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<title>Lenin: Staat und Revolution</title>
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<TD ALIGN="CENTER" width= 299 height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><FONT size=2><A HREF="../default.htm"><FONT color=#CC3333><= Inhaltsverzeichnis W. I. Lenin</A></TD>
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W.I. Lenin</h3>
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<h3>
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Gedruckt nachzulesen in: Lenin Werke, Band 25, Seite 393 - 507, Dietz Verlag Berlin, 1972</h3>
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<hr>
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<h1>
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Staat und Revolution Teil 1</h1></center>
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<h2>
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Staat und Revolution</h2></center>
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<center>Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats
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in der Revolution (1)</center>
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<p>Geschrieben August bis September 1917; Abschnitt 3 des II. Kapitels
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vor dem 17. Dezember 1918. Veröffentlicht 1918 als Broschüre
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im Verlag "Shisn i Snanije".
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<p>Nach dem Manuskript, verglichen mit dem Text des Buches, Moskau - Petrograd
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1919, Verlag "Kommunist".
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<p>Vorwort zur ersten Auflage
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<p>Die Frage des Staates gewinnt gegenwärtig besondere Bedeutung sowohl
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in theoretischer als auch in praktisch-politischer Hinsicht. Der imperialistische
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Krieg hat den Prozeß der Umwandlung des monopolistischen Kapitalismus
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in staatsmonopolistischen Kapitalismus außerordentlich beschleunigt
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und verschärft. Die ungeheuerliche Knechtung der werktätigen
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Massen durch den Staat, der immer inniger mit den allmächtigen Kapitalistenverbänden
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verschmilzt, wird immer ungeheuerlicher. Die fortgeschrittenen Länder
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verwandeln sich - wir sprechen von ihrem "Hinterland" - in Militärzuchthäuser
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für die Arbeiter.
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<p>Die unerhörten Greuel und Unbilden des sich in die Länge ziehenden
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Krieges machen die Lage der Massen unerträglich und steigern ihre
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Empörung. Sichtbar reift die internationale proletarische Revolution
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heran. Die Frage nach ihrem Verhältnis zum Staat gewinnt praktische
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Bedeutung.
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<p>Die in Jahrzehnten einer verhältnismäßig friedlichen
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Entwicklung angesammelten Elemente des Opportunismus haben die in den offiziellen
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sozialistischen Parteien der ganzen Welt herrschende Strömung des
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Sozialchauvinismus geschaffen. Diese Strömung (Plechanow, Potressow,
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Breschkowskaja, Rubanowitsch, dann in leicht verhüllter Form die Herren
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Zereteli, Tschernow und Co. in Rußland; Scheidemann, Legien, David
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u.a. in Deutschland; Renaudel, Guesde, Vandervelde in Frankreich und Belgien;
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Hyndman und die Fabier (2) in England usw. usf.) - Sozialismus in Worten,
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Chauvinismus in der Tat - ist gekennzeichnet durch die niederträchtige,
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lakaienhafte Anpassung der "Führer des Sozialismus" an die Interessen
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nicht nur "ihrer" nationalen Bourgeoisie, sondern namentlich auch "ihres"
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Staates, denn die meisten sogenannten Großmächte beuten seit
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langem eine ganze Reihe kleiner und schwacher Völkerschaften aus und
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unterjochen sie. Der imperialistische Krieg ist ja gerade ein Krieg um
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die Teilung und Neuverteilung dieser Art von Beute. Der Kampf um die Befreiung
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der werktätigen Massen vom Einfluß der Bourgeoisie im allgemeinen
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und der imperialistischen Bourgeoisie im besonderen ist ohne Bekämpfung
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der opportunistischen Vorurteile in bezug auf den "Staat" unmöglich.
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<p>Wir betrachten zunächst die Lehre von Marx und Engels vom Staat
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und wollen besonders eingehend bei den in Vergessenheit geratenen oder
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opportunistisch entstellten Seiten dieser Lehre verweilen. Dann werden
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wir uns insbesondere mit dem Hauptvertreter dieser Entstellungen befassen,
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mit Karl Kautsky, dem bekanntesten Führer der II. Internationale (1889
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- 1914), die in diesem Kriege einen so jämmerlichen Bankrott erlitten
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hat. Schließlich werden wir die Hauptergebnisse der Erfahrungen der
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russischen Revolution von 1905 und besonders der von 1917 zusammenfassen.
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Die letztere schließt anscheinend gegenwärtig (Anfang August
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1917) die erste Phase ihrer Entwicklung ab, jedoch kann diese ganze Revolution
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überhaupt nur verstanden werden als ein Glied in der Kette der sozialistischen
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proletarischen Revolutionen, die durch den imperialistischen Krieg hervorgerufen
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werden. Die Frage des Verhältnisses der sozialistischen Revolution
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des Proletariats zum Staat gewinnt somit nicht nur eine praktisch-politische,
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sondern auch eine höchst aktuelle Bedeutung als eine Frage der Aufklärung
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der Massen darüber, was sie zu ihrer Befreiung vom Joch des Kapitals
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in der nächsten Zukunft zu tun haben.
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<p>August 1917
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<p>Der Verfasser
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<p>Vorwort zur zweiten Auflage
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<p>Die vorliegende zweite Auflage wird fast ohne Änderungen gedruckt.
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Hinzugefügt ist nur der Abschnitt 3 des II. Kapitels.
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<p>Moskau, den 17. Dezember 1918
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|
<p>Der Verfasser
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<p>
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<hr>
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<center>
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<h2>
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I. Kapitel</h2></center>
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<center>Klassengesellschaft und Staat</center>
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<p>1. Der Staat - ein Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze
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<p>Mit der Lehre von Marx geschieht jetzt dasselbe, was in der Geschichte
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wiederholt mit den Lehren revolutionärer Denker und Führer der
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unterdrückten Klassen in ihrem Befreiungskampf geschah. Die großen
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Revolutionäre wurden zu Lebzeiten von den unterdrückenden Klassen
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ständig verfolgt, die ihrer Lehre mit wildestem Ingrimm und wütenstem
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Haß begegneten, mit zügellosen Lügen und Verleumdungen
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gegen sie zu Felde zogen. Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose
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Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht
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ihrem NAMEN einen gewissen Ruhm zu zur "Tröstung" und Betörung
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der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre Lehre
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des INHALTS beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert.
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<p>Bei einer solchen "Bearbeitung" des Marxismus findet sich jetzt die
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Bourgeoisie mit den Opportunisten innerhalb der Arbeiterbewegung zusammen.
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Man vergißt, verdrängt und entstellt die revolutionäre
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Seite der Lehre, ihren revolutionären Geist. Man schiebt in den Vordergrund,
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man rühmt das, was für die Bourgeoisie annehmbar ist oder annehmbar
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erscheint. Alle Sozialchauvinisten sind heutzutage "Marxisten" - Spaß
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beiseite! Und immer häufiger sprechen deutsche bürgerliche Gelehrte,
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deren Spezialfach gestern noch die Ausrottung des Marxismus war, von dem
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"nationaldeutschen" Marx, der die zur Führung des Raubkrieges so glänzend
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organisierten Arbeiterverbände erzogen haben soll!
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<p>Bei dieser Sachlage, bei der unerhörten Verbreitung, die die Entstellungen
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des Marxismus gefunden haben, besteht unsere Aufgabe in erster Linie in
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der WIEDERHERSTELLUNG der wahren Marxschen Lehre vom Staat. Dazu wird es
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notwendig sein, eine ganze Reihe langer Zitate aus den Werken von Marx
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und Engels selbst anzuführen. Gewiß, die langen Zitate werden
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die Darstellung schwerfällig machen und ihrer Gemeinverständlichkeit
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keineswegs förderlich sein. Es ist aber absolut unmöglich, ohne
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sie auszukommen. Alle oder zumindest alle entscheidenden Stellen aus den
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Werken von Marx und Engels über die Frage des Staates müssen
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unbedingt möglichst vollständig angeführt werden, damit
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sich der Leser ein selbständiges Urteil bilden kann über die
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gesamten Auffassungen der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus
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und über die Entwicklung dieser Auffassungen, dann aber auch, um deren
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|
Entstellung durch das heute herrschende "Kautskyanertum" dokumentarisch
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nachzuweisen und anschaulich vor Augen zu führen.
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<p>Wir beginnen mit dem verbreitetsten Werk von Friedrich Engels: "Der
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Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", das 1894 in
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Stuttgart bereits in sechster Auflage erschienen ist. Wir sind gezwungen,
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die Zitate selber aus dem deutschen Original zu übersetzen, da die
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russischen Übersetzungen, so zahlreich sie sind, zum größten
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Teil entweder unvollständig oder äußerst unbefriedigend
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sind.
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<p>"Der Staat", sagt Engels bei der Zusammenfassung seiner geschichtlichen
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Analyse, "ist also keineswegs eine der Gesellschaft von außen aufgezwungenen
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Macht; ebensowenig ist er 'die Wirklichkeit der sittlichen Idee', 'das
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Bild und die Wirklichkeit der Vernunft', wie Hegel behauptet. Er ist vielmehr
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ein Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe; er ist das
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Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren
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Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze
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gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit aber diese
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Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen,
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nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine
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scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden,
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die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der 'Ordnung' halten
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soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangene, aber sich über
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sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat."
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(S. 177/178 der sechsten deutschen Auflage.) (3)
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<p>Hier ist mit voller Klarheit der Grundgedanke des Marxismus über
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die historische Rolle und die Bedeutung des Staates zum Ausdruck gebracht.
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Der Staat ist das Produkt und die Äußerung der UNVERSÖHNLICHKEIT
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der Klassengegensätze. Der Staat entsteht dort, dann und insofern,
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wo, wann und inwiefern die Klassengegensätze objektiv NICHT versöhnt
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werden KÖNNEN. Und umgekehrt: Das Bestehen des Staates beweist, daß
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die Klassengegensätze unversöhnlich sind.
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<p>Gerade in diesem wichtigsten und grundlegenden Punkt beginnt die Entstellung
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des Marxismus, die in zwei Hauptlinien verläuft.
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<p>Auf der einen Seite pflegen bürgerliche und besonders kleinbürgerliche
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Ideologen - die sich unter dem Druck unbestreitbarer geschichtlicher Tatsachen
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gezwungen sehen, anzuerkennen, daß der Staat nur dort vorhanden ist,
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wo es Klassengegensätze und Klassenkampf gibt - Marx in einer Weise
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"zu verbessern", daß der Staat sich als ein Organ der KlassenVERSÖHNUNG
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erweist. Nach Marx hätte der Staat weder entstehen noch bestehen können,
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wenn eine Versöhnung der Klassen möglich wäre. Bei den kleinbürgerlichen
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und philisterhaften Professoren und Publizisten kommt es - oft unter wohlwollenden
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Hinweisen auf Marx! - so heraus, daß der Staat gerade die Klassen
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versöhne. Nach Marx ist der Staat ein Organ der KlassenHERRSCHAFT,
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ein Organ zur UNTERDRÜCKUNG der einen Klasse durch die andere, ist
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die Errichtung derjenigen "Ordnung", die diese Unterdrückung sanktioniert
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und festigt, indem sie den Konflikt der Klassen dämpft. Nach Ansicht
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der kleinbürgerlichen Politiker ist die Ordnung gerade die Versöhnung
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der Klassen und nicht die Unterdrückung der einen Klasse durch die
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andere; den Konflikt dämpfen bedeute versöhnen und nicht, es
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den unterdrückten Klassen unmöglich machen, bestimmte Mittel
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und Methoden des Kampfes zum Sturz der Unterdrücker zu gebrauchen.
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<p>Alle Sozialrevolutionäre und Menschewiki zum Beispiel sind während
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der Revolution 1917, als sich die Frage nach der Bedeutung und der Rolle
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des Staates gerade in ihrer ganzen Größe erhob, sich praktisch
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erhob als Frage der sofortigen Aktion, und zudem der Massenaktion - alle
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sind sie mit einem Schlag gänzlich zur kleinbürgerlichen Theorie
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der "Versöhnung" der Klassen durch den "Staat" hinabgesunken. Die
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zahllosen Resolutionen und Artikel der Politiker dieser beiden Parteien
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sind völlig von dieser kleinbürgerlichen und philisterhaften
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Theorie der "Versöhnung" durchdrungen. Daß der Staat das Organ
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der Herrschaft einer bestimmten Klasse ist, die mit ihrem Antipoden (der
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ihr entgegengesetzten Klasse) NICHT versöhnt werden KANN, das vermag
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die kleinbürgerliche Demokratie nie zu begreifen. Das Verhältnis
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zum Staat ist eines der anschaulichsten Zeugnisse dafür, daß
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unsere Sozialrevolutionäre und Menschewiki gar keine Sozialisten sind
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(was wir Bolschewiki schon immer nachwiesen), sondern kleinbürgerliche
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Demokraten mit einer beinah-sozialistischen Phraseologie.
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<p>Auf der anderen Seite ist die "kautskyanische" Entstellung des Marxismus
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viel feiner. "Theoretisch" wird weder in Abrede gestellt, daß der
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Staat ein Organ der Klassenherrschaft ist noch daß die Klassengegensätze
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unversöhnlich sind. Außer acht gelassen oder vertuscht wird
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aber folgendes: Wenn der Staat das Produkt der Unversöhnlichkeit der
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|
Klassengegensätze ist, wenn er eine ÜBER der Gesellschaft stehende
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und "sich ihr MEHR UND MEHR ENTFREMDENDE" Macht ist, so ist es klar, daß
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die Befreiung der unterdrückten Klasse unmöglich ist nicht nur
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ohne gewaltsame Revolution, SONDERN AUCH OHNE VERNICHTUNG des von der herrschenden
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Klasse geschaffenen Apparates der Staatsgewalt, in dem sich diese "Entfremdung"
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verkörpert. Diese theoretisch von selbst einleuchtende Schlußfolgerung
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hat Marx, wie wir weiter unten sehen werden, auf Grund einer konkreten
|
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|
historischen Analyse der Aufgaben der Revolution mit größter
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Bestimmtheit gezogen. Und gerade diese Schlußfolgerung hat Kautsky,
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||
|
wir werden das ausführlich in unserer weiteren Darlegung nachweisen,
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||
|
... "vergessen" und entstellt.
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<p>2. Besondere Formationen bewaffneter Menschen, Gefängnisse u.a.
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<p>"Gegenüber der alten Gentilorganisation", fährt Engels fort,
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"kennzeichnet sich der Staat erstens durch die Einteilung der Staatsangehörigen
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nach dem Gebiet."
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<p>Uns kommt diese Einteilung "natürlich" vor, sie hat aber einen
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langwierigen Kampf gegen die alte Organisation nach Geschlechtern und Stämmen
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|
erfordert.
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<p>"Das zweite ist die Einrichtung einer öffentlichen Gewalt, welche
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nicht mehr unmittelbar zusammenfällt mit der sich selbst als bewaffnete
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||
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Macht organisierenden Bevölkerung. Diese besondre, öffentliche
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|
Gewalt ist nötig, weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation
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||
|
der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen
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|
... Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht
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|
nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen
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|
Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art, von denen
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|
die Gentilgesellschaft nicht wußte."
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<p>Engels entwickelt nun den Begriff jener "Macht", die man als Staat bezeichnet,
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|
der Macht, die aus der Gesellschaft hervorgegangen ist, sich aber über
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||
|
sie stellt und sich ihr mehr und mehr entfremdet. Worin besteht hauptsächlich
|
||
|
diese Macht? In besonderen Formationen bewaffneter Menschen, die Gefängnisse
|
||
|
und anderes zu ihrer Verfügung haben.
|
||
|
<p>Wir sind berechtigt, von besonderen Formationen bewaffneter Menschen
|
||
|
zu sprechen, weil die jedem Staat eigentümliche öffentliche Gewalt
|
||
|
"nicht mehr unmittelbar zusammenfällt" mit der bewaffneten Bevölkerung,
|
||
|
mit ihrer "selbsttätigen bewaffneten Organisation". Wie alle großen
|
||
|
revolutionären Denker sucht Engels die Aufmerksamkeit der klassenbewußten
|
||
|
Arbeiter gerade auf das zu lenken, was dem herrschenden Spießertum
|
||
|
am wenigsten beachtenswert, am gewohntesten erscheint, auf das, was nicht
|
||
|
nur durch fest eingewurzelte, sondern, man kann sagen, durch verknöcherte
|
||
|
Vorurteile geheiligt ist. Das stehende Heer und die Polizei sind die Hauptwerkzeuge
|
||
|
der Gewaltausübung der Staatsmacht, aber - kann denn das anders sein?
|
||
|
<p>Vom Standpunkt der ungeheuren Mehrheit der Europäer am Ausgang
|
||
|
des 19. Jahrhunderts, an die sich Engels wandte und die keine einzige große
|
||
|
Revolution selbst miterlebt oder aus der Nähe beobachtet hatten, kann
|
||
|
das nicht anders sein. Für sie ist es völlig unverständlich,
|
||
|
was das für eine "selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung"
|
||
|
ist. Auf die Frage, warum besondere, über die Gesellschaft gestellte
|
||
|
und sich ihr entfremdende Formationen bewaffneter Menschen (Polizei, stehendes
|
||
|
Heer) nötig geworden seien, ist der westeuropäische und der russische
|
||
|
Philister geneigt, mit ein paar bei Spencer oder Michailowski entlehnten
|
||
|
Phrasen zu antworten, auf die Komplizierung des öffentlichen Lebens,
|
||
|
die Differenzierung der Funktionen u. dgl. mehr hinzuweisen.
|
||
|
<p>Ein solcher Hinweis hat den Anschein der "Wissenschaftlichkeit" und
|
||
|
schläfert den Spießbürger vortrefflich ein, da er das Wichtigste
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||
|
und Grundlegende vertuscht: die Spaltung der Gesellschaft in einander unversöhnlich
|
||
|
feindliche Klassen.
|
||
|
<p>Ohne diese Spaltung würde sich die "selbsttätige bewaffnete
|
||
|
Organisation der Bevölkerung" zwar durch ihre Kompliziertheit, die
|
||
|
Höhe ihrer Technik usw. von der primitiven Organisation der mit Baumästen
|
||
|
bewaffneten Affenherde oder der des Urmenschen oder der in der Gentilgesellschaft
|
||
|
zusammengeschlossenen Menschen unterscheiden, aber eine derartige Organisation
|
||
|
wäre möglich.
|
||
|
<p>Sie ist unmöglich, weil die zivilisierte Gesellschaft in feindliche
|
||
|
und noch dazu unversöhnlich feindliche Klassen gespalten ist, deren
|
||
|
"selbsttätige" Bewaffnung zu einem bewaffneten Kampf unter ihnen führen
|
||
|
würde. Es bildet sich der Staat heraus, es wird eine besondere Macht
|
||
|
geschaffen, besondere Formationen bewaffneter Menschen entstehen, und jede
|
||
|
Revolution, die den Staatsapparat zerstört, zeigt uns sehr deutlich,
|
||
|
wie die herrschende Klasse die IHR dienenden besonderen Formationen bewaffneter
|
||
|
Menschen zu erneuern sucht und wie die unterdrückte Klasse danach
|
||
|
strebt, eine neue Organisation dieser Art zu schaffen, die fähig ist,
|
||
|
nicht den Ausbeutern, sondern den Ausgebeuteten zu dienen.
|
||
|
<p>Engels wirft in der angeführten Betrachtung theoretisch dieselbe
|
||
|
Frage auf, die uns jede große Revolution in der Praxis anschaulich
|
||
|
und zudem im Ausmaß der Massenaktion stellt, nämlich die Frage
|
||
|
nach dem Verhältnis zwischen den "besonderen" Formationen bewaffneter
|
||
|
Menschen und der "selbsttätigen bewaffneten Organisation der Bevölkerung".
|
||
|
Wir werden sehen, wie diese Frage durch die Erfahrungen der europäischen
|
||
|
und der russischen Revolutionen konkret illustriert wird.
|
||
|
<p>Doch kehren wir zur Darstellung von Engels zurück.
|
||
|
<p>Er weist darauf hin, daß zuweilen, zum Beispiel hier und dort
|
||
|
in Nordamerika, diese öffentliche Gewalt schwach ist (es handelt sich
|
||
|
um eine für die kapitalistische Gesellschaft seltene Ausnahme und
|
||
|
um diejenigen Teile Nordamerikas in seiner vorimperialistischen Periode,
|
||
|
wo der freie Kolonist vorherrschte), daß sie sich aber, allgemein
|
||
|
gesprochen, verstärkt:
|
||
|
<p>"Sie" (die öffentliche Gewalt) "verstärkt sich aber in dem
|
||
|
Maß, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen
|
||
|
und wie die einander begrenzenden Staaten größer und volkreicher
|
||
|
werden - man sehe nur unser heutiges Europa an, wo Klassenkampf und Eroberungskonkurrenz
|
||
|
die öffentliche Macht auf eine Höhe emporgeschraubt haben, auf
|
||
|
der sie die ganze Gesellschaft und selbst den Staat zu verschlingen droht."
|
||
|
<p>Das ist nicht später als Anfang der neunziger Jahre des vorigen
|
||
|
Jahrhunderts geschrieben worden. Das letzte Vorwort von Engels datiert
|
||
|
vom 16. Juni 1891. Damals nahm die Wendung zum Imperialismus - sowohl im
|
||
|
Sinne der völligen Herrschaft der Trusts und der Allmacht der größten
|
||
|
Banken als auch im Sinne einer grandiosen Kolonialpolitik usw. - in Frankreich
|
||
|
gerade erst ihren Anfang, noch schwächer war sie in Nordamerika und
|
||
|
Deutschland.
|
||
|
<p>Seitdem hat die "Eroberungskonkurrenz" Riesenschritte vorwärts
|
||
|
getan, um so mehr, als zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts
|
||
|
der Erdball endgültig unter diese "konkurrierenden Eroberer", d.h.
|
||
|
die räuberischen Großmächte, aufgeteilt war. Seit dieser
|
||
|
Zeit sind die Rüstungen zu Lande und zu Wasser ins Ungeheure gewachsen,
|
||
|
und der Raubkrieg 1914 - 1917 um die Beherrschung der Welt durch England
|
||
|
oder Deutschland, um die Teilung der Beute hat das "Verschlingen" aller
|
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Kräfte der Gesellschaft durch die räuberische Staatsmacht in
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solchem Maße gesteigert, daß eine völlige Katastrophe
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naht.
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<p>Engels vermochte schon 1891 auf die "Eroberungskonkurrenz" als auf eines
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der wichtigsten Merkmale der Außenpolitik der Großmächte
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hinzuweisen; doch in den Jahren 1914 - 1917, als gerade diese um ein vielfaches
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verschärfte Konkurrenz den imperialistischen Krieg hervorgerufen hat,
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bemänteln die Halunken des Sozialchauvinismus die Verteidigung der
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Raubinteressen "ihrer" Bourgeoisie mit Phrasen über "Verteidigung
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des Vaterlandes", über "Schutz der Republik und der Revolution" u.
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dgl. m.!
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<p>3. Der Staat - ein Werkzeug zur Ausbeutung der unterdrückten Klasse
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<p>Zur Aufrechterhaltung einer besonderen, über der Gesellschaft stehenden
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öffentlichen Gewalt sind Steuern und Staatsschulden nötig.
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<p>"Im Besitz der öffentlichen Gewalt und des Rechts der Steuereintreibung",
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schreibt Engels, "stehn die Beamten nun da als Organe der Gesellschaft
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ÜBER der Gesellschaft. Die freie, willige Achtung, die den Organen
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der Gentilverfassung gezollt wurde, genügt ihnen nicht, selbst wenn
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sie sie haben könnten ..." Es werden Ausnahmegesetze über die
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Heiligkeit und Unverletzlichkeit der Beamten geschaffen. "Der lumpigste
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Polizeidiener ... hat mehr 'Autorität' als alle Organe der Gentilgesellschaft
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zusammengenommen; aber der mächtigste Fürst und der größte
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Staatsmann oder Feldherr der Zivilisation kann den geringsten Gentilvorsteher
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beneiden um die unerzwungene und unbestrittene Achtung, die ihm gezollt
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wird."
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<p>Hier wird die Frage nach der priviligierten Stellung der Beamten als
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Organe der Staatsgewalt aufgeworfen. Als das Grundlegende wird hervorgehoben:
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Was stellt sie ÜBER die Gesellschaft? Wir werden sehen, wie die Pariser
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Kommune 1871 diese theoretische Frage praktisch zu lösen suchte und
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wie Kautsky sie 1912 reaktionär vertuschte.
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<p>"Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze
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im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen
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entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch
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herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende
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Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung
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der unterdrückten Klasse." Nicht nur der antike und der Feudalstaat
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waren Organe zur Ausbeutung der Sklaven und leibeigenen und hörigen
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Bauern, sondern es ist auch "der moderne Repräsentativstaat Werkzeug
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der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital. Ausnahmsweise indes kommen
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Perioden vor, wo die kämpfenden Klassen einander so nahe das Gleichgewicht
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halten, daß die Staatsgewalt als scheinbare Vermittlerin momentan
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eine gewisse Selbständigkeit gegenüber beiden erhält." So
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die absolute Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts, so der Bonapartismus
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des ersten und zweiten Kaiserreichs in Frankreich, so Bismarck in Deutschland.
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<p>Und so - fügen wir von uns hinzu - die Regierung Kerenski im republikanischen
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Rußland, nachdem sie dazu übergegangen ist, das revolutionäre
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Proletariat zu verfolgen, in einem Moment, da die Sowjets infolge der Führung
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der kleinbürgerlichen Demokraten SCHON machtlos sind und die Bourgeoisie
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NOCH nicht stark genug ist, um sie ohne weiteres auseinanderzujagen.
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<p>In der demokratischen Republik, fährt Engels fort, "übt der
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Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus", und zwar erstens
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durch seine "direkte Beamtenkorruption" (Amerika) und zweitens durch die
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"Allianz von Regierung und Börse" (Frankreich und Amerika).
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<p>Heute haben Imperialismus und Herrschaft der Banken diese beiden Methoden,
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die Allmacht des Reichtums in jeder beliebigen demokratischen Republik
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zu behaupten und auszuüben, zu einer außergewöhnlichen
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Kunst "entwickelt". Wenn beispielsweise schon in den ersten Monaten der
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demokratischen Republik in Rußland, sozusagen im Honigmond des Ehebundes
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der "Sozialisten" - der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki -
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mit der Bourgeoisie, Herr Paltschinski in der Koalitionsregierung alle
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Maßnahmen zur Zügelung der Kapitalisten und ihrer Raubgier,
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ihrer Plünderung der Staatskasse durch Heereslieferungen, sabotierte,
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wenn dann der aus dem Ministerium ausgetretene Herr Paltschinski (der natürlich
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durch einen anderen, ebensolchen Paltschinski ersetzt worden ist) von den
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Kapitalisten durch ein Pöstchen mit einem Gehalt von 120.000 Rubel
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jährlich "belohnt" wurde - wie nennt man das dann? Direkte Korruption
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oder indirekte? Allianz der Regierung mit den Syndikaten oder "nur" freundschaftliche
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Beziehungen? Welche Rolle spielen die Tschernow und Zereteli, die Awksentjew
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und Skobelew? Sind sie "direkte" Bundesgenossen der Millionäre, die
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den Staat bestehlen, oder nur indirekte?
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<p>Die Allmacht des "Reichtums" ist in der demokratischen Republik deshalb
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SICHERER, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus,
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von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig
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ist. Die demokratische Republik ist die denkbar beste politische Hülle
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des Kapitalismus, und daher begründet das Kapital, nachdem es (durch
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die Paltschinski, Tschernow, Zereteli und Co.) von dieser besten Hülle
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Besitz ergriffen hat, seine Macht derart zuverlässig, derart sicher,
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daß KEIN Wechsel, weder der Personen noch der Institutionen noch
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der Parteien der bürgerlich-demokratischen Republik, diese Macht erschüttern
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kann.
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<p>Es muß noch hervorgehoben werden, daß Engels mit größter
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Entschiedenheit das allgemeine Stimmrecht als Werkzeug der Herrschaft der
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Bourgeoisie bezeichnet. Das allgemeine Stimmrecht, sagt er unter offensichtlicher
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Berücksichtigung der langjährigen Erfahrungen der deutschen Sozialdemokratie,
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ist "... der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird
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es nie sein im heutigen Staat ..."
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<p>Die kleinbürgerlichen Demokraten vom Schlage unserer Sozialrevolutionäre
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und Menschewiki sowie ihre leiblichen Brüder, alle Sozialchauvinisten
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und Opportunisten Westeuropas, erwarten eben vom allgemeinen Stimmrecht
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"mehr". Sie sind in dem falschen Gedanken befangen und suggerieren ihn
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dem Volke, das allgemeine Stimmrecht sei "im HEUTIGEN Staat" imstande,
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|
den Willen der Mehrheit der Werktätigen wirklich zum Ausdruck zu bringen
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und seine Realisierung zu sichern.
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<p>Wir können hier diesen falschen Gedanken nur anführen, nur
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darauf hinweisen, daß die vollkommen klare, genaue, konkrete Erklärung
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von Engels in der Propaganda und Agitation der "offiziellen" (d.h. opportunistischen)
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sozialistischen Parteien auf Schritt und Tritt entstellt wird. Wie völlig
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falsch dieser Gedanke ist, den Engels hier verwirft, wird in unseren weiteren
|
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Darlegungen der Auffassungen von Marx und Engels über den "HEUTIGEN"
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Staat ausführlich klargelegt.
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<p>Engels faßt seine Auffassungen in seinem populärsten Werk
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in folgenden Worten zusammen:
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<p>"Der Staat ist also nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben,
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die ohne ihn fertig wurden, die von Staat und Staatsgewalt keine Ahnung
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hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung, die
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mit der Spaltung der Gesellschaft in Klassen notwendig verbunden war, wurde
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durch diese Spaltung der Staat eine Notwendigkeit. Wir nähern uns
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jetzt mit raschen Schritten einer Entwicklungsstufe der Produktion, auf
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der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Notwendigkeit
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zu sein, sondern ein positives Hindernis der Produktion wird. Sie werden
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fallen, ebenso unvermeidlich, wie sie früher entstanden sind. Mit
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ihnen fällt unvermeidlich der Staat. Die Gesellschaft, die die Produktion
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auf Grundlage freier und gleicher Assoziation der Produzenten neu organisiert,
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versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird:
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ins Museum der Altertümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt."
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<p>Man trifft dieses Zitat in der Propaganda- und Agitationsliteratur der
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heutigen Sozialdemokratie nicht oft an. Aber selbst dann, wenn dieses Zitat
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vorkommt, gebraucht man es meistenteils so, als machte man eine Verbeugung
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vor einem Heiligenbild, d.h. als offizielle Bekundung der Ehrerbietung
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vor Engels, ohne jeden Versuch, zu erfassen, einen wie weittragenden und
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tiefgreifenden Aufschwung der Revolution dieses "Versetzen der ganzen Staatsmaschine
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ins Museum der Altertümer" voraussetzt. Meistenteils fehlt sogar das
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Verständnis für das, was Engels als Staatsmaschine bezeichnet.
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<p>4. Das "Absterben" des Staates und die gewaltsame Revolution
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<p>Die Worte Engels' über das "Absterben" des Staates sind weit und
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breit so bekannt, sie werden so oft zitiert, zeigen so plastisch, worin
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die Quintessenz der landläufigen Verfälschung des Marxismus zum
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Opportunismus besteht, daß es geboten erscheint, eingehend bei ihnen
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zu verweilen. Wir zitieren die ganze Betrachtung, der sie entnommen sind:
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<p>"Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel
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zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat,
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damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf,
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und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen
|
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|
bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine
|
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Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung
|
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|
ihrer äußeren Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen
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Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise
|
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gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft
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oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant
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der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft,
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||
|
aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche
|
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|
selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat
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|
der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels,
|
||
|
in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant
|
||
|
der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig.
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Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten
|
||
|
gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie
|
||
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der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus
|
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|
entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr
|
||
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zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig
|
||
|
machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der
|
||
|
ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel
|
||
|
im Namen der Gesellschaft -, ist zugleich sein letzter selbständiger
|
||
|
Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse
|
||
|
wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft
|
||
|
dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt
|
||
|
die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der
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|
Staat wird nicht 'abgeschafft', ER STIRBT AB. Hieran ist die Phrase vom
|
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'freien Volksstaat' zu messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen
|
||
|
Berechtigung wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit;
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||
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hieran ebenfalls die Forderung der sogenannten Anarchisten, der Staat solle
|
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von heute auf morgen abgeschafft werden." ("Anti-Dühring", "Herrn
|
||
|
Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", dritte deutsche Ausgabe,
|
||
|
S. 301 - 303.) (4)
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|
<p>Ohne zu fürchten fehlzugehen, darf man sagen, daß von dieser
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|
wunderbar gedankenreichen Engelsschen Betrachtung nur so viel wirkliches
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||
|
Gemeingut des sozialistischen Denkens in den heutigen sozialistischen Parteien
|
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|
geworden ist, daß der Staat nach Marx "abstirbt", im Unterschied
|
||
|
zur anarchistischen Lehre von der "Abschaffung" des Staates. Den Marxismus
|
||
|
so zurechtstutzen heißt ihn zu Opportunismus herabmindern, denn bei
|
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|
einer solchen "Auslegung" bleibt nur die vage Vorstellung von einer langsamen,
|
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|
gleichmäßigen, allmählichen Veränderung übrig,
|
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als gebe es keine Sprünge und Stürme, als gebe es keine Revolution.
|
||
|
Das "Absterben" des Staates im landläufigen, allgemein verbreiteten
|
||
|
Sinne, im Massensinne, wenn man so sagen darf, bedeutet zweifellos eine
|
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|
Vertuschung, wenn nicht gar eine Verneinung der Revolution.
|
||
|
<p>Indessen bedeutet eine solche "Auslegung" die gröbste, nur für
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||
|
die Bourgeoisie vorteilhafte Entstellung des Marxismus, die theoretisch
|
||
|
auf dem Außerachtlassen der wichtigsten Umstände und Erwägungen
|
||
|
beruht, wie sie allein schon in der gleichen, von uns vollständig
|
||
|
zitierten "zusammenfassenden" Betrachtung von Engels dargelegt sind.
|
||
|
<p>Erstens. Ganz zu Anfang dieser Betrachtung sagt Engels, daß das
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||
|
Proletariat, indem es die Staatsgewalt ergreift, "den Staat als Staat aufhebt".
|
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|
Darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hat, ist "nicht üblich".
|
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|
Gewöhnlich wird dies entweder ganz ignoriert oder für eine Art
|
||
|
"hegelianische Schwäche" von Engels gehalten. In Wirklichkeit drücken
|
||
|
diese Worte kurz die Erfahrungen einer der größten proletarischen
|
||
|
Revolutionen, die Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 aus, worüber
|
||
|
an entsprechender Stelle ausführlicher gesprochen werden soll. In
|
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|
Wirklichkeit spricht Engels hier von der "Aufhebung" des Staates der BOURGEOISIE
|
||
|
durch die proletarische Revolution, während sich die Worte vom Absterben
|
||
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auf die Überreste des PROLETARISCHEN Staatswesens NACH der sozialistischen
|
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|
Revolution beziehen. Der bürgerliche Staat "stirbt" nach Engels nicht
|
||
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"ab", sondern er wird in der Revolution vom Proletariat "AUFGEHOBEN". Nach
|
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|
dieser Revolution stirbt der proletarische Staat oder Halbstaat ab.
|
||
|
<p>Zweitens. Der Staat ist "eine besondre Repressionsgewalt". Diese großartige
|
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|
und überaus tiefe Definition legt Engels hier ganz klar und eindeutig
|
||
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dar. Aus ihr folgt aber, daß die "besondre Repressionsgewalt" der
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Bourgeoisie gegen das Proletariat, einer Handvoll reicher Leute gegen die
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||
|
Millionen der Werktätigen, abgelöst werden muß durch eine
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"besondre Repressionsgewalt" des Proletariats gegen die Bourgeoisie (die
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||
|
Diktatur des Proletariats). Darin eben besteht die "Aufhebung des Staates
|
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als Staat". Darin eben besteht der "Akt" der Besitzergreifung der Produktionsmittel
|
||
|
im Namen der Gesellschaft. Und es ist ohne weiteres klar, daß eine
|
||
|
SOLCHE Ablösung der einen (bürgerlichen) "besondren Gewalt" durch
|
||
|
eine andere (proletarische) "besondre Gewalt" unter keinen Umständen
|
||
|
in Form des "Absterbens" erfolgen kann.
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|
<p>Drittens. Vom "Absterben" und noch plastischer und bildhafter vom "Einschlafen"
|
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|
spricht Engels ganz klar und eindeutig in bezug auf die Epoche NACH der
|
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"Besitzergreifung der Produktionsmittel durch den Staat im Namen der gesamten
|
||
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Gesellschaft", d.h. NACH der sozialistischen Revolution. Wir wissen alle,
|
||
|
daß die politische Form des "Staates" in dieser Zeit die vollkommenste
|
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|
Demokratie ist. Doch keinem der Opportunisten, die den Marxismus schamlos
|
||
|
verzerren, kommt es in den Sinn, daß hier bei Engels somit vom "Einschlafen"
|
||
|
und "Absterben" der DEMOKRATIE die Rede ist. Auf den ersten Blick mag das
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||
|
sehr sonderbar erscheinen. Doch "unverständlich" bleibt das nur dem,
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||
|
der nicht bedacht hat, daß die Demokratie AUCH ein Staat ist und
|
||
|
daß folglich auch die Demokratie verschwinden wird, sobald der Staat
|
||
|
verschwindet. Den bürgerlichen Staat kann nur die Revolution "aufheben".
|
||
|
Der Staat überhaupt, d.h. die vollkommenste Demokratie, kann nur "absterben".
|
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|
<p>Viertens. Nachdem Engels seinen berühmten Satz "Der Staat stirbt
|
||
|
ab" aufgestellt hat, erläutert er sofort konkret, daß dieser
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||
|
Satz sich sowohl gegen die Opportunisten als auch gegen die Anarchisten
|
||
|
richtet. Dabei steht bei Engels an erster Stelle diejenige Folgerung aus
|
||
|
dem Satz vom "Absterben des Staates", die gegen die Opportunisten gerichtet
|
||
|
ist.
|
||
|
<p>Man könnte wetten, daß von 10.000 Menschen, die vom "Absterben"
|
||
|
des Staates gelesen oder gehört haben, 9.990 überhaupt nicht
|
||
|
wissen oder sich nicht entsinnen, daß Engels seine Schlußfolgerungen
|
||
|
aus diesem Satz NICHT NUR gegen die Anarchisten richtete. Und von den übrigen
|
||
|
zehn Menschen wissen neun sicherlich nicht, was der "freie Volksstaat"
|
||
|
ist und warum in dem Angriff auf diese Losung ein Angriff auf die Opportunisten
|
||
|
steckt. So wird Geschichte geschrieben! So wird die große revolutionäre
|
||
|
Lehre unmerklich dem herrschenden Spießbürgertum angepaßt.
|
||
|
Die Schlußfolgerung gegen die Anarchisten wurde Tausende Male wiederholt,
|
||
|
banalisiert und möglichst versimpelt in die Köpfe eingehämmert
|
||
|
und gewann die Festigkeit eines Vorurteils. Die Schlußfolgerung gegen
|
||
|
die Opportunisten aber wurde vertuscht und "vergessen"!
|
||
|
<p>Der freie Volksstaat war eine Programmforderung und landläufige
|
||
|
Losung der deutschen Sozialdemokraten der siebziger Jahre. Irgendeinen
|
||
|
politischen Inhalt, außer einer kleinbürgerlich schwülstigen
|
||
|
Umschreibung des Begriffs Demokratie, hat diese Losung nicht. Soweit in
|
||
|
ihr legal die demokratische Republik angedeutet wurde, war Engels bereit,
|
||
|
aus agitatorischen Gründen "zeitweilig" die "Berechtigung" dieser
|
||
|
Losung gelten zu lassen. Diese Losung war aber opportunistisch, denn sie
|
||
|
brachte nicht nur eine Beschönigung der bürgerlichen Demokratie,
|
||
|
sondern auch ein Verkennen der sozialistischen Kritik an jedwedem Staat
|
||
|
überhaupt zum Ausdruck. Wir sind für die demokratische Republik
|
||
|
als die für das Proletariat unter dem Kapitalismus beste Staatsform,
|
||
|
aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch in der allerdemokratischsten
|
||
|
bürgerlichen Republik Lohnsklaverei das Los des Volkes ist. Ferner.
|
||
|
Jedweder Staat ist "eine besondere Repressionsgewalt" gegen die unterdrückte
|
||
|
Klasse. Darum ist ein JEDER Staat UNFREI und KEIN Volksstaat. Marx und
|
||
|
Engels haben das ihren Parteigenossen in den siebziger Jahren wiederholt
|
||
|
auseinandergesetzt.
|
||
|
<p>Fünftens. In dem gleichen Werk von Engels, in dem die Betrachtung
|
||
|
über das Absterben des Staates enthalten ist - an die sich alle erinnern
|
||
|
-, finden sich Ausführungen über die Bedeutung der gewaltsamen
|
||
|
Revolution. Die geschichtliche Bewertung ihrer Rolle wird bei Engels zu
|
||
|
einer wahren Lobrede auf die gewaltsame Revolution. Dessen "erinnert sich
|
||
|
niemand"; über die Bedeutung dieses Gedankens zu reden, ja auch nur
|
||
|
nachzudenken, ist in den heutigen sozialistischen Parteien nicht üblich,
|
||
|
in der täglichen Propaganda und Agitation unter den Massen spielen
|
||
|
diese Gedanken gar keine Rolle. Indes sind sie mit dem "Absterben" des
|
||
|
Staates untrennbar zu einem harmonischen Ganzen verbunden.
|
||
|
<p>Hier diese Ausführungen von Engels:
|
||
|
<p>"Daß die Gewalt aber noch eine andre Rolle" (als die einer Vollbringerin
|
||
|
des Bösen) "in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle,
|
||
|
daß sie, in Marx' Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft
|
||
|
ist, die mit einer neuen schwanger geht, daß sie das Werkzeug ist,
|
||
|
womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne
|
||
|
politische Formen zerbricht - davon kein Wort bei Herrn Dühring. Nur
|
||
|
unter Seufzen und Stöhnen gibt er die Möglichkeit zu, daß
|
||
|
zum Sturz der Ausbeutungswirtschaft vielleicht Gewalt nötig sein werde
|
||
|
- leider! denn jede Gewaltanwendung demoralisiere den, der sie anwendet.
|
||
|
Und das angesichts des hohen moralischen und geistigen Aufschwungs, der
|
||
|
die Folge jeder siegreichen Revolution war! Und das in Deutschland, wo
|
||
|
ein gewaltsamer Zusammenstoß, der dem Volk ja aufgenötigt werden
|
||
|
kann, wenigstens den Vorteil hätte, die aus der Erniedrigung des Dreißigjährigen
|
||
|
Krieges in das nationale Bewußtsein gedrungene Bedientenhaftigkeit
|
||
|
auszutilgen. Und diese matte, saft- und kraftlose Predigerdenkweise macht
|
||
|
den Anspruch, sich der revolutionärsten Partei aufzudrängen,
|
||
|
die die Geschichte kennt?" (S. 193, dritte deutsche Auflage, Schluß
|
||
|
des IV. Kapitels, Zweiter Abschnitt.) (5)
|
||
|
<p>Wie läßt sich diese Lobrede auf die gewaltsame Revolution,
|
||
|
die Engels beharrlich von 1878 bis 1894, d.h. bis zu seinem Tode, den deutschen
|
||
|
Sozialdemokraten darbot, mit der Theorie vom "Absterben" des Staates in
|
||
|
einer Lehre vereinen?
|
||
|
<p>Gewöhnlich vereint man beides mit Hilfe des Eklektizismus, eines
|
||
|
ideenlosen oder sophistischen Herausgreifens willkürlich (oder den
|
||
|
Machthabern zu Gefallen) bald der einen, bald der anderen Betrachtung,
|
||
|
wobei in 99 von 100 Fällen, wenn nicht noch öfter, gerade das
|
||
|
"Absterben" in den Vordergrund geschoben wird. Die Dialektik wird durch
|
||
|
Eklektizismus ersetzt. Das ist, was den Marxismus anbelangt, die allgemein
|
||
|
übliche, am weitesten verbreitete Erscheinung in der offiziellen sozialdemokratischen
|
||
|
Literatur unserer Tage. Ein solches Ersetzen ist natürlich nichts
|
||
|
Neues, es war sogar in der Geschichte der klassischen griechischen Philosophie
|
||
|
zu beobachten. Bei der Verfälschung des Marxismus in Opportunismus
|
||
|
pflegt die Verfälschung der Dialektik in Eklektizismus die Massen
|
||
|
am leichtesten zu täuschen, sie gewährt eine scheinbare Befriedigung,
|
||
|
berücksichtigt scheinbar alle Seiten des Prozesses, alle Entwicklungstendenzen,
|
||
|
alle widerspruchsvollen Einflüsse usw., während sie in Wirklichkeit
|
||
|
gar keine einheitliche, keine revolutionäre Auffassung des gesellschaftlichen
|
||
|
Entwicklungsprozesses gibt.
|
||
|
<p>Wir haben schon oben davon gesprochen und werden in der weiteren Darstellung
|
||
|
ausführlicher zeigen, daß die Lehre von Marx und Engels von
|
||
|
der Unvermeidlichkeit der gewaltsamen Revolution sich auf den bürgerlichen
|
||
|
Staat bezieht. Dieser KANN durch den proletarischen Staat (die Diktatur
|
||
|
des Proletariats) NICHT auf dem Wege des "Absterbens" abgelöst werden,
|
||
|
sondern, als allgemeine Regel, nur durch eine gewaltsame Revolution. Die
|
||
|
Lobrede, die Engels auf die gewaltsame Revolution hält und die den
|
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vielfachen Erklärungen von Marx durchaus entspricht (erinnern wir
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uns an den Schluß des "Elends der Philosophie" (6) und des "Kommunistischen
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Manifests" (7) mit der stolzen und offenen Erklärung, daß die
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gewaltsame Revolution unausbleiblich ist; erinnern wir uns an die Kritik
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des Gothaer Programms vom Jahre 1875 (8), fast dreißig Jahre später,
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in der Marx den Opportunismus dieses Programms schonungslos geißelte)
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- diese Lobrede ist durchaus keine "Schwärmerei", durchaus keine Deklamation,
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kein polemischer Ausfall. Die Notwendigkeit, die Massen systematisch in
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DIESEN, gerade in diesen Auffassungen über die gewaltsame Revolution
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zu erziehen, liegt der GESAMTEN Lehre von Marx und Engels zugrunde. Der
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Verrat an ihrer Lehre durch die heutzutage vorherrschenden sozialchauvinistischen
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und kautskyanischen Strömungen kommt besonders plastisch darin zum
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Ausdruck, daß man hier wie dort DIESE Propaganda, diese Agitation
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vergessen hat.
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<p>Die Ablösung des bürgerlichen Staates durch den proletarischen
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ist ohne gewaltsame Revolution unmöglich. Die Aufhebung des proletarischen
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Staates, d.h. die Aufhebung jeglichen Staates, ist nicht anders möglich
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als auf dem Wege des "Absterbens".
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<p>Eine ausführliche und konkrete Entwicklung dieser Auffassungen
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lieferten Marx und Engels, indem sie jede einzelne revolutionäre Situation
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studierten, die Lehren aus den Erfahrungen jeder einzelnen Revolution analysierten.
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Wir gehen nunmehr zu diesem fraglos wichtigsten Teil ihrer Lehre über.
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<p><a href="le25_413.htm">nächster Teil</a></center>
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