliden Projekte, wie sie nach und nach von dem allgemeinen Druck erreicht und wie die
Einzahlungen eingefordert wurden, und versch&auml;rft durch das Eintreten der Krise auch auf den
andern Gebieten der Spekulation, des Handels und der Industrie, die die Preise der &auml;lteren
und solideren Aktien allm&auml;hlich herabdr&uuml;ckte, bis diese im Oktober 1848 ihr niedrigstes
Niveau erreichten.</p>
<p>Im August 1845 wurde die &ouml;ffentliche Aufmerksamkeit zuerst auf die Kartoffelkrankheit
gelenkt, die nicht nur in England und Irland, sondern auch auf dem Kontinent sich zeigte - das
erste Symptom, da&szlig; die Wurzel der bestehenden Gesellschaft faul war. Gleichzeitig trafen
Berichte ein, die &uuml;ber den schon erwarteten gro&szlig;en Ausfall auch in der Kornernte
keinen Zweifel mehr lie&szlig;en. Die Kornpreise stiegen infolge dieser beiden Umst&auml;nde auf
allen europ&auml;ischen M&auml;rkten bedeutend; in Irland vollst&auml;ndige Hungersnot, die die
englische Regierung zu einer Anleihe von 8 Mill. Pfd.St. f&uuml;r diese Provinz n&ouml;tigte -
genau ein Pfd.St. f&uuml;r jeden Irl&auml;nder. In Frankreich, wo die Kalamit&auml;t noch
erh&ouml;ht wurde durch die &Uuml;berschwemmungen, die an 4 Mill. Pfd.St. Schaden anrichteten,
war der Mi&szlig;wachs ungemein bedeutend. Nicht minder in Holland und Belgien. Der
Mi&szlig;ernte des Jahres 1845 entsprach eine noch schlechtere im Jahr 1846, und auch die
Kartoffelkrankheit erschien wieder, wenn auch in engerem Ma&szlig;. So war der
Getreidespekulation eine vollst&auml;ndige reale Grundlage gegeben, und sie entwickelte sich um
so gewaltsamer, je mehr die fruchtbaren Ernten von 1842-44 sie f&uuml;r lange fast ganz
niedergehalten hatten. In den Jahren 1 845-47 fand in England eine gr&ouml;&szlig;ere
Getreideeinfuhr statt als jemals vorher. Die Kornpreise stiegen fortw&auml;hrend bis in den
Fr&uuml;hling 1847, wo infolge der wechselnden Nachrichten &uuml;ber die neue Ernte aus den
verschiednen L&auml;ndern, infolge der von verschiednen Regierungen ergriffnen Ma&szlig;regeln
(Er&ouml;ffnung der H&auml;fen zur freien Korneinfuhr etc. etc.) eine Periode der Fluktuation
eintrat und endlich im Mai 1847 die Preise ihren H&ouml;hepunkt erreichten. In diesem Monat stieg
der Durchschnittspreis des Quarters Weizen in England bis 102<sup><font size=
"2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> Schill. und an einzelnen Tagen bis auf 115 und 124
Schill. Aber bald liefen entschieden g&uuml;nstige Berichte ein &uuml;ber <a name=
"S424"><b>&lt;424&gt;</b></a> das Wetter und die wachsende Ernte: die Preise fielen, und Mitte
Juli stand der Durchschnittspreis nur noch auf 74 Schill. Ung&uuml;nstigeres Wetter in
verschiednen Gegenden trieb die Preise wieder etwas in die H&ouml;he, bis endlich gegen Mitte
August feststand, da&szlig; die Ernte von 1847 &uuml;ber den Durchschnittsertrag hinaus liefre.
Das Fallen war jetzt nicht mehr aufzuhalten; die Zufuhren nach England vermehrten sich &uuml;ber
alle Erwartung, und schon am 18. September war der Durchschnittspreis auf 49<sup><font size=
"2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> Schill. reduziert. In sechzehn Wochen hatten also die
Durchschnittspreise um nicht weniger als 53 Schill. variiert.</p>
<p>W&auml;hrend dieser ganzen Zeit hatte nicht nur die Eisenbahnkrisis fortgedauert, sondern
gerade in dem Moment, wo die Kornpreise am h&ouml;chsten standen, im April und Mai 1847, trat die
vollst&auml;ndigste Zerr&uuml;ttung des Kreditsystems und das vollst&auml;ndigste Derangement auf
dem Geldmarkt hinzu. Die Kornspekulanten hielten trotzdem den Fall der Preise aus bis zum 2.
August. An diesem Tage erh&ouml;hte die Bank die niedrigste Rate ihres Diskontos auf 5 p.c. und
f&uuml;r alle Wechsel auf mehr als 2 Monate auf 6 p.c. Sogleich folgte eine Reihe der
gl&auml;nzendsten Fallimente auf der Kornb&ouml;rse, an ihrer Spitze das des Herrn Robinson, des
Gouverneurs der Bank von England. In London allein fallierten acht gro&szlig;e Kornh&auml;user,
deren Passiva zusammen mehr als 1<sup><font size="2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> Mill.
Pfd.St. ausmachten. Die Provinzialkornm&auml;rkte waren g&auml;nzlich paralysiert; die Bankerotte
folgten sich hier, namentlich in Liverpool, mit gleicher Schnelligkeit. Die entsprechenden
Fallimente auf dem Kontinent traten hier, je nach der Entfernung von London, fr&uuml;her oder
sp&auml;ter ein. Mit dem 18. September, dem Datum der niedrigsten Kornpreise, ist die Kornkrise
in England jedoch als abgeschlossen zu betrachten.</p>
<p>Wir kommen jetzt auf die eigentliche kommerzielle, auf die Geldkrise. In den ersten vier
Monaten von 1847 erschien der allgemeine Stand des Handels und der Industrie noch befriedigend,
mit Ausnahme jedoch der Eisenproduktion und der Baumwollenindustrie. Die Eisenproduktion, mit dem
Eisenbahnschwindel von 1845 auf eine enorme H&ouml;he getrieben, litt nat&uuml;rlich in demselben
Ma&szlig;e als f&uuml;r das &Uuml;berma&szlig; des gelieferten Eisens das Debouch&eacute; sich
verminderte. In der Baumwollenindustrie, dem Hauptindustriezweig f&uuml;r den ostindischen und
chinesischen Markt, war schon 1845 f&uuml;r diesen Markt &uuml;berproduziert worden und sehr bald
ein verh&auml;ltnism&auml;&szlig;iger R&uuml;ckschlag eingetreten. Der Baumwollmi&szlig;wachs von
1846, das Steigen der Preise sowohl des Rohprodukts wie der fertigen Ware und die damit gegebne
Abnahme des Verbrauchs vermehrten den Druck auf diese Industrie. In den ersten Monaten von 1847
wurde in ganz Lancashire die Produktion bedeutend eingeschr&auml;nkt, und die Baumwollarbeiter
waren schon von der Krisis erreicht.</p>
<p><b><a name="S425">&lt;425&gt;</a></b> Am 15. April 1847 erh&ouml;hte die Bank von England ihre
niedrigste Rate des Diskontos f&uuml;r ganz kurze Wechsel auf 5 p.c.; sie beschr&auml;nkte den
Gesamtbetrag der zu diskontierenden Wechsel, und zwar ohne R&uuml;cksicht auf den Charakter der
bezogenen H&auml;user; sie k&uuml;ndigte endlich den Kaufleuten, denen sie Vorsch&uuml;sse
gemacht, peremptorisch an, da&szlig; sie diese Vorsch&uuml;sse bei Verfall nicht mehr wie bisher
gew&ouml;hnlich erneuern werde, sondern R&uuml;ckzahlung verlangen [werde]. Zwei Tage nachher
zeigte die Ver&ouml;ffentlichung ihrer w&ouml;chentlichen Bilanz, da&szlig; der Reservefonds des
Banking Departement auf 2<sup><font size="2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> Mill. Pfd.St.
gefallen war. Die Bank hatte also die obigen Ma&szlig;regeln getroffen, um dem Abflu&szlig; des
Goldes aus ihren Kellern Einhalt zu tun und den Barfonds wieder zu erh&ouml;hen.</p>
<p>Der Abflu&szlig; des Goldes und Silbers aus der Bank beruhte auf verschiednen Ursachen. Einmal
erforderte die Konsumtion und die bedeutend h&ouml;heren Preise fast aller Artikel eine
ausgedehntere Zirkulation, besonders von Gold und Silber f&uuml;r den Kleinhandel. Dann hatten
die fortw&auml;hrenden Einzahlungen f&uuml;r die Eisenbahnbauten, die im Monat April allein
&pound; 4.314.000 betrugen, die Entziehung einer Masse von Depositen aus der Bank n&ouml;tig
gemacht. Ein Teil der eingeforderten Gelder, f&uuml;r ausl&auml;ndische Eisenbahnen bestimmt,
flo&szlig; direkt ins Ausland. Die bedeutende &Uuml;bereinfuhr von Zucker, Kaffee und andern
Kolonialwaren, deren Konsumtion und deren Preise noch mehr durch die Spekulation gestiegen waren,
von Baumwolle infolge spekulativer Ank&auml;ufe seit der Gewi&szlig;heit einer knappen Ernte und
namentlich von Korn infolge des wiederholten Mi&szlig;wachses, mu&szlig;te gro&szlig;enteils in
barem Geld oder Barren bezahlt werden, und auch so wurde bedeutender Abflu&szlig; von Gold und
Silber ins Ausland veranla&szlig;t. Dieser Abflu&szlig; der edlen Metalle aus England dauerte
&uuml;brigens trotz der obigen Bankma&szlig;regeln bis Ende August fort.</p>
<p>Die Beschl&uuml;sse der Bank und die Nachricht vom niedrigen Stande ihres Reservefonds
brachten sofort einen Druck auf den Geldmarkt hervor und einen panic im ganzen englischen Handel,
so intensiv wie nur im Jahre 1845. In den letzten Wochen des April und den vier ersten Tagen des
Mai waren fast alle Kredittransaktionen paralysiert. Indessen brachen keine
au&szlig;ergew&ouml;hnlichen Bankerotte aus; die Handelsh&auml;user hielten sich durch enorme
Zinszahlungen und Zwangsverk&auml;ufe ihrer Vorr&auml;te, Staatspapiere etc. zu ruinierenden
Preisen. Eine Reihe selbst der solideren H&auml;user legte durch ihre Rettung aus diesem ersten
Akt der Krise nur den Grund zu ihrem sp&auml;teren Sturz. Diese &Uuml;berwindung der ersten,
drohendsten Gefahr trug sehr zur Hebung des Vertrauens bei; seit dem 5. Mai verminderte sich der
Druck auf den Geldmarkt sichtlich, und gegen Ende Mai war der Alarm ziemlich vor&uuml;ber.</p>
<p><b><a name="S426">&lt;426&gt;</a></b> Wenige Monate sp&auml;ter jedoch, im Anfang August,
traten die schon erw&auml;hnten Bankerotte im Kornhandel ein, und kaum waren sie, die bis in den
September hinein dauerten, ersch&ouml;pft, als die Krisis mit konzentrierter Gewalt im
allgemeinen Verkehr, besonders im ostindischen, westindischen und Mauritius-Gesch&auml;ft
ausbrach, und zwar gleichzeitig in London, Liverpool, Manchester und Glasgow. W&auml;hrend des
Septembers fallierten in London allein 20 H&auml;user, deren Gesamtpassiva zwischen 9 und 10
Mill. Pfd.St. betrugen.</p>
<p><font size="2">"Wir haben damals Entwurzelungen kommerzieller Dynastien in England erlebt,
nicht weniger &uuml;berraschend als der Sturz jener politischen Firmen auf dem Kontinent, wovon
wir neulich so viel zu h&ouml;ren bekamen", sagte Disraeli am 30. August 1848 im
Unterhause.</font></p>
<p>Die Fallimente der ostindischen H&auml;user w&uuml;teten ununterbrochen fort bis zum
Schlu&szlig; des Jahrs und erneuerten sich in den ersten Monaten 1848, wo die Nachrichten von den
Bankerotten der entsprechenden H&auml;user in Kalkutta, Bombay, Madras und Mauritius
einliefen.</p>
<p>Diese in der Handelsgeschichte unerh&ouml;rte Reihe von Bankerotten war verursacht durch die
allgemeine &Uuml;berspekulation und die damit hervorgerufene &Uuml;bereinfuhr von
Kolonialprodukten. Die lange Zeit k&uuml;nstlich in der H&ouml;he gehaltenen Preise dieser Waren
fielen teilweise schon vor dem panic von April 1847, fielen allgemein und bedeutend jedoch erst
<i>nach</i> diesem panic, als des ganze Kreditsystem zusammenbrach und ein Haus nach dem andern
zu massenhaften, forcierten Verk&auml;ufen gezwungen wurde. Besonders vom Juni und Juli bis in
den November war dieses Fallen so bedeutend, da&szlig; selbst die &auml;ltesten und solidesten
H&auml;user daran zugrunde gehn mu&szlig;ten.</p>
<p>Die Bankerotte im September waren noch ausschlie&szlig;lich auf <i>eigentliche
Handelsh&auml;user</i> beschr&auml;nkt. Am 1. Oktober erh&ouml;hte die Bank ihren niedrigsten
Diskonto f&uuml;r kurze Wechsel auf 5<sup><font size="2">1</font></sup>/<font size="1">2</font>
p.c. und erkl&auml;rte gleichzeitig, da&szlig; sie fortan auf keine Staatspapiere, welcher Art
sie auch seien, Vorsch&uuml;sse mehr machen werde. Jetzt konnten auch die <i>Aktienbanken</i> und
die <i>Privatbankiers</i> dem Druck nicht l&auml;nger widerstehn. Die Royal Bank of Liverpool,
die Liverpool Banking Company, die North and South Wales Bank, die Newcastle Union Joint Stock
Bank etc. etc. erlagen der Reihe nach in wenigen Tagen. Gleichzeitig erfolgten die
Insolvenzerkl&auml;rungen einer Menge kleinerer Privatbankiers in allen Provinzen von
England.</p>
<p>Dieser allgemeinen Zahlungseinstellung der Banken, die den Monat Oktober besonders
charakterisiert, schlie&szlig;en sich an in Liverpool, Manchester, Oldham, Halifax, Glasgow etc.
eine bedeutende Zahl der Bankerotte von Effektenh&auml;ndlern, Wechsel-, Aktien-, Schiffs-, Tee-
und Baumwollm&auml;klern, <a name="S427"><b>&lt;427&gt;</b></a> Eisenproduzenten und
Eisenh&auml;ndlern, Baumwollen- und Wollenspinnern, Kattundruckem usw. Nach Herrn Tocke waren
diese Bankerotte sowohl ihrer Zahl wie ihrem Kapitalbetrag nach beispiellos in der englischen
Handelsgeschichte und &uuml;bertrafen weit die der Krisis von 1825. Die Krisis hatte am 23.-25.
Oktober ihre H&ouml;he erreicht, und alle kommerziellen Transaktionen hatten vollst&auml;ndig
aufgeh&ouml;rt. Da erwirkte eine Deputation aus der City die Suspension des Bankgesetzes von
1844, jener Frucht des Scharfsinns des verstorbenen Sir Robert Peel. Mit dieser Suspension
h&ouml;rte die Trennung der Bank in zwei vollst&auml;ndig unabh&auml;ngige Departements mit zwei
gesonderten Barfonds momentan auf; noch ein paar Tage des alten Regimes, und das eine dieser
Departements, das banking department, h&auml;tte fallieren m&uuml;ssen, w&auml;hrend in dem issue
department sechs Millionen Gold aufgespeichert lagen.</p>
<p>Schon im Oktober fand der erste R&uuml;ckschlag der Krise auf den <i>Kontinent</i> statt. Es
brachen bedeutende Bankerotte aus gleichzeitig in Br&uuml;ssel, Hamburg, Bremen, Elberfeld,
Genua, Livorno, Courtray, St. Petersburg, Lissabon und Venedig. In demselben Ma&szlig; wie die
Intensit&auml;t der Krise in England abnahm, stieg sie auf dem Kontinent und ergriff Punkte, die
sie bisher nicht erreicht hatte. W&auml;hrend der schlimmsten Periode war der Wechselkurs
g&uuml;nstig f&uuml;r England, und so zog dieses seit November fortw&auml;hrend steigende
Zufuhren von Gold und Silber an sich, nicht nur aus Ru&szlig;land und dem Kontinent, sondern auch
aus Amerika. Die unmittelbare Folge hiervon war, da&szlig; in demselben Ma&szlig;, wie der
Geldmarkt in England leichter wurde, er sich in der &uuml;brigen Handelswelt kontrahierte und die
Krise sich hier in demselben Ma&szlig; ausdehnte. Die Zahl der Bankerotte au&szlig;erhalb
Englands stieg also im November; es kamen jetzt ebenfalls bedeutende Fallimente vor in New York,
Rotterdam, Amsterdam, Le Havre, Bayonne, Antwerpen, Mons, Triest, Madrid und Stockholm. Im
Dezember brach die Krise auch in Marseille und Algier aus und nahm in Deutschland eine erneuerte
Heftigkeit an.</p>
<p>Wir sind jetzt auf dem Punkt angekommen, wo die franz&ouml;sische Februarrevolution ausbrach.
Wenn man die Bankerottliste ansieht, die Herr D. M. Evans seiner "Commercial Crisis of 1847-48"
(London 1848[2871) anh&auml;ngt, so findet man, da&szlig; in England <i>nicht ein einziges
bedeutendes Haus</i> infolge dieser Revolution fallierte. Die einzigen Fallimente, die mit ihr
zusammenh&auml;ngen, kamen im Effektenhandel vor, infolge der pl&ouml;tzlichen Entwertung aller
kontinentalen Staatspapiere. &Auml;hnliche Bankerotte von Effektenh&auml;ndlern nat&uuml;rlich
auch in Amsterdam, Hamburg etc. Die englischen Konsols fielen um 6 p.c., w&auml;hrend sie nach
der Julirevolution um 3 p.c. gefallen waren. F&uuml;r Stockjobbers war also die Februarrepublik
nur doppelt so gef&auml;hrlich wie die Julimonarchie.</p>
<p><b><a name="S428">&lt;428&gt;</a></b> Der panic, der nach dem Februar in Paris ausbrach und
sich gleichzeitig mit den Revolutionen &uuml;ber den ganzen Kontinent verbreitete, hatte in
seinem Verlauf gro&szlig;e &Auml;hnlichkeit mit dem Londoner panic vom April 1847. Der Kredit
verschwand pl&ouml;tzlich, und die Transaktionen h&ouml;rten fast ganz auf; in Paris,
Br&uuml;ssel und Amsterdam eilte alles auf die Bank, um die Noten gegen Gold auszuwechseln; im
ganzen erfolgten indes sehr wenige Bankerotte au&szlig;erhalb des Effektenhandels, und auch diese
wenigen sind schwerlich als notwendige Resultate der Februarrevolution nachzuweisen. Die meist
nur momentanen Zahlungseinstellungen der Pariser Bankiers h&auml;ngen teils mit dem
Effektenhandel zusammen, teils waren sie blo&szlig;e Vorsichtsma&szlig;regeln und keineswegs
durch wirkliche Insolvenz bedingt, teils endlich geschahen sie aus purer Schikane, um der
provisorischen Regierung Schwierigkeiten zu machen und ihr Konzessionen abzuzwingen. Bei den
Fallimenten von Bankiers und Kaufleuten an andern Pl&auml;tzen des Kontinents ist es
unm&ouml;glich zu entscheiden, inwiefern sie aus der Fortdauer und allm&auml;hlichen Verbreitung
der Handelskrise hervorgingen, inwiefern dabei die Zeitverh&auml;ltnisse durch l&auml;ngst faule
H&auml;user zu einem verst&auml;ndigen Exit benutzt wurden oder inwiefern sie wirklich Folgen von
Verlusten durch den Revolutionspanic waren. Jedenfalls aber ist gewi&szlig;, da&szlig; die
Handelskrise zu den Revolutionen von 1848 unendlich mehr beigetragen hat als die Revolution zur
Handelskrise. Zwischen M&auml;rz und Mai hatte England schon direkten Vorteil von der Revolution,
die ihm eine Menge von kontinentalem Kapital zuf&uuml;hrte. Von diesem Augenblick an ist die
Krise hier als geschlossen zu betrachten; in allen Gesch&auml;ftszweigen trat eine Besserung ein,
und der neue industrielle Zyklus beginnt mit entschiedner Tendenz zur Prosperit&auml;t. Wie wenig
die kontinentale Revolution diesen Aufschwung der Industrie und des Handels in England hemmte,
beweist die Tatsache, da&szlig; die Masse der hier verarbeiteten Baumwolle von 475 Mill. Pfund
(1847) auf 713 Millionen Pfund (1848) stieg.</p>
<p>Diese erneuerte Prosperit&auml;t entwickelte sich in <i>England</i> zusehends w&auml;hrend der
drei Jahre 1848,1849 und 1850. F&uuml;r die acht Monate Januar bis August betrug die
Gesamtausfuhr Englands 1848 - 31.633.214 Pfd.St.; 1849 - 39.263.322 Pfd.St.; 1850 - 43.851.568
Pfd.St. Zu dieser bedeutenden Hebung, die sich in allen Gesch&auml;ftszweigen mit Ausnahme der
Eisenproduktion zeigte, kamen noch die &uuml;berall fruchtbaren Ernten dieser drei Jahre. Der
Durchschnittspreis des Weizens f&uuml;r 1848-1850 fiel in England auf 36 Schill., in Frankreich
auf 32 Schill. per Quarter. Was diese Epoche der Prosperit&auml;t auszeichnet, ist, da&szlig;
drei Hauptabzugskan&auml;le der Spekulation verstopft waren. Die Eisenbahnproduktion war auf die
langsame Entwicklung eines gew&ouml;hnlichen Industriezweigs zur&uuml;ckgef&uuml;hrt; das
Getreide bot bei einer Reihe reich- <a name="S429"><b>&lt;429&gt;</b></a> licher Ernten keine
Chance; die Staatspapiere hatten durch die Revolutionen den Charakter der Sicherheit verloren,
ohne den keine gro&szlig;en spekulativen Effektenums&auml;tze m&ouml;glich sind. W&auml;hrend
jeder Epoche der Prosperit&auml;t vermehrt sich das Kapital. Einerseits erzeugt die vermehrte
Produktion neues Kapital; andrerseits wird vorhandenes Kapital, das w&auml;hrend der Krise
schlummerte, aus seiner Unt&auml;tigkeit gezogen und auf den Markt geworfen. Dies
<i>additionelle</i> Kapital war in den Jahren 1848-1850 bei dem Mangel an Debouch&eacute;s der
Spekulation gezwungen, sich auf die eigentliche Industrie zu werfen und damit die Produktion noch
rascher zu steigern. Wie sehr dies in England auff&auml;llt, ohne da&szlig; man es sich zu
erkl&auml;ren wei&szlig;, beweist die naive &Auml;u&szlig;erung des "Economist" vom 19. Okt.
1850:</p>
<p><font size="2">"Es ist bemerkenswert, da&szlig; die gegenw&auml;rtige Prosperit&auml;t sich
wesentlich von der aller fr&uuml;heren Perioden unterscheidet. In allen diesen Perioden erregte
irgendeine grundlose Spekulation Hoffnungen, die nicht in Erf&uuml;llung gehn sollten. Einmal
waren es ausl&auml;ndische Minen, ein andermal mehr Eisenbahnen als f&uuml;glich in einem halben
Jahrhundert gemacht werden konnten. Selbst wenn solche Spekulationen wohlbegr&uuml;ndet waren,
geschahen sie immer in Aussicht auf einen Ertrag, der erst nach einer betr&auml;chtlichen Periode
realisiert werden konnte, sei es durch Produktion von Metallen oder Sch&ouml;pfung neuer
Kommunikationen und M&auml;rkte. Sie brachten keinen sofortigen Gewinn. Aber gegenw&auml;rtig ist
unsre Prosperit&auml;t gegr&uuml;ndet auf die Produktion unmittelbar n&uuml;tzlicher Dinge, die
fast ebensoschnell in den Konsum eingehn, als sie auf den Markt gebracht werden, die den
Produzenten einen angemessenen Gewinn abwerfen und zu vermehrter Produktion spornen."</font></p>
<p>Den schlagendsten Beweis, wie sehr sich die industrielle Produktion 1848 und 1849 gesteigert
hat, liefert der Hauptindustriezweig, die Verarbeitung der Baumwolle. Die Baumwollernte von 1849
in den Vereinigten Staaten war ergiebiger als irgendeine fr&uuml;here. Sie betrug
2<sup><font size="2">3</font></sup>/<font size="1">4</font> Mill. Ballen oder ungef&auml;hr 1.200
Millionen Pfund. Die Ausdehnung der Baumwollindustrie hielt so sehr Schritt mit dieser vermehrten
Zufuhr, da&szlig; Ende 1849 die Vorr&auml;te geringer waren als fr&uuml;her selbst nach Jahren
des Mi&szlig;wachses. Im Jahre 1849 wurden &uuml;ber 775 Mill. Pfund Baumwolle versponnen,
w&auml;hrend 1845, im Jahre der h&ouml;chsten bisherigen Prosperit&auml;t, nur 721 Millionen
verarbeitet worden waren. Die Ausdehnung der Baumwollindustrie wird ferner bewiesen durch die
gro&szlig;e Steigerung der Baumwollpreise (55 p.c.) infolge eines verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig
unbedeutenden Ausfalls in der Ernte von 1850. Mindestens derselbe Fortschritt zeigt sich in allen
andern Branchen, wie &lt;In der "Revue": die&gt; Spinnerei und Weberei in Seide, Wolle,
gemischten Zeugen und Leinen. Die Ausfuhr in den Produkten dieser Industrien stieg besonders 1850
so bedeutend, da&szlig; hierdurch <a name="S430"><b>&lt;430&gt;</b></a> die gro&szlig;e
Steigerung in der Gesamtausfuhr dieses Jahres (12 Mill. gegen 1848, 4 Mill. gegen 1849 in den
ersten acht Monaten) hervorgebracht wurde, obgleich 1850 die Ausfuhr von Baumwollfabrikaten
infolge des Baumwollmi&szlig;wachses merklich abnahm. Trotz der bedeutenden Steigerung der
Wollenpreise, die schon 1849 durch die Spekulation hervorgerufen schien, die sich indes bis jetzt
gehalten hat, ist die Wollenindustrie fortw&auml;hrend ausgedehnt worden und t&auml;glich werden
neue Webst&uuml;hle in T&auml;tigkeit gesetzt. Die Ausfuhr von Leinengeweben betrug 1844, im Jahr
der h&ouml;chsten bisherigen Leinenausfuhr, 91 Mill. Yards zum Wert von 2.800.000 Pfd.St., und
1849 erreichte sie die H&ouml;he von 107 Millionen Yards zum Wert von &uuml;ber 3.000.000
Pfd.St.</p>
<p>Einen andern Beweis von dem Wachstum der englischen Industrie liefert der fortdauernd
gesteigerte Konsum der Hauptkolonialwaren, besonders des Kaffees, Zuckers und Tees, bei
fortw&auml;hrend steigenden Preisen wenigstens der beiden ersteren Artikel. Diese Zunahme des
Verbrauchs ist um so direkter Folge der ausgedehnten Industrie, als ihr ausnahmsweiser Markt seit
1845, geschaffen durch die au&szlig;erordentlichen Eisenbahnanlagen, l&auml;ngst auf das
gew&ouml;hnliche Ma&szlig; reduziert ist und als die niedrigen Kornpreise der letzten Jahre keine
gesteigerte Konsumtion in den Ackerbaubezirken zulassen.</p>
<p>Die gro&szlig;e Ausdehnung der Baumwollenindustrie 1849 f&uuml;hrte in den letzten Monaten
dieses Jahres zu einem erneuerten Versuch der &Uuml;berf&uuml;hrung der ostindischen und
chinesischen M&auml;rkte. Aber die Menge der alten, noch nicht umgesetzten Vorr&auml;te in jenen
Gegenden hemmte diesen Versuch sehr bald wieder. Gleichzeitig wurde bei der steigenden Konsumtion
von Rohprodukten und Kolonialwaren auch in diesen Artikeln ein Versuch zur Spekulation gemacht,
aber auch dieser wurde sehr bald wieder aufgehalten durch momentan vermehrte Zufuhren und durch
die Erinnerung an die noch zu frischen Wunden von 1847.</p>
<p>Die Prosperit&auml;t der Industrie wird noch gesteigert werden durch die neulich erfolgte
Er&ouml;ffnung der holl&auml;ndischen Kolonien, durch die bevorstehende Errichtung neuer
Verbindungslinien auf dem Stillen Ozean, auf die wir zur&uuml;ckkommen werden, und durch die
gro&szlig;e Industrieausstellung von 1851. Diese Ausstellung wurde von der englischen Bourgeoisie
bereits im Jahre 1849, als noch der ganze Kontinent von Revolution tr&auml;umte, mit der
bewundernswertesten Kaltbl&uuml;tigkeit ausgeschrieben. In ihr beruft sie ihre s&auml;mtlichen
Vasallen von Frankreich bis China zu einem gro&szlig;en Examen zusammen, auf dem sie nachweisen
sollen, wie sie ihre Zeit benutzt haben; und selbst der allm&auml;chtige Zar von Ru&szlig;land
kann nicht umhin, seinen Untertanen zu befehlen, auf dieser gro&szlig;en Pr&uuml;fung zahlreich
zu erscheinen. Dieser gro&szlig;e Weltkongre&szlig; <a name="S431"><b>&lt;431&gt;</b></a> von
Produkten und Produzenten ist von ganz andrer Bedeutung als die absolutistischen Kongresse von
Bregenz und Warschau, die unsern kontinentalen demokratischen Spie&szlig;b&uuml;rgern soviel
Schwei&szlig; auspressen, oder als die europ&auml;isch-demokratischen Kongresse, welche die
verschiednen provisorischen Regierungen in partibus zur Rettung der Welt stets aufs neue
projektieren. Diese Ausstellung ist ein schlagender Beweis von der konzentrierten Gewalt, womit
die moderne gro&szlig;e Industrie &uuml;berall die nationalen Schranken niederschl&auml;gt und
die lokalen Besonderheiten in der Produktion, den gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen, dem
Charakter jedes einzelnen Volks mehr und mehr verwischt. Indem sie die Gesamtmasse der
Produktivkr&auml;fte der modernen Industrie auf einen kleinen Raum zusammengedr&auml;ngt zur
Schau stellt, gerade zu einer Zeit, wo die modernen b&uuml;rgerlichen Verh&auml;ltnisse schon von
allen Seiten untergraben sind, bringt sie zugleich das Material zur Anschauung, das sich inmitten
dieser unterw&uuml;hlten Zust&auml;nde f&uuml;r den Aufbau einer neuen Gesellschaft erzeugt hat
und noch t&auml;glich erzeugt. Die Bourgeoisie der Welt errichtet durch diese Ausstellung im
modernen Rom ihr Pantheon, worin sie ihre G&ouml;tter, die sie sich selbst gemacht hat, mit
stolzer Selbstzufriedenheit ausstellt. Sie beweist dadurch praktisch, wie die "Ohnmacht und
Verdrie&szlig;lichkeit des B&uuml;rgers", von der deutsche Ideologen jahraus, jahrein predigen,
nur die eigne Ohnmacht dieser Herren ist, die moderne Bewegung zu begreifen, und ihre eigne
Verdrie&szlig;lichkeit &uuml;ber diese Ohnmacht. Die Bourgeoisie feiert dies ihr
gr&ouml;&szlig;tes Fest in einem Augenblick, wo der Zusammenbruch ihrer ganzen Herrlichkeit
bevorsteht, ein Zusammenbruch, der ihr schlagender als je nachweisen wird, wie die von ihr
erschaffenen M&auml;chte ihrer Zucht entwachsen sind. Bei einer zuk&uuml;nftigen Ausstellung
werden die Bourgeois vielleicht nicht mehr als Inhaber dieser Produktivkr&auml;fte, sondern nur
noch als ihre Ciceroni figurieren.</p>
<p>Gerade wie 1845 und 1846 die Kartoffelkrankheit, so verbreitet seit Anfang dieses Jahres der
Ausfall in der Baumwollernte einen allgemeinen Schrecken unter der Bourgeoisie. Dieser Schrecken
hat sich noch bedeutend gesteigert, seit es feststeht, da&szlig; auch die Baumwollernte von 1851
in keinem Fall viel reichlicher als die von 1850 ausfallen wird. Der Ausfall, der f&uuml;r
fr&uuml;here Perioden unbedeutend sein w&uuml;rde, ist f&uuml;r die jetzige Ausdehnung der
Baumwollindustrie sehr gro&szlig; und hat bereits sehr hemmend auf ihre T&auml;tigkeit
eingewirkt. Die Bourgeoisie, die sich kaum von der niederschlagenden Entdeckung erholt hatte,
da&szlig; einer der Grundpfeiler ihrer ganzen gesellschaftlichen Ordnung, die Kartoffel,
gef&auml;hrdet war, sieht nun noch den zweiten Grundpfeiler bedroht, die Baumwolle. Konnte schon
ein einziger mittelm&auml;&szlig;iger Ausfall in der Baumwollernte und die Aussicht auf einen
zweiten <a name="S432"><b>&lt;432&gt;</b></a> mitten im Jubel der Prosperit&auml;t ernstlichen
Alarm erregen, so werden einige aufeinanderfolgende Jahre des wirklichen Baumwollmi&szlig;wachses
notwendig die ganze zivilisierte Gesellschaft momentan in die Barbarei zur&uuml;ckschleudern. Das
goldene und das eiserne Zeitalter sind l&auml;ngst dahin; dem neunzehnten Jahrhundert mit seiner
Intelligenz, seinem Weltmarkt, seinen kolossalen Produktivkr&auml;ften war es vorbehalten, das
<i>baumwollene Zeitalter</i> ins Leben zu rufen. Die englische Bourgeoisie f&uuml;hlte
gleichzeitig dr&uuml;ckender als je, welche Herrschaft die Vereinigten Staaten durch ihr bisher
ungebrochenes Monopol der Baumwollproduktion &uuml;ber sie aus&uuml;ben. Sie hat sich sogleich in
Bewegung gesetzt, um dies Monopol zu brechen. Nicht nur in Ostindien, auch in Natal und den
n&ouml;rdlichen Teilen von Australien und &uuml;berhaupt in allen Teilen der Welt, wo das Klima
und die Verh&auml;ltnisse die Baumwollkultur erlauben, soll sie in jeder Weise bef&ouml;rdert
werden. Gleichzeitig entdeckt die englische negerfreundliche Bourgeoisie, da&szlig; "die
Prosperit&auml;t von Manchester von der Behandlung der Sklaven in Texas, Alabama und Louisiana
abh&auml;ngt und da&szlig; dies eine ebenso sonderbare wie alarmierende Tatsache ist"
("Economist", 21. Sept. 1850). Da&szlig; der entscheidende Zweig der englischen Industrie auf der
Existenz der Sklaverei in den s&uuml;dlichen Staaten der amerikanischen Union beruht, da&szlig;
eine Negerrevolte in jenen L&auml;ndern das ganze bisherige Produktionssystem ruinieren kann, ist
allerdings eine sehr niederschlagende Tatsache f&uuml;r die Leute, die vor wenig Jahren 20 Mill.
Pfd.St. f&uuml;r die Emanzipation der Neger in ihren eignen Kolonien ausgaben. Diese Tatsache
f&uuml;hrt aber zugleich auf die einzige faktisch m&ouml;gliche L&ouml;sung der Sklavenfrage, die
jetzt wieder zu so langen und heftigen Debatten im amerikanischen Kongre&szlig; gef&uuml;hrt hat.
Die amerikanische Baumwollproduktion beruht auf der Sklaverei. Sobald die Industrie sich bis auf
den Punkt entwickelt hat, wo ihr das Baumwollmonopol der Vereinigten Staaten unertr&auml;glich
wird, sobald wird in andern L&auml;ndern die Baumwolle mit Erfolg massenhaft produziert werden,
und zwar kann dies jetzt fast &uuml;berall nur durch <i>freie Arbeiter</i> geschehen. Sobald aber
die freie Arbeit andrer L&auml;nder der Industrie ihre Baumwollzufuhr ausreichend und wohlfeiler
liefert als die Sklavenarbeit der Vereinigten Staaten, so ist mit dem amerikanischen
Baumwollmonopol auch die amerikanische Sklaverei gebrochen, und die Sklaven werden emanzipiert,
weil sie, als Sklaven, unbrauchbar geworden sind. Ganz ebenso wird die Lohnarbeit in Europa
abgeschafft werden, sobald sie nicht nur keine notwendige Form mehr f&uuml;r die Produktion ist,
sondern sogar eine Fessel f&uuml;r sie geworden ist.</p>
<p>Wenn der mit 1848 begonnene neue Zyklus der industriellen Entwicklung denselben Lauf verfolgt
wie der von 1843-47, w&uuml;rde die Krise im Jahr 1852 <a name="S433"><b>&lt;433&gt;</b></a>
ausbrechen. Als ein Symptom, da&szlig; die aus der &Uuml;berproduktion sich erzeugende
&Uuml;berspekulation, die jeder Krise vorhergeht, nicht lange mehr ausbleiben kann, f&uuml;hren
wir hier an, da&szlig; der Diskonto der Bank von England seit zwei Jahren nicht h&ouml;her als 3
p.c. steht. Wenn aber die Bank von England in Zeiten der Prosperit&auml;t ihren Zinsfu&szlig;
niedrig h&auml;lt, so m&uuml;ssen die &uuml;brigen Geldh&auml;ndler den ihrigen noch niedriger
setzen, ebensogut wie sie ihn in Zeiten der Krise, wo die Bank den Zinsfu&szlig; bedeutend
erh&ouml;ht, &uuml;ber dem der Bank halten. Das additionelle Kapital, das, wie wir oben sehen, in
Zeiten der Prosperit&auml;t regelm&auml;&szlig;ig auf den Anleihemarkt geworfen wird, dr&uuml;ckt
schon allein, nach den Gesetzen der Konkurrenz, den Zinsfu&szlig; bedeutend herab; in noch viel
gr&ouml;&szlig;erem Ma&szlig; aber verringert ihn der durch die allgemeine Prosperit&auml;t enorm
gesteigerte Kredit, indem er die Nachfrage nach Kapital vermindert. Die Regierung ist in diesen
Epochen in den Stand gesetzt, den Zinsfu&szlig; ihrer fundierten Schulden herabzusetzen, und der
Grundbesitzer, seine Hypotheken zu g&uuml;nstigeren Bedingungen zu erneuern. Die Kapitalisten des
Anleihemarkts sehen so, in einer Zeit, wo das Einkommen aller andern Klassen steigt, das ihrige
sich um ein Drittel oder mehr vermindern. Je l&auml;nger dieser Zustand dauert, desto mehr sind
sie gen&ouml;tigt, sich nach einer vorteilhafteren Anlage ihres Kapitals umzusehn. Die
&Uuml;berproduktion ruft zahlreiche neue Projekte hervor, und das Gelingen einiger weniger davon
reicht hin, eine ganze Reihe von Kapitalien in dieselbe Richtung zu werfen, bis der Schwindel
nach und nach allgemein wird. Die Spekulation hat aber, wie wir sehen, in diesem Augenblick nur
zwei m&ouml;gliche Hauptabzugskan&auml;le: die Baumwollenkultur und die neuen
Weltmarktsverbindungen, die durch die Entwicklung von Kalifornien und Australien gegeben sind.
Man sieht, da&szlig; ihr Feld diesmal ungemein gr&ouml;&szlig;ere Dimensionen nehmen wird als in
irgendeiner fr&uuml;heren Prosperit&auml;tsperiode.</p>
<p>Werfen wir noch einen Blick auf die Lege der englischen Agrikulturdistrikte. Hier ist der
allgemeine Druck durch die Aufhebung der Kornz&ouml;lle und die gleichzeitigen reichlichen Ernten
chronisch geworden, indes einigerma&szlig;en vermindert durch die bedeutend vermehrte Konsumtion
infolge der Prosperit&auml;t. Dazu kommt, da&szlig; wenigstens die Ackerbauarbeiter bei niedrigen
Getreidepreisen sich immer in einer relativ besseren Lage befinden, obwohl diese Besserung in
England in geringerem Ma&szlig;e stattfindet als in den L&auml;ndern, wo die Parzellierung des
Grundbesitzes vorherrscht. Die Agitation der Protektionisten f&uuml;r Wiederherstellung der
Kornz&ouml;lle geht unter diesen Umst&auml;nden in den Ackerbaubezirken voran, obwohl in einer
dumpferen, versteckteren Weise als bisher. Es ist augenscheinlich, da&szlig; sie ohne alle
Bedeutung bleiben wird, solange die industrielle Prosperit&auml;t und die relativ <a name=
"S434"><b>&lt;434&gt;</b></a> ertr&auml;glichere Stellung der Landarbeiter dauert. Sobald aber
die Krise ausbricht und auf die Ackerbaubezirke zur&uuml;ckwirkt, wird die Depression der
Agrikultur auf dem Land eine ungemeine Aufregung hervorrufen. Zum erstenmal wird diesmal die
industrielle und kommerzielle Krise zusammen[fallen] mit einer Ackerbaukrise, und in allen
Fragen, in denen die Stadt und das Land, die Fabrikanten und die Grundbesitzer gegeneinander
ank&auml;mpfen, werden beide Parteien von zwei gro&szlig;en Armeen unterst&uuml;tzt werden: die
Fabrikanten von der Masse der industriellen, die Grundbesitzer von der Masse der
Agrikulturarbeiter.</p>
<p>Wir kommen jetzt zu den <i>Vereinigten</i> Staaten <i>von Nordamerika</i>. Die Krise von 1836,
die hier zuerst zum Ausbruch kam und am heftigsten w&uuml;tete, dauerte fast ununterbrochen bis
1842 fort und hatte eine vollst&auml;ndige Umw&auml;lzung des amerikanischen Kreditsystems zur
Folge. Der Handel der Vereinigten Staaten erholte sich auf dieser solideren Grundlage, anfangs
freilich sehr langsam, bis von 1844 und 45 an die Prosperit&auml;t auch hier bedeutend stieg.
Sowohl die Teurung wie die Revolutionen in Europa waren f&uuml;r Amerika nur Quellen des Gewinns.
Von 1845 bis 47 gewann es durch die enorme Kornausfuhr und durch die gesteigerten Baumwollpreise
von 1846. Von der Krise von 1847 wurde es nur wenig ber&uuml;hrt. Im Jahr 1849 hatte es die
gr&ouml;&szlig;te bisherige Baumwollernte, und im Jahr 1850 gewann es ungef&auml;hr 20 Mill.
Dollars durch den Ausfall der Baumwollernte, der mit dem neuen Aufschwung der europ&auml;ischen
Baumwollindustrie zusammenfiel. Die Revolutionen von 1848 hatten eine gro&szlig;e Auswandrung
europ&auml;ischen Kapitals nach den Vereinigten Staaten zur Folge, das teils mit den Einwanderern
selbst ankam, teils in amerikanischen Staatspapieren von Europa aus angelegt wurde. Diese
vermehrte Nachfrage nach amerikanischen Fonds hat die Preise derselben so sehr gesteigert,
da&szlig; sich seit kurzem die Spekulation in New York mit gro&szlig;er Heftigkeit auf sie
geworfen hat. Wir bleiben also trotz aller Gegenversicherungen der reaktion&auml;ren
Bourgeoispresse dabei, da&szlig; die einzige Staatsform, der unsre europ&auml;ischen Kapitalisten
Vertrauen schenken, die <i>b&uuml;rgerliche Republik</i> ist. Es gibt &uuml;berhaupt nur einen
Ausdruck f&uuml;r das b&uuml;rgerliche Vertrauen auf irgendeine Staatsform: <i>ihre Notierung</i>
an <i>der B&ouml;rse</i>.</p>
<p>Die Prosperit&auml;t der Vereinigten Staaten hob sich jedoch noch mehr durch andre Ursachen.
Das bewohnte Gebiet, der <i>Markt</i> der nordamerikanischen Union, dehnte sich nach zwei Seiten
hin mit &uuml;berraschender Schnelligkeit aus. Die Vermehrung der Bev&ouml;lkerung, sowohl durch
die Reproduktion im Innern wie durch die fortw&auml;hrend gesteigerte Einwanderung, f&uuml;hrte
zur &Uuml;berwachung ganzer Staaten und Gebiete. Wisconsin und Iowa wurden in wenig Jahren
verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig dicht bev&ouml;lkert, und s&auml;mtliche Staaten des <a name=
"S435"><b>&lt;435&gt;</b></a> oberen Mississippigebiets erhielten bedeutenden Zuwachs an
Einwanderern. Die Ausbeutung der Minen am Oberen See und die steigende Kornproduktion des ganzen
Gebiets der Seen gab dem Handel und der Schiffahrt auf diesem System von gro&szlig;en
Binnenwassern einen neuen Aufschwung, der sich noch steigern wird durch einen Akt der letzten
Kongre&szlig;session, worin dem Handel mit Kanada und Neuschottland gro&szlig;e Erleichterungen
geboten werden. W&auml;hrend so die nordwestlichen Staaten eine ganz neue Bedeutung erlangt
haben, ist Oregon in wenig Jahren kolonisiert, Texas und Neu-Mexiko annexiert, Kalifornien
erobert worden. Die Entdeckung der kalifornischen Goldminen setzte der amerikanischen
Prosperit&auml;t die Krone auf. Wir haben bereits im <a href="me07_213.htm#S220">zweiten Heft
dieser "Revue"</a>, fr&uuml;her als irgendeine andre europ&auml;ische Zeitschrift, auf die
Wichtigkeit dieser Entdeckung und ihrer notwendigen Folgen f&uuml;r den ganzen Welthandel
aufmerksam gemacht. Diese Wichtigkeit liegt nicht in der Vermehrung des Goldes durch die
neuentdeckten Minen, obwohl auch diese Vermehrung der Tauschmittel keineswegs ohne g&uuml;nstigen
Einflu&szlig; auf den allgemeinen Handel bleiben konnte. Sie liegt in dem Sporn, den der
mineralische Reichtum Kaliforniens den Kapitalien auf dem Weltmarkt gab, in der T&auml;tigkeit,
worin die ganze amerikanische Westk&uuml;ste und die asiatische Ostk&uuml;ste versetzt wurde, in
dem neuen Absatzmarkt, der in Kalifornien und allen vom Einflu&szlig; Kaliforniens ber&uuml;hrten
L&auml;ndern geschaffen wurde. Der kalifornische Markt allein ist schon bedeutend; vor einem Jahr
waren 100.000, jetzt sind mindestens 300.000 Menschen dort, die fast nichts produzieren als Gold
und gegen dieses Gold alle ihre Lebensbed&uuml;rfnisse von fremden M&auml;rkten her eintauschen.
Aber der kalifornische Markt ist unbedeutend gegen die fortdauernde Ausdehnung aller M&auml;rkte
am Stillen Meer, gegen die auffallende Hebung des Handels in Chile und Peru, im westlichen
Mexiko, auf den Sandwichinseln und gegen den pl&ouml;tzlich entstandenen Verkehr Asiens und
Australiens mit Kalifornien. Durch Kalifornien sind ganz neue Weltstra&szlig;en n&ouml;tig
geworden, Weltstra&szlig;en, die in kurzem alle andern an Bedeutung &uuml;bertreffen m&uuml;ssen.
Der Haupthandelsweg nach dem Stillen Meere, das jetzt eigentlich erst aufgeschlossen ist und zum
wichtigsten Ozean der Welt wird, geht von jetzt an &uuml;ber den Isthmus von Panama. Die
Herstellung der Verbindungen auf diesem Isthmus durch Stra&szlig;en, Eisenbahnen, Kan&auml;le ist
jetzt dringendstes Bed&uuml;rfnis f&uuml;r den Welthandel geworden und stellenweise schon in
Angriff genommen. Die Eisenbahn von Chagres nach Panama wird schon gebaut. Eine amerikanische
Kompanie l&auml;&szlig;t das Flu&szlig;gebiet des San Juan de Nicaragua vermessen, um an dieser
Stelle <a name="S436"><b>&lt;436&gt;</b></a> die beiden Meere zun&auml;chst durch eine
&Uuml;berlandroute und dann durch einen Kanal zu verbinden. Andre Routen, die &uuml;ber den
Isthmus von Darien, die Atrato-Route in Neu-Granada, die &uuml;ber den Isthmus von Tehuantepac,
werden in englischen und amerikanischen Bl&auml;ttern diskutiert. Bei der jetzt pl&ouml;tzlich
enth&uuml;llten Unwissenheit, worin sich die ganze zivilisierte Welt &uuml;ber die
Terrainverh&auml;ltnisse Zentralamerikas befindet, ist es unm&ouml;glich zu bestimmen, welche
Route f&uuml;r einen gro&szlig;en Kanal die vorteilhafteste ist; nach den wenigen bekannten Daten
bieten die Atrato-Route und der Weg &uuml;ber Panama die meisten Chancen. Im Anschlu&szlig; an
die Kommunikationen &uuml;ber den Isthmus ist die schleunige Ausdehnung der ozeanischen
Dampfschiffahrt ebenso dringend geworden. Schon fahren Dampfschiffe zwischen Southampton und
Chagres, New York und Chagres, Valparaiso, Lima, Panama, Acapulco und San Franzisco; aber diese
wenigen Linien mit ihrer geringen Anzahl D&auml;mpfer reichen bei weitem nicht aus. Die
Vermehrung der Dampfschiffahrt zwischen Europa und Chagres wird t&auml;glich n&ouml;tiger, und
der wachsende Verkehr zwischen Asien, Australien und Amerika verlangt neue, gro&szlig;artige
Dampfschiffslinien von Panama und San Franzisco nach Kanton, Singapore, Sydney, Neuseeland und
der wichtigsten Station des Stillen Meers, den Sandwichinseln. Australien und Neuseeland
besonders haben von allen Gebieten des Stillen Meers, sowohl durch den raschen Fortschritt der
Kolonisation wie durch den Einflu&szlig; von Kalifornien, sich am meisten gehoben und wollen
keinen Augenblick l&auml;nger durch eine vier- bis sechsmonatliche Segelfahrt von der
zivilisierten Welt getrennt sein. Die Gesamtbev&ouml;lkerung der australischen Kolonien
(au&szlig;er Neuseeland) stieg von 170.676 (1839) auf 333.764 im Jahr 1848, vermehrte sich also
in neun Jahren um 95<sup><font size="2">1</font></sup>/<font size="1">2</font> p.c. England
selbst kann diese Kolonien nicht ohne Dampfschiffsverbindung lassen; die Regierung unterhandelt
in diesem Moment wegen einer Linie im Anschlu&szlig; an die ostindische &Uuml;berlandpost, und ob
diese zustande komme oder nicht, so wird das Bed&uuml;rfnis der Dampfverbindung mit Amerika und
besonders Kalifornien, wohin im vorigen Jahr 3.500 Auswanderer aus Australien gingen, sich bald
selbst Abh&uuml;lfe schaffen. Man kann wirklich sagen, da&szlig; die Welt erst rund zu werden
anf&auml;ngt, seit die Notwendigkeit dieser universellen ozeanischen Dampfschiffahrt vorhanden
ist.</p>
<p>Diese bevorstehende Ausdehnung der Dampfschiffahrt wird noch vergr&ouml;&szlig;ert werden
durch die bereits erw&auml;hnte Er&ouml;ffnung der holl&auml;ndischen Kolonien und durch die
Vermehrung der Schraubendampfschiffe, mit denen, wie sich mehr und mehr herausstellt, Auswanderer
rascher, verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig wohlfeiler und vorteilhafter zu bef&ouml;rdern sind als
auf Segelschiffen. Au&szlig;er den Schraubend&auml;mpfern, die schon von Glasgow und Liverpool
nach New York <a name="S437"><b>&lt;437&gt;</b></a> gehn, sollen neue auf die Linie gebracht und
soll eine Linie zwischen Rotterdam und New York errichtet werden. Wie sehr &uuml;berhaupt das
Kapital gegenw&auml;rtig die Tendenz hat, sich auf die ozeanische Dampfschiffahrt zu werfen,
beweist die fortw&auml;hrende Vermehrung der zwischen Liverpool und New York fahrenden
Konkurrenzd&auml;mpfer, die Errichtung ganz neuer Linien von England nach dem Kap und von New
York nach Le Havre, eine ganze Reihe von &auml;hnlichen Projekten, die jetzt in New York
kolportiert werden.</p>
<p>In dieser Richtung des Kapitals auf die &uuml;berseeische Dampfschiffahrt und auf die
Kanalisation des amerikanischen Isthmus ist bereits der Grund gelegt zur &Uuml;berspekulation auf
diesem Gebiet. Das Zentrum dieser Spekulation ist notwendig New York, das die gr&ouml;&szlig;te
Masse des kalifornischen Goldes erh&auml;lt, das den Haupthandel nach Kalifornien schon an sich
gezogen hat und &uuml;berhaupt f&uuml;r ganz Amerika dieselbe Rolle spielt wie London f&uuml;r
Europa. New York ist bereits das Zentrum der gesamten transatlantischen Dampfschiffahrt; die
s&auml;mtlichen Dampfschiffe des Stillen Meers geh&ouml;ren New-Yorker Kompanien, und fast alle
neuen Projekte in dieser Branche gehen von New York aus. Die Spekulation in &uuml;berseeischen
Dampfschiffslinien hat in New York bereits begonnen; die Nicaragua-Kompanie, von New York
ausgegangen, ist ebenso der Anfang der Spekulation auf die Isthmuskan&auml;le. Die
&Uuml;berspekulation wird sich sehr bald entwickeln, und wenn auch englisches Kapital massenhaft
in alle derartigen Unternehmungen eintreten, wenn auch die Londoner B&ouml;rse mit &auml;hnlichen
Projekten aller Art &uuml;berf&uuml;hrt werden wird, so bleibt doch New York diesmal das Zentrum
des ganzen Schwindels und wird, wie 1836, zuerst seinen Zusammenbruch erleben. Zahllose Projekte
werden zugrunde gehn, aber wie 1845 das englische Eisenbahnsystem, so wird diesmal wenigstens der
<i>Umri&szlig;</i> einer universellen Dampfschiffahrt aus der &Uuml;berspekulation hervorgehn.
Wie viele Gesellschaften auch fallieren, die Dampfschiffe, die den atlantischen Verkehr
verdoppeln, die das Stille Meer aufschlie&szlig;en, die Australien, Neuseeland, Singapore, China
mit Amerika verbinden und die Reise um die Welt auf die Dauer von vier Monaten reduzieren, werden
bleiben.</p>
<p>Die Prosperit&auml;t Englands und Amerikas wirkte bald auf den europ&auml;ischen Kontinent
zur&uuml;ck. Schon im Sommer 1849 waren in <i>Deutschland</i> die Fabriken, besonders der
Rheinprovinz, wieder ziemlich besch&auml;ftigt, und seit Ende 1849 war die Wiederbelebung des
Gesch&auml;fts allgemein. Diese erneuerte Prosperit&auml;t, die unsre deutschen B&uuml;rger
naiverweise der Herstellung der Ruhe und Ordnung zuschreiben, beruht in der Wirklichkeit einzig
auf der erneuerten Prosperit&auml;t in England und der vermehrten Nachfrage nach
Industrieprodukten auf den amerikanischen und tropischen M&auml;rkten. Im Jahre 1850 hoben sich
<a name="S438"><b>&lt;438&gt;</b></a> Industrie und Handel noch mehr; gerade wie in England trat
ein momentaner &Uuml;berflu&szlig; an Kapital und eine au&szlig;erordentliche Erleichterung auf
dem Geldmarkt ein, und die Berichte &uuml;ber die Frankfurter und Leipziger Herbstmessen lauten
im h&ouml;chsten Grade befriedigend f&uuml;r die beteiligten Bourgeois. Die
schleswig-holsteinschen und kurhessischen Wirren, die Unionsstreitigkeiten und die drohenden
Noten &Ouml;streichs und Preu&szlig;ens haben die Entwicklung aller dieser Symptome der
Prosperit&auml;t keinen Augenblick aufhalten k&ouml;nnen, wie dies auch der "Economist" mit
sp&ouml;ttischer Cockney-&Uuml;berlegenheit bemerkt.</p>
<p>Dieselben Symptome zeigten sich in <i>Frankreich</i> seit 1849 und besonders seit Anfang 1850.
Die Pariser Industrien sind vollauf besch&auml;ftigt, und auch die Baumwollfabriken von Rouen und
M&uuml;lhausen gehn ziemlich gut, obwohl hier die hohen Preise des Rohstoffs, wie in England,
hemmend eingewirkt haben. Die Entwicklung der Prosperit&auml;t in Frankreich wurde zudem
besonders bef&ouml;rdert durch die umfassende Zollreform in Spanien und durch die Herabsetzung
der Z&ouml;lle auf verschiedene Luxusartikel in Mexiko; nach beiden M&auml;rkten hat die Ausfuhr
franz&ouml;sischer Waren bedeutend zugenommen. Die Vermehrung der Kapitalien f&uuml;hrte in
Frankreich zu einer Reihe von Spekulationen, denen die Ausbeutung der kalifornischen Goldminen
auf gro&szlig;em Fu&szlig; zum Vorwand diente. Eine Menge von Gesellschaften tauchte auf, deren
niedrige Aktienbetr&auml;ge und deren sozialistisch gef&auml;rbte Prospekte direkt an den
Geldbeutel der Kleinb&uuml;rger und Arbeiter appellieren, die aber samt und sonders auf jene
reine Prellerei hinauslaufen, welche den Franzosen und Chinesen allein eigent&uuml;mlich ist.
Eine dieser Gesellschaften wird sogar direkt von der Regierung protegiert. Die Einfuhrz&ouml;lle
in Frankreich in den ersten neun Monaten betrugen 1848 - 63 Mill. frs., 1849 - 95 Mill. frs. und
1850 -93 Mill. frs. Sie stiegen &uuml;brigens im Monat September 1850 wieder um mehr als eine
Million gegen den gleichen Monat 1849. Die Ausfuhr ist ebenfalls 1849 und noch mehr 1850
gestiegen.</p>
<p>Der schlagendste Beweis der wiederhergestellten Prosperit&auml;t ist die Wiedereinf&uuml;hrung
der Barzahlungen der Bank durch das Gesetz vom 6. August 1850. Am 15. M&auml;rz 1848 war die Bank
bevollm&auml;chtigt worden, ihre Barzahlungen einzustellen. Ihre Notenzirkulation, mit
Einschlu&szlig; der Provinzialbanken, betrug damals 373 Mill. frs. (14.920.000 Pfd.St.). Am 2.
Nov. 1849 betrug diese Zirkulation 482 Mill. frs. oder 19.280.000 Pfd.St.; Zuwachs von 4.360.000
Pfd.St., und am 2. Sept. 1850 - 496 Mill. frs. oder 19.840.000 Pfd.St.; Zuwachs von etwa 5 Mill.
Pfd.St. Es trat dabei keine Depreziation der Noten ein; umgekehrt, die vermehrte Zirkulation der
Noten war begleitet von best&auml;ndig wachsender Aufh&auml;ufung von Gold und Silber in den
Kellern der Bank, so da&szlig; <a name="S439"><b>&lt;439&gt;</b></a> im Sommer 1850 der Barvorrat
sich auf ungef&auml;hr 14 Mill. Pfd.St. belief, eine in Frankreich unerh&ouml;rte Summe.
Da&szlig; die Bank so in den Stand gesetzt wurde, ihre Zirkulation und damit ihr t&auml;tiges
Kapital um 123 Mill. frs. oder 5 Mill. Pfd.St. zu erh&ouml;hen, beweist schlagend, wie richtig
unsre <a href="me07_064.htm#S76">Behauptung in einem fr&uuml;heren Heft</a> war, da&szlig; die
Finanzaristokratie durch die Revolution nicht nur nicht gest&uuml;rzt, sondern sogar noch
verst&auml;rkt worden ist. Noch augenscheinlicher wird dies Resultat durch folgende
&Uuml;bersicht &uuml;ber die franz&ouml;sische Bankgesetzgebung der letzten Jahre. Am 10. Juni
1847 wurde die Bank bevollm&auml;chtigt, Noten von 200 frs. auszugeben; die niedrigste Note war
bisher 500 frs. Ein Dekret vom 15. M&auml;rz 1848 erkl&auml;rte die Noten der Bank von Frankreich
f&uuml;r gesetzliche M&uuml;nze und enthob die Bank der Verpflichtung, sie gegen bar
einzul&ouml;sen. Ihre Notenausgabe wurde beschr&auml;nkt auf 350 Mill. frs. Sie wurde
gleichzeitig bevollm&auml;chtigt, Noten von 100 frs. auszugeben. Ein Dekret vom 27. April
verf&uuml;gte die Verschmelzung der Departementalbanken mit der Bank von Frankreich; ein andres
Dekret vom 2. Mai 1848 erh&ouml;hte ihre Notenausgabe auf 452 Mill. frs. Ein Dekret vom 22.
Dezember 1849 steigerte das Maximum der Notenausgabe auf 525 Mill. frs. Endlich f&uuml;hrte das
Gesetz vom 6. August 1850 die Austauschbarkeit der Noten gegen Geld wieder ein. Diese Tatsachen,
die fortw&auml;hrende Steigerung der Zirkulation, die Konzentration des ganzen franz&ouml;sischen
Kredits in den H&auml;nden der Bank und die Anh&auml;ufung alles franz&ouml;sischen Goldes und
Silbers in den Bankgew&ouml;lben, f&uuml;hrten Herrn Proudhon zu dem Schlu&szlig;, da&szlig; die
Bank jetzt ihre alte Schlangenhaut abstreifen und sich in eine Proudhonsche Volksbank
metamorphosieren m&uuml;sse. Er brauchte nicht einmal die Geschichte der englischen
Bankrestriktion von 1797-1819 zu kennen, er brauchte nur seinen Blick &uuml;ber den Kanal zu
richten, um zu sehen, da&szlig; dies f&uuml;r ihn in der Geschichte der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft unerh&ouml;rte Faktum weiter nichts war, als ein h&ouml;chst normales
b&uuml;rgerliches Ereignis, das jetzt nur in Frankreich zum erstenmal eintrat. Man sieht,
da&szlig; die angeblich revolution&auml;ren Theoretiker, die nach der provisorischen Regierung in
Paris das gro&szlig;e Wort f&uuml;hrten, ebenso unwissend waren &uuml;ber die Natur und die
Resultate der ergriffenen Ma&szlig;regeln wie die Herren von der provisorischen Regierung
selbst.</p>
<p>Trotz der industriellen und kommerziellen Prosperit&auml;t, deren sich Frankreich momentan
erfreut, laboriert die Masse der Bev&ouml;lkerung, die 25 Millionen Bauern, an gro&szlig;er
Depression. Die guten Ernten der letzten Jahre haben die Getreidepreise in Frankreich noch viel
tiefer gedr&uuml;ckt als in England, und die Stellung verschuldeter, vom Wucher ausgesogner und
von <a name="S440"><b>&lt;440&gt;</b></a> Steuern gedr&uuml;ckter Bauern kann dabei nichts
weniger als gl&auml;nzend sein. Die Geschichte der letzten drei Jahre hat indes zur Gen&uuml;ge
bewiesen, da&szlig; diese Klasse der Bev&ouml;lkerung durchaus keiner revolution&auml;ren
Initiative f&auml;hig ist.</p>
<p>Wie die Periode der Krise sp&auml;ter eintritt auf dem Kontinent als in England, so die der
Prosperit&auml;t. In England findet stets der urspr&uuml;ngliche Proze&szlig; statt; es ist der
Demiurg des b&uuml;rgerlichen Kosmos. Auf dem Kontinent treten die verschiedenen Phasen des
Zyklus, den die b&uuml;rgerliche Gesellschaft immer von neuem durchl&auml;uft, in sekund&auml;rer
und terti&auml;rer Form ein. Erstens f&uuml;hrte der Kontinent nach England
unverh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig mehr aus als nach irgendeinem andern Land. Diese Ausfuhr nach
England h&auml;ngt aber wieder ab von dem Stand Englands, besonders zum &uuml;berseeischen Markt.
Dann f&uuml;hrt England nach den &uuml;berseeischen L&auml;ndern
unverh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig mehr aus als der gesamte Kontinent, so da&szlig; die
Quantit&auml;t des kontinentalen Exports nach diesen L&auml;ndern immer abh&auml;ngig ist von der
jedesmaligen &uuml;berseeischen Ausfuhr Englands. Wenn daher die Krisen zuerst auf dem Kontinent
Revolutionen erzeugen, so ist doch der Grund derselben stets in England gelegt. In den
Extremit&auml;ten des b&uuml;rgerlichen K&ouml;rpers mu&szlig; es nat&uuml;rlich eher zu
gewaltsamen Ausbr&uuml;chen kommen als in seinem Herzen, da hier die M&ouml;glichkeit der
Ausgleichung gr&ouml;&szlig;er ist als dort. Andrerseits ist der Grad, worin die kontinentalen
Revolutionen auf England zur&uuml;ckwirken, zugleich der Thermometer, an dem es sich zeigt,
inwieweit diese Revolutionen wirklich die b&uuml;rgerlichen Lebensverh&auml;ltnisse in Frage
stellen, oder wieweit sie nur ihre politischen Formationen treffen.</p>
<p>Bei dieser allgemeinen Prosperit&auml;t, worin die Produktivkr&auml;fte der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft sich so &uuml;ppig entwickeln, wie dies innerhalb der b&uuml;rgerlichen
Verh&auml;ltnisse &uuml;berhaupt m&ouml;glich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine
Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden m&ouml;glich, wo diese <i>beiden
Faktoren</i>, die <i>modernen Produktivkr&auml;fte</i> und die <i>b&uuml;rgerlichen
Produktionsformen</i>, miteinander <i>in Widerspruch</i> geraten. Die verschiedenen
Z&auml;nkereien, in denen sich jetzt die Repr&auml;sentanten der einzelnen Fraktionen der
kontinentalen Ordnungspartei ergehn und gegenseitig kompromittieren, weit entfernt zu neuen
Revolutionen Anla&szlig; zu geben, sind im Gegenteil nur m&ouml;glich, weil die Grundlage der
Verh&auml;ltnisse momentan so sicher und, was die Reaktion nicht wei&szlig;, so
<i>b&uuml;rgerlich</i> ist. An ihr werden alle die b&uuml;rgerliche Entwickelung aufhaltenden
Reaktionsversuche ebensosehr abprallen wie alle sittliche Entr&uuml;stung und alle begeisterten
Proklamationen der Demokraten. <i>Eine neue Revolution ist nur m&ouml;glich im Gefolge einer
neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.</i></p>
<p><b><a name="S441">&lt;441&gt;</a></b> Wir kommen jetzt zu den politischen Ereignissen der
letzten sechs Monate. F&uuml;r England ist die Zeit der Prosperit&auml;t jedesmal die
Bl&uuml;tezeit des Whigtums, das in dem kleinsten Mann des K&ouml;nigreichs, Lord John Russell,
seine angemessene Inkarnation besitzt. Das Ministerium bringt kleine Winkelreformvorschl&auml;ge
ins Parlament, von denen es wei&szlig;, da&szlig; sie im Oberhaus durchfallen, oder die es am
Ende der Session unter dem Vorwand mangelnder Zeit selbst zur&uuml;cknimmt. Der Mangel an Zeit
ist denn immer motiviert durch den vorhergehenden &Uuml;berflu&szlig; an Langweile und leerem
Gerede, dem der Sprecher m&ouml;glichst sp&auml;t durch die Bemerkung Einhalt tut, das sei keine
Frage vor dem Hause. Der Kampf zwischen Freetradern und Protektionisten artet in solchen Zeiten
in reinen Humbug aus. Die Masse der Freetrader ist mit der materiellen Ausbeutung des freien
Handels zu besch&auml;ftigt, um Zeit oder Lust zu haben, seine politischen Konsequenzen weiser zu
erk&auml;mpfen; die Protektionisten sind dem Aufschwung der st&auml;dtischen Industrie
gegen&uuml;ber auf burleske Jeremiaden und Drohungen angewiesen. Die Parteien f&uuml;hren den
Krieg blo&szlig; anstandshalber weiter, um einander stets in Erinnerung zu halten. Vor der
letzten Session erhoben die industriellen Bourgeois einen gewaltigen L&auml;rm im Interesse der
Finanzreform; im Parlament selbst beschr&auml;nkten sie sich auf theoretische Expostulationen.
Vor der Session wiederholte Herr Cobden bei Gelegenheit der russischen Anleihe dem Zar seine
Kriegserkl&auml;rung und wu&szlig;te nicht Sarkasmen genug auf den gro&szlig;en Petersburger
Pauper zu h&auml;ufen; sechs Monate nachher sank er schon herab zu der skandal&ouml;sen Farce des
Friedenskongresses, der kein andres Resultat hatte, als da&szlig; ein Ojibway-Indianer zum
gro&szlig;en Entsetzen des auf der Trib&uuml;ne anwesenden Herrn Haynau dem Herrn Jaup eine
Friedenspfeife einh&auml;ndigte und da&szlig; der Yankee-M&auml;&szlig;igkeitsschwindler Elihu
Burritt nach Schleswig-Holstein und Kopenhagen ging, um die betreffenden Regierungen seiner
wohlmeinenden Absichten zu versichern. Als ob der ganze schleswig-holsteinische Krieg je eine
ernsthafte Wendung nehmen k&ouml;nnte, solange Herr von Gagern sich dabei beteiligt und Venedey
nicht!</p>
<p>Die eigentliche, gro&szlig;e politische Frage der verflossenen Session war die <i>griechische
Debatte</i>. Die gesamte absolutistische Reaktion des Kontinents hatte mit den englischen Tories
eine Koalition zum Sturz Palmerstons gebildet. Louis-Napoleon hatte sogar den franz&ouml;sischen
Gesandten aus London abberufen, ebensosehr um dem Zar Nikolaus als um der franz&ouml;sischen
Nationaleitelkeit zu schmeicheln. Die ganze Nationalversammlung applaudierte fanatisch diesem
k&uuml;hnen Bruch mit der traditionellen englischen Allianz. Die Sache gab Herrn Palmerston
Gelegenheit, sich im Unterhaus als den Champion der b&uuml;rgerlichen Freiheit von ganz Europa
hinzustellen; er erhielt eine <a name="S442"><b>&lt;442&gt;</b></a> Majorit&auml;t von 46
Stimmen, und das Resultat der ebenso ohnm&auml;chtigen wie albernen Koalition war die
Nichterneuerung der Alien Bill.</p>
<p>Wenn Palmerston in seiner Manifestation gegen Griechenland und seiner Parlamentsrede der
europ&auml;ischen Reaktion b&uuml;rgerlich-liberal gegen&uuml;bertrat, so benutzte das englische
Volk die Anwesenheit des Herrn <i>Haynau</i> in London zu einer schlagenden Manifestation
<i>seiner</i> ausw&auml;rtigen Politik.</p>
<p>Wurde der milit&auml;rische Repr&auml;sentant &Ouml;streichs vom Volk durch die Stra&szlig;en
Londons gehetzt, so erlebte Preu&szlig;en in seinem diplomatischen Repr&auml;sentanten ein seiner
Stellung ebenso angemessenes Ungl&uuml;ck. Man erinnert sich, wie die komischste Figur Englands,
der schwatzhafte Literatus Brougham, den Literatus <i>Bunsen</i> wegen taktlos-zudringlichen
Betragens unter dem allgemeinen Gel&auml;chter s&auml;mtlicher Ladies von den Galerien des
Oberhauses entfernte. Herr Bunsen nahm, ganz im Geist der von ihm repr&auml;sentierten
Gro&szlig;macht, diese Dem&uuml;tigung gelassen hin. Er wird &uuml;berhaupt nicht aus England
fortgehn, widerfahre ihm was da wolle. Er ist durch seine ganzen Privatinteressen an England
gebunden; er wird fortfahren, seinen diplomatischen Posten zur Spekulation in englischer Religion
zu exploitieren und seine S&ouml;hne in der englischen Kirche, seine T&ouml;chter in irgendeiner
Abstufung der englischen Gentry unterzubringen.</p>
<p>Der Tod Sir Robert <i>Peels</i> trug wesentlich dazu bei, die Aufl&ouml;sung der alten
Parteien zu beschleunigen. Die Partei, die seit 1845 seine Hauptst&uuml;tze bildete, die sog.
Peeliten, sind seitdem vollst&auml;ndig zerfallen. Peel selbst ist seit seinem Tode fast von
allen Parteien in der &uuml;berschwenglichsten Weise als der gr&ouml;&szlig;te Staatsmann
Englands apotheosiert worden. Er hat allerdings das vor den kontinentalen "Staatsm&auml;nnern"
voraus, da&szlig; er kein blo&szlig;er Stellenj&auml;ger war. Im &uuml;brigen bestand die
Staatsmannschaft dieses zum F&uuml;hrer der Grundaristokratie emporgekommenen Bourgeoissohnes in
der Einsicht, da&szlig; es heutzutage nur &lt;In der "Revue": und&gt; noch eine wirkliche
Aristokratie gebe, n&auml;mlich die Bourgeoisie. In diesem Sinn benutzte er seine
F&uuml;hrerschaft der Grundaristokratie fortw&auml;hrend, um ihr Konzessionen an die Bourgeoisie
abzun&ouml;tigen. So in der katholischen Emanzipation und der Reform der Polizei, wodurch er die
politische Macht der Bourgeoisie vermehrte; in den Bankgesetzen von 1818 und 1844 die die
Finanzaristokratie st&auml;rkten; in der Tarifreform von 1842 und den Freihandelsgesetzen von
1846, wodurch die Grundaristokratie geradezu der industriellen Bourgeoisie geopfert wurde. Die
zweite Grunds&auml;ule der Aristokratie, der "eiserne Herzog" &lt;Wellington&gt;, der Held von
Waterloo, stand dem Baumwollritter Peel als entt&auml;uschter Don Quijote getreulich zur <a name=
"S443"><b>&lt;443&gt;</b></a> Seite. Seit 1845 wurde Peel von der Tory-Partei als Verr&auml;ter
behandelt. Die Macht Peels &uuml;ber das Unterhaus beruhte auf der ungemeinen
<i>Plausibilit&auml;t seiner Beredsamkeit</i>. Man lese seine ber&uuml;hmtesten Reden, und man
wird finden, da&szlig; sie aus einer massenhaften Anh&auml;ufung von Gemeinpl&auml;tzen bestehn,
zwischen denen eine Anzahl statistischer Daten geschickt gruppiert sind. Fast alle St&auml;dte
von England wollen dem Abschaffer der Kornz&ouml;lle Denkm&auml;ler setzen. Ein chartistisches
Blatt bemerkte, mit Anspielung auf die durch Peel 1829 ausgebildete Polizei: Was sollen uns alle
diese Peel-Monumente? Jeder Polizeidiener in England und Irland ist ein lebendiges
Peel-Monument.</p>
<p>Das letzte Ereignis, das in England Aufsehen erregte, ist die Ernennung des Herrn
<i>Wiseman</i> zum <i>Kardinalerzbischof von Westminster</i> und die Einteilung von England in
dreizehn katholische Bist&uuml;mer durch den Papst. Dieser f&uuml;r die englische Kirche sehr
&uuml;berraschende Schritt des Statthalters Christi ist ein neuer Beweis von der Illusion, der
sich die ganze kontinentale Reaktion hingibt, als ob mit den Siegen, die sie im Dienst der
Bourgeoisie neuerdings erfochten, nun auch die Herstellung der ganzen
feudalistisch-absolutistischen Gesellschaftsordnung mit ihrem ganzen religi&ouml;sen Zubeh&ouml;r
von selbst erfolgen m&uuml;sse. Der Katholizismus hat seine einzige St&uuml;tze in England an den
beiden Extremen der Gesellschaft, der Aristokratie und dem Lumpenproletariat. Das
Lumpenproletariat, der irische oder von Irl&auml;ndern abstammende Mob ist katholisch durch seine
Abstammung. Die Aristokratie hat mit dem Puseyismus solange fashionable Koketterie getrieben, bis
endlich selbst der &Uuml;bertritt zur katholischen Kirche anfing, Mode zu werden. In einer Zeit,
wo die englische Aristokratie durch den Kampf gegen die fortschreitende Bourgeoisie immer mehr
zur Herauskehrung ihres feudalen Charakters gedr&auml;ngt wurde, mu&szlig;ten nat&uuml;rlich auch
die religi&ouml;sen Ideologen der Aristokratie, die orthodoxen Theologen der Hochkirche, im Kampf
mit den Theologen der b&uuml;rgerlichen Dissenterreligion mehr und mehr gezwungen werden, die
Konsequenzen ihres halbkatholischen Dogmas und Ritus anzuerkennen, mu&szlig;te sogar der
&Uuml;bertritt einzelner reaktion&auml;rer Anglikaner zur urspr&uuml;nglichen,
alleinseligmachenden Kirche immer h&auml;ufiger werden. Diese unbedeutenden Erscheinungen
brachten in den K&ouml;pfen englischer katholischer Geistlicher die sanguinsten Hoffnungen auf
die baldige Bekehrung von ganz England hervor. Die neue Bulle des Papstes, die England schon
wieder als r&ouml;mische Provinz behandelt und die dieser Tendenz zur Bekehrung einen neuen
Aufschwung geben sollte, bringt indes gerade die umgekehrte Wirkung hervor. Die Puseyiten,
pl&ouml;tzlich mit den ernsthaften Konsequenzen ihrer mittelalterlichen Spielereien konfrontiert,
fahren entsetzt zur&uuml;ck, und der <a name="S444"><b>&lt;444&gt;</b></a> puseyitische Bischof
von London hat sofort eine Erkl&auml;rung erlassen, worin er seine s&auml;mtlichen Irrt&uuml;mer
widerruft und dem Papsttum den Krieg auf Leben und Tod erkl&auml;rt. - F&uuml;r die Bourgeoisie
hat die ganze Kom&ouml;die nur insoweit Interessen, als sie ihr Gelegenheit zu neuen Angriffen
gegen die Hochkirche und ihre Universit&auml;ten gibt. Die Untersuchungskommission, die &uuml;ber
die Lage der Universit&auml;ten Bericht zu erstatten hat, wird in der n&auml;chsten Session
heftige Debatten hervorrufen. Die Masse des Volks interessiert sich nat&uuml;rlich nicht, weder
f&uuml;r noch gegen den Kardinal Wiseman. Den Zeitungen dagegen liefert er bei der jetzigen
D&uuml;rre an Neuigkeiten willkommnen Stoff zu langen Artikeln und heftigen Diatriben gegen Pio
Nono &lt;Pius IX.&gt;. Die "Times" verlangte sogar, die Regierung solle zur Strafe seiner
&Uuml;bergriffe eine Insurrektion im Kirchenstaat erregen und Herrn Mazzini und die italienische
Emigration gegen ihn loslassen. Der "Globe", das Organ Palmerstons, stellte eine h&ouml;chst
witzige Parallele zwischen der Bulle des Papstes und dem letzten Manifest Mazzinis an. Der Papst,
sagte er, reklamiert eine geistliche Suprematie &uuml;ber England und ernennt Bisch&ouml;fe in
partibus infidelium. Hier in London sitzt eine italienische Regierung in partibus infidelium, an
deren Spitze der Antipapst Herr Mazzini steht. Die Suprematie, die Herr Mazzini in den
p&auml;pstlichen Staaten nicht nur reklamiert, sondern wirklich aus&uuml;bt, ist dermalen
ebenfalls rein geistlicher Natur. Die Bullen des Papstes sind rein religi&ouml;sen Inhalts; die
Manifeste Mazzinis ebenfalls. Sie predigen eine Religion, sie appellieren an den Glauben, sie
haben zum Motto: Dio ed il popolo, Gott und das Volk. Wir fragen, gibt es zwischen den
Anspr&uuml;chen beider einen andern Unterschied als den, da&szlig; Herr Mazzini wenigstens die
Religion der Majorit&auml;t des Volks vertritt, zu dem er spricht - denn es gibt fast keine andre
Religion mehr in Italien als die des Dio ed il popolo -, der Papst aber nicht? Mazzini hat
&uuml;brigens diese Gelegenheit benutzt, um einen Schritt weiterzugehn. Er hat n&auml;mlich in
Gemeinschaft mit den &uuml;brigen Mitgliedern des italienischen Nationalkomitees jetzt von London
aus die Anleihe von 10 Mill. frs., die die r&ouml;mische Konstituante bewilligt hatte, in Aktien
von 100 frs. ausgeschrieben, und zwar geradezu, um Waffen und Kriegsbedarf anzuschaffen. Es
l&auml;&szlig;t sich nicht leugnen, da&szlig; diese Anleihe mehr Chance hat als die gescheiterte
freiwillige Anleihe der &ouml;streichischen Regierung in der Lombardei. -</p>
<p>Ein wirklich ernsthafter Schlag, den England in der letzten Zeit gegen Rom und &Ouml;streich
gef&uuml;hrt hat, ist sein Handelsvertrag mit Sardinien. Dieser Vertrag sprengt das
&ouml;streichische Projekt eines italienischen Zollvereins und <a name=
"S445"><b>&lt;445&gt;</b></a> sichert dem englischen Handel und der englischen b&uuml;rgerlichen
Politik ein bedeutendes Terrain in Oberitalien.</p>
<p>Die bisherige Organisation der Chartistenpartei ist ebenfalls in der Aufl&ouml;sung begriffen.
Die Kleinb&uuml;rger, die sich noch in der Partei befinden, verbunden mit der Aristokratie der
Arbeiter, bilden eine rein demokratische Fraktion, deren Programm sich auf die Volkscharte und
einige andre kleinb&uuml;rgerliche Reformen beschr&auml;nkt. Die Masse der in wirklich
proletarischen Verh&auml;ltnissen lebenden Arbeiter geh&ouml;rt der revolution&auml;ren
Chartistenfraktion an. An der Spitze der ersten steht Feargus <i>O'Connor</i>, an der Spitze der
zweiten Julian <i>Harney</i> und Ernest <i>Jones</i>. Der alte O'Connor, ein irischer Squire und
angeblicher Abk&ouml;mmling der alten K&ouml;nige von Munster, ist trotz seiner Abstammung und
seiner politischen Richtung ein echter Repr&auml;sentant von Altengland. Er ist seiner ganzen
Natur nach konservativ und hat einen h&ouml;chst determinierten Ha&szlig; sowohl gegen den
industriellen Fortschritt wie gegen die Revolution. Seine s&auml;mtlichen Ideale sind durch und
durch patriarchalisch-kleinb&uuml;rgerlich. Er vereinigt in sich eine unaussprechliche Menge von
Widerspr&uuml;chen, die in einem gewissen platten common sense &lt;gesunden Menschenverstand&gt;
ihre Erledigung und Harmonie finden und die ihn eben bef&auml;higen, jahraus, jahrein seine
w&ouml;chentlichen ellenlangen Briefe im "Northern Star" zu schreiben, von denen immer der
n&auml;chste mit dem vorhergehenden in offenem Hader liegt. Gerade deswegen behauptet O'Connor
auch, der konsequenteste Mann in den drei Reichen zu sein und alle Ereignisse seit zwanzig Jahren
vorhergesagt zu haben. Seine Schultern, seine br&uuml;llende Stimme, seine enorme
Geschicklichkeit im Boxen, mit der er einmal den Nottinghamer Markt gegen mehr als zwanzigtausend
Menschen behauptet haben soll - alles das geh&ouml;rt wesentlich zu dem Repr&auml;sentanten
Altenglands. Es ist klar, da&szlig; ein Mann wie O'Connor in einer revolution&auml;ren Bewegung
ein gro&szlig;es Hindernis sein mu&szlig;; aber solche Leute dienen eben dazu, da&szlig; mit
ihnen und an ihnen eine Menge von alteingewurzelten Vorurteilen sich abarbeiten und da&szlig; die
Bewegung, wenn sie diese Leute schlie&szlig;lich &uuml;berwindet, auch die von ihnen
repr&auml;sentierten Vorurteile ein f&uuml;r allemal los ist. O'Connor wird in der Bewegung
zugrunde gehn, aber er wird darum ebensosehr auf den Titel eines "M&auml;rtyrers der guten Sache"
Anspruch machen k&ouml;nnen wie die Herren Lamartine und Marrast.</p>
<p>Der Hauptkollisionspunkt der beiden Chartistenfraktionen ist die Landfrage. O'Connor und seine
Partei wollen die Charte dazu benutzen, einen Teil der Arbeiter auf kleinen Parzellen Land
unterzubringen und schlie&szlig;lich die Parzellierung in England allgemein zu machen. Man
wei&szlig;, wie sein Ver- <a name="S446"><b>&lt;446&gt;</b></a> such, diese Parzellierung durch
eine Aktiengesellschaft im Kleinen einzurichten, gescheitert ist. Die Tendenz jeder
b&uuml;rgerlichen Revolution: das gro&szlig;e Grundeigentum zu zerschlagen, konnte den englischen
Arbeitern diese Parzellierung eine Zeitlang als etwas Revolution&auml;res erscheinen lassen,
obwohl sie regelm&auml;&szlig;ig erg&auml;nzt wird durch die unfehlbare Tendenz des kleinen
Eigentums, sich zu konzentrieren und vor der gro&szlig;en Agrikultur zugrunde zu gehn. Die
revolution&auml;re Fraktion der Chartisten h&auml;lt dieser Forderung der Parzellierung die
Forderung der Konfiskation des gesamten Grundeigentums entgegen und verlangt, da&szlig; es nicht
verteilt werden, sondern Nationaleigentum bleiben soll.</p>
<p>Trotz dieser Spaltung und der Aufstellung extremerer Forderungen ist den Chartisten doch aus
der Erinnerung an die Umst&auml;nde, unter denen die Abschaffung der Korngesetze durchging, die
Ahnung geblieben, da&szlig; sie in der n&auml;chsten Krise wieder mit den industriellen
Bourgeois, den Finanzreformern zusammengehn und diesen ihre Feinde niederschlagen helfen,
daf&uuml;r sich aber Konzessionen von ihnen erzwingen m&uuml;ssen. Dies wird allerdings die
Stellung der Chartisten in der bevorstehenden Krise sein. Die eigentliche revolution&auml;re
Bewegung kann in England erst anfangen, wenn die Charte durchgesetzt ist, gerade wie in
Frankreich die Junischlacht erst m&ouml;glich wurde, als die Republik erobert war.</p>
<p>Gehen wir nun nach <i>Frankreich</i> &uuml;ber.</p>
<p>Der Sieg, den das Volk in Verbindung mit den Kleinb&uuml;rgern in den Wahlen vom 10. M&auml;rz
errungen hatte, wurde von ihm selbst annulliert, indem es die neue Wahl vom 28. April
provozierte. Vidal war, au&szlig;er in Paris, auch im Niederrhein gew&auml;hlt. Das Pariser
Komitee, in dem die Montagne und die Kleinb&uuml;rgerschaft stark vertreten waren,
veranla&szlig;te ihn, f&uuml;r den Niederrhein zu akzeptieren. Der Sieg vom 10. M&auml;rz
h&ouml;rte auf ein entscheidender zu sein; der Termin der Entscheidung wurde abermals
hinausgeschoben, die Spannkraft des Volks wurde erschlafft, es wurde an legale Triumphe
gew&ouml;hnt statt der revolution&auml;ren. Der revolution&auml;re Sinn des 10. M&auml;rz, die
Rehabilitierung der Juniinsurrektion, wurde endlich vollst&auml;ndig vernichtet durch die
Kandidatur Eug&egrave;ne Sues, des sentimental-kleinb&uuml;rgerlichen Sozialphantasten, die das
Proletariat h&ouml;chstens als einen Witz, den Grisetten zu Gefallen akzeptieren konnte. Dieser
wohlmeinenden Kandidatur gegen&uuml;ber stellte die Ordnungspartei, k&uuml;hner geworden durch
die schwankende Politik der Gegner, einen Kandidaten auf, der den <i>Junisieg</i>
repr&auml;sentieren sollte. Dieser komische Kandidat war der spartanische Familienvater Leclerc,
dem indes die heroische R&uuml;stung durch die Presse St&uuml;ck f&uuml;r St&uuml;ck vom Leibe
gerissen wurde und der bei der Wahl auch eine gl&auml;nzende Niederlage erlebte. Der neue
Wahlsieg <a name="S447"><b>&lt;447&gt;</b></a> am 25. April machte die Montagne und die
Kleinb&uuml;rgerschaft &uuml;berm&uuml;tig. Sie frohlockte schon in dem Gedanken, auf rein
legalem Wege und ohne durch eine neue Revolution das Proletariat wieder in den Vordergrund zu
schieben, am Ziel ihrer W&uuml;nsche ankommen zu k&ouml;nnen; sie rechnete fest darauf, bei den
neuen Wahlen von 1852 durch das allgemeine Stimmrecht Herrn Ledru-Rollin in den
Pr&auml;sidentenstuhl und eine Majorit&auml;t von Montagnards in die Versammlung zu bringen. Die
Ordnungspartei, durch die Erneuerung der Wahl, durch die Kandidatur Sues und durch die Stimmung
der Montagne und Kleinb&uuml;rgerschaft vollkommen sichergestellt, da&szlig; diese unter allen
Umst&auml;nden entschlossen seien, ruhig zu bleiben, antwortete auf die beiden Wahlsiege mit dem
<i>Wahlgesetz</i>, das das allgemeine Stimmrecht abschaffte.</p>
<p>Die Regierung h&uuml;tete sich wohl, diesen Gesetzvorschlag auf ihre eigne Verantwortlichkeit
hin zu machen. Sie machte der Majorit&auml;t eine scheinbare Konzession, indem sie den
Gro&szlig;w&uuml;rdentr&auml;gern dieser Majorit&auml;t, den siebzehn Burggrafen, seine
Ausarbeitung &uuml;bertrug. Nicht die Regierung schlug also der Versammlung, die Majorit&auml;t
der Versammlung schlug sich selbst die Aufhebung des allgemeinen Stimmrechts vor.</p>
<p>Am 8. Mai wurde das Projekt in die Kammer gebracht. Die ganze sozial-demokratische Presse
erhob sich wie ein Mann, um dem Volk w&uuml;rdevolle Haltung, calme majestueux
&lt;majest&auml;tische Ruhe&gt;, Passivit&auml;t und Vertrauen auf seine Vertreter zu predigen.
Jeder Artikel dieser Journale war ein Gest&auml;ndnis, da&szlig; eine Revolution vor allem die
sog. revolution&auml;re Presse vernichten m&uuml;sse und da&szlig; es sich also jetzt um ihre
Selbsterhaltung handle. Die angeblich revolution&auml;re Presse verriet ihr ganzes Geheimnis. Sie
unterzeichnete ihr eignes Todesurteil.</p>
<p>Am 21. Mai brachte die Montagne die vorl&auml;ufige Frage zur Debatte und trug auf Verwerfung
des ganzen Projekts an, weil es die Verfassung verletze. Die Ordnungspartei antwortete, man werde
die Verfassung verletzen, wenn es n&ouml;tig sei, man brauche es jetzt indes nicht, weil die
Verfassung jeder Deutung f&auml;hig sei und weil die Majorit&auml;t &uuml;ber die richtige
Deutung allein kompetent entscheide. Den z&uuml;gellos wilden Angriffen von Thiers und
Montalembert setzte die Montagne einen anst&auml;ndigen und gebildeten Humanismus entgegen. Sie
berief sich auf den Rechtsboden; die Ordnungspartei verwies sie auf den Boden, worauf das Recht
w&auml;chst, auf das b&uuml;rgerliche Eigentum. Die Montagne wimmerte: Ob man denn wirklich mit
aller Gewalt Revolutionen heraufbeschw&ouml;ren wolle? Die Ordnungspartei erwiderte: Man werde
sie abwarten.</p>
<p>Am 22. Mai wurde die vorl&auml;ufige Frage erledigt mit 462 gegen 227 Stimmen. Dieselben
M&auml;nner, die mit so feierlicher Gr&uuml;ndlichkeit bewiesen hatten, <a name=
"S448"><b>&lt;448&gt;</b></a> da&szlig; die Nationalversammlung und jeder einzelne Deputierte
abdanke, wenn er das Volk, seinen Vollmachtgeber, abdanke, harrten auf ihren Sitzen aus, suchten
nun pl&ouml;tzlich statt ihrer das Land, und zwar durch Petitionen, handeln zu lassen und
sa&szlig;en noch unger&uuml;hrt da, als am 31. Mai das Gesetz gl&auml;nzend durchging. Sie
suchten sich zu r&auml;chen durch einen Protest, worin sie ihre Unschuld an der Notzucht der
Konstitution zu Protokoll gaben, einen Protest, den sie nicht einmal offen niederlegten, sondern
dem Pr&auml;sidenten hinterr&uuml;cks in die Tasche schmuggelten.</p>
<p>Eine Armee von 150.000 Mann in Paris, die lange Verschleppung der Entscheidung, die
Abwiegelung der Presse, die Kleinm&uuml;tigkeit der Montagne und der neugew&auml;hlten
Repr&auml;sentanten, die majest&auml;tische Ruhe der Kleinb&uuml;rger, vor allem aber die
kommerzielle und industrielle Prosperit&auml;t verhinderten jeden Revolutionsversuch von seiten
des Proletariats.</p>
<p>Das allgemeine Wahlrecht hatte seine Mission erf&uuml;llt. Die Majorit&auml;t des Volks hatte
die Entwicklungsschule durchgemacht, zu der es allein in einer revolution&auml;ren Epoche dienen
kann. Es mu&szlig;te beseitigt werden durch eine Revolution oder durch die Reaktion</p>
<p>Einen noch gr&ouml;&szlig;eren Aufwand von Energie entwickelte die Montagne bei einer bald
darauf vorkommenden Gelegenheit. Der Kriegsminister d'Hautpoul hatte von der Trib&uuml;ne herab
die Februarrevolution eine unheilvolle Katastrophe genannt. Die Redner der Montagne, die, wie
immer, sich durch sittlich entr&uuml;stetes Gepolter auszeichneten, wurden vom Pr&auml;sidenten
Dupin nicht zum Wort zugelassen. Girardin schlug der Montagne vor, sofort in Masse auszutreten.
Resultat: Die Montagne blieb sitzen, aber Girardin wurde als unw&uuml;rdig aus ihrem Scho&szlig;
hinausgeworfen.</p>
<p>Das Wahlgesetz bedurfte noch einer Vervollst&auml;ndigung, eines neuen
<i>Pre&szlig;gesetzes</i>. Dies lie&szlig; nicht lange auf sich warten. Ein Vorschlag der
Regierung, vielfach versch&auml;rft durch Amendements der Ordnungspartei, erh&ouml;hte die
Kautionen, setzte einen Extrastempel auf die Feuilletonromane (Antwort auf die Wahl von
Eug&egrave;ne Sue), besteuerte alle in w&ouml;chentlichen oder monatlichen Lieferungen
erscheinenden Schriften bis zu einer gewissen Bogenzahl und verf&uuml;gte schlie&szlig;lich,
da&szlig; jeder Artikel eines Journals mit der Unterschrift des Verfassers versehen sein
m&uuml;sse. Die Bestimmungen &uuml;ber die Kaution t&ouml;teten die sog. revolution&auml;re
Presse; das Volk betrachtete ihren Untergang als eine Genugtuung f&uuml;r die Abschaffung des
allgemeinen Wahlrechts. Indes erstreckte sich weder die Tendenz noch die Wirkung des neuen
Gesetzes allein auf diesen Teil der Presse. Solange die Zeitungspresse anonym war, erschien sie
als Organ der zahl- und namenlosen &ouml;ffentlichen Meinung; sie war die dritte Macht im Staate.
Durch die Unterzeichnung jedes Artikels wurde eine Zei- <a name="S449"><b>&lt;449&gt;</b></a>
tung zu einer blo&szlig;en Sammlung von schriftstellerischen Beitr&auml;gen mehr oder minder
bekannter Individuen. Jeder Artikel sank zu einer Annonce herab. Bisher hatten die Zeitungen als
das Papiergeld der &ouml;ffentlichen Meinung zirkuliert; jetzt l&ouml;sten sie sich auf in mehr
oder minder schlechte Solawechsel, deren G&uuml;te und Zirkulation von dem Kredit nicht nur des
Ausstellers, sondern auch des Indossenten abhing. Die Presse der Ordnungspartei hatte, wie zur
Aufhebung des allgemeinen Wahlrechts, so auch zu den &auml;u&szlig;ersten Ma&szlig;regeln gegen
die schlechte Presse provoziert. Indes war die gute Presse selbst in ihrer unheimlichen
Anonymit&auml;t der Ordnungspartei und noch mehr ihren einzelnen provinzialen Repr&auml;sentanten
unbequem. Sie verlangte sich gegen&uuml;ber nur noch den bezahlten Schriftsteller mit Namen,
Wohnort und Signalement. Vergebens jammerte die gute Presse &uuml;ber den Undank, mit dem man
ihre Dienste belohne. Das Gesetz ging durch, die Bestimmung der Namennennung traf sie vor allem.
Die Namen der republikanischen Tagesschriftsteller waren ziemlich bekannt; aber die respektablen
Firmen des "Journals des D&eacute;bats", der "Assembl&eacute;e Nationale", des "Constitutionnel"
etc. etc. machten eine j&auml;mmerliche Figur mit ihrer hochbeteuernden Staatsweisheit, als sich
die mysteri&ouml;se Kompanie auf einmal zersetzte in k&auml;ufliche Penny-a-liners
&lt;Zeilenschinders&gt; von langer Praxis, die f&uuml;r bares Geld alle m&ouml;glichen Sachen
verteidigt hatten, wie Granier de Cassagnac, oder in alte Waschlappen, die sich selbst
Staatsm&auml;nner nannten, wie Capefigue, oder in kokettierende Nu&szlig;knacker, wie Herr
Lemoinne vom "D&eacute;bats".</p>
<p>In der Debatte &uuml;ber das Pre&szlig;gesetz war die Montagne bereits auf einen solchen Grad
moralischer Verkommenheit herabgesunken, da&szlig; sie sich darauf beschr&auml;nken mu&szlig;te,
den gl&auml;nzenden Tiraden einer alten louis-philippistischen Notabilit&auml;t, des Herrn Victor
Hugo, Beifall zuzuklatschen.</p>
<p>Mit dem Wahlgesetz und dem Pre&szlig;gesetz tritt die revolution&auml;re und demokratische
Partei von der offiziellen Schaub&uuml;hne ab. Vor ihrem Aufbruch nach Hause, kurz nach
Schlu&szlig; der Session, erlie&szlig;en die beiden Fraktionen der Montagne, die sozialistischen
Demokraten und die demokratischen Sozialisten, zwei Manifeste, zwei testimonia paupertatis
&lt;Armutszeugnis&gt;, worin sie bewiesen, da&szlig;, wenn nie die Gewalt und der Erfolg auf
ihrer Seite, sie sich doch stets auf der Seite des ewigen Rechts und aller &uuml;brigen ewigen
Wahrheiten befunden h&auml;tten.</p>
<p>Betrachten wir nun die Partei der Ordnung. Die "N. Rh. Z." sagte <a href=
"me07_064.htm#S76">Heft 3, pag. 16</a>: "Den Restaurationsgel&uuml;sten der vereinigten
Orleanisten und Legitimisten gegen&uuml;ber vertritt Bonaparte den Titel seiner
tats&auml;chlichen Macht: <a name="S451"></a><a name="S450"><b>&lt;450&gt;</b></a> die Republik.
Den Restaurationsgel&uuml;sten Bonapartes gegen&uuml;ber vertritt die Partei der Ordnung den
Titel ihrer gemeinsamen Herrschaft: die Republik. Den Orleanisten gegen&uuml;ber vertreten die
Legitimisten, den Legitimisten gegen&uuml;ber vertreten die Orleanisten den Status quo: die
Republik. Alle diese Fraktionen der Ordnungspartei, deren jede ihren eignen K&ouml;nig und ihre
eigne Restauration in petto hat, machen wechselseitig den Usurpations- und Erhebungsgel&uuml;sten
ihrer Rivalen gegen&uuml;ber die gemeinsame Herrschaft der Bourgeoisie, die Form geltend, worin
die besondern Anspr&uuml;che neutralisiert und vorbehalten bleiben: die Republik ... Und Thiers
sprach wahrer als er ahnt, wenn er sagte: 'Wir, die Royalisten, sind die wahren St&uuml;tzen der
konstitutionellen Republik."'</p>
<p>Diese Kom&ouml;die der r&eacute;publicains malgr&eacute; eux &lt;Republikaner wider
Willen&gt;, der Widerwille gegen den Status quo und die best&auml;ndige Befestigung desselben;
die unaufh&ouml;rlichen Reibungen Bonapartes und der Nationalversammlung; die stets erneuerte
Drohung der Ordnungspartei, sich in ihre einzelnen Bestandteile zu sondern, und das stets
wiederholte Zusammenschlie&szlig;en ihrer Fraktionen; der Versuch jeder Fraktion, jeden Sieg
gegen den gemeinsamen Feind in eine Niederlage der zeitweiligen Alliierten zu verwandeln; die
wechselseitige Eifers&uuml;chtelei, Rank&uuml;ne, Abhetzung, das unerm&uuml;dliche Ziehen der
Schwerter, das immer wieder mit einem baiser-Lamourette endigt - diese ganze unerquickliche
Kom&ouml;die der Irrungen entwickelte sich nie klassischer als w&auml;hrend der letzten sechs
Monate.</p>
<p>Die Partei der Ordnung betrachtete das Wahlgesetz zugleich als einen Sieg gegen Bonaparte.
Hatte die Regierung nicht abgedankt, indem sie der Siebzehnerkommission die Redaktion und die
Verantwortlichkeit ihres eignen Vorschlags &uuml;berlie&szlig;? Und beruhte nicht die
Hauptst&auml;rke Bonapartes gegen&uuml;ber der Versammlung darauf, da&szlig; er der Erw&auml;hlte
der sechs Millionen war? - Bonaparte seinerseits behandelte das Wahlgesetz als eine Konzession an
die Versammlung, womit er die Harmonie der legislativen mit der exekutiven Gewalt erkauft habe.
Zum Lohn verlangte der gemeine Aventurier eine Vermehrung seiner Zivilliste um drei Millionen.
Durfte die Nationalversammlung in einen Konflikt mit der Exekutiven treten in einem Augenblick,
wo sie die gro&szlig;e Majorit&auml;t der Franzosen in den Bann erkl&auml;rt hatte? Sie fuhr
&auml;rgerlich auf, sie schien es auf das &Auml;u&szlig;erste treiben zu wollen, ihre Kommission
verwarf den Antrag, die bonapartistische Presse drohte und verwies auf das enterbte, seines
Stimmenrechts beraubte Volk, eine Menge ger&auml;uschvoller Transaktionsversuche fanden statt,
und die Versammlung gab schlie&szlig;lich <b>&lt;451&gt;</b> nach in der Sache, r&auml;chte sich
aber zugleich im Prinzip. Statt der j&auml;hrlichen prinzipiellen Vermehrung der Zivilliste um
drei Millionen bewilligte sie ihm eine Aush&uuml;lfe von 2.160.000 frs. Nicht zufrieden damit,
machte sie selbst erst diese Konzession, nachdem Changarnier sie unterst&uuml;tzt hatte, der
General der Ordnungspartei und der aufgedrungene Protektor Bonapartes. Sie bewilligte also die 2
Millionen eigentlich nicht dem Bonaparte, sondern dem Changarnier.</p>
<p>Dies de mauvaise gr&acirc;ce &lt;widerstrebend&gt; hingeworfene Geschenk wurde von Bonaparte
ganz im Sinne des Gebers aufgenommen. Die bonapartistische Presse polterte von neuem gegen die
Nationalversammlung. Als nun erst bei der Debatte des Pre&szlig;gesetzes das Amendement wegen der
Namennennung gemacht wurde, das sich wieder speziell gegen die untergeordneten Bl&auml;tter, die
Vertreter der Privatinteressen Bonapartes richtete, brachte das bonapartistische Hauptblatt, das
"Pouvoir", einen offnen und heftigen Angriff gegen die Nationalversammlung. Die Minister
mu&szlig;ten das Blatt vor der Nationalversammlung verleugnen; der Gerant des "Pouvoir" wurde vor
die Schranken der Nationalversammlung zitiert und zur h&ouml;chsten Geldstrafe, zu 5.000 frs.
verurteilt. Den andern Tag brachte das "Pouvoir" einen noch viel frecheren Artikel gegen die
Versammlung, und als Revanche der Regierung verfolgte das Parkett sogleich mehrere
legitimistische Journale wegen Verletzung der Konstitution.</p>
<p>Endlich kam man an die Frage von der Vertagung der Kammer. Bonaparte w&uuml;nschte sie, um
ungehindert von der Versammlung operieren zu k&ouml;nnen. Die Ordnungspartei w&uuml;nschte sie,
teils zur Durchf&uuml;hrung ihrer Fraktionsintrigen, teils zur Verfolgung der Privatinteressen
der einzelnen Deputierten. Beide bedurften ihrer, um in den Provinzen die Siege der Reaktion zu
befestigen und weiterzutreiben. Die Versammlung vertagte sich daher vom 11. August bis zum 11.
November. Da aber Bonaparte keineswegs verhehlte, da&szlig; es ihm nur darum zu tun sei, die
l&auml;stige Aufsicht der Nationalversammlung loszuwerden, dr&uuml;ckte die Versammlung dem
Vertrauensvotum selbst den Stempel des Mi&szlig;trauens gegen den Pr&auml;sidenten auf. Von der
permanenten Kommission von 28 Mitgliedern, die als Tugendw&auml;chter der Republik w&auml;hrend
der Ferien ausharrten, wurden alle Bonapartisten ferngehalten. Statt ihrer wurden sogar einige
Republikaner vom "Si&eacute;cle" und "National" hineingew&auml;hlt, um dem Pr&auml;sidenten die
Anh&auml;nglichkeit der Majorit&auml;t an die konstitutionelle Republik darzutun.</p>
<p>Kurz vor und besonders unmittelbar nach der Vertagung der Kammer schienen die beiden
gro&szlig;en Fraktionen der Ordnungspartei, die Orleanisten <a name="S452"><b>&lt;452&gt;</b></a>
und die Legitimisten, sich vers&ouml;hnen zu wollen, und zwar durch eine Verschmelzung der beiden
K&ouml;nigsh&auml;user, unter deren Fahnen sie k&auml;mpfen. Die Bl&auml;tter waren voll von
Vers&ouml;hnungsvorschl&auml;gen, die am Krankenbett Louis-Philippes zu St. Leonards diskutiert
worden seien, als der Tod Louis-Philippes pl&ouml;tzlich die Situation vereinfachte.
Louis-Philippe war der Usurpator, Heinrich V. der Beraubte, der Graf von Paris dagegen, bei der
Kinderlosigkeit Heinrichs V., sein rechtm&auml;&szlig;iger Thronerbe. Jetzt war der Verschmelzung
der beiden dynastischen Interessen jeder Vorwand genommen. Gerade jetzt aber entdeckten die
beiden Fraktionen der Bourgeoisie erst, da&szlig; nicht die Schw&auml;rmerei f&uuml;r ein
bestimmtes K&ouml;nigshaus sie trennte, sondern da&szlig; vielmehr ihre getrennten
Klasseninteressen die beiden Dynastien auseinanderhielten. Die Legitimisten, die ins Hoflager
Heinrichs V. nach Wiesbaden gepilgert waren, gerade wie ihre Konkurrenten nach St. Leonards,
erhielten hier die Nachricht vom Tode Louis-Philippes. Sogleich bildeten sie ein Ministerium in
partibus infidelium, das meist aus Mitgliedern jener Kommission von Tugendw&auml;chtern der
Republik bestand und das bei Gelegenheit eines im Scho&szlig; der Partei vorkommenden Haders mit
der unumwundensten Proklamation des Rechts von Gottes Gnaden hervortrat. Die Orleanisten jubelten
&uuml;ber den kompromittierenden Skandal, den dies Manifest in der Presse hervorrief, und
verhehlten keinen Augenblick ihre offne Feindschaft gegen die Legitimisten.</p>
<p>W&auml;hrend der Vertagung der Nationalversammlung traten die Departementalvertretungen
zusammen. Ihre Majorit&auml;t sprach sich f&uuml;r eine mehr oder weniger verklausulierte
Revision der Verfassung aus, d.h., sie sprach sich aus f&uuml;r eine nicht n&auml;her bestimmte
monarchische Restauration, f&uuml;r eine <i>"L&ouml;sung"</i>, und gestand zugleich, da&szlig;
sie zu inkompetent und zu feig sei, diese Losung zu finden. Die bonapartistische Fraktion legte
diesen Wunsch der Revision sogleich im Sinne der Verl&auml;ngerung der Pr&auml;sidentschaft
Bonapartes aus.</p>
<p>Die verfassungsm&auml;&szlig;ige L&ouml;sung, die Abdankung Bonapartes im Mai 1852, die
gleichzeitige Wahl eines neuen Pr&auml;sidenten durch s&auml;mtliche W&auml;hler des Landes, die
Revision der Verfassung durch eine Revisionskammer in den ersten Monaten der neuen
Pr&auml;sidentschaft ist f&uuml;r die herrschende Klasse durchaus unzul&auml;ssig. Der Tag der
neuen Pr&auml;sidentenwahl w&auml;re der Tag des Rendezvous f&uuml;r s&auml;mtliche feindliche
Parteien, der Legitimisten, der Orleanisten, der Bourgeoisrepublikaner, der Revolution&auml;re.
Es m&uuml;&szlig;te zu einer gewaltsamen Entscheidung zwischen den verschiedenen Fraktionen
kommen. Gel&auml;nge es selbst der Ordnungspartei, &uuml;ber die Kandidatur eines neutralen
Mannes au&szlig;erhalb der dynastischen Familien sich zu vereinigen, so tr&auml;te ihm wieder
Bonaparte gegen&uuml;ber. Die Ordnungspartei ist in ihrem Kampf mit <a name=
"S453"><b>&lt;453&gt;</b></a> dem Volk gen&ouml;tigt, best&auml;ndig die Gewalt der Exekutive zu
vermehren. Jede Vermehrung der Gewalt der Exekutive vermehrt die Gewalt ihres Tr&auml;gers
Bonaparte. In demselben Ma&szlig; daher, wie die Ordnungspartei ihre gemeinsame Macht
verst&auml;rkt, verst&auml;rkt sie die Kampfmittel der dynastischen Pr&auml;tensionen Bonapartes,
verst&auml;rkt sie seine Chance, am Tage der Entscheidung gewaltsam die konstitutionelle
L&ouml;sung zu vereiteln. Er wird sich dann ebensowenig der Ordnungspartei gegen&uuml;ber an dem
einen Grundpfeiler der Verfassung sto&szlig;en, als sie dem Volk gegen&uuml;ber beim Wahlgesetz
an dem andern. Er w&uuml;rde scheinbar sogar der Versammlung gegen&uuml;ber an das allgemeine
Wahlrecht appellieren. Mit einem Wort, die konstitutionelle L&ouml;sung stellt den ganzen
politischen Status quo in Frage, und hinter der Gef&auml;hrdung des Status quo sieht der
B&uuml;rger das Chaos, die Anarchie, den B&uuml;rgerkrieg. Er sieht seine Eink&auml;ufe und
Verk&auml;ufe, seine Wechsel, seine Heiraten, seine notariellen Vertr&auml;ge, seine Hypotheken,
seine Grundrenten, Mietzinse, Profite, seine s&auml;mtlichen Kontrakte und Erwerbsquellen auf den
ersten Sonntag im Mai 1852 in Frage gestellt, und diesem Risiko kann er sich nicht aussetzen.
Hinter der Gef&auml;hrdung des politischen Status quo verbirgt sich die Gefahr des
Zusammenbrechens der ganzen b&uuml;rgerlichen Gesellschaft. Die einzig m&ouml;gliche L&ouml;sung
im Sinne der Bourgeoisie ist die Aufschiebung der L&ouml;sung. Sie kann die konstitutionelle
Republik nur retten durch eine Verletzung der Konstitution, durch die Verl&auml;ngerung der
Gewalt des Pr&auml;sidenten. Dies ist auch das letzte Wort der Ordnungspresse nach den
langwierigen und tiefsinnigen Debatten &uuml;ber die "L&ouml;sungen", denen sie sich nach der
Session der Generalr&auml;te hingab. Die gro&szlig;m&auml;chtige Ordnungspartei sieht sich so zu
ihrer Besch&auml;mung gen&ouml;tigt, die l&auml;cherliche, ordin&auml;re und ihr verha&szlig;te
Person des Pseudo-Benaparte ernsthaft zu nehmen.</p>
<p>Diese schmutzige Figur t&auml;uschte sich ebenfalls &uuml;ber die Ursachen, die sie mehr und
mehr mit dem Charakter des notwendigen Mannes bekleideten. W&auml;hrend seine Partei Einsicht
genug hatte, die wachsende Bedeutung Bonapartes den Verh&auml;ltnissen zuzuschreiben, glaubte er,
sie allein der Zauberkraft seines Namens und seiner ununterbrochenen Karikierung Napoleons zu
verdanken. Er wurde t&auml;glich unternehmender. Den Wallfahrten nach St. Leonards und Wiesbaden
setzte er seine Rundreisen durch Frankreich entgegen. Die Bonapartisten hatten so wenig Vertrauen
auf den magischen Effekt seiner Pers&ouml;nlichkeit, da&szlig; sie ihm &uuml;berall Leute der
Gesellschaft vom 10. Dezember, dieser Organisation des Pariser Lumpenproletariats, massenweise in
Eisenbahnz&uuml;ge und Postchaisen verpackt, als Claqueure mitschickten. Sie legten ihrer
Marionette Reden in den Mund, die je nach dem Empfang in den verschiednen St&auml;dten die
republikanische Resignation oder die ausdauernde <a name="S454"><b>&lt;454&gt;</b></a>
Z&auml;higkeit als den Wahlspruch der pr&auml;sidentiellen Politik proklamierten. Trotz aller
Man&ouml;ver waren diese Reisen nichts weniger als Triumphz&uuml;ge.</p>
<p>Nachdem Bonaparte so das Volk begeistert zu haben glaubte, setzte er sich in Bewegung, die
Armee zu gewinnen. Er lie&szlig; auf der Ebene von Satory bei Versailles gro&szlig;e Revuen
abhalten, bei denen er die Soldaten durch Knoblauchsw&uuml;rste, Champagner und Zigarren zu
kaufen suchte. Wenn der echte Napoleon in den Strapazen seiner Eroberungsz&uuml;ge seine
ermatteten Soldaten durch momentane patriarchalische Vertraulichkeit aufzumuntern wu&szlig;te, so
glaubte der Pseudo-Napoleon, die Truppen riefen zum Dank: Vive Napoleon, vive le saucisson!
&lt;Es lebe Napoleon, es lebe die Wurst!&gt; d.h.: Es lebe die Wurst, es lebe der Hanswurst!</p>
<p>Diese Revuen brachten den lange verhaltenen Zwiespalt zwischen Bonaparte und seinem
Kriegsminister d'Hautpoul einerseits und Changarnier andrerseits zum Ausbruch. In Changarnier
hatte die Ordnungspartei ihren wirklichen neutralen Mann gefunden, bei dem von eignen
dynastischen Anspr&uuml;chen keine Rede sein konnte. Ihn hatte sie zum Nachfolger Bonapartes
bestimmt. Changarnier war dazu durch sein Auftreten am 29. Januar und 13. Juni 1849 der
gro&szlig;e Feldherr der Ordnungspartei geworden, der moderne Alexander, dessen brutales
Dazwischenfahren in den Augen des zaghaften B&uuml;rgers den gordischen Knoten der Revolution
zerhauen hatte. Im Grunde ebenso l&auml;cherlich wie Bonaparte, war er so auf h&ouml;chst
wohlfeile Weise zu einer Macht geworden und wurde von der Nationalversammlung dem
Pr&auml;sidenten zur &Uuml;berwachung gegen&uuml;bergestellt. Er selbst kokettierte, z.B. bei der
Dotationsfrage, mit der Protektion, die er Bonaparte schenkte, und trat immer
&uuml;berm&auml;chtiger gegen ihn und die Minister auf. Als bei Gelegenheit des Wahlgesetzes eine
Insurrektion erwartet wurde, verbot er seinen Offizieren, vom Kriegsminister oder vom
Pr&auml;sidenten irgendwelche Befehle anzunehmen. Die Presse trug noch dazu bei, die Gestalt
Changarniers zu vergr&ouml;&szlig;ern. Bei dem g&auml;nzlichen Mangel an gro&szlig;en
Pers&ouml;nlichkeiten sah sich nat&uuml;rlich die Ordnungspartei gedrungen, die ihrer ganzen
Klasse fehlende Kraft einem einzelnen Individuum anzudichten und dies so zum Ungeheuren
aufzuschwellen. So entstand der Mythus von Changarnier, dem <i>"Bollwerk der Gesellschaft"</i>.
Die anma&szlig;ende Scharlatanerie, die geheimnisvolle Wichtigtuerei, womit Changarnier sich dazu
herablie&szlig;, die Welt auf seinen Schultern zu tragen, bildet den l&auml;cherlichsten Kontrast
mit den Ereignissen w&auml;hrend und nach der Revue von Satory, die unwiderleglich bewiesen,
da&szlig; es nur eines Federstrichs Bonapartes, des unendlich Kleinen, bed&uuml;rfe, um diese
phantastische Ausgeburt der b&uuml;rgerlichen Angst, um den Kolo&szlig; Changarnier auf die
Dimen- <a name="S455"><b>&lt;455&gt;</b></a> sionen der Mittelm&auml;&szlig;igkeit
zur&uuml;ckzuf&uuml;hren und ihn, den gesellschaftsrettenden Heros, in einen pensionierten
General zu verwandeln.</p>
<p>Bonaparte hatte sich schon seit l&auml;ngerer Zeit an Changarnier ger&auml;cht, indem er den
Kriegsminister zu Disziplinarstreitigkeiten mit dem unbequemen Protektor provozierte. Die letzte
Revue bei Satory brachte endlich den alten Groll zum Eklat. Die konstitutionelle Entr&uuml;stung
Changarniers kannte keine Grenze mehr, als er die Kavallerieregimenter mit dem
verfassungswidrigen Ruf: Vive l'Empereur! &lt;Es lebe der Kaiser!&gt; vorbeidefilieren sah.
Bonaparte, um allen unangenehmen Debatten &uuml;ber diesen Ruf in der bevorstehenden
Kammersession zuvorzukommen, entfernte den Kriegsminister d'Hautpoul, indem er ihn zum Gouverneur
von Algier ernannte. An seine Stelle setzte er einen zuverl&auml;ssigen alten General aus der
Kaiserzeit, der an Brutalit&auml;t Changarnier vollst&auml;ndig gewachsen war. Damit aber die
Entlassung d'Hautpouls nicht als eine Konzession an Changarnier erscheine, versetzte er zu
gleicher Zeit den rechten Arm des gro&szlig;en Gesellschaftsretters, den General Neumayer, von
Paris nach Nantes. Neumayer war es gewesen, der bei der letzten Revue die gesamte Infanterie
bewogen hatte; mit eisigem Stillschweigen an dem Nachfolger Napoleons vorbeizudefilieren.
Changarnier, in Neumayer selbst getroffen, protestierte und drohte. Umsonst. Nach
zweit&auml;gigen Verhandlungen erschien das Versetzungsdekret Neumayers im "Moniteur" und dem
Heros der Ordnung blieb nichts &uuml;brig, als sich der Disziplin zu f&uuml;gen oder
abzudanken.</p>
<p>Der Kampf Bonapartes mit Changarnier ist die Fortsetzung seines Kampfs mit der Partei der
Ordnung. Die Wiederer&ouml;ffnung der Nationalversammlung am 11. November findet daher unter
drohenden Auspizien statt. Es wird der Sturm im Glase Wasser sein. Im wesentlichen mu&szlig; das
alte Spiel fortgehn. Die Majorit&auml;t der Ordnungspartei wird indes trotz des Geschreis der
Prinzipienritter ihrer verschiednen Fraktionen gezwungen sein, die Gewalt des Pr&auml;sidenten zu
verl&auml;ngern. Ebensosehr wird Bonaparte, trotz aller vorl&auml;ufigen Protestationen, schon
durch den Geldmangel geknickt, diese Verl&auml;ngerung der Gewalt als einfache Delegation aus den
H&auml;nden der Nationalversammlung hinnehmen. So wird die L&ouml;sung hinausgeschoben, der
Status quo forterhalten, eine Fraktion der Ordnungspartei von der andern kompromittiert,
geschw&auml;cht, unm&ouml;glich gemacht, die Repression gegen den gemeinsamen Feind, die Masse
der Nation, ausgedehnt und ersch&ouml;pft, bis die &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse selbst
wieder den Entwicklungspunkt erreicht haben, wo eine neue Explosion diese s&auml;mtlichen
hadernden Parteien mit ihrer konstitutionellen Republik in die Luft sprengt.</p>
<p><b><a name="S456">&lt;456&gt;</a></b> Zur Beruhigung des B&uuml;rgers mu&szlig; &uuml;brigens
gesagt werden, da&szlig; der Skandal zwischen Bonaparte und der Ordnungspartei das Resultat hat,
eine Menge kleiner Kapitalisten auf der B&ouml;rse zu ruinieren und ihr Verm&ouml;gen in die
Taschen der gro&szlig;en B&ouml;rsenw&ouml;lfe zu spielen.</p>
<p>In <i>Deutschland</i> res&uuml;mieren sich die politischen Ereignisse der letzten sechs Monate
in dem Schauspiel, wie Preu&szlig;en die Liberalen und wie &Ouml;streich Preu&szlig;en
prellt.</p>
<p>Im Jahr 1849 schien es sich um die Hegemonie Preu&szlig;ens in Deutschland zu handeln; im Jahr
1850 handelte es sich um die Teilung der Gewalt zwischen &Ouml;streich und Preu&szlig;en; im Jahr
1851 handelt es sich nur noch um die Form, in der Preu&szlig;en sich &Ouml;streich unterwirft und
als reuiger S&uuml;nder in den Scho&szlig; des vollst&auml;ndig wiederhergestellten
<i>Bundestags</i> zur&uuml;ckkehrt. Das Kleindeutschland, das der K&ouml;nig von Preu&szlig;en
als Entsch&auml;digung f&uuml;r seinen verungl&uuml;ckten Kaiserzug durch Berlin am 21. M&auml;rz
1848 sich zu erhandeln &lt;In der "Revue": erhalten&gt; hoffte, hat sich in Kleinpreu&szlig;en
verwandelt; Preu&szlig;en hat jede Dem&uuml;tigung geduldig hinnehmen m&uuml;ssen und ist aus der
Reihe der Gro&szlig;m&auml;chte verschwunden. Selbst den bescheidenen Traum der Union hat die
gew&ouml;hnliche perfide Borniertheit seiner Politik wieder in nichts aufgel&ouml;st. Es
schwindelte der Union einen liberalen Charakter an und d&uuml;pierte so die weisen M&auml;nner
der Gothaer Partei durch konstitutionelle Phantasmagorien, mit denen es ihm nie ernst war; und
doch war es selbst durch seine ganze industrielle Entwicklung, sein permanentes Defizit, seine
Staatsschuld so b&uuml;rgerlich geworden, da&szlig; es dem Konstitutionalismus trotz alles
Windens und Str&auml;ubens immer unrettbarer verfiel. Wenn die weisen M&auml;nner von Gotha
zuletzt entdeckten, wie schm&auml;hlich Preu&szlig;en mit ihrer W&uuml;rde und Besonnenheit
umgesprungen war, wenn selbst ein Gagern und ein Br&uuml;ggemann sich endlich mit edler
Entr&uuml;stung von einer Regierung abwandten, die so schn&ouml;des Spiel mit der Einheit und
Freiheit des Vaterlandes trieb, so erlebte Preu&szlig;en keine gr&ouml;&szlig;ere Freude an den
K&uuml;chlein, die es unter seinen sch&uuml;tzenden Fl&uuml;gel versammelt hatte, an den kleinen
F&uuml;rsten. Die Duodezf&uuml;rsten hatten sich nur im Moment der h&ouml;chsten Bedr&auml;ngnis
und Schutzlosigkeit den mediatisationss&uuml;chtigen Krallen des preu&szlig;ischen Adlers
anvertraut; sie hatten die Zur&uuml;ckf&uuml;hrung ihrer Untertanen zum alten Gehorsam durch
preu&szlig;ische Interventionen, Drohungen und Demonstrationen teuer bezahlen m&uuml;ssen mit
knechtenden Milit&auml;rkonventionen, mit kostspieliger Einquartierung, mit der Aussicht auf
baldige Mediatisierung durch die Unionsverfassung. Aber Preu&szlig;en selbst hatte daf&uuml;r
gesorgt, da&szlig; sie dieser neuen Not wieder ent- <a name="S457"><b>&lt;457&gt;</b></a> rennen.
Preu&szlig;en hatte &uuml;berall die Reaktion wieder zur Herrschaft gebracht, und in demselben
Ma&szlig;, als die Reaktion fortschritt, fielen die Duodezf&uuml;rsten von Preu&szlig;en ab, um
sich <i>&Ouml;streich</i> in die Arme zu werfen. Konnten sie wieder in vorm&auml;rzlicher Weise
herrschen, so stand ihnen das absolutistische &Ouml;streich n&auml;her als eine Macht, die
ebensowenig absolutistisch sein konnte als sie liberal sein wollte. Dazu f&uuml;hrte die
&ouml;streichische Politik nicht zur Mediatisierung der kleinen Staaten, sondern im Gegenteil zu
ihrer Aufrechthaltung als integrierende Bestandteile des wiederherzustellenden Bundestags. So
erlebte Preu&szlig;en, da&szlig; Sachsen von ihm abfiel, das wenig Monate vorher durch
preu&szlig;ische Truppen gerettet worden, da&szlig; Hannover abfiel, da&szlig; Kurhessen abfiel
und da&szlig; jetzt auch Baden, trotz seiner preu&szlig;ischen Garnisonen, den &uuml;brigen
folgte. Da&szlig; die Unterst&uuml;tzung der Reaktion in Hamburg, Mecklenburg, Dessau etc. etc.
durch Preu&szlig;en nicht zu seinem, sondern zu &Ouml;streichs Vorteil war, sieht es jetzt
deutlich an den Vorg&auml;ngen in den beiden Hessen. So erfuhr der verfehlte deutsche Kaiser
allerdings, da&szlig; er in einer Zeit der Treulosigkeit lebt, und wenn er es jetzt dulden
mu&szlig;, da&szlig; ihm "sein rechter Arm, die Union" abgenommen wird, so war dieser Arm schon
seit geraumer Zeit verwelkt. So hat &Ouml;streich jetzt schon ganz S&uuml;ddeutschland unter
seine Hegemonie gebracht, und auch in Norddeutschland sind die wichtigsten Staaten Preu&szlig;ens
Gegner.</p>
<p>&Ouml;streich war endlich so weit gekommen, da&szlig; es, gest&uuml;tzt auf Ru&szlig;land,
Preu&szlig;en offen entgegentreten konnte. Es tat dies bei zwei Fragen: bei der
schleswig-holsteinischen und der kurhessischen.</p>
<p>In <i>Schleswig-Holstein</i> hatte das "Schwert Deutschlands" einen echt preu&szlig;ischen
Separatfrieden geschlossen und seine Bundesgenossen der feindlichen &Uuml;bermacht in die
H&auml;nde geliefert. England, Ru&szlig;land und Frankreich beschlossen, der Unabh&auml;ngigkeit
der Herzogt&uuml;mer ein Ende zu machen, und dr&uuml;ckten diese Absicht in einem Protokoll aus,
dem sich &Ouml;streich anschlo&szlig;. W&auml;hrend &Ouml;streich und die mit ihm
verb&uuml;ndeten deutschen Regierungen, dem Londoner Protokoll gem&auml;&szlig;, auf dem
restaurierten Bundestag die Bundesintervention in Holstein zugunsten D&auml;nemarks vertraten,
suchte Preu&szlig;en seine achseltr&auml;gerische Politik fortzusetzen, die Parteien zur
Unterwerfung unter ein noch gar nicht existierendes, undefinierbares, von den meisten und
wichtigsten Regierungen zur&uuml;ckgewiesenes Bundesschiedsgericht zu bewegen und erlangte mit
allen seinen Man&ouml;vern weiter nichts, als da&szlig; es bei den Gro&szlig;m&auml;chten in den
Verdacht revolution&auml;rer Umtriebe geriet und eine Reihe von drohenden Noten erhielt, die ihm
die Lust an einer "selbst&auml;ndigen" ausw&auml;rtigen Politik bald benehmen werden. Den
Schleswig-Holsteinern wird in kurzem ihr Landesvater wiedergegeben werden, und ein Volk, das sich
von <a name="S458"><b>&lt;458&gt;</b></a> Herren Beseler und Reventlow regieren l&auml;&szlig;t,
trotzdem da&szlig; es die ganze Armee auf seiner Seite hat, zeigt, da&szlig; es der
d&auml;nischen Fuchtel noch zu seiner Erziehung bedarf.</p>
<p>Die Bewegung in <i>Kurhessen</i> liefert uns ein unnachahmliches Beispiel, wozu eine
"Erhebung" in einem deutschen Kleinstaat es bringen kann. Der tugendhafte und b&uuml;rgerliche
Widerstand gegen den F&auml;lscher Hassenpflug hatte alles realisiert, was von einem derartigen
Schauspiel zu verlangen ist: die Kammer war einstimmig, das Land war einstimmig, die Beamten und
die Armee waren auf seiten der B&uuml;rger; alle widerstrebenden Elemente waren entfernt, das
"F&uuml;rsten zum Land hinaus" hatte sich von selbst realisiert, der F&auml;lscher Hassenpflug
war mit seinem ganzen Ministerium verschwunden; alles ging nach Wunsch, alle Parteien hielten
sich streng in den gesetzlichen Schranken, alle Exzesse wurden vermieden, und die Opposition
hatte, ohne einen Finger zu r&uuml;hren, den sch&ouml;nsten Sieg errungen, von dem die Annalen
des verfassungsm&auml;&szlig;igen Widerstands zu berichten wissen. Und jetzt, als die B&uuml;rger
alle Gewalt in H&auml;nden hatten, als ihr st&auml;ndischer Ausschu&szlig; nirgends auf den
geringsten Widerstand stie&szlig;, jetzt waren sie erst recht notwendig. Jetzt sahen sie,
da&szlig; statt der kurf&uuml;rstlichen Truppen fremde Truppen an der Grenze standen, bereit
einzur&uuml;cken und der ganzen b&uuml;rgerlichen Herrlichkeit in vierundzwanzig Stunden ein Ende
zu machen. Jetzt erst fing die Ratlosigkeit und Blamage an; hatten sie fr&uuml;her nicht
r&uuml;ckw&auml;rts gekonnt, so konnten sie jetzt nicht vorw&auml;rts. Die kurhessische
Steuerverweigerung beweist schlagender als irgendein fr&uuml;heres Ereignis, wie alle Kollisionen
innerhalb der kleinen Staaten auf reine Farcen hinauslaufen, deren ganzes Resultat
schlie&szlig;lich die fremde Intervention ist und die Beseitigung des Konflikts durch die
Beseitigung sowohl des F&uuml;rsten wie der Verfassung. Sie beweist, wie l&auml;cherlich alle
jene hochwichtigen Kampfe sind, in denen die Kleinb&uuml;rger der Kleinstaaten jede kleine
M&auml;rzerrungenschaft mit patriotischer Gesinnungstreue vor dem unvermeidlichen Untergang zu
retten suchen.</p>
<p>In Kurhessen, in einem Staat der Union, den es galt, aus der preu&szlig;ischen Umarmung zu
rei&szlig;en, trat &Ouml;streich seinem Rivalen direkt entgegen. &Ouml;streich war es, das den
Kurf&uuml;rsten geradezu zu seinem Angriff auf die Verfassung aufstachelte und ihn dann sogleich
unter den Schutz seines Bundestags stellte. Um diesem Schutz Nachdruck zu verleihen, um an der
kurhessischen Angelegenheit Preu&szlig;ens Widerstand gegen &Ouml;streichs Herrschaft zu brechen,
um Preu&szlig;en wieder in den Bundestag hineinzudrohen, stellten sich jetzt &ouml;streichische
und s&uuml;ddeutsche Truppen in Franken und B&ouml;hmen auf. Preu&szlig;en r&uuml;stet ebenfalls.
Die Zeitungen strotzen von Berichten &uuml;ber M&auml;rsche und Kontrem&auml;rsche der
Armeekorps. All dieser L&auml;rm wird zu nichts f&uuml;hren, <a name=
"S459"><b>&lt;459&gt;</b></a> ebensowenig wie die Z&auml;nkereien der franz&ouml;sischen
Ordnungspartei mit Bonaparte. Weder der K&ouml;nig von Preu&szlig;en noch der Kaiser von
&Ouml;streich ist souver&auml;n, sondern allein der russische Zar. Vor seinem Befehl wird das
rebellische Preu&szlig;en sich schlie&szlig;lich beugen, ohne da&szlig; ein Tropfen Blut
geflossen, werden sich die Parteien friedlich zusammenfinden auf den Sesseln des Bundestags, ohne
da&szlig; deshalb weder ihren Eifers&uuml;chteleien unter sich noch ihrem Hader mit ihren
Untertanen, noch ihrem Verdru&szlig; gegen die russische Oberherrschaft der geringste Abbruch
geschehen wird.</p>
<p>Wir kommen jetzt zum Land als solchem, zum europ&auml;ischen Volk, zum Volk der
<i>Emigration</i>. Von den einzelnen Sektionen der Emigration, der deutschen, franz&ouml;sischen,
ungarischen etc., werden wir nicht sprechen; ihre haute politique &lt;hohe Politik&gt;
beschr&auml;nkt sich auf pure chronique scandaleuse &lt;reine Klatschgeschichte&gt;. Aber das
europ&auml;ische Gesamtvolk in partibus infidelium hat in letzter Zeit eine provisorische
Regierung erhalten in dem <i>europ&auml;ischen Zentralkomitee</i>, bestehend aus Joseph
<i>Mazzini, Ledru-Rollin,</i> Albert <i>Darasz</i> (Pole) und - Arnold <i>Ruge</i>, der zur
Rechtfertigung seines Daseins bescheiden dahinter schreibt: Mitglied der Frankfurter
Nationalversammlung. Obgleich nicht zu sagen w&auml;re, welches demokratische Konzil diese vier
Evangelisten zu ihrem Amt berufen h&auml;tte, so ist doch nicht zu leugnen, da&szlig; ihr
Manifest das Glaubensbekenntnis der gro&szlig;en Masse der Emigration enth&auml;lt und in
angemessener Form die intellektuellen Errungenschaften zusammenfa&szlig;t, die diese Masse den
letzten Revolutionen verdankt.</p>
<p>Das Manifest beginnt mit einer prunkenden Aufz&auml;hlung der Kr&auml;fte der Demokratie.</p>
<p><font size="2">"Was fehlt der Demokratie zum Sieg? ... die Organisation ... Wir haben Sekten,
aber keine Kirche, unvollst&auml;ndige und widersprechende Philosophien, aber keine Religion,
keinen Kollektivglauben, der die Gl&auml;ubigen unter ein einziges Zeichen schart und ihre
Arbeiten harmonisiert ... Der Tag. an dem wir uns alle vereint finden werden, zusammen
marschierend unter dem Auge der Besten unter uns ... wird der Vorabend des Kampfes sein. An
diesem Tage werden wir uns gez&auml;hlt haben, wir werden wissen, wer wir sind, wir werden das
Bewu&szlig;tsein unsrer Kraft haben."</font></p>
<p>Warum hat die Revolution bisher nicht gesiegt? Weil die Organisation der revolution&auml;ren
Gewalt schw&auml;cher war. Das ist das erste Dekret der provisorischen Regierung der
Emigration.</p>
<p>Diesem &Uuml;belstande soll jetzt abgeholfen werden durch die Organisation einer Glaubensarmee
und die Stiftung einer Religion.</p>
<p><b><font size="2"><a name="S460">&lt;460&gt;</a></font></b> <font size="2">"Aber dazu sind
zwei gro&szlig;e Hindernisse zu &uuml;bersteigen, zwei gro&szlig;e Irrt&uuml;mer zu
zerst&ouml;ren: die &Uuml;bertreibung der Rechte der Individualit&auml;t, die engherzige
Ausschlie&szlig;lichkeit der Theorie ... Wir m&uuml;ssen nicht sagen: ich; wir m&uuml;ssen lernen
zu sagen: wir; ... Diejenigen, welche, ihren individuellen Reizbarkeiten folgend, das kleine
Opfer verweigern, das Organisation und Disziplin erheischen, verleugnen, infolge der Gewohnheiten
der Vergangenheit, den Gesamtglauben, den sie predigen ... Ausschlie&szlig;lichkeit in der
Theorie ist die Negation unsres Grunddogmas. Der da sagt: ich habe die politische Wahrheit
gefunden, und wer die Annahme seines Systems zur Bedingung der Annahme der br&uuml;derlichen
Assoziation macht, verleugnet das Volk, den einzig progressiven Dolmetscher des Weltgesetzes, nur
um sein eignes Ich zu behaupten. Wer da behauptet, durch isolierte Arbeit seiner Intelligenz, so
machtvoll sie sein mag, heutzutage eine definitive L&ouml;sung der Probleme zu entdecken, welche
die Massen agitieren, der verurteilt sich selbst zum Irrtum durch Unvollst&auml;ndigkeit, indem
er verzichtet auf eine der ewigen Quellen der Wahrheit, die Kollektivintuition des in der
Handlung begriffenen Volks. Die definitive L&ouml;sung ist das Geheimnis des Sieges ... Unsre
Systeme k&ouml;nnen zum gro&szlig;en Teil nichts andres sein als ein Anatomisieren von Kadavern,
ein Entdecken des &Uuml;bels, ein Analysieren des Todes, ohnm&auml;chtig, das Leben wahrzunehmen
oder zu begreifen. Leben, das ist das Volk in Bewegung, das ist der Instinkt der Massen, zu einer
au&szlig;ergew&ouml;hnlichen Potenz erhoben durch die gegenseitige Ber&uuml;hrung, durch das
prophetische Gef&uuml;hl gro&szlig;er Dinge, die zu vollbringen sind, durch unwillk&uuml;rliche,
pl&ouml;tzliche, elektrische Assoziation auf der Stra&szlig;e; es ist Handlung, aufregend zum
h&ouml;chsten Punkt alle Verm&ouml;gen der Hoffnung, Hingebung, Liebe und des Enthusiasmus, die
jetzt schlummern, und den Menschen offenbaren in der Einheit seiner Natur, in der Vollkraft
seiner Zeugungsf&auml;higkeit. Der H&auml;ndedruck eines Arbeiters in einem dieser historischen
Momente, die eine Epoche beginnen, wird uns mehr von der Organisation der Zukunft lehren als
heutzutage von der kalten und herzlosen Arbeit des Verstandes oder der Erkenntnis des erlauchten
Toten der letzten zwei Jahrtausende - der alten Gesellschaft - gelehrt werden
k&ouml;nnte."</font></p>
<p>Dieser ganze hochbeteuernde Unsinn l&auml;uft also schlie&szlig;lich auf die h&ouml;chst
ordin&auml;re Philisteransicht hinaus, da&szlig; die Revolution gescheitert sei an der
ehrgeizigen Eifersucht der einzelnen F&uuml;hrer und an den feindlich entgegenstehenden Meinungen
der verschiedenen Volkslehrer.</p>
<p>Die K&auml;mpfe der verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen gegeneinander, deren Verlauf
durch seine einzelnen Entwicklungsphasen gerade die Revolution ausmacht, sind f&uuml;r unsre
Evangelisten nur die ungl&uuml;ckliche Folge der Existenz divergierender Systeme, w&auml;hrend in
Wirklichkeit umgekehrt die Existenz verschiedner Systeme die Folge der Existenz der
Klassenk&auml;mpfe ist. Schon hieraus geht hervor, da&szlig; die Verfasser des Manifests die
Existenz der Klassenk&auml;mpfe leugnen. Unter dem Vorwand, gegen die Doktrin&auml;re
anzuk&auml;mpfen, beseitigen sie jeden bestimmten Inhalt, jede bestimmte Parteiansicht, verbieten
sie den einzelnen Klassen, ihre Interessen und Forde- <a name="S461"><b>&lt;461&gt;</b></a>
rungen gegen&uuml;ber den andern Klassen zu formulieren. Sie muten ihnen zu, ihre
widerstreitenden Interessen zu vergessen und sich zu vers&ouml;hnen unter der Fahne einer ebenso
flachen wie unversch&auml;mten Unbestimmtheit, die unter dem Schein der Vers&ouml;hnung der
Interessen aller Parteien nur die Herrschaft des Interesses einer Partei - der Bourgeoispartei
verbirgt. Nach den Erfahrungen, die die Herren in Frankreich, Deutschland und Italien
w&auml;hrend der zwei letzten Jahre gemacht haben m&uuml;ssen, kann man nicht einmal sagen,
da&szlig; die Heuchelei eine unbewu&szlig;te ist, mit der hier das Bourgeoisinteresse in
Lamartinische Br&uuml;derlichkeitsphrasen eingewickelt wird. Welche Kenntnis die Herren
&uuml;brigens von den "Systemen" haben, gebt schon daraus hervor, da&szlig; sie sich einbilden,
jedes dieser Systeme sei blo&szlig; ein Fragment der im Manifest zusammengestellten Weisheit und
habe sich nur eine einzelne der hier versammelten Phrasen, Freiheit, Gleichheit etc. einseitig
zur Grundlage genommen. Ihre Vorstellungen von gesellschaftlichen Organisationen sind sehr
frappant wiedergegeben: ein Zusammenlauf auf der Stra&szlig;e, ein Krawall, ein H&auml;ndedruck,
und alles ist fertig. Die Revolution besteht f&uuml;r sie &uuml;berhaupt blo&szlig; im Sturz der
bestehenden Regierung; ist dies Ziel erreicht, so ist "<i>der</i> Sieg" errungen. Bewegung,
Entwicklung, Kampf h&ouml;ren dann auf, und unter der &Auml;gide des dann herrschenden
europ&auml;ischen Zentralkomitees beginnt das goldne Zeitalter der europ&auml;ischen Republik und
der in Permanenz erkl&auml;rten Nachtm&uuml;tze. Wie die Entwicklung und den Kampf, so hassen die
Herren das Denken, das herzlose Denken - als ob irgendein Denker, Hegel und Ricardo nicht
ausgenommen, je die Herzlosigkeit erreicht h&auml;tte, mit der dem Publikum dieser
weichm&auml;ulige Sp&uuml;licht &uuml;ber den Kopf gegossen wird! Das Volk soll nicht f&uuml;r
den folgenden Tag sorgen und sich alle Gedanken aus dem Kopf schlagen; kommt der gro&szlig;e Tag
der Entscheidung, so wird es durch die blo&szlig;e Ber&uuml;hrung elektrisiert, und das
R&auml;tsel der Zukunft wird sich ihm durch ein Wunder l&ouml;sen. Dieser Aufruf zur
Gedankenlosigkeit ist ein direkter Versuch zu Prellerei gerade der unterdr&uuml;cktesten Klassen
des Volks.</p>
<p><font size="2">"Sagen wir nun hiermit" (fragt ein Mitglied des europ&auml;ischen
Zentralkomitees das andre), "da&szlig; wir ohne Fahne voranmarschieren sollen, sagen wir,
da&szlig; wir auf unser Banner eine blo&szlig;e Verneinung schreiben wollen? Auf uns kann ein
solcher Verdacht nicht fallen. M&auml;nner des Volks, seit langer Zeit in seinen K&auml;mpfen
beteiligt, denken wir nicht daran, es zur <i>Leere</i> zu leiten."</font></p>
<p>Um nun im Gegenteil ihre <i>F&uuml;lle</i> zu beweisen, f&uuml;hren uns die Herren ein
wahrhaft Leporellosches Register ewiger Wahrheit und Errungenschaften der ganzen bisherigen
Geschichte &lt;In der "Revue": Gesch&auml;fte&gt; als den gegenw&auml;rtigen gemeinsamen Boden
<a name="S462"><b>&lt;462&gt;</b></a> der "Demokratie" vor. Dies Register res&uuml;miert sich in
folgendem erbaulichen Paternoster:</p>
<p><font size="2">"Wir glauben an die progressive Entwicklung der menschlichen F&auml;higkeit und
Kr&auml;fte zum Moralgesetz hin, welches uns auferlegt worden ist. Wir glauben an die Assoziation
als das einzig regelm&auml;&szlig;ige Mittel, welches diesen Zweck erreichen kann. Wir glauben,
da&szlig; die Auslegung des Moralgesetzes und der Regel des Fortschritts weder einer Kaste noch
einem Individuum anvertraut werden kann, sondern dem Volk, aufgekl&auml;rt durch nationale
Erziehung, geleitet durch die aus seiner Mitte, die Tugend und Genius ihm als die besten zeigen.
Wir glauben an die Heiligkeit beider, der Individualit&auml;t und der Gesellschaft, die sich
weder ausschlie&szlig;en noch bek&auml;mpfen sollen sondern zusammen harmonieren zur Besserung
aller durch alle. Wir glauben an die Freiheit ohne welche jede menschliche Verantwortlichkeit
verschwindet, an die Gleichheit ohne welche die Freiheit nur ein Trug ist, an die
Br&uuml;derlichkeit, ohne welche Freiheit und Gleichheit Mittel ohne Zweck w&auml;ren, an die
Assoziation, ohne welche die Br&uuml;derlichkeit nur ein unrealisierbares Programm w&auml;re, an
<i>Familie, Gemeinde</i> und <i>Staat</i> und <i>Vaterland</i> als ebensoviel progressive
Sph&auml;ren, worin der Mensch sukzessiv aufwachsen mu&szlig; in der Erkenntnis und
Bet&auml;tigung der Freiheit, Gleichheit, Br&uuml;derlichkeit und Assoziation. Wir glauben an die
Heiligkeit der Arbeit, an das <i>Eigentum</i>, welches von ihr entspringt als ihr Zeichen und
ihre Frucht, an die Pflicht der Gesellschaft, das Element der materiellen Arbeit durch den
Kredit, der intellektuellen und moralischen Arbeit durch die Erziehung zu liefern ... <i>Wir
glauben, um uns zu res&uuml;mieren, an einen sozialen Zustand, der Gott und sein Gesetz zu seiner
Spitze und das Volk zu seiner Basis hat...</i> "</font></p>
<p>Also: Fortschritt - Assoziation - Moralgesetz - Freiheit - Gleichheit - Br&uuml;derlichkeit -
Assoziation - Familie, Gemeinde, Staat - Heiligkeit des Eigentums - Kredit - Erziehung - Gott und
Volk - Dio e Popolo. Diese Phrasen figurieren in allen Manifesten der 1848er Revolutionen, von
der franz&ouml;sischen bis zur walachischen, und gerade deswegen figurieren sie hier auch [als]
die gemeinsamen Grundlagen der <i>neuen Revolution</i>. In keiner dieser Revolutionen fehlte auch
die Heiligkeit des Eigentums, das hier als Resultat der Arbeit heilig gesprochen wird. Wie sehr
alles b&uuml;rgerliche Eigentum "die Frucht und das Zeichen der Arbeit" ist, wu&szlig;te Adam
Smith schon weit besser als unsre revolution&auml;ren Initiatoren achtzig Jahre nach ihm. Was die
sozialistische Konzession betrifft, da&szlig; die Gesellschaft jedem das Material zu seiner
Arbeit durch den Kredit liefern soll, so pflegt jeder Fabrikant seinem Arbeiter f&uuml;r soviel
Material, als er in einer Woche verarbeiten kann, Kredit zu geben, so ist das Kreditsystem
heutzutage so weit ausgedehnt, als dies mit der Unverletzlichkeit des Eigentums vertr&auml;glich,
und ist der Kredit schlie&szlig;lich selbst nur eine Form des b&uuml;rgerlichen Eigentums.</p>
<p>Das Res&uuml;mee dieses Evangeliums ist ein gesellschaftlicher Zustand, worin Gott die Spitze
bildet und dies Volk oder, wie es sp&auml;ter hei&szlig;t, die <i>Menschheit</i>, <a name=
"S463"><b>&lt;463&gt;</b></a> die Basis. D.h., sie glauben an die bestehende Gesellschaft, worin
bekanntlich Gott die Spitze bildet und der Mob die Basis. Wenn das Symbolum Mazzinis: Gott und
das Volk, Dio e Popolo, in Italien einen Sinn haben mag, wo man Gott dem Papst und das Volk den
F&uuml;rsten gegen&uuml;berstellt, so ist es doch etwas stark, wenn man dies Plagiat von Johannes
Ronge, dem seichtesten Absp&uuml;licht des deutschen Aufkl&auml;richt, als das Wort hinstellt,
das das R&auml;tsel des Jahrhunderts l&ouml;sen soll. Wie leicht man sich &uuml;brigens in dieser
Schule an die kleinen Opfer gew&ouml;hnt, welche die Organisation und Disziplin erheischen, wie
gef&auml;llig man die engherzige Ausschlie&szlig;lichkeit der Theorien aufgibt, beweist unser
Arnold Winkelried Ruge, der zur gro&szlig;en Freude von Leo diesmal den Unterschied zwischen
Gottheit und Menschheit zu w&uuml;rdigen wei&szlig;.</p>
<p>Das Manifest endet mit den Worten:</p>
<p><font size="2">"Es handelt sich um die Konstitution der europ&auml;ischen Demokratie, um die
Gr&uuml;ndung eines Budgets, einer Schatzkammer des Volks. Es handelt sich um die Organisation
der Armee der Initiatoren."</font></p>
<p>Ruge, um der erste Initiator dieses Volksbudgets zu sein, hat sich an "de demokratische
Janties &lt;Scherzname f&uuml;r Niederl&auml;nder (von: Jan)&gt; van Amsterdam" gewandt und ihnen
ihren speziellen Beruf zum Zahlen erkl&auml;rt. Holland in Not!</p>
<p><i>London</i>, l. November 1850</p>
</body>
</html>