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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der "konstitutionelle Musterstaat</title>
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<p align="center"><a href="me05_435.htm"><font size="2">Die englisch-franz&ouml;sische
Vermittlung in Italien</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_440.htm"><font size="2">Der
Staatsprokurator "Hecker" und die "Neue Rheinische Zeitung"</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 437-439<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
<br>
<h1>Der "konstitutionelle Musterstaat"</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 123 vom 22. Oktober 1848]</font></p>
<p><b><a name="S437">&lt;437&gt;</a></b> *<i>K&ouml;ln,</i> 21 Oktober. Wir kommen immer wieder
und immer mit erneuter Genugtuung auf unsern <i>"konstitutionellen Musterstaat"</i>, auf
Belgien, zur&uuml;ck. In einer fr&uuml;heren Nummer unserer Zeitung wiesen wir nach, da&szlig;
der <i>"gr&ouml;&szlig;te Vasall Leopolds der Pauperismus"</i> ist. Wir zeigten nach,
da&szlig;, wenn die <i>Verbrechen</i>, auch nur der jungen Knaben und M&auml;dchen unter 18
Jahren, in gleicher Proportion wie vom Jahre 1845-1847 sich naturw&uuml;chsig weiter
entwickelten, "im Jahre 1856 ganz Belgien im Gef&auml;ngnis sitzen w&uuml;rde, die ungebornen
Kinder mitgez&auml;hlt". Wir wiesen ebendaselbst nach, da&szlig; mit dem Wachstume des
Pauperismus und des Verbrechens das Versiechen der industriellen Einkommenquellen Belgiens
gleichen Schritt h&auml;lt (<a href="me05_315.htm">Nr. 68 der" N[euen] Rh[einischen]
Z[eitung]"</a>).</p>
<p>Heute werfen wir einen Blick auf die <i>finanziellen</i> Zust&auml;nde des
<i>"Musterstaats"</i>.</p>
<center>
<table cellspacing="0" border="0" cellpadding="4" width="366">
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right">Francs</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p>Das ordentliche Budget von 1848</p>
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right">119.000.000</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p>Erste gezwungene Anleihe</p>
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right">12.000.000</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p>Zweite gezwungene Anleihe</p>
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right">25.000.000</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p>Bankbillets mit gezwungenem Kurs</p>
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right"><u>12.000.000</u></p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p align="right">Totalsumme:</p>
</td>
<td width="31%" valign="top" height="20">
<p align="right">168.000.000</p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p>Hinzuzuf&uuml;gen Bankbillets mit gezwungenem Kurs, unter Staatsgarantie</p>
</td>
<td width="31%" valign="bottom" height="20">
<p align="right"><u>40.000.000</u></p>
</td>
</tr>
<tr>
<td width="69%" valign="top" height="20">
<p align="right">Summe:</p>
</td>
<td width="31%" valign="bottom" height="20">
<p align="right">208.000.000</p>
</td>
</tr>
</table>
</center>
<br>
<br>
<p><b><a name="S438">&lt;438&gt;</a></b> Belgien, erz&auml;hlt uns Rogier, steht wie ein Fels
von den weltgeschichtlichen St&uuml;rmen umbraust, aber unerregt. Es steht auf den Urgebirgen
seiner breiten Institutionen. Die 208.000.000 Fr[ancs] sind die prosaische &Uuml;bersetzung der
wundert&auml;tigen Kraft jener Musterinstitutionen. Das konstitutionelle Belgien geht nicht
unter an der revolution&auml;ren Entwicklung. Er geht schm&auml;hlich zugrunde am -
<i>Bankerutt</i>.</p>
<p>Das <i>liberale</i> belgische Ministerium, das Ministerium Rogier, ist wie alle liberalen
Ministerien nichts anders als ein Ministerium der Kapitalisten, der Bankiers, der hohen
Bourgeoisie. Wir werden sogleich sehen, wie es, dem wachsenden Pauperismus und der sinkenden
Industrie zum Trotz, die raffiniertesten Mittel nicht verschm&auml;ht, das gesamte Volk
zugunsten der Bankbarone stets von neuem zu exploitieren.</p>
<p>Die zweite Anleihe, die in der obigen Zusammenstellung aufgestellt ist, wurde den Kammern
haupts&auml;chlich abgerungen durch die Versicherung, man wolle die <i>Schatzscheine</i>
einl&ouml;sen. Diese Schatzscheine hatte unter dem katholischen Ministerium <i>de Theux</i> der
katholische Finanzminister <i>Malou</i> ausgegeben. Es waren diese Schatzscheine ausgegeben
f&uuml;r freiwillige Anleihen, die einige Finanzbarone dem Staat gemacht hatten. Sie bildeten
das Hauptthema, das unersch&ouml;pfliche Thema der heulenden Diatriben unsers Rogiers und
seiner liberalen Konsorten gegen das Ministerium de Theux.</p>
<p>Was tut nun das liberale Ministerium? Es k&uuml;ndet im "Moniteur" - Belgien besitzt seinen
"Moniteur" - eine neue Ausgabe von Schatzscheinen zu 5 Prozent an.</p>
<p>Welche Schamlosigkeit, Schatzscheine auszugeben, nachdem man eine gezwungene Anleihe von
25.000.000 Fr[ancs] nur unter dem Vorwande erschlichen hatte, die so verl&auml;sterten von
Malou ausgegebenen Schatzscheine einzul&ouml;sen? Aber nicht genug.</p>
<p>Die Schatzscheine sind zu 5 Prozent ausgegeben. Belgische Papiere, die auch unter
Staatsgarantie stehen, verzinsen sich zu 7 und 8 Prozent. Wer wird also sein Geld in
Schatzscheine stecken? Und &uuml;berdem hat die Lage des Landes &uuml;berhaupt und die
gezwungenen Anleihen wenige &uuml;briggelassen, die imstande w&auml;ren, dem Staate freiwillige
Vorsch&uuml;sse zu machen.</p>
<p>Was also der Zweck dieser neuen Ausgabe von Schatzscheinen?</p>
<p>Die <i>Banken</i> haben die Billets mit Zwangskurs, zu deren Ausgabe die liberale Regierung
sie erm&auml;chtigte, noch bei weitem nicht alle in Umlauf zu setzen vermocht. Es befinden sich
in ihren Portefeuilles noch einige Millionen dieser nutzlosen Papiere, die nat&uuml;rlich
nichts einbringen, solange sie hermetisch in den Portefeuilles verschlossen bleiben. Gibt es
ein besseres Mittel, <a name="S439"><b>&lt;439&gt;</b></a> dies Papier in Umlauf zu setzen, als
es dem Staate im Austausche f&uuml;r Schatzscheine zu geben, die 5 Prozent einbringen?</p>
<p>Die Bank zieht so f&uuml;r mehrere Millionen Papierschnitzel, die ihr nichts gekostet und
die &uuml;berhaupt nur einen Tauschwert haben, weil der Staat ihnen einen Tauschwert gegeben
hat, 5 Prozent. Der steuerpflichtige belgische P&ouml;bel wird auf dem n&auml;chsten Budget ein
Defizit von einigen 100.000 Fr[ancs] mehr finden, die er pflichtgem&auml;&szlig; aufzubringen
hat, alles zum Besten der armen Bank.</p>
<p>Ist es zu verwundern, da&szlig; die belgischen Finanzbarone die konstitutionelle Monarchie
eintr&auml;glicher finden als die Republik? Das katholische Ministerium hegte und pflegte
haupts&auml;chlich die <i>heiligsten</i>, d.h. die <i>materiellen</i> Interessen der Landlords.
Das liberale Ministerium behandelt mit gleich z&auml;rtlicher Sorgfalt die Interessen der
Landlords, der Finanzbarone und der Hoflakaien. Welch Wunder, da&szlig; unter seiner
kunstgerechten Hand diese sogenannten Parteien, die gleich hei&szlig;hungrig auf den
Nationalreichtum, oder in Belgien vielmehr auf die Nationalarmut losst&uuml;rzen und bei dieser
Gelegenheit sich zuweilen in die Haare fielen, nun alle vers&ouml;hnt sich in die Arme sinken
und nur noch eine einzige gro&szlig;e Partei bilden, die <i>"nationale Partei"</i>?</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
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</html>