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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Zur Urgeschichte der Deutschen</TITLE>
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<META name="description" content="Zur Urgeschichte der Deutschen">
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<TD ALIGN="center" width="299" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</FONT></A></TD>
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<TD valign="top"><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: </SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 425-473.</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>Korrektur:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>1</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>Erstellt:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>18.07.1999</SMALL></TD>
</TR>
</TABLE>
<H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Zur Urgeschichte der Deutschen</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben 1881/1882.<BR>
Nach der Handschrift.</P>
</FONT><P><A HREF="me19_425.htm#Kap_I">C&auml;sar und Tacitus<BR>
</A><A HREF="me19_425.htm#Kap_II">Die ersten K&auml;mpfe mit Rom<BR>
</A><A HREF="me19_425.htm#Kap_III">Fortschritte bis zur V&ouml;lkerwanderung<BR>
</A><A HREF="me19_425.htm#Kap_IV">Anmerkung: Die deutschen St&auml;mme</A></P>
<P><HR size="1" align="center"></P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_I">C&auml;sar und Tacitus</H3>
<B><P></A>|425|</B> Die Deutschen sind keineswegs die ersten Bewohner des jetzt von ihnen eingenommenen Landes.<A NAME="ZF1"><A HREF="me19_425.htm#F1"><SMALL><SUP>(1)</SUP></SMALL></A></A> Wenigstens drei Racen sind ihnen vorhergegangen.</P>
<P>Die &auml;ltesten Spuren des Menschen in Europa finden sich in einigen Schichten S&uuml;denglands, deren Alter bis jetzt nicht genau festzustellen ist, die aber wahrscheinlich zwischen die beiden Vergletscherungsperioden der sog, Eiszeit fallen.</P>
<P>Nach der zweiten Gletscherperiode, mit dem allm&auml;hlich w&auml;rmer werdenden Klima, tritt der Mensch &uuml;ber ganz Europa, Nordafrika und Vorderasien bis nach Indien hinein auf, in Gemeinschaft mit den ausgestorbenen gro&szlig;en Dickh&auml;utern (Mammut, gradzahniger Elefant, wolliges Rhinozeros) und Raubtieren (H&ouml;hlenl&ouml;we, H&ouml;hlenb&auml;r) wie mit noch lebenden Tieren (Renntier, Pferd, Hy&auml;ne, L&ouml;we, Bison, Auerochs). Die dieser Zeit angeh&ouml;rigen Werkzeuge weisen auf eine sehr niedrige Kulturstufe hin: ganz rohe Steinmesser, birnf&ouml;rmige, steinerne Hacken oder &Auml;xte, die ohne Stiel gebraucht wurden, Schabmesser zum Reinigen von Tierh&auml;uten, Bohrer, alles von Feuerstein, etwa die Entwicklungsstufe der jetzigen Eingebornen Australiens andeutend. Die bis jetzt gefundenen Knochenreste erlauben keinen Schlu&szlig; auf den K&ouml;rperbau dieser Menschen, deren weite Verbreitung und &uuml;berall gleichf&ouml;rmige Kultur auf eine sehr lange Dauer dieser Periode schlie&szlig;en l&auml;&szlig;t.</P>
<P>Was aus diesen fr&uuml;hpal&auml;olithischen Menschen geworden, wissen wir nicht. In keinem der L&auml;nder, wo sie aufgetreten, auch in Indien nicht, sind Menschenracen erhalten, die als ihre Vertreter in der heutigen Menschheit gelten k&ouml;nnen.</P>
<P>In den H&ouml;hlen Englands, Frankreichs, der Schweiz, Belgiens und S&uuml;d- <A NAME="S426"><B>|426|</A></B> deutschlands finden sich die Werkzeuge dieser untergegangenen Menschen meist nur in den untersten Schichten des abgelagerten Bodens. &Uuml;ber dieser untersten Kulturschicht, und h&auml;ufig von ihr getrennt durch eine dickere oder d&uuml;nnere Lage Tropfstein, findet sich eine zweite, Werkzeuge f&uuml;hrende Ablagerung. Diese, einem sp&auml;teren Zeitabschnitt angeh&ouml;rigen Werkzeuge sind bereits weit geschickter gearbeitet und auch in ihrem Material mannigfacher. Die Steininstrumente sind zwar noch nicht poliert, aber doch schon zweckm&auml;&szlig;iger in Anlage und Ausf&uuml;hrung; daneben finden sich Pfeil- und Speerspitzen von Stein, Renntierhorn, Knochen; Dolche und N&auml;hnadeln von Bein oder Geweih, Halsgeschmeide von durchbohrten Tierz&auml;hnen etc. Auf einzelnen St&uuml;cken finden wir teilweise sehr lebendige Zeichnungen von Tieren, Renntieren, Mammut, Auerochse, Seehund, Walfisch, auch Jagdszenen mit nackten Menschen, selbst Anf&auml;nge von Skulptur in Horn.</P>
<P>Treten die fr&uuml;hpal&auml;olithischen Menschen in Begleitung von Tieren auf, die vorwiegend s&uuml;dlicher Herkunft waren, so erscheinen neben den sp&auml;tpal&auml;olithischen Tiere nordischen Ursprungs: zwei noch lebende nordische B&auml;renarten, der Polarfuchs, Vielfra&szlig;, die Schnee-Eule. Mit diesen Tieren sind auch diese Menschen wahrscheinlich von Nordosten her eingewandert, und ihre letzten Reste in der heutigen Welt scheinen die Eskimos zu sein. Die Werkzeuge beider stimmen nicht nur im einzelnen, sondern auch in der Gesamtgruppe vollst&auml;ndig zusammen; die Zeichnungen ebenfalls; die Nahrung beider wird von fast genau denselben Tieren geliefert; die Lebensweise, soweit wir sie f&uuml;r die untergegangene Race feststellen k&ouml;nnen, stimmt genau zusammen.</P>
<P>Auch diese Eskimos, die bis jetzt nur n&ouml;rdlich von den Pyren&auml;en und Alpen nachgewiesen, sind vom europ&auml;ischen Boden verschwunden. Wie die amerikanischen Roth&auml;ute noch im vorigen Jahrhundert die Eskimos durch einen unerbittlichen Vernichtungskrieg nach dem &auml;u&szlig;ersten Norden zur&uuml;ckdr&auml;ngten, so scheint auch in Europa die nun auftretende neue Race sie allm&auml;hlich zur&uuml;ckgetrieben und endlich ausgerottet zu haben, ohne sich mit ihnen zu vermischen.</P>
<P>Diese neue Race kam, wenigstens im westlichen Europa, von S&uuml;den; sie drang wahrscheinlich von Afrika nach Europa zur Zeit, wo beide Weltteile sowohl bei Gibraltar wie bei Sizilien noch durch Land verbunden waren. Sie stand auf einer bedeutend h&ouml;heren Kulturstufe als ihre Vorg&auml;nger. Sie kannte den Ackerbau; sie hatte Haustiere (Hund, Pferd, Schaf, Ziege, Schwein, Rindvieh). Sie kannte die Handt&ouml;pferei, das Spinnen und Weben. Ihre Werkzeuge waren zwar noch von Stein, aber schon mit gro&szlig;er Sorgfalt gearbeitet und meistenteils glatt geschliffen (sie werden als neo- <A NAME="S427"><B>|427|</A></B> lithische von denen der fr&uuml;heren Perioden unterschieden). Die &Auml;xte haben Stiele und werden damit zum ersten Mal zum Holzf&auml;llen brauchbar; damit wird es m&ouml;glich, Baumst&auml;mme zu Booten auszuh&ouml;hlen, auf denen man zu den jetzt durch allm&auml;hliche Bodensenkung vom Festland getrennten britischen Inseln &uuml;berfahren konnte.</P>
<P>Im Gegensatz zu ihren Vorg&auml;ngern bestatteten sie ihre Toten sorgf&auml;ltig; es sind uns daher Skelette und Sch&auml;del genug erhalten, um &uuml;ber ihren K&ouml;rperbau urteilen zu k&ouml;nnen. Die langen Sch&auml;del, die kleine Statur (Durchschnitt der Weiber etwa 1,46, der M&auml;nner 1,65 Meter), die niedrige Stirn, die Adlernase, die starken Brauen und schwachen Backenknochen und m&auml;&szlig;ig entwickelten Kinnbacken weisen auf eine Race hin, als deren letzte heutige Vertreter die Basken erscheinen. Die neolithischen Einwohner nicht nur Spaniens, sondern auch Frankreichs, Britanniens und des ganzen Gebiets mindestens bis an den Rhein, sind nach aller Wahrscheinlichkeit iberischer Race gewesen. Auch Italien wurde vor Ankunft der Arier von einer &auml;hnlichen kleinen, schwarzhaarigen Race bewohnt, &uuml;ber deren n&auml;here oder entferntere Verwandtschaft zu den Basken heute schwer zu entscheiden ist.</P>
<P>Virchow verfolgt diese langen Baskensch&auml;del bis tief nach Norddeutschland und D&auml;nemark hinein; und die &auml;ltesten neolithischen Pfahlbauten des n&ouml;rdlichen Alpenabhangs geh&ouml;ren ihnen ebenfalls an.</P>
<P>Andrerseits erkl&auml;rt Schaaffhausen eine Reihe n&auml;chst des Rheins gefundener Sch&auml;del f&uuml;r entschieden finnisch, speziell lappisch, und kennt die &auml;lteste Geschichte als n&ouml;rdliche Grenznachbarn der Deutschen in Skandinavien, der Litauer und Slawen in Ru&szlig;land nur Finnen. Diese beiden kleinen, dunkelhaarigen Racen, die eine von jenseits des Mittelmeers, die andre direkt aus Asien n&ouml;rdlich vom Kaspischen Meer her eingewandert, scheinen hiernach in Deutschland zusammengesto&szlig;en zu sein. Unter welchen Umst&auml;nden, bleibt vollst&auml;ndig im dunkeln.</P>
<P>Auf diese verschiednen Einwanderungen folgt endlich, auch noch in vorgeschichtlicher Zeit, die des letzten gro&szlig;en Hauptstamms, der <I>Arier</I>, der V&ouml;lker, deren Sprachen sich um die altert&uuml;mlichste unter ihnen, um das Sanskrit, gruppieren. Die fr&uuml;hesten Einwanderer waren die Griechen und Lateiner, die die beiden s&uuml;d&ouml;stlichen Halbinseln Europas in Besitz nahmen; daneben wohl die jetzt verschollenen Skythen, Bewohner der Steppen n&ouml;rdlich des Schwarzen Meers, dem medisch-persischen Stamm wohl zun&auml;chst verwandt. Dann folgten die Kelten. Von ihrem Wanderzug wissen wir nur, da&szlig; er n&ouml;rdlich des Schwarzen Meers erfolgte und durch Deutschland ging. Ihre vordersten Massen drangen nach Frankreich, eroberten das Land <A NAME="S428"><B>|428|</A></B> bis an die Garonne und unterwarfen selbst einen Teil des westlichen und mittleren Spaniens. Das Meer hier, der Widerstand der Iberer dort brachte sie zum Stehen, w&auml;hrend hinter ihnen von beiden Seiten der Donau her andre keltische St&auml;mme noch nachdr&auml;ngten. Hier, am &auml;u&szlig;ersten Ozean und an den Donauquellen, kennt sie Herodot. Sie m&uuml;ssen aber schon bedeutend fr&uuml;her eingewandert sein. Die Gr&auml;ber und sonstigen Funde aus Frankreich und Belgien beweisen, da&szlig; die Kelten, als sie das Land in Besitz nahmen, noch keine metallnen Werkzeuge kannten; dagegen treten sie in Britannien von Anfang an mit Bronzewerkzeugen auf. Zwischen der Eroberung Galliens und dem Zug nach Britannien mu&szlig; also eine gewisse Zeit verflossen sein, w&auml;hrend deren die Kelten durch Handelsverbindungen mit Italien und Marseille die Bronze kennenlernten und bei sich einf&uuml;hrten.</P>
<P>Inzwischen dr&auml;ngten die hinteren Keltenv&ouml;lker, selbst von den Deutschen gedr&auml;ngt, immer st&auml;rker nach; vorn waren die Auswege versperrt, und so entstand ein R&uuml;ckstrom in s&uuml;d&ouml;stlicher Richtung, wie wir ihn sp&auml;ter bei den germanischen und slawischen V&ouml;lkerz&uuml;gen wiederfinden. Keltenst&auml;mme &uuml;berstiegen die Alpen, &uuml;berzogen Italien, die thrakische Halbinsel und Griechenland und fanden teils ihren Untergang, teils feste Sitze in der Po-Niederung und in Kleinasien. Die Masse des Stammes finden wir um jene Zeit (-400 bis -300 <A NAME="ZF2"><A HREF="me19_425.htm#F2"><SMALL><SUP>(2)</SUP></SMALL></A></A>) in Gallien bis zur Garonne, in Britannien und Irland und n&ouml;rdlich der Alpen, zu beiden Seiten der Donau, bis an den Main und das Riesengebirge, wo nicht dar&uuml;ber hinaus. Denn, wenn auch die keltischen Berg- und Flu&szlig;namen in Norddeutschland weniger h&auml;ufig und unbestritten sind als im S&uuml;den, so ist doch nicht anzunehmen, da&szlig; die Kelten den schwierigeren Weg durch das gebirgige S&uuml;ddeutschland allein gew&auml;hlt haben sollen, ohne zugleich den bequemeren durch die offene norddeutsche Ebene zu benutzen.</P>
<P>Die keltische Einwanderung verdr&auml;ngte die vorgefundnen Einwohner nur zum Teil; namentlich im S&uuml;den und Westen Galliens machten diese auch jetzt noch die Mehrzahl der Bev&ouml;lkerung aus, wenn auch als unterdr&uuml;ckte Race, und haben der jetzigen Bev&ouml;lkerung ihren K&ouml;rperbau vererbt. Da&szlig; sowohl Kelten wie auch Germanen in ihren neuen Sitzen &uuml;ber eine vorgefundne dunkelhaarige Bev&ouml;lkerung herrschten, geht aus der bei beiden bestehenden Sitte des Gelbf&auml;rbens der Haare mit Seife hervor. Helles Haar war Zeichen der herrschenden Race, und wo dies infolge von Racenmischung verlorenging, da mu&szlig;te eben die Seife nachhelfen.</P>
<B><P><A NAME="S429">|429|</A></B> Den Kelten folgten die Deutschen; und hier k&ouml;nnen wir den Zeitpunkt der Einwanderung wenigstens ann&auml;hernd mit einiger Wahrscheinlichkeit bestimmen. Sie begann schwerlich lange vor dem Jahre -400 und war zur Zeit C&auml;sars noch nicht ganz vollendet.</P>
<P>Um das Jahr -325 gibt uns Pytheas' Reisebericht die erste authentische Kunde von Deutschen. Er fuhr von Marseille nach der Bernsteink&uuml;ste und erw&auml;hnt dort Guttonen und Teutonen, unzweifelhaft deutsche V&ouml;lker. Wo aber lag die Bernsteink&uuml;ste? Die gew&ouml;hnliche Vorstellung kennt freilich nur die ostpreu&szlig;ische, und wenn als Nachbarn jener K&uuml;ste Guttonen genannt werden, so stimmt das allerdings. Aber die von Pytheas gegebnen Abmessungen stimmen nicht zu dieser Gegend, w&auml;hrend sie ziemlich gut passen f&uuml;r die gro&szlig;e Bucht der Nordsee zwischen der norddeutschen K&uuml;ste und der cimbrischen Halbinsel. Dorthin passen auch die ebenfalls als Nachbarn genannten Teutonen. Dort - an der Westseite Schleswigs und J&uuml;tlands - ist auch eine Bernsteink&uuml;ste; Ringkj&ouml;bing treibt heute noch einen ziemlichen Handel mit dort gefundenem Bernstein. Auch erscheint es &auml;u&szlig;erst unwahrscheinlich, da&szlig; Pytheas so fr&uuml;h schon so weit in ganz unbekannte Gew&auml;sser vorgedrungen sei, und noch mehr, da&szlig; in seinen so sorgf&auml;ltigen Angaben die verwickelte Fahrt vom Kattegat bis Ostpreu&szlig;en nicht nur ganz unerw&auml;hnt geblieben ist, sondern &uuml;berhaupt nicht in sie hineinpa&szlig;t. Man m&uuml;&szlig;te sich also ganz entschieden f&uuml;r die zuerst von Lelewel ausgesprochne Ansicht erkl&auml;ren, da&szlig; die Bernsteink&uuml;ste des Pytheas an der Nordsee zu suchen sei, w&auml;re es nicht wegen des Namens der Guttonen, die nur an die Ostsee geh&ouml;ren k&ouml;nnen. Dieses letzte Hindernis wegzur&auml;umen, hat M&uuml;llenhoff einen Schritt getan; er h&auml;lt die Lesart: Guttonen f&uuml;r verf&auml;lscht aus: Teutonen.</P>
<P>Um 180 vor unsrer Zeitrechnung treten Bastarner, unzweifelhafte Deutsche, an der Unterdonau auf und erscheinen wenige Jahre sp&auml;ter als S&ouml;ldner im Heere des makedonischen K&ouml;nigs Perseus gegen die R&ouml;mer - die ersten Landsknechte. Es sind wilde Krieger:</P>
<FONT SIZE=2><P>"M&auml;nner, nicht zum Ackerbau geschickt oder zur Schiffahrt, oder die von Herden ihren Unterhalt suchen, die im Gegenteil nur ein Werk und eine Kunst pflegen; stets zu k&auml;mpfen und zu &uuml;berwinden, was sich ihnen entgegenstellt."</P>
</FONT><P>Es ist Plutarch, der uns diese erste Nachricht von der Lebensweise eines deutschen Volks gibt. Auch diese Bastarner finden wir noch Jahrhunderte sp&auml;ter n&ouml;rdlich von der Donau, wenn auch in westlicherer Gegend. F&uuml;nfzig Jahre sp&auml;ter brechen Cimbern und Teutonen in das keltische Donaugebiet, werden von den in B&ouml;hmen wohnenden keltischen Bojern abgewiesen, ziehen m mehreren Haufen nach Gallien, bis in Spanien hinein, schlagen <A NAME="S430"><B>|430|</A></B> ein r&ouml;misches Heer nach dem andern, bis endlich Marius ihren fast zwanzigj&auml;hrigen Wanderz&uuml;gen ein Ende macht, indem er ihre sicher schon sehr geschw&auml;chten Scharen vernichtet: die Teutonen bei Aix in der Provence (-102) und die Cimbern bei Vercelli in Oberitalien (-101).</P>
<P>Ein halbes Jahrhundert sp&auml;ter traf C&auml;sar in Gallien auf zwei neue germanische Heerz&uuml;ge; zuerst am Oberrhein den des Ariovist, in dem sieben verschiedne V&ouml;lkerschaften, darunter Markomannen und Sueven, vertreten waren; bald darauf, am Niederrhein, den der Usipeter und Tenkterer, die, von den Sueven in ihren fr&uuml;heren Sitzen bedr&auml;ngt, diese verlassen und nach dreij&auml;hrigem Herumziehen den Rhein erreicht hatten. Beide Heerz&uuml;ge erlagen der geordneten r&ouml;mischen Kriegsf&uuml;hrung, die Usipeter und Tenkterer aber auch r&ouml;mischem Vertragsbruch. In den ersten Jahren des Augustus kennt Dio Cassius einen Einfall der Bastarner nach Thrakien; Marcus Crassus schlug sie am Hebrus (der heutigen Maritza). Derselbe Geschichtschreiber erw&auml;hnt noch eines Zuges von Hermunduren, die um den Beginn unsrer Zeitrechnung ihre Heimat aus unbekannten Ursachen verlassen und vom r&ouml;mischen Feldherrn Domitius Ahenobarbus "in einem Teile des Landes der Markomannen" angesiedelt worden seien. Das sind die letzten Wanderz&uuml;ge aus jener Epoche. Die Befestigung der r&ouml;mischen Herrschaft an Rhein und Donau schob ihnen auf l&auml;ngere Zeit einen Riegel vor; da&szlig; aber im Nordosten, jenseits der Elbe und des Riesengebirgs, die V&ouml;lker noch lange nicht zu festen Sitzen gekommen waren, darauf deuten nur zu viele Zeichen.</P>
<P>Diese Ausz&uuml;ge der Germanen bilden den ersten Akt jener V&ouml;lkerwanderung, die, dreihundert Jahre lang durch r&ouml;mischen Widerstand aufgehalten, gegen Ende des dritten Jahrhunderts unwiderstehlich &uuml;ber die beiden Grenzstr&ouml;me brach, S&uuml;deuropa und Nordafrika &uuml;berflutete und erst mit der Eroberung Italiens durch die Langobarden 568 ihr Ende erreichte - ihr Ende, soweit die Germanen dabei beteiligt waren, nicht aber die hinter ihnen noch l&auml;ngere Zeit in Bewegung bleibenden Slawen. Es waren buchst&auml;blich Wanderungen von V&ouml;lkern. Ganze Volksst&auml;mme oder doch starke Bruchteile derselben machten sich auf die Reise, mit Weib und Kind, mit Hab und Gut. Mit Tierfellen eingedeckte Wagen dienten zur Wohnung und zum Transport der Weiber und Kinder wie des d&uuml;rftigen Hausrats; das Vieh wurde mitgetrieben. Die M&auml;nner ger&uuml;stet und geordnet zur Niederwerfung alles Widerstands, zur Abwehr von &Uuml;berf&auml;llen; ein Kriegsmarsch am Tag, ein Kriegslager in der Wagenburg bei Nacht. Der Menschenverbrauch auf diesen Z&uuml;gen, durch fortw&auml;hrende K&auml;mpfe, durch M&uuml;hsal, Hunger und Krankheiten mu&szlig; ungeheuer gewesen sein. Es war <A NAME="S431"><B>|431|</A></B> ein Abenteuer auf Tod und Leben. Gelang der Zug, so siedelte sich der &uuml;briggebliebne Teil auf fremdem Boden an; mi&szlig;lang er, so verschwand der ausgezogne Stamm von der Erde. Was nicht im Gemetzel der Schlacht fiel, verkam in der Sklaverei. Die Helvetier und ihre Bundesgenossen, deren Wanderzug C&auml;sar hemmte, zogen aus mit 368.000 K&ouml;pfen, darunter 92.000 Waffenf&auml;hige; nach der Niederlage durch die R&ouml;mer waren nur noch 110.000 &uuml;brig, die C&auml;sar ausnahmsweise, aus politischen Gr&uuml;nden, in die Heimat zur&uuml;cksandte. Die Usipeter und Tenkterer waren mit 180.000 K&ouml;pfen &uuml;ber den Rhein gegangen; sie kamen fast alle in der Schlacht und auf der Flucht um. Kein Wunder, da&szlig; da, w&auml;hrend dieser langen Wanderzeit, ganze Volksst&auml;mme oft spurlos verschwinden.</P>
<P>Dieser unsteten Lebensweise der Germanen entsprechen ganz die Zust&auml;nde, die C&auml;sar am Rhein vorfand. Der Rhein war keineswegs scharfe Grenze zwischen Galliern und Deutschen. Belgisch-gallische Menapier hatten in der Gegend von Wesel D&ouml;rfer und Acker auf dem rechten Rheinufer; dagegen war das linksrheinische Maasdelta von den germanischen Batavern besetzt, und um Worms bis gegen Stra&szlig;burg wohnten germanische Vangionen, Triboker und Nemeter - ob seit Ariovist oder fr&uuml;her schon, ist unsicher. Die Belgier f&uuml;hrten fortw&auml;hrende Kriege mit den Deutschen, &uuml;berall war noch strittiges Gebiet. S&uuml;dlich vom Main und Erzgebirge wohnten damals noch keine Deutschen; die Helvetier waren erst kurz vorher von den Sueven aus dem Gebiet zwischen Main, Rhein, Donau und B&ouml;hmerwald vertrieben worden wie die Bojer aus B&ouml;hmen (Boihemum), das ihren Namen bis heute tr&auml;gt. Die Sueven hatten aber das Land nicht besetzt, sondern in jene 600 r&ouml;mische (150 deutsche) Meilen lange Waldw&uuml;ste verwandelt, die sie nach S&uuml;den hin decken sollte. Weiter &ouml;stlich kennt C&auml;sar noch Kelten (Volker-Tektosagen) im Norden der Donau, da, wo Tacitus sp&auml;ter deutsche Quaden nennt. Erst zu Augustus' Zeit f&uuml;hrte Maroboduus seine suevischen Markomannen nach B&ouml;hmen, w&auml;hrend die R&ouml;mer den Winkel zwischen Rhein und Donau durch Verschanzung abschlossen und mit Galliern bev&ouml;lkerten. Das Gebiet jenseits dieses Grenzwalls scheint dann von den Hermunduren besetzt. Es geht hieraus unzweifelhaft hervor, da&szlig; die Germanen durch die Ebene auf der Nordseite der Karpaten und der b&ouml;hmischen Grenzgebirge nach Deutschland gezogen sind; erst nachdem das n&ouml;rdliche Flachland besetzt, trieben sie die s&uuml;dlicher im Gebirg wohnenden Kelten &uuml;ber die Donau.</P>
<P>Auch die Lebensweise der Germanen, wie C&auml;sar sie schildert, beweist, da&szlig; sie noch keineswegs se&szlig;haft in ihrem Lande waren. Sie leben haupts&auml;chlich von der Viehzucht von K&auml;se, Milch und Fleisch, weniger von <A NAME="S432"><B>|432|</A></B> Korn; Hauptbesch&auml;ftigung der M&auml;nner ist Jagd und Waffen&uuml;bung. Sie treiben etwas Ackerbau, aber nur nebenbei und in waldurspr&uuml;nglichster Weise. C&auml;sar berichtet, sie h&auml;tten die Acker nur ein Jahr lang bebaut und im folgenden stets neues Land unter den Pflug genommen. Es scheint Brandwirtschaft gewesen zu sein, wie noch jetzt im n&ouml;rdlichen Skandinavien und Finnland; der Wald - und au&szlig;er dem Wald hatte man nur die damals f&uuml;r den Ackerbau nutzlosen S&uuml;mpfe und Torfmoore - wurde niedergebrannt, die Wurzeln notd&uuml;rftig entfernt und mit dem vernarbten oberen Boden ebenfalls verbrannt; in den durch die Asche ged&uuml;ngten Boden s&auml;te man das Korn. Aber selbst in diesem Fall wird C&auml;sars Angabe allj&auml;hrlicher Erneuerung des Ackerlands nicht w&ouml;rtlich zu nehmen und in der Regel auf einen gewohnheitsm&auml;&szlig;igen &Uuml;bergang zu Neuland, nach mindestens zwei oder drei Ernten, zu beschr&auml;nken sein. Die ganze Stelle, die undeutsche Landteilung durch F&uuml;rsten und Beamte und besonders die den Germanen untergeschobnen Beweggr&uuml;nde f&uuml;r diesen raschen Wechsel atmen r&ouml;mische Vorstellungen. Dem R&ouml;mer war dieser Landwechsel unerkl&auml;rlich. Den rheinischen Deutschen, die schon im &Uuml;bergang zur festen Ansiedlung begriffen, mochte er schon als &uuml;berkommene Gewohnheit erscheinen, die mehr und mehr Zweck und Sinn verlor. Den inneren Deutschen, den eben erst am Rhein ankommenden Sueven, f&uuml;r die er auch haupts&auml;chlich galt, war er dagegen noch wesentliche Bedingung einer Lebensweise, bei der das ganze Volk sich langsam voranschob, in der Richtung und mit der Geschwindigkeit, die der vorgefundne Widerstand zulie&szlig;. Auf diese Lebensweise ist auch ihre Verfassung zugeschnitten: Die Sueven teilen sich in hundert Gaue, deren jeder j&auml;hrlich tausend Mann zum Heere stellt, w&auml;hrend der Rest der Mannschaft daheim bleibt, Vieh und Acker besorgt und im zweiten Jahr die Ausgezognen abl&ouml;st. Die Volksmasse mit Weib und Kind folgt dem Heer erst, sobald dies neues Gebiet erobert hat. Es ist schon ein Fortschritt zur Se&szlig;haftigkeit, verglichen mit den Heerz&uuml;gen der Cimbernzeit.</P>
<P>Wiederholt kommt C&auml;sar auf die Sitte der Deutschen zur&uuml;ck, sich auf der Seite nach dem Feinde, d.h. nach jedem fremden Volk hin, durch breite Waldw&uuml;sten zu sichern. Es ist dies dieselbe Sitte, die noch bis ins sp&auml;te Mittelalter herrscht. Die nordelbischen Sachsen sch&uuml;tzte der Grenzwald zwischen Eider und Schlei (altd&auml;nisch Jarnwidhr) gegen die D&auml;nen, der Sachsenwald von der Kieler F&ouml;rde bis zur Elbe gegen die Slawen, und der slawische Name Brandenburg, Branibor, ist wieder nur Bezeichnung eines solchen Schutzwalds (tschechisch <I>braniti</I> - verteidigen, <I>bor</I> - Kiefer und Kiefernwald).</P>
<B><P><A NAME="S433">|433|</A></B> &Uuml;ber die Zivilisationsstufe der von C&auml;sar vorgefundnen Deutschen kann nach alledem kein Zweifel sein. Sie waren weit entfernt davon, Nomaden zu sein in dem Sinn, wie es die heutigen asiatischen Reiterv&ouml;lker sind. Dazu geh&ouml;rt die Steppe, und die Deutschen lebten im Urwald. Aber sie waren auch ebensoweit entfernt von der Stufe ans&auml;ssiger Bauernv&ouml;lker. Noch Strabo sagt von ihnen sechzig Jahre sp&auml;ter:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Gemein ist allen diesen" (deutschen) "V&ouml;lkerschaften die Leichtigkeit, mit der sie auswandern, wegen der Einfachheit ihrer Lebensart, weil sie nicht dies Ackerbaus pflegen und keine Sch&auml;tze sammeln; sondern sie leben in H&uuml;tten, die sie sich jeden Tag errichten, und n&auml;hren sich gr&ouml;&szlig;tenteils vom Vieh wie die Nomaden, denen sie auch darin gleichen, da&szlig; sie ihre Habseligkeiten auf Wagen mit sich f&uuml;hren und mit ihren Herden dahin ziehen, wohin es sie gel&uuml;stet."</P>
</FONT><P>Kenntnis des Ackerbaus hatten sie, wie die Sprachvergleichung beweist, schon aus Asien mitgebracht; da&szlig; sie diese nicht wieder vergessen hatten, zeigt C&auml;sar. Aber es war der Ackerbau, der halbnomadischen, langsam durch die mitteleurop&auml;ischen Waldebenen sich fortw&auml;lzenden Kriegerst&auml;mmen als Notbehelf und untergeordnete Lebensquelle diente.</P>
<P>Es geht hieraus hervor, da&szlig; die Einwanderung der Deutschen in ihre neue Heimat zwischen Donau, Rhein und Nordmeer zu C&auml;sars Zeit noch nicht vollendet war oder sich doch eben erst vollendete. Da&szlig; zur Zeit des Pytheas Teutonen und vielleicht auch Cimbern die j&uuml;tische Halbinsel, die vordersten Deutschen den Rhein erreicht haben mochten - wie die Abwesenheit aller Kunde von ihrer Ankunft schlie&szlig;en l&auml;&szlig;t -, steht dem durchaus nicht entgegen. Die nur mit dauernder Wanderung vereinbare Lebensweise, die wiederholten Z&uuml;ge nach West und S&uuml;d, endlich die Tatsache, da&szlig; C&auml;sar die gr&ouml;&szlig;te ihm bekannte Masse, die Sueven, noch in voller Bewegung fand, lassen nur einen Schlu&szlig; zu: Offenbar haben wir hier die letzten Momente der gro&szlig;en germanischen Einwanderung in ihren europ&auml;ischen Hauptsitz fragmentarisch vor uns. Es ist der r&ouml;mische Widerstand am Rhein und sp&auml;ter an der Donau, der dieser Wanderung ein Ziel setzt, die Deutschen auf das nunmehr besetzte Gebiet einschr&auml;nkt und sie damit zwingt, feste Wohnsitze zu nehmen.</P>
<P>Im &uuml;brigen waren unsre Vorfahren, wie C&auml;sar sie sah, rechte Barbaren. Kaufleute lassen sie nur ins Land, damit sie jemand haben, der ihnen die Kriegsbeute abkauft, sie selbst kaufen ihnen fast nichts ab; was h&auml;tten sie denn auch Fremdes n&ouml;tig? Sogar ihre schlechten Ponys ziehn sie den sch&ouml;nen und guten gallischen Pferden vor. Wein aber lassen die Sueven &uuml;berhaupt nicht ins Land, weil er verweichliche. Da waren doch ihre bastarnischen Vettern zivilisierter; auf jenem Einfall nach Thrakien schickten sie <A NAME="S434"><B>|434|</A></B> Gesandte an Crassus, der diese betrunken machte, ihnen die n&ouml;tigen Nachrichten &uuml;ber Stellung und Absichten der Bastarner abfrug und diese dann in einen Hinterhalt lockte und vernichtete. Noch vor der Schlacht auf dem Idisiavisus (16 unsrer Zeitrechnung) schildert Germanicus seinen Soldaten die Deutschen als Leute ohne Panzer oder Helm, nur mit Schilden von Weidengeflecht oder schwachen Brettern bewehrt, und nur das erste Glied habe wirkliche Lanzen, die hinteren nichts als im Feuer geh&auml;rtete und gespitzte Stangen. Metallbearbeitung war den Anwohnern der Weser also noch kaum bekannt, und die R&ouml;mer werden wohl daf&uuml;r gesorgt haben, da&szlig; die Kaufleute keine Waffen nach Deutschland einschleppten.</P>
<P>Reichlich anderthalb Jahrhunderte nach C&auml;sar gibt uns Tacitus seine ber&uuml;hmte Beschreibung der Deutschen. Hier sieht schon vieles ganz anders aus. Bis an die Elbe und dar&uuml;ber hinaus sind die unsteten St&auml;mme zur Ruhe, zur festen Ansiedlung gekommen. Von St&auml;dten ist freilich noch lange keine Rede; die Niederlassungen erfolgen teils in D&ouml;rfern, die hier aus Einzelh&ouml;fen, dort aus zusammenliegenden H&ouml;fen bestehn, aber auch in diesen ist jedes Haus f&uuml;r sich gebaut, umgeben von einem freien Raum. Die H&auml;user noch ohne Bruchsteine und Dachziegel, roh gezimmert aus unbehauenen St&auml;mmen (materia informi mu&szlig; dies hier bedeuten, im Gegensatz zu caementa und tegulae); Blockh&auml;user, wie noch im n&ouml;rdlichen Skandinavien, aber doch schon nicht mehr H&uuml;tten, die man in einem Tage bauen kann, wie bei Strabo. Auf die Ackerverfassung kommen wir sp&auml;ter zur&uuml;ck. Auch haben die Deutschen schon unterirdische Vorratskammern, eine Art Keller, in denen sie sich im Winter der W&auml;rme halber aufhielten und wo nach Plinius die Weiber Weberei trieben. Der Ackerbau ist also schon wichtiger; doch ist Vieh noch immer Hauptreichtum; es ist zahlreich, aber von schlechter Race, die Pferde h&auml;&szlig;lich und keine Renner, die Schafe und Rinder klein, letztere ohne H&ouml;rner. Bei der Nahrung wird Fleisch, Milch, wilde &Auml;pfel aufgef&uuml;hrt, kein Brot. Die Jagd wird nicht mehr viel betrieben, der Wildstand war also seit C&auml;sar schon bedeutend verringert. Auch die Kleidung ist noch sehr urspr&uuml;nglich, bei der Masse eine grobe Decke, sonst nackt (fast wie bei den Zulukaffern), doch bei den Reichsten schon eng anschlie&szlig;ende Kleider; Tierfelle werden auch verwandt; auch die Weiber tragen sich &auml;hnlich wie die M&auml;nner, doch haben sie schon h&auml;ufiger leinene Gew&auml;nder ohne &Auml;rmel. Die Kinder laufen alle nackt umher. Lesen und Schreiben ist unbekannt, doch deutet eine Stelle darauf hin, da&szlig; die von den lateinischen Schriftzeichen entlehnten, in Holzst&auml;be eingeschnittenen Runen den Priestern schon gebr&auml;uchlich waren. Gold und Silber ist den inneren Deutschen gleichg&uuml;ltig, den F&uuml;rsten und Gesandten von R&ouml;mern geschenkte Silber- <A NAME="S435"><B>|435|</A></B> gef&auml;&szlig;e dienen demselben gemeinen Gebrauch wie irdene. Der geringe Handelsverkehr ist einfacher Tausch.</P>
<P>Die M&auml;nner haben noch ganz die allen Urv&ouml;lkern gemeinsame Gewohnheit, Arbeit in Haus und Feld den Weibern, Greisen und Kindern als unm&auml;nnlich zu &uuml;berlassen. Dagegen haben sie zwei zivilisierte Sitten angenommen; den Trunk und das Spiel, und betreiben beides mit der ganzen Ma&szlig;losigkeit jungfr&auml;ulicher Barbaren, das Spiel bis zum Verw&uuml;rfeln der eigenen Person. Ihr Trunk, im Innern, ist Gersten- oder Weizenbier; w&auml;re der Schnaps schon erfunden gewesen, die Weltgeschichte h&auml;tte wohl einen andern Verlauf genommen.</P>
<P>An den Grenzen des r&ouml;mischen Gebiets sind noch weitere Fortschritte gemacht: Man trinkt importierten Wein; man hat sich schon einigerma&szlig;en ans Geld gew&ouml;hnt, wobei nat&uuml;rlich dem f&uuml;r beschr&auml;nkten Austausch handlicheren Silber und nach Barbarensitte M&uuml;nzen mit altbekanntem Gepr&auml;ge der Vorzug gegeben wird. Wie sehr diese Vorsicht begr&uuml;ndet war, wird sich zeigen. Handel mit den Germanen wurde nur am Rheinufer selbst betrieben; nur die &uuml;ber dem Pfahlgraben sitzenden Hermunduren gehn schon in Gallien und Rh&auml;tien Handels halber aus und ein.</P>
<P>Zwischen C&auml;sar und Tacitus f&auml;llt also der erste gro&szlig;e Abschnitt in der deutschen Geschichte: der endliche &Uuml;bergang vom Wanderleben zu festen Wohnsitzen, wenigstens f&uuml;r den gr&ouml;&szlig;eren Teil des Volks, vom Rhein bis weit &uuml;ber die Elbe hinaus. Die Namen der einzelnen St&auml;mme fangen an, mehr oder weniger, mit bestimmten Landstrichen zu verwachsen. Bei den widersprechenden Nachrichten der Alten und bei den schwankenden und wechselnden Namen ist es jedoch oft unm&ouml;glich, jedem einzelnen Stamm einen sichern Wohnsitz zuzuweisen. Es w&uuml;rde dies uns auch zu weit abf&uuml;hren. Hier gen&uuml;gt die allgemeine Angabe, die wir bei Plinius finden:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es gibt f&uuml;nf Hauptst&auml;mme der Deutschen: die <I>Vindiler</I>, zu denen die Burgundionen, Variner, Cariner, Guttonen geh&ouml;ren; den zweiten Stamm bilden die <I>Ing&auml;vonen</I>, davon die Cimbern, Teutonen und die chaukischen V&ouml;lker einen Teil ausmachen. Zun&auml;chst am Rhein wohnen die <I>Isk&auml;vonen</I>, darunter die Sigamber. Mitten im Lande - die <I>Hermionen</I>, darunter die Sueven, Hermunduren, Chatten, Cherusker. Den f&uuml;nften Stamm bilden die Peukiner und Bastarner, die an die Daken grenzen."</P>
</FONT><P>Dazu kommt dann noch ein sechster Zweig, der Skandinavien bewohnt: die Hillevionen.</P>
<P>Von allen Nachrichten der Alten stimmt diese am besten mit den sp&auml;teren Tatsachen und den uns erhaltenen Sprachresten.</P>
<P>Die Vindiler umfassen die V&ouml;lker gotischer Zunge, die die Ostseek&uuml;ste zwischen Elbe und Weichsel bis tief ins Land hinein besetzt hielten; jenseits <A NAME="S436"><B>|436|</A></B> der Weichsel sa&szlig;en um das Frische Haft die Guttonen (Goten). Die sp&auml;rlichen erhaltenen Sprachreste lassen nicht den geringsten Zweifel, da&szlig; die Vandalen (die jedenfalls zu Plinius' Vindilern geh&ouml;ren m&uuml;&szlig;ten, da er ihren Namen auf den ganzen Hauptstamm &uuml;bertr&auml;gt) und die Burgunder gotische Dialekte sprachen. Bedenken erregen k&ouml;nnten nur die Warner (oder Variner), die man, auf Nachrichten aus dem 5. und 6. Jahrhundert fu&szlig;end, gewohnt ist, zu den Th&uuml;ringern zu stellen; von ihrer Sprache wissen wir nichts.</P>
<P>Der zweite Stamm, der der Ing&auml;vonen, umfa&szlig;t die V&ouml;lker zun&auml;chst friesischer Zunge, die Bewohner der Nordseek&uuml;ste und der cimbrischen Halbinsel, und h&ouml;chstwahrscheinlich auch diejenigen s&auml;chsischer Zunge zwischen Elbe und Weser, in welchem Fall die Cherusker auch dazu zu rechnen w&auml;ren.</P>
<P>Die Isk&auml;vonen zeichnen sich durch die zu ihnen gezognen Sigamber sofort als die sp&auml;teren Franken, die Bewohner des rechten Rheinufers vom Taunus abw&auml;rts bis an die Quellen der Lahn, Sieg, Ruhr, Lippe und Ems, n&ouml;rdlich von Friesen und Chauken begrenzt.</P>
<P>Die Hermionen oder, wie Tacitus sie richtiger nennt, Herminonen sind die sp&auml;teren Hochdeutschen; die Hermunduren (Th&uuml;ringer), Sueven (Schwaben und Markomannen, Baiern), Chatten (Hessen) usw. Die Cherusker sind ganz unzweifelhaft durch einen Irrtum hierher geraten. Es ist der einzige sichre Irrtum in dieser ganzen Aufstellung des Plinius.</P>
<P>Der f&uuml;nfte Stamm, Peukiner und Bastarner, ist verschollen. Ohne Zweifel stellt ihn Jakob Grimm mit Recht zum gotischen.</P>
<P>Endlich der sechste, hillevionische Stamm umfa&szlig;t die Bewohner der d&auml;nischen Inseln und der gro&szlig;en skandinavischen Halbinsel.</P>
<P>Die Einteilung des Plinius entspricht also mit einer &uuml;berraschenden Genauigkeit der Gruppierung der sp&auml;ter wirklich auftretenden deutschen Mundarten. Wir kennen keine Dialekte, die nicht unter Gotisch, Friesisch-Nieders&auml;chsisch, Fr&auml;nkisch, Hochdeutsch oder Skandinavisch geh&ouml;rten, und wir k&ouml;nnen diese Einteilung des Plinius auch heute noch als musterg&uuml;ltig anerkennen. Was etwa dagegen zu sagen w&auml;re, untersuche ich in der <A HREF="me19_425.htm#Kap_IV">Anmerkung &uuml;ber die deutschen St&auml;mme</A>.</P>
<P>Die urspr&uuml;ngliche Einwanderung der Deutschen in ihre neue Heimat h&auml;tten wir uns also ungef&auml;hr so vorzustellen, da&szlig; in erster Linie, mitten in der norddeutschen Ebene, zwischen den s&uuml;dlichen Gebirgen und der Ost- und Nordsee, die Isk&auml;vonen vorgedrungen sind, dicht hinter ihnen, aber n&auml;her der K&uuml;ste, die Ing&auml;vonen. Diesen scheinen die Hillevionen gefolgt, <A NAME="S437"><B>|437|</A></B> aber nach den Inseln abgebogen zu sein. Auf diese w&auml;ren Goten (des Plinius Vindiler) gefolgt, unter Zur&uuml;cklassung der Peukiner und Bastarner im S&uuml;dosten; der gotische Name in Schweden ist Zeuge daf&uuml;r, da&szlig; einzelne Zweige sich der Wanderung der Hillevionen anschl&ouml;ssen. Endlich, s&uuml;dlich von den Goten, die Herminonen, die, wenigstens gr&ouml;&szlig;tenteils, erst zu C&auml;sars und selbst Augustus' Zeit in die Wohnsitze einr&uuml;cken, die sie bis zur V&ouml;lkerwanderung behaupten.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_II">Die ersten K&auml;mpfe mit Rom</H3>
<P></A>Seit C&auml;sar standen R&ouml;mer und Deutsche einander am Rhein, seit der Unterwerfung von Rh&auml;tien, Noricum und Pannonien durch Augustus an der Donau gegen&uuml;ber. In Gallien hatte sich inzwischen die r&ouml;mische Herrschaft festgesetzt; ein Heerstra&szlig;ennetz war durch Agrippa &uuml;ber das ganze Land gezogen, Festungen waren gebaut, eine neue Generation, im r&ouml;mischen Joch geboren, war herangewachsen. Gallien, durch die unter Augustus gebauten Alpenstra&szlig;en &uuml;ber den Kleinen und Gro&szlig;en Bernhard in direkteste Verbindung mit Italien gebracht, konnte als Basis dienen f&uuml;r die Eroberung Germaniens vom Rhein her. Diese mit den am Rhein lagernden acht Legionen zu vollenden, &uuml;bertrug Augustus seinem Stiefsohn (oder wirklichen Sohn?) Drusus.</P>
<P>Vorwand boten fortw&auml;hrende Reibereien der Grenzbewohner, Einf&auml;lle der Deutschen nach Gallien sowie eine angebliche oder wirkliche Verschw&ouml;rung der unzufriedenen Belgier mit den Sigambern, nach welcher diese den Rhein &uuml;berschreiten und einen allgemeinen Aufstand bewirken sollten. Drusus versicherte sich (-12) der belgischen H&auml;uptlinge, ging dicht an der Batavischen Insel, oberhalb des Rheindeltas, &uuml;ber den Strom, verheerte das Gebiet der Usipeter und teilweise das der Sigamber, schiffte dann den Rhein hinab, zwang die Friesen, ihm H&uuml;lfstruppen zu Fu&szlig; zu stellen, und fuhr mit der Flotte die K&uuml;ste entlang bis in die Emsm&uuml;ndung hinein, um die Chauken zu bekriegen. Hier aber setzten seine r&ouml;mischen, der Gezeiten ungewohnten Seeleute die Flotte bei der Ebbe auf den Grund; nur durch die H&uuml;lfe der mit der Sache besser bekannten friesischen Bundestruppen brachte er sie wieder los und kehrte heim.</P>
<P>Dieser erste Feldzug war nur eine gro&szlig;e Rekognoszierung. Im folgenden Jahr (-11) begann er die wirkliche Eroberung, Er &uuml;berschritt den Rhein <A NAME="S438"><B>|438|</A></B> wiederum unterhalb der Lippem&uuml;ndung, unterwarf die hier wohnenden Usipeter, &uuml;berbr&uuml;ckte die Lippe und brach in das Gebiet der Sigamber ein, die grade gegen die Chatten zu Felde lagen, weil diese sich dem Bund gegen die R&ouml;mer unter sigambrischer F&uuml;hrung nicht anschlie&szlig;en wollten. Dann legte er am Zusammenflu&szlig; der Lippe und des Eliso ein festes Lager an (Aliso) und zog sich, als der Winter nahte, wieder &uuml;ber den Rhein zur&uuml;ck. Auf diesem R&uuml;ckzug in einer engen Talschlucht von den Deutschen &uuml;berfallen, entging sein Heer nur mit genauer Not der Vernichtung. Auch legte er in diesem Jahr ein andres verschanztes Lager an "im Lande der Chatten, fast am Rhein".</P>
<P>Dieser zweite Feldzug des Drusus enth&auml;lt schon den ganzen Eroberungsplan, wie er seitdem konsequent befolgt wurde. Das zun&auml;chst zu erobernde Gebiet ist ziemlich scharf abgegrenzt: das isk&auml;vonische Binnenland bis an die Grenze der Cherusker und Chatten und der dazugeh&ouml;rige K&uuml;stenstrich bis zur Ems, wom&ouml;glich bis zur Weser. Die Hauptarbeit zur Unterwerfung des K&uuml;stenlands f&auml;llt der Flotte zu. Im S&uuml;den dient als Operationsbasis das von Agrippa gegr&uuml;ndete und von Drusus erweiterte Mainz, in dessen Nachbarschaft wir das "im Lande der Chatten" angelegte Kastell (man sucht es neuerdings in der Saalburg bei Homburg) zu suchen haben. Von hier aus f&uuml;hrt der Lauf des Untermains in das offene Gel&auml;nde der Wetterau und der oberen Lahngegend, dessen Besetzung Isk&auml;vonen und Chatten voneinander trennt. Im Zentrum der Angriffsfront bietet das ebene, von der Lippe durchflossene Land und namentlich der flache H&ouml;henr&uuml;cken zwischen Lippe und Ruhr der r&ouml;mischen Hauptmacht die bequemste Operationslinie, durch deren Besitznahme sie das zu unterwerfende Gebiet in zwei ungef&auml;hr gleiche St&uuml;cke und gleichzeitig die Brukterer von den Sigambern trennt; eine Stellung, von der aus sie links mit der Flotte zusammenwirken, rechts mit der aus der Wetterau debouchierenden Kolonne das isk&auml;vonische Schiefergebirgsland isolieren und in der Front die Cherusker im Zaum halten kann. Das Kastell Aliso bildet den &auml;u&szlig;ersten befestigten St&uuml;tzpunkt dieser Operationslinie; es lag nahe den Lippequellen, entweder Elsen bei Paderborn, am Einflu&szlig; der Alme in die Lippe, oder bei Lippstadt, wo neuerdings ein gro&szlig;es r&ouml;misches Kastell aufgedeckt.</P>
<P>Im folgenden Jahr (-10) verbanden sich die Chatten, die gemeinsame Gefahr einsehend, endlich mit den Sigambern. Aber Drusus &uuml;berzog und zwang sie wenigstens teilweise zur Unterwerfung. Diese kann aber den Winter nicht &uuml;berdauert haben, denn im n&auml;chsten Fr&uuml;hling (-9) &uuml;berf&auml;llt er sie nochmals, dringt vor bis zu den Sueven (also wohl Th&uuml;ringern - nach Florus und Orosius auch Markomannen, die damals noch n&ouml;rdlich des Erz- <A NAME="S439"><B>|439|</A></B> gebirgs wohnten), greift dann die Cherusker an, setzt &uuml;ber die Weser und kehrt erst an der Elbe um. Alles durchzogne Land hatte er verheert, aber &uuml;berall heftigen Widerstand gefunden. Auf dem R&uuml;ckweg starb er, drei&szlig;ig Jahre alt, noch ehe er den Rhein erreicht.</P>
<P>Zu obiger, dem Dio Cassius entlehnten Erz&auml;hlung erg&auml;nzen wir aus Suetonius, da&szlig; Drusus den Kanal vom Rhein zur Ijssel graben lie&szlig;, vermittelst dessen er seine Flotte durchs Friesenland und den Flevo (Vliestrom - jetziges Fahrwasser aus der S&uuml;dersee zwischen Vlieland und Terschelling) in die Nordsee f&uuml;hrte; aus Florus, da&szlig; er den Rhein entlang &uuml;ber f&uuml;nfzig Kastelle und bei Bonn eine Br&uuml;cke errichtete und ebenso die Maaslinie befestigte, also die Stellung der rheinischen Legionen sowohl gegen Aufst&auml;nde der Gallier wie gegen Einf&auml;lle der Germanen sicherte. Was Florus von Kastellen und Verschanzungen an der Weser und Elbe fabelt, ist eitel Prahlerei; Schanzen mag er w&auml;hrend seiner M&auml;rsche dort aufgeworfen haben, aber er war ein zu guter Feldherr, um auch nur einen Mann Besatzung darin zu lassen. Dagegen ist wohl zweifellos, da&szlig; er die Operationslinie l&auml;ngs der Lippe mit befestigten Etappen versehen lie&szlig;. Die &Uuml;berg&auml;nge &uuml;ber den Taunus verschanzte er ebenfalls.</P>
<P>Tiberius, des Drusus Nachfolger am Rhein, ging im folgenden Jahr (-8) &uuml;ber den Flu&szlig;; die Deutschen sandten Friedensunterh&auml;ndler, nur die Sigamber nicht; Augustus, der in Gallien war, weigerte jede Verhandlung, solange diese nicht vertreten seien. Als die Sigamber endlich auch Gesandte schickten, "zahlreiche und angesehene M&auml;nner", sagt Dio, lie&szlig; Augustus sie greifen und in verschiedene St&auml;dte im Innern des Reichs internieren; "aus Gram dar&uuml;ber t&ouml;teten sie sich selbst". Auch im n&auml;chsten Jahre (-7) ging Tiberius wieder mit dem Heer nach Germanien, wo au&szlig;er einigen unbedeutenden Unruhen schon nicht viel mehr zu bek&auml;mpfen war. Von dieser Zeit sagt Vellejus: "Tiberius hat das Land" (Germanien) "so durch und durch unterworfen, da&szlig; es sich kaum noch von einer steuerpflichtigen Provinz unterschied."</P>
<P>Dieser Erfolg wird, au&szlig;er den r&ouml;mischen Waffen und der mehrfach ger&uuml;hmten diplomatischen "Klugheit" des Tiberius, wohl namentlich der Verpflanzung von Deutschen aufs r&ouml;mische Rheinufer zu danken sein. Schon Agrippa hatte die Ubier, die den R&ouml;mern immer anh&auml;nglich gewesen, mit ihrem Willen aufs linke Rheinufer bei K&ouml;ln versetzt. Tiberius zwang 40.000 Sigamber zur &Uuml;bersiedelung und brach damit auf l&auml;ngere Zeit die Widerstandskraft dieses m&auml;chtigen Stammes.</P>
<P>Tiberius zog sich nun auf l&auml;ngere Zeit von allen Staatsgesch&auml;ften zur&uuml;ck, und wir erfahren nichts davon, was sich w&auml;hrend mehrerer Jahre in Deutsch- <A NAME="S440"><B>|440|</A></B> land zutrug. Ein Fragment des Dio meldet von einem Zuge des Domitius Ahenobarbus von der Donau aus bis &uuml;ber die Elbe. Bald darauf aber, um das erste Jahr unsrer Zeitrechnung, standen die Deutschen auf. Marcus Vinicius, der r&ouml;mische Oberbefehlshaber, k&auml;mpfte, nach Vellejus' Aussage, im ganzen gl&uuml;cklich und erhielt auch Belohnungen zum Dank daf&uuml;r. Dennoch mu&szlig;te im Jahre 4, gleich nach seiner Adoption durch Augustus, Tiberius nochmals &uuml;ber den Rhein, um die ersch&uuml;tterte r&ouml;mische Herrschaft wiederherzustellen. Er unterwirft die n&auml;chst dem Flusse wohnenden Canninefaten und Chattuarier, sodann die Brukterer und "gewinnt" die Cherusker. Weitere Einzelheiten gibt Vellejus, der diesen und den folgenden Feldzug mitmachte, nicht. Der milde Winter erlaubte den Legionen, bis im Dezember in Bewegung zu bleiben, dann bezogen sie Winterlager in Deutschland selbst - wahrscheinlich an den Lippequellen.</P>
<P>Der Feldzug des n&auml;chsten Jahres (5) sollte die Unterwerfung Westdeutschlands vollenden. W&auml;hrend Tiberius von Aliso aus vordrang und die Langobarden an der Niederelbe besiegte, fuhr die Flotte die K&uuml;ste entlang und "gewann" die Chauken. An der Niederelbe traf das Landheer die den Flu&szlig; hinauf segelnde Flotte. Mit den Erfolgen dieses Zuges schien nach Vellejus die Arbeit der R&ouml;mer im Norden erledigt; Tiberius wandte sich im folgenden Jahr nach der Donau, wo die seit kurzem unter Maroboduus nach B&ouml;hmen &uuml;bergesiedelten Markomannen die Grenze bedrohten. Maroboduus, in Rom erzogen und mit r&ouml;mischer Taktik vertraut, hatte ein Heer von 70.000 Mann zu Fu&szlig; und 4.000 Reitern nach r&ouml;mischem Vorbild organisiert. Diesem trat Tiberius an der Donau in der Front entgegen, w&auml;hrend Sentius Saturninus die Legionen vom Rhein durch das Chattenland in R&uuml;cken und Flanke des Feindes f&uuml;hren sollte. Da emp&ouml;rten sich im eignen R&uuml;cken des Tiberius die Pannonier, das Heer mu&szlig;te umkehren und sich seine Operationsbasis wiedererobern. Der Kampf dauerte drei Jahre; aber als die Pannonier eben niedergeworfen, hatten sich die Dinge auch in Norddeutschland so gewandt, da&szlig; an Eroberungen im Markomannenland nicht mehr zu denken war.</P>
<P>Der Eroberungsplan des Drusus war vollst&auml;ndig beibehalten worden; nur zu seiner gesicherten Durchf&uuml;hrung waren die Land- und Seez&uuml;ge bis zur Elbe n&ouml;tig geworden. In dem Feldzugsplan gegen Maroboduus schimmert die Idee durch, die Verlegung der Grenze an die kleinen Karpaten, das Riesengebirge und die Elbe bis zur M&uuml;ndung zu verlegen; das lag jedoch einstweilen noch in weiter Ferne und wurde bald ganz unausf&uuml;hrbar. Wie weit die Wetterau hinauf damals r&ouml;mische feste Pl&auml;tze gereicht haben m&ouml;gen, wissen wir nicht; allem Anschein nach war diese Operationslinie <A NAME="S441"><B>|441|</A></B> damals vernachl&auml;ssigt worden gegen&uuml;ber der wichtigeren l&auml;ngs der Lippe. Hier aber hatten sich die R&ouml;mer offenbar in ziemlicher Breite h&auml;uslich eingerichtet. Die Rheinebene des rechten Ufers von Bonn abw&auml;rts geh&ouml;rte ihnen; das westf&auml;lische Flachland von der Ruhr nordw&auml;rts bis &uuml;ber die Ems hinaus, bis an die Grenzen der Friesen und Chauken, blieb milit&auml;risch besetzt. Im R&uuml;cken waren Bataver und Friesen damals noch sichere Freunde; weiter nach Westen hin konnten Chauken, Cherusker, Chatten f&uuml;r hinreichend geb&auml;ndigt gelten, nach ihren wiederholten Niederlagen und nach dem Schlag, der auch die Langobarden getroffen. Und jedenfalls bestand damals bei jenen drei V&ouml;lkern eine ziemlich m&auml;chtige Partei, die nur im Anschlu&szlig; an Rom Rettung sah. Im S&uuml;den war die Macht der Sigamber vorderhand gebrochen; ein Teil ihres Gebiets, zwischen Lippe und Ruhr sowie in der Rheinebene, war besetzt, der Rest war von den r&ouml;mischen Stellungen am Rhein, an der Ruhr, in der Wetterau auf drei Seiten umklammert und sicher oft genug von r&ouml;mischen Kolonnen durchzogen. R&ouml;merstra&szlig;en in der Richtung auf die Lippequellen, von Neuwied zur Sieg, von Deutz und Neu&szlig; zur Wupper &uuml;ber dominierende Bergr&uuml;cken f&uuml;hrend, sind wenigstens bis an die Grenze von Berg und Mark neuerdings nachgewiesen. Noch weiter ab hatten die Hermunduren im Einverst&auml;ndnis mit Domitius Ahenobarbus einen Teil des von den Markomannen verlassenen Gebiets besetzt und standen mit den R&ouml;mern in friedlichem Verkehr. Und endlich berechtigte die wohlbekannte Uneinigkeit der deutschen V&ouml;lkerst&auml;mme zu der Erwartung, die R&ouml;mer w&uuml;rden nur noch solche Einzelkriege zu f&uuml;hren haben, wie sie ihnen selbst zur allm&auml;hlichen Umwandlung der Bundesgenossen in Untertanen erw&uuml;nscht sein mu&szlig;ten.</P>
<P>Der Kern der r&ouml;mischen Stellung war das Land zu beiden Seiten der Lippe bis an den Osning. Hier gew&ouml;hnte die st&auml;ndige Anwesenheit der Legionen in befestigten Lagern an r&ouml;mische Herrschaft und r&ouml;mische Sitten, durch die die Barbaren nach Dio "wie umgewandelt wurden"; hier entstanden um die Standquartiere des Heeres jene St&auml;dte und M&auml;rkte, von denen derselbe Historiker erz&auml;hlt und deren friedlicher Verkehr das meiste zur Befestigung der Fremdherrschaft beitrug. Alles schien vortrefflich zu gehn. Aber es sollte anders kommen.</P>
<P>Quinctilius Varus wurde zum Oberbefehlshaber der Truppen in Deutschland ernannt. Ein R&ouml;mer des hereinbrechenden Verfalls, phlegmatisch und bequem, auf den Lorbeeren seiner Vorg&auml;nger zu ruhen geneigt, noch mehr aber, diese Lorbeeren f&uuml;r sich auszubeuten. "Wie wenig er ein Ver&auml;chter des Geldes war, bezeugte Syrien, das er verwaltet hatte; arm war er in das reiche Land gekommen, reich verlie&szlig; er ein armes Land" (Vellejus). Sonst war <A NAME="S442"><B>|442|</A></B> er "von milder Natur"; aber diese milde Natur mu&szlig; arg ergrimmt sein bei Versetzung nach einem Lande, wo ihr das Erpressen so sauer gemacht wurde, weil dort fast nichts zu holen war. Indes versuchte es Varus, und zwar auf die bei r&ouml;mischen Prokonsuln und Propr&auml;toren l&auml;ngst &uuml;blich gewordene Methode. Vor allen Dingen galt es, den besetzten Teil Deutschlands so rasch wie m&ouml;glich auf den Fu&szlig; einer r&ouml;mischen Provinz einzurichten, an die Stelle der einheimischen &ouml;ffentlichen Gewalt, die bisher unter der Milit&auml;rherrschaft fortbestanden, r&ouml;mische zu setzen, und damit das Land zu einer Quelle von Eink&uuml;nften zu machen - f&uuml;r den Fiskus sowohl wie f&uuml;r den Prokonsul. Varus versuchte demnach, die Deutschen "mit gr&ouml;&szlig;erer Schnelligkeit und Nachdruck umzuwandeln ", er "erteilte ihnen Befehle wie Sklaven und forderte Geldzahlungen von ihnen wie von Untergebenen" (Dio). Und das alterprobte Hauptmittel der Unterjochung und Erpressung, das er hier anwandte, war die oberrichterliche Gewalt der r&ouml;mischen Provinzvorsteher, die er sich hier anma&szlig;te und kraft deren er den Deutschen das r&ouml;mische Recht aufzwingen wollte.</P>
<P>Leider waren Varus und seine zivilisatorische Mission der Geschichte um fast anderthalb Jahrtausende voraus; denn ungef&auml;hr so lange dauerte es, bis Deutschland reif wurde zur "Rezeption des r&ouml;mischen Rechts". In der Tat mu&szlig;te das r&ouml;mische Recht mit seiner klassischen Zergliederung der Privateigentumsverh&auml;ltnisse den Deutschen rein widersinnig vorkommen, den Deutschen, die das wenige Privateigentum, das sich bei ihnen entwickelt, nur besa&szlig;en kraft ihres Gemeineigentums an Grund und Boden. Ebenso mu&szlig;ten ihnen, die gewohnt waren, im offenen Volksgericht binnen wenigen Stunden nach ererbtem Herkommen selbst Recht und Urteil zu finden, die feierlichen Formen und Einreden, die ewigen Vertagungen des r&ouml;mischen Prozesses erscheinen als ebensoviel Mittel der Rechtsverweigerung, und der den Prokonsul umdr&auml;ngende Schwarm von Sachwaltern und Ferkelstechern als das, was sie in der Tat waren, reine Gurgelschneider. Und nun sollten die Deutschen, ihr freies Ding, wo Genossen den Genossen gerichtet, aufgeben und sich unterwerfen dem Machtspruch eines einzelnen Mannes, der in fremder Sprache verhandelte, der im besten Fall ein ihnen unbekanntes, dazu total unanwendbares Recht zugrunde legte und - der selbst interessiert war. Der freie Germane, den nach Tacitus nur der Priester in seltenen F&auml;llen schlagen durfte, der Leib und Leben nur durch Verrat gegen sein Volk verwirkte, sonst aber jede Verletzung, selbst Mord, durch eine Bu&szlig;e (Wergeld) s&uuml;hnen konnte, der zudem gewohnt war, die Blutrache f&uuml;r sich und seine Verwandten selbst zu &uuml;ben - der sollte sich jetzt den Ruten und dem Richtbeil des Liktors unterwerfen. Und alles das zu keinem andern <A NAME="S443"><B>|443|</A></B> Zweck, als um der Aussaugung des Landes durch Steuern f&uuml;r den Fiskus, durch Erpressungen und Bestechungen f&uuml;r den Prokonsul und seine Helfershelfer T&uuml;r und Tor zu &ouml;ffnen.</P>
<P>Aber Varus hatte sich verrechnet. Die Deutschen waren keine Syrer. Mit seiner aufgedr&auml;ngten r&ouml;mischen Zivilisation imponierte er ihnen nur nach einer Seite hin. Er zeigte den in die Bundesgenossenschaft gen&ouml;tigten Nachbarst&auml;mmen nur, welch unertr&auml;gliches Joch auch ihnen bevorstehe, und zwang ihnen damit jene Einigung auf, die sie bisher nie hatten finden k&ouml;nnen.</P>
<P>Varus stand mit drei Legionen in Deutschland, Asprenas mit zwei andren am Niederrhein, nur f&uuml;nf bis sechs M&auml;rsche von Aliso, dem Kernpunkt der Stellung, entfernt. Einer solchen Macht gegen&uuml;ber bot nur ein lange und sorgsam vorbereiteter, dann aber pl&ouml;tzlich gef&uuml;hrter Entscheidungsschlag Aussicht auf Erfolg. Der Weg der Verschw&ouml;rung war also vorgeschrieben. Diese zu organisieren, &uuml;bernahm Arminius.</P>
<P>Arminius, aus cheruskischem Stammesadel, Sohn des Segimerus, der in seinem Volke ein Geleitherzog zu sein scheint, hatte seine erste Jugend in r&ouml;mischem Kriegsdienst zugebracht, war r&ouml;mischer Sprache und Sitten m&auml;chtig, im r&ouml;mischen Hauptquartier ein h&auml;ufiger und gern gesehener Gast, dessen Treue &uuml;ber allen Zweifel erhaben schien. Noch am Vorabend des &Uuml;berfalls baute Varus felsenfest auf ihn. Vellejus nennt ihn</P>
<FONT SIZE=2><P>"einen J&uuml;ngling von edlem Geschlecht, tapferer Hand, gewandt im Geiste, mehr als sonst Barbaren es sind, einen J&uuml;ngling, aus dessen Antlitz und Augen geistiges Feuer leuchtete, der unser steter Begleiter auf den fr&uuml;heren Feldz&uuml;gen" (also gegen Deutsche) "gewesen war und der neben dem r&ouml;mischen B&uuml;rgerrecht den Rang eines r&ouml;mischen Ritters besa&szlig;".</P>
</FONT><P>Aber Arminius war mehr als das alles, er war ein gro&szlig;er Staatsmann und ein bedeutender Feldherr. Einmal entschlossen, der rechtsrheinischen R&ouml;merherrschaft ein Ende zu machen, wandte er auch die erforderlichen Mittel unbedenklich an. Der, schon sehr von r&ouml;mischem Einflu&szlig; beherrschte, heerf&uuml;hrende Adel der Cherusker mu&szlig;te wenigstens gr&ouml;&szlig;tenteils gewonnen, die Chatten und Chauken, noch mehr aber die direkt unter r&ouml;mischem Joch stehenden Brukterer und Sigamber in die Verschw&ouml;rung gezogen werden. Alles das erforderte Zeit, so sehr auch Varus' Erpressungen vorgearbeitet hatten; und w&auml;hrend dieser Zeit galt es, Varus einzuschl&auml;fern. Dies geschah, indem man ihn bei seiner Liebhaberei, dem Gerichthalten, fa&szlig;te und ihn damit f&ouml;rmlich zum Narren hielt. Die Deutschen [sind], erz&auml;hlt Vellejus,</P>
<FONT SIZE=2><P>"was, wer es nicht selbst erfahren hat, kaum glauben wird, bei der h&ouml;chsten Wildheit durch und durch verschlagene K&ouml;pfe und ein Geschlecht, wie geschaffen zum L&uuml;gen" - <A NAME="S444"><B>|444|</A></B> die Deutschen "spiegelten ihm eine ganze Reihe von ersonnenen Rechtsh&auml;ndeln vor; bald belangte einer den andern ohne Grund, bald sagten sie ihm Dank, da&szlig; er das alles mit r&ouml;mischer Gerechtigkeit entscheide, da&szlig; ihre Wildheit durch die neue, unbekannte Zucht und Ordnung schon nachzulassen anfinge und da&szlig;, was sonst mit den Waffen ausgemacht zu werden pflegte, nunmehr nach Recht und Billigkeit auseinandergesetzt werde. So verr&uuml;hrten sie ihn zur h&ouml;chsten Sorglosigkeit, so sehr, da&szlig; er glaubte, als Stadtpr&auml;tor auf dem Forum Recht zu sprechen, nicht mitten in deutschen Landen ein Heer zu befehligen."</P>
</FONT><P>So verstrich der Sommer des Jahres 9. Um den Erfolg noch mehr zu sichern, hatte man den Varus verleitet, seine Truppen durch allerlei Detachierungen zu zersplittern, was bei dem Charakter des Mannes und unter den Umst&auml;nden nicht schwer sein konnte.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Varus", sagt Dio, "hielt seine Heeresmacht nicht, wie es sich in Feindesland geb&uuml;hrt, geh&ouml;rig zusammen, sondern &uuml;berlie&szlig; die Soldaten scharenweise h&uuml;lfsbed&uuml;rftigen Leuten, die darum baten, bald um irgendeinen festen Platz zu bewachen, bald um R&auml;uber einzufangen, bald um Getreidetransporte zu begleiten."</P>
</FONT><P>Inzwischen waren die Hauptverschworenen, namentlich Arminius und Segimerus, stets um ihn und h&auml;ufig an seiner Tafel. Nach Dio wurde Varus schon jetzt gewarnt, aber sein Vertrauen kannte keine Grenzen. Endlich im Herbst, als alles zum Losschlagen vorbereitet und man Varus mit seiner Hauptmacht ins Cheruskerland, bis an die Weser gelockt hatte, gab ein fingierter Aufstand in einiger Entfernung das Zeichen. Noch als Varus diese Nachricht erhielt und den Befehl zum Aufbruch gab, warnte ihn ein andrer Cheruskerh&auml;uptling, Segestes, der mit des Arminius Familie in einer Art Clanfeindschaft gestanden zu haben scheint. Varus wollte ihm nicht glauben. Da schlug ihm Segestes vor, ihn selbst, den Arminius und die andern Cheruskerh&auml;uptlinge in Fesseln zu legen, ehe er abmarschiere; der Erfolg werde dann zeigen, wer recht habe. Aber Varus' Zuversicht war unersch&uuml;tterlich, auch als bei seinem Abzuge die Verschwornen zur&uuml;ckblieben, unter dem Vorwand, Bundesgenossen zu sammeln und damit zu ihm zu sto&szlig;en.</P>
<P>Das geschah denn auch in der Tat, aber nicht wie Varus erwartet. Die cheruskische Mannschaft war bereits versammelt. Das erste, was sie tat, war, die bei ihnen stationierten, von ihnen selbst fr&uuml;her erbetenen r&ouml;mischen Abteilungen zu erschlagen und sodann Varus auf seinem Marsch in die Flanke zu fallen. Dieser bewegte sich auf schlechten Waldwegen, denn hier, im Cheruskerland, gab es noch keine chaussierten r&ouml;mischen Heerstra&szlig;en. &Uuml;berfallen, erkennt er endlich seine Lage, ermannt sich und zeigt von nun an den r&ouml;mischen Feldherrn - aber zu sp&auml;t. Er l&auml;&szlig;t seine Truppen aufschlie&szlig;en, den zahlreichen Tro&szlig; von Weibern, Kindern, Wagen, Last- <A NAME="S445"><B>|445|</A></B> tieren usw. ordnen und sch&uuml;tzen, so gut es bei den engen Wegen und in den dichten W&auml;ldern geht, und wendet sich seiner Operationsbasis zu - wof&uuml;r wir Aliso annehmen m&uuml;ssen. Str&ouml;mender Regen erweichte den Boden, hemmte den Marsch, brach stets aufs neue die Ordnung bei dem &uuml;berm&auml;&szlig;igen Tro&szlig;. Es gelang Varus, unter schweren Verlusten, einen dichtbewaldeten Berg zu erreichen, der indes freien Platz f&uuml;r ein notd&uuml;rftiges Lager bot, das auch noch in ziemlicher Ordnung und nach der Vorschrift bezogen und verschanzt wurde; das Heer des Germanicus, das die Stelle nach sechs Jahren besuchte, erkannte darin noch deutlich "dreier Legionen Werk". Mit der der Lage entsprechenden Entschlossenheit lie&szlig; hier Varus alle nicht durchaus notwendigen Wagen und Gep&auml;ckst&uuml;cke verbrennen. Am n&auml;chsten Tage kam er durch ein offenes Gel&auml;nde, litt aber wieder so bedeutend, da&szlig; die Truppen noch mehr auseinanderkamen und das Lager am Abend schon nicht mehr ordnungsgem&auml;&szlig; befestigt werden konnte; Germanicus fand nur einen halb eingest&uuml;rzten Wall und flachen Graben. Am dritten Tage ging der Marsch wieder durch Waldgebirg, und hier verloren Varus und die meisten F&uuml;hrer den Mut. Varus t&ouml;tete sich selbst, die Legionen wurden fast bis auf den letzten Mann vernichtet. Nur die Reiterei entkam unter Vala Numonius; auch einzelne Fl&uuml;chtlinge von den Fu&szlig;truppen scheinen sich nach Aliso gerettet zu haben. Aliso selbst hielt sich wenigstens noch einige Zeit, da die Deutschen den regelm&auml;&szlig;igen Belagerungsangriff nicht kannten; sp&auml;ter schlug sich die Besatzung ganz oder teilweise durch. Asprenas, eingesch&uuml;chtert, scheint sich auf einen kurzen Vormarsch zu ihrer Aufnahme beschr&auml;nkt zu haben. Brukterer, Sigamber, alle kleineren V&ouml;lker standen auf, die r&ouml;mische Macht war wieder &uuml;ber den Rhein geworfen.</P>
<P>&Uuml;ber die &Ouml;rtlichkeiten dieses Feldzugs ist viel gestritten [worden]. Am wahrscheinlichsten ist, da&szlig; Varus vor der Schlacht im Talkessel von Rinteln stand, irgendwo zwischen Hausberge und Hameln; da&szlig; der fingierte Aufstand und auf den ersten &Uuml;berfall hin beschlossene R&uuml;ckzug nach der D&ouml;renschlucht bei Detmold ging, die einen ebenen und breiten Pa&szlig; durch den Osning bildet. Dies ist im allgemeinen auch die traditionell gewordene Ansicht, und stimmt mit den Quellen wie mit den milit&auml;rischen Notwendigkeiten der Kriegslage. Ob Varus die D&ouml;renschlucht erreicht, bleibt ungewi&szlig;; der Durchbruch der Reiterei und vielleicht der Spitze des Fu&szlig;volks scheint daf&uuml;r zu sprechen.</P>
<P>Die Nachricht von der Vernichtung der drei Legionen und dem Aufstand des ganzen Westdeutschlands traf Rom wie ein Donnerschlag. Schon sah man Arminius &uuml;ber den Rhein ziehen und Gallien insurgieren, <A NAME="S446"><B>|446|</A></B> Maroboduus von der andern Seite die Donau &uuml;berschreiten und die kaum geb&auml;ndigten Pannonier zum Zug &uuml;ber die Alpen mit sich fortrei&szlig;en. Und Italien war schon so ersch&ouml;pft, da&szlig; es fast keine Mannschaft mehr stellen konnte. Dio erz&auml;hlt, wie in der B&uuml;rgerschaft nur noch wenige waffenf&auml;hige junge Leute waren, wie die &auml;lteren sich str&auml;ubten einzutreten, so da&szlig; Augustus sie mit Verm&ouml;genskonfiskation und selbst einige mit dem Tode strafte; wie der Kaiser endlich aus Freigelassenen und schon Ausgedienten notd&uuml;rftig einige Truppen zum Schutz Roms zusammenbrachte, seine deutsche Leibwache entwaffnete und alle Deutschen aus der Stadt verwies.</P>
<P>Indes ging Arminius nicht &uuml;ber den Rhein, Maroboduus dachte an keinen Angriff, und so konnte Rom sich ungest&ouml;rt seinen Wutausbr&uuml;chen &uuml;ber die "treubr&uuml;chigen Germanen" &uuml;berlassen. Wir sahen schon, wie Vellejus sie beschrieb, als "durch und durch verschlagene K&ouml;pfe, ein Volk, wie geschaffen zum L&uuml;gen". Ebenso Strabo. Er wei&szlig; nichts von "deutscher Treue" und "welscher T&uuml;cke", ganz im Gegenteil. W&auml;hrend er die Kelten "einfach und ohne Falsch" nennt, so einf&auml;ltig, da&szlig; sie "vor aller Augen und ohne Vorsicht zum Kampf eilen, so da&szlig; ihren Gegnern der Sieg leicht wird" - hei&szlig;t es von den Germanen:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Gegen sie war es immer vorteilhaft, ihnen nicht zu trauen; denn diejenigen, denen man traute, haben gro&szlig;en Schaden angerichtet, z.B. die Cherusker, bei denen drei Legionen samt dem Feldherrn Varus mit Verletzung der Vertr&auml;ge in einem Hinterhalt umkamen."</P>
</FONT><P>Von den entr&uuml;steten und rached&uuml;rstenden Versen Ovids gar nicht zu sprechen. Man meint, franz&ouml;sische Schriftsteller aus der besten chauvinistischen Zeit zu lesen, die die Schale ihres Zorns ausgie&szlig;en &uuml;ber den Treubruch Yorcks und den Verrat der Sachsen bei Leipzig. Die Deutschen hatten die Vertragstreue und Redlichkeit der R&ouml;mer hinreichend kennengelernt, als C&auml;sar die Usipeter und Tenkterer w&auml;hrend der Unterhandlung und des Waffenstillstands &uuml;berfiel; sie hatten sie kennengelernt, als Augustus die Gesandten der Sigamber, vor deren Ankunft er jede Verhandlung mit den deutschen St&auml;mmen verweigerte, gefangennehmen lie&szlig;. Es ist allen erobernden V&ouml;lkern gemein, ihre Gegner auf jede Art zu &uuml;berlisten; und dies finden sie ganz in der Ordnung; sobald sich die Gegner jedoch dasselbe erlauben, nennen jene es Treubruch und Verrat. Die Mittel aber, die man zur Unterjochung anwendet, m&uuml;ssen auch gestattet sein zur Abwerfung des Jochs. Solange es ausbeutende und herrschende Volker und Klassen auf einer, ausgebeutete und beherrschte auf der &auml;ndern Seite gibt, solange wird die Anwendung der List neben der der Gewalt auf beiden Seiten eine Notwendigkeit sein, gegen die alle Moralpredigt machtlos bleibt.</P>
<B><P><A NAME="S447">|447|</A></B> So kindisch auch das dem Arminius bei Detmold errichtete Phantasiestandbild ist - es hat nur das eine Gute gehabt, Louis-Napoleon zur Errichtung eines ebenso l&auml;cherlichen Phantasiekolosses des Vercingetorix auf einem Berge bei Alise[-Sainte-Reine] zu verleiten -, so richtig bleibt es, da&szlig; die Varusschlacht einen der entscheidendsten Wendepunkte der Geschichte bildet. Mit ihr war die Unabh&auml;ngigkeit Deutschlands von Rom ein f&uuml;r allemal entschieden. Es l&auml;&szlig;t sich dar&uuml;ber viel zwecklos hin und her streiten, ob denn diese Unabh&auml;ngigkeit f&uuml;r die Deutschen selbst ein so gro&szlig;er Gewinn war; sicher ist, da&szlig; ohne sie die ganze Geschichte eine andre Richtung eingeschlagen h&auml;tte. Und wenn in der Tat die ganze folgende Geschichte der Deutschen fast nur eine gro&szlig;e Reihe von - gro&szlig;enteils selbstverschuldeten - Nationalungl&uuml;cksf&auml;llen darstellt, so da&szlig; auch die bestechendsten Erfolge fast immer zum Schaden des Volks ausschlagen - so mu&szlig; man doch sagen, da&szlig; die Deutschen hier, am Anfang ihrer Geschichte, entschieden Gl&uuml;ck hatten.</P>
<P>Es waren die letzten Lebenskr&auml;fte der sterbenden Republik, die C&auml;sar zur Unterwerfung Galliens verwendet hatte. Die Legionen, seit Marius aus geworbnen S&ouml;ldnern, aber immer noch ausschlie&szlig;lich Italiern gebildet, starben seit C&auml;sar buchst&auml;blich aus, in dem Ma&szlig; wie die Italier selbst unter den rei&szlig;end um sich greifenden Latifundien und ihrer Sklavenbewirtschaftung ausstarben. Die 150.000 Mann, die die geschlossene Infanterie der 25 Legionen ausmachten, waren nur durch Aufwendung der &auml;u&szlig;ersten Mittel zusammenzuhalten. Die zwanzigj&auml;hrige Dienstzeit wurde nicht eingehalten, die ausgedienten Veteranen wurden gezwungen, auf unbestimmte Zeit bei der Fahne zu bleiben. Das war der Hauptgrund der Meuterei der rheinischen Legionen beim Tode des Augustus, die Tacitus so anschaulich schildert und die in ihrer wunderlichen Mischung von Aufs&auml;ssigkeit und Disziplin so lebhaft an die Meutereien der spanischen Soldaten Philipps II. in den Niederlanden erinnert, in beiden F&auml;llen das feste Gef&uuml;ge des Heeres bezeugend, dem das gegebne Wort vom F&uuml;rsten gebrochen war. Wir sahen, wie vergebens Augustus' Versuch blieb, nach der Varusschlacht die alten, l&auml;ngst au&szlig;er &Uuml;bung gekommenen Aushebungsgesetze wieder durchzuf&uuml;hren; wie er auf schon Ausgediente zur&uuml;ckgreifen mu&szlig;te und selbst auf Freigelassene - er hatte diese schon einmal w&auml;hrend des pannonischen Aufstandes eingestellt. Der Ersatz an freien italischen Bauerns&ouml;hnen war mit den freien italischen Bauern selbst verschwunden. Jedes neue, den Legionen zugef&uuml;hrte Ersatzkontingent verschlechterte die Qualit&auml;t des Heeres. Und da man dennoch diese Legionen, den schwer zu erhaltenden Kern der ganzen Heeresmacht, m&ouml;glichst schonen mu&szlig;te, treten die H&uuml;lfstruppen <A NAME="S448"><B>|448|</A></B> mehr und mehr in den Vordergrund, schlagen die Schlachten, in denen die Legionen nur noch die Reserve bilden, so da&szlig; schon zu Claudius' Zeit die Bataver sagen konnten: mit dem Blut der Provinzen w&uuml;rden die Provinzen erobert.</P>
<P>Mit einem solchen, sich mehr und mehr der altr&ouml;mischen Disziplin und Festigkeit und damit der altr&ouml;mischen Kampfweise entfremdenden, mehr und mehr aus Provinzialen, endlich sogar meist aus reichsfremden Barbaren sich zusammensetzenden Heer waren jetzt schon fast keine gro&szlig;en Angriffskriege mehr zu f&uuml;hren - bald auch keine gro&szlig;en Angriffsschlachten mehr zu schlagen. Die Entartung des Heers verwies den Staat auf die Defensive, die zuerst noch angriffsweise, bald aber immer passiver gef&uuml;hrt wurde, bis endlich das Schwergewicht des Angriffs, ganz auf Seite der Deutschen gekommen, auf der ganzen Linie von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer &uuml;ber Rhein und Donau unaufhaltsam hereinbrach.</P>
<P>Inzwischen galt es, selbst zur Sicherung der Rheinlinie, den Deutschen auf ihrem eignen Gebiet das &Uuml;bergewicht der r&ouml;mischen Waffen wieder f&uuml;hlbar zu machen. Zu diesem Zweck eilte Tiberius an den Rhein, stellte die erschlaffte Disziplin durch eignes Beispiel und strenge Strafen wieder her, beschr&auml;nkte den Tro&szlig; des mobilen Heeres aufs Notwendigste und durchzog Westdeutschland in zwei Feldz&uuml;gen (Jahre 10 und 11). Die Deutschen stellten sich nicht zu Entscheidungsschlachten, die R&ouml;mer wagten nicht, ihre Winterlager rechts des Rheins zu beziehn. Ob Aliso und das an der Emsm&uuml;ndung im Lande der Chauken angelegte Kastell auch im Winter st&auml;ndige Besatzung behielten, wird nicht ges&auml;gt, ist aber wohl anzunehmen.</P>
<P>Im August 14 starb Augustus. Die rheinischen Legionen, denen weder Entlassung nach vollbrachter Dienstzeit noch Soldzahlung eingehalten worden, weigerten sich, Tiberius anzuerkennen und proklamierten des Drusus Sohn Germanicus zum Kaiser. Dieser stillte den Aufstand selbst, brachte die Truppen zum Gehorsam zur&uuml;ck und f&uuml;hrte sie in drei von Tacitus geschilderten Feldz&uuml;gen nach Deutschland. Hier trat ihm Arminius entgegen und bewies sich als ein seines Gegners vollkommen w&uuml;rdiger Feldherr. Er suchte alle Entscheidungsschlachten im offnen Gel&auml;nde zu vermeiden, den Marsch der R&ouml;mer m&ouml;glichst zu hindern und sie nur in S&uuml;mpfen und Engp&auml;ssen anzugreifen, wo sie sich nicht entwickeln konnten. Aber die Deutschen folgten ihm nicht immer. Kampflust ri&szlig; sie oft fort zu Gefechten unter ung&uuml;nstigen Umst&auml;nden, Beutegier rettete mehr als einmal die schon in der Falle festsitzenden R&ouml;mer. So erfocht Germanicus zwei unfruchtbare Siege auf Idisiavisus und am angrivanschen Grenzwall, entkam mit Not auf den R&uuml;ckz&uuml;gen durch die Defileen der S&uuml;mpfe, verlor Schiffe und Mannschaft <A NAME="S449"><B>|449|</A></B> durch St&uuml;rme und Fluten an der friesischen K&uuml;ste und wurde endlich nach dem Feldzuge des Jahres 16 von Tiberius abberufen. Damit nahmen die R&ouml;merz&uuml;ge ins Innere Deutschlands ein Ende.</P>
<P>Aber die R&ouml;mer wu&szlig;ten nur zu gut, da&szlig; man eine Flu&szlig;linie nur dann beherrscht, wenn man auch den &Uuml;bergang aufs jenseitige Ufer beherrscht. Weit entfernt, sich passiv hinter den Rhein zur&uuml;ckzuziehn, verlegt sich die r&ouml;mische Defensive aufs rechte Ufer. Die R&ouml;merschanzen, die das Gebiet der unteren Lippe, Ruhr und Wupper in gro&szlig;en, wenigstens in einzelnen F&auml;llen sp&auml;teren Gauen entsprechenden Gruppen bedecken, [und] die vom Rhein bis an die Grenze der Grafschaft Mark ausgebauten Heerstra&szlig;en lassen vermuten, da&szlig; hier ein System von Verteidigungswerken lag, dessen Zug von der Ijssel bis an die Sieg der jetzigen Grenzlinie zwischen Franken und Sachsen entsprach - mit einzelnen Abweichungen der Grenze der Rheinprovinz gegen Westfalen. Dies im 7. Jahrhundert wohl noch einigerma&szlig;en verteidigungsf&auml;hige System w&auml;re es dann auch, das die damals vordringenden Sachsen vom Rhein abgehalten und so ihre heutige Stammesgrenze gegen die Franken festgestellt hat. Die interessantesten Entdeckungen sind hier erst in den letzten Jahren (von J. Schneider) gemacht; es werden also wohl noch weitere zu erwarten sein.</P>
<P>Weiter rheinaufw&auml;rts wurde allm&auml;hlich, besonders unter Domitian und Hadrian, der gro&szlig;e r&ouml;mische Grenzwall ausgebaut, der sich von unterhalb Neuwied &uuml;ber die Montabaurer H&ouml;he nach Ems zieht, dort die Lahn &uuml;berschreitet, bei Adolfseck sich westlich wendet, dem Nordabhang des Taunus folgend als n&ouml;rdlichsten Punkt Gr&uuml;ningen in der Wetterau umfa&szlig;t und von dort aus, in s&uuml;ds&uuml;d&ouml;stlicher Richtung verlaufend, s&uuml;dlich von Hanau den Main erreicht. Von hier aus geht der Wall auf dem linken Mainufer bis Miltenberg; von da in nur einmal gebrochener grader Linie bis an die w&uuml;rttembergische Rems in die N&auml;he der Burg Hohenstaufen. Hier wendet die sp&auml;ter, wahrscheinlich unter Hadrian, fortgebaute Linie sich &ouml;stlich, &uuml;ber Dinkelsb&uuml;hl, Gunzenhausen, Ellingen und Kipfenberg, und erreicht bei Irnsing oberhalb Kelheim die Donau. Hinter dem Wall lagen kleinere Schanzen und in weiterer Entfernung gr&ouml;&szlig;ere feste Pl&auml;tze als R&uuml;ckhalt. Das hiermit abgeschlossene rechtsrheinische Land, das wenigstens s&uuml;dlich vom Main seit der Vertreibung der Helvetier durch die Sueven w&uuml;st gelegen hatte, wurde nach Tacitus durch gallische Vagabunden, Nachz&uuml;gler der Truppen, bev&ouml;lkert.</P>
<P>So traten an Rhein, Pfahlgraben und Donau allm&auml;hlich ruhigere und gesichertere Zust&auml;nde ein. K&auml;mpfe und Streifz&uuml;ge dauerten fort, aber die gegenseitigen Gebietsgrenzen blieben ein paar hundert Jahre unver&auml;ndert.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_III">Fortschritte bis zur V&ouml;lkerwanderung</H3>
<B><P><A NAME="S450"></A>|450|</A></B> Mit Tacitus und Ptolem&auml;us versiegen die schriftlichen Quellen &uuml;ber Zust&auml;nde und Vorg&auml;nge im Innern Deutschlands. Daf&uuml;r tut sich uns eine Reihe anderer, viel anschaulicherer Quellen auf: die Funde von Altert&uuml;mern, soweit sie sich auf den vorliegenden Zeitabschnitt zur&uuml;ckf&uuml;hren lassen.</P>
<P>Da&szlig; zu Plinius' und Tacitus' Zeit der Handel der R&ouml;mer mit dem Innern Deutschlands fast Null war, haben wir gesehn. Aber wir finden bei Plinius doch die Andeutung eines alten, noch zu seiner Zeit dann und wann benutzten Handelswegs von Carnuntum (gegen&uuml;ber der M&uuml;ndung der March in die Donau), die March und Oder entlang nach der Bernsteink&uuml;ste. Dieser Weg sowie ein zweiter durch B&ouml;hmen, die Elbe entlang, ist wahrscheinlich schon in sehr fr&uuml;her Zeit von den Etruskern benutzt worden, deren Anwesenheit in den n&ouml;rdlichen Alpent&auml;lern durch zahlreiche Funde, besonders den Hallst&auml;tter Fund, erwiesen ist. Der Einbruch der Gallier nach Oberitalien soll diesem Handel ein Ende gemacht haben (gegen -400) (Boyd Dawkins). Best&auml;tigt sich diese Ansicht, so m&uuml;&szlig;te dieser etruskische Handelsverkehr, haupts&auml;chlich Einfuhr von Bronzewaren, mit den V&ouml;lkern stattgefunden haben, die vor den Deutschen das Land an Weichsel und Elbe besetzt hielten, also wohl mit Kelten, und die Einwanderung der Deutschen w&uuml;rde dann wohl ebensoviel mit seiner Unterbrechung zu tun haben wie der R&uuml;ckstrom der Kelten nach Italien. Erst seit dieser Unterbrechung scheint der &ouml;stlichere Handelsweg, von den griechischen St&auml;dten des Schwarzen Meers den Dnjestr wie den Dnjepr entlang, nach der Gegend an der Weichselm&uuml;ndung aufgekommen zu sein. Daf&uuml;r sprechen die bei Bromberg, auf der Insel &Ouml;sel und andern Orten gefundnen alten griechischen M&uuml;nzen; es sind darunter St&uuml;cke aus dem vierten, vielleicht aus dem f&uuml;nften Jahrhundert vor unsrer Zeitrechnung, gepr&auml;gt in Griechenland, Italien, Sizilien, Cyrene usw.</P>
<P>Die unterbrochenen Handelswege l&auml;ngs der Oder und Elbe mu&szlig;ten sich von selbst wiederherstellen, sobald die wandernden V&ouml;lker zur Ruhe kamen. Zur Zeit des Ptolem&auml;us scheinen nicht nur diese, sondern auch noch andre Verkehrswege durch Deutschland wieder in Aufnahme gekommen zu sein, und wo Ptolem&auml;us' Zeugnis aufh&ouml;rt, da fahren die Funde fort zu sprechen.</P>
<P>C. F. Wiberg <A NAME="ZF3"><A HREF="me19_425.htm#F3"><SMALL><SUP>(3)</SUP></SMALL></A></A> hat durch sorgf&auml;ltige Zusammenstellung der Funde hier vieles klargestellt und den Nachweis geliefert, da&szlig; im 2. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung die Handelswege sowohl durch Schlesien die Oder wie durch <A NAME="S451"><B>|451|</A></B> B&ouml;hmen die Elbe hinab wieder benutzt wurden. In B&ouml;hmen erw&auml;hnt schon Tacitus</P>
<FONT SIZE=2><P>"Beuteaufk&auml;ufer und H&auml;ndler" (lixae ac negotiatores) "aus unsern Provinzen, die Geldgier und Vaterlandsvergessenheit ins feindliche Gebiet und an das Heerlager des Maroboduus gef&uuml;hrt hatte".</P>
</FONT><P>Ebenso haben die Hermunduren, die, seit langem mit den R&ouml;mern befreundet, nach Tacitus in den Dekumatl&auml;ndern und Rh&auml;tien bis nach Augsburg ungehindert verkehrten, wohl jedenfalls r&ouml;mische Waren und M&uuml;nzen vom Obermain zur Saale und Werra weiter vertrieben. Auch weiter abw&auml;rts am r&ouml;mischen Grenzwall, an der Lahn, zeigen sich Spuren eines Handelswegs ins Innere.</P>
<FONT FACE="Times New Roman"><P>Der bedeutendste Weg scheint der durch M<>hren und Schlesien geblieben zu sein. Die Wasserscheide zwischen March resp. Beva und Oder, die einzige, die zu <20>berschreiten ist, geht durch ein offnes H<>gelland und liegt unter 325 Meter Meeresh<73>he; die Ei</FONT>senbahn geht noch jetzt hierher. Von Niederschlesien an &ouml;ffnet sich die norddeutsche Tiefebene und erlaubt Wegen, in allen Richtungen zur Weichsel und Elbe abzuzweigen. In Schlesien und Brandenburg m&uuml;ssen r&ouml;mische Kaufleute im 2. und 3. Jahrhundert ans&auml;ssig gewesen sein. Wir finden dort nicht nur Glasurnen, Tr&auml;nenfl&auml;schchen und Graburnen mit lateinischer Inschrift (Massel bei Trebnitz in Schlesien und anderw&auml;rts), sondern selbst vollst&auml;ndige r&ouml;mische Grabgew&ouml;lbe mit Urnennischen (Columbarien) (Nachein bei Glogau). Auch bei Warin in Mecklenburg fand man unzweifelhaft r&ouml;mische Gr&auml;ber. Ebenso bezeugen Funde von M&uuml;nzen, r&ouml;mischen Metallwaren, t&ouml;nernen Lampen etc. den Gang des Handelsverkehrs auf dieser Stra&szlig;e. &Uuml;berhaupt ist das ganze &ouml;stliche Deutschland, obwohl nie von r&ouml;mischen Heeren betreten, wie &uuml;bers&auml;t mit r&ouml;mischen M&uuml;nzen und Fabrikaten; diese letzteren h&auml;ufig beglaubigt durch dieselben Fabrikstempel, die auch auf den Funden in den Provinzen des R&ouml;merreichs vorkommen. In Schlesien gefundene Tonlampen haben denselben Fabrikstempel wie andre in Dalmatien, Wien etc. gefundene. So findet sich der Stempel: Ti. Robilius Sitalcis auf Bronzevasen, von denen eine in Mecklenburg, eine zweite in B&ouml;hmen gefunden; dies weist auf den Handelsweg entlang der Elbe.</P>
<P>Dann aber befuhren in den ersten Jahrhunderten nach Augustus auch r&ouml;mische Handelsschiffe die Nordsee. Dies beweist der Fund von Neuhaus an der Oste (Elbm&uuml;ndung), von 344 r&ouml;mischen Silberm&uuml;nzen von Nero bis Marcus Aurelius und mit Resten eines dort wahrscheinlich gescheiterten Schiffs. Auch l&auml;ngs der S&uuml;dk&uuml;ste der Ostsee fand ein Schiffsverkehr statt, der bis zu den d&auml;nischen Inseln, Schweden und Gotland reichte und mit <A NAME="S452"><B>|452|</A></B> dem wir uns noch n&auml;her besch&auml;ftigen werden. Die von Ptolem&auml;us und Marcianus (um das Jahr 400) angegebnen Entfernungen der verschiednen K&uuml;stenpunkte voneinander k&ouml;nnen nur auf den Berichten von Kaufleuten, welche jene K&uuml;sten befahren hatten, beruhen. Sie gehn von der mecklenburgischen K&uuml;ste bis Danzig und von da bis Scandia. Dies beweisen endlich die zahlreichen sonstigen Funde r&ouml;mischer Herkunft in Holstein, Schleswig, Mecklenburg, Vorpommern, den d&auml;nischen Inseln und S&uuml;dschweden, deren Fundorte in geringer Entfernung von der K&uuml;ste am dichtesten zusammenliegen.</P>
<P>Inwieweit dieser r&ouml;mische Handelsverkehr eine Einfuhr von Waffen nach Deutschland einschlo&szlig;, wird sich schwerlich entscheiden lassen. Die zahlreichen r&ouml;mischen, in Deutschland gefundenen Waffen k&ouml;nnen ebensogut Beutest&uuml;cke sein, und die r&ouml;mischen Beh&ouml;rden an der Grenze boten selbstredend alles auf, den Deutschen die Waffenzufuhr abzuschneiden. Auf dem Seeweg mag indes manches, besonders zu den ferneren V&ouml;lkern, z.B. auf der cimbrischen Halbinsel, gekommen sein.</P>
<P>Die &uuml;brigen r&ouml;mischen Waren, die auf diesen verschiednen Wegen nach Deutschland kamen, bestanden aus Hausrat, Schmucksachen und Toilettegegenst&auml;nden usw. Der Hausrat weist auf: Sch&uuml;sseln, Ma&szlig;e, Becher, Gef&auml;&szlig;e, Kochgeschirre, Siebe, L&ouml;ffel, Scheren, Kellen etc. von Bronze, einzelne Gef&auml;&szlig;e von Gold oder Silber, Lampen von Ton, die sehr verbreitet sind; die Schmucksachen von Bronze, Silber oder Gold; Halsb&auml;nder, Diademe, Arm- und Fingerringe, Spangen in der Art unsrer Broschen; unter den Toilettegegenst&auml;nden finden wir K&auml;mme, Pinzetten, Ohrl&ouml;rfel usw. - von Gegenst&auml;nden zu schweigen, deren Gebrauch streitig ist. Die meisten dieser Fabrikate sind nach Worsaaes Zugest&auml;ndnis unter dem Einnu&szlig; des im ersten Jahrhundert in Rom herrschenden Geschmacks entstanden.</P>
<P>Der Abstand ist gro&szlig; von den Deutschen des C&auml;sar, und selbst noch des Tacitus, zu dem Volk, das sich dieser Ger&auml;te bediente, selbst zugegeben, da&szlig; dies nur von den Vornehmeren und Reicheren geschah. Die "einfachen Speisen", womit die Deutschen nach Tacitus "ohne viel Zubereitung (sine apparatu), ohne W&uuml;rze den Hunger austreiben", haben einer K&uuml;che Platz gemacht, die sich schon eines ziemlich zusammengesetzten Apparats bediente und au&szlig;er diesem Apparat auch wohl die entsprechenden W&uuml;rzen von den R&ouml;mern bezog. An die Stelle der Verachtung der Gold- und Silbersachen ist die Lust getreten, sich damit zu schm&uuml;cken; an die Stelle der Gleichg&uuml;ltigkeit gegen r&ouml;misches Geld seine Verbreitung &uuml;ber das ganze germanische Gebiet. Und nun gar die Toilettesachen - welche beginnende Umw&auml;lzung in den Sitten verr&auml;t nicht ihre blo&szlig;e Gegenwart bei einem <A NAME="S453"><B>|453|</A></B> Volk, das zwar, soviel wir wissen, die Seife erfand, aber sie nur zum Gelbf&auml;rben des Haares zu brauchen verstand!</P>
<P>Was die Deutschen den r&ouml;mischen H&auml;ndlern f&uuml;r all dies bare Geld und diese Waren lieferten, dar&uuml;ber sind wir zun&auml;chst auf die Nachrichten der Alten angewiesen, und diese lassen uns, wie gesagt, fast ganz im Stich. Plinius erw&auml;hnt Gem&uuml;se, G&auml;nsefedern, wollene Zeuge und Seife als Artikel, die das Reich aus Deutschland einf&uuml;hrte. Aber dieser beginnende Handel an der Grenze kann keinen Ma&szlig;stab abgeben f&uuml;r die sp&auml;tere Zeit. Der Hauptartikel, von dem wir wissen, war der Bernstein, der aber nicht hinreicht, um einen so &uuml;ber das ganze Land sich verbreitenden Verkehr zu erkl&auml;ren. Vieh, das den Hauptreichtum der Deutschen ausmachte, wird auch wohl der wichtigste Ausfuhrgegenstand gewesen sein, die an der Grenze aufgestellten Legionen allein b&uuml;rgen f&uuml;r starken Fleischbedarf. Tierfelle und Pelzwaren, die zu Jornandes' Zeit aus Skandinavien nach der Weichselm&uuml;ndung und von da in r&ouml;misches Gebiet versandt wurden, haben gewi&szlig; auch schon in fr&uuml;herer Zeit aus den ostdeutschen W&auml;ldern ihren Weg dorthin gefunden. Wilde Tiere f&uuml;r den Zirkus, meint Wiberg, seien von den r&ouml;mischen Seefahrern aus dem Norden hereingebracht. Aber au&szlig;er B&auml;ren, W&ouml;lfen und etwa Auerochsen war dort nichts zu holen und da waren L&ouml;wen und Leoparden und selbst B&auml;ren aus Afrika und Asien n&auml;her und leichter zu haben. - Sklaven? fragt Wiberg endlich, fast versch&auml;mt, und hier wird er wohl das Richtige getroffen haben. In der Tat waren Sklaven au&szlig;er Vieh der einzige Artikel, von dem Deutschland hinreichend ausf&uuml;hren konnte, um damit seine Handelsbilanz gegen Rom zu saldieren. Italien allein verbrauchte in den St&auml;dten wie auf den Latifundien eine ungeheure, sich nur zum allergeringsten Teil fortpflanzende Sklavenbev&ouml;lkerung. Die ganze r&ouml;mische Gro&szlig;grundbesitzwirtschaft hatte zur Voraussetzung jene kolossale Zufuhr von verkauften Kriegsgefangnen, die in den unaufh&ouml;rlichen Eroberungskriegen der verfallenden Republik und noch des Augustus nach Italien str&ouml;mte. Das hatte jetzt ein Ende genommen. Das Reich war auf festen Grenzen in die Defensive getreten. Die &uuml;berwundenen Feinde, aus denen die Masse der Sklaven sich rekrutierte, wurden bei den r&ouml;mischen Heeren immer seltner. Man mu&szlig;te sie bei den Barbaren kaufen. Und da sollten die Deutschen nicht auch als Verk&auml;ufer auf dem Markt erschienen sein? Die Deutschen, die nach Tacitus schon Sklaven verkauften ("Germ[ania]" 24), die fortw&auml;hrend untereinander im Krieg lagen, die, wie die Friesen, ihre Steuern an die R&ouml;mer bei Geldmangel mit &Uuml;bergabe ihrer Weiber und Kinder in Sklaverei bezahlten und die schon im dritten Jahrhundert, wenn nicht schon fr&uuml;her, die Ostsee befuhren und deren Seez&uuml;ge <A NAME="S454"><B>|454|</A></B> in der Nordsee von den Sachsenfahrten des dritten bis zu den Normannenfahrten des zehnten Jahrhunderts neben anderm Seeraub vorzugsweise Sklavenjagd zum n&auml;chsten Zweck hatten - Sklavenjagd fast ausschlie&szlig;lich f&uuml;r den Handel? - dieselben Deutschen, die wenige Jahrhunderte sp&auml;ter, sowohl w&auml;hrend der V&ouml;lkerwanderung wie in ihren Kriegen gegen die Slawen, als die ersten Sklavenr&auml;uber und Sklavenh&auml;ndler ihrer Zeit auftreten? Entweder m&uuml;ssen wir annehmen, da&szlig; die Deutschen des zweiten und dritten Jahrhunderts ganz andre Leute waren als alle &uuml;brigen Grenznachbarn der R&ouml;mer und ganz anders als ihre eignen Nachkommen vom dritten, vierten und f&uuml;nften Jahrhundert an, oder aber wir m&uuml;ssen zugeben, da&szlig; sie sich ebenfalls an dem damals f&uuml;r recht anst&auml;ndig und sogar ehrenvoll geltenden Sklavenhandel nach Italien stark beteiligt haben. Und damit f&auml;llt denn auch der geheimnisvolle Schleier, der sonst den deutschen Exporthandel jener Zeit verh&uuml;llt.</P>
<P>Hier m&uuml;ssen wir auf den Ostseeverkehr jener Zeit zur&uuml;ckkommen. W&auml;hrend die K&uuml;ste des Kattegats fast gar keine r&ouml;mischen Funde aufzuweisen hat, ist die S&uuml;dk&uuml;ste der Ostsee bis nach Livland hinein, Schleswig-Holstein, der S&uuml;drand und das Innere der d&auml;nischen Inseln, die s&uuml;dliche und s&uuml;d&ouml;stliche K&uuml;ste Schwedens, Oeland und Gotland sehr reich daran. Bei weitem die meisten dieser Funde geh&ouml;ren der sogenannten Denarperiode an, auf die wir noch zu sprechen kommen und die bis auf die ersten Regierungsjahre des Septimius Severus, also rund bis 200 reicht. Schon Tacitus nennt die Suionen stark durch ihre Ruderflotten und sagt, da&szlig; sie den Reichtum in Ehren halten; sie trieben also wohl sicher schon Seehandel. Die in den Balten, dem Oeres- und Oelandssund sowie in der K&uuml;stenfahrt zuerst entwickelte Schiffahrt mu&szlig;te sich schon auf die hohe See wagen, um Bornholm und Gotland in seinen Kreis zu ziehn; sie mu&szlig;te schon eine bedeutende Sicherheit in der Handhabung der Fahrzeuge erlangt haben, um den lebhaften Verkehr auszubilden, als dessen Mittelpunkt grade die am weitesten vom Festland abgelegene Insel Gotland sich darstellt. Hier sind in der Tat bis 1873 <A NAME="ZF4"><A HREF="me19_425.htm#F4"><SMALL><SUP>(4)</SUP></SMALL></A></A> &uuml;ber 3.200 r&ouml;mische Silberdenare gefunden worden gegen etwa 100 auf Oeland, kaum 50 auf dem schwedischen Festland, 200 auf Bornholm, 600 auf D&auml;nemark und Schleswig (wovon 428 in einem einzigen Fund, Slagelse auf Seeland). Die Untersuchung dieser Funde beweist, da&szlig; bis zum Jahr 161, wo Marc Aurel Kaiser wurde, nur wenige, von da aber bis zum Ende des Jahrhunderts massenhaft r&ouml;mische <A NAME="S455"><B>|455|</A></B> Denare nach Gotland kamen. In der letzten H&auml;lfte mu&szlig; also die Ostseeschiffahrt schon eine bedeutende Entwicklung erreicht haben; da&szlig; sie schon fr&uuml;her bestand, beweist die Angabe des Ptolem&auml;us, wonach [es] von den Weichselm&uuml;ndungen bis Scandia 1.200 bis 1.600 Stadien weit war (30 bis 40 geographische Meilen). Beide Entfernungen sind ungef&auml;hr richtig f&uuml;r die Ostspitze von Blekinge wie f&uuml;r die S&uuml;dspitze von Oeland oder Gotland, je nachdem man von Rixh&ouml;ft oder von Neufahrwasser resp. Pillau mi&szlig;t. Sie k&ouml;nnen nur auf Schiffernachrichten beruhen, ganz wie die andern Entfernungsangaben l&auml;ngs der deutschen K&uuml;ste bis zu den Weichselm&uuml;ndungen.</P>
<P>Da&szlig; diese Schiffahrt auf der Ostsee nicht von den R&ouml;mern betrieben wurde, daf&uuml;r spricht erstens die Nebelhaftigkeit aller ihrer Vorstellungen von Skandinavien und zweitens die Abwesenheit aller r&ouml;mischen M&uuml;nzfunde am Kattegat und in Norwegen. Das cimbrische Vorgebirge (Skagen), das die R&ouml;mer unter Augustus erreichten und von dem sie das endlose Meer sich ausbreiten sahen, scheint der Grenzpunkt ihres direkten Seeverkehrs geblieben zu sein. Danach haben also die Germanen selbst die Ostsee befahren und den Verkehr unterhalten, r&ouml;misches Geld und r&ouml;mische Fabrikate nach Skandinavien verf&uuml;hrt. Und dies kann auch gar nicht anders sein. Von der zweiten H&auml;lfte des dritten Jahrhunderts an treten die s&auml;chsischen Seez&uuml;ge an der gallischen und britannischen K&uuml;ste urpl&ouml;tzlich auf, und zwar mit einer K&uuml;hnheit und Sicherheit, die ihnen nicht &uuml;ber Nacht gekommen sein konnte, die vielmehr eine lange Vertrautheit mit der Fahrt auf hoher See voraussetzt. Und diese Vertrautheit k&ouml;nnen sich die Sachsen, unter denen wir hier auch alle V&ouml;lker der cimbrischen Halbinsel verstehn m&uuml;ssen, also auch Friesen, Angeln, J&uuml;ten, nur erworben haben auf der Ostsee. Dies gro&szlig;e Binnenmeer, ohne Ebbe und Flut, auf dem die atlantischen S&uuml;dwestst&uuml;rme erst ankommen, nachdem sie sich auf der Nordsee gro&szlig;enteils ausgetobt haben, dies langgestreckte Bassin mit seinen vielen Inseln, Bodden und Sunden, wo man bei der &Uuml;berfahrt von Ufer zu Ufer h&ouml;chstens nur auf kurze Zeit kein Land sieht, war wie geschaffen dazu, einer sich neu entwickelnden Schiffahrt als &Uuml;bungsgew&auml;sser zu dienen. Hier weisen schon die schwedischen, der Bronzezeit zugeschriebnen Felsenbilder mit ihren zahlreichen Darstellungen von Ruderbooten auf uralte Schiffahrt hin. Hier bietet uns der Nydamer Moorfund in Schleswig ein 70 Fu&szlig; langes, 8 bis 9 Fu&szlig; breites, aus Eichenbrettern gezimmertes Boot aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts, ganz geeignet zur Fahrt auf hoher See. Hier bildete sich in der Stille jene Technik des Schiffbaus und jene seem&auml;nnische Erfahrung, die den Sachsen und Normannen ihre sp&auml;teren Eroberungsz&uuml;ge <A NAME="S456"><B>|456|</A></B> auf hoher See m&ouml;glich machte und auf Grund welcher der germanische Stamm bis heute an der Spitze aller Seev&ouml;lker der Welt steht.</P>
<P>Die bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts nach Deutschland gekommenen r&ouml;mischen M&uuml;nzen waren vorwiegend Silberdenare (1 Denar = 1,06 Mark). Und zwar zogen die Deutschen, wie uns Tacitus mitteilt, die alten, langbekannten M&uuml;nzen vor, mit gezahntem Rande und dem Doppelgespann im Gepr&auml;ge. Wirklich sind unter den &auml;lteren M&uuml;nzen auch viele dieser serrati bigatique gefunden worden. Diese alten M&uuml;nzen hatten nur 5 bis 10 Prozent Kupferzusatz. Schon Trajan lie&szlig; dem Silber 20 Prozent Kupfer zusetzen; dies scheinen die Deutschen nicht gemerkt zu haben. Aber als Septimius Severus von 198 an den Zusatz auf 50 bis 60 Prozent erh&ouml;hte, wurde dies den Deutschen zu arg; die unterwertigen sp&auml;teren Denare kommen in den Funden nur ganz ausnahmsweise vor, die Einfuhr des r&ouml;mischen Geldes h&ouml;rte auf. Sie beginnt erst wieder, nachdem Konstantin im Jahre 312 den Goldsolidus (72 aufs r&ouml;mische Pfund Feingold von 327 g, also 1 Solidus = 4,55 g fein = 12,70 Mark) als M&uuml;nzeinheit festgesetzt hatte, und nun sind es vorzugsweise Goldm&uuml;nzen, Solidi, die nach Deutschland, noch mehr aber nach Oeland und besonders Gotland kommen. Diese zweite Periode der r&ouml;mischen Geldeinfuhr, die Solidusperiode, geht f&uuml;r westr&ouml;mische M&uuml;nzen bis zum Ende des Westreichs, f&uuml;r byzantinische bis Anastasios (starb 518). Die Funde fallen meist auf Schweden, die d&auml;nischen Inseln, einige auf die deutsche Ostseek&uuml;ste; im Innern Deutschlands sind sie sehr sporadisch.</P>
<P>Die M&uuml;nzf&auml;lschung des Septimius Severus und seiner Nachfolger gen&uuml;gt indes nicht, um das pl&ouml;tzliche Abbrechen des Handelsverkehrs zwischen Deutschen und R&ouml;mern zu erkl&auml;ren. Es m&uuml;ssen andre Ursachen hinzugekommen sein. Die eine liegt offenbar in den politischen Verh&auml;ltnissen. Seit Anfang des dritten Jahrhunderts beginnt der Angriffskrieg der Deutschen gegen die R&ouml;mer, und gegen 250 ist er auf der ganzen Linie von der Donaum&uuml;ndung bis zum Rheindelta entbrannt. Dabei konnte nat&uuml;rlich kein geregelter Handel zwischen den Kriegf&uuml;hrenden bestehn. Aber diese pl&ouml;tzlichen, allgemeinen, hartn&auml;ckigen Angriffskriege wollen selbst erkl&auml;rt sein. In den inneren r&ouml;mischen Verh&auml;ltnissen finden sie sich nicht; das Reich leistet im Gegenteil noch &uuml;berall erfolgreichen Widerstand und produziert zwischen einzelnen Perioden w&uuml;ster Anarchie immer noch kr&auml;ftige Kaiser, grade um diese Zeit. Die Angriffe m&uuml;ssen also durch Ver&auml;nderungen bedingt sein, die bei den Deutschen selbst vorgegangen. Und hier sind es wieder die Funde, die die Erkl&auml;rung geben.</P>
<P>In den ersten sechziger Jahren unsres Jahrhunderts wurden in zwei <A NAME="S457"><B>|457|</A></B> Schleswiger Torfmooren Funde von hervorragender Wichtigkeit gemacht, die, von Engelhardt in Kopenhagen sorgsam gehoben, nach verschiednen Irrfahrten jetzt im Kieler Museum niedergelegt sind. Was sie vor andern Funden &auml;hnlicher Art auszeichnet, sind die dazugeh&ouml;rigen M&uuml;nzen, die ihr Alter mit ziemlicher Sicherheit feststellen. Der eine, aus dem Taschberger (bei den D&auml;nen Thorsbjerger) Moor bei S&uuml;derbrarup, enth&auml;lt 37 M&uuml;nzen von Nero bis Septimius Severus, der andre, aus dem Nydamer Moor, einer verschlammten und vertorften Seebucht, 34 M&uuml;nzen von Tiberius bis Macrinus (218). Die Funde geh&ouml;ren also wohl unzweifelhaft in die Zeit von 220 bis 250. Sie enthalten aber nicht nur Gegenst&auml;nde r&ouml;mischen Ursprungs, sondern auch zahlreiche andre, die im Lande selbst gefertigt sind und die, bei der fast vollst&auml;ndigen Erhaltung durch das eisenhaltige Torfwasser, uns den Zustand der norddeutschen Metallindustrie, Weberei, des Schiffbaus und vermittelst der Runenzeichen auch des Schriftgebrauchs in der ersten H&auml;lfte des dritten Jahrhunderts in &uuml;berraschender Weise klarlegen.</P>
<P>Und hier &uuml;berrascht uns noch mehr der Stand der Industrie selbst. Die feinen Gewebe, die zierlichen Sandalen und das sauber gearbeitete Riemenzeug zeigen eine weit h&ouml;here Kulturstufe an als die der taciteischen Deutschen; was aber besonders in Erstaunen setzt, sind die einheimischen Metallarbeiten.</P>
<P>Da&szlig; die Deutschen Kenntnis des Metallgebrauchs aus der asiatischen Heimat mitbrachten, beweist die Sprachvergleichung. Die Kenntnis der Metallgewinnung und -bearbeitung haben sie vielleicht ebenfalls gehabt, hatten sie aber kaum noch, als sie mit den R&ouml;mern zusammenstie&szlig;en. Wenigstens findet sich bei den Schriftstellern des ersten Jahrhunderts keine Andeutung davon, da&szlig; zwischen Rhein und Elbe Eisen oder Bronze gewonnen und verarbeitet worden sei; sie lassen eher aufs Gegenteil schlie&szlig;en. Von den Gothinen (in Oberschlesien?) sagt Tacitus allerdings, da&szlig; sie Eisen gr&uuml;ben, und den benachbarten Quaden schreibt Ptolem&auml;us Eisenwerke zu; beiden kann die Kenntnis des Schmelzens von der Donau her wieder zugekommen sein. Auch die durch M&uuml;nzen beglaubigten Funde des ersten Jahrhunderts weisen nirgends einheimische Metallprodukte auf, sondern nur r&ouml;mische; wie w&auml;ren die Massen r&ouml;mischer Metallwaren nach Deutschland gekommen, wenn dort eine eigne Metallverarbeitung bestanden h&auml;tte? Allerdings finden sich in Deutschland alte Gu&szlig;formen, unvollendete Gu&szlig;st&uuml;cke und Gu&szlig;abf&auml;lle aus Bronze, aber stets ohne das Alter beglaubigende M&uuml;nzen; aller Wahrscheinlichkeit nach Spuren aus vorgermanischer Zeit, Reste der T&auml;tigkeit herumziehender etruskischer Bronze- <A NAME="S458"><B>|458|</A></B> gie&szlig;er. &Uuml;brigens ist die Frage zwecklos, ob den einwandernden Deutschen die Metallbereitung g&auml;nzlich abhanden gekommen war; alle Tatsachen sprechen daf&uuml;r, da&szlig; sie im ersten Jahrhundert faktisch keine oder so gut wie keine Metallverarbeitung betrieben.</P>
<P>Hier tauchen nun auf einmal die Taschberger Moorfunde auf und enth&uuml;llen uns eine unerwartete H&ouml;he der einheimischen Metallindustrie. Schnallen, Metallplatten zu Beschl&auml;gen, mit Tier- und Menschenk&ouml;pfen verziert, ein silberner Helm mit vollst&auml;ndiger Gesichtseinrahmung, nur Augen, Nase und Mund freilassend; Ringpanzer von Drahtgeflecht, die &auml;u&szlig;erst m&uuml;hsame Arbeit voraussetzen, da der Draht erst geh&auml;mmert werden mu&szlig;te (das Drahtziehen wurde erst 1306 erfunden), ein goldner Kopfring, andrer Gegenst&auml;nde nicht zu erw&auml;hnen, deren einheimischer Ursprung in Zweifel gezogen werden k&ouml;nnte. Mit diesen Fundst&uuml;cken stimmen andre des Nydamer Moors sowie Moorfunde aus F&uuml;nen und endlich ein b&ouml;hmischer Fund (Horovice), ebenfalls im Anfang der sechziger Jahre aufgedeckt: prachtvolle Bronzescheiben mit Menschenk&ouml;pfen, Spangenbuckel etc. ganz nach Art der Taschberger, also wohl ebenfalls derselben Zeit angeh&ouml;rig.</P>
<P>Vom dritten Jahrhundert an mu&szlig; die Metallindustrie sich unter steigender Vervollkommnung &uuml;ber das ganze deutsche Gebiet ausgebreitet haben; bis zur Zeit der V&ouml;lkerwanderung, sagen wir, bis Ende des f&uuml;nften Jahrhunderts, erreichte sie einen verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig sehr hohen Stand. Nicht nur Eisen und Bronze, auch Gold und Silber wurden regelm&auml;&szlig;ig verarbeitet, r&ouml;mische M&uuml;nzen in den Gold-Brakteaten nachgemacht, die unedlen Metalle vergoldet; eingelegte Arbeit, Email, Filigranarbeit kommen vor; bei oft plumper Gestalt des ganzen Werkst&uuml;cks zeigen sich h&ouml;chst kunst- und geschmackvolle, nur zum Teil den R&ouml;mern nachgebildete Verzierungen - letzteres gilt namentlich von den Schnallen und Spangen oder Gewandnadeln, bei denen gewisse charakteristische Formen allgemein vorkommen. Im Britischen Museum liegen Spangen aus Kertsch am Asowschen Meer neben ganz &auml;hnlichen, die in England gefunden sind; sie k&ouml;nnten aus einer Fabrik sein. Der Stil dieser Arbeiten ist im Grundzug derselbe - bei oft scharfen lokalen Besonderheiten - von Schweden bis zur Unterdonau und vom Schwarzen Meer bis Frankreich und England. Diese erste Periode der deutschen Metallindustrie geht unter auf dem Festlande mit dem Schlu&szlig; der V&ouml;lkerwanderung und der allgemeinen Annahme des Christentums; in England und Skandinavien erh&auml;lt sie sich etwas l&auml;nger.</P>
<P>Wie allgemein verbreitet diese Industrie bei den Deutschen im 6. und 7. Jahrhundert war und wie sehr sie sich schon als besondrer Gewerbs- <A NAME="S459"><B>|459|</A></B> zweig abgeschieden hatte, beweisen die Volksrechte. Schmiede, Schwertmacher, Gold- und Silberschmiede werden h&auml;ufig erw&auml;hnt, im alamannischen Gesetz sogar solche, die &ouml;ffentlich gepr&uuml;ft (publice probati) sind. Das bayrische Gesetz belegt den Diebstahl aus einer Kirche, aus dem herzoglichen Hof, aus einer Schmiede oder M&uuml;hle mit h&ouml;herer Strafe, "weil diese vier Geb&auml;ude &ouml;ffentliche H&auml;user sind und stets offen stehn". Der Goldschmied hat im friesischen Gesetz ein um <SMALL><SUP>1</SUP></SMALL>/<SMALL><SMALL>4</SMALL></SMALL> h&ouml;heres Wergeld als andre Leute seines Standes; das salische Gesetz sch&auml;tzt den einfachen Leibeignen auf 12 Solidi, dagegen den, der Schmied (faber) ist, auf 35.</P>
<P>Vom <I>Schiffbau</I> haben wir schon gesprochen. Die Nydamer Boote sind Ruderboote, das gr&ouml;&szlig;ere, eichene, f&uuml;r vierzehn Paar Ruderer, das kleinere ist aus F&ouml;hrenholz. Ruder, Steuer, Sch&ouml;pfkellen lagen noch darin. Erst nachdem die Deutschen auch die Nordsee zu befahren angefangen, scheinen sie von R&ouml;mern und Kelten den Gebrauch der Segel angenommen zu haben.</P>
<I><P>T&ouml;pferei</I> war ihnen schon zu Tacitus' Zeit bekannt, wohl nur Handt&ouml;pferei. Die R&ouml;mer hatten an der Grenze, namentlich innerhalb des Grenzwalls in Schwaben und Bayern, gro&szlig;e T&ouml;pfereien, worin, wie die eingebrannten Namen der Arbeiter beweisen, auch Deutsche besch&auml;ftigt wurden. Mit diesen mu&szlig; die Kenntnis des Glasflusses und der T&ouml;pferscheibe sowie h&ouml;here technische Fertigkeit nach Deutschland gekommen sein. Auch die Glasbereitung war den &uuml;ber die Donau eingebrochenen Deutschen bekannt geworden; in Bayern und Schwaben sind Glasgef&auml;&szlig;e, farbige Glasperlen und Glaseins&auml;tze bei Metallwaren, s&auml;mtlich deutschen Ursprungs, oft gefunden worden.</P>
<P>Endlich finden wir die Runenschrift nunmehr allgemein verbreitet und angewandt. Der Taschberger Fund hat eine Schwertscheide und einen Schildbuckel, die mit Runen bezeichnet sind. Dieselben Runen treffen wir auf einem in der Walachei gefundnen Goldring, auf Spangen aus Bayern und Burgund, endlich auf den &auml;ltesten Runensteinen Skandinaviens. Es ist das vollst&auml;ndigere Runenalphabet, aus dem sp&auml;ter die angels&auml;chsischen Runen sich fortgebildet haben; es enth&auml;lt sieben Schriftzeichen mehr als die sp&auml;ter in Skandinavien zur Herrschaft gekommne nordische Runenzeile und zeigt auch auf eine &auml;ltere Sprachform hin als die, in der das &auml;lteste Nordisch uns erhalten ist. Es war &uuml;brigens ein &auml;u&szlig;erst schwerf&auml;lliges Schriftsystem, aus r&ouml;mischen und griechischen Buchstaben so abge&auml;ndert, da&szlig; es sich bequem auf Stein oder Metall und namentlich auf Holzst&auml;be einritzen (writen) lie&szlig;. Die runden Formen hatten eckigen weichen m&uuml;ssen; nur senkrechte oder schr&auml;ge Striche waren m&ouml;glich, keine horizontalen, <A NAME="S460"><B>|460|</A></B> alles der Holzfaser wegen; aber eben dadurch wurde es &auml;u&szlig;erst unbeh&uuml;lflich f&uuml;r Schrift auf Pergament oder Papier. Und in der Tat, soweit wir beurteilen k&ouml;nnen, hat es auch fast nur f&uuml;r Kultuszwecke und Zauberei und f&uuml;r Inschriften, wohl auch f&uuml;r andre kurze Mitteilungen gedient; sobald das Bed&uuml;rfnis einer wirklichen B&uuml;cherschrift entstand, wie bei Goten und sp&auml;ter bei Angelsachsen, wurde es fortgeworfen und eine neue Anpassung des griechischen oder r&ouml;mischen Alphabets vorgenommen, bei der nur einzelne Runenzeichen bewahrt blieben.</P>
<P>Endlich m&uuml;ssen die Deutschen w&auml;hrend des hier behandelten Zeitraums auch in Ackerbau und Viehzucht bedeutende Fortschritte gemacht haben. Die Beschr&auml;nkung auf feste Wohnsitze zwang dazu; der enorme Zuwachs an Bev&ouml;lkerung, der in der V&ouml;lkerwanderung zum &Uuml;berfluten kommt, w&auml;re ohne sie unm&ouml;glich gewesen. Manches St&uuml;ck Urwald mu&szlig; gerodet worden sein, und wahrscheinlich geh&ouml;ren die meisten der "Hoch&auml;cker" - Waldst&uuml;cke, die Spuren uralten Ackerbaus aufzeigen - hierher, soweit sie auf damals deutschem Gebiet liegen. Die speziellen Nachweise fehlen hier nat&uuml;rlich. Wenn aber schon Probus gegen Ende des 3. Jahrhunderts deutsche Pferde f&uuml;r seine Reiterei vorzog, und wenn das gro&szlig;e wei&szlig;e Rind, das in den s&auml;chsischen Gegenden Britanniens das kleine schwarze keltische verdr&auml;ngt hat, durch die Angelsachsen dorthin gekommen ist, wie jetzt angenommen wird, so zeigt dies auch in der Viehzucht und damit im Ackerbau der Deutschen eine vollst&auml;ndige Revolution an.</P>
<P ALIGN="CENTER"><EFBFBD><EFBFBD><EFBFBD><EFBFBD><EFBFBD></P>
<P>Das Ergebnis unsrer Untersuchung ist, da&szlig; die Deutschen von C&auml;sar bis Tacitus einen bedeutenden Fortschritt in der Zivilisation gemacht hatten, da&szlig; sie aber von Tacitus bis zum Beginn der V&ouml;lkerwanderung - rund 400 - noch weit rascher fortschritten. Der Handel kam zu ihnen, brachte ihnen r&ouml;mische Industrieprodukte und damit wenigstens teilweise r&ouml;mische Bed&uuml;rfnisse; er erweckte eine eigne Industrie, die sich zwar an r&ouml;mische Vorbilder anlehnte, aber dabei ganz selbst&auml;ndig sich entwickelte. Die schleswigschen Moorfunde stellen die erste der Zeit nach bestimmbare Etappe dieser Industrie dar; die Funde aus der Zeit der V&ouml;lkerwanderung die zweite, eine h&ouml;here Entwicklung aufweisende. Eigent&uuml;mlich ist dabei, da&szlig; die westlicheren St&auml;mme gegen die des Innern und namentlich der Ostseek&uuml;sten entschieden zur&uuml;ckstehn. Die Franken und Alamannen und noch sp&auml;ter die Sachsen liefern Metallwaren von geringerer Arbeit als die Angelsachsen, Skandinavier und die aus dem Innern ausgezognen V&ouml;lker - <A NAME="S461"><B>|461|</A></B> die Goten am Schwarzen Meer und der Unterdonau, die Burgunder in Frankreich. Der Einflu&szlig; der alten Handelswege von der Mitteldonau l&auml;ngs der Elbe und Oder ist hier nicht zu verkennen. Gleichzeitig bilden sich die K&uuml;stenbewohner zu geschickten Schiffsbauern und k&uuml;hnen Seeleuten; &uuml;berall nimmt die Volkszahl rei&szlig;end zu; das von den R&ouml;mern eingeengte Gebiet reicht nicht mehr; es entstehn zuerst im fernen Osten neue Z&uuml;ge landsuchender St&auml;mme, bis endlich die wogende Masse an allen Ecken und Enden, zu Land wie zu See, unaufhaltsam auf neues Gebiet hin&uuml;berstr&ouml;mt.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_IV">Anmerkung: Die deutschen St&auml;mme</H3>
<P></A>In das Innere von Gro&szlig;germanien sind r&ouml;mische Heere nur auf wenigen Marschlinien und w&auml;hrend eines kurzen Zeitraums gekommen, und auch da nur bis zur Elbe; Kaufleute und sonstige Reisende kamen ebenfalls bis auf Tacitus' Zeit nur selten und nicht weit hinein. Kein Wunder, da&szlig; die Nachrichten &uuml;ber dies Land und seine Bewohner so ungen&uuml;gend und widersprechend sind; es ist eher &uuml;berraschend, da&szlig; wir &uuml;berhaupt noch so viel Sichres erfahren.</P>
<P>Unter den Quellen selbst sind die beiden griechischen Geographen nur da unbedingt brauchbar, wo sie unabh&auml;ngige Best&auml;tigung finden. Beide waren Buchgelehrte, Sammler, in ihrer Art und nach ihren Mitteln auch kritische Sichter eines uns jetzt gro&szlig;enteils verlernen Materials. Pers&ouml;nliche Kenntnis des Landes fehlte ihnen. Strabo l&auml;&szlig;t die den R&ouml;mern so wohlbekannte Lippe, statt in den Rhein, parallel mit Ems und Weser in die Nordsee flie&szlig;en und ist ehrlich genug einzugestehn, da&szlig; die Gegend jenseits der Elbe g&auml;nzlich unbekannt sei. W&auml;hrend er sich der Widerspr&uuml;che seiner Quellen und eigner Zweifel entledigt vermittelst eines naiven Rationalismus, der oft an den Anfang unsres Jahrhunderts erinnert, versucht der wissenschaftliche Geograph Ptolem&auml;us, den einzelnen in seinen Quellen genannten deutschen St&auml;mmen im unerbittlichen Gradnetz seiner Karte mathematisch bestimmte Pl&auml;tze anzuweisen. So gro&szlig;artig das Gesamtwerk des Ptolem&auml;us f&uuml;r seine Zeit, so irreleitend ist seine Geographie Germaniens. Erstens sind die ihm vorliegenden Nachrichten meist unbestimmt und widerspruchsvoll, oft direkt falsch. Zweitens aber ist seine Karte verzeichnet, Flu&szlig;l&auml;ufe und Gebirgsz&uuml;ge gro&szlig;enteils total unrichtig eingetragen. Es ist, als wenn ein ungereister Berliner Geograph, etwa um 1820, sich verpflichtet f&uuml;hlte, den leeren Raum auf der Karte von Afrika auszuf&uuml;llen, indem er die Nachrichten aller Quellen seit Leo Africanus <A NAME="S462"><B>|462|</A></B> in Harmonie bringt und jedem Flu&szlig; und jedem Gebirge einen bestimmten Lauf, jedem Volk einen genauen Sitz anweist. Bei solchen Versuchen, Unm&ouml;gliches zu leisten, m&uuml;ssen die Irrt&uuml;mer der benutzten Quellen noch versch&auml;rft werden. So setzt Ptolem&auml;us viele V&ouml;lker doppelt an; Lakkobarden an der Niederelbe, Langobarden vom Mittelrhein bis zur Mittelelbe; er kennt ein doppeltes B&ouml;hmen, das eine bewohnt von Markomannen, das andre von Bainochaimen usw. Wenn Tacitus ausdr&uuml;cklich sagt, es g&auml;be keine St&auml;dte in Germanien, so wei&szlig; Ptolem&auml;us, kaum 50 Jahre sp&auml;ter, schon 96 Orte mit Namen anzuf&uuml;hren. Manche dieser Namen m&ouml;gen richtige Ortsnamen sein; Ptolem&auml;us scheint viele Nachrichten von Kaufleuten gesammelt zu haben, die um diese Zeit schon in gr&ouml;&szlig;erer Zahl den Osten Deutschlands besuchten und die sich allm&auml;hlich fixierenden Namen der von ihnen besuchten Orte kennenlernten. Woher andre r&uuml;hren, zeigt das eine Beispiel der angeblichen Stadt Siatutanda, die unser Geograph aus den Worten: ad sua tutanda |zu seinem Schutz| des Tacitus, wohl aus einer schlechten Handschrift, herausliest. Daneben finden sich Nachrichten von &uuml;berraschender Genauigkeit und vom h&ouml;chsten historischen Wert. So ist Ptolem&auml;us der einzige unter den Alten, der die Langobarden, zwar unter dem entstellten Namen Lakkobarden, genau an die Stelle setzt, wo noch heute Bardengau und Bardenwic von ihnen zeugen; ebenso Ingrionen in dem Engersgau, wo noch heute Engers am Rhein bei Neuwied. So f&uuml;hrt er, ebenfalls allein, die Namen von den litauischen Galinden und Suditen auf, die noch heute in den ostpreu&szlig;ischen Landschaften Gel&uuml;nden und Sudauen fortbestehn. Solche F&auml;lle aber beweisen nur seine gro&szlig;e Gelehrsamkeit, nicht die Richtigkeit seiner &uuml;brigen Angaben. Zum &Uuml;berflu&szlig; ist der Text, besonders was die Hauptsache, die Namen, angeht, entsetzlich verderbt.</P>
<P>Direkteste Quelle bleiben die R&ouml;mer, namentlich die, welche das Land selbst besucht haben. Vellejus war in Deutschland als Soldat und schreibt als Soldat, etwa in der Art, wie ein Offizier der grande arm&eacute;e von den Feldz&uuml;gen von 1812 und 1813 schreibt. Nicht einmal f&uuml;r die milit&auml;rischen Ereignisse erlaubt seine Erz&auml;hlung die Lokalit&auml;ten festzustellen; kein Wunder in einem Lande ohne St&auml;dte. Plinius hatte ebenfalls in Deutschland als Reiteroffizier gedient und u.a. die chaukische K&uuml;ste besucht; auch hatte er in zwanzig B&uuml;chern alle mit den Germanen gef&uuml;hrten Kriege beschrieben; hieraus sch&ouml;pfte Tacitus. Dazu war Plinius der erste R&ouml;mer, der an den Dingen im Barbarenlande ein mehr als politisch-milit&auml;risches, ein theoretisches Interesse nahm. |In der Handschrift gestrichen: "Dazu war er Naturforscher."| Seine Nachricht von den deutschen <A NAME="S463"><B>|463|</A></B> St&auml;mmen mu&szlig; daher, als auf eigener Erkundigung des wissenschaftlichen Enzyklop&auml;disten Roms beruhend, von besonderm Gewicht sein. Da&szlig; Tacitus in Deutschland gewesen, wird traditionell behauptet, einen Beweis finde ich nicht. Jedenfalls konnte er zu seiner Zeit direkte Nachrichten nur dicht an Rhein und Donau sammeln.</P>
<P>Die V&ouml;lkertafeln der "Germania" [des Tacitus] und des Ptolem&auml;us unter sich und mit dem Gewirr der &uuml;brigen alten Nachrichten in Einklang zu bringen, haben zwei klassische B&uuml;cher vergebens versucht: Kaspar Zeu&szlig;' "[Die] Deutsche[n und die Nachbarst&auml;mme]" und Jakob Grimms "Geschichte der deutschen Sprache". Was diesen beiden genialen Gelehrten und was auch seitdem nicht gelungen, wird man wohl als mit unsern gegenw&auml;rtigen Mitteln unl&ouml;sbar ansehn d&uuml;rfen. Die Unzul&auml;nglichkeit dieser Mittel geht grade daraus hervor, da&szlig; jene beide gen&ouml;tigt waren, sich falsche H&uuml;lfstheorien zu konstruieren; Zeu&szlig;, da&szlig; das letzte Wort aller streitigen Fragen in Ptolem&auml;us zu suchen sei, obwohl niemand die Grundirrt&uuml;mer des Ptolem&auml;us sch&auml;rfer kennzeichnet als grade er; Grimm, da&szlig; die Macht, die das r&ouml;mische Weltreich umst&uuml;rzte, auf einem breiteren Boden erwachsen sein m&uuml;sse als das Gebiet zwischen Rhein, Donau und Weichsel, und da&szlig; deshalb mit Goten und Daken noch der gr&ouml;&szlig;te Teil des Landes im Norden und Nordosten der Unterdonau als deutsch anzusetzen sei. Sowohl Zeu&szlig;' wie Grimms Annahmen sind heute veraltet.</P>
<P>Versuchen wir wenigstens einige Klarheit in die Sache zu bringen, indem wir die Aufgabe beschr&auml;nken. Gelingt es uns, eine allgemeinere Gruppierung der V&ouml;lkerschaften nach einigen wenigen Hauptst&auml;mmen fertigzubringen, so wird der sp&auml;teren Detailforschung ein sicherer Boden gewonnen. Und hier bietet uns die Stelle des Plinius einen Anhaltspunkt, dessen Festigkeit sich im Verfolg der Untersuchung mehr und mehr bew&auml;hrt und der jedenfalls auf weniger Schwierigkeiten f&uuml;hrt, uns in weniger Widerspr&uuml;che verwickelt als irgendein andrer.</P>
<P>Allerdings, wenn wir von Plinius ausgehn, m&uuml;ssen wir die unbedingte Anwendbarkeit der taciteischen Trias und der alten Sage von des Mannus drei S&ouml;hnen Ing, Isk und Ermin fallenlassen. Aber erstens wei&szlig; Tacitus selbst mit seinen Ing&auml;vonen, Isk&auml;vonen und Herminonen nichts anzufangen. Er macht nicht den geringsten Versuch, die von ihm einzeln aufgez&auml;hlten V&ouml;lker unter jene drei Hauptst&auml;mme zu gruppieren. Und zweitens ist dies auch sp&auml;ter niemandem gelungen. Zeu&szlig; strengt sich gewaltig an, die gotischen V&ouml;lker, die er als "Ist&auml;vonen" fa&szlig;t, in die Trias einzuzw&auml;ngen, und bringt dadurch nur eine noch gr&ouml;&szlig;ere Verwirrung zustande. Die Skandinavier hineinzubringen, versucht er nicht einmal und konstituiert sie als <A NAME="S464"><B>|464|</A></B> vierten Hauptstamm. Damit ist aber die Trias ebensosehr durchbrochen wie mit den f&uuml;nf Hauptst&auml;mmen des Plinius.</P>
<P>Sehen wir uns nun diese f&uuml;nf St&auml;mme im einzelnen an.</P>
<P>I. Vindili, quorum pars Burgundiones, Varini, Carini, Guttones.<SMALL><SUP> </SUP></SMALL>Wir haben hier drei V&ouml;lker: die Vandalen. die Burgunder und die Goten selbst, von denen es feststeht, erstens, da&szlig; sie gotische Dialekte sprachen, und zweitens, da&szlig; sie um jene Zeit tief im Osten Germaniens wohnten: Goten an und jenseits der Weichselm&uuml;ndung, Burgunder von Ptolem&auml;us in die Wartagegend bis zur Weichsel gesetzt, Vandalen von Dio Cassius (der das Riesengebirge nach ihnen benennt) nach Schlesien. Zu diesem <I>gotischen</I> Hauptstamm, wie wir ihn nach der Sprache bezeichnen wollen, d&uuml;rfen wir wohl unbedingt alle jene V&ouml;lker rechnen, deren Dialekt Grimm auf den gotischen zur&uuml;ckgef&uuml;hrt hat, also zun&auml;chst die Gegenden, denen Prokop gradezu, wie auch den Vandalen, gotische Sprache zuschreibt. Von ihrem fr&uuml;heren Wohnsitz wissen wir nichts, ebensowenig von dem der Heruler, die Grimm neben Skiren und Rugiern auch zu den Goten stellt. Die Skiren nennt Plinius an der Weichsel, die Rugier Tacitus gleich neben den Goten an der K&uuml;ste. Die gotische Mundart h&auml;lt hiernach ein ziemlich kompaktes Gebiet zwischen den vandalischen Bergen (Riesengebirge), der Oder und der Ostsee bis an und &uuml;ber die Weichsel hinaus besetzt.</P>
<P>Wer die Cariner waren, wissen wir nicht. Einige Schwierigkeit verursachen die Warner. Tacitus f&uuml;hrt sie neben Angeln unter den sieben der Nerthus opfernden V&ouml;lkern an, von denen schon Zeu&szlig; mit Recht bemerkt, da&szlig; sie ein eigent&uuml;mlich ing&auml;vonisches Aussehn haben. Die Angeln aber rechnet Ptolem&auml;us zu den Sueven, was offenbar falsch. Zeu&szlig; sieht in einem oder zwei entstellten Namen bei demselben Geographen die Warner und stellt sie demgem&auml;&szlig; ins Havelland und zu den Sueven. Die &Uuml;berschrift des alten Volksrechts identifiziert ohne weiteres Warner und Th&uuml;ringer; aber das Recht selbst ist den Warnern und Angeln gemeinsam. Nach allem diesem mu&szlig; es zweifelhaft bleiben, ob die Warner gotischem oder ing&auml;vonischem Stamm zuzurechnen sind; da sie g&auml;nzlich verschollen, ist die Frage auch nicht von besondrer Bedeutung.</P>
<P>II. Altera pars Ingaevones, quorum pars Cimbri, Teutoni ac Chaucorum gentes.</P>
<P>Plinius weist hier den Ing&auml;vonen also zun&auml;chst die cimbrische Halbinsel und das K&uuml;stenland zwischen Elbe und Ems als Wohnsitz an. Von den drei genannten V&ouml;lkern waren die Chauken wohl unzweifelhaft n&auml;chste <A NAME="S465"><B>|465|</A></B> Verwandte der Friesen. Friesische Sprache herrscht noch heute an der Nordsee, im holl&auml;ndischen Westfriesland, im oldenburgischen Saterland, im schleswigschen Nordfriesland. Zur Karolingerzeit wurde an der ganzen K&uuml;ste vom Sinkfal (der Bucht, die noch heute die Grenze zwischen dem belgischen Flandern und dem holl&auml;ndischen Seeland bildet) bis nach Sylt und dem schleswigschen Widau und wahrscheinlich noch ein gut St&uuml;ck weiter nach Norden fast nur friesisch gesprochen; nur zu beiden Seiten der Elbm&uuml;ndung trat s&auml;chsische Sprache bis ans Meer.</P>
<P>Unter Cimbern und Teutonen versteht Plinius offenbar die damaligen Bewohner des cimbrischen Chersones, die also zum chaukisch-friesischen Sprachstamm geh&ouml;rten. Wir d&uuml;rfen also mit Zeu&szlig; und Grimm in den Nordfriesen direkte Nachkommen jener &auml;ltesten Halbinsel-Deutschen sehn.</P>
<P>Dahlmann ("Geschichte] von D&auml;nemark") behauptet zwar, die Nordfriesen seien erst im f&uuml;nften Jahrhundert von S&uuml;dwesten her nach der Halbinsel eingewandert. Aber er gibt nicht den geringsten Beleg daf&uuml;r, und seine Angabe ist auch bei allen sp&auml;teren Untersuchungen mit Recht ganz unber&uuml;cksichtigt geblieben.</P>
<P>Ing&auml;vonisch w&auml;re hiernach zun&auml;chst gleichbedeutend mit Friesisch, in dem Sinne, da&szlig; wir den ganzen Sprachstamm nach der Mundart benennen, von der allein uns &auml;ltere Denkm&auml;ler und fortlebende Dialekte geblieben sind. Aber ist damit der Umfang des ing&auml;vonischen Stammes ersch&ouml;pft? Oder hat Grimm recht, wenn er die Gesamtheit dessen, was er, nicht ganz genau, als niederdeutsch bezeichnet, darunter zusammenfa&szlig;t, also neben den Friesen noch die Sachsen?</P>
<P>Geben wir von vornherein zu, da&szlig; bei Plinius den Sachsen ein ganz unrichtiger Platz angewiesen wird, indem die Cherusker zu den Herminonen gestellt werden. Wir werden sp&auml;ter finden, da&szlig; in der Tat nichts &uuml;brigbleibt, als die Sachsen ebenfalls den Ing&auml;vonen zuzurechnen und so diesen Hauptstamm als den friesisch-s&auml;chsischen zu fassen.</P>
<P>Es ist hier der Ort, von den Angeln zu sprechen, die Tacitus m&ouml;glicherweise, Ptolem&auml;us mit Bestimmtheit zu den Sueven rechnet. Dieser setzt sie aufs rechte Elbufer, den Langobarden gegen&uuml;ber, womit, wenn die Angabe &uuml;berhaupt etwas Richtiges enthalten soll, nur die <I>wirklichen</I> Langobarden an der Niederelbe gemeint sein k&ouml;nnen; die Angeln k&auml;men also von Lauenburg etwa bis in die Prignitz. Sp&auml;ter finden wir sie in der Halbinsel selbst, wo ihr Name sich erhalten hat und von wo sie mit den Sachsen nach Britannien zogen. Ihre Sprache erscheint jetzt als Element des Angels&auml;chsischen, und zwar als das entschieden <I>friesische</I> Element dieser neugebildeten Mundart. Was auch aus den im Innern Deutschlands zur&uuml;ckgebliebenen <A NAME="S466"><B>|466|</A></B> oder verschlagenen Angeln geworden sein mag, diese Tatsache allein zwingt uns, die Angeln zu den Ing&auml;vonen zu schlagen, und zwar zum friesischen Zweig derselben. Ihnen ist der ganze, weit mehr friesische als s&auml;chsische Vokalismus des Angels&auml;chsischen zu danken, ihnen der Umstand, da&szlig; die Weiterentwicklung dieser Sprache in vielen F&auml;llen auffallend der der friesischen Dialekte parallel geht. Von allen kontinentalen Dialekten stehn die friesischen dem englischen heute am n&auml;chsten. So ist auch die Umwandlung der Kehllaute in Zischlaute im Englischen nicht franz&ouml;sischen, sondern friesischen Ursprungs. Das englische <I>ch</I> = <I><FONT FACE="Times New Roman"></I></FONT> statt <I>k</I>, das englische <I><FONT FACE="Times New Roman">d~</I></FONT> f&uuml;r <I>g</I> vor weichen Vokalen konnte wohl aus friesischem <I>tz</I>, <I>tj</I> f&uuml;r <I>k</I>, <I>dz</I> f&uuml;r <I>g</I> entstehn, nie aber aus franz&ouml;sischem <I>ch</I> und <I>g</I>.</P>
<P>Mit den Angeln m&uuml;ssen wir auch die J&uuml;ten zum friesisch-ing&auml;vonischen Stamm schlagen, ob sie nun schon zu Plinius' oder Tacitus' Zeit auf der Halbinsel sa&szlig;en oder erst sp&auml;ter dahin eingewandert sind. Grimm findet ihren Namen in dem der Eudoses, einem der Nerthus dienenden V&ouml;lker des Tacitus; sind die Angeln ing&auml;vonisch, so wird es schwer, die &uuml;brigen V&ouml;lker dieser Gruppe einem andern Stamm zuzuweisen. Dann reichten die Ing&auml;vonen bis in die Gegend der Oderm&uuml;ndung, und die L&uuml;cke zwischen ihnen und den gotischen V&ouml;lkern w&auml;re ausgef&uuml;llt.</P>
<P>III. Proximi autem Rheno Iscaevones (alias Istaevones), quorum pars Sicambri.</P>
<P>Schon Grimm und nach ihm andre, z.B. Waitz, identifizierten mehr oder weniger Isk&auml;vonen und Franken. Was Grimm aber irremacht, ist die Sprache. Seit der Mitte des neunten Jahrhunderts sind alle deutschen Dokumente des Frankenreichs in einer von der althochdeutschen nicht zu trennenden Mundart abgefa&szlig;t; Grimm nimmt also an, da&szlig; das Altfr&auml;nkische in der Fremde untergegangen und in der Heimat durch Hochdeutsch ersetzt worden sei, und so schl&auml;gt er denn die Franken schlie&szlig;lich zu den Hochdeutschen.</P>
<P>Da&szlig; das Altfr&auml;nkische den Wert eines selbst&auml;ndigen, zwischen S&auml;chsisch und Hochdeutsch die Mitte haltenden Dialekts hat, gibt Grimm selbst als das Resultat seiner Untersuchung der erhaltenen Sprachreste an. Dies gen&uuml;gt hier vorderhand; eine n&auml;here Untersuchung der fr&auml;nkischen Sprachverh&auml;ltnisse, &uuml;ber welche noch viel Unklarheit herrscht, mu&szlig; einer <A HREF="me19_474.htm#S494">besondern Anmerkung</A> vorbehalten bleiben.</P>
<P>Allerdings erscheint das dem isk&auml;vonischen Stamm zufallende Gebiet verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig klein f&uuml;r einen ganzen deutschen Hauptstamm, und noch <A NAME="S467"><B>|467|</A></B> dazu f&uuml;r einen, der eine so gewaltige Rolle in der Geschichte gespielt hat. Vom Rheingau an begleitet es den Rhein, bis an die Quellen der Dill, Sieg, Ruhr, Lippe und Ems ins Innere Land reichend, nach Norden durch Friesen und Chauken von der See abgeschnitten, dazu an der Rheinm&uuml;ndung durchsetzt von V&ouml;lkertr&uuml;mmern andern, meist chattischen Stamms: Batavern, Chattuariern etc. Zu den Franken geh&ouml;ren dann noch die links vom Niederrhein angesiedelten Deutschen; ob auch Triboker, Vangionen, Nemeter? Der geringe Umfang dieses Gebiets erkl&auml;rt sich indes durch den Widerstand, den am Rhein die Kelten und seit C&auml;sar die R&ouml;mer der Ausbreitung der Isk&auml;vonen entgegensetzten, w&auml;hrend im R&uuml;cken schon Cherusker sich niedergelassen hatten und von der Seite Sueven, namentlich Chatten, wie von C&auml;sar bezeugt, sie mehr und mehr einengten. Da&szlig; hier eine f&uuml;r deutsche Verh&auml;ltnisse dichte Bev&ouml;lkerung auf kleinem Raum zusammengedr&auml;ngt war, beweist das fortw&auml;hrende Andringen &uuml;ber den Rhein: anfangs durch erobernde Scharen, sp&auml;ter durch freiwilligen &Uuml;bertritt auf r&ouml;misches Gebiet, wie bei den Ubiern. Aus demselben Grunde gelang es hier und nur hier den R&ouml;mern mit Leichtigkeit, schon fr&uuml;h bedeutende Teile isk&auml;vonischer Volksst&auml;mme auf r&ouml;misches Gebiet &uuml;berzuf&uuml;hren.</P>
<P>Die in der Anmerkung &uuml;ber den fr&auml;nkischen Dialekt zu f&uuml;hrende Untersuchung wird den Beweis liefern, da&szlig; die Franken eine gesonderte, in sich in verschiedne Volksst&auml;mme gegliederte Gruppe der Deutschen ausmachen, einen besondern, in mannigfaltige Mundarten zerfallenden Dialekt sprechen, kurz, alle Kennzeichen eines germanischen Hauptstamms besitzen, wie dies erforderlich ist, um sie mit den Isk&auml;vonen f&uuml;r identisch zu erkl&auml;ren. &Uuml;ber die einzelnen, diesem Hauptstamm angeh&ouml;rigen V&ouml;lkerschaften hat bereits J. Grimm das N&ouml;tige gesagt. Er rechnet hierher au&szlig;er den Sigambern Ubier, Chamaver, Brukterer, Tenkterer und Usipeter. also die V&ouml;lker, die das fr&uuml;her von uns als isk&auml;vonisch bezeichnete rechtsrheinische Gebiet bewohnten.</P>
<P>IV. Mediterranei Hermiones, quorum Suevi, Hermunduri, Chatti, Cherusci.</P>
<P>Schon J. Grimm identifiziert die Herminonen, um des Tacitus' genauere Schreibweise zu gebrauchen, mit den Hochdeutschen. Der Name Sueven, der nach C&auml;sar alle Hochdeutschen umfa&szlig;te, soweit sie ihm bekannt, f&auml;ngt an, sich zu differenzieren. Th&uuml;ringer (Hermunduren) und Hessen (Chatten) treten als gesonderte V&ouml;lker auf. Noch ungeschieden bleiben die &uuml;brigen <A NAME="S468"><B>|468|</A></B> Sueven. Wenn wir die vielen mysteri&ouml;sen, schon in den n&auml;chsten Jahrhunderten verschollenen Namen zun&auml;chst als unergr&uuml;ndlich beiseite lassen, so m&uuml;ssen diese Sueven doch drei gro&szlig;e, sp&auml;ter in die Geschichte eingreifende St&auml;mme hochdeutscher Zunge umfassen: die Alamannen-Schwaben, die Bayern und die Langobarden. Die Langobarden, das wissen wir bestimmt, wohnten am linken Ufer der Niederelbe, um den Bardengau, vereinzelt von ihren &uuml;brigen Stammesgenossen, vorgeschoben mitten zwischen ing&auml;vonischen V&ouml;lkern; diese ihre isolierte Stellung, die durch lange K&auml;mpfe behauptet werden mu&szlig;te, schildert Tacitus vortrefflich, ohne ihre Ursache zu kennen. Die Bayern, wie wir seit Zeu&szlig; und Grimm ebenfalls wissen, wohnten unter dem Namen Markomannen in B&ouml;hmen; Hessen und Th&uuml;ringer in ihren jetzigen Wohnsitzen und in den s&uuml;dlich ansto&szlig;enden Gebieten. Da nun s&uuml;dlich von Franken, Hessen und Th&uuml;ringern r&ouml;misches Gebiet begann, bleibt f&uuml;r die Schwaben-Alamannen kein andrer Platz &uuml;brig als zwischen Elbe und Oder, in der heutigen Mark Brandenburg und dem K&ouml;nigreich Sachsen; und hier finden wir ein suevisches Volk, die Semnonen. Mit diesen also w&auml;ren sie wohl identisch und grenzten im Nordwesten an Ing&auml;vonen, im Nordosten und Osten an gotische St&auml;mme.</P>
<P>Soweit geht alles ziemlich glatt ab. Nun aber rechnet Plinius auch die Cherusker zu den Herminonen, und hierin macht er entschieden ein Versehn. Schon C&auml;sar trennt sie bestimmt von den Sueven, zu denen er noch die Chatten rechnet. Auch Tacitus wei&szlig; nichts von einer Zusammengeh&ouml;rigkeit der Cherusker mit irgendwelchem hochdeutschen Stamm. Ebensowenig Ptolem&auml;us, der doch die Suevennamen bis &uuml;ber die Angeln ausdehnt. Die blo&szlig;e Tatsache, da&szlig; die Cherusker den Raum zwischen Chatten und Hermunduren im S&uuml;den und Langobarden im Nordosten ausf&uuml;llen, reicht noch lange nicht hin, um daraus auf n&auml;here Stammesverwandtschaft zu schlie&szlig;en; wenn auch vielleicht gerade sie den Plinius hier irregef&uuml;hrt hat.</P>
<P>Zu den Hochdeutschen hat meines Wissens kein Forscher, dessen Meinung in Betracht kommt, die Cherusker gerechnet. Bleibt also nur die Frage, ob sie zu den Ing&auml;vonen oder Isk&auml;vonen zu schlagen sind. Die wenigen Namen, die uns &uuml;berliefert, zeigen fr&auml;nkisches Gepr&auml;ge: <I>ch</I> statt des sp&auml;teren <I>h</I> in Cherusci, Chariomerus; <I>e</I> statt <I>i</I> in Segestes, Segimerus, Segimundus. Aber fast alle deutschen Namen, die den R&ouml;mern von der Rheinseite her kommen, scheinen in fr&auml;nkischer Form durch Franken ihnen &uuml;berliefert. Und ferner wissen wir nicht, ob die Gutturalaspirata der ersten Lautverschiebung, noch im 7ten Jahrhundert bei den Franken <I>ch</I>, im ersten Jahrhundert nicht bei allen Westdeutschen <I>ch</I> lautete und sich erst sp&auml;ter <A NAME="S469"><B>|469|</A></B> in das allen gemeinsame <I>h</I> abschw&auml;chte. Auch sonst finden wir keine Stammesverwandtschaft der Cherusker mit Isk&auml;vonen, wie sie sich z.B. in der Aufnahme der dem C&auml;sar entronnenen Reste der Usipeter und Tenkterer durch die Sigamber zeigt. Ebenso deckt sich das von den R&ouml;mern zu Varus' Zeit besetzte und als Provinz behandelte rechtsrheinische Gebiet mit dem isk&auml;vonisch-fr&auml;nkischen. Hier lagen Aliso und die &uuml;brigen r&ouml;mischen Festen; vom Cheruskerland scheint h&ouml;chstens der Strich zwischen Osning und Weser wirklich besetzt gewesen zu sein; jenseits waren Chatten, Cherusker, Chauken, Friesen mehr oder weniger unsichre, durch Furcht im Zaum gehaltene, aber in ihren innern Angelegenheiten autonome und von st&auml;ndiger r&ouml;mischer Besetzung befreite Bundesgenossen. Die R&ouml;mer machten in dieser Gegend bei st&auml;rkerem Widerstand stets die Stammesgrenze zum zeitweiligen Abschnitt der Eroberung. So hatte es auch C&auml;sar in Gallien gemacht; an der Grenze der Belgier machte er halt und &uuml;berschritt sie erst, als er des eigentlich sog. keltischen Galliens sicher zu sein glaubte.</P>
<P>Es bleibt also nichts &uuml;brig, als die Cherusker und die ihnen n&auml;chstverwandten kleineren Nachbarv&ouml;lker mit J. Grimm und der gew&ouml;hnlichen Ansicht zum s&auml;chsischen Stamm und damit zu den Ing&auml;vonen zu schlagen. Hierf&uuml;r spricht auch, da&szlig; grade im altcheruskischen Gebiet das alte s&auml;chsische <I>a</I> gegen&uuml;ber dem in Westfalen herrschenden <I>o</I> des genitivus pluralis und schwachen Masculinums sich am reinsten erhalten hat. Hiermit fallen alle Schwierigkeiten; der ing&auml;vonische Stamm erh&auml;lt wie die andren ein ziemlich abgerundetes Gebiet, in das nur die herminonischen Langobarden etwas vorspringen. Von den beiden gro&szlig;en Abteilungen des Stammes h&auml;lt die friesisch-anglisch-j&uuml;tische die K&uuml;ste und wenigstens den n&ouml;rdlichen und westlichen Teil der Halbinsel besetzt, die s&auml;chsische das innere Land und vielleicht auch jetzt schon einen Teil von Nordalbingien, wo bald darauf Ptolem&auml;us die Saxones zuerst nennt.</P>
<P>V. Quinta pars Peucini, Basternae contermini Dacis.</P>
<P>Das Wenige, das wir von diesen beiden V&ouml;lkern wissen, stempelt sie, wie schon die Namensform Basternae, zu Stammverwandten der Goten. Wenn Plinius sie als besondern Stamm auff&uuml;hrt, so r&uuml;hrt dies wohl davon her, da&szlig; er seine Kunde von ihnen von der Unterdonau her, durch griechische Vermittlung erhielt, w&auml;hrend seine Kenntnis von den gotischen V&ouml;lkern an Oder und Weichsel am Rhein und der Nordsee gesch&ouml;pft war und daher der Zusammenhang von Goten und Bastarnern ihm entging. <A NAME="S470"><B>|470|</A></B> Bastarner wie Peukiner sind an Karpaten und Donaum&uuml;ndung zur&uuml;ckgebliebne, noch l&auml;ngere Zeit herumziehende deutsche V&ouml;lker, die das sp&auml;tere gro&szlig;e Gotenreich vorbereiten, in dem sie verschollen sind.</P>
<P>VI. Die Hillevionen, unter welchem Gesamtnamen Plinius die germanischen Skandinavier auff&uuml;hrt, erw&auml;hne ich nur der Ordnung wegen und um nochmals zu konstatieren, da&szlig; alle alten Schriftsteller diesem Hauptstamm nur die Inseln (wozu auch Schweden und Norwegen gerechnet) anweisen, ihn von der cimbrischen Halbinsel ausschlie&szlig;end.</P>
<P>Somit h&auml;tten wir f&uuml;nf germanische Hauptst&auml;mme mit f&uuml;nf Hauptdialekten.</P>
<P>Der gotische, im Osten und Nordosten, hat im genitivus pluralis des Masculinums und Neutrums <I>&ecirc;</I>, das Femininum <I>&ocirc;</I> und <I>&ecirc;</I>; das schwache Masculinum hat a. Die Flexionsformen der Pr&auml;senskonjugation (des Indikativs) schlie&szlig;en sich, unter Ber&uuml;cksichtigung der Lautverschiebung, noch eng an die der urverwandten Sprachen, besonders des Griechischen und Lateinischen.</P>
<P>Der ing&auml;vonische, im Nordwesten, hat im genitivus pluralis a, f&uuml;r das schwache Masculinum ebenfalls <I>a</I>; im praesens indicativus alle drei Pluralpersonen auf <I>d</I> oder <I>dh</I> mit Aussto&szlig;ung aller Nasalen. Er teilt sich in die beiden Hauptzweige des S&auml;chsischen und Friesischen, die im Angels&auml;chsischen wieder zu einem verschmelzen. An den friesischen Zweig schlie&szlig;t sich</P>
<P>der skandinavische Stamm; genitivus pluralis auf <I>a</I>, schwaches Masculinum auf <I>i</I>, das aus a geschw&auml;cht ist, wie die ganze Deklination beweist. Im praesens indicativus ist das urspr&uuml;ngliche <I>s</I> der II. Person singularis in <I>r</I> &uuml;bergegangen, die I. Person pluralis bewahrt <I>m</I>, die II. <I>dh</I>, die &uuml;brigen Personen sind mehr oder weniger verst&uuml;mmelt.</P>
<P>Diesen dreien gegen&uuml;ber stehn die beiden s&uuml;dlichen St&auml;mme: der isk&auml;vonische und herminonische, in sp&auml;terer Ausdrucksweise der fr&auml;nkische und hochdeutsche. Beiden ist gemein das schwache Masculinum auf <I>o</I>; h&ouml;chstwahrscheinlich auch der genitivus pluralis auf <I>&ocirc;</I>, obwohl er im Fr&auml;nkischen nicht belegt ist und in den &auml;ltesten westlichen (salischen) Denkm&auml;lern der accusativus pluralis auf as endigt. In der Pr&auml;senskonjugation stehn beide Dialekte, soweit wir dies f&uuml;rs Fr&auml;nkische belegen k&ouml;nnen, nahe zusammen und schlie&szlig;en sich, hierin dem Gotischen &auml;hnlich, eng an die urverwandten Sprachen an. Beide Dialekte aber in einen zusammenzuwerfen verhindert uns die ganze Sprachgeschichte, von den sehr bedeutenden und altert&uuml;mlichen Eigenheiten des &auml;ltesten Fr&auml;nkisch an bis auf den gro&szlig;en Abstand der heutigen Mundarten beider; ebenso wie uns die ganze <A NAME="S473"><B>|473|</A></B> Geschichte der V&ouml;lker selbst unm&ouml;glich macht, beide zu einem Hauptstamm zu werfen.</P>
<P>Wenn ich in dieser ganzen Untersuchung nur auf die Flexionsformen, nicht aber auf die Lautverh&auml;ltnisse R&uuml;cksicht genommen, so erkl&auml;rt sich das aus den bedeutenden Ver&auml;nderungen, die in diesen - wenigstens in vielen Dialekten - zwischen dem ersten Jahrhundert und der Abfassungszeit unsrer &auml;ltesten Sprachquellen stattgefunden. In Deutschland brauche ich blo&szlig; an die zweite Lautverschiebung zu erinnern; in Skandinavien zeigen die Stabreime der &auml;ltesten Lieder, wie sehr die Sprache sich zwischen der Zeit ihrer Abfassung und der ihrer Niederschrift ver&auml;ndert hat. Was hier noch zu leisten ist, wird wohl von deutschen Sprachforschern von Fach noch geleistet werden, hier h&auml;tte es die Untersuchung nur unn&ouml;tig verwickelt gemacht.</P>
<P><HR size="1" align="center"></P>
<P>Fu&szlig;noten von Friedrich Engels</P>
<SMALL><SUP><P><A NAME="F1">(1)</A></SUP></SMALL> Ich folge hier vorwiegend Boyd Dawkins, "Early Man in Britain", London 1880. <A HREF="me19_425.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<SMALL><SUP><P><A NAME="F2">(2)</A></SUP></SMALL> Ich bezeichne die Jahreszahlen vor unsrer Zeitrechnung der K&uuml;rze halber nach mathematischer Art mit dem Minuszeichen (-). <A HREF="me19_425.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<SMALL><SUP><P><A NAME="F3">(3)</A></SUP></SMALL> "Bidrag till k&auml;nnedomen om Grekers och Romares f&ouml;rbindelse med Norden". Deutsch von J. Mestorf: "Der Einflu&szlig; der klass[ischen] V&ouml;lker etc.", Hamburg 1867. <A HREF="me19_425.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<SMALL><SUP><P><A NAME="F4">(4)</A></SUP></SMALL> Hans Hildebrand, "Das heidnische Zeitalter in Schweden". Deutsch von Mestorf, Hamburg 1873. <A HREF="me19_425.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
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<TD ALIGN="center" width="299" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</FONT></A></TD>
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