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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - III. 2</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_593.htm"><FONT SIZE=2>III. 1</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_628.htm"><FONT SIZE=2>III. 3</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 613-628.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III. 2</P>
</FONT><B><P><A NAME="S613">|613|</A></B> Die "Urgesellschaft" Morgans bildete sozusagen eine nachtr&auml;gliche Einleitung zum Kommunistischen Manifest von Marx und Engels. Damit war aber gegeben, da&szlig; sie in der b&uuml;rgerlichen Wissenschaft eine Reaktion ausl&ouml;sen mu&szlig;te. Binnen zwei bis drei Jahrzehnten seit der Mitte des Jahrhunderts hatte sich der Begriff des Urkommunismus von allen Seiten in die Wissenschaft Eingang verschafft. Allein solange es sich noch um ehrw&uuml;rdige "germanische Rechtsaltert&uuml;mer" handelte, um "slawische Stammeseigent&uuml;mlichkeiten" oder um die historische Ausgrabung des peruanischen Inkastaates und dergleichen, &uuml;berschritten die Entdeckungen nicht den Bereich ungef&auml;hrlicher wissenschaftlicher Kuriosit&auml;ten, ohne aktuelle Bedeutung, ohne unmittelbare Verbindung mit den Tagesinteressen und Tagesk&auml;mpfen der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, so gut, da&szlig; stockkonservative oder gem&auml;&szlig;igt liberale Staatsm&auml;nner wie Ludwig von Maurer oder Sir Henry Maine sich um diese Entdeckungen die gr&ouml;&szlig;ten Verdienste erwerben konnten. Bald sollte jedoch diese Verbindung hergestellt werden, und zwar nach zwiefacher Richtung. Schon die Kolonialpolitik hatte, wie wir gesehen, einen Zusammensto&szlig; greifbarer materieller Interessen zwischen der b&uuml;rgerlichen Welt und den primitiven kommunistischen Zust&auml;nden gebracht. Je mehr sich in Westeuropa seit Mitte des 19 Jahrhunderts nach den St&uuml;rmen der Februarrevolution von 1848 das kapitalistische Regime allm&auml;chtig zu installieren begann, um so schroffer wurde jener Zusammensto&szlig;. Zugleich spielte gerade seit der Februarrevolution ein anderer Feind im eigenen Lager der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft: die revolution&auml;re Arbeiterbewegung, eine immer gr&ouml;&szlig;ere Rolle. Seit den Junitagen des Jahres 1848 in Paris verschwindet das "rote Gespenst" nicht mehr von der &ouml;ffentlichen B&uuml;hne, um im Jahre 1871 im blendenden Feuerschein der Kommunek&auml;mpfe wieder aufzutauchen zum Entsetzen der franz&ouml;sischen und der internationalen Bourgeoisie. Im Lichte dieser brutalen Klassenk&auml;mpfe zeigte nun auch die j&uuml;ngste Entdeckung der wissenschaftlichen Forschung der primitive Kommunismus, sein gef&auml;hrliches Gesicht. Die in ihren Klasseninteressen empfindlich getroffene Bourgeoisie witterte einen dunklen Zusammenhang zwischen den uralten kommunistischen &Uuml;berlieferungen, die ihr in den Koloniall&auml;ndern bei dem Vormarsch der profitgierigen "Europ&auml;isierung" der Eingeborenen den hartn&auml;ckiger Widerstand leisteten, und dem neuen Evangelium des revolution&auml;ren Ungest&uuml;ms der proletarischen Masse in den alten kapitalistischen L&auml;ndern. Als in der franz&ouml;sischen Nationalversammlung 1873 die Schicksale der ungl&uuml;cklichen Araber <A NAME="S614"><B>|614|</A></B> Algeriens durch ein Gesetz &uuml;ber die zwangsweise Einf&uuml;hrung des Privateigentums entschieden werden sollten, ert&ouml;nte in dieser Versammlung, in der noch die Feigheit und Mordlust der Sieger &uuml;ber die Pariser Kommune nachzitterte, immer wieder das Wort, das uralte Gemeineigentum der Araber m&uuml;sse um jeden Preis vernichtet werden "als eine Form, die in den Geistern kommunistische Tendenzen unterst&uuml;tze". In Deutschland sollten inzwischen die Herrlichkeiten des neuen Deutschen Reiches, die Gr&uuml;nder&auml;ra und der erste kapitalistische Krach der siebziger Jahre, das Bismarcksche Blut-und-Eisen-Regime mit seinem Sozialistengesetz, die Klassenk&auml;mpfe aufs &auml;u&szlig;erste steigern und jede Gem&uuml;tlichkeit auch aus der wissenschaftlichen Forschung verbannen. Das beispiellose Wachstum der deutschen Sozialdemokratie als der fleischgewordenen Theorien von Marx und Engels hat den Klasseninstinkt der b&uuml;rgerlichen Wissenschaft in Deutschland au&szlig;erordentlich gesch&auml;rft, und hier setzte auch die Reaktion gegen die Theorien des Urkommunismus am kr&auml;ftigsten ein. Kulturhistoriker wie Lippert und Schurtz, National&ouml;konomen wie B&u
<P>"Noch weniger sorgt nat&uuml;rlich auf solcher Stufe die &auml;ltere Generation f&uuml;r die Lebensausstattung der j&uuml;ngeren. Der Indianer steht vom Urmenschen schon weit ab. Sobald der Mensch ein Werkzeug hat, hat er den Begriff des Besitzes, aber nur in der Beschr&auml;nkung auf jenes. Einen solchen hat schon der Indianer auf der niedersten Stufe; <I>allein in diesem Urbesitze fehlt jeder kommunistische Zug; die Entwicklung beginnt mit dem Gegenteil</I>."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_613.htm#F3">[2]</A></A> [Hervorhebungen - <I>R. L.</I>]</P>
<P>Professor B&uuml;cher hat der urkommunistischen Wirtschaft seine "Theorie <A NAME="S616"><B>|616|</A></B> von der individuellen Nahrungssuche" der primitiven V&ouml;lker und von den "unerme&szlig;lichen Zeitr&auml;umen" entgegengesetzt, in denen "der Mensch existiert hat, ohne zu arbeiten".<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_613.htm#F4">[4]</A></A> F&uuml;r den Kulturhistoriker Schurtz ist aber Professor Karl B&uuml;cher mit seinem "genialen Blick" der Prophet, dem er in Sachen primitiver Wirtschaftsverh&auml;ltnisse blindlings folgt.<A NAME="ZN2"><A HREF="lu05_613.htm#N2">(2)</A></A> Der typischste und energischste Wortf&uuml;hrer aber der Reaktion gegen die gef&auml;hrlichen Lehren vom Urkommunismus und der Gentilverfassung, gegen den "Kirchenvater der deutschen Sozialdemokratie", Morgan <A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_613.htm#F5">[5]</A></A>, ist Herr Ernst Grosse. Auf den ersten Blick ist Grosse selbst Anh&auml;nger der materialistischen Geschichtsauffassung, das hei&szlig;t, er f&uuml;hrt verschiedene rechtliche, geschlechtliche, geistige Formen des gesellschaftlichen Lebens auf die jeweiligen Produktionsverh&auml;ltnisse als auf den jene Formen bestimmenden Faktor zur&uuml;ck. "Nur wenige Kulturhistoriker", sagt er in seinem 1894 erschienenen "Anf&auml;nge der Kunst", "scheinen die ganze Bedeutung der Produktion begriffen zu haben. Es ist allerdings weit leichter, sie zu untersch&auml;tzen als zu &uuml;bersch&auml;tzen. Der Wirtschaftsbetrieb ist gleichsam das Lebenszentrum jeder Kulturform; er beeinflu&szlig;t alle &uuml;brigen Faktoren der Kultur auf die tiefste und unwiderstehlichste Art, w&auml;hrend er selbst nicht sowohl durch kulturelle als durch nat&uuml;rliche Faktoren - durch geographische und meteorologische Verh&auml;ltnisse bestimmt wird. Man k&ouml;nnte mit einem gewissen Rechte die Produktionsform das prim&auml;re Kulturph&auml;nomen nennen, neben dem alle anderen Zweige der Kultur nur als abgeleitet und sekund&auml;r erscheinen; freilich nicht etwa in dem Sinne, als ob diese anderen Zweige aus dem Stamme der Produktion entstanden w&auml;ren, sondern weil sie sich, obwohl sie selbst&auml;ndig entstanden sind, stets unter dem &uuml;berm&auml;chtigen Drucke des herrschenden wirtschaftlichen Faktors geformt und entwickelt haben."<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_613.htm#F6">[6]</A></A> Es scheint auf den ersten Blick, da&szlig; Grosse selbst den "Kirchenv&auml;tern der deutschen Sozialdemokratie", den Marx und Engels, seine Hauptgedanken abgelernt hat, wenn er sich auch wohl verst&auml;ndlich h&uuml;tet, auch nur mit einem Wort zu verraten, aus wessen wissenschaftlichen <A NAME="S617"><B>|617|</A></B> Taschen er sich seine &Uuml;berlegenheit &uuml;ber die "meisten Kulturhistoriker" in fertigem Zustand geholt hat. Ja, er ist sogar in bezug auf die materialistische Geschichtsauffassung "katholischer als der Papst". W&auml;hrend Engels - neben Marx der Mitsch&ouml;pfer der materialistischen Geschichtsauffassung - f&uuml;r die Entwicklung der Familienverh&auml;ltnisse in primitiven Zeiten bis zur Ausbildung der heutigen staatlich beglaubigten Zwangsehe einen von wirtschaftlichen Verh&auml;ltnissen unabh&auml;ngigen Fortgang der Formen annahm, denen nur die Interessen des Erhaltung des Menschengeschlechts und seiner Vermehrung zugrunde lagen, geht Grosse darin sehr viel weiter. Er stellt die Theorie auf, da&szlig; die jeweilige Familienform zu allen Zeiten nur das direkte Produkt der zur Zeit herrschenden Wirtschaftsverh&auml;ltnisse war. "Nirgends ...", sagt er "tritt die Kulturbedeutung der Produktion so einleuchtend hervor als in der Geschichte der Familie. Die seltsamen Formen der menschlichen Familien, welche die Soziologen zu noch seltsameren Hypothesen begeistert haben, erscheinen &uuml;berraschend verst&auml;ndlich, sobald man sie im Zusammenhange mit den Formen der Produktion betrachtet."<A NAME="ZF7"><A HREF="lu05_613.htm#F7">[7]</A></A></P>
<P>Sein 1896 erschienenes Buch "Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaft" ist ganz dem Nachweis dieses Gedankens gewidmet. Zugleich aber ist Grosse entschiedener Gegner der Lehre vom Urkommunismus. Auch er sucht nachzuweisen, da&szlig; die gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit beileibe nicht mit Gemeineigentum, sondern mit Privateigentum begonnen habe, auch er bem&uuml;ht sich wie Lippert und B&uuml;cher, von seinem Standpunkt aus darzutun, da&szlig;, je weiter wir in die Urgeschichte zur&uuml;ckgehen, um so ausschlie&szlig;licher und allm&auml;chtiger das "Individuum" mit seinem "individuellen Besitz" vorherrsche. Zwar lie&szlig;en sich die Entdeckungen &uuml;ber die kommunistische Dorfgemeinde in allen Weltteilen und im Zusammenhang mit ihr die Geschlechterverb&auml;nde oder, wie Grosse sie nennt, die Sippen nicht einfach bestreiten. Allein Grosse l&auml;&szlig;t eben - darin besteht seine eigentliche Theorie - die Geschlechtsorganisation als Rahmen der kommunistischen Wirtschaft nur auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung aufkommen: mit dem niederen Ackerbau, um sie alsbald auf der Stufe des h&ouml;heren Ackerbaus der Aufl&ouml;sung verfallen und wieder dem "individuellen Eigentum" Platz machen zu lassen. Auf diese Weise stellt Grosse triumphierend die von Morgan-Marx aufgestellte historische Perspektive direkt auf den Kopf. Nach dieser war der Kommunismus die Wiege der Menschheit in ihrer Kulturentwicklung, die Form der Wirtschaftsverh&auml;ltnisse, die diese Entwicklung in unerme&szlig;lich langen <A NAME="S618"><B>|618|</A></B> Zeitr&auml;umen begleitete, um erst mit der Zivilisation der Aufl&ouml;sung zu verfallen und dem Privateigentum Platz zu machen, wobei die Epoche der Zivilisation ihrerseits einem raschen Aufl&ouml;sungsproze&szlig; und der R&uuml;ckkehr zum Kommunismus in h&ouml;herer Form der sozialistischen Gesellschaftsordnung entgegengeht. Nach Grosse war es das Privateigentum, das die Entstehung und den Fortschritt der Kultur begleitete, um nur auf einer bestimmten Stufe, des niederen Ackerbaus, vor&uuml;bergehend dem Kommunismus Platz zu machen. Nach Marx-Engels und Morgan ist das Gemeineigentum, die gesellschaftliche Solidarit&auml;t, nach Grosse und seinen Kollegen von der b&uuml;rgerlichen Wissenschaft das "Individuum" mit dem Privateigentum der Anfangs und Endpunkt der Kulturgeschichte. Doch nicht genug. Grosse ist ausgesprochener Gegner nicht nur Morgans und des Urkommunismus, sondern der ganzen Entwicklungstheorie auf dem Gebiete des Gesellschaftslebens und gie&szlig;t die Lauge seines Spottes &uuml;ber jene kindlichen Geister aus, die alle Erscheinungen des sozialen Lebens in eine Entwicklungsreihe bringen und als einen einheitlichen Proze&szlig;, als einen Fortgang der Menschheit von niederen zu h&ouml;heren Lebensformen auffassen wollen. Diesen Grundgedanken, der der ganzen modernen Gesellschaftswissenschaft im allgemeinen und insbesondere der Geschichtsauffassung und der Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus zur Basis dient, bek&auml;mpft Herr Grosse als typischer Bourgeoisgelehrter mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft. <I>"Die Menschheit"</I>, verk&uuml;ndet und unterstreicht er, <I>"bewegt sich keineswegs auf einer einzigen Linie in einer einzigen Richtung; sondern so verschieden die Lebensbedingungen der Volker sind, so verschieden sind auch ihre Wege und Ziele."</I><A NAME="ZF8"><A HREF="lu05_613.htm#F8">[8]</A></A> So ist in der Person Grosses die b&uuml;rgerliche Gesellschaftswissenschaft in ihrer Reaktion gegen die revolution&auml;ren Folgerungen ihrer eigenen Entdeckungen bis zu dem Punkt gelangt, zu dem auch die b&uuml;rgerliche Vulg&auml;r&ouml;konomie in ihrer Reaktion gegen die klassische &Ouml;konomie gelangt war: zur Negation der Gesetzm&auml;&szlig;igkeit selbst der sozialen Entwicklung.<A NAME="ZF9"><A HREF="lu05_613.htm#F9">[9]</A></A> Sehen wir uns diesen seltsamen historischen "Materialismus" des j&uuml;ngsten Marx-, Engels- und Morgan-&Uuml;berwinders etwas n&auml;her an.</P>
<P>Grosse redet sehr viel von "Produktion", er redet die ganze Zeit vom "Charakter der Produktion" als bestimmendem Faktor, der die gesamte Kultur beeinflu&szlig;t. Was versteht er aber unter Produktion und ihrem Cha- <A NAME="S619"><B>|619|</A></B> rakter? "Die Wirtschaftsform, welche in einer sozialen Gruppe herrscht oder vorherrscht, die Art, auf welche sich die Glieder der Gruppe den Lebensunterhalt erwerben, ist eine Tatsache, welche sich direkt beobachten und in ihren Hauptz&uuml;gen &uuml;berall mit gen&uuml;gender Sicherheit feststellen l&auml;&szlig;t. Wir m&ouml;gen &uuml;ber die religi&ouml;sen und die sozialen Anschauungen der Australier noch so sehr im Zweifel sein; &uuml;ber den Charakter ihrer Produktion ist auch nicht der geringste Zweifel m&ouml;glich: Die Australier sind J&auml;ger und Pflanzensammler. Es ist vielleicht unm&ouml;glich, in die geistige Kultur der alten Peruaner einzudringen; aber die Tatsache, da&szlig; die B&uuml;rger des Inkareiches ein ackerbauendes Volk waren, liegt f&uuml;r jeden Blick offen."<A NAME="ZN3"><A HREF="lu05_613.htm#N3">(3)</A></A></P>
<P>Unter "Produktion" und ihrem "Charakter" versteht also Grosse einfach die jeweilige Hauptquelle der Ern&auml;hrung des Volkes. Jagd, Fischerei, Viehzucht, Ackerbau - das sind jene "Produktionsverh&auml;ltnisse", die bestimmend auf alle &uuml;brigen Kulturverh&auml;ltnisse eines Volkes einwirken. Hier mu&szlig; man zun&auml;chst bemerken, da&szlig;, wenn es auf diese magere Entdeckung ankam, die &Uuml;berhebung des Herrn Grosse &uuml;ber die "meisten Kulturhistoriker" zum mindesten ganz unbegr&uuml;ndet war. Die Erkenntnis, da&szlig; die Art der Hauptquelle, die dem gegebenen Volke zur Ern&auml;hrung dient, von au&szlig;erordentlicher Wichtigkeit f&uuml;r seine Kulturentwicklung ist, bildet nicht sowohl Herrn Grosses funkelnagelneue Entdeckung wie vielmehr ein uraltes, ehrw&uuml;rdiges Inventarst&uuml;ck aller Gelehrten der Kulturgeschichte. Diese Erkenntnis hat ja gerade zu der landl&auml;ufigen Einteilung der V&ouml;lker in J&auml;ger, Viehz&uuml;chter und Ackerbauer gef&uuml;hrt, die in allen Kulturgeschichten wiederkehrt und die Herr Grosse selbst nach vielem Hin und Her schlie&szlig;lich doch selbst anwendet. Diese Erkenntnis ist aber nicht blo&szlig; ganz alt, sondern auch - in der platten Fassung, in der sie Grosse &uuml;bernimmt - ganz falsch. Wissen wir lediglich, da&szlig; ein Volk von Jagd, Viehzucht oder Ackerbau lebt, so wissen wir von seinen Produktionsverh&auml;ltnissen und von seiner sonstigen Kultur zun&auml;chst noch gar nichts. Die heutigen Hottentotten in S&uuml;dwestafrika, denen die Deutschen ihre Herden und damit ihre bisherige Existenzquelle weggenommen und sie daf&uuml;r mit modernen Flinten versehen haben, sind erzwungenerma&szlig;en wieder J&auml;ger geworden. Die Produktionsverh&auml;ltnisse dieses "J&auml;gervolkes" aber haben nicht das geringste gemein mit den indianischen J&auml;gern Kaliforniens, die noch in ihrer primitiven Weltabgeschiedenheit leben, und die letzteren wieder sind sehr wenig &auml;hnlich den J&auml;gerkompanien Kanadas, die f&uuml;r amerikanische und europ&auml;ische Kapitalisten gewerbsm&auml;&szlig;ig Tierfelle f&uuml;r den Rauchwarenhan- <A NAME="S620"><B>|620|</A></B> del liefern. Die peruanischen Viehz&uuml;chter, die vor der spanischen Invasion ihre Lamas in den Kordilleren kommunistisch unter der Inkaherrschaft h&uuml;teten, die arabischen Nomaden mit ihren patriarchalischen Herden in Afrika oder Arabistan, die heutigen Bauern in den Schweizer, Bayrischen oder Tiroler Alpen, die mitten in der kapitalistischen Welt ihre althergebrachten "Alpenb&uuml;cher" f&uuml;hren, die halbverwilderten r&ouml;mischen Sklaven, die im rauhen Apulien enorme Herden ihrer Herren h&uuml;teten, die Farmer, die im heutigen Argentinien f&uuml;r die Ohioer Schlachth&auml;user und Konservenfabriken zahllose Herden m&auml;sten - das sind alles Muster der "Viehzucht", die ebenso viele total verschiedene Typen der Produktion und der Kultur darstellen. Endlich der "Ackerbau" umfa&szlig;t eine so lange Skala verschiedenartigster Wirtschaftsweisen und Kulturstufen, von der uralten indischen Markgenossenschaft zum modernen Latifundium, von der b&auml;uerlichen Zwergwirtschaft zum ostelbischen Rittergut, vom englischen Pachtsystem zur rum&auml;nischen Jobagie, von dem chinesischen b&auml;uerlichen Gartenbau zur brasilianischen Plantage mit Sklavenarbeit, von dem weiblichen Hackbau auf Tahiti bis zur nordamerikanischen Bonanzafarm mit Dampf- und Elektrizit&auml;tsbetrieb, da&szlig; nur die gl&auml;nzende Verst&auml;ndnislosigkeit f&uuml;r das, was wirkliche "Produktion" bedeutet, in den gro&szlig;spurigen Offenbarungen des Herrn Grosse &uuml;ber die Bedeutung der Produktion geoffenbart wird. Gerade gegen diese Art groben und rohen "Materialismus", der nur die &auml;u&szlig;eren Naturbedingungen der Produktion und der Kultur in Betracht zieht und der in dem englischen Soziologen Buckle seinen besten und ersch&ouml;pfenden Ausdruck fand, wandten sich Marx und Engels. Nicht die &auml;u&szlig;ere Naturquelle der Ern&auml;hrung ist f&uuml;r die wirtschaftlichen und kulturellen Verh&auml;ltnisse der Me
<P>Der Zusammenhang der Familienformen mit den so verstandenen "Produktionsformen" sieht nun bei Herrn Grosse folgenderma&szlig;en aus: "Auf der niedersten Stufe ern&auml;hrt sich der Mensch durch die Jagd - im weitesten Sinne - und durch das Einsammeln von Vegetabilien. Bei dieser primitivsten Form der Produktion zeigt sich zugleich die primitivste Form der Arbeitsteilung - die physiologisch begr&uuml;ndete Arbeitsteilung zwischen den beiden Geschlechtern. W&auml;hrend sich der Mann die Sorge f&uuml;r die animalische Nahrung vorbeh&auml;lt, ist das Einsammeln von Wurzeln und Fr&uuml;chten die Aufgabe der Frau. Unter diesen Verh&auml;ltnissen liegt der wirtschaftliche Schwerpunkt fast immer auf der m&auml;nnlichen Seite, und infolgedessen tr&auml;gt die primitive Familienform &uuml;berall einen unverkennbaren patriarchalischen Charakter. Welcherart auch die Anschauungen &uuml;ber Blutsverwandtschaft sein m&ouml;gen, der primitive Mann steht, selbst wenn er nicht als Blutsverwandter seiner Nachkommen gilt, tats&auml;chlich als Herr und Eigent&uuml;mer in der Mitte seiner Weiber und Kinder. Von dieser untersten Stufe aus kann die Produktion nach zwei Richtungen fortschreiten; je nachdem der weibliche oder der m&auml;nnliche Wirtschaftsbetrieb eine weitere Ausbildung erf&auml;hrt. Welcher von den beiden Zweigen aber zum Stamme auswachsen soll, das h&auml;ngt in erster Linie von den nat&uuml;rlichen Bedingungen ab, unter denen die primitive Gruppe lebt. Wenn die Flora und das Klima des Landes zun&auml;chst die Schonung und sp&auml;ter die Pflege von Nutzpflanzen nahelegen und lohnen, so entwickelt sich der weibliche Wirtschaftszweig, das Pflanzensammeln, allm&auml;hlich zum Pflanzenbau. In der Tat liegt bei primitiven ackerbauenden V&ouml;lkern dieses Gesch&auml;ft stets in den H&auml;nden der Frau. Damit ist aber auch der wirtschaftliche Schwerpunkt auf die weibliche Seite verlegt, und infolgedessen finden wir bei allen primitiven Gesellschaften, die sich vorwiegend auf den Ackerbau st&uuml;tzen, eine matriarchalische Familienform oder doch die Spuren einer solchen. Die Frau als Hauptern&auml;hrerin und Grundherrin steht jetzt im Mittelpunkt der Familie. Zu der Ausbildung eines Matriarchats im eigentlichen Sinne, zu einer wirklichen Frauenherrschaft, ist es allerdings nur in sehr seltenen F&auml;llen gekommen - n&auml;mlich nur dort, wo die soziale Gruppe den Angriffen &auml;u&szlig;erer Feinde entr&uuml;ckt war. In allen anderen F&auml;llen gewann der Mann das &Uuml;bergewicht, welches er als Ern&auml;hrer verloren hatte, als Besch&uuml;tzer wieder. Auf diese Weise entstehen die Familienformen, <A NAME="S622"><B>|622|</A></B> welche bei den meisten dieser ackerbauenden V&ouml;lker herrschen und welche einen Kompromi&szlig; zwischen der matriarchalischen und der patriarchalischen Richtung darstellen. Ein gro&szlig;er Teil der Menschheit hat indessen eine ganz andere Entwicklung erfahren. Diejenigen J&auml;gerv&ouml;lker, welche in Gegenden lebten, die dem Ackerbau Schwierigkeiten entgegensetzten, w&auml;hrend sie dem Menschen Tiere darboten, welche die Domestikation gestatteten und lohnten, sind nicht wie jene ersten zur Pflanzenzucht, sondern zur Viehzucht fortgeschritten. Die Viehzucht aber, welche sich allm&auml;hlich aus der Jagd entwickelt hat, erscheint genau wie diese urspr&uuml;nglich &uuml;berall als ein Vorrecht des Mannes. Auf diese Weise wird das bereits vorhandene wirtschaftliche &Uuml;bergewicht der m&auml;nnlichen Seite noch verst&auml;rkt, und dieses Verh&auml;ltnis findet einen konsequenten Ausdruck in der Tatsache, da&szlig; s&auml;mtliche V&ouml;lker, die sich vorzugsweise durch die Viehzucht ern&auml;hren, unter der Herrschaft der patriarchalischen Familienform stehen. Au&szlig;erdem wird die gebietende Stellung des Mannes in den viehz&uuml;chtenden Gesellschaften noch durch einen anderen Umstand erh&ouml;ht, der ebenfalls unmittelbar mit der Form ihrer Produktion zusammenh&auml;ngt. Viehz&uuml;chtende V&ouml;lker neigen stets zu kriegerischen Verwicklungen und infolgedessen zur Ausbildung einer zentral
<P>Die hier geschilderten seltsamen historischen Schicksale der menschlichen Familie in ihrer Abh&auml;ngigkeit von den Produktionsformen laufen also auf das folgende Schema hinaus: Periode der Jagd - Einzelfamilie mit M&auml;nnerherrschaft, Periode der Viehzucht - Einzelfamilie mit noch &auml;rgerer M&auml;nnerherrschaft, Periode des niederen Ackerbaues - Einzelfamilie mit stellenweiser Frauenherrschaft, sp&auml;ter aber Unterwerfung der Ackerbauer durch die Viehz&uuml;chter, also auch hier Einzelfamilie mit M&auml;nnerherrschaft, und als Schlu&szlig;stein des Geb&auml;udes: Periode des h&ouml;he- <A NAME="S623"><B>|623|</A></B> ren Ackerbaues - Einzelfamilie mit M&auml;nnerherrschaft. Herr Grosse nimmt es, wie man sieht, mit seiner Verleugnung der modernen Entwicklungslehre ernst. Bei ihm gibt es eine Entwicklung der Familienformen &uuml;berhaupt nicht. Die Geschichte beginnt und endet mit der Einzelfamilie und M&auml;nnerherrschaft. Dabei merkt Grosse nicht, da&szlig; er, nachdem er gro&szlig;spurig die Entstehung der Familienformen aus den Produktionsformen zu erkl&auml;ren versprochen hat, die Familienform &uuml;berhaupt schon als etwas Gegebenes, Fertiges, n&auml;mlich als die Einzelfamilie, als einen modernen Hausstand, voraussetzt und diese ganz unver&auml;ndert unter <I>allen </I>Produktionsformen annimmt. Das, was er in Wirklichkeit als verschiedene "Familienformen" im Wandel der Zeiten verfolgt, ist lediglich die eine Frage nach dem Verh&auml;ltnis der Geschlechter zueinander. M&auml;nnerherrschaft oder Frauenherrschaft - das ist nach Grosse die "Familienform", die er somit in ganz harmonischer Weise ebenso roh auf ein &auml;u&szlig;eres Merkmal reduziert, wie er die "Produktionsform" auf die Frage Jagd, Viehzucht oder Ackerbau versimpelt hat. Da&szlig; "M&auml;nnerherrschaft" oder "Frauenherrschaft" Dutzende verschiedener Familienformen umfassen k&ouml;nnen, da&szlig; es innerhalb derselben Kulturstufe der "J&auml;ger" Dutzende verschiedener Verwandtschaftssysteme geben kann - das alles existiert f&uuml;r Herrn Grosse ebensowenig wie die Frage nach den gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen innerhalb einer Produktionsart. Das gegenseitige Verh&auml;ltnis der Familienformen und der Produktionsformen kommt dabei auf den folgenden geistreichen "Materialismus" hinaus: Die beiden Geschlechter werden von vornherein als Gesch&auml;ftskonkurrenten betrachtet. Wer die Familie ern&auml;hrt, der herrscht auch in der Familie, meint der Philister und auch der b&uuml;rgerliche Zivilkodex. Das Pech des weiblichen Geschlechts will aber, da&szlig; es nur einmal in der Geschichte ausnahmsweise - bei dem niedrigen Hackbau - Tr&auml;ger der Familienern&auml;hrung war, aber auch dann mu&szlig;te es meist vor dem kriegerischen m&auml;nnlichen Geschlecht den k&uuml;rzeren ziehen. Und so ist die Geschichte der Familienform im Grunde genommen blo&szlig; eine Geschichte der Sklaverei der Frau, bei allen "Produktionsformen" und trotz aller Produktionsformen. Der einzige Zusammenhang der Familienformen mit den Wirtschaftsformen ist dabei schlie&szlig;lich nur der leichte Unterschied zwischen etwas milderen und etwas h&auml;rteren Formen der M&auml;nnerherrschaft. Zum Schlu&szlig; erscheint als die erste Erl&ouml;sungsbotschaft in der menschlichen Kulturgeschichte f&uuml;r die versklavte Frau - die christliche Kirche, die zwar nicht auf Erden, aber wenigstens im blauen Himmels&auml;ther keinen Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern kennt. "Durch diese Lehre hat das Christentum der Frau eine Hoheit ver- <A NAME="S624"><B>|624|</A></B> liehen, vor der sich die Willk&uuml;r des Mannes beugen mu&szlig;"<A NAME="ZN5"><A HREF="lu05_613.htm#N5">(5)</A></A>, schlie&szlig;t Herr Grosse, indem er nach langen Irrfahrten auf den Gew&auml;ssern der Wirtschaftsgeschichte gl&uuml;cklich im Hafen der christlichen Kirche vor Anker gegangen ist. Nicht wahr, wie "&uuml;berraschend verst&auml;ndlich" erscheinen doch die Familienformen, welche die Soziologen zu so "seltsamen Hypothesen begeistert haben", wenn man sie "im Zusammenhang mit den Produktio
<P>Das Frappanteste jedoch bei dieser Geschichte der "Familienform" ist die Behandlung des Geschlechtsverbandes oder der Sippe, wie Grosse ihn nennt. Wir haben gesehen, welche enorme Rolle die Geschlechtsverb&auml;nde auf den fr&uuml;heren Kulturstufen f&uuml;r das gesellschaftliche Leben spielten. Wir haben gesehen, da&szlig; sie - namentlich nach Morgans epochemachenden Untersuchungen - die eigentliche Gesellschaftsform der Menschen vor der Ausbildung des territorialen Staates und noch lange danach die wirtschaftliche Einheit sowie die religi&ouml;se Gemeinschaft waren. Wie verhalten sich diese Tatsachen zur merkw&uuml;rdigen Geschichte der Grosseschen "Familienformen"? Grosse kann offenbar das Bestehen der Sippenverfassung bei allen primitiven V&ouml;lkern nicht einfach leugnen. Da sie aber mit seinem Schema der Einzelfamilien und der Herrschaft des Privateigentums im Widerspruch stehen, so sucht er ihre Bedeutung m&ouml;glichst auf nichts zu reduzieren, ausgenommen die eine Periode des niederen Ackerbaues. "Die Sippenmacht ist mit der niederen Ackerwirtschaft entstanden, und mit ihr vergeht sie auch. Bei s&auml;mtlichen h&ouml;heren Ackerbauv&ouml;lkern ist die Sippenordnung entweder schon verfallen oder sie verf&auml;llt."<A NAME="ZN6"><A HREF="lu05_613.htm#N6">(6)</A></A> So l&auml;&szlig;t Grosse die "Sippenmacht" mit ihrer kommunistischen Wirtschaft mitten in der Wirtschaftsgeschichte und Familiengeschichte wie aus der Pistole geschossen auftauchen, um sie alsbald wieder der Aufl&ouml;sung anheimfallen zu lassen. Wie denn die Entstehung, das Bestehen, die Funktionen der Sippenordnung in den Jahrtausenden der Kulturentwicklung vor dem niederen Ackerbau zu erkl&auml;ren sind, da sie nach Grosse in jenen Zeiten weder eine wirtschaftliche Funktion noch eine soziale Bedeutung gegen&uuml;ber der Einzelfamilie haben, was &uuml;berhaupt diese Sippen sind, die bei den J&auml;gern, bei den Viehz&uuml;chtern im Hintergrund der Sonderfamilien mit Privatwirtschaft ihr schattenhaftes Dasein f&uuml;hren, bleibt ein Privatgeheimnis des Herrn Grosse. Ebensowenig k&uuml;mmert er sich darum, da&szlig; sein Geschicht- <A NAME="S625"><B>|625|</A></B> chen in krassem Widerspruch zu einigen allgemein anerkannten Tatsachen steht. Die Sippen sollen erst bei niederem Ackerbau Bedeutung erlangen; nun sind die Sippen meist mit dem Institut der Blutrache, mit religi&ouml;sem Kultus und sehr h&auml;ufig mit einer Tierbenennung verbunden; alle diese Dinge sind aber viel &auml;lter als der Ackerbau, m&uuml;ssen also nach der eigenen Theorie Grosses aus den Produktionsverh&auml;ltnissen viel urspr&uuml;nglicherer Kulturperioden ihre Macht ableiten. Grosse erkl&auml;rt die Sippenordnung h&ouml;herer Ackerbauer, wie der Germanen, Kelten, Inder, als ein Verm&auml;chtnis der Periode des niederen Ackerbaues, wo sie in der weiblichen Landwirtschaft wurzeln. Nun ist aber der h&ouml;here Ackerbau der Kulturv&ouml;lker nicht aus dem weiblichen Hackbau, sondern aus der Viehzucht entstanden, die schon von den M&auml;nnern betrieben wurde und wo folglich nach Grosse die Sippe gegen&uuml;ber der patriarchalen Familienwirtschaft keine Bedeutung hatte. Nach Grosse ist die Sippenordnung bei den nomadisierenden Viehz&uuml;chtern bedeutungslos, erst mit der Ansiedelung und dem Ackerbau gewinnt sie f&uuml;r einige Zeit die Macht. Nach den angesehensten Forschern der Agrarverfassung aber verlief die tats&auml;chliche Entwicklung in gerade umgekehrter Richtung: Solange die Viehz&uuml;chter eine nomadisierende Lebensweise f&uuml;hrten, hatten die Geschlechterverb&auml;nde die gr&ouml;&szlig;te Gewalt in jeder Hinsicht, mit der Se&szlig;haftigkeit und dem Ackerbau beginnt der Sippenzusammenhang sich zu lockern und zur&uuml;ckzutreten gegen&uuml;ber dem &ouml;rtlichen Verband der Ackerbauer, deren Interessengemeinsamkeit st&auml;rker ist als die Tradition der Blutsbande, die Geschlechtsgemeinde verwandelt sich in die sogenannte Nachbargemeinde. Dies ist die Ansicht Ludwig von Maurers, Kowalewskis, Henry Maines, Laveleyes, dieselbe Erscheinung weist gegenw&auml;rtig Ka
<P>Zum Schlu&szlig; sei noch erw&auml;hnt, da&szlig; Grosse f&uuml;r die wichtigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der primitiven Familienverh&auml;ltnisse, wie das Matriarchat (Mutterherrschaft), von seinem Standpunkte eingestandenerma&szlig;en nicht die geringste Erkl&auml;rung zu geben wei&szlig; und sich darauf beschr&auml;nkt, achselzuckend das Matriarchat f&uuml;r "die seltenste Kuriosit&auml;t der Soziologie" zu erkl&auml;ren; da&szlig; er sich zu der unglaublichen Behauptung versteigt, bei den Australiern h&auml;tten die Vorstellungen &uuml;ber Blutsverwandtschaft keinerlei Einflu&szlig; auf ihre Familiensysteme gehabt, zu der noch unglaublicheren, bei den alten Peruanern habe es keine Spur von Sippen gegeben, da&szlig; er &uuml;ber die Agrarverfassung der Germanen nach dem veralteten und unzuverl&auml;ssigen Material Laveleyes urteilt und da&szlig; er endlich demselben Laveleye zum Beispiel die fabelhafte Behauptung nach <A NAME="S626"><B>|626|</A></B> redet, "heute noch" bilde die russische Dorfgemeinde bei den 35 Millionen Gro&szlig;russen einen Sippenverband mit Blutsverwandtschaft, eine "Familiengemeinschaft", was ungef&auml;hr so zutrifft wie etwa die Behauptung, die gesamte Einwohnerschaft Berlins bilde "heute noch" eine gro&szlig;e Familiengemeinschaft. Alles dies bef&auml;higt Grosse ganz besonders dazu, den "Kirchenvater der deutschen Sozialdemokratie", Morgan, wie einen toten Hund zu behandeln.</P>
<P>Die obigen Proben der Grosseschen Behandlung der Familienformen und der Sippe geben eine Vorstellung davon, wie er die "Formen der Wirtschaft" behandelt. Seine ganze gegen die Annahme des Urkommunismus gerichtete Beweisf&uuml;hrung beruht auf lauter Zwar und Aber, wobei die nicht zu bestreitenden Tatsachen zwar zugegeben, ihnen aber andere so entgegengestellt werden, da&szlig; das Nichterw&uuml;nschte verkleinert, das Erw&uuml;nschte aufgebauscht und das Resultat dementsprechend zurechtgemacht wird.</P>
<P>Zwar berichtet Grosse selbst &uuml;ber die niederen J&auml;ger: "Der individuale Besitz, der bei allen niederen Gesellschaften vornehmlich oder ausschlie&szlig;lich in der beweglichen Habe besteht, ist hier fast ganz bedeutungslos; der wertvollste Teil des Eigentums aber, der Jagdgrund, geh&ouml;rt allen M&auml;nnern eines Stammes gemeinsam. Infolgedessen mu&szlig; auch die Jagdbeute zuweilen unter s&auml;mtliche Mitglieder einer Horde verteilt werden. Dies wird zum Beispiel von den Botokuden berichtet (Ehrenreich: &Uuml;ber die Botocudes. In: Zeitschrift f&uuml;r Ethnologie, XIX, 31.) Auch in einigen Teilen Australiens bestehen &auml;hnliche Br&auml;uche. So sind und bleiben denn s&auml;mtliche Mitglieder einer primitiven Gruppe ungef&auml;hr gleich arm. Da es keine wesentlichen Verm&ouml;gensunterschiede gibt, so fehlt eine Hauptquelle f&uuml;r die Entstehung von Stammesunterschieden. Im allgemeinen sind alle erwachsenen M&auml;nner innerhalb des Stammes gleichberechtigt."<A NAME="ZF11"><A HREF="lu05_613.htm#F11">[11]</A></A> Desgleichen "hat die Sippenzugeh&ouml;rigkeit in einigen (!) Beziehungen wesentlichen Einflu&szlig; auf das Leben des niederen J&auml;gers. Sie verleiht ihm das Recht, einen bestimmten Jagdgrund zu benutzen, und sie gibt ihm das Recht und die Pflicht des Schutzes und der Rache" (S. 64). Desgleichen gibt Grosse die M&ouml;glichkeit eines Sippenkommunismus bei den niederen J&auml;gern Zentralkaliforniens zu.</P>
<P>Aber trotzdem ist die Sippe hier lose und schwach, eine Wirtschaftsgemeinschaft gibt es nicht. "Die Produktionsweise der arktischen J&auml;ger ist jedoch so durchaus individualistisch, da&szlig; der Sippenzusammenhang zen- <A NAME="S627"><B>|627|</A></B> trifugalen Gel&uuml;sten kaum zu widerstehen vermag."' Desgleichen bei den Australiern wird die Nutzung des gemeinsamen Jagdbodens "durch Jagen und Sammeln in der Regel keineswegs gemeinschaftlich betrieben, sondern jede Einzelfamilie f&uuml;hrt eine gesonderte Wirtschaft". Und im allgemeinen "der Nahrungsmangel duldet keine dauernde Vereinigung gr&ouml;&szlig;erer Gruppen, sondern er zwingt sie zur Zerstreuung" (S. 63).</P>
<P>Gehen wir zu h&ouml;heren J&auml;gern &uuml;ber.</P>
<I><P>Zwar </I>"der Boden ist auch bei den h&ouml;heren J&auml;gern in der Regel Gemeineigentum des Stammes oder der Sippe" (S. 69), zwar finden wir auf dieser Stufe direkt Massenh&auml;user als gemeinsame Quartiere f&uuml;r Sippen (S. 84), zwar h&ouml;ren wir weiter: "Die ausgedehnten D&auml;mme und Wehre, welche Mackenzie in den Fl&uuml;ssen der Haidah sah und welche nach seiner Sch&auml;tzung die Arbeit des gesamten Stammes erfordert haben mu&szlig;ten, standen unter der Aufsicht des H&auml;uptlings, ohne dessen Erlaubnis niemand fischen durfte. Sie galten also wahrscheinlich als Eigentum der gesamten Dorfgemeinde, der ja auch die Fischwasser und Jagdgr&uuml;nde ungeteilt geh&ouml;ren" (S. 87).</P>
<I><P>Aber </I>"die bewegliche Habe hat hier eine solche Ausdehnung und Bedeutung gewonnen, da&szlig; sich trotz der Gleichheit des Grundbesitzes eine gro&szlig;e Ungleichheit des Verm&ouml;gens entwickeln kann" (S. 69), und "in der Regel gilt die Nahrung, soviel wir sehen k&ouml;nnen, ebensowenig als Gemeineigentum wie die &uuml;brige bewegliche Habe. Man darf also die Haussippen nur in einem sehr beschr&auml;nkten Sinne als Wirtschaftsgemeinschaften bezeichnen" (S. 88).</P>
<P>Wenden wir uns an die n&auml;chst h&ouml;here Kulturstufe, an die nomadisierenden Viehz&uuml;chter. Auch &uuml;ber sie berichtet Grosse:</P>
<I><P>Zwar </I>"selbst die unruhigsten Nomaden schweifen nicht in unbegrenzte Weiten hinaus, sie bewegen sich vielmehr s&auml;mtlich nur innerhalb eines ziemlich fest umgrenzten Gebietes, welches als das Eigentum ihres Stammes gilt und welches h&auml;ufig wiederum unter die einzelnen Sonderfamilien und Sippen verteilt ist" (S. 91). Und weiter: "Der Boden ist beinahe in dem ganzen Bereiche der Viehzucht Gemeinbesitz des Stammes oder der Sippe" (S. 96). "Das Land ist freilich Gemeingut aller Sippengenossen und wird als solches von der Sippe oder ihrem Vorsteher zur Benutzung unter die verschiedenen Familien verteilt" (S. 128),</P>
<I><P>Aber </I>"das Land ist nicht der wertvollste Besitz des Nomaden. Sein h&ouml;chstes Gut ist seine Herde, und das Vieh ist stets (!) Sondereigentum <B>|628|</B> der einzelnen Familien. Die viehz&uuml;chtende Sippe ist niemals (!) zu einer Wirtschafts- und Besitzgemeinschaft geworden."</P>
<P>Endlich folgen die niederen Ackerbauer. Hier wird <I>zwar </I>zum erstenmal die Sippe als eine v&ouml;llig kommunistische Wirtschaftsgenossenschaft zugegeben.</P>
<I><P>Aber - </I>auch hier folgt ein Aber auf dem Fu&szlig;e - auch hier "untergr&auml;bt die Industrie die soziale Gleichheit" (Grosse spricht von Industrie, meint&#9;aber nat&uuml;rlich Warenproduktion, die er von jener nicht zu unterscheiden wei&szlig;) und schafft ein bewegliches Sondereigentum, das &Uuml;bergewicht &uuml;ber das Gemeineigentum an Boden hat und dieses zerst&ouml;rt (S. 137/138). Und trotz der Bodengemeinschaft "besteht auch hier bereits die Trennung von Reichen und Armen".<A NAME="ZF12"><A HREF="lu05_613.htm#F12">[12]</A></A> So ist der Kommunismus reduziert auf ein kurzes Zwischenspiel der Wirtschaftsgeschichte, die im &uuml;brigen mit dem Privateigentum beginnt, um mit dem Privateigentum zu enden. Was zu beweisen war.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="N1">(1)</A> Starckes und Westermarcks Kritiken und Theorien sind von Cunow in seinen "Verwandschafts-Organisationen der Australneger", 1894, einer gr&uuml;ndlichen und vernichtenden Pr&uuml;fung unterzogen worden, worauf die beiden Herren unseres Wissens bis jetzt kein Wort geantwortet haben. Das hindert jedoch nicht, da&szlig; sie von den neueren Soziologen, wie zum Beispiel von Grosse, unverdrossen als Vernichter Morgans und erste Autorit&auml;ten gefeiert werden. Es geht den Morgan-Vernichtern ungef&auml;hr wie den Marx-Vernichtern: Der b&uuml;rgerlichen Wissenschaft gen&uuml;gt die Tendenz gegen die verha&szlig;ten Revolution&auml;re, und der gute Wille ersetzt hier jede wissenschaftliche Leistung. <A HREF="lu05_613.htm#ZN1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N2">(2)</A> Auch Professor Ed. Meyer schreibt in seiner 1907 erschienenen Einleitung zur "Geschichte des Altertums" (S. 67): "Die von G. Hansen begr&uuml;ndete und allgemein anerkannte Annahme, da&szlig; dem Privatbesitz am Boden urspr&uuml;nglich &uuml;berall ein Gemeinbesitz mit periodischer Verteilung, wie C&auml;sar und Tacitus ihn bei den Germanen schildern, vorangegangen sei, ist neuerdings sehr stark bestritten; jedenfalls ist der russische Mir, des als typisch daf&uuml;r gilt, erst im 17. Jahrhundert entstanden." Diese letztere Behauptung &uuml;bernimmt Professor Meyer &uuml;brigens kritiklos aus der alten Theorie des russischen Professors Tschitscherin. <A HREF="lu05_613.htm#ZN2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N3">(3)</A> [Ernst] Grosse: Die Anf&auml;nge der Kunst [Freiburg i.B. u. Leipzig 1894], S. 34. <A HREF="lu05_613.htm#ZN3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N4">(4)</A> [Ernst] Grosse: Die Anf&auml;nge der Kunst [Freiburg i.B. u. Leipzig 1894], S. 35-37 u. 38. <A HREF="lu05_613.htm#ZN4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N5">(5)</A> [Ernst] Grosse: Die Formen der Familie [und die Formen der Wirthschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig] 1896, S. 238. <A HREF="lu05_613.htm#ZN5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N6">(6)</A> [Ernst] Grosse: Die Formen der Familie [und die Formen der Wirthschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig] 1896, S. 215 u. 207. <A HREF="lu05_613.htm#ZN6">&lt;=</A></P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> C. N. Starke: Die primitive Familie in ihrer Entstehung und Entwicklung. Leipzig 1888, S. 221 <A HREF="lu05_613.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Julius Lippert. Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen Aufbau. Zwei B&auml;nde, 1. Bd., Stuttgart 1886, S. 40. <A HREF="lu05_613.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Julius Lippert. Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen Aufbau. Zwei B&auml;nde, 1. Bd., Stuttgart 1886, S. 40. <A HREF="lu05_613.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Karl B&uuml;cher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vortr&auml;ge und Versuche, T&uuml;bingen 1906 S. 8/9. <A HREF="lu05_613.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Siehe Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen des Wirtschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig 1896, S. 3. <A HREF="lu05_613.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">[6]</A> Ernst Grosse: Die Anf&auml;nge der Kunst, Freiburg i.B. u. Leipzig 1894, S. 34/35. <A HREF="lu05_613.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">[7]</A> Ernst Grosse: Die Anf&auml;nge der Kunst, Freiburg i.B. u. Leipzig 1894, S. 35. <A HREF="lu05_613.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">[8]</A> Siehe Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen des Wirtschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig 1896, S. 4/5. <A HREF="lu05_613.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">[9]</A> Eingeschobene Notiz R. L.: Nur Material sammeln und "beobachtete Tats.", ganz wie der Verein f&uuml;r Sozialpol. mit Monographien. <A HREF="lu05_613.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">[10]</A> Henry Sumner Maine: Village-Communities in the East and West, London 1907, S. 7. <A HREF="lu05_613.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F11">[11]</A> Siehe Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen des Wirtschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig 1896, S. 38/39. <A HREF="lu05_613.htm#ZF11">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F12">[12]</A> Siehe Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen des Wirtschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig 1896, S. 137. <A HREF="lu05_613.htm#ZF11">&lt;=</A></P>
</BODY>
</HTML>