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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx - Enthuellungen ueber den Kommunisten-Prozess zu Koeln</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unver<65>nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 455-457</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_431.htm"><FONT SIZE=2>IV. Das Originalprotokollbuch</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_405.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_458.htm"><FONT SIZE=2>VI. Die Fraktion Willich-Schapper</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">V</P>
<FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Das Begleitschreiben des "Roten Katechismus"</P>
</FONT><B><P><A NAME="S455">&lt;455&gt;</A></B> In der Sitzung vom 27. Oktober bezeugt der Polizei-Inspektor Junkermann aus Krefeld:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Er habe ein Paket mit Exemplaren des 'Roten Katechismus' in Beschlag genommen, welches an den Kellner eines Krefelder Gasthofes adressiert und mit dem Poststempel D&uuml;sseldorf versehen war. Dabei lag ein Begleitschreiben ohne Unterschrift. Der Absender ist nicht ermittelt worden." "Das Begleitschreiben scheint, wie das &ouml;ffentliche Ministerium bemerkt, <I>von der Hand des Marx geschrieben</I>."</P>
</FONT><P>In der Sitzung vom 28. Oktober ersieht der Sachverst&auml;ndige (???) Renard dem Begleitschreiben die Handschrift des Marx. Dies Begleitschreiben lautet:</P>
<FONT SIZE=2><P>"B&uuml;rger! Da Sie unser volles Vertrauen besitzen, so &uuml;berreichen wir Ihnen hiermit 50 Exemplare des 'Roten', die Sie Samstag, den 5. Juni, abends 11 Uhr, unter die Haust&uuml;ren anerkannt revolution&auml;rer B&uuml;rger, am liebsten Arbeiter, zu schieben haben. Wir rechnen mit Bestimmtheit auf Ihre B&uuml;rgertugend und erwarten daher Ausf&uuml;hrung dieser Vorschrift. Die Revolution ist n&auml;her, als mancher glaubt. Es lebe die Revolution!</P>
<P>Berlin, Mai 1852</P>
<P ALIGN="RIGHT">Gru&szlig; und Bruderschaft. Das Revolutionskomitee"</P>
</FONT><P>Zeuge Junkermann erkl&auml;rt noch, "da&szlig; die fraglichen Pakete an den Zeugen <I>Chianella </I>geschickt worden".</P>
<P>Polizeipr&auml;sident <I>Hinckeldey </I>von Berlin leitet w&auml;hrend der Untersuchungshaft der K&ouml;lner Angeklagten die Man&ouml;ver als Obergeneral. Die Lorbeeren des Maupas lassen ihn nicht schlafen.</P>
<P>W&auml;hrend der Verhandlungen figurieren zwei Polizeidirektoren, ein lebendiger und ein toter, ein Polizeirat - aber der eine war ein Stieber -, zwei Polizeileutnants, wovon der eine best&auml;ndig von London nach K&ouml;ln, der andere best&auml;ndig von K&ouml;ln nach London reist, Myriaden von Polizeiagenten und <A NAME="S456"><B>&lt;456&gt;</A></B> Unteragenten, genannte, anonyme, heteronyme, pseudonyme, geschw&auml;nzte und ungeschw&auml;nzte. Endlich noch ein Polizei-Inspektor.</P>
<P>Sobald die "K&ouml;lnische Zeitung" mit den Zeugenverh&ouml;ren vom 27. und 28. Oktober in London eintraf, begab sich Marx zum Magistrat in Marlborough Street, schrieb den in der "K&ouml;lnischen Zeitung" gegebenen Text des Begleitschreibens ab, lie&szlig; diese Abschrift beglaubigen und zugleich folgende an Eides Statt abgegebene Erkl&auml;rung:</P>
<P>1. Da&szlig; er das fragliche Begleitschreiben nicht geschrieben;<BR>
2. da&szlig; er die Existenz desselben erst aus der "K&ouml;lnischen Zeitung" kennengelernt;<BR>
3. da&szlig; er den sogenannten "Roten Katechismus" <I>nie gesehen</I>;<BR>
4. da&szlig; er nie in irgendeiner Weise zur Verbreitung desselben beigetragen.</P>
<P>Im Vorbeigehen sei bemerkt, da&szlig; eine solche vor dem Magistrat gegebene Erkl&auml;rung (declaration), wenn sie falsch ist, in England alle Folgen des Meineids nach sich zieht.</P>
<P>Das obige Dokument wurde an Schneider II geschickt, erschien aber zugleich <A HREF="me08_455.htm">gedruckt im Londoner "Morning Advertiser"</A>, da man sich im Laufe des Prozesses &uuml;berzeugt hatte, da&szlig; die preu&szlig;ische Post mit Beobachtung des Postgeheimnisses die sonderbare Vorstellung verbindet, sie sei verpflichtet, die ihr anvertrauten Briefe vor dem Adressaten geheimzuhalten. Die Oberprokuratur widersetzte sich der Vorlegung des Dokuments, sei es auch nur zur <I>Vergleichung</I>. Die Oberprokuratur wu&szlig;te, da&szlig; ein einziger Blick von dem Originalbegleitschreiben auf die amtlich beglaubigte Abschrift von Marx den Betrug, die absichtliche Nachahmung seiner Schriftz&uuml;ge, selbst dem Scharfblicke dieser Geschworenen nicht verborgen lassen k&ouml;nnte. Im Interesse der Moralit&auml;t des preu&szlig;ischen Staates protestierte sie daher gegen jede Vergleichung.</P>
<P>Schneider II bemerkte,</P>
<FONT SIZE=2><P>"da&szlig; der Adressat Chianella, der der Polizei bereitwillige Auskunft &uuml;ber die mutma&szlig;lichen Absender gegeben und <I>sich ihr direkt als Spion angeboten</I>, nicht im entferntesten an Marx gedacht habe".</P>
</FONT><P>Wer je eine Zeile von Marx gelesen hatte, konnte ihm unm&ouml;glich die Urheberschaft des melodramatischen Begleitschreibens aufb&uuml;rden. Die Sommer-Mitternachts-Traumstunde des 5. Juni, die zudringlich-anschauliche Operation des Unterschiebens von "Rotem" unter die Haust&uuml;ren der Revolutionsphilister - das konnte etwa auf das Gem&uuml;t Kinkel hindeuten, wie die "B&uuml;rger- <A NAME="S457"><B>&lt;457&gt;</A></B> tugend" und die "Bestimmtheit", womit auf milit&auml;rische "Ausf&uuml;hrung" der gegebenen "Vorschrift gerechnet wird", auf die Einbildungskraft Willichs. Aber wie sollten Kinkel-Willich dazu kommen, ihre Revolutionsrezepte in Marxsche Handschrift zu setzen?</P>
<P>Wenn eine Hypothese &uuml;ber die "noch nicht ganz aufgekl&auml;rte Entstehungsart" dieses in nachgeahmter Handschrift befindlichen Begleitschreibens erlaubt ist: Die Polizei fand in Krefeld die 50 Roten mit dem hocht&ouml;nend angenehmen Begleitschreiben. Sie lie&szlig; - zu K&ouml;ln oder Berlin, qu'importe &lt;gleichviel&gt;? - den Text in Marxsche Noten setzen. Zu welchem Behuf? "Um ihrer Ware einen desto h&ouml;heren Wert zu geben."</P>
<P>Selbst die Oberprokuratur wagte indessen nicht, in ihrer katilinarischen Rede auf dies Begleitschreiben zu rekurrieren. Sie lie&szlig; es fallen. Es trug also nicht bei zur Konstatierung des mangelnden <I>"objektiven Tatbestandes"</I>.</P></BODY>
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