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<TITLE>Karl Marx - Die Londoner "Times" und Lord Palmerston</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak61.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861</FONT></A></P>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 318-323.</P>
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<P>1. Korrektur<BR>
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Erstellt am 20.09.1998</P>
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</FONT><H2>Karl Marx </H2>
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<H1>Die Londoner "Times" und Lord Palmerston </H1>
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<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
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</FONT><P ALIGN="CENTER"><HR></P>
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<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 6411 vom 21. Oktober 1861] </P>
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</FONT><B><P><A NAME="S318"><318></A></B> London, 5. Oktober 1861 </P>
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<P>"Das englische Volk nimmt an der Regierung seines eigenen Landes teil, indem es die Zeitung 'The Times' liest." Diese von einem hervorragenden englischen Autor geäußerte Meinung über das, was man britische Selbstregierung nennt, ist nur insofern richtig, als die Außenpolitik des Königreichs gemeint ist. Was Reformmaßnahmen im Innern betrifft, so wurden sie niemals mit Unterstützung der "Times" durchgeführt, sondern die "Times" hörte niemals auf, sie anzugreifen und sich ihnen zu widersetzen, bis sie es als völlig unmöglich einsah, deren Durchführung länger aufzuhalten. Nehmen wir zum Beispiel die Emanzipation der Katholiken, die Reformbill, die Aufhebung der Korngesetze, die Stempelsteuer und die Papiersteuer. Wenn die Reformer den Sieg unwiderruflich errungen hatten, schwenkte die "Times" um, verließ das reaktionäre Lager und verstand es, sich im entscheidenden Moment auf die Seite des Gewinners zu schlagen. In allen diesen Beispielen gab die "Times" der öffentlichen Meinung nicht die Richtung, sondern unterwarf sich ihr, unwillig, widerstrebend und nach langwierigen, aber fruchtlosen Versuchen, die hochgehenden Wogen eines den Forderungen des Volkes entsprechenden Fortschritts zurückzutreiben. Ihr eigentlicher Einfluß auf die öffentliche Meinung ist somit auf das Gebiet der Außenpolitik beschränkt. In keinem Teil Europas jedoch sind die Volksmassen, und besonders die Bourgeoisie, so völlig unwissend über die Außenpolitik ihres eigenen Landes wie in England, eine Unwissenheit, die aus zwei großen Quellen entspringt. Einerseits hatte seit der glorreichen Revolution von 1688 die Aristokratie <A NAME="S319"><B><319></A></B> immer das Monopol, die auswärtigen Angelegenheiten Englands zu leiten. Andererseits schwächte das Fortschreiten der Arbeitsteilung bis zu einem gewissen Grade den allgemeinen Intellekt der Angehörigen der Bourgeoisie durch die Beschränkung all ihrer Energien und geistigen Fähigkeiten auf die engen Sphären ihrer merkantilen, industriellen und beruflichen Geschäfte. So kam es, daß die Aristokratie in allen ihren auswärtigen oder internationalen Angelegenheiten für sie<I> handelte</I> und die Presse für sie<I> dachte</I>. Aristokratie und Presse fanden sehr bald heraus, daß es in ihrem eigenen gegenseitigen Interesse läge, sich zu verbinden. Man braucht nur "Cobbett's Political Register" aufzuschlagen, um sich davon zu überzeugen, daß seit Beginn dieses Jahrhunderts die großen Londoner Zeitungen ständig die Rolle von Anwälten für die höchstgeborenen Führer der englischen Außenpolitik spielen. Es galt jedoch, erst einige Zwischenstadien zu durchlaufen, ehe der jetzige Stand der Dinge erreicht werden konnte. Die Aristokratie, die das Monopol an sich gerissen hatte, die auswärtigen Angelegenheiten zu führen, schrumpfte erst zu einer Oligarchie zusammen, die von einem geheimen Konklave repräsentiert wurde, dem sogenannten Kabinett, und später wurde das Kabinett von einem einzelnen Manne, Lord Palmerston, verdrängt, der in den letzten dreißig Jahren die absolute Macht über die Führung der nationalen Belange des britischen Imperiums an sich gerissen hatte und die Linie der Außenpolitik bestimmte. Gleichzeitig mit dieser rechtswidrigen Anmaßung hatte infolge des Gesetzes der Konzentration, das auf dem Gebiet des Zeitungswesens noch rascher wirkte als auf dem der Baumwollspinnerei, die Londoner "Times" die Position der Nationalzeitung Englands errungen, das heißt, sie repräsentierte gegenüber fremden Nationen die englische Gesinnung. Wenn das Monopol, die auswärtigen Angelegenheiten der Nation zu leiten, von der Aristokratie auf ein oligarchisches Konklave und von einem oligarchischen Konklave auf einen einzelnen Mann,<I> den</I> Außenminister Englands, nämlich Lord Palmerston,
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<P>Wenn die "Times" nun imstande ist, mit falschen Angaben und Unterdrückung die öffentliche Meinung über solche Ereignisse irrezuführen, die sich erst gestern im britischen Unterhaus zugetragen haben, wie unbegrenzt muß dann erst die Fähigkeit sein, irrezuführen und zu unterdrücken bei Ereignissen, die sich in weiter Ferne zugetragen haben, wie im Falle des amerikanischen Krieges. Wenn sie bei der Behandlung der amerikanischen Frage alle Kräfte angestrengt hat, um die gegenseitigen Gefühle der Briten und Amerikaner zu verbittern, so tat sie das weder aus Sympathie für die britischen Baumwoll-Lords noch aus Rücksicht auf irgendein wirkliches oder angebliches englisches Interesse. Sie führte einfach die Befehle ihres Herrn aus. Aus dem veränderten Ton der Londoner "Times" während der letzten Woche können wir daher schließen, daß Lord Palmerston im Begriff ist, von der äußerst feindseligen Haltung Abstand zu nehmen, die er bisher gegenüber den Vereinigten Staaten eingenommen hatte. In einem der heutigen Leitartikel fühlt sich die "Times", die monatelang die aggres- <A NAME="S322"><B><322></A></B> siven Kräfte der Sezessionisten gerühmt und sich über die Unfähigkeit der Vereinigten Staaten ausgelassen hatte, sich mit ihnen zu messen, der militärischen Überlegenheit des Nordens völlig sicher. Daß dieser Tenorwechsel von ihrem Herrn diktiert worden ist, wird dadurch ganz offensichtlich, daß andere einflußreiche Zeitungen, deren Beziehung zu Palmerston bekannt ist, gleichzeitig den Kurs gewechselt haben. Eine von ihnen, der "Economist", gibt diesen Krämern der öffentlichen Meinung einen ziemlich deutlichen Wink, daß die Zeit für eine "sorgfältige Überprüfung" ihrer angeblichen "Gefühle gegenüber den Vereinigten Staaten" gekommen sei. Die Stelle im "Economist", auf die ich anspiele und die ich als Beweis für die von Palmerstons Presseleuten empfangenen neuen Anweisungen des Zitierens wert erachte, lautet: </P>
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<FONT SIZE=2><P>"In einem Punkt geben wir offen zu, daß die Nordstaatler ein Recht haben, sich zu beklagen, und in einem Punkt sind wir auch verpflichtet, mehr auf der Hut zu sein, als wir es vielleicht übereinstimmend gewesen sind. Unsere führenden Presseorgane waren nur zu bereit, Zeitungen zu zitieren und sie anzusehen, als verkörperten sie die Gefühle und repräsentierten den Standpunkt der Vereinigten Staaten; Zeitungen, die wegen ihres schimpflichen Charakters und ihres geringen Einflusses allzeit berüchtigt waren und jetzt mehr als verdächtig sind, im Innern Sezessionisten zu sein, unter falscher Flagge zu segeln und einen extrem nordstaatlichen Standpunkt vorzugeben, während sie im Interesse und wahrscheinlich im Sold des Südens schreiben. Wenige Engländer können zum Beispiel mit einiger Ehrlichkeit vorgeben, den 'New-York Herald' als Repräsentanten des Charakters und der Ansichten des nördlichen Teils der Republik anzusehen. Andererseits sollten wir sehr darauf sehen, daß unsere gerechtfertigte Kritik an den Unionisten nicht unmerklich nach und nach in Beifall für die Sezessionisten und in deren Verteidigung ausartet. Die Tendenz zur<I> Parteinahme</I> ist in den Geistern allgemein sehr stark. Wie entschieden wir auch vieles an dem Verhalten und den Worten des Nordens ablehnen, so dürfen wir doch niemals vergessen, daß die Trennung des Südens mit Absichten erzwungen und mit Mitteln begonnen worden war, die unsere aufrichtigste und tiefste Mißbilligung finden. Wir müssen natürlich den Schutzzoll der Union als eine drückende und törichte Maßnahme verurteilen. Natürlich teilen wir den Wunsch des Südens nach niedrigen Zöllen und unbeschränktem Handel. Natürlich sind wir besorgt, daß die Prosperität der Staaten, die soviel Rohmaterial produzieren und so viele Fertigwaren benötigen, nicht eine Unterbrechung oder einen Rückschlag erleidet. Aber gleichzeitig ist es uns unmöglich, die unbestreitbare Tatsache aus den Augen zu lassen, daß das wirkliche Ziel und letzte Motiv der Sezession<I> nicht</I> darin bestand, ihr Recht zu verteidigen, auf ihrem eigenen Gebiet Sklaven halten zu dürfen (was die Bewohner der Nordstaaten genau so bereit wären zuzubilligen, wie die des Südens es sind, es zu beanspruchen), sondern die Sklaverei über ein ungeheures, unbestimmtes Gebiet auszudehnen, das bisher von diesem Fluche frei war, aber von dem die Pflanzer behaupteten, daß sie sich später dort gut ausbreiten könnte. Das haben <A NAME="S323"><B><323></A></B> wir immer als unklug, als unredlich und abscheulich angesehen. Der Zustand der Gesellschaft, der in den Südstaaten durch die Institution der Sklaverei zustande gekommen ist, erscheint den englischen Gemütern abscheulicher und beklagenswerter, je mehr sie davon erfahren. Und den Bewohnern der Südstaaten sollte klargemacht werden, daß kein pekuniärer oder kommerzieller Vorteil, den England aus der Kultivierung größerer Gebiete des jungfräulichen Bodens der Pflanzerstaaten und der neuen Gebiete, die sie beanspruchen, voraussichtlich ziehen könnte, unsere Ansichten über diesen Punkt im geringsten ändern wird oder uns daran hindern kann, unsere Ansichten zu äußern oder unser Eingreifen zu beeinflussen oder zu hemmen, wenn ein Eingreifen notwendig oder wichtig werden sollte. Man nimmt an, daß sie (die Sezessionisten) noch an der merkwürdigen Meinung festhalten, durch<I> Aushungern</I> Frankreichs und Englands und durch die Verluste und Leiden, die sie sich als Folge der völligen Einstellung der amerikanischen Lieferungen versprechen, diese Regierungen zwingen zu können, zu ihren Gunsten einzugreifen und die Vereinigten Staaten zu zwingen, die Blockade einzustellen ... Es besteht nicht die geringste Chance, daß es eine der beiden Mächte auch nur einen Augenblick f&u
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</FONT><P>Was ich im Augenblick zu zeigen beabsichtigte, war, daß Palmerston und folglich die nach seinen Anweisungen handelnde Londoner Presse jetzt die feindselige Haltung gegen die Vereinigten Staaten aufgeben. Die Ursachen, die zu diesem revirement <Umschwung>, wie es die Franzosen nennen, geführt haben, werde ich in einem späteren Beitrag zu erklären versuchen. Ehe ich schließe, möchte ich noch hinzufügen, daß das Parlamentsmitglied für Bradford, Herr Forster, am letzten Dienstag im Saal des Bradforder Handwerkervereins einen Vortrag "Über den Bürgerkrieg in Amerika" hielt, in dem er den wahren Ursprung und Charakter dieses Krieges zeigte und erfolgreich die unrichtigen Darstellungen der Palmerston-Presse widerlegte. </P>
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