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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Deutsche Zustaende</TITLE>
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<SMALL><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 2, S. 564 - 584<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972 </SMALL></P>
<H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Deutsche Zust&auml;nde</H1>
<P><A HREF="me02_564.htm#M1">Brief I</A><BR>
<A HREF="me02_564.htm#M2">Brief II</A><BR>
<A HREF="me02_564.htm#M3">Brief III</A></P>
<HR>
<P><A NAME="M1">Brief I</A></P>
<SMALL><P ALIGN="RIGHT">["The Northern Star" Nr. 415 vom 25. Oktober 1845]</P>
</SMALL><P>An den Redakteur des "Northern Star"</P>
<P>Sehr geehrter Herr,</P>
<P>Ihrem Wunsche entsprechend beginne ich mit diesem Brief eine Artikelserie &uuml;ber den gegenw&auml;rtigen Zustand meines Heimatlandes. Um zu erreichen, da&szlig; meine Ansichten &uuml;ber den Gegenstand klar verst&auml;ndlich werden und um diese als wohlbegr&uuml;ndet zu erweisen, mu&szlig; ich mit einigen Worten eingehen auf die Geschichte Deutschlands seit dem Ereignis, das die moderne Gesellschaft bis in ihre tiefste Grundlage ersch&uuml;ttert hat - ich meine die Franz&ouml;sische Revolution.</P>
<P>Das alte Deutschland war zu jener Zeit unter dem Namen <EM>Heiliges R&ouml;misches Reich</EM> bekannt, und es bestand aus Gott wei&szlig; wie vielen kleinen Staaten, K&ouml;nigreichen, Kurf&uuml;rstent&uuml;mern, Herzogt&uuml;mern, Erzherzog- und Gro&szlig;herzogt&uuml;mern, F&uuml;rstent&uuml;mern, Grafschaften, Baronien und freien Reichsst&auml;dten - jeder Staat unabh&auml;ngig von dem andern und nur unterworfen der Macht (wenn es eine solche gab, was indessen seit Jahrhunderten nicht mehr der Fall gewesen) des Kaisers und Reichstags. Die Unabh&auml;ngigkeit dieser kleinen Staaten ging so weit, da&szlig; in jedem Krieg gegen "den Erzfeind" (Frankreich nat&uuml;rlich) einige von ihnen sich mit dem K&ouml;nig von Frankreich verb&uuml;ndeten und offen gegen ihren eigenen Kaiser Krieg f&uuml;hrten. Der Reichstag, der aus Gesandtschaften aller dieser kleinen Staaten, unter dem Vorsitz des Reichserzkanzlers, bestand und die Macht des Kaisers einschr&auml;nken sollte, war st&auml;ndig versammelt, ohne jemals zu irgendwelchen Resultaten zu kommen, und seien es auch die unbedeutendsten. Man schlug seine Zeit tot mit den geringf&uuml;gigsten Fragen des Zeremoniells, zum Beispiel ob die Gesandtschaft des Freiherrn von Soundso (die vielleicht aus dem Hauslehrer seines Sohnes und einem alten livrierten Lakaien oder ausgedienten Wildh&uuml;ter bestand) den Vortritt haben solle vor der Gesandtschaft des Freiherrn von Soundso, oder ob der Vertreter der einen Reichsstadt den Vertreter einer anderen zu gr&uuml;&szlig;en habe, ohne dessen Gru&szlig; abzuwarten, etc. <STRONG>&lt;565&gt;</STRONG> dann gab es da Hunderttausende kleiner Privilegien, die den Privilegierten selbst meist l&auml;stig waren, die sie jedoch als Ehrensache betrachteten, und &uuml;ber die sie deshalb mit der &auml;u&szlig;ersten Hartn&auml;ckigkeit stritten. Diese und &auml;hnliche wichtige Dinge nahmen auf dem weisen Reichstag so viel Zeit in Anspruch, da&szlig; diese ehrenwerte Versammlung keine Minute er&uuml;brigen konnte, um das Wohl des Reiches zu er&ouml;rtern. Infolgedessen war die gr&ouml;&szlig;tm&ouml;gliche Unordnung und Konfusion an der Tagesordnung. Das Reich, sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten innerlich gespalten, machte von der Reformationszeit bis 1789 eine Reihe innerer Kriege durch, und in jedem dieser Kriege war Frankreich mit derjenigen Partei verb&uuml;ndet, die der schwachen und leicht zu besiegenden Partei des Kaisers entgegenstand, wobei es nat&uuml;rlich seinen L&ouml;wenteil am Raube davontrug. Auf diese Weise wurden zuerst Burgund, dann die drei Bist&uuml;mer Metz, Toul und Verdun, dann der Rest von Lothringen, schlie&szlig;lich Teile von Flandern und Elsa&szlig; vom Heiligen R&ouml;mischen Reich getrennt und mit Frankreich vereinigt. So erhielt die Schweiz die Erlaubnis, vom Reiche unabh&auml;ngig zu werden; so wurde Belgien durch Verm&auml;chtnis Karls V. den Spaniern ausgeliefert; und allen diesen L&auml;ndern ging es nach ihrer Trennung von Deutschland besser. Zu diesem fortschreitenden &auml;u&szlig;eren Ruin des Reiches kam die gr&ouml;&szlig;tm&ouml;gliche innere Unordnung. Jeder kleine F&uuml;rst war ein blutsaugender, willk&uuml;rlicher Despot seinen Untertanen gegen&uuml;ber. Das Reich k&uuml;mmerte sich nicht weiter um die inneren Angelegenheiten irgendwelcher Staaten, au&szlig;er da&szlig; es einen Gerichtshof bildete (das Reichskammergericht zu Wetzlar), der die Rechtsklagen der Untertanen gegen ihre Herrscher behandeln sollte, aber dieser edle Gerichtshof widmete sich diesen Prozessen so sehr, da&szlig; man niemals von dem Abschlu&szlig; auch nur eines Prozesses geh&ouml;rt hat. Es ist fast unglaublich, welche Grausamkeiten und Willk&uuml;rakte von den hochm&uuml;tigen F&uuml;rsten gegen ihre Untertanen begangen wurden. Diese F&uuml;rsten, die nur ihrem Vergn&uuml;gen und ihren Ausschweifungen lebten, r&auml;umten ihren Ministern und Regierungsbeamten jede despotische Gewalt ein, und diesen war es somit gestattet, ohne irgendeine Bestrafung zu riskieren, das ungl&uuml;ckliche Volk in den Staub zu treten, nur u
<P>So war der Zustand Deutschlands gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Das ganze Land war eine lebende Masse von F&auml;ulnis und absto&szlig;endem Verfall. Niemand f&uuml;hlte sich wohl. Das Gewerbe, der Handel, die Industrie und die Landwirtschaft des Landes waren fast auf ein Nichts herabgesunken; die Bauernschaft, die Gewerbetreibenden und Fabrikanten litten unter dem doppelten Druck einer blutsaugenden Regierung und schlechter Gesch&auml;fte; der Adel und die F&uuml;rsten fanden, da&szlig; ihre Eink&uuml;nfte, trotz der Auspressung ihrer Untertanen, nicht so gesteigert werden konnten, da&szlig; sie mit ihren wachsenden Ausgaben Schritt hielten; alles war verkehrt, und ein allgemeines Unbehagen herrschte im ganzen Lande. Keine Bildung, keine Mittel, um auf das Bewu&szlig;tsein der Massen zu wirken, keine freie Presse, kein Gemeingeist, nicht einmal ein ausgedehnter Handel mit anderen L&auml;ndern - nichts als Gemeinheit und Selbstsucht - ein gemeiner, kriechender, elender Kr&auml;mergeist durchdrang das ganze Volk. Alles war &uuml;berlebt, br&ouml;ckelte ab, ging rasch <STRONG>&lt;567&gt;</STRONG> dem Ruin entgegen, und es gab nicht einmal die leiseste Hoffnung auf eine vorteilhafte &Auml;nderung; die Nation hatte nicht einmal gen&uuml;gend Kraft, um die modernden Laichname toter Institutionen hinwegzur&auml;umen.</P>
<P>Die einzige Hoffnung auf Besserung wurde in der Literatur des Landes gesehen. Dieses sch&auml;ndliche politische und soziale Jahrhundert war zugleich die gro&szlig;e Epoche der deutschen Literatur. Um das Jahr 1750 wurden alle gro&szlig;en Geister Deutschlands geboren, die Dichter <EM>Goethe </EM>und <EM>Schiller, </EM>die Philosophen <EM>Kant </EM>und <EM>Fichte </EM>und kaum zwanzig Jahre sp&auml;ter der letzte gro&szlig;e deutsche Metaphysiker, <EM>Hegel. </EM>Jedes bemerkenswerte Werk dieser Zeit atmete einen Geist des Trotzes und der Rebellion gegen die deutsche Gesellschaft, wie sie damals bestand. <EM>Goethe </EM>schrieb den <EM>"G&ouml;tz von Berlichingen", </EM>eine dem Andenken eines Rebellen gewidmete dramatische Huldigung. <EM>Schiller </EM>schrieb <EM>"Die R&auml;uber", </EM>in denen ein edler junger Mann gefeiert wird, der der ganzen Gesellschaft offen den Krieg erkl&auml;rt. Doch das waren ihre Jugendwerke; als die Dichter &auml;lter wurden, verloren sie alle Hoffnung; <EM>Goethe </EM>beschr&auml;nkte sich auf Satire sch&auml;rfster Art, und <EM>Schiller </EM>w&auml;re verzweifelt, h&auml;tte er nicht die Zuflucht gefunden, welche die Wissenschaft und vornehmlich die gro&szlig;e Geschichte des alten Griechenlands und Roms ihm boten. Diese beiden k&ouml;nnen als Beispiele f&uuml;r die &uuml;brigen genommen werden. Selbst die besten und bedeutendsten K&ouml;pfe der Nation gaben alle Hoffnung auf die Zukunft ihres Landes auf.</P>
<P>Pl&ouml;tzlich schlug die Franz&ouml;sische Revolution wie ein Donnerschlag in dieses Chaos, das Deutschland hie&szlig;. Die Wirkung war gewaltig. Das Volk, das zu wenig aufgekl&auml;rt und von alters her zu sehr daran gew&ouml;hnt war, tyrannisiert zu werden, blieb unbewegt. Aber das B&uuml;rgertum und der bessere Teil des Adels begr&uuml;&szlig;ten die Nationalversammlung und das Volk Frankreichs mit einem einzigen Ruf freudiger Zustimmung. Kein einziger von all den Hunderten oder Tausenden damals lebender deutscher Dichter lie&szlig; es sich nehmen, den Ruhm des franz&ouml;sischen Volkes zu besingen. Aber diese Begeisterung war von deutscher Art, sie war rein metaphysisch, sie sollte nur den Theorien der franz&ouml;sischen Revolution&auml;re gelten. Sobald diese Theorien durch das Gewicht und die F&uuml;lle der Tatsachen in den Hintergrund geschoben wurden, sobald das &Uuml;bereinkommen des franz&ouml;sischen Hofes mit dem franz&ouml;sischen Volk trotz des theoretischen B&uuml;ndnisses auf Grund der theoretischen Verfassung von 1791 in der Praxis unm&ouml;glich wurde, sobald das Volk seine Souver&auml;nit&auml;t durch den "10. August" praktisch geltend machte, und als &uuml;berdies am 31. Mai 1793 diese Theorie durch den Sturz der <STRONG>&lt;568&gt;</STRONG> Girondisten g&auml;nzlich zum Verstummen gebracht wurde - da verwandelte sich diese Begeisterung Deutschlands in einen fanatischen Ha&szlig; gegen die Revolution. Nat&uuml;rlich hatte diese Begeisterung nur solchen Aktionen wie der Nacht des 4. August 1789 gelten sollen, als der Adel auf seine Privilegien verzichtete, aber die guten Deutschen dachten niemals an solche Aktionen, deren praktische Konsequenzen sich stark von den Schlu&szlig;folgerungen unterschieden, die wohlmeinende Theoretiker ziehen konnten. Die Deutschen waren nie gewillt gewesen, diese Konsequenzen gutzuhei&szlig;en, die f&uuml;r viele Parteien, wie wir alle sehr wohl wissen, ziemlich ernsthaft und unangenehm waren. So wurde die ganze Masse, die anf&auml;nglich ein begeisterter Freund der Revolution gewesen war, nun ihr gr&ouml;&szlig;ter Gegner, und da sie nat&uuml;rlich durch die servile deutsche Presse die entstelltesten Nachrichten aus Paris erhielt, gab sie ihrem alten ruhigen heiligen r&ouml;mischen Dunghaufen den Vorzug vor der gewaltigen Aktivit&auml;t eines Volkes, das die Ketten der Sklaverei mit starker Hand abwarf und allen Despoten, Aristokraten und Priestern seine Herausforderung ins Gesicht schleuderte.</P>
<P>Aber die Tage des Heiligen R&ouml;mischen Reiches waren gez&auml;hlt. Die franz&ouml;sischen revolution&auml;ren Armeen marschierten geradeswegs ins Innerste Deutschlands, machten den Rhein zur Grenze Frankreichs und predigten &uuml;berall Freiheit und Gleichheit. In Scharen vertrieben sie die Adligen, Bisch&ouml;fe und &Auml;bte und alle jene kleinen F&uuml;rsten, die so lange Zeit eine Marionettenrolle in der Geschichte gespielt hatten. Sie brachen eine Lichtung, als ob sie Ansiedler gewesen w&auml;ren, die in den Hinterw&auml;ldern des amerikanischen fernen Westens vordrangen; das vorsintflutliche Dickicht der "christlich-germanischen" Gesellschaft verschwand vor ihrem Siegesmarsch wie Wolken vor der aufgehenden Sonne. Als dann der energische Napoleon das revolution&auml;re Werk in seine eigene Hand nahm, als er die Revolution mit sich selbst identifizierte - dieselbe Revolution, die nach dem 9. Thermidor 1794 von dem geldgierigen B&uuml;rgertum erstickt worden war -, als er, die Demokratie mit "dem einen Haupt", wie ein franz&ouml;sischer Autor ihn nannte, seine Armeen immer wieder &uuml;ber Deutschland dahinfluten lie&szlig;, wurde die "christlich-germanische" Gesellschaft endg&uuml;ltig zerst&ouml;rt. Napoleon war Deutschland gegen&uuml;ber nicht der willk&uuml;rliche Despot, der er nach Ansicht seiner Feinde gewesen sein soll; in Deutschland war Napoleon der Repr&auml;sentant der Revolution, der Verk&uuml;nder ihrer Grunds&auml;tze, der Zerst&ouml;rer der alten feudalen Gesellschaft. Er ging nat&uuml;rlich despotisch vor, aber nicht halb so despotisch wie die Deputierten des Konvents es getan haben w&uuml;rden und wirklich taten, wohin sie auch kamen; nicht halb so despotisch wie die F&uuml;rsten und Adligen zu tun pflegten, die er an den Bettelstab brachte. Napoleon wandte <EM>die Schrecken-</EM> <STRONG>&lt;569&gt;</STRONG> <EM>herrschaft, </EM>die in Frankreich ihr Werk getan hatte, <EM>in der Form des Krieges auf andere L&auml;nder </EM>an - und diese "Schreckensherrschaft" war in Deutschland dringend notwendig. Napoleon liquidierte das Heilige R&ouml;mische Reich und verminderte die Zahl der Kleinstaaten in Deutschland durch die Bildung gr&ouml;&szlig;erer Staaten. Er brachte sein Gesetzbuch in die eroberten L&auml;nder mit, ein Gesetzbuch, das allen bestehenden unendlich &uuml;berlegen war und die Gleichheit im Prinzip anerkannte. Er zwang die Deutschen, die bis dahin nur f&uuml;r <EM>Privatinteressen </EM>gelebt hatten, ihre Kr&auml;fte f&uuml;r die Durchf&uuml;hrung einer gro&szlig;en Idee &uuml;berw&auml;ltigender gesellschaftlicher Interessen einzusetzen. Aber gerade das war es, was die Deutschen gegen ihn aufbrachte. Er erz&uuml;rnte die Bauernschaft durch solche Ma&szlig;nahmen, die sie von der Unterdr&uuml;ckung durch den Feudalismus erl&ouml;sten, weil er ihre Vorurteile und althergebrachten Gewohnheiten an der Wurzel traf. Er erz&uuml;rnte das B&uuml;rgertum durch solche Ma&szlig;nahmen, die den Grundstein f&uuml;r die deutsche Industrie legten. Das Verbot aller englischen Waren und der Krieg mit England waren die Ursache, da&szlig; sie selbst zu fabrizieren begannen, aber das Verbot machte gleichzeitig Kaffee und Zucker, Rauch- und Schnupftabak sehr teuer; und das gen&uuml;gte nat&uuml;rlich, um den Unwillen der deutschen patriotischen Kr&auml;mer wachzurufen. Au&szlig;erdem waren sie nicht die Leute, die irgendeinen der gro&szlig;en Pl&auml;ne Napoleons verstehen konnten. Sie verfluchten ihn, weil er ihre S&ouml;hne in jene Kriege hinwegf&uuml;hrte, die mit dem Geld der englischen Aristokratie und Bourgeoisie angestiftet worden waren; sie begr&uuml;&szlig;ten gerade jene Klassen der Engl&auml;nder als Freunde, die die wahren Urheber der Kriege waren, die an diesen Kriegen <EM>verdienten </EM>und die ihre deutschen Werkzeuge nicht nur w&auml;hrend des Krieges, sondern auch danach betrogen. Sie verfluchten ihn, weil sie auf ihre alte, elende Lebensart beschr&auml;nkt zu bleiben w&uuml;nschten, worin sie sich um nichts als ihr eigenes kleines Interesse zu k&uuml;mmern hatten, weil sie mit gro&szl
<P>Der "glorreiche Befreiungskrieg" von 1813/14 und 1815, die "glorreichste Periode der deutschen Geschichte" etc., wie sie genannt worden ist, war ein Wahnsinn, der jedem ehrlichen und intelligenten Deutschen noch manches k&uuml;nftige Jahr das Blut in die Wangen treiben wird. Gewi&szlig;, es gab damals viel Enthusiasmus, aber wer waren diese Enthusiasten? Zun&auml;chst die Bauernschaft, die stupideste Menschenklasse auf Erden, eine Klasse, die, feudalen Vorurteilen anh&auml;ngend, in Massen losbrach, bereit, lieber zu sterben als jenen den Gehorsam aufzuk&uuml;ndigen, die sie, wie ehedem ihre V&auml;ter und Gro&szlig;v&auml;ter, ihre Herren genannt hatte, und die sich darein ergab, getreten <STRONG>&lt;570&gt;</STRONG> und mit Reitpeitschen geschlagen zu werden. Dann die Studenten und die Jugendlichen &uuml;berhaupt, die diesen Krieg als einen Krieg des Prinzips, ja sogar als einen Religionskrieg betrachteten; denn sie glaubten, da&szlig; sie zum Kampfe aufgerufen seien nicht nur f&uuml;r das Prinzip der Legitimit&auml;t, das sie ihre Nationalit&auml;t nannten, sondern auch f&uuml;r die Heilige Dreieinigkeit und die Existenz Gottes; in allen Gedichten, Flugschriften und Aufrufen jener Zeit werden die Franzosen als Vertreter des Atheismus, des Unglaubens und der Verworfenheit hingestellt und die Deutschen als Vertreter der Religion, der Fr&ouml;mmigkeit und der Redlichkeit. Drittens einige aufgekl&auml;rtere M&auml;nner, die diesen Ideen einige Begriffe von "Freiheit", "Verfassungen" und einer "freien Presse" beimischten; aber diese bildeten bei weitem die Minderheit. Viertens dann S&ouml;hne von Gewerbetreibenden, Kaufleuten, Spekulanten etc., die f&uuml;r das Recht k&auml;mpften, auf den billigsten M&auml;rkten zu kaufen und Kaffee ohne Beimischung von Zichorie zu trinken; nat&uuml;rlich verbargen sie ihre Ziele unter den Ausdr&uuml;cken des Tagesenthusiasmus, "Freiheit", "gro&szlig;es deutsches Volk", "nationale Unabh&auml;ngigkeit" etc. Das waren die M&auml;nner, die mit Hilfe der Russen, Engl&auml;nder und Spanier Napoleon schlugen.</P>
<P>In meinem n&auml;chsten Brief werde ich zur Geschichte Deutschlands seit dem Sturz Napoleons &uuml;bergehen. Lassen Sie mich nur hinzuf&uuml;gen, um die oben gegebene Ansicht &uuml;ber diesen au&szlig;erordentlichen Mann einzuschr&auml;nken, da&szlig; er, je l&auml;nger er regierte, um so mehr sein schlie&szlig;liches Schicksal verdiente. Seine Thronbesteigung will ich ihm nicht vorwerfen; die Macht des B&uuml;rgertums in Frankreich, das sich niemals um &ouml;ffentliche Interessen k&uuml;mmerte, vorausgesetzt, da&szlig; seine Privatinteressen sich g&uuml;nstig entwickelten, und die Teilnahmslosigkeit des Volkes, das keinen endg&uuml;ltigen Vorteil f&uuml;r sich aus der Revolution entspringen sah und nur zur Kriegsbegeisterung geweckt werden konnte, erlaubte keinen anderen Kurs; aber da&szlig; er sich mit den alten antirevolution&auml;ren Dynastien verband, indem er die Tochter des &ouml;sterreichischen Kaisers heiratete, da&szlig; er, anstatt jede Spur des alten Europas zu zerst&ouml;ren, lieber einen Kompromi&szlig; mit ihm zu schlie&szlig;en suchte, da&szlig; er nach der Ehre strebte, der Erste unter den europ&auml;ischen Monarchen zu sein, und deshalb seinen Hof den ihrigen so &auml;hnlich wie m&ouml;glich machte - das war sein gro&szlig;er Fehler. Er stieg auf das Niveau der anderen Monarchen hinab, er suchte die Ehre, ihresgleichen zu sein, er beugte sich vor dem Prinzip der Legitimit&auml;t -, und so war es nur nat&uuml;rlich, da&szlig; die Legitimisten den Usurpator aus ihrer Gesellschaft ausstie&szlig;en.</P>
<P>15. Oktober 1845 </P>
<P ALIGN="RIGHT">Ergebenst<BR>
<EM>Ihr deutscher Korrespondent</P>
</EM><P>Aus dem Englischen.</P>
<P>&nbsp;</P>
<P><A NAME="M2">Brief II</A></P>
<SMALL><P ALIGN="RIGHT">["The Northern Star Nr. 417 vom 8. November 1845]</P>
</SMALL><P>An den Redakteur des "Northern Star"</P>
<P>Sehr geehrter Herr,<BR>
nachdem ich in meinem ersten Brief den Zustand Deutschlands vor und wahrend der Franz&ouml;sischen Revolution und ebenso w&auml;hrend der Herrschaft Napoleons beschrieben, nachdem ich geschildert habe, wie und von welchen Parteien der gro&szlig;e Eroberer gest&uuml;rzt wurde, nehme ich jetzt den Faden meiner Erz&auml;hlung wieder auf, um zu zeigen, was Deutschland nach dieser "glorreichen Restauration" seiner nationalen Unabh&auml;ngigkeit aus sich gemacht hat.</P>
<P>Der Gesichtswinkel, unter dem ich alle diese Ereignisse betrachtete, war der Art und Weise, in der sie gew&ouml;hnlich dargestellt werden, diametral entgegengesetzt; meine Auffassung ist jedoch bis auf den letzten Buchstaben durch die Ereignisse der folgenden Periode der deutschen Geschichte best&auml;tigt worden. W&auml;re der Krieg gegen Napoleon wirklich ein Krieg der Freiheit gegen den Despotismus gewesen, so h&auml;tte er zur Folge gehabt, da&szlig; alle jene Nationen, die Napoleon unterworfen hatte, nach seinem Sturz die Prinzipien der Gleichheit proklamiert h&auml;tten und ihre Segnungen genie&szlig;en w&uuml;rden. Ganz das Gegenteil war jedoch der Fall. Englischerseits war der Krieg von der erschreckten Aristokratie begonnen und von der Plutokratie unterst&uuml;tzt worden, weil sie in ihm durch die wiederholten Anleihen und das Anwachsen der Nationalschuld eine Quelle enormen Profits sahen und sich ihnen die Gelegenheit bot, auf die s&uuml;damerikanischen M&auml;rkte zu gelangen, um diese mit ihren eigenen Waren zu &uuml;berfluten sowie diejenigen franz&ouml;sischen, spanischen und holl&auml;ndischen Kolonien zu erobern, die ihnen geeignet erschienen, ihre Taschen noch besser zu f&uuml;llen. Der Krieg war ihnen eine Gelegenheit, den Grundsatz "Britannia, rule the waves" auf despotische Weise zu verwirklichen, so da&szlig; sie den Handel jeder anderen Nation, deren Konkurrenz die fortschreitende eigene Bereicherung zu gef&auml;hrden drohte, nach Herzenslust schikanieren konnten; und schlie&szlig;lich wollten sie ihr Recht auf enorme Profite behaupten, indem sie - Napoleons Kontinentalsystem zum Trotz - die europ&auml;ischen M&auml;rkte belieferten. <STRONG>&lt;572&gt;</STRONG> Das waren die <EM>wirklichen </EM>Ursachen des langen Krieges, soweit die Klassen in Betracht kommen, deren H&auml;nden damals die Regierung Englands anvertraut war; was aber den Vorwand betrifft, da&szlig; die Grundprinzipien der englischen Verfassung durch die Franz&ouml;sische Revolution gef&auml;hrdet gewesen seien, so zeigt er nur, was f&uuml;r ein k&ouml;stliches Kunstwerk diese "H&ouml;chstleistung der menschlichen Vernunft" gewesen sein mu&szlig;. Was Spanien betrifft, so hatte der Krieg als eine Verteidigung des Prinzips der legitimen Thronfolge und der inquisitorischen Despotie der Geistlichkeit begonnen. Die Prinzipien der Verfassung von 1812 wurden sp&auml;ter eingef&uuml;hrt, um dem Volk einen gewissen Ansporn zu geben, den Kampf fortzusetzen, obwohl sie <EM>selber </EM>franz&ouml;sischen Ursprungs waren. Italien hatte niemals in Opposition zu Napoleon gestanden, da es aus seinen H&auml;nden nichts als Vorteile empfangen und ihm sogar seine ganze Existenz als Nation zu verdanken hatte. Dasselbe war der Fall mit Polen. Was Deutschland Napoleon zu verdanken hatte, habe ich in meinem ersten Brief geschildert.</P>
<P>Von s&auml;mtlichen Siegerm&auml;chten wurde der Sturz Napoleons als der <EM>Untergang der Franz&ouml;sischen Revolution </EM>und als Triumph der Legitimit&auml;t betrachtet. Die Folgen waren nat&uuml;rlich die Wiederherstellung dieses Prinzips im Innern, zun&auml;chst unter der Verkleidung solcher Sentimentalit&auml;ten wie "Heilige Allianz", "ewiger Friede", "&ouml;ffentliches Wohl", "Vertrauen zwischen F&uuml;rst und Untertan" etc. etc., sp&auml;ter unverkleidet durch das Bajonett und den Kerker. Die Ohnmacht der Sieger wurde hinreichend dargetan durch die eine Tatsache, da&szlig; schlie&szlig;lich das besiegte franz&ouml;sische Volk, mit einer ihm aufgezwungenen verha&szlig;ten Dynastie, die von 150 000 fremden Musketen aufrechterhalten wurde, ihren siegreichen Feinden dennoch solche Ehrfurcht einfl&ouml;&szlig;te, da&szlig; es eine leidlich liberale Verfassung erhielt, w&auml;hrend die anderen Nationen trotz all ihrer Anstrengungen und all ihrer Freiheitsprahlereien nichts erhielten als zu Anfang sch&ouml;ne Worte und hinterher blaue Bohnen. Die Niederschlagung der Franz&ouml;sischen Revolution wurde gefeiert durch die Niedermetzelung von Republikanern im S&uuml;den Frankreichs, durch das Auflodern der Scheiterhaufen der Inquisition und die Wiederherstellung des heimischen Despotismus in Spanien und Italien sowie durch die Maulkorbgesetze und "Peterloo" in England. Wir werden nun sehen, da&szlig; die Ereignisse in Deutschland einen &auml;hnlichen Verlauf nahmen.</P>
<P>Das K&ouml;nigreich Preu&szlig;en war der erste unter allen deutschen Staaten, der Napoleon den Krieg erkl&auml;rt hatte. Es wurde damals regiert von Friedrich Wilhelm III., mit dem Spitznamen "der Gerechte", einem der gr&ouml;&szlig;ten Holzk&ouml;pfe, die je einen Thron geziert. Er war zum Korporal und zum Inspektor von Uniformkn&ouml;pfen geboren; er war liederlich, ohne Leidenschaft, und <STRONG>&lt;573&gt;</STRONG> gleichzeitig ein Moralprediger, er war unf&auml;hig, anders als im Infinitiv zu sprechen und wurde als Schreiber von Proklamationen nur von seinem Sohn &uuml;bertroffen; er kannte nur zwei Gef&uuml;hle - Furcht und feldwebelhafte Anma&szlig;ung. W&auml;hrend der ersten H&auml;lfte seiner Herrschaft war sein vorherrschender Geisteszustand die Furcht vor Napoleon, der ihn mit der Gro&szlig;mut der Verachtung behandelte, indem er ihm die H&auml;lfte seines K&ouml;nigreichs zur&uuml;ckgab, die zu behalten er nicht der M&uuml;he f&uuml;r wert hielt. Es war diese Furcht, die ihn antrieb, einer Partei von Halb-und-halb-Reformern - Hardenberg, Stein, Sch&ouml;n, Schamhorst etc. - zu gestatten, an seiner Stelle zu regieren, die eine liberalere Gemeindeorganisation einf&uuml;hrten, die Erbuntert&auml;nigkeit abschafften, die feudalen Dienste in Rente oder in eine fixe Summe mit f&uuml;nfundzwanzigj&auml;hriger Tilgung verwandelten und vor allem die milit&auml;rische Organisation einf&uuml;hrten, die dem Volk gewaltige Macht verschafft und fr&uuml;her oder sp&auml;ter gegen die Regierung gebraucht werden wird. Sie trafen auch die "Vorbereitungen" f&uuml;r eine Verfassung, die jedoch noch nicht in Erscheinung getreten ist. Wir werden bald sehen, welche Wendung in den Ereignissen in Preu&szlig;en nach der Niederschlagung der Franz&ouml;sischen Revolution eintrat.</P>
<P>Nachdem das "korsische Ungeheuer" in sicheren Gewahrsam gebracht worden war, gab es sofort einen gro&szlig;en Kongre&szlig; gro&szlig;er und kleiner Despoten in Wien, der die Beute und die Prisengelder verteilen und feststellen sollte, wieweit die vorrevolution&auml;ren Zust&auml;nde wiederhergestellt werden konnten. Nationen wurden gekauft und verkauft, geteilt und vereinigt, je nachdem, wie es den Interessen und Zwecken ihrer Beherrscher am besten entsprach. Es waren nur drei Staaten vertreten, die wu&szlig;ten, was sie wollten: England, das die Absicht hatte, seine Handelsvorherrschaft aufrechtzuerhalten und auszudehnen, den L&ouml;wenanteil am Raub der Kolonien davonzutragen und alle &uuml;brigen zu schw&auml;chen; Frankreich, das nicht allzusehr in Mitleidenschaft gezogen werden und alle anderen schw&auml;chen wollte, und Ru&szlig;land, das die Absicht hatte, seine Macht und sein Territorium zu vermehren und alle anderen zu schw&auml;chen, w&auml;hrend die &uuml;brigen sich leiten lie&szlig;en von Sentimentalit&auml;ten und kleinlichem Egoismus und einige unter ihnen sogar von einer Art l&auml;cherlicher Uninteressiertheit. Die Folge war, da&szlig; Frankreich den deutschen Gro&szlig;staaten das Spiel verdarb, da&szlig; Ru&szlig;land den besten Teil Polens erhielt und da&szlig; England seine Seemacht mehr durch den Frieden als durch den Krieg ausdehnte und die Vorherrschaft auf allen kontinentalen M&auml;rkten erlangte, was ohne Nutzen f&uuml;r das englische Volk, aber ein Mittel enormer Bereicherung f&uuml;r das englische B&uuml;rgertum war. Die deutschen Staaten, die an nichts anderes als an ihr liebes Legitimit&auml;tsprinzip <STRONG>&lt;574&gt;</STRONG> dachten, wurden noch einmal &uuml;bers Ohr gehauen und verloren durch den Frieden alles, was sie durch den Krieg gewonnen hatten. Deutschland blieb in 38 Staaten zersplittert, eine Aufteilung, die jeden inneren Fortschritt hinderte und bewirkte, da&szlig; Frankreich ihm mehr als gewachsen ist; die deutschen Staaten blieben der beste Markt f&uuml;r die englischen Waren und dienten nur der Bereicherung des englischen B&uuml;rgertums. Diese Klasse des englischen Volkes hat es leicht, sich einer Freigebigkeit zu r&uuml;hmen, die sie veranla&szlig;te, enorme Summen zu schicken, um den Krieg gegen Napoleon in Gang zu halten; aber selbst wenn wir einmal annehmen, da&szlig; sie es waren, und nicht das arbeitende Volk, das diese Hilfsgelder in Wirklichkeit zu bezahlen hatte, so hatten sie nur die Absicht, durch ihre Freigebigkeit die kontinentalen M&auml;rkte wieder zu &ouml;ffnen; und das taten sie mit solchem Erfolg, da&szlig; die Profite, die sie seit dem Frieden allein aus Deutschland bezogen, hinreichen w&uuml;rden, um jene Summen wenigstens sechsmal zu ersetzen. Es ist wirklich eine Bourgeois-Freigebigkeit, die anfangs in Form von Hilfsgeldern Geschenke macht und dann daf&uuml;r sorgt, da&szlig; der Beschenkte sie in Form von Profiten sechsfach zur&uuml;ckzahlt. W&uuml;rden sie diese Hilfsgelder so eifrig gezahlt haben, wenn am Ende des Krieges das Gegenteil der Fall gewesen und England mit deutschen Waren &uuml;berflutet worden w&auml;re, statt da&szlig; Deutschland von einigen wenigen englischen Kapitalisten in Handelsfesseln gehalten wird?</P>
<P>Jedenfalls wurde Deutschland von hinten und vorn betrogen, am meisten von seinen eigenen sogenannten Freunden und Verb&uuml;ndeten. Ich f&uuml;r meinen Teil w&uuml;rde mir hier&uuml;ber nicht viel Sorge machen, da ich sehr wohl wei&szlig;, da&szlig; wir uns einer Reorganisation der europ&auml;ischen Gesellschaft n&auml;hern, die solche Tricks auf der einen Seite und solchen Schwachsinn auf der andern Seite verhindern wird; was ich zeigen m&ouml;chte, ist erstens, da&szlig; weder das englische Volk noch irgendein anderes Volk an dem Betrug, der an den deutschen Despoten ver&uuml;bt wurde, profitiert hat, sondern da&szlig; er ganz und gar anderen Despoten oder doch einer besonderen Klasse, deren Interesse dem des Volkes entgegengesetzt ist, zugute kam; und zweitens, da&szlig; gleich die erste Tat der wiedereingesetzten deutschen Despoten ihre v&ouml;llige Unf&auml;higkeit zeigte. Wir wollen uns nunmehr den inneren Angelegenheiten Deutschlands zuwenden.</P>
<P>Wir haben gesehen, wer die Beteiligten waren, die mit Hilfe des englischen Geldes und der russischen Barbarei die Franz&ouml;sische Revolution niederwarfen. Sie waren in zwei Sektionen geteilt; erstens die hitzk&ouml;pfigen Wortf&uuml;hrer der alten "christlich-germanischen" Gesellschaft, die Bauernschaft und die begeisterte Jugend, die vom Fanatismus der H&ouml;rigkeit, der <STRONG>&lt;575&gt;</STRONG> Nationalit&auml;t, der Legitimit&auml;t und der Religion getrieben wurden; und zweitens die n&uuml;chternen M&auml;nner des B&uuml;rgertums, die "ihre Ruhe haben wollten", um Geld zu verdienen und es zu verausgaben, ohne durch die freche Dazwischenkunft gro&szlig;er historischer Ereignisse bel&auml;stigt zu werden. Dieser letztere Teil war zufrieden, sobald er den Frieden und das Recht erreicht hatte, auf den billigsten M&auml;rkten zu kaufen, Kaffee ohne Beimischung von Zichorie zu trinken und von allen politischen Angelegenheiten ausgeschlossen zu sein. Die "christlichen Germanen" jedoch wurden jetzt aktive St&uuml;tzen der restaurierten Regierungen und taten alles, was in ihrer Macht stand, die Geschichte auf das Jahr 1789 zur&uuml;ckzuschrauben. Diejenigen, die dem Volke w&uuml;nschten, es m&ouml;ge einige der Fr&uuml;chte seiner Anstrengungen genie&szlig;en, waren stark genug gewesen, ihre Losungen zum Schlachtruf von 1813 zu machen, aber nicht zur Praxis von 1815. Sie erhielten einige sch&ouml;ne Versprechungen - Verfassungen, freie Presse etc. -, und das war alles; in der Praxis wurde alles sorgf&auml;ltig so gelassen, wie es fr&uuml;her gewesen war. Die franz&ouml;sierten Teile Deutschlands wurden soweit wie m&ouml;glich von den Spuren des "fremden Despotismus", ges&auml;ubert, und nur die Provinzen auf dem linken Rheinufer behielten ihre franz&ouml;sischen Institutionen. Der Kurf&uuml;rst von Hessen ging so weit, da&szlig; er sogar die <EM>Z&ouml;pfe seiner Soldaten </EM>wiederherstellte, die von den gottlosen H&auml;nden der Franzosen abgeschnitten worden waren. Kurz, Deutschland bot ebenso wie jedes andere Land das Bild einer schamlosen Reaktion, die sich nur durch einen Zug von Furchtsamkeit und Schw&auml;che auszeichnete; es hat nicht einmal jenen Grad von Energie aufgebracht, womit in Italien, Spanien, Frankreich und England revolution&auml;re Prinzipien bek&auml;mpft wurden.</P>
<P>Das Betrugssystem, dem Deutschland auf dem Wiener Kongre&szlig; unterworfen worden war, wurde nun von den verschiedenen deutschen Staaten untereinander praktiziert. Um die Macht der verschiedenen Staaten zu schw&auml;chen, zwangen ihnen Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich eine Art Bastardverfassungen auf, die die Regierungen schw&auml;chten, ohne dem Volk oder selbst den b&uuml;rgerlichen Klassen irgendeine Macht zu geben. In Deutschland, das als eine Konf&ouml;deration von Staaten konstituiert worden war, deren Gesandtschaften, von den Regierungen allein delegiert, den Bundestag bildeten, war nicht zu bef&uuml;rchten, da&szlig; das Volk zu stark werden k&ouml;nnte, da jeder Staat durch die Beschl&uuml;sse des Bundestags, die f&uuml;r ganz Deutschland Gesetz waren, gebunden war, ohne da&szlig; sie irgendeiner Repr&auml;sentativversammlung zur Billigung vorgelegt zu werden brauchten. In diesem Bundestag verstand es sich von selbst, da&szlig; Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich das absolute Regiment f&uuml;hrten; sie brauchten den kleineren F&uuml;rsten blo&szlig; zu drohen, ihnen im Kampf <STRONG>&lt;576&gt;</STRONG> mit ihren Repr&auml;sentativversammlungen ihre Unterst&uuml;tzung zu entziehen, um sie so zu erschrecken, da&szlig; sie unbedingt gehorchten. Durch diese Mittel, durch ihre &uuml;berw&auml;ltigende Macht und weil sie die wahren Repr&auml;sentanten des Prinzips waren, von dem jeder deutsche F&uuml;rst seine Macht ableitet, haben sie sich zu absoluten Beherrschern Deutschlands aufgeschwungen. Was immer auch in den kleinen Staaten geschehen m&ouml;ge, es bleibt in der Praxis ohne Effekt. Die K&auml;mpfe des liberalen B&uuml;rgertums Deutschlands blieben fruchtlos, solange sie auf die kleineren s&uuml;ddeutschen Staaten beschr&auml;nkt blieben; sie wurden wichtig, sobald das B&uuml;rgertum Preu&szlig;ens aus seiner Lethargie aufgeschreckt wurde. Da man nun vom &ouml;sterreichischen Volk schwerlich sagen kann, da&szlig; es zur zivilisierten Welt geh&ouml;rt, und da es sich infolgedessen seinem v&auml;terlichen Despotismus ruhig unterordnet, so ist Preu&szlig;en der Staat, der als das Zentrum der modernen deutschen Geschichte, als das Barometer f&uuml;r die Bewegungen der &ouml;ffentlichen Meinung angesehen werden kann.</P>
<P>Nach dem Sturz Napoleons verlebte der K&ouml;nig von Preu&szlig;en einige seiner gl&uuml;cklichsten Jahre. Er war zwar von hinten und vorne betrogen worden. England hatte ihn betrogen, Frankreich hatte ihn betrogen, seine eigenen teuren Freunde, der Kaiser von &Ouml;sterreich und der Kaiser von Ru&szlig;land, betrogen ihn immer und immer wieder; aber in der F&uuml;lle seines Herzens bemerkte er das nicht einmal - er konnte sich nicht die M&ouml;glichkeit vorstellen, da&szlig; es in der Welt irgendwo solche Schufte g&auml;be, die Friedrich Wilhelm III., "den Gerechten", betr&uuml;gen k&ouml;nnten. Er war gl&uuml;cklich. Napoleon war gest&uuml;rzt. Er hatte keine Furcht. Er bestand auf Artikel 13 der Deutschen Bundesakte, der eine Verfassung f&uuml;r jeden Staat versprach. Er bestand auf dem andern Artikel &uuml;ber die Freiheit der Presse. Ja, am 22. Mai 1815 erlie&szlig; er sogar eine Proklamation, die mit den Worten begann - Worten, in denen sein huldvolles Gl&uuml;cksgef&uuml;hl wunderbar vermischt war mit seiner feldwebelhaften Anma&szlig;ung: <EM>"Es soll eine Repr&auml;sentation des Volks gebildet werden!" </EM>Sein n&auml;chster Schritt war der Befehl, eine Kommission zu ernennen, die eine Verfassung f&uuml;r sein Volk ausarbeiten sollte; und selbst 1819, als revolution&auml;re Symptome in Preu&szlig;en auftraten, als die Reaktion in ganz Europa am meisten grassierte und als die glorreiche Frucht der Kongresse ihre h&ouml;chste Reife erreichte, selbst damals erkl&auml;rte er, in Zukunft solle keine &ouml;ffentliche Anleihe aufgelegt werden ohne die Zustimmung der k&uuml;nftigen Repr&auml;sentativversammlungen des K&ouml;nigreichs.</P>
<P>Leider war diese gl&uuml;ckliche Zeit nicht von Dauer! Im Gem&uuml;t des K&ouml;nigs wich die Furcht vor Napoleon nur zu bald der <EM>Furcht vor der Revolution</EM>. Dar&uuml;ber jedoch in meinem n&auml;chsten Brief.</P>
<STRONG><P>&lt;577&gt; </STRONG>Ich habe nur noch ein Wort hinzuzuf&uuml;gen. Immer, wenn in englischen demokratischen Versammlungen ein Trinkspruch ausgebracht wird auf die "Patrioten aller L&auml;nder", ist gewi&szlig; Andreas Hofer unter ihnen. Nun, nach allem was ich &uuml;ber die Feinde Napoleons in Deutschland gesagt habe, ist Hofers Name wert, von Demokraten mit Hochrufen begr&uuml;&szlig;t zu werden? Hofer war ein stupider, ignoranter, bigotter, fanatischer Bauer, dessen Enthusiasmus der Enthusiasmus der Vend&eacute;e,<STRONG> </STRONG>der Enthusiasmus von "Kirche und Kaiser" war. Er k&auml;mpfte tapfer - aber das taten auch die Vend&eacute;er gegen die Republikaner. Er k&auml;mpfte f&uuml;r den v&auml;terlichen Despotismus Wiens und Roms. Demokraten Englands, um der Ehre des deutschen Volkes willen la&szlig;t den bigotten Andreas Hofer k&uuml;nftig au&szlig;er Betracht! Deutschland hat bessere Patrioten als ihn. Warum nicht Thomas M&uuml;nzer erw&auml;hnen, den ber&uuml;hmten F&uuml;hrer des Bauernaufstandes von 1525, der ein wahrer Demokrat war, soweit das zu der Zeit m&ouml;glich war? Warum nicht Georg Forster feiern, den deutschen Thomas Paine, der die franz&ouml;sische Revolution in Paris bis zuletzt gegen alle seine Landsleute unterst&uuml;tzte und auf dem Schafott starb? Warum nicht eine Menge andere, die f&uuml;r Realit&auml;ten fochten, und nicht f&uuml;r Illusionen?</P>
<P ALIGN="RIGHT">Ergebenst<BR>
<EM>Ihr deutscher Korrespondent</P>
</EM><SMALL><P>geschrieben Ende Oktober 1845.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</SMALL><P>&nbsp;</P>
<P><A NAME="M3">Brief III</A></P>
<SMALL><P ALIGN="RIGHT">["The Northern Star" Nr. 438 vom 4. April 1846]</P>
</SMALL><P>An den Redakteur des "Northern Star"</P>
<P>Sehr geehrter Herr,<BR>
ich mu&szlig; Sie und Ihre Leser wirklich bitten, meine augenscheinliche Nachl&auml;ssigkeit zu entschuldigen, die darin bestand, da&szlig; ich die Briefserie &uuml;ber das obige Thema, die ich f&uuml;r diese Zeitung zu schreiben begonnen habe, nicht fr&uuml;her fortsetzte. Sie k&ouml;nnen jedoch versichert sein, da&szlig; nichts anderes als die Notwendigkeit, einige Wochen ausschlie&szlig;lich der deutschen Bewegung zu widmen, mich davon abhalten konnte, die von mir &uuml;bernommene angenehme Aufgabe auszuf&uuml;hren, die englische Demokratie &uuml;ber die Zust&auml;nde in meinem Heimatland zu informieren.</P>
<STRONG><P>&lt;578&gt;</STRONG> Ihre Leser werden sich vielleicht einigerma&szlig;en der Feststellungen in meinem ersten und zweiten Brief erinnern. Ich habe dort geschildert, wie der alte, verfaulte Zustand Deutschlands 1792 bis 1813 von den franz&ouml;sischen Armeen an der Wurzel getroffen wurde; wie Napoleon durch das B&uuml;ndnis der <EM>Feudalherren </EM>oder Aristokraten und der <EM>Bourgeois </EM>oder gewerbetreibenden Mittelklassen Europas gest&uuml;rzt wurde; wie in den folgenden Friedensschl&uuml;ssen die deutschen F&uuml;rsten von ihren Verb&uuml;ndeten und sogar von dem besiegten Frankreich betrogen wurden; wie die deutsche Bundesakte und der heutige politische Zustand Deutschlands zustande kamen; und wie Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich, indem sie die kleineren Staaten veranla&szlig;ten, Verfassungen zu gew&auml;hren, sich zu ausschlie&szlig;lichen Herren Deutschlands machten. Lassen wir &Ouml;sterreich als ein halbbarbarisches Land au&szlig;er Betracht, so kommen wir zu dem Ergebnis, da&szlig; Preu&szlig;en das Schlachtfeld ist, auf dem das zuk&uuml;nftige Schicksal Deutschlands entschieden werden wird.</P>
<P>Wir sagten in unserem letzten Brief, da&szlig; Friedrich Wilhelm III., K&ouml;nig von Preu&szlig;en, nachdem er von der Furcht vor Napoleon erl&ouml;st worden war und ein paar gl&uuml;ckliche, weil furchtlose Jahre verbracht hatte, einen anderen Popanz fand, der ihn erschreckte "die Revolution". Wir werden jetzt sehen, in welcher Weise "die Revolution" in Deutschland eingef&uuml;hrt wurde.</P>
<P>Nach dem Sturz Napoleons, der, wie ich erneut feststellen mu&szlig;, von den K&ouml;nigen und Aristokraten jener Zeit v&ouml;llig mit der Niederschlagung der Franz&ouml;sischen Revolution oder, wie sie es nannten, <EM>der </EM>Revolution identifiziert wurde, hielt die antirevolution&auml;re Partei nach 1815 in allen L&auml;ndern die Z&uuml;gel der Regierung in der Hand. Die feudalen Aristokraten regierten in allen Kabinetten von London bis Neapel, von Lissabon bis St. Petersburg. Aber das B&uuml;rgertum, das die Sache bezahlt und das geholfen hatte, sie zuwege zu bringen, wollte seinen Anteil an der Macht haben. Es war keineswegs das Interesse des B&uuml;rgertums, das die wiederhergestellten Regierungen in den Vordergrund r&uuml;ckten. Im Gegenteil, die b&uuml;rgerlichen Interessen wurden &uuml;berall vernachl&auml;ssigt und sogar offen ignoriert. Die Annahme des englischen Korngesetzes von 1815 ist das schlagendste Beispiel einer Tatsache, die ganz Europa gemeinsam war; und doch war das B&uuml;rgertum damals m&auml;chtiger als je zuvor. Handel und Manufakturen hatten sich &uuml;berall ausgebreitet und hatten den Reichtum der fetten <EM>Bourgeois </EM>zum Anschwellen gebracht; ihr vermehrter Wohlstand fand seinen Ausdruck in ihrem vermehrten Spekulationsgeist und ihrer wachsenden Nachfrage nach Komfort und Luxusartikeln. Es war also unm&ouml;glich, da&szlig; sie sich schweigend darin <STRONG>&lt;579&gt;</STRONG> f&uuml;gten, von einer Klasse regiert zu werden, die seit Jahrhunderten in Verfall war, deren Interessen denen des B&uuml;rgertums entgegengesetzt waren und deren momentane R&uuml;ckkehr zur Macht eben das Werk der Bourgeois war. Der Kampf zwischen B&uuml;rgertum und Aristokratie war unvermeidlich; er begann fast augenblicklich nach dem Frieden.</P>
<P>Da das B&uuml;rgertum nur durch das Geld m&auml;chtig ist, kann es politische Macht nicht anders erlangen als dadurch, da&szlig; es das Geld zum einzigen Kriterium f&uuml;r die F&auml;higkeit einer Person macht, an der Gesetzgebung mitzuarbeiten. Es mu&szlig; alle feudalen Privilegien, alle politischen Monopole vergangener Zeiten in das eine gro&szlig;e Privilegium und Monopol des <EM>Geldes </EM>aufgehen lassen. Die politische Herrschaft der b&uuml;rgerlichen Klassen hat daher eine im wesentlichen <EM>liberale </EM>Erscheinungsform. Sie zerst&ouml;ren alle alten Unterschiede der verschiedenen in einem Lande nebeneinander bestehenden St&auml;nde, alle willk&uuml;rlichen Privilegien und Freiheiten; sie sind gezwungen, das Wahlprinzip zur Grundlage der Regierung zu machen, die Gleichheit im Prinzip anzuerkennen, die Presse von den Fesseln der monarchistischen Zensur zu befreien, das Geschworenengericht einzuf&uuml;hren, um die besondere Richterklasse loszuwerden, die einen Staat im Staate bildet. Soweit erscheinen sie durchaus als Demokraten. Aber sie f&uuml;hren alle diese Verbesserungen nur soweit ein, wie damit alle fr&uuml;heren pers&ouml;nlichen und erblichen Privilegien durch das Privilegium des <EM>Geldes </EM>ersetzt werden. So wird das Wahlprinzip, durch den Eigentumszensus bei der Zuerkennung des Rechtes zu w&auml;hlen und gew&auml;hlt zu werden, den b&uuml;rgerlichen Klassen vorbehalten. Die Gleichheit wird wieder beseitigt, indem sie auf blo&szlig;e "Gleichheit vor dem Gesetz" beschr&auml;nkt wird, was nichts anderes bedeutet als Gleichheit trotz der Ungleichheit von reich und arm - Gleichheit innerhalb der Grenzen der grundlegenden, bestehenden Ungleichheit -, was, kurz gesagt, nichts anderes bedeutet, als der <EM>Ungleichheit </EM>den Namen der Gleichheit zu geben. So ist die Freiheit der Presse an sich ein b&uuml;rgerliches Privilegium, denn der Druck erfordert <EM>Geld </EM>und K&auml;ufer f&uuml;r das Gedruckte, und diese K&auml;ufer m&uuml;ssen wiederum Geld haben. So ist das Geschworenengericht ein b&uuml;rgerliches Privilegium, da besonders daf&uuml;r gesorgt wird, niemand anders als "Respektspersonen" auf die Geschworenenbank zu bringen.</P>
<P>Ich habe es f&uuml;r notwendig gehalten, diese wenigen Bemerkungen zur Frage der b&uuml;rgerlichen Regierung zu machen, um zwei Tatsachen zu erl&auml;utern. Die erste ist die, da&szlig; in der Zeit von 1815 bis 1830 die im wesentlichen demokratische Bewegung der arbeitenden Klassen in allen L&auml;ndern mehr oder weniger der liberalen Bewegung der <EM>Bourgeois </EM>untergeordnet worden ist. Das arbeitende Volk, obwohl fortgeschrittener als das B&uuml;rgertum, <STRONG>&lt;580&gt;</STRONG> konnte noch nicht die v&ouml;llige Verschiedenheit von Liberalismus und Demokratie, von Emanzipation der b&uuml;rgerlichen Klassen und Emanzipation der arbeitenden Klassen erkennen; es konnte den Unterschied zwischen der Freiheit des Geldes und der Freiheit des Menschen nicht erkennen, bevor das Geld politisch frei gemacht, bevor das B&uuml;rgertum zur ausschlie&szlig;lich herrschenden Klasse geworden war. Deshalb petitionierten die Demokraten von Peterloo nicht nur f&uuml;r das allgemeine Stimmrecht, sondern gleichzeitig auch f&uuml;r die Abschaffung des Korngesetzes; deshalb k&auml;mpften die Proletarier 1830 in Paris und drohten 1831 in England f&uuml;r die politischen Interessen der Bourgeoisie zu k&auml;mpfen. In allen L&auml;ndern war das B&uuml;rgertum von 1815 bis 1830 der machtvollste Teil der revolution&auml;ren Partei und stellte daher ihre F&uuml;hrer. Die arbeitenden Klassen sind notwendigerweise ein Instrument in der Hand des B&uuml;rgertums, solange das B&uuml;rgertum <EM>selber revolution&auml;r</EM> oder progressiv ist. Die besondere Bewegung der arbeitenden Klassen ist deshalb in diesem Fall stets nur von sekund&auml;rer Bedeutung. Aber von dem gleichen Tage, an dem das B&uuml;rgertum die volle politische Macht erlangt, von dem Tage, an dem alle feudalen und aristokratischen Interessen zunichte gemacht werden von der Macht des Geldes, von dem Tage, an dem das B&uuml;rgertum aufh&ouml;rt, progressiv und revolution&auml;r zu sein, und selber station&auml;r wird, von dem gleichen Tage an &uuml;bernimmt die Bewegung der Arbeiterklasse die F&uuml;hrung und wird zur <EM>nationalen Bewegung. Man lasse heute die Korngesetze fallen, und morgen wird die Charte die f&uuml;hrende Frage in England - morgen wird die chartistische Bewegung jene Kraft, jene Energie, jenen Enthusiasmus und jene Ausdauer offenbaren, die den Erfolg verb&uuml;rgen.</P>
</EM><P>Die zweite Tatsache, zu deren Erl&auml;uterung ich mir einige wenige Bemerkungen &uuml;ber die b&uuml;rgerliche Regierung gestattet habe, bezieht sich ausschlie&szlig;lich auf Deutschland. Da die Deutschen eine Nation von Theoretikern und in der Praxis wenig erfahren sind, nahmen sie die gel&auml;ufigen Trugschl&uuml;sse, die das franz&ouml;sische und englische B&uuml;rgertum verfocht, als heilige Wahrheiten hin. Die b&uuml;rgerlichen Klassen Deutschlands waren froh, da&szlig; sie bei ihrem kleinen Privatgesch&auml;ft, das sich durchaus "schmalspurig" abwickelte, in Ruhe gelassen wurden; &uuml;berall, wo sie eine Verfassung erlangt hatten, r&uuml;hmten sie sich ihrer Freiheit, aber sie mischten sich wenig in die politischen Staatsgesch&auml;fte ein; &uuml;berall, wo sie keine hatten, waren sie froh, der M&uuml;he, Abgeordnete zu w&auml;hlen und deren Reden zu lesen, enthoben zu sein. Das arbeitende Volk brauchte jenen gro&szlig;en Hebel, der es in Frankreich und England auf die Beine gebracht hatte - ausgedehnte Manufakturen -, und seine Konsequenz, die Herrschaft des B&uuml;rgertums. Es blieb deshalb <STRONG>&lt;581&gt;</STRONG> ruhig. Die Bauernschaft f&uuml;hlte sich in jenen Teilen Deutschlands unterdr&uuml;ckt, wo die modernen franz&ouml;sischen Institutionen wieder durch das alte feudale <EM>Regime </EM>ersetzt worden waren, aber diese Unzufriedenheit brauchte einen anderen Ansporn, um in offene Rebellion auszubrechen. So bestand die revolution&auml;re Partei in Deutschland von 1815 bis 1830 nur aus <EM>Theoretikern. </EM>Sie rekrutierte sich aus den Universit&auml;ten; sie bestand ausschlie&szlig;lich aus Studenten.</P>
<P>Man hatte es f&uuml;r unm&ouml;glich befunden, das alte System von 1789 in Deutschland wiedereinzuf&uuml;hren. Die ver&auml;nderten Zeitumst&auml;nde zwangen die Regierungen, ein neues System zu erfinden, das Deutschland eigent&uuml;mlich war. Die Aristokratie war gewillt zu regieren, aber zu schwach; das B&uuml;rgertum war weder gewillt zu regieren noch stark genug dazu - beide jedoch waren stark genug, um die Regierung zu einigen Konzessionen zu veranlassen. Die Regierungsform war daher eine Art Bastardmonarchie. In einigen Staaten schuf eine Verfassung einen Anschein von Garantie f&uuml;r die Aristokratie und das B&uuml;rgertum; f&uuml;r die &uuml;brigen gab es &uuml;berall eine <EM>b&uuml;rokratische </EM>Regierung - das ist eine Monarchie, die angeblich die Interessen des B&uuml;rgertums durch gute Verwaltung wahrnimmt, eine Verwaltung, die jedoch von Aristokraten geleitet und deren T&auml;tigkeit vor den Augen des Publikums soviel wie m&ouml;glich verborgen gehalten wird. Die Folge davon ist die Entstehung einer besonderen Klasse von administrativen Regierungsbeamten, in deren H&auml;nden die Hauptmacht konzentriert ist und die gegen alle anderen Klassen in Opposition steht. Es ist die barbarische Form der Herrschaft des B&uuml;rgertums.</P>
<P>Aber diese Regierungsform befriedigte weder die "Aristokraten", "christlichen Germanen", "Romantiker", "Reaktion&auml;re" noch die "Liberalen". Sie schlossen sich deshalb gegen die Regierungen zusammen und gr&uuml;ndeten die studentischen Geheimb&uuml;nde. Aus der Vereinigung dieser beiden Sekten - denn Parteien kann man sie nicht nennen - erwuchs jene Sekte von Bastardliberalen, die in ihren Geheimb&uuml;nden von einem deutschen Kaiser mit Krone, Purpur, Zepter und all dem &uuml;brigen Zubeh&ouml;r dieser Art Apparatur tr&auml;umten, nicht zu vergessen einen langen grauen oder roten Bart, umgeben von einer St&auml;ndeversammlung, in der die Geistlichkeit, der Adel, die B&uuml;rger und die Bauern h&uuml;bsch getrennt sein sollten. Es war die l&auml;cherlichste Mischung feudaler Brutalit&auml;t mit modernem b&uuml;rgerlichem Trug, die man sich vorstellen kann. Aber das war gerade das Richtige f&uuml;r die Studenten, die Begeisterung brauchten, ganz einerlei wof&uuml;r und zu welchem Preis. Dennoch, diese l&auml;cherlichen Idiosynkrasien zusammen mit den Revolutionen in Spanien, Portugal und Italien, den Bewegungen der Carbonari in <STRONG>&lt;582&gt;</STRONG> Frankreich und der Reformbewegung in England erschreckten die Monarchen so, da&szlig; sie schier den Verstand verloren. Friedrich Wilhelm III. hatte nun seinen Popanz, "die Revolution" - unter welchem Namen alle diese verschiedenen und einander teilweise widersprechenden Bewegungen zusammengefa&szlig;t wurden.</P>
<P>Eine Anzahl von Einkerkerungen und summarischen Verfolgungen unterdr&uuml;ckten diese "Revolution" in Deutschland; die franz&ouml;sischen Bajonette in Spanien und die &ouml;sterreichischen in Italien sicherten f&uuml;r eine Weile die &Uuml;berlegenheit der legitimen K&ouml;nige und g&ouml;ttlichen Rechte. Selbst das g&ouml;ttliche Recht des Gro&szlig;t&uuml;rken, seine griechischen Untertanen zu h&auml;ngen und zu vierteilen, wurde eine Zeitlang von der Heiligen Allianz unterst&uuml;tzt; aber dieser Fall war zu flagrant, und die Griechen erhielten die Erlaubnis, dem t&uuml;rkischen Joch zu entschl&uuml;pfen.</P>
<P>Schlie&szlig;lich gaben die drei Tage in Paris das Signal f&uuml;r einen allgemeinen Ausbruch der Unzufriedenheit des B&uuml;rgertums, der Aristokratie und des Volkes in ganz Europa. Die aristokratische polnische Revolution wurde niedergeschlagen; die b&uuml;rgerlichen Klassen Frankreichs und Belgiens vermochten sich politische Macht zu sichern; das englische B&uuml;rgertum erreichte ebenfalls dieses Ziel, und zwar durch die Reformbill; die teilweise vom Volke getragenen, teilweise b&uuml;rgerlichen, teilweise nationalen Insurrektionen Italiens wurden unterdr&uuml;ckt; und in Deutschland verk&uuml;ndeten zahlreiche Insurrektionen und Bewegungen eine neue &Auml;ra der Volksagitation und der b&uuml;rgerlichen Agitation.</P>
<P>Der neue und heftige Charakter der liberalen Agitation in Deutschland von 1830 bis 1834 zeigte, da&szlig; die b&uuml;rgerlichen Klassen die Frage nun selbst aufgegriffen hatten. Da Deutschland jedoch in zahlreiche Staaten geteilt ist, von denen fast jeder eine besondere Zollgrenze und besondere Zolls&auml;tze hatte, so gab es in diesen Bewegungen keine Gemeinsamkeit der Interessen. Das B&uuml;rgertum Deutschlands wollte politisch frei werden, nicht um die &ouml;ffentlichen Angelegenheiten in &Uuml;bereinstimmung mit seinen <EM>Interessen </EM>zu regeln, sondern weil es sich sch&auml;mte, im Vergleich zu den Franzosen und Engl&auml;ndern eine so servile Position einzunehmen. Seiner Bewegung fehlte die substantielle Basis, die den Erfolg des Liberalismus in Frankreich und England sichergestellt hatte; sein Interesse an der Frage war weit mehr theoretisch als praktisch; es war im allgemeinen desinteressiert. Die franz&ouml;sischen <EM>Bourgeos </EM>von 1830 waren das nicht. Laffitte sagte am Tage nach der Revolution: "Nun werden wir Bankiers regieren"; und das tun sie bis auf den heutigen Tag. Das englische B&uuml;rgertum wu&szlig;te ebenfalls sehr wohl, was es wollte, als es den Zehn-Pfund-Zensus einf&uuml;hrte; da die deutschen b&uuml;rger- <STRONG>&lt;583&gt;</STRONG> lichen Klassen aber, wie gesagt, schmalspurige Gesch&auml;ftsm&auml;nner, blo&szlig;e Enthusiasten - Bewunderer der "Pre&szlig;freiheit", "Geschworenengerichte", "konstitutionellen Garantien f&uuml;r das Volk", "Volksrechte", "Volksvertretung" und dergleichen waren, die sie nicht f&uuml;r Mittel, sondern f&uuml;r Zwecke hielten, so nahmen sie den Schatten f&uuml;r das Wesen und bekamen daher gar nichts. Diese Bewegung des B&uuml;rgertums war jedoch hinreichend, um mehrere Dutzend Revolutionen zuwege zu bringen, von denen zwei oder drei einige Erfolge zu erreichen vermochten: eine gro&szlig;e Anzahl von Volksversammlungen, eine Menge Geschw&auml;tz und Ruhmredigkeit in den Zeitungen und den ganz schwachen Anfang einer demokratischen Bewegung unter den Studenten, Arbeitern und Bauern.</P>
<P>Ich werde nicht auf die ziemlich erm&uuml;denden Einzelheiten dieser gro&szlig;m&auml;uligen und erfolglosen Bewegung eingehen. &Uuml;berall, wo etwas Wichtiges gewonnen wurde, wie die Pre&szlig;freiheit in Baden, schritt der Deutsche Bundestag ein und machte der Sache ein Ende. Die ganze Posse wurde abgeschlossen durch eine Wiederholung der summarischen Verhaftungen von 1819 und 1823 sowie durch eine Geheimliga aller deutschen F&uuml;rsten, die 1834 durch Beschlu&szlig; einer Delegiertenkonferenz zu Wien gebildet wurde, um jeden weiteren Fortschritt des Liberalismus zu verhindern. Die Beschl&uuml;sse dieser Konferenz sind vor einigen Jahren ver&ouml;ffentlicht worden.</P>
<P>Von 1834 bis 1840 starb in Deutschland jede &ouml;ffentliche Bewegung aus. Die Agitatoren von 1830 und 1834 waren entweder im Gef&auml;ngnis oder verstreut im Ausland, wohin sie geflohen waren. Der Kampf gegen den immer strenger werdenden Zensor und die wachsende Nachl&auml;ssigkeit und Gleichg&uuml;ltigkeit der b&uuml;rgerlichen Klassen wurde von jenen fortgesetzt, die viel von ihrer b&uuml;rgerlichen Furchtsamkeit w&auml;hrend der Zeit der Agitation behalten hatten. Die F&uuml;hrer der Parlamentsopposition hielten weiter ihre Reden in den Kammern, aber die Regierungen fanden Mittel und Wege, um sich die Stimmen der Mehrheiten zu sichern. Es bot sich keine weitere Gelegenheit, irgendwelche wie immer geartete &ouml;ffentliche Bewegung in Deutschland zustande zu bringen; die Regierungen handelten in allen St&uuml;cken nach ihrem Gutd&uuml;nken.</P>
<P>An allen diesen Bewegungen nahmen die b&uuml;rgerlichen Klassen <EM>Preu&szlig;en </EM>fast <EM>keinen </EM>Anteil Das arbeitende Volk machte seiner Unzufriedenheit im ganzen Lande in zahlreichen Emeuten Luft, die jedoch keinen bestimmten Zweck hatten und daher kein Resultat erzielten. Die Apathie der Preu&szlig;en war die st&auml;rkste Kraft des Deutschen Bundes. Sie zeigte, da&szlig; die Zeit f&uuml;r eine allgemeine Bewegung des B&uuml;rgertums in Deutschland noch nicht gekommen war. <STRONG>&lt;584&gt;</STRONG> In meinem n&auml;chsten Brief &lt; ein weiterer Brief von Friedrich Engels wurde nicht ver&ouml;ffentlicht&gt; werde ich zu der Bewegung der vergangenen sechs Jahre &uuml;bergehen, vorausgesetzt, da&szlig; es mir gelingt, die notwendigen Materialien zusammenzubringen, um den Geist der deutschen Regierungen an einigen ihrer eigenen Taten zu charakterisieren, im Vergleich zu denen die Taten Ihres edlen Innenministers engelrein und unschuldig sind.</P>
<P ALIGN="JUSTIFY">Bis dahin, sehr geehrter Herr, verbleibe ich ergebenst</P>
<EM><P ALIGN="RIGHT">Ihr deutscher Korrespondent</P>
</EM><P>20. Februar 1846</P>
<SMALL><P>Aus dem Englischen.</P></SMALL></BODY>
</HTML>