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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Anti-D&uuml;hring - Erster Abschnitt</TITLE>
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Abschnitt</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR.
1962. &raquo;Herrn Eugen D&uuml;hrung's Umw&auml;lzung der Wissenschaft&laquo;,
S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahl" -->32-135<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.08.1999</SMALL></P>
<H2>Friedrich Engels - Herrn Eugen D&uuml;hring's Umw&auml;lzung der Wissenschaft</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->Einleitung<!-- #EndEditable --></H1>
<hr size="1">
<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 align="center"><A NAME="Kap_III">III. Einteilung. Apriorismus</A></H3>
<P><SMALL><B>|32|</B> Philosophie ist, nach Herrn D&uuml;hring, die Entwicklung
der h&ouml;chsten Form des Bewu&szlig;tseins von Welt und Leben und umfa&szlig;t
in einem weitern Sinne die <I>Prinzipien </I>alles Wissens und Wollens. Wo irgendeine
Reihe von Erkenntnissen oder Antrieben oder eine Gruppe von Existenzformen f&uuml;r
das menschliche Bewu&szlig;tsein in Frage kommt, m&uuml;ssen die <I>Prinzipien</I>
dieser Gestalten ein Gegenstand der Philosophie sein. Diese Prinzipien sind die
einfachen oder bis jetzt als einfach vorausgesetzten Bestandteile, aus denen sich
das mannigfaltige Wissen und Wollen zusammensetzen l&auml;&szlig;t. &Auml;hnlich
wie die chemische Konstitution der K&ouml;rper kann auch die allgemeine Verfassung
der Dinge auf Grundformen und Grundelemente zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden. Diese
letzten Bestandteile oder Prinzipien gelten, sobald sie einmal gewonnen sind,
nicht blo&szlig; f&uuml;r das unmittelbar Bekannte und Zug&auml;ngliche, sondern
auch f&uuml;r die uns unbekannte und unzug&auml;ngliche Welt. Die philosophischen
Prinzipien bilden mithin die letzte Erg&auml;nzung, deren die Wissenschaften bed&uuml;rfen,
um zu einem einheitlichen System der Erkl&auml;rung von Natur und Menschenleben
zu werden. Au&szlig;er den Grundformen aller Existenz hat die Philosophie nur
zwei eigentliche Gegenst&auml;nde der Untersuchung, n&auml;mlich die Natur und
die Menschenwelt. Hiernach ergeben sich f&uuml;r die Anordnung unsres Stoffs <I>v&ouml;llig
ungezwungen</I> drei Gruppen, n&auml;mlich die allgemeine Weltschematik, die Lehre
von den Naturprinzipien und schlie&szlig;lich diejenige vom Menschen. In dieser
Abfolge ist zugleich <I>eine innere logische Ordnung</I> enthalten; denn die formalen
Grunds&auml;tze, welche f&uuml;r alles Sein gelten, gehn voran, und die gegenst&auml;ndlichen
Gebiete, auf die sie <I>anzuwenden</I> sind, folgen in der Abstufung ihrer Unterordnung
nach.</SMALL></P>
<P>So weit Herr D&uuml;hring, und fast ausschlie&szlig;lich w&ouml;rtlich. Also
um <I>Prinzipien</I> handelt es sich bei ihm, um aus dem <I>Denken</I>, nicht
aus der &auml;u&szlig;ern Welt, abgeleitete formale Grunds&auml;tze, die auf die
Natur und das Reich des Menschen anzuwenden sind, nach denen also Natur und Mensch
sich zu richten haben. Aber woher nimmt das Denken diese Grunds&auml;tze? Aus
sich selbst? Nein, denn Herr D&uuml;hring sagt selbst: das rein ideelle <A NAME="S33"></A><B>|33|</B>
Gebiet beschr&auml;nkt sich auf logische Schemata und mathematische Gebilde (welches
letztere noch dazu falsch ist, wie wir sehn werden). Die logischen Schemata k&ouml;nnen
sich nur auf <I>Denkformen</I> beziehn; hier aber handelt es sich nur um die Formen
des <I>Seins</I>, der Au&szlig;enwelt, und diese Formen kann das Denken niemals
aus sich selbst, sondern eben nur aus der Au&szlig;enwelt sch&ouml;pfen und ableiten.
Damit aber kehrt sich das ganze Verh&auml;ltnis um: die Prinzipien sind nicht
der Ausgangspunkt der Untersuchung, sondern ihr Endergebnis; sie werden nicht
auf Natur und Menschengeschichte angewandt, sondern aus ihnen abstrahiert; nicht
die Natur und das Reich des Menschen richten sich nach den Prinzipien, sondern
die Prinzipien sind nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen.
Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache, und die entgegenstehende
des Herrn D&uuml;hring ist idealistisch, stellt die Sache vollst&auml;ndig auf
den Kopf und konstruiert die wirkliche Welt aus dem Gedanken, aus irgendwo vor
der Welt von Ewigkeit bestehenden Schematen, Schemen oder Kategorien, ganz wie
- <I>ein Hegel</I>.</P>
<P>In der Tat. Legen wir die &raquo;Enzyklop&auml;die&laquo; Hegels mit all ihren Fieberphantasien
neben die endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz des Herrn D&uuml;hring.
Bei Herrn D&uuml;hring haben wir erstens die allgemeine Weltschematik, die bei
Hegel die <I>Logik</I> hei&szlig;t. Dann haben wir bei beiden die Anwendung dieser
Schemata, beziehungsweise logischen Kategorien auf die Natur: Naturphilosophie,
und endlich deren Anwendung auf das Reich des Menschen, was Hegel die Philosophie
des Geistes nennt. Die &raquo;innerlich logische Ordnung&laquo; der D&uuml;hringschen Abfolge
f&uuml;hrt uns also &raquo;v&ouml;llig ungezwungen&laquo; auf Hegels &raquo;Enzyklop&auml;die&laquo; zur&uuml;ck,
aus der sie mit einer Treue entnommen ist, die den Ewigen Juden der Hegelschen
Schule, den Professor Michelet in Berlin, zu Tr&auml;nen r&uuml;hren wird.</P>
<P>Das kommt davon, wenn man &raquo;das Bewu&szlig;tsein&laquo;, &raquo;das Denken&laquo; ganz naturalistisch
als etwas Gegebnes, von vornherein dem Sein, der Natur Entgegengesetztes, so hinnimmt.
Dann mu&szlig; man es auch h&ouml;chst merkw&uuml;rdig finden, da&szlig; Bewu&szlig;tsein
und Natur, Denken und Sein, Denkgesetze und Naturgesetze so sehr zusammenstimmen.
Fragt man aber weiter, was denn Denken und Bewu&szlig;tsein sind und woher sie
stammen, so findet man, da&szlig; es Produkte des menschlichen Hirns und da&szlig;
der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt
hat; wobei es sich dann von selbst versteht, da&szlig; die Erzeugnisse des menschlichen
Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem &uuml;brigen Naturzusammenhang
nicht widersprechen, sondern entsprechen.</P>
<P>Aber Herr D&uuml;hring darf sich diese einfache Behandlung der Sache nicht
<A NAME="S34"></A><B>|34|</B> erlauben. Er denkt nicht nur im Namen der Menschheit
- was doch schon eine ganz h&uuml;bsche Sache w&auml;re -, sondern im Namen der
bewu&szlig;ten und denkenden Wesen aller Weltk&ouml;rper:</P>
<P><SMALL>In der Tat, es w&auml;re &raquo;eine Herabw&uuml;rdigung der Grundgestalten
des Bewu&szlig;tseins und Wissens, wenn man ihre souver&auml;ne Geltung und ihren
unbedingten Anspruch auf Wahrheit durch das Epitheton menschlich ausschlie&szlig;en
oder auch nur verd&auml;chtigen wollte&laquo;.</SMALL></P>
<P>Damit also nicht der Verdacht aufkomme, als sei auf irgendeinem andern Weltk&ouml;rper
zwei mal zwei gleich f&uuml;nf, darf Herr D&uuml;hring das Denken nicht als menschliches
bezeichnen, mu&szlig; es damit abtrennen von der einzigen wirklichen Grundlage,
auf der es f&uuml;r uns vorkommt, n&auml;mlich vom Menschen und der Natur, und
plumpst damit rettungslos in eine Ideologie, die ihn als Epigonen des &raquo;Epigonen&laquo;
Hegel auftreten macht. &Uuml;brigens werden wir Herrn D&uuml;hring noch &ouml;fters
auf andern Weltk&ouml;rpern begr&uuml;&szlig;en.</P>
<P>Es versteht sich von selbst, da&szlig; man auf so ideologischer Grundlage keine
materialistische Lehre gr&uuml;nden kann. Wir werden sp&auml;ter sehn, da&szlig;
Herr D&uuml;hring gen&ouml;tigt ist, der Natur mehr als einmal bewu&szlig;te Handlungsweise
unterzuschieben, also das, was man auf deutsch Gott nennt.</P>
<P>Indes hatte unser Wirklichkeitsphilosoph auch noch andre Beweggr&uuml;nde,
die Grundlage aller Wirklichkeit aus der wirklichen Welt in die Gedankenwelt zu
&uuml;bertragen. Die Wissenschaft von diesem allgemeinen Weltschematismus, von
diesen formellen Grunds&auml;tzen des Seins, ist ja grade die Grundlage von Herrn
D&uuml;hrings Philosophie. Wenn wir den Weltschematismus nicht aus dem Kopf, sondern
blo&szlig; <I>vermittelst</I> des Kopfs aus der wirklichen Welt, die Grunds&auml;tze
des Seins aus dem, was ist, ableiten, so brauchen wir dazu keine Philosophie,
sondern positive Kenntnisse von der Welt und was in ihr vorgeht; und was dabei
herauskommt, ist ebenfalls keine Philosophie, sondern positive Wissenschaft. Damit
w&auml;re aber Herrn D&uuml;hrings ganzer Band nichts als verlorne Liebesm&uuml;h.</P>
<P>Ferner: wenn keine Philosophie als solche mehr n&ouml;tig, dann auch kein System,
selbst kein nat&uuml;rliches System der Philosophie mehr. Die Einsicht, da&szlig;
die Gesamtheit der Naturvorg&auml;nge in einem systematischen Zusammenhang steht,
treibt die Wissenschaft dahin, diesen systematischen Zusammenhang &uuml;berall
im einzelnen wie im ganzen nachzuweisen. Aber eine entsprechende, ersch&ouml;pfende,
wissenschaftliche Darstellung dieses Zusammenhangs, die Abfassung eines exakten
Gedankenabbildes des Weltsystems, in dem wir leben, bleibt f&uuml;r uns sowohl
wie f&uuml;r alle Zeiten eine Unm&ouml;glichkeit. W&uuml;rde an irgendeinem Zeitpunkt
der Menschheitsentwicklung ein solches endg&uuml;ltig abschlie&szlig;endes System
der Weltzusammenh&auml;nge, <A NAME="S35"></A><B>|35|</B> physischer wie geistiger
und geschichtlicher, fertiggebracht, so w&auml;re damit das Reich der menschlichen
Erkenntnis abgeschlossen, und die zuk&uuml;nftige geschichtliche Fortentwicklung
abgeschnitten von dem Augenblick an, wo die Gesellschaft im Einklang mit jenem
System eingerichtet ist - was eine Absurdit&auml;t, ein reiner Widersinn w&auml;re.
Die Menschen finden sich also vor den Widerspruch gestellt: einerseits das Weltsystem
ersch&ouml;pfend in seinem Gesamtzusammenhang zu erkennen, und andrerseits, sowohl
ihrer eignen wie der Natur des Weltsystems nach, diese Aufgabe nie vollst&auml;ndig
l&ouml;sen zu k&ouml;nnen. Aber dieser Widerspruch liegt nicht nur in der Natur
der beiden Faktoren: Welt und Menschen, sondern er ist auch der Haupthebel des
gesamten intellektuellen Fortschritts und l&ouml;st sich tagt&auml;glich und fortw&auml;hrend
in der unendlichen progressiven Entwicklung der Menschheit, ganz wie z.B. mathematische
Aufgaben in einer unendlichen Reihe oder einem Kettenbruch ihre L&ouml;sung finden.
Tats&auml;chlich ist und bleibt jedes Gedankenabbild des Weltsystems objektiv
durch die geschichtliche Lage und subjektiv durch die K&ouml;rper- und Geistesverfassung
seines Urhebers beschr&auml;nkt. Aber Herr D&uuml;hring erkl&auml;rt von vornherein
seine Denkweise f&uuml;r eine solche, die jede Anwandlung zu einer subjektivistisch
beschr&auml;nkten Weltvorstellung ausschlie&szlig;t. Wir sahn vorher, er war allgegenw&auml;rtig
- auf allen m&ouml;glichen Weltk&ouml;rpern. Jetzt sehn wir auch, da&szlig; er
allwissend ist. Er hat die letzten Aufgaben der Wissenschaft gel&ouml;st und so
die Zukunft aller Wissenschaft mit Brettern zugenagelt.</P>
<P>Wie die Grundgestalten des Seins, meint Herr D&uuml;hring, auch die gesamte
reine Mathematik apriorisch, d.h. ohne Benutzung der Erfahrungen, die uns die
Au&szlig;enwelt bietet, aus dem Kopf heraus fertigbringen zu k&ouml;nnen.</P>
<P><SMALL>In der reinen Mathematik soll sich der Verstand befassen &raquo;mit seinen
eignen freien Sch&ouml;pfungen und Imaginationen&laquo;; die Begriffe von Zahl und Figur
sind &raquo;ihr zureichendes und von ihr selbst erzeugbares Objekt&laquo;, und somit hat sie
eine &raquo;von der <I>besondern</I> Erfahrung und dem realen Weltinhalt unabh&auml;ngige
Geltung&laquo;.</SMALL></P>
<P>Da&szlig; die reine Mathematik eine von der <I>besondern</I> Erfahrung jedes
einzelnen unabh&auml;ngige Geltung hat, ist allerdings richtig und gilt von allen
festgestellten Tatsachen aller Wissenschaften, ja von allen Tatsachen &uuml;berhaupt.
Die magnetischen Pole, die Zusammensetzung des Wassers aus Wasserstoff und Sauerstoff,
die Tatsache, da&szlig; Hegel tot ist und Herr D&uuml;hring lebt, gelten unabh&auml;ngig
von meiner oder andrer einzelnen Leute Erfahrung, selbst unabh&auml;ngig von der
des Herrn D&uuml;hring, sobald er den Schlaf des Gerechten schl&auml;ft. Keineswegs
aber befa&szlig;t sich in der reinen <A NAME="S36"></A><B>|36|</B> Mathematik
der Verstand blo&szlig; mit seinen eignen Sch&ouml;pfungen und Imaginationen.
Die Begriffe von Zahl und Figur sind nirgends anders hergenommen, als aus der
wirklichen Welt. Die zehn Finger, an denen die Menschen z&auml;hlen, also die
erste arithmetische Operation vollziehn gelernt haben, sind alles andre, nur nicht
eine freie Sch&ouml;pfung des Verstandes. Zum Z&auml;hlen geh&ouml;ren nicht nur
z&auml;hlbare Gegenst&auml;nde, sondern auch schon die F&auml;higkeit, bei Betrachtung
dieser Gegenst&auml;nde von allen ihren &uuml;brigen Eigenschaften abzusehn au&szlig;er
ihrer Zahl - und diese F&auml;higkeit ist das Ergebnis einer langen geschichtlichen,
erfahrungsm&auml;&szlig;igen Entwicklung. Wie der Begriff Zahl, so ist der Begriff
Figur ausschlie&szlig;lich der Au&szlig;enwelt entlehnt, nicht im Kopf aus dem
reinen Denken entsprungen. Es mu&szlig;te Dinge geben, die Gestalt hatten und
deren Gestalten man verglich, ehe man auf den Begriff Figur kommen konnte. Die
reine Mathematik hat zum Gegenstand die Raumformen und Quantit&auml;tsverh&auml;ltnisse
der wirklichen Welt, also einen sehr realen Stoff. Da&szlig; dieser Stoff in einer
h&ouml;chst abstrakten Form erscheint, kann seinen Ursprung aus der Au&szlig;enwelt
nur oberfl&auml;chlich verdecken. Um diese Formen und Verh&auml;ltnisse in ihrer
Reinheit untersuchen zu k&ouml;nnen, mu&szlig; man sie aber vollst&auml;ndig von
ihrem Inhalt trennen, diesen als gleichg&uuml;ltig beiseite setzen; so erh&auml;lt
man die Punkte ohne Dimensionen, die Linien ohne Dicke und Breite, die <I>a</I>
und <I>b</I> und <I>x</I> und <I>y</I>, die Konstanten und die Variablen, und
kommt dann ganz zuletzt erst auf die eignen freien Sch&ouml;pfungen und Imaginationen
des Verstandes, n&auml;mlich die imagin&auml;ren Gr&ouml;&szlig;en. Auch die scheinbare
Ableitung mathematischer Gr&ouml;&szlig;en aus einander beweist nicht ihren apriorischen
Ursprung, sondern nur ihren rationellen Zusammenhang. Ehe man auf die Vorstellung
kam, die <I>Form</I> eines Zylinders aus der Drehung eines Rechtecks um eine seiner
Seiten abzuleiten, mu&szlig; man eine Anzahl wirklicher Rechtecke und Zylinder,
wenn auch in noch so unvollkommner Form, untersucht haben. Wie alle andern Wissenschaften
ist die Mathematik aus den <I>Bed&uuml;rfnissen</I> der Menschen hervorgegangen:
aus der Messung von Land und Gef&auml;&szlig;inhalt, aus Zeitrechnung und Mechanik.
Aber wie in allen Gebieten des Denkens werden auf einer gewissen Entwicklungsstufe
die aus der wirklichen Welt abstrahierten Gesetze von der wirklichen Welt getrennt,
ihr als etwas Selbst&auml;ndiges gegen&uuml;bergestellt, als von au&szlig;en kommende
Gesetze, wonach die Welt sich zu richten hat. So ist es in Gesellschaft und Staat
hergegangen, so und nicht anders wird die <I>reine</I> Mathematik nachher auf
die Welt <I>angewandt,</I> obwohl sie eben dieser Welt entlehnt ist und nur einen
Teil ihrer Zusammensetzungsformen darstellt - und grade <I>nur deswegen</I> &uuml;berhaupt
anwendbar ist.</P>
<P><B><A NAME="S37">|37|</A></B> Wie aber Herr D&uuml;hring sich einbildet, aus
den mathematischen Axiomen, die</P>
<P><SMALL>&raquo;auch nach der rein logischen Vorstellung einer Begr&uuml;ndung weder
f&auml;hig noch bed&uuml;rftig sind&laquo;,</SMALL></P>
<P>ohne irgendwelche erfahrungsm&auml;&szlig;ige Zutat die ganze reine Mathematik
ableiten und diese dann auf die Welt anwenden zu k&ouml;nnen, ebenso bildet er
sich ein, zuerst die Grundgestalten des Seins, die einfachen Bestandteile alles
Wissens, die Axiome der Philosophie, aus dem Kopf erzeugen, aus ihnen die ganze
Philosophie oder Weltschematik ableiten und diese seine Verfassung der Natur und
Menschenwelt Allerh&ouml;chst oktroyieren zu k&ouml;nnen. Leider besteht die Natur
gar nicht und die Menschenwelt nur zum allergeringsten Teil aus den Manteuffelschen
Preu&szlig;en von 1850.</P>
<P>Die mathematischen Axiome sind die Ausdr&uuml;cke des h&ouml;chst d&uuml;rftigen
Gedankeninhalts, den die Mathematik der Logik entlehnen mu&szlig;. Sie lassen
sich auf zwei zur&uuml;ckf&uuml;hren:</P>
<P>1. Das Ganze ist gr&ouml;&szlig;er als der Teil. Dieser Satz ist eine reine
Tautologie, da die quantitativ gefa&szlig;te Vorstellung: Teil sich von vornherein
in bestimmter Weise auf die Vorstellung: Ganzes bezieht, n&auml;mlich so, da&szlig;
&raquo;Teil&laquo; ohne weiteres besagt, da&szlig; das quantitative &raquo;Ganze&laquo; aus mehreren quantitativen
&raquo;Teilen&laquo; besteht. Indem das sogenannte Axiom dies ausdr&uuml;cklich konstatiert,
sind wir keinen Schritt weiter. Man kann diese Tautologie sogar gewisserma&szlig;en
<I>beweisen</I>, wenn man sagt: ein Ganzes ist das, was aus mehreren Teilen besteht;
ein Teil ist das, von dem mehrere ein Ganzes ausmachen, folglich ist der Teil
kleiner als das Ganze - wo die &Ouml;de der Wiederholung die &Ouml;de des Inhalts
noch st&auml;rker hervortreten l&auml;&szlig;t.</P>
<P>2. Wenn zwei Gr&ouml;&szlig;en einer dritten gleich sind, so sind sie untereinander
gleich. Dieser Satz ist, wie schon Hegel nachgewiesen hat, ein Schlu&szlig;, f&uuml;r
dessen Richtigkeit die Logik einsteht, der also bewiesen ist, wenn auch au&szlig;erhalb
der reinen Mathematik. Die &uuml;brigen Axiome &uuml;ber Gleichheit und Ungleichheit
sind blo&szlig;e logische Erweiterungen dieses Schlusses.</P>
<P>Diese magern S&auml;tze locken weder in der Mathematik noch sonstwo einen Hund
vom Ofen. Um weiterzukommen, m&uuml;ssen wir reale Verh&auml;ltnisse hineinziehn,
Verh&auml;ltnisse und Raumformen, die von wirklichen K&ouml;rpern hergenommen
sind. Die Vorstellungen von Linien, Fl&auml;chen, Winkeln, von Vielecken, W&uuml;rfeln,
Kugeln usw. sind alle der Wirklichkeit entlehnt, und es geh&ouml;rt ein gut St&uuml;ck
naiver Ideologie dazu, den Mathematikern zu glauben, die erste Linie sei durch
Bewegung eines Punktes im Raum entstanden, die erste Fl&auml;che durch Bewegung
einer Linie, der erste K&ouml;rper durch <A NAME="S38"></A><B>|38|</B> Bewegung
einer Fl&auml;che usw. Schon die Sprache rebelliert dagegen. Eine mathematische
Figur von drei Dimensionen hei&szlig;t ein K&ouml;rper, corpus solidum, also im
Lateinischen sogar ein handgreiflicher K&ouml;rper, f&uuml;hrt also einen Namen,
der keineswegs der freien Imagination des Verstandes, sondern der handfesten Realit&auml;t
entlehnt ist.</P>
<P>Aber wozu all diese Weitl&auml;ufigkeiten? Nachdem Herr D&uuml;hring auf Seite
42 und 43 die Unabh&auml;ngigkeit der reinen Mathematik von der Erfahrungswelt,
ihre Apriorit&auml;t, ihre Besch&auml;ftigung mit den eignen freien Sch&ouml;pfungen
und Imaginationen des Verstandes, begeistert besungen, sagt er auf Seite 63:</P>
<P><SMALL>&raquo;Es wird n&auml;mlich leicht &uuml;bersehn, da&szlig; jene mathematischen
Elemente&laquo; (&raquo;Zahl, Gr&ouml;&szlig;e, Zeit, Raum und geometrische Bewegung&laquo;) &raquo;<I>nur
ihrer Form nach ideell</I> sind, ... die <I>absoluten Gr&ouml;&szlig;en</I> sind
daher etwas durchaus <I>Empirisches</I>, gleichviel welcher Gattung sie angeh&ouml;ren&laquo;,
... aber &raquo;die mathematischen Schemata sind einer von der Erfahrung <I>abgesonderten</I>
und dennoch zureichenden Charakteristik f&auml;hig&laquo;,</SMALL></P>
<P>welches letztere mehr oder weniger von <I>jeder</I> Abstraktion gilt, aber
keineswegs beweist, da&szlig; sie nicht aus der Wirklichkeit abstrahiert ist.
In der Weltschematik ist die reine Mathematik aus dem reinen Denken entsprungen
- in der Naturphilosophie ist sie etwas durchaus Empirisches, aus der Au&szlig;enwelt
Genommenes und dann Abgesondertes. Wem sollen wir nun glauben?</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_IV"></A>IV. Weltschematik</H3>
<P><SMALL>&raquo;Das allumfassende Sein ist <I>einzig</I>. In seiner Selbstgen&uuml;gsamkeit
hat es nichts neben oder &uuml;ber sich. Ihm ein zweites Sein zugesellen, hie&szlig;e
es zu dem machen, was es nicht ist, n&auml;mlich zu dem Teil oder Bestandst&uuml;ck
eines umfangreicheren Ganzen. Indem wir unsern <I>einheitlichen</I> Gedanken gleichsam
als Rahmen ausspannen, kann nichts, was in diese Gedanken<I>einheit</I> eingehn
mu&szlig;, eine Doppelheit an sich behalten. Es kann sich aber dieser Gedankeneinheit
auch nichts entziehn ... Das Wesen alles Denkens besteht in der Vereinigung von
Bewu&szlig;tseinselementen zu einer Einheit ... Es ist der Einheitspunkt der Zusammenfassung,
wodurch der <I>unteilbare Weltbegriff </I>entstanden und das Universum, wie es
schon das Wort besagt, als etwas erkannt wird, worin alles zu einer <I>Einheit</I>
vereinigt ist.&laquo;</SMALL></P>
<P>Soweit Herr D&uuml;hring. Die mathematische Methode:</P>
<P><SMALL>&raquo;Jede Frage ist an einfachen Grundgestalten <I>axiomatisch</I> zu entscheiden,
als wenn es sich um einfache ... Grunds&auml;tze der Mathematik handelte&laquo; -</SMALL></P>
<P>diese Methode wird hier zuerst angewandt.</P>
<P><B><A NAME="S39">|39|</A></B> &raquo;Das allumfassende Sein ist einzig.&laquo; Wenn Tautologie
einfache Wiederholung, im Pr&auml;dikat, dessen, was im Subjekte schon ausgesprochen
worden - wenn das ein Axiom ausmacht, so haben wir hier eins vom reinsten Wasser.
Im Subjekt sagt uns Herr D&uuml;hring, da&szlig; das Sein alles umfa&szlig;t,
und im Pr&auml;dikat behauptet er unerschrocken, da&szlig; alsdann nichts au&szlig;er
ihm ist. Welch kolossal &raquo;systemschaffender Gedanke&laquo;!</P>
<P>Systemschaffend in der Tat. Ehe wir sechs Zeilen weiter sind, hat Herr D&uuml;hring
die <I>Einzigkeit</I> des Seins vermittelst unsres einheitlichen Gedankens in
seine <I>Einheit</I> verwandelt. Da das Wesen alles Denkens in der Zusammenfassung
zu einer Einheit besteht, so ist das Sein, sobald es gedacht wird, als einheitliches
gedacht, der Weltbegriff ein unteilbarer, und weil das <I>gedachte </I>Sein, der
<I>Weltbegriff</I> einheitlich ist, so ist das wirkliche Sein, die wirkliche Welt,
ebenfalls eine unteilbare Einheit. Und somit</P>
<P><SMALL>&raquo;haben die Jenseitigkeiten keinen Raum mehr, sobald der Geist einmal
gelernt hat, das Sein in seiner gleichartigen Universalit&auml;t zu erfassen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Das ist ein Feldzug, gegen den Austerlitz und Jena, K&ouml;niggr&auml;tz und
Sedan vollst&auml;ndig verschwinden. In ein paar S&auml;tzen, kaum eine Seite,
nachdem wir das erste Axiom mobil gemacht haben, haben wir bereits alle Jenseitigkeiten,
Gott, die himmlischen Heerscharen, Himmel, H&ouml;lle und Fegefeuer samt der Unsterblichkeit
der Seele abgeschafft, beseitigt, vernichtet.</P>
<P>Wie kommen wir von der Einzigkeit des Seins zu seiner Einheit? Indem wir es
uns &uuml;berhaupt vorstellen. Sowie wir unsern einheitlichen Gedanken als Rahmen
um es ausspannen, wird das einzige Sein in Gedanken ein einheitliches, eine Gedankeneinheit;
denn das Wesen <I>alles</I> Denkens besteht in der Vereinigung von Bewu&szlig;tseinselementen
zu einer Einheit.</P>
<P>Dieser letzte Satz ist einfach falsch. Erstens besteht das Denken ebensosehr
in der Zerlegung von Bewu&szlig;tseinsgegenst&auml;nden in ihre Elemente, wie
in der Vereinigung zusammengeh&ouml;riger Elemente zu einer Einheit. Ohne Analyse
keine Synthese. Zweitens kann das Denken, ohne B&ouml;cke zu schie&szlig;en, nur
diejenigen Bewu&szlig;tseinselemente zu einer Einheit zusammenfassen, in denen
oder in deren realen Urbildern diese Einheit schon <I>vorher bestanden</I>. Wenn
ich eine Schuhb&uuml;rste unter die Einheit S&auml;ugetier zusammenfasse, so bekommt
sie damit noch lange keine Milchdr&uuml;sen. Die Einheit des Seins, beziehentlich
die Berechtigung seiner Gedankenauffassung als einer Einheit, ist also grade das,
was zu beweisen war, und wenn Herr D&uuml;hring uns versichert, er denke sich
das Sein einheitlich und nicht etwa als Doppelheit, so sagt er uns damit weiter
nichts, als seine unma&szlig;gebliche Meinung.</P>
<P><B><A NAME="S40">|40|</A></B> Wenn wir seinen Gedankengang rein darstellen
wollen, so ist er folgender: Ich fange an mit dem Sein. Also denke ich mir das
Sein. Der Gedanke des Seins ist einheitlich. Denken und Sein m&uuml;ssen aber
zusammenstimmen, sie entsprechen einander, sie &raquo;decken sich&laquo;. Also ist das Sein
auch in der Wirklichkeit einheitlich. Also gibt's keine &raquo;Jenseitigkeiten&laquo;. H&auml;tte
Herr D&uuml;hring aber so unverh&uuml;llt gesprochen, statt uns obige Orakelstelle
zum besten zu geben, so lag die Ideologie klar zutage. Aus der Identit&auml;t
von Denken und Sein die Realit&auml;t irgendeines Denkergebnisses beweisen zu
wollen, das war ja grade eine der tollsten Fieberphantasien - eines Hegel.</P>
<P>Den Spiritualisten h&auml;tte Herr D&uuml;hring, selbst wenn seine ganze Beweisf&uuml;hrung
richtig w&auml;re, noch keinen Zollbreit Gebiet abgewonnen. Die Spiritualisten
antworten ihm kurz: die Welt <I>ist</I> auch f&uuml;r uns einfach; die Spaltung
in Diesseits und Jenseits existiert nur f&uuml;r unsern spezifisch irdischen,
erbs&uuml;ndlichen Standpunkt; an und f&uuml;r sich, d.h. in Gott, ist das gesamte
Sein ein einiges. Und sie werden Herrn D&uuml;hring auf seine beliebten andern
Weltk&ouml;rper begleiten und ihm einen oder mehrere zeigen, wo kein S&uuml;ndenfall
stattgefunden, wo also auch kein Gegensatz zwischen Diesseits und Jenseits besteht
und die Einheitlichkeit der Welt Forderung des Glaubens ist.</P>
<P>Das komischste bei der Sache ist, da&szlig; Herr D&uuml;hring, um die Nichtexistenz
Gottes aus dem Begriff des Seins zu beweisen, den ontologischen Beweis f&uuml;r
das Dasein Gottes anwendet. Dieser lautet: Wenn wir uns Gott denken, so denken
wir ihn uns als den Inbegriff aller Vollkommenheiten. Zum Inbegriff aller Vollkommenheiten
geh&ouml;rt aber vor allem das Dasein, denn ein nicht daseiendes Wesen ist notwendig
unvollkommen. Also m&uuml;ssen wir zu den Vollkommenheiten Gottes auch das Dasein
rechnen. Also mu&szlig; Gott existieren. - Genauso r&auml;soniert Herr D&uuml;hring:
Wenn wir uns das Sein denken, so denken wir es uns als <I>einen</I> Begriff. Was
in Einem Begriff zusammengefa&szlig;t, das ist einheitlich. Das Sein entspr&auml;che
also seinem Begriff nicht, w&auml;re es nicht einheitlich. Folglich mu&szlig;
es einheitlich sein. Folglich gibt es keinen Gott usw.</P>
<P>Wenn wir vom <I>Sein</I> sprechen, und <I>blo&szlig;</I> vom Sein, so kann
die Einheit nur darin bestehn, da&szlig; alle die Gegenst&auml;nde, um die es
sich handelt - <I>sind</I>, existieren. In der Einheit dieses Seins, und in keiner
andern, sind sie zusammengefa&szlig;t und der gemeinsame Ausspruch, da&szlig;
sie alle <I>sind</I>, kann ihnen nicht nur keine weiteren, gemeinsamen oder nicht
gemeinsamen, Eigenschaften geben, sondern schlie&szlig;t alle solche von der Betrachtung
vorl&auml;ufig aus. Denn sowie wir uns von der einfachen Grundtatsache, da&szlig;
allen diesen Dingen das Sein gemeinsam zukommt, auch nur einen Millimeter breit
entfernen, so fangen die <I>Unterschiede</I> dieser Dinge an, vor unsern <A NAME="S41"></A><B>|41|</B>
Blick zu treten - und ob diese Unterschiede darin bestehn, da&szlig; die einen
wei&szlig;, die andern schwarz, die einen belebt, die andern unbelebt, die einen
etwa diesseitig, die andern etwa jenseitig sind, das k&ouml;nnen wir nicht daraus
entscheiden, da&szlig; ihnen allen gleichm&auml;&szlig;ig die blo&szlig;e Existenz
zugeschrieben wird.</P>
<P>Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein, obwohl ihr Sein eine Voraussetzung
ihrer Einheit ist, da sie doch zuerst <I>sein</I> mu&szlig;, ehe sie <I>eins</I>
sein kann. Das Sein ist ja &uuml;berhaupt eine offene Frage von der Grenze an,
wo unser Gesichtskreis aufh&ouml;rt. Die wirkliche Einheit der Welt besteht in
ihrer Materialit&auml;t, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen,
sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft.</P>
<P>Weiter im Text. Das <I>Sein</I>, wovon Herr D&uuml;hring uns unterh&auml;lt,
ist</P>
<P><SMALL>&raquo;nicht jenes reine Sein, welches sich selbst gleich, aller besondern
Bestimmungen ermangeln soll, und in der Tat nur ein Gegenbild des Gedanken<I>nichts</I>
oder der Gedankenabwesenheit vertritt&laquo;.</SMALL></P>
<P>Nun werden wir aber sehr bald sehn, da&szlig; Herrn D&uuml;hrings Welt allerdings
mit einem Sein anhebt, welches aller innern Unterscheidung, aller Bewegung und
Ver&auml;nderung ermangelt und also in der Tat nur ein Gegenbild des Gedankennichts,
also ein wirkliches Nichts ist. Erst aus diesem <I>Sein-Nichts</I> entwickelt
sich der gegenw&auml;rtige differenzierte, wechselvolle, eine Entwicklung, ein
<I>Werden</I> darstellende Weltzustand; und erst nachdem wir dies begriffen, kommen
wir dahin, auch unter dieser ewigen Wandlung</P>
<P><SMALL>&raquo;den Begriff des universellen Seins sich selbst gleich festzuhalten&laquo;.</SMALL></P>
<P>Wir haben also jetzt den Begriff des Seins auf einer h&ouml;hern Stufe, wo
er sowohl Beharrung wie Ver&auml;nderung, Sein wie Werden in sich begreift. Hier
angekommen, finden wir, da&szlig;</P>
<P><SMALL>&raquo;Gattung und Art, &uuml;berhaupt Allgemeines und Besonderes die einfachsten
Unterscheidungsmittel sind, ohne welche die Verfassung der Dinge nicht begriffen
werden kann&laquo;.</SMALL></P>
<P>Es sind dies aber Unterscheidungsmittel der <I>Qualit&auml;t</I>; und nachdem
diese verhandelt, gehn wir weiter:</P>
<P><SMALL>&raquo;den Gattungen gegen&uuml;ber steht der Begriff der Gr&ouml;&szlig;e,
als desjenigen Gleichartigen, in welchem keine Artdifferenzen mehr stattfinden&laquo;;</SMALL></P>
<P>d.h. von der <I>Qualit&auml;t</I> gehn wir &uuml;ber zur <I>Quantit&auml;t</I>,
und diese ist stets <I>&raquo;me&szlig;bar&laquo;</I>.</P>
<P><B><A NAME="S42">|42|</A></B> Vergleichen wir nun diese &raquo;scharfe Sonderung
der allgemeinen Wirkungsschemata&laquo; und ihren &raquo;wirklich kritischen Standpunkt&laquo; mit
den Krudit&auml;ten, W&uuml;stheiten und Fieberphantasien eines Hegel. Wir finden,
da&szlig; Hegels Logik anf&auml;ngt, vom <I>Sein</I> - wie Herr D&uuml;hring;
da&szlig; das Sein sich herausstellt als das <I>Nichts</I>, wie bei Herrn D&uuml;hring;
da&szlig; aus diesem Sein-Nichts &uuml;bergegangen wird zum <I>Werden</I>, dessen
Resultat das Dasein ist, d.h. eine h&ouml;here, erf&uuml;lltere Form des Seins
- ganz wie bei Herrn D&uuml;hring. Das Dasein f&uuml;hrt zur <I>Qualit&auml;t</I>,
die Qualit&auml;t zur <I>Quantit&auml;t -</I> ganz wie bei Herrn D&uuml;hring.
Und damit kein wesentliches St&uuml;ck fehle, erz&auml;hlt uns Herr D&uuml;hring
bei einer andern Gelegenheit:</P>
<P><SMALL>&raquo;Aus dem Reich der Empfindungslosigkeit tritt man in das der Empfindung,
trotz aller quantitativen Allm&auml;hlichkeit, nur mit einem <I>qualitativen Sprung</I>
ein, von dem wir ... behaupten k&ouml;nnen, da&szlig; er sich unendlich von der
blo&szlig;en Gradation einer und derselben Eigenschaft unterscheide.&laquo;</SMALL></P>
<P>Dies ist ganz die Hegelsche Knotenlinie von Ma&szlig;verh&auml;ltnissen, wo
blo&szlig; quantitative Steigerung oder Abnahme an gewissen bestimmten Knotenpunkten
einen <I>qualitativen Sprung</I> verursacht, z.B. bei erw&auml;rmtem oder abgek&uuml;hltem
Wasser, wo der Siedepunkt und der Gefrierpunkt die Knoten sind, an denen der Sprung
in einen neuen Aggregatzustand - unter Normaldruck - sich vollzieht, wo also Quantit&auml;t
in Qualit&auml;t umschl&auml;gt.</P>
<P>Unsre Untersuchung hat ebenfalls versucht, bis an die Wurzeln zu reichen, und
als die Wurzel der wurzelhaften D&uuml;hringschen Grundschemata findet sie - die
&raquo;Fieberphantasien&laquo; eines Hegel, die Kategorien der Hegelschen &raquo;Logik&laquo;, erster
Teil, Lehre vom Sein, in streng althegelscher &raquo;Abfolge&laquo; und mit kaum versuchter
Verschleierung des Plagiats!</P>
<P>Und nicht zufrieden damit, seinem bestverleumdeten Vorg&auml;nger dessen ganze
Schematik vom Sein zu entwenden, hat Herr D&uuml;hring, nachdem er selbst obiges
Beispiel von sprungweisem Umschlagen der Quantit&auml;t in die Qualit&auml;t gegeben,
die Gelassenheit, von Marx zu sagen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wie komisch nimmt sich nicht z.B. die Berufung&laquo; (Marx') &raquo;auf die Hegelsche
<I>konfuse Nebelvorstellung</I> aus, da&szlig; <I>die Quantit&auml;t in die Qualit&auml;t
umschlage</I>!&laquo;</SMALL></P>
<P>Konfuse Nebelvorstellung! Wer schl&auml;gt hier um, und wer nimmt sich hier
komisch aus, Herr D&uuml;hring?</P>
<P>Alle diese sch&ouml;nen S&auml;chelchen sind also nicht nur nicht vorschriftsm&auml;&szlig;ig
&raquo;axiomatisch entschieden&laquo;, sondern einfach von au&szlig;en, d.h. aus Hegels &raquo;Logik&laquo;
hineingetragen. Und zwar so, da&szlig; in dem ganzen Kapitel auch nicht einmal
der Schein eines innern Zusammenhangs figuriert, soweit er nicht auch aus Hegel
entlehnt ist, und da&szlig; das Ganze schlie&szlig;lich in ein <A NAME="S43"></A><B>|43|</B>
inhaltloses Spintisieren &uuml;ber Raum und Zeit, Beharrung und Ver&auml;nderung
ausl&auml;uft.</P>
<P>Vom Sein kommt Hegel zum Wesen, zur Dialektik. Hier handelt er von den Reflexionsbestimmungen,
deren innern <I>Gegens&auml;tzen</I> und Widerspr&uuml;chen, wie z.B. positiv
und negativ, kommt dann zur <I>Kausalit&auml;t</I> oder dem Verh&auml;ltnis von
Ursache und Wirkung, und schlie&szlig;t mit der <I>Notwendigkeit</I>. Nicht anders
Herr D&uuml;hring. Was Hegel Lehre vom Wesen nennt, &uuml;bersetzt Herr D&uuml;hring
in: logische Eigenschaften des Seins. Diese bestehn aber vor allem im &raquo;Antagonismus
von Kr&auml;ften&laquo;, in <I>Gegens&auml;tzen</I>. Den Widerspruch leugnet Herr D&uuml;hring
dagegen radikal; wir werden sp&auml;ter auf dies Thema zur&uuml;ckkommen. Dann
geht er &uuml;ber auf die <I>Kausalit&auml;t</I> und von dieser auf die <I>Notwendigkeit</I>.
Wenn Herr D&uuml;hring also von sich sagt:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wir, die wir nicht <I>aus dem K&auml;fig</I> philosophieren&laquo;, </SMALL></P>
<P>so meint er wohl, er philosophiere im K&auml;fig, n&auml;mlich dem K&auml;fig
des Hegelschen Kategorienschematismus.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_V"></A>V. Naturphilosophie. Zeit und Raum</H3>
<P>Wir kommen jetzt zur <I>Naturphilosophie</I>. Hier hat Herr D&uuml;hring wieder
alle Ursache, mit seinen Vorg&auml;ngern unzufrieden zu sein.</P>
<P><SMALL>Die Naturphilosophie &raquo;sank so tief, da&szlig; sie zur w&uuml;sten, auf
Unwissenheit beruhenden Afterpoesie wurde&laquo; und &raquo;der prostituierten Philosophasterei
eines Schelling und &auml;hnlicher, im Priestertum des Absoluten kramender und
das Publikum mystifizierender Gesellen anheimgefallen&laquo; war. Die Erm&uuml;dung
hat uns aus diesen &raquo;Mi&szlig;gestalten&laquo; gerettet, aber sie hat bisher nur der
&raquo;Haltlosigkeit&laquo; Platz gemacht; &raquo;und was das gr&ouml;&szlig;ere Publikum betrifft,
so ist f&uuml;r dasselbe bekanntlich der Abtritt eines gr&ouml;&szlig;ern Scharlatans
oft nur die Gelegenheit f&uuml;r einen kleinern, aber gesch&auml;ftserfahrenen
Nachfolger, die Produktionen jenes unter einem andern Aush&auml;ngeschild zu wiederholen&laquo;.
die Naturforscher selbst versp&uuml;ren wenig &raquo;Lust zu einem Ausflug in das Reich
der weltumspannenden Ideen&laquo; und begehn daher lauter &raquo;zerfahrene Voreiligkeiten&laquo;
auf theoretischem Gebiet.</SMALL></P>
<P>Hier mu&szlig; dringend Rettung geschaffen werden, und gl&uuml;cklicherweise
ist Herr D&uuml;hring zur Stelle.</P>
<P>Um die nun folgenden Enth&uuml;llungen &uuml;ber die Entfaltung der Welt in
der Zeit und ihre Begrenzung im Raum richtig zu w&uuml;rdigen, m&uuml;ssen wir
wieder auf einige Stellen in der &raquo;Weltschematik&laquo; zur&uuml;ckgreifen.</P>
<P>Dem Sein wird, ebenfalls im Einklang mit Hegel (&raquo;Enzyklop&auml;die&laquo; &sect; 93),
Unendlichkeit - was Hegel die <I>schlechte</I> Unendlichkeit nennt - zugeschrieben
und nun diese Unendlichkeit untersucht.</P>
<P><SMALL><B><A NAME="S44">|44|</A></B></SMALL><SMALL> &raquo;die deutlichste Gestalt
einer <I>widerspruchslos</I> zu denkenden Unendlichkeit ist die unbeschr&auml;nkte
H&auml;ufung der Zahlen in der Zahlenreihe ... Wie wir zu jeder Zahl noch eine
weitere Einheit hinzuf&uuml;gen k&ouml;nnen, ohne jemals die M&ouml;glichkeit
des Weiterz&auml;hlens zu ersch&ouml;pfen, so reiht sich auch an jeglichen Zustand
des Seins ein fernerer an, und in der unbeschr&auml;nkten Erzeugung dieser Zust&auml;nde
besteht die Unendlichkeit. Diese <I>genau gedachte</I> Unendlichkeit hat daher
auch nur eine einzige Grundform mit einer einzigen Richtung. Wenn es n&auml;mlich
auch f&uuml;r unser Denken gleichg&uuml;ltig ist, eine entgegengesetzte Richtung
der H&auml;ufungen der Zust&auml;nde zu entwerfen, so ist doch die r&uuml;ckw&auml;rts
fortschreitende Unendlichkeit eben nur ein voreiliges Vorstellungsgebilde. Da
sie n&auml;mlich in der Wirklichkeit in <I>umgekehrter</I> Richtung durchlaufen
sein m&uuml;&szlig;te, so w&uuml;rde sie bei jedem ihrer Zust&auml;nde eine unendliche
Zahlenreihe hinter sich haben. Hiermit w&auml;re aber der unzul&auml;ssige Widerspruch
einer abgez&auml;hlten unendlichen Zahlenreihe begangen, und so erweist es sich
als widersinnig, noch eine zweite Richtung der Unendlichkeit vorauszusetzen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Die erste Folgerung, die aus dieser Auffassung der Unendlichkeit gezogen wird,
ist, da&szlig; die Verkettung von Ursachen und Wirkungen in der Welt einmal einen
Anfang gehabt haben mu&szlig;:</P>
<P><SMALL>&raquo;eine unendliche Zahl von Ursachen, die sich bereits aneinandergereiht
haben soll, ist schon darum undenkbar, weil sie die Unzahl als abgez&auml;hlt
voraussetzt&laquo;.</SMALL></P>
<P>Also eine <I>Endursache</I> erwiesen. Die zweite Folgerung ist</P>
<P><SMALL>&raquo;das Gesetz der bestimmten Anzahl: die H&auml;ufung des Identischen
irgendeiner realen Gattung von Selbst&auml;ndigkeiten ist nur als Bildung einer
bestimmten Zahl denkbar&laquo;. Nicht nur die vorhandne Zahl der Weltk&ouml;rper mu&szlig;
in jedem Zeitpunkt eine an sich bestimmte sein, sondern auch die Gesamtzahl aller
in der Welt existierenden kleinsten selbst&auml;ndigen Teile der Materie. Letztere
Notwendigkeit ist der wahre Grund, warum keine Zusammensetzung ohne Atome gedacht
werden kann. Alle wirkliche Geteiltheit hat stets eine endliche Bestimmtheit und
mu&szlig; sie haben, wenn nicht der Widerspruch der abgez&auml;hlten Unzahl eintreten
soll. Nicht nur mu&szlig; aus demselben Grund die bisherige Anzahl der Uml&auml;ufe
der Erde um die Sonne eine bestimmte, wenn auch nicht angebbare, sein, sondern
alle periodischen Naturprozesse m&uuml;ssen irgendeinen Anfang gehabt haben, und
alle Differenzenbildung, alle Mannigfaltigkeiten der Natur, die einander folgen,
m&uuml;ssen in einem <I>sich selbst gleichen Zustand</I> wurzeln. Dieser kann
ohne Widerspruch von Ewigkeit her existiert haben, aber auch diese Vorstellung
w&auml;re ausgeschlossen, wenn die Zeit an sich selbst aus realen Teilen best&auml;nde
und nicht vielmehr blo&szlig; durch die ideelle Setzung der M&ouml;glichkeiten
von unserm Verstand nach Belieben eingeteilt w&uuml;rde. Mit dem realen und in
sich unterschiednen Zeitinhalt hat es eine andre Bewandtnis; diese wirkliche Erf&uuml;llung
der Zeit mit unterscheidbar gearteten Tatsachen und die Existenzformen dieses
Bereichs geh&ouml;ren eben, ihrer Unterschiedenheit wegen, dem Z&auml;hlbaren
an. Denken wir uns einen Zustand, der ohne Ver&auml;nderungen ist und in seiner
Sichselbstgleichheit gar keine Unterschiede der Folge darbietet, so <A NAME="S45"></A><B>|45|</B>
verwandelt sich auch der speziellere Zeitbegriff in die allgemeinere Idee des
Seins. Was die H&auml;ufung einer leeren Dauer bedeuten soll, ist gar nicht erfindlich.</SMALL></P>
<P>Soweit Herr D&uuml;hring, und er ist nicht wenig erbaut von der Bedeutung dieser
Entdeckungen. Er hofft zun&auml;chst, da&szlig; man sie &raquo;mindestens nicht als
eine geringf&uuml;gige Wahrheit ansehn&laquo; wird; sp&auml;ter aber hei&szlig;t es:</P>
<P><SMALL>&raquo;Man erinnere sich <I>der h&ouml;chst einfachen</I> Wendungen, mit denen
<I>wir</I> den Unendlichkeitsbegriffen und deren Kritik zu einer <I>bisher ungekannten
Tragweite</I> verholfen haben ... die durch die gegenw&auml;rtige Versch&auml;rfung
und Vertiefung so <I>einfach</I> gestalteten Elemente der universellen Raum- und
Zeitauffassung.&laquo;</SMALL></P>
<P><I>Wir</I> haben verholfen! Gegenw&auml;rtige Vertiefung und Versch&auml;rfung!
Wer sind wir, und wann spielt unsre Gegenwart? Wer vertieft und versch&auml;rft?</P>
<P><SMALL>&raquo;Thesis. Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem Raum nach
auch in Grenzen eingeschlossen. - Beweis: Denn man nehme an, die Welt habe der
Zeit nach keinen Anfang, so ist bis zu jedem gegebnen Zeitpunkt eine Ewigkeit
abgelaufen, und mithin eine unendliche Reihe aufeinanderfolgender Zust&auml;nde
der Dinge in der Welt verflossen. Nun besteht aber eben darin die Unendlichkeit
einer Reihe, da&szlig; sie durch sukzessive Synthesis niemals vollendet sein kann.
Also ist eine unendliche verflossene Weltreihe unm&ouml;glich, mithin ein Anfang
der Welt eine notwendige Bedingung ihres Daseins, welches zuerst zu beweisen war.
- in Ansehung des Zweiten nehme man wiederum das Gegenteil an, so wird die Welt
ein unendliches gegebnes Ganzes von zugleich existierenden Dingen sein. Nun k&ouml;nnen
wir die Gr&ouml;&szlig;e eines Quantums, welches nicht innerhalb gewisser Grenzen
jeder Anschauung gegeben wird, auf keine Art als nur durch die Synthese der Teile,
und die Totalit&auml;t eines solchen Quantums nur durch die vollendete Synthese
oder durch wiederholte Hinzusetzung der Einheit zu sich selbst denken. Demnach,
um sich die Welt, die alle R&auml;ume erf&uuml;llt, als ein Ganzes zu denken,
m&uuml;&szlig;te die sukzessive Synthese der Teile einer unendlichen Welt als
vollendet angesehn, d.i. eine unendliche Zeit m&uuml;&szlig;te, in der Durchz&auml;hlung
aller koexistierenden Dinge, als abgelaufen angesehn werden, welches unm&ouml;glich
ist. Demnach kann ein unendliches Aggregat wirklicher Dinge nicht als ein gegebnes
Ganzes, mithin auch nicht als <I>zugleich</I> gegeben angesehn werden. Eine Welt
ist folglich der Ausdehnung im Raum nach nicht unendlich, sondern in ihre Grenzen
eingeschlossen, welches das Zweite&laquo; (zu beweisen) &raquo;war.&laquo;</SMALL></P>
<P>Diese S&auml;tze sind buchst&auml;blich kopiert aus einem wohlbekannten Buch,
welches im Jahre 1781 zuerst erschien und betitelt ist: &raquo;Kritik der reinen Vernunft&laquo;,
von <I>Immanuel Kant,</I> wo m&auml;nniglich sie nachlesen kann im ersten Teil,
zweite Abteilung, zweites Buch, zweites Hauptst&uuml;ck, zweiter Abschnitt: Erste
Antinomie der reinen Vernunft. Herrn D&uuml;hring geh&ouml;rt hiernach lediglich
der Ruhm, den <I>Namen</I>: Gesetz der bestimmten Anzahl, auf einen von Kant ausgesprochenen
Gedanken geklebt und die Entdeckung gemacht zu haben, da&szlig; einmal eine Zeit
war, wo es noch keine Zeit gab, wohl aber eine <A NAME="S46"></A><B>|46|</B> Welt.
F&uuml;r alles &uuml;brige, also f&uuml;r alles, was in Herrn D&uuml;hrings Auseinandersetzung
noch einigen Sinn hat, sind &raquo;Wir&laquo; - Immanuel Kant, und die &raquo;Gegenwart&laquo; ist nur
f&uuml;nfundneunzig Jahre alt. Allerdings &raquo;h&ouml;chst einfach&laquo;! Merkw&uuml;rdige
&raquo;bisher ungekannte Tragweite&laquo;!</P>
<P>Nun stellt aber Kant obige S&auml;tze keineswegs als durch seinen Beweis erledigt
auf. Im Gegenteil; auf der gegen&uuml;berstehenden Seite behauptet und beweist
er das Entgegengesetzte: da&szlig; die Welt nach der Zeit keinen Anfang und nach
dem Raum kein Ende habe; und darin setzt er grade die Antinomie, den unl&ouml;sbaren
Widerspruch, da&szlig; das eine ebenso beweisbar ist wie das andre. Leute von
geringerm Kaliber w&auml;ren vielleicht dadurch etwas bedenklich geworden, da&szlig;
&raquo;ein Kant&laquo; hier eine unl&ouml;sbare Schwierigkeit fand. Nicht so unser k&uuml;hner
Verfertiger &raquo;von Grund aus eigent&uuml;mlicher Ergebnisse und Anschauungen&laquo;: was
ihm von Kants Antinomie dienen kann, schreibt er unverdrossen ab und wirft den
Rest beiseite.</P>
<P>Die Sache selbst l&ouml;st sich sehr einfach. Ewigkeit in der Zeit, Unendlichkeit
im Raum, besteht schon von vornherein und dem einfachen Wortsinne nach darin,
nach <I>keiner</I> Seite hin ein Ende zu haben, weder nach vorn oder nach hinten,
nach oben oder nach unten, nach rechts oder nach links. Diese Unendlichkeit ist
eine ganz andre als die einer unendlichen Reihe, denn diese f&auml;ngt von vornherein
immer mit Eins, mit einem ersten Gliede an. Die Unanwendbarkeit dieser Reihenvorstellung
auf unsern Gegenstand zeigt sich sofort, wenn wir sie auf den Raum anwenden. Die
unendliche Reihe, ins R&auml;umliche &uuml;bersetzt, ist die von einem bestimmten
Punkt in bestimmter Richtung ins Unendliche gezogne Linie. Ist damit die Unendlichkeit
des Raums auch nur entfernt ausgedr&uuml;ckt? Im Gegenteil, es geh&ouml;ren allein
sechs von diesem einen Punkt in dreifach entgegengesetzten Richtungen aus gezogene
Linien dazu, um die Dimensionen des Raums zu begreifen; und dieser Dimensionen
h&auml;tten wir hiernach sechs. Kant sah dies so gut ein, da&szlig; er seine Zahlenreihe
auch nur indirekt, auf einem Umweg, auf die R&auml;umlichkeit der Welt &uuml;bertrug.
Herr D&uuml;hring dagegen zwingt uns zur Annahme von sechs Dimensionen im Raum,
und hat gleich nachher nicht Worte der Entr&uuml;stung genug &uuml;ber den mathematischen
Mystizismus von Gau&szlig;, der sich nicht mit den gew&ouml;hnlichen drei Raumdimensionen
begn&uuml;gen wollte.</P>
<P>Auf die Zeit angewandt, hat die nach beiden Seiten endlose Linie oder Reihe
von Einheiten einen gewissen bildlichen Sinn. Stellen wir uns aber die Zeit als
eine von <I>Eins</I> an gez&auml;hlte oder von einem bestimmten <I>Punkt </I>ausgehende
Linie vor, so sagen wir damit von vornherein, da&szlig; die Zeit einen Anfang
hat: wir setzen voraus, was wir grade beweisen sollen. Wir geben <A NAME="S47"></A><B>|47|</B>
der Unendlichkeit der Zeit einen einseitigen, halben Charakter; aber eine einseitige,
eine halbierte Unendlichkeit ist auch ein Widerspruch in sich, das grade Gegenteil
von einer &raquo;widerspruchslos gedachten Unendlichkeit&laquo;. &Uuml;ber diesen Widerspruch
kommen wir nur hinaus, wenn wir annehmen, da&szlig; die Eins, mit der wir anfangen,
die Reihe zu z&auml;hlen, der Punkt, von dem aus wir die Linie weitermessen, eine
beliebige Eins in der Reihe, ein beliebiger Punkt in der Linie sind, von denen
es f&uuml;r die Linie oder Reihe gleichg&uuml;ltig ist, wohin wir sie verlegen.</P>
<P>Aber der Widerspruch der &raquo;abgez&auml;hlten unendlichen Zahlenreihe&laquo;? Wir werden
imstande sein, ihn n&auml;her zu untersuchen, sobald Herr D&uuml;hring uns das
Kunstst&uuml;ck vorgemacht haben wird, <I>sie abzuz&auml;hlen</I>. Wenn er es
fertiggebracht hat, von minus Unendlich bis Null zu z&auml;hlen, dann mag er wiederkommen.
Es ist ja klar, da&szlig;, wo auch immer er anf&auml;ngt zu z&auml;hlen, er eine
unendliche Reihe hinter sich l&auml;&szlig;t und mit ihr die Aufgabe, die er l&ouml;sen
soll. Er kehre nur seine eigne unendliche Reihe 1 + 2 + 3 + 4 ... um und versuche,
vom unendlichen Ende wieder nach Eins zu z&auml;hlen; es ist augenscheinlich der
Versuch eines Menschen, der gar nicht sieht, worum es sich handelt. Noch mehr.
Wenn Herr D&uuml;hring behauptet, die unendliche Reihe der verflossenen Zeit sei
abgez&auml;hlt, so behauptet er damit, da&szlig; die Zeit einen Anfang hat; denn
sonst k&ouml;nnte er ja gar nicht anfangen &raquo;abzuz&auml;hlen&laquo;. Er schiebt also
wieder als Voraussetzung unter, was er beweisen soll. Die Vorstellung der abgez&auml;hlten
unendlichen Reihe, mit andern Worten, das weltumspannende D&uuml;hringsche Gesetz
der bestimmten Anzahl, ist also eine contradictio in adjecto, enth&auml;lt einen
Widerspruch in sich selbst, und zwar einen <I>absurden</I> Widerspruch.</P>
<P>Es ist klar: die Unendlichkeit, die ein Ende hat, aber keinen Anfang, ist nicht
mehr und nicht weniger unendlich, als die, die einen Anfang hat, aber kein Ende.
Die geringste dialektische Einsicht h&auml;tte Herrn D&uuml;hring sagen m&uuml;ssen,
da&szlig; Anfang und Ende notwendig zusammengeh&ouml;ren, wie Nordpol und S&uuml;dpol,
und da&szlig;, wenn man das Ende wegl&auml;&szlig;t, der Anfang eben das Ende
wird - das <I>eine</I> Ende, das die Reihe hat, und umgekehrt. Die ganze T&auml;uschung
w&auml;re unm&ouml;glich ohne die mathematische Gewohnheit, mit unendlichen Reihen
zu operieren. Weil man in der Mathematik vom Bestimmten, Endlichen ausgehn mu&szlig;,
um zum Unbestimmten, Endlosen zu kommen, so m&uuml;ssen alle mathematischen Reihen,
positive oder negative, mit Eins anfangen, sonst kann man nicht damit rechnen.
Das ideelle Bed&uuml;rfnis des Mathematikers ist aber weit davon entfernt, ein
Zwangsgesetz f&uuml;r die reale Welt zu sein.</P>
<P>&Uuml;brigens wird Herr D&uuml;hring es nie fertigbringen, sich die wirkliche
<A NAME="S48"></A><B>|48|</B> Unendlichkeit widerspruchslos zu denken. Die Unendlichkeit
<I>ist</I> ein Widerspruch und voll von Widerspr&uuml;chen. Es ist schon ein Widerspruch,
da&szlig; eine Unendlichkeit aus lauter Endlichkeiten zusammengesetzt sein soll,
und doch ist dies der Fall. Die Begrenztheit der materiellen Welt f&uuml;hrt nicht
weniger zu Widerspr&uuml;chen als ihre Unbegrenztheit, und jeder Versuch, diese
Widerspr&uuml;che zu beseitigen, f&uuml;hrt, wie wir gesehn haben, zu neuen und
schlimmeren Widerspr&uuml;chen. Eben <I>weil</I> die Unendlichkeit ein Widerspruch
ist, ist sie unendlicher, in Zeit und Raum ohne Ende sich abwickelnder Proze&szlig;.
Die Aufhebung des Widerspruchs w&auml;re das Ende der Unendlichkeit. Das hatte
Hegel schon ganz richtig eingesehn und behandelt daher auch die &uuml;ber diesen
Widerspruch spintisierenden Herren mit verdienter Verachtung.</P>
<P>Gehn wir weiter. Also, die Zeit hat einen Anfang gehabt. Was war vor diesem
Anfang? die in einem sich selbst gleichen, unver&auml;nderlichen Zustand befindliche
Welt. Und da in diesem Zustand keine Ver&auml;nderungen aufeinanderfolgen, so
verwandelt sich auch der speziellere Zeitbegriff in die allgemeinere Idee des
<I>Seins</I>. Erstens geht es uns hier gar nichts an, welche Begriffe sich im
Kopf des Herrn D&uuml;hring verwandeln. Es handelt sich nicht um den <I>Zeitbegriff</I>,
sondern um die <I>wirkliche</I> Zeit, die Herr D&uuml;hring so wohlfeilen Kaufs
keineswegs los wird. Zweitens mag sich der Zeitbegriff noch so sehr in die allgemeinere
Idee des Seins verwandeln, so kommen wir damit keinen Schritt weiter. Denn die
Grundformen alles Seins sind Raum und Zeit, und ein Sein au&szlig;er der Zeit
ist ein ebenso gro&szlig;er Unsinn, wie ein Sein au&szlig;erhalb des Raums. Das
Hegelsche &raquo;zeitlos vergangne Sein&laquo; und das neuschellingsche &raquo;unvordenkliche Sein&laquo;
sind rationelle Vorstellungen verglichen mit diesem Sein au&szlig;er der Zeit.
Darum geht Herr D&uuml;hring auch sehr behutsam zu Werke: eigentlich ist es wohl
eine Zeit, aber eine solche, die man im Grunde keine Zeit nennen kann: die Zeit
besteht ja nicht an sich selbst aus realen Teilen und wird blo&szlig; von unserm
Verstand nach Belieben eingeteilt - nur eine wirkliche Erf&uuml;llung der Zeit
mit unterscheidbaren Tatsachen geh&ouml;rt dem Z&auml;hlbaren an - was die H&auml;ufung
einer leeren Dauer bedeuten soll, ist gar nicht erfindlich. Was diese H&auml;ufung
bedeuten soll, ist hier ganz gleichg&uuml;ltig; es fragt sich, ob die Welt, in
dem hier vorausgesetzten Zustand, dauert, eine Zeitdauer durchmacht? da&szlig;
nichts dabei herauskommt, eine solche inhaltslose Dauer zu messen, ebensowenig
wie dabei, in den leeren Raum zwecklos und ziellos hinauszumessen, das wissen
wir l&auml;ngst, und Hegel nennt ja auch, gerade wegen der Langweiligkeit dieses
Verfahrens, diese Unendlichkeit die <I>schlechte</I>. Nach Herrn D&uuml;hring
existiert die Zeit nur durch die Ver&auml;nderung, nicht die Ver&auml;nderung
<A NAME="S49"></A><B>|49|</B> in und durch die Zeit. Eben weil die Zeit von der
Ver&auml;nderung verschieden, unabh&auml;ngig ist, kann man sie durch die Ver&auml;nderung
messen, denn zum Messen geh&ouml;rt immer ein von dem zu messenden Verschiednes.
Und die Zeit, in der keine erkennbaren Ver&auml;nderungen vorgehn, ist weit entfernt
davon, <I>keine</I> Zeit zu sein; sie ist vielmehr die <I>reine</I>, von keinen
fremden Beimischungen affizierte, also die wahre Zeit, die Zeit <I>als solche</I>.
In der Tat, wenn wir den Zeitbegriff in seiner ganzen Reinheit, abgetrennt von
allen fremden und ungeh&ouml;rigen Beimischungen erfassen wollen, so sind wir
gen&ouml;tigt, alle die verschiednen Ereignisse, die neben- und nacheinander in
der Zeit vor sich gehn, als nicht hierhergeh&ouml;rig beiseite zu setzen und uns
somit eine Zeit vorzustellen, in der nichts passiert. Wir haben damit also nicht
den Zeitbegriff in der allgemeinen Idee des Seins untergehn lassen, sondern wir
sind damit erst beim reinen Zeitbegriff angekommen.</P>
<P>Alle diese Widerspr&uuml;che und Unm&ouml;glichkeiten sind aber noch pures
Kinderspiel gegen die Verwirrung, in die Herr D&uuml;hring mit seinem sich selbst
gleichen Anfangszustand der Welt ger&auml;t. War die Welt einmal in einem Zustand,
in dem absolut keine Ver&auml;nderung in ihr vorging, wie konnte sie aus diesem
Zustand zur Ver&auml;nderung &uuml;bergehn? Das absolut Ver&auml;nderungslose,
noch dazu, wenn es von Ewigkeit in diesem Zustand war, kann durch sich selbst
unm&ouml;glich aus diesem Zustand herauskommen, in den der Bewegung und Ver&auml;nderung
&uuml;bergehn. Es mu&szlig; also von au&szlig;en her, von au&szlig;erhalb der
Welt, ein erster Ansto&szlig; gekommen sein, der sie in Bewegung setzte. Der &raquo;erste
Ansto&szlig;&laquo; ist aber bekanntlich nur ein andrer Ausdruck f&uuml;r Gott. Der
Gott und das Jenseits, die Herr D&uuml;hring in seiner Weltschematik so sch&ouml;n
abgetakelt zu haben vorgab, er bringt sie beide hier, versch&auml;rft und vertieft,
selbst wieder in die Naturphilosophie.</P>
<P>Ferner. Herr D&uuml;hring sagt:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wo die Gr&ouml;&szlig;e einem beharrlichen Element des Seins zukommt,
wird sie in ihrer Bestimmtheit unver&auml;ndert bleiben. Dies gilt ... von der
Materie und der mechanischen Kraft.&laquo;</SMALL></P>
<P>Der erste Satz gibt, beil&auml;ufig gesagt, ein kostbares Beispiel von der
axiomatisch-tautologischen Grandiloquenz des Herrn D&uuml;hring: Wo die Gr&ouml;&szlig;e
sich nicht ver&auml;ndert, da bleibt sie dieselbe. Also die Menge der mechanischen
Kraft, die einmal in der Welt ist, bleibt ewig dieselbe. Wir sehn davon ab, da&szlig;,
soweit dies richtig, in der Philosophie Descartes dies schon vor beinahe dreihundert
Jahren gewu&szlig;t und gesagt hat, und da&szlig; in der Naturwissenschaft die
Lehre von der Erhaltung der Kraft seit zwanzig Jahren allgemein grassiert; da&szlig;
Herr D&uuml;hring, indem er sie auf die <I>mechanische </I><A NAME="S50"></A><B>|50|</B>
Kraft beschr&auml;nkt, sie keineswegs verbessert. Wo aber war die mechanische
Kraft zur Zeit des ver&auml;nderungslosen Zustands ? Auf diese Frage verweigert
uns Herr D&uuml;hring hartn&auml;ckig jede Antwort.</P>
<P>Wo, Herr D&uuml;hring, war damals die sich ewig gleichbleibende mechanische
Kraft, und was trieb sie? Antwort:</P>
<P><SMALL>&raquo;Der Ursprungszustand des Universums, oder deutlicher bezeichnet, eines
ver&auml;nderungslosen, keine zeitliche H&auml;ufung von Ver&auml;nderungen einschlie&szlig;enden
Seins der Materie, ist eine Frage, die nur derjenige Verstand abweisen kann, der
in der Selbstverst&uuml;mmlung seiner Zeugungskraft den Gipfel der Weisheit sieht.&laquo;</SMALL></P>
<P>Also: Entweder ihr nehmt meinen ver&auml;nderungslosen Urzustand unbesehn hin
oder ich, der zeugungsf&auml;hige Eugen D&uuml;hring, erkl&auml;re euch f&uuml;r
geistige Eunuchen. Das mag allerdings manchen abschrecken. Wir, die wir von der
Zeugungskraft des Herrn D&uuml;hring schon einige Beispiele gesehn haben, k&ouml;nnen
uns erlauben, das elegante Schimpfwort vorderhand unerwidert zu lassen und nochmals
zu fragen: Aber, Herr D&uuml;hring, wenn's gef&auml;llig ist, wie ist das mit
der mechanischen Kraft?</P>
<P>Herr D&uuml;hring wird sofort verlegen.</P>
<P><SMALL>In der Tat, stammelt er, &raquo;die absolute Identit&auml;t jenes anf&auml;nglichen
Grenzzustandes liefert an sich selbst kein &Uuml;bergangsprinzip. Erinnern wir
uns jedoch, da&szlig; es mit jedem kleinsten neuen Gliede in der uns wohlbekannten
Daseinskette im Grunde eine gleiche Bewandtnis hat. Wer also in dem vorliegenden
Hauptfall Schwierigkeiten erheben will, mag zusehn, da&szlig; er sie sich nicht
bei weniger scheinbaren Gelegenheiten erlasse. &Uuml;berdies steht die Einschaltungsm&ouml;glichkeit
von allm&auml;hlich graduierten Zwischenzust&auml;nden, und mithin die Br&uuml;cke
der Stetigkeit offen, um r&uuml;ckw&auml;rts bis zu dem Erl&ouml;schen des Wechselspiels
zu gelangen. Rein begrifflich hilft freilich diese Stetigkeit nicht &uuml;ber
den Hauptgedanken hinweg, aber sie ist uns die Grundform aller Gesetzm&auml;&szlig;igkeit
und jedes sonst bekannten &Uuml;bergangs, so da&szlig; wir ein Recht haben, sie
auch als Vermittlung zwischen jenem ersten Gleichgewicht und dessen St&ouml;rung
zu gebrauchen. D&auml;chten wir uns nun aber das sozusagen (!) regungslose Gleichgewicht
nach Ma&szlig;gabe der Begriffe, die in unsrer heutigen Mechanik ohne sonderliche
Anstandnahme (!) zugelassen werden, so lie&szlig;e sich gar nicht angeben, wie
die Materie zu dem Ver&auml;nderungsspiel gelangt sein k&ouml;nnte.&laquo; Au&szlig;er
der Mechanik der Massen gebe es aber auch noch eine Verwandlung von Massenbewegung
in Bewegung kleinster Teilchen, aber wie diese erfolge, &raquo;daf&uuml;r haben wir
bis jetzt kein allgemeines Prinzip zur Verf&uuml;gung, und wir d&uuml;rfen uns
daher nicht wundern, wenn diese Vorg&auml;nge ein wenig <I>ins Dunkle</I> auslaufen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Das ist alles, was Herr D&uuml;hring zu sagen hat. Und in der Tat, wir m&uuml;&szlig;ten
nicht nur in der Selbstverst&uuml;mmelung der Zeugungskraft, sondern auch im blinden
K&ouml;hlerglauben den Gipfel der Weisheit sehn, wollten wir uns mit diesen wahrhaft
jammervollen faulen Ausfl&uuml;chten und Redensarten <A NAME="S51"></A><B>|51|</B>
abspeisen lassen. Aus sich selbst, das gesteht Herr D&uuml;hring ein, kann die
absolute Identit&auml;t nicht zur Ver&auml;nderung kommen. Aus sich selbst gibt
es kein Mittel, wodurch das absolute Gleichgewicht in Bewegung &uuml;berzugehn
vermag. Was gibt's denn? Drei falsche faule Wendungen.</P>
<P>Erstens: Es sei ebenso schwer, von jedem kleinsten Gliede in der uns wohlbekannten
Daseinskette zum n&auml;chsten den &Uuml;bergang nachzuweisen. - Herr D&uuml;hring
scheint seine Leser f&uuml;r S&auml;uglinge zu halten. Der Nachweis der einzelnen
&Uuml;berg&auml;nge und Zusammenh&auml;nge der kleinsten Glieder in der Daseinskelte
macht eben den Inhalt der Naturwissenschaft aus, und wenn es dabei irgendwo hapert,
so denkt niemand, selbst nicht Herr D&uuml;hring, daran, die vorgegangne Bewegung
aus Nichts zu erkl&auml;ren, sondern stets nur aus der &Uuml;bertragung, Verwandlung
oder Fortpflanzung einer vorg&auml;ngigen Bewegung. Hier aber handelt es sich
eingestandnerma&szlig;en darum, die Bewegung aus der Bewegungslosigkeit, also
aus <I>Nichts</I> entstehn zu lassen.</P>
<P>Zweitens haben wir die &raquo;Br&uuml;cke der Stetigkeit&laquo;. Diese hilft uns freilich
rein begrifflich nicht &uuml;ber die Schwierigkeiten hinweg, aber wir haben doch
ein Recht, sie als Vermittlung zwischen der Bewegungslosigkeit und der Bewegung
<I>zu gebrauchen</I>. Leider besteht die Stetigkeit der Bewegungslosigkeit dann,
sich <I>nicht</I> zu bewegen; wie also damit Bewegung zu erzeugen ist, bleibt
geheimnisvoller als je. Und wenn Herr D&uuml;hring seinen &Uuml;bergang vom Nichts
der Bewegung zur universellen Bewegung noch so sehr in unendlich kleine Teilchen
zerlegt und ihm eine noch so lange Zeitdauer zuschreibt, so sind wir noch keinen
Zehntausendstel Millimeter weiter vom Fleck. Von Nichts k&ouml;nnen wir nun einmal
ohne Sch&ouml;pfungsakt nicht zu Etwas kommen, und w&auml;re das Etwas so klein
wie ein mathematisches Differential. Die Br&uuml;cke der Stetigkeit ist also nicht
einmal eine Eselsbr&uuml;cke, sie ist nur f&uuml;r Herrn D&uuml;hring passierbar.</P>
<P>Drittens. Solange die heutige Mechanik gilt, und diese ist nach Herrn D&uuml;hring
einer der wesentlichsten Hebel zur Bildung des Denkens, l&auml;&szlig;t sich gar
nicht angeben, wie man von der Bewegungslosigkeit zur Bewegung kommt. Aber die
mechanische W&auml;rmetheorie zeigt uns, da&szlig; Massenbewegung unter Umst&auml;nden
in Molekularbewegung umschl&auml;gt (obwohl auch hier Bewegung aus andrer Bewegung
hervorgeht, nie aber aus Bewegungslosigkeit), und dies, deutet Herr D&uuml;hring
sch&uuml;chtern an, k&ouml;nnte m&ouml;glicherweise eine Br&uuml;cke bieten zwischen
dem streng Statischen (Gleichgewichtlichen) und Dynamischen (sich Bewegenden).
Aber diese Vorg&auml;nge laufen &raquo;ein wenig ins Dunkle aus&laquo;. Und im Dunklen ist
es, wo Herr D&uuml;hring uns sitzen l&auml;&szlig;t.</P>
<P><B><A NAME="S52">|52|</A></B> Dahin sind wir gekommen mit aller Vertiefung
und Versch&auml;rfung, da&szlig; wir uns stets tiefer in stets versch&auml;rften
Bl&ouml;dsinn vertieft haben und endlich anlanden, wo wir notwendig anlanden m&uuml;ssen
- im &raquo;Dunkeln&laquo;. Das aber geniert Herrn D&uuml;hring wenig. Gleich auf der n&auml;chsten
Seite hat er die Stirn zu behaupten, er habe</P>
<P><SMALL>&raquo;den Begriff der sich selbst gleichen Beharrung unmittelbar aus dem
Verhalten der Materie <I>und der mechanischen Kr&auml;fte</I> mit einem realen
Inhalt ausstatten k&ouml;nnen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Und dieser Mann bezeichnet andere Leute als &raquo;Scharlatans&laquo;! </P>
<P>Zum Gl&uuml;ck bleibt uns bei all dieser h&uuml;lflosen Verirrung und Verwirrung
&raquo;im Dunkeln&laquo; noch ein Trost, und der ist allerdings herzerhebend:</P>
<P><SMALL>&raquo;die Mathematik der Bewohner andrer Weltk&ouml;rper kann auf keinen
andern Axiomen beruhen, als die unsrige!&laquo;</SMALL></P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_VI">VI. Naturphilosophie. Kosmogonie, Physik,
Chemie</A></H3>
<P>Im weitern Verlauf kommen wir nun auf die Theorien von der Art und Weise, wie
die jetzige Welt zustande gekommen ist.</P>
<P><SMALL>Einuniverseller Zerstreuungszustand der Materie sei schon die Ausgangsvorstellung
der ionischen Philosophen gewesen, seit Kant aber besonders habe die Annahme eines
Urnebels eine neue Rolle gespielt, wobei Gravitation und W&auml;rmeausstrahlung
die allm&auml;hliche Bildung der einzelnen festen Weltk&ouml;rper vermittelten.
Die mechanische W&auml;rmetheorie unsrer Zeit gestatte, die R&uuml;ckschl&uuml;sse
auf die fr&uuml;hern Zust&auml;nde des Universums weit bestimmter zu gestalten.
Bei alledem kann &raquo;der gasf&ouml;rmige Zerstreuungszustand nur dann ein Ausgangspunkt
f&uuml;r ernsthafte Ableitungen sein, wenn man das in ihm gegebne mechanische
System zuvor bestimmter zu kennzeichnen vermag. Andernfalls bleibt nicht nur die
Idee in der Tat &auml;u&szlig;erst nebelhaft, sondern der urspr&uuml;ngliche Nebel
wird auch wirklich im Fortschritt der Ableitungen immer dichter und undurchdringlicher;
... vorl&auml;ufig bleibt noch alles im Vagen und Formlosen einer nicht n&auml;her
bestimmbaren Diffusionsidee&laquo;, und so haben wir &raquo;mit diesem Gasuniversum nur eine
h&ouml;chst luftige Konzeption&laquo;.</SMALL></P>
<P>die Kantische Theorie von der Entstehung aller jetzigen Weltk&ouml;rper aus
rotierenden Nebelmassen war der gr&ouml;&szlig;te Fortschritt, den die Astronomie
seit Kopernikus gemacht hatte. Zum ersten Male wurde an der Vorstellung ger&uuml;ttelt,
als habe die Natur keine Geschichte in der Zeit. Bis dahin galten die Weltk&ouml;rper
als von Anfang an in stets gleichen Bahnen und Zust&auml;nden verharrend; und
wenn auch auf den einzelnen Weltk&ouml;rpern die organischen Einzelwesen abstarben,
so galten doch die Gattungen und Arten <A NAME="S53"></A><B>|53|</B> f&uuml;r
unver&auml;nderlich. Die Natur war zwar augenscheinlich in steter Bewegung begriffen,
aber diese Bewegung erschien als die unaufh&ouml;rliche Wiederholung derselben
Vorg&auml;nge. In diese, ganz der metaphysischen Denkweise entsprechende Vorstellung
legte Kant die erste Bresche, und zwar in so wissenschaftlicher Weise, da&szlig;
die meisten von ihm gebrauchten Beweisgr&uuml;nde auch heute noch Geltung haben.
Allerdings ist die Kantsche Theorie bis jetzt noch, streng genommen, eine Hypothese.
Aber mehr ist auch das Kopernikanische Weltsystem bis auf den heutigen Tag nicht,
und nach der spektroskopischen, allen Widerspruch zu Boden schlagenden Nachweisung
solcher gl&uuml;henden Gasmassen am Sternenhimmel hat die wissenschaftliche Opposition
gegen Kants Theorie geschwiegen. Auch Herr D&uuml;hring kann seine Weltkonstruktion
nicht ohne ein solches Nebelstadium fertigbringen, r&auml;cht sich aber daf&uuml;r,
indem er verlangt, man soll ihm das in diesem Nebelzustand gegebne mechanische
System zeigen, und indem er, weil man dies nicht kann, den Nebelzustand mit allerhand
geringsch&auml;tzigen Beiw&ouml;rtern belegt. Die heutige Wissenschaft kann dies
System leider nicht zur Zufriedenheit des Herrn D&uuml;hring kennzeichnen. Ebensowenig
vermag sie auf viele andre Fragen zu antworten. Auf die Frage: warum haben die
Kr&ouml;ten keine Schw&auml;nze? kann sie bis jetzt nur antworten: weil sie sie
verloren haben. Wenn man nun aber sich ereifern wollte und sagen, das sei ja alles
im Vagen und Formlosen einer nicht n&auml;her bestimmbaren Verlustidee und eine
h&ouml;chst luftige Konzeption, so k&auml;men wir mit dergleichen Anwendungen
der Moral auf die Naturwissenschaft keinen Schritt weiter. Dergleichen Mi&szlig;liebigkeiten
und &Auml;u&szlig;erungen der Verdrie&szlig;lichkeit kann man immer und &uuml;berall
anbringen, und eben deswegen sind sie nie und nirgends angebracht. Wer hindert
denn Herrn D&uuml;hring, selbst das mechanische System des Urnebels auszufinden?</P>
<P>Zum Gl&uuml;ck erfahren wir jetzt, da&szlig; die Kantsche Nebelmasse</P>
<P><SMALL>&raquo;weit davon entfernt ist, sich mit einem v&ouml;llig identischen zustande
des Weltmediums oder, anders ausgedr&uuml;ckt, mit dem sich selbst gleichen Zustand
der Materie zu decken&laquo;.</SMALL></P>
<P>Ein wahres Gl&uuml;ck f&uuml;r Kant, der zufrieden sein konnte, von den bestehenden
Weltk&ouml;rpern zum Nebelball zur&uuml;ckgehn zu k&ouml;nnen, und der sich noch
nichts tr&auml;umen lie&szlig; von dem sich selbst gleichen Zustand der Materie!
Beil&auml;ufig bemerkt, wenn in der heutigen Naturwissenschaft der Kantsche Nebelball
als Urnebel bezeichnet wird, so ist dies selbstredend nur beziehungsweise zu verstehn,
Urnebel ist er, einerseits, als Ursprung der bestehenden Weltk&ouml;rper und andrerseits
als die fr&uuml;hste Form der Materie, auf die wir bis jetzt zur&uuml;ckgehn k&ouml;nnen.
Was durchaus nicht ausschlie&szlig;t, sondern viel- <A NAME="S54"></A><B>|54|</B>
mehr bedingt, da&szlig; die Materie vor dem Urnebel eine unendliche Reihe andrer
Formen durchgemacht habe.</P>
<P>Herr D&uuml;hring merkt seinen Vorteil hier. Wo wir, mit der Wissenschaft,
beim einstweiligen Urnebel einstweilen stehnbleiben, hilft ihm seine Wissenschaftswissenschaft
viel weiter zur&uuml;ck zu jenem</P>
<P><SMALL>&raquo;Zustand des Weltmediums, der sich weder als rein statisch im heutigen
Sinne der Vorstellung, noch als dynamisch&laquo;</SMALL></P>
<P>- der sich also &uuml;berhaupt nicht -</P>
<P><SMALL>&raquo;begreifen l&auml;&szlig;t. Die Einheit von Materie und mechanischer
Kraft, die wir als Weltmedium bezeichnen, ist eine sozusagen logisch-reale Formel,
um den sich selbst gleichen Zustand der Materie als die Voraussetzung aller z&auml;hlbaren
Entwicklungsstadien anzuzeigen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Wir sind offenbar den sich selbst gleichen Urzustand der Materie noch lange
nicht los. Hier wird er bezeichnet als Einheit von Materie und mechanischer Kraft,
und dies als eine logisch-reale Formel usw. Sobald also die Einheit von Materie
und mechanischer Kraft aufh&ouml;rt, f&auml;ngt die Bewegung an.</P>
<P>Die logisch-reale Formel ist nichts als ein lahmer Versuch, die Hegelschen
Kategorien des Ansich und F&uuml;rsich f&uuml;r die Wirklichkeitsphilosophie nutzbar
zu machen. Im Ansich besteht bei Hegel die urspr&uuml;ngliche Identit&auml;t der
in einem Ding, einem Vorgang, einem Begriff verborgenen unentwickelten Gegens&auml;tze;
im F&uuml;rsich tritt die Unterscheidung und Trennung dieser verborgenen Elemente
ein und ihr Widerstreit beginnt. Wir sollen uns also den regungslosen Urzustand
vorstellen als Einheit von Materie und mechanischer Kraft, und den &Uuml;bergang
zur Bewegung als Trennung und Entgegensetzung beider. Was wir damit gewonnen haben,
ist nicht der Nachweis der Realit&auml;t jenes phantastischen Urzustands, sondern
nur dies, da&szlig; man ihn unter die Hegelsche Kategorie des Ansich fassen kann,
und sein ebenso phantastisches Aufh&ouml;ren unter die des F&uuml;rsich. Hegel
hilf!</P>
<P>die Materie, sagt Herr D&uuml;hring, ist der Tr&auml;ger alles Wirklichen;
wonach es keine mechanische Kraft au&szlig;er der Materie geben kann. Die mechanische
Kraft ist ferner ein Zustand der Materie. Im Urzustand nun, wo nichts passierte,
war die Materie und ihr Zustand, die mechanische Kraft, Eins. Nachher, als etwas
vorzugehn anfing, mu&szlig; sich also wohl der Zustand von der Materie unterschieden
haben. Also mit solchen mystischen Phrasen und mit der Versicherung, da&szlig;
der sich selbst gleiche Zustand weder statisch noch dynamisch, weder im Gleichgewicht
noch in der Bewegung war, sollen wir uns abspeisen lassen. Wir wissen noch immer
nicht, wo die <A NAME="S55"></A><B>|55|</B> mechanische Kraft in jenem Zustand
war, und wie wir ohne Ansto&szlig; von au&szlig;en, d.h. ohne Gott, von der absoluten
Bewegungslosigkeit zur Bewegung kommen sollen.</P>
<P>Vor Herrn D&uuml;hring sprachen die Materialisten von Materie und Bewegung.
Er reduziert die Bewegung auf die mechanische Kraft als ihre angebliche Grundform
und macht es sich damit unm&ouml;glich, den wirklichen Zusammenhang zwischen Materie
und Bewegung zu verstehn, der &uuml;brigens auch allen fr&uuml;hern Materialisten
unklar war. Und doch ist die Sache einfach genug. <I>Die Bewegung ist die Daseinsweise
der Materie.</I> Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben oder kann
es sie geben. Bewegung im Weltraum, mechanische Bewegung kleinerer Massen auf
den einzelnen Weltk&ouml;rpern, Molekularschwingung als W&auml;rme oder als elektrische
oder magnetische Str&ouml;mung, chemische Zersetzung und Verbindung. organisches
Leben - in einer oder der andern dieser Bewegungsformen oder in mehreren zugleich
befindet sich jedes einzelne Stoffatom der Welt in jedem gegebnen Augenblick.
Alle Ruhe, alles Gleichgewicht ist nur relativ, hat nur Sinn in Beziehung auf
diese oder jene bestimmte Bewegungsform. Ein K&ouml;rper kann z.B. auf der Erde
im mechanischen Gleichgewicht, mechanisch in Ruhe sich befinden; dies hindert
durchaus nicht, da&szlig; er an der Bewegung der Erde wie an der des ganzen Sonnensystems
teilnimmt, ebensowenig wie es seine kleinsten physikalischen Teilchen verhindert,
die durch seine Temperatur bedingten Schwingungen zu vollziehn, oder seine Stoffatome,
einen chemischen Proze&szlig; durchzumachen. Materie ohne Bewegung ist ebenso
undenkbar wie Bewegung ohne Materie. Die Bewegung ist daher ebenso unerschaffbar
und unzerst&ouml;rbar wie die Materie selbst; was die &auml;ltere Philosophie
(Descartes) so ausdr&uuml;ckt, da&szlig; die Quantit&auml;t der in der Welt vorhandnen
Bewegung stets dieselbe sei. Bewegung kann also nicht erzeugt, sie kann nur &uuml;bertragen
werden. Wenn Bewegung von einem K&ouml;rper auf einen andern &uuml;bertragen wird,
so kann man sie, soweit sie sich &uuml;bertr&auml;gt, aktiv ist, ansehn als die
Ursache der Bewegung, soweit diese &uuml;bertragen wird, passiv ist. Diese aktive
Bewegung nennen wir <I>Kraft,</I> die passive <I>Kraft&auml;u&szlig;erung</I>.
Es ist hiernach sonnenklar, da&szlig; die Kraft ebenso gro&szlig; ist wie ihre
&Auml;u&szlig;erung, weil es in beiden ja <I>dieselbe</I> Bewegung ist, die sich
vollzieht.</P>
<P>Ein bewegungsloser Zustand der Materie erweist sich hiernach als eine der hohlsten
und abgeschmacktesten Vorstellungen, als eine reine &raquo;Fieberphantasie&laquo;. Um dahin
zu kommen, mu&szlig; man das relativ mechanische Gleichgewicht, worin sich ein
K&ouml;rper auf dieser Erde befinden kann, sich als absolute Ruhe vorstellen und
dann es auf das gesamte Weltall &uuml;bertragen. <A NAME="S56"></A><B>|56|</B>
Das wird allerdings erleichtert, wenn man die universelle Bewegung auf die blo&szlig;e
mechanische Kraft reduziert. Und dann bietet die Beschr&auml;nkung der Bewegung
auf blo&szlig;e mechanische Kraft noch den Vorteil, da&szlig; man sich eine Kraft
als ruhend, als gebunden, also augenblicklich unwirksam vorstellen kann. Wenn
n&auml;mlich die &Uuml;bertragung einer Bewegung, was sehr oft vorkommt, ein einigerma&szlig;en
verwickelter Vorgang ist, zu dem verschiedne Mittelglieder geh&ouml;ren, so kann
man die wirkliche &Uuml;bertragung auf einen beliebigen Augenblick verschieben,
indem man das letzte Glied in der Kette ausl&auml;&szlig;t. So z.B., wenn man
eine Flinte ladet und sich den Augenblick vorbeh&auml;lt, wann durch Abziehen
des Dr&uuml;ckers die Entladung, die &Uuml;bertragung der durch Verbrennung des
Pulvers freigesetzten Bewegung sich vollziehn soll. Man kann sich also vorstellen,
w&auml;hrend des bewegungslosen, sich selbst gleichen Zustandes sei die Materie
mit Kraft geladen gewesen, und dies scheint Herr D&uuml;hring, wenn &uuml;berhaupt
etwas, unter Einheit von Materie und mechanischer Kraft zu verstehn. Diese Vorstellung
ist widersinnig, weil sie auf das Weltall einen Zustand als absolut &uuml;bertr&auml;gt,
der seiner Natur nach relativ ist, und dem also immer nur <I>ein Teil</I> der
Materie gleichzeitig unterworfen sein kann. Sehn wir jedoch selbst hiervon ab,
so bleibt immer noch die Schwierigkeit, erstens, wie die Welt dazu kam, geladen
zu werden, da sich heutzutage die Flinten nicht von selbst laden, und zweitens,
wessen Finger dann den Dr&uuml;cker abgezogen hat? Wir m&ouml;gen uns drehn und
wenden, wie wir wollen, unter Herrn D&uuml;hrings Leitung kommen wir immer wieder
auf - Gottes Finger.</P>
<P>Von der Astronomie geht unser Wirklichkeitsphilosoph auf die Mechanik und Physik
&uuml;ber und beklagt sich, da&szlig; die mechanische W&auml;rmetheorie in einem
Menschenalter seit ihrer Entdeckung nicht wesentlich weiter gef&ouml;rdert worden
sei, als wozu Robert Mayer sie selbst nach und nach gebracht. Au&szlig;erdem sei
die ganze Sache noch sehr dunkel;</P>
<P><SMALL>wir m&uuml;ssen &raquo;immer wieder erinnern, da&szlig; mit den Bewegungszust&auml;nden
der Materie auch statische Verh&auml;ltnisse gegeben sind, und da&szlig; diese
letztern an der mechanischen Arbeit kein Ma&szlig; haben ... wenn wir fr&uuml;her
die Natur als eine gro&szlig;e Arbeiterin bezeichnet haben und diesen Ausdruck
jetzt streng nehmen, so m&uuml;ssen wir noch hinzuf&uuml;gen, da&szlig; die sich
selbst gleichen Zust&auml;nde und ruhenden Verh&auml;ltnisse keine mechanische
Arbeit repr&auml;sentieren. Wir vermissen also wiederum die Br&uuml;cke vom Statischen
zum Dynamischen, und wenn die sogenannte latente W&auml;rme bis jetzt f&uuml;r
die Theorie ein Ansto&szlig; geblieben ist, so m&uuml;ssen wir auch hier einen
Mangel anerkennen, der sich am wenigsten in den kosmischen Anwendungen verleugnen
sollte.&laquo;</SMALL></P>
<P>Dies ganze orakelhafte Gerede ist wieder nichts als der Ausflu&szlig; des b&ouml;sen
Gewissens, das sehr wohl f&uuml;hlt, da&szlig; es sich mit seiner Erzeugung der
<A NAME="S57"></A><B>|57|</B> Bewegung aus der absoluten Bewegungslosigkeit unrettbar
festgeritten hat und sich doch sch&auml;mt, an den einzigen Retter zu appellieren,
n&auml;mlich an den Sch&ouml;pfer Himmels und der Erden. Wenn sogar in der Mechanik,
die der W&auml;rme eingeschlossen, die Br&uuml;cke vom Statischen zum Dynamischen,
vom Gleichgewicht zur Bewegung, nicht gefunden werden kann, wie sollte dann Herr
D&uuml;hring verpflichtet sein, die Br&uuml;cke von seinem bewegungslosen Zustand
zur Bewegung zu finden? Und damit w&auml;re er dann gl&uuml;cklich aus der Not.</P>
<P>In der gew&ouml;hnlichen Mechanik ist die Br&uuml;cke vom Statischen zum Dynamischen
- der Ansto&szlig; von au&szlig;en. Wenn ein Stein vom Gewicht eines Zentners
zehn Meter hochgehoben und frei aufgeh&auml;ngt wird, so da&szlig; er in einem
sich selbst gleichen Zustand und ruhenden Verh&auml;ltnis dort h&auml;ngenbleibt,
so mu&szlig; man an ein Publikum von S&auml;uglingen appellieren, um behaupten
zu k&ouml;nnen, da&szlig; die jetzige Lage dieses K&ouml;rpers keine mechanische
Arbeit repr&auml;sentiere oder ihr Abstand von seiner fr&uuml;hern Lage an der
mechanischen Arbeit kein Ma&szlig; habe. Jeder Vor&uuml;bergehende wird Herrn
D&uuml;hring ohne M&uuml;he begreiflich machen, da&szlig; der Stein nicht von
selbst da oben an den Strick gekommen ist, und das erste beste Handbuch der Mechanik
kann ihm sagen, da&szlig;, wenn er den Stein wieder fallenl&auml;&szlig;t, dieser
im Fallen ebensoviel mechanisches Werk leistet als n&ouml;tig war, ihn die zehn
Meter hochzuheben. Selbst die einfachste Tatsache, da&szlig; der Stein da oben
h&auml;ngt, repr&auml;sentiert mechanisches Werk, denn wenn er lange genug h&auml;ngenbleibt,
rei&szlig;t der Strick, sobald er infolge chemischer Zersetzung nicht mehr stark
genug ist, den Stein zu tragen. Auf solche einfache Grundgestalten, um mit Herrn
D&uuml;hring zu reden, lassen sich aber alle mechanischen Vorg&auml;nge reduzieren,
und der Ingenieur soll noch geboren werden, der die Br&uuml;cke vom Statischen
zum Dynamischen nicht finden kann, solange er &uuml;ber hinreichenden Ansto&szlig;
verf&uuml;gt.</P>
<P>Allerdings ist es eine harte Nu&szlig; und bittre Pille f&uuml;r unsern Metaphysiker,
da&szlig; die Bewegung ihr Ma&szlig; finden soll in ihrem Gegenteil, in der Ruhe.
Das ist ja ein schreiender Widerspruch, und jeder Wider<I>spruch</I> ist, nach
Herrn D&uuml;hring, ein Wider<I>sinn</I>. Nichtsdestoweniger ist es eine Tatsache,
da&szlig; der h&auml;ngende Stein eine bestimmte, durch sein Gewicht und seine
Entfernung vom Erdboden genau me&szlig;bare, in verschiedner Art - z.B. durch
direkten Fall, durch Herabgleiten auf der schiefen Ebene, durch Umdrehung einer
Welle - beliebig verwendbare Menge von mechanischer Bewegung vertritt, und eine
geladne Flinte ebenfalls. F&uuml;r die dialektische Auffassung bietet die Ausdr&uuml;ckbarkeit
von Bewegung in ihrem Gegenteil, in Ruhe, durchaus keine Schwierigkeit. F&uuml;r
sie ist der ganze Gegensatz, wie <A NAME="S58"></A><B>|58|</B> wir gesehn haben,
nur relativ; absolute Ruhe, unbedingtes Gleichgewicht gibt es nicht. Die einzelne
Bewegung strebt dem Gleichgewicht zu, die Gesamtbewegung hebt das Gleichgewicht
wieder auf. So sind Ruhe und Gleichgewicht, wo sie vorkommen, das Resultat einer
beschr&auml;nkten Bewegung, und es ist selbstredend, da&szlig; diese Bewegung
an ihrem Resultat me&szlig;bar, in ihm ausdr&uuml;ckbar, und aus ihm in einer
oder der andern Form wieder herstellbar ist. Mit einer so einfachen Darstellung
der Sache darf aber Herr D&uuml;hring sich nicht zufriedengeben. Als guter Metaphysiker
rei&szlig;t er zwischen Bewegung und Gleichgewicht zuerst eine in der Wirklichkeit
nicht existierende, g&auml;hnende Kluft auf, und wundert sich dann, wenn er keine
Br&uuml;cke &uuml;ber diese selbstfabrizierte Kluft finden kann. Er k&ouml;nnte
ebensogut seine metaphysische Rosinante besteigen und dem Kantschen &raquo;Ding an sich&laquo;
nachjagen; denn das und nichts andres ist es, was schlie&szlig;lich hinter dieser
unerfindlichen Br&uuml;cke steckt.</P>
<P>Aber wie steht's mit der mechanischen W&auml;rmetheorie und der gebundnen oder
latenten Wann&laquo;, die f&uuml;r diese Theorie &raquo;ein Ansto&szlig; geblieben&laquo; ist?</P>
<P>Wenn man ein Pfund Eis von der Temperatur des Gefrierpunkts und bei Normalluftdruck
durch W&auml;rme in ein Pfund Wasser von derselben Temperatur verwandelt, so verschwindet
eine W&auml;rmemenge, die hinreichend w&auml;re, dasselbe Pfund Wasser von 0 bis
auf 79<SPAN class="top">4</SPAN>/<SPAN class="bottom">10</SPAN> Grad des hundertteiligen Thermometers oder um
79<SPAN class="top">4</SPAN>/<SPAN class="bottom">10</SPAN> Pfund Wasser um einen Grad zu erw&auml;rmen. Wenn
man dies Pfund Wasser auf den Siedepunkt, also auf 100&deg; erhitzt und nun in Dampf
von 100&deg; verwandelt, so verschwindet, bis das letzte Wasser in Dampf verwandelt
ist, eine fast siebenfach gr&ouml;&szlig;ere W&auml;rmemenge, hinreichend, um
die Temperatur von 537<SPAN class="top">2</SPAN>/<SPAN class="bottom">10</SPAN> Pfund Wasser um einen Grad zu
erh&ouml;hen. Diese verschwundne W&auml;rme nennt man <I>gebunden</I>. Verwandelt
sich durch Abk&uuml;hlung der Dampf wieder in Wasser und das Wasser wieder in
Eis, so wird dieselbe Menge W&auml;rme, die vorher gebunden wurde, wieder <I>frei</I>,
d.h. als W&auml;rme f&uuml;hlbar und me&szlig;bar. Dies Freiwerden von W&auml;rme
beim Verdichten des Dampfs und beim Gefrieren des Wassers ist die Ursache, da&szlig;
Dampf, wenn er auf 100&deg; abgek&uuml;hlt, sich erst allm&auml;hlich in Wasser und
da&szlig; eine Wassermasse von der Temperatur des Gefrierpunkts nur sehr langsam
sich in Eis verwandelt. Dies sind die Tatsachen. Die Frage ist nun: was wird aus
der W&auml;rme, w&auml;hrend sie gebunden ist?</P>
<P>Die mechanische W&auml;rmetheorie, nach der die W&auml;rme in einer nach Temperatur
und Aggregatzustand gr&ouml;&szlig;ern oder geringern Schwingung der kleinsten
physikalisch t&auml;tigen Teilchen (Molek&uuml;le) der K&ouml;rper besteht, einer
Schwingung, die unter Umst&auml;nden in jede andre Form der Bewegung umschlagen
kann, erkl&auml;rt die Sache daraus, da&szlig; die verschwundne W&auml;rme <A NAME="S59"></A><B>|59|</B>
Werk verrichtet hat, in Werk umgesetzt worden ist. Beim Schmelzen des Eises ist
der enge feste Zusammenhang der einzelnen Molek&uuml;le unter sich aufgehoben
und in lose Aneinanderlegung verwandelt; beim Verdampfen des Wassers auf dem Siedepunkt
ist ein Zustand eingetreten, worin die einzelnen Molek&uuml;le gar keinen merklichen
Einflu&szlig; aufeinander aus&uuml;ben und unter der Einwirkung der W&auml;rme
sogar in allen Richtungen auseinanderfliegen. Es ist nun klar, da&szlig; die einzelnen
Molek&uuml;le eines K&ouml;rpers im gasf&ouml;rmigen zustande mit einer weit gr&ouml;&szlig;ern
Energie begabt sind als im fl&uuml;ssigen, und im fl&uuml;ssigen wieder mehr als
im festen zustande Die gebundne W&auml;rme ist also nicht verschwunden, sie ist
einfach verwandelt worden und hat die Form der molekularen Spannkraft angenommen.
Sobald die Bedingung aufh&ouml;rt, unter der die einzelnen Molek&uuml;le diese
absolute oder relative Freiheit gegeneinander behaupten k&ouml;nnen, sobald n&auml;mlich
die Temperatur unter das Minimum von 100&deg;, beziehungsweise 0&deg; herabgeht, wird
diese Spannkraft losgelassen, die Molek&uuml;le dr&auml;ngen sich wieder aneinander
mit derselben Kraft, mit der sie vorher auseinandergerissen; und diese Kraft verschwindet,
aber nur, um als W&auml;rme wiederzuerscheinen, und zwar als genau dieselbe Quantit&auml;t
W&auml;rme, die vorher gebunden war. Diese Erkl&auml;rung ist nat&uuml;rlich eine
Hypothese wie die ganze mechanische W&auml;rmetheorie, insofern niemand bis jetzt
ein Molek&uuml;l, geschweige ein schwingendes, je gesehn hat. Sie ist eben deswegen
sicher voller M&auml;ngel wie die ganze noch sehr junge Theorie, aber sie kann
wenigstens den Hergang erkl&auml;ren, ohne irgendwie mit der Unzerst&ouml;rbarkeit
und Unerschaffbarkeit der Bewegung in Widerstreit zu kommen, und sie wei&szlig;
sogar genau von dem Verbleib der W&auml;rme innerhalb ihrer Verwandlung Rechenschaft
zu geben. Die latente oder gebundne W&auml;rme ist also keineswegs ein Ansto&szlig;
f&uuml;r die mechanische W&auml;rmetheorie. Im Gegenteil bringt diese Theorie
zum erstenmal eine rationelle Erkl&auml;rung des Vorgangs fertig, und ein Ansto&szlig;
kann h&ouml;chstens daraus entstehn, da&szlig; die Physiker fortfahren, die in
eine andre Form von Molekularenergie verwandelte W&auml;rme mit dem veralteten
und unpassend gewordenen Ausdruck &raquo;gebunden&laquo; zu bezeichnen.</P>
<P>Also repr&auml;sentieren die sich selbst gleichen Zust&auml;nde und ruhenden
Verh&auml;ltnisse des festen, tropfbarfl&uuml;ssigen und gasf&ouml;rmigen Aggregatzustandes
allerdings mechanisches Werk, insofern das mechanische Werk das Ma&szlig; der
W&auml;rme ist. Sowohl die feste Erdkruste wie das Wasser des Ozeans repr&auml;sentiert
in seinem jetzigen Aggregatzustand eine ganz bestimmte Quantit&auml;t frei gewordner
W&auml;rme, der selbstredend ein ebenso bestimmtes Quantum mechanischer Kraft
entspricht. Bei dem &Uuml;bergang des Gasballs, aus dem die Erde entstanden, in
den tropfbarfl&uuml;ssigen und sp&auml;ter in den gro&szlig;en- <A NAME="S60"></A><B>|60|</B>
teils festen Aggregatzustand, ist ein bestimmtes Quantum Molekularenergie als
W&auml;rme in den Weltraum ausgestrahlt worden. Die Schwierigkeit, von der Herr
D&uuml;hring in geheimnisvoller Weise munkelt, existiert also nicht, und selbst
bei den kosmischen Anwendungen m&ouml;gen wir zwar auf M&auml;ngel und L&uuml;cken
sto&szlig;en - die unsern unvollkommnen Erkenntnismitteln geschuldet - aber nirgendswo
auf theoretisch un&uuml;berwindliche Hindernisse. Die Br&uuml;cke vom Statischen
zum Dynamischen ist auch hier der Ansto&szlig; von au&szlig;en - Abk&uuml;hlung
oder Erw&auml;rmung, veranla&szlig;t durch andre K&ouml;rper, die auf den im Gleichgewicht
befindlichen Gegenstand einwirken. Je weiter wir in dieser D&uuml;hringschen Naturphilosophie
vordringen, desto unm&ouml;glicher erscheinen alle Versuche, die Bewegung aus
der Bewegungslosigkeit zu erkl&auml;ren oder die Br&uuml;cke zu finden, auf der
das rein Statische, Ruhende <I>aus sich selbst</I> zum Dynamischen, zur Bewegung
kommen kann.</P>
<P>Hiermit w&auml;ren wir dann den sich selbst gleichen Urzustand f&uuml;r einige
Zeit gl&uuml;cklich los. Herr D&uuml;hring geht zur Chemie &uuml;ber, und enth&uuml;llt
uns bei dieser Gelegenheit drei bis jetzt durch die Wirklichkeitsphilosophie gewonnene
Beharrungsgesetze der Natur, wie folgt:</P>
<P><SMALL>1. der Gr&ouml;&szlig;enbestand der allgemeinen Materie, 2. der der
einfachen (chemischen) Elemente und 3. der der mechanischen Kraft sind unver&auml;nderlich.</SMALL></P>
<P>Also: die Unerschaffbarkeit und Unzerst&ouml;rbarkeit der Materie sowie ihrer
einfachen Bestandteile, soweit sie deren hat, und der Bewegung - diese alten,
weltbekannten Tatsachen, h&ouml;chst ungen&uuml;gend ausgedr&uuml;ckt -, das ist
das einzig wirklich Positive, das uns Herr D&uuml;hring als Resultat seiner Naturphilosophie
der unorganischen Welt zu bieten imstande ist. Alles Dinge, die wir l&auml;ngst
gewu&szlig;t. Aber was wir nicht gewu&szlig;t haben, ist: da&szlig; es &raquo;Beharrungsgesetze&laquo;
und als solche &raquo;schematische Eigenschaften des Systems der Dinge&laquo; sind. Es geht
uns wieder wie <A HREF="me20_032.htm#S44">oben bei Kant</A>: Herr D&uuml;hring nimmt irgendwelche
allbekannte Schnurre, klebt eine D&uuml;hringsche Etikette drauf, und nennt das:</P>
<P><SMALL>&raquo;von Grund aus eigent&uuml;mliche Ergebnisse und Anschauungen ... systemschaffende
Gedanken ... wurzelhafte Wissenschaft&laquo;.</SMALL></P>
<P>Doch wir brauchen deswegen noch lange nicht zu verzweifeln. Welche M&auml;ngel
auch die wurzelhafteste Wissenschaft und die beste Gesellschaftseinrichtung haben
m&ouml;gen, eins kann Herr D&uuml;hring mit Bestimmtheit behaupten:</P>
<P><SMALL><B><A NAME="S61">|61|</A></B></SMALL><SMALL> &raquo;Das im Universum vorhandne
Gold mu&szlig; jederzeit dieselbe Menge gewesen sein und kann sich ebensowenig
wie die allgemeine Materie vermehrt oder vermindert haben.&laquo;</SMALL></P>
<P>Was wir uns aber f&uuml;r dies &raquo;vorhandne Gold&laquo; kaufen k&ouml;nnen, das sagt
Herr D&uuml;hring leider nicht.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_VII">VII. Naturphilosophie. Organische Welt</A></H3>
<P><SMALL>&raquo;Von der Mechanik in Druck und Sto&szlig; bis zur Verkn&uuml;pfung der
Empfindungen und Gedanken reicht eine einheitliche und einzige Stufenleiter von
Einschaltungen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Mit dieser Versicherung erspart es sich Herr D&uuml;hring, &uuml;ber die Entstehung
des Lebens etwas weiteres zu sagen, obwohl man von einem Denker, der die Entwicklung
der Welt bis auf den sich selbst gleichen Zustand zur&uuml;ck verfolgt hat, und
der auf den andern Weltk&ouml;rpern so heimisch ist, wohl erwarten d&uuml;rfte,
da&szlig; er auch hier genau Bescheid wisse. Im &uuml;brigen ist jene Versicherung
nur halb richtig, solange sie nicht durch die schon erw&auml;hnte <A HREF="me20_032.htm#S42">Hegelsche
Knotenlinie</A> von Ma&szlig;verh&auml;ltnissen erg&auml;nzt wird. Bei aller Allm&auml;hlichkeit
bleibt der &Uuml;bergang von einer Bewegungsform zur andern immer ein Sprung,
eine entscheidende Wendung. So der &Uuml;bergang von der Mechanik der Weltk&ouml;rper
zu der der kleineren Massen auf einem einzelnen Weltk&ouml;rper; ebenso der von
der Mechanik der Massen zu der Mechanik der Molek&uuml;le - die Bewegungen umfassend,
die wir in der eigentlich sogenannten Physik untersuchen: W&auml;rme, Licht, Elektrizit&auml;t,
Magnetismus; ebenso vollzieht sich der &Uuml;bergang von der Physik der Molek&uuml;le
zu der Physik der Atome - der Chemie - wieder durch einen entschiednen Sprung,
und noch mehr ist dies der Fall beim &Uuml;bergang von gew&ouml;hnlicher chemischer
Aktion zum Chemismus des Eiwei&szlig;es, den wir Leben nennen. Innerhalb der Sph&auml;re
des Lebens werden dann die Spr&uuml;nge immer seltner und unmerklicher. - Es ist
also wieder Hegel, der Herrn D&uuml;hring berichtigen mu&szlig;.</P>
<P>Den begrifflichen &Uuml;bergang zur organischen Welt liefert Herrn D&uuml;hring
der Zweckbegriff. Dies ist wieder entlehnt aus Hegel, der in der &raquo;Logik&laquo; - Lehre
vom Begriff - vermittelst der Teleologie oder Lehre vom Zweck, vom Chemismus zum
Leben &uuml;bergeht. Wohin wir blicken, sto&szlig;en wir bei Herrn D&uuml;hring
auf eine Hegelsche &raquo;Krudit&auml;t&laquo;, die er ganz ungeniert f&uuml;r seine eigne
wurzelhafte Wissenschaft ausgibt. Es w&uuml;rde zu weit <A NAME="S62"></A><B>|62|</B>
f&uuml;hren, hier zu untersuchen, inwieweit die Anwendung der Vorstellungen von
Zweck und Mittel auf die organische Welt berechtigt und angebracht ist. Jedenfalls
f&uuml;hrt auch die Anwendung des Hegelschen &raquo;inneren Zwecks&laquo;, d.h. eines Zwecks,
der nicht durch einen absichtlich handelnden Dritten, etwa die Weisheit der Vorsehung,
in die Natur importiert ist, sondern der in der Notwendigkeit der Sache selbst
liegt, bei Leuten, die nicht vollst&auml;ndig philosophisch geschult sind, fortw&auml;hrend
zur gedankenlosen Unterschiebung bewu&szlig;ter und absichtlicher Handlung. Derselbe
Herr D&uuml;hring, der bei der geringsten &raquo;spiritistischen&laquo; Regung andrer Leute
in ungemessene sittliche Entr&uuml;stung ger&auml;t, versichert</P>
<P><SMALL>&raquo;mit Bestimmtheit, da&szlig; die Triebempfindungen in der Hauptsache
um der Befriedigung willen geschaffen worden sind, die mit ihrem Spiel verbunden
ist&laquo;.</SMALL></P>
<P>Er erz&auml;hlt uns, die arme Natur</P>
<P><SMALL>&raquo;mu&szlig; immer wieder von neuem die gegenst&auml;ndliche Welt in Ordnung
halten&laquo;, und daneben hat sie noch mehr als eine Angelegenheit zu erledigen, &raquo;die
von seiten der Natur mehr Subtilit&auml;t erforderlich macht, als man gew&ouml;hnlich
zugesteht&laquo;. Aber die Natur <I>wei&szlig;</I> nicht nur, warum sie dies und jenes
schafft, sie hat nicht nur Hausmagdsdienste zu verrichten, sie hat nicht nur Subtilit&auml;t,
was doch schon eine ganz h&uuml;bsche Vervollkommnung im subjektiven bewu&szlig;ten
Denken ist, sie hat auch einen Willen; denn die Zugabe zu den Trieben, da&szlig;
sie nebenbei reale Naturbedingungen: Ern&auml;hrung, Fortpflanzung usw. erf&uuml;llen,
diese Zugabe &raquo;d&uuml;rfen wir nicht als direkt, sondern nur als indirekt <I>gesollt</I>
ansehen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Wir sind hiermit bei einer bewu&szlig;t denkenden und handelnden Natur angekommen,
stehn also schon auf der &raquo;Br&uuml;cke&laquo; zwar nicht vom Statischen zum Dynamischen,
aber doch vom Pantheismus zum Deismus. Oder beliebt es Herrn D&uuml;hring etwa,
auch einmal ein wenig &raquo;naturphilosophische Halbpoesie&laquo; zu treiben?</P>
<P>Unm&ouml;glich. Alles was uns unser Wirklichkeitsphilosoph &uuml;ber die organische
Natur zu sagen wei&szlig;, beschr&auml;nkt sich auf den Kampf gegen diese naturphilosophische
Halbpoesie, gegen &raquo;die Scharlatanerie mit ihren leichtfertigen Oberfl&auml;chlichkeiten
und sozusagen wissenschaftlichen Mystifikationen&laquo;, gegen die &raquo;dichtelnden Z&uuml;ge&laquo;
des <I>Darwinismus</I>.</P>
<P>Vor allen Dingen wird Darwin vorgeworfen, da&szlig; er die Malthussche Bev&ouml;lkerungstheorie
aus der &Ouml;konomie in die Naturwissenschaft &uuml;bertrage, da&szlig; er in
den Vorstellungen des Tierz&uuml;chters befangen sei, da&szlig; er mit dem Kampf
ums Dasein unwissenschaftliche Halbpoesie treibe, und da&szlig; der ganze Darwinismus,
nach Abzug des von Lamarck Entlehnten, ein St&uuml;ck gegen die Humanit&auml;t
gekehrte Brutalit&auml;t sei.</P>
<P><B><A NAME="S63">|63|</A></B> Darwin hatte von seinen wissenschaftlichen Reisen
die Ansicht nach Hause gebracht, da&szlig; die Arten der Pflanzen und Tiere nicht
best&auml;ndige, sondern sich ver&auml;ndernde sind. Um diesen Gedanken zu Hause
weiter zu verfolgen, bot sich ihm kein besseres Feld als das der Tier- und Pflanzenz&uuml;chtung.
Grade hierf&uuml;r ist England das klassische Land; die Leistungen andrer L&auml;nder,
z.B. Deutschlands, k&ouml;nnen nicht entfernt einen Ma&szlig;stab abgeben f&uuml;r
das in dieser Beziehung in England Erreichte. Dabei geh&ouml;ren die meisten Erfolge
den letzten hundert Jahren an, so da&szlig; die Konstatierung der Tatsachen wenig
Schwierigkeiten macht. Darwin fand nun, da&szlig; diese Z&uuml;chtung k&uuml;nstlich,
an Tieren und Pflanzen derselben Art, Unterschiede hervorgerufen hatte, gr&ouml;&szlig;er
als diejenigen, die bei allgemein als verschieden anerkannten Arten vorkommen.
Einerseits war also die Ver&auml;nderlichkeit der Arten bis auf einen gewissen
Grad nachgewiesen, andrerseits die M&ouml;glichkeit gemeinschaftlicher Vorfahren
f&uuml;r Organismen, die verschiedne Artcharaktere besa&szlig;en. Darwin untersuchte
nun, ob nicht etwa in der Natur sich Ursachen finden, die - ohne die bewu&szlig;te
Absicht des Z&uuml;chters - dennoch auf die Dauer an den lebenden Organismen &auml;hnliche
Ver&auml;nderungen hervorrufen mu&szlig;ten, wie die k&uuml;nstliche Z&uuml;chtung.
Diese Ursachen fand er in dem Mi&szlig;verh&auml;ltnis zwischen der ungeheuren
Zahl der von der Natur geschaffenen Keime und der geringen von wirklich zur Reife
gelangenden Organismen. Da nun aber jeder Keim zur Entwicklung strebt, so entsteht
notwendig ein Kampf ums Dasein, der nicht blo&szlig; als direkte, k&ouml;rperliche
Bek&auml;mpfung oder Verzehrung, sondern auch als Kampf um Raum und Licht, selbst
bei Pflanzen noch, sich zeigt. Und es ist augenscheinlich, das in diesem Kampfe
diejenigen Individuen am meisten Aussicht haben, zur Reife zu gelangen und sich
fortzupflanzen, die irgendeine, noch so unbedeutende, aber im Kampf ums Dasein
vorteilhafte individuelle Eigent&uuml;mlichkeit besitzen. Diese individuellen
Eigent&uuml;mlichkeiten haben demnach die Tendenz, sich zu vererben, und wenn
sie bei mehreren Individuen derselben Art vorkommen, sich durch geh&auml;ufte
Vererbung in der einmal angenommenen Richtung zu steigern; w&auml;hrend die diese
Eigent&uuml;mlichkeit nicht besitzenden Individuen im Kampf ums Dasein leichter
erliegen und allm&auml;hlich verschwinden. Auf diese Weise ver&auml;ndert sich
eine Art durch nat&uuml;rliche Z&uuml;chtung, durch das &Uuml;berleben der Geeignetsten.</P>
<P>Gegen diese Darwinsche Theorie sagt nun Herr D&uuml;hring, der Ursprung der
Vorstellung vom Kampf ums Dasein sei, wie es Darwin selbst eingestanden habe,
in einer Verallgemeinerung der Ansichten des national&ouml;konomischen Bev&ouml;lkerungstheoretikers
Malthus zu suchen und demgem&auml;&szlig; auch mit allen denjenigen Sch&auml;den
behaftet, die den priesterlich malthusiani- <A NAME="S64"></A><B>|64|</B> sehen
Anschauungen &uuml;ber das Bev&ouml;lkerungsgedr&auml;nge eigen sind. - Nun f&auml;llt
es Darwin gar nicht ein zu sagen, der <I>Ursprung</I> der Vorstellung vom Kampf
ums Dasein sei bei Malthus zu suchen. Er sagt nur: seine Theorie vom Kampf ums
Dasein sei die Theorie von Malthus, angewandt auf die ganze tierische und pflanzliche
Welt. Wie gro&szlig; auch der Bock sein mag, den Darwin geschossen, indem er in
seiner Naivet&auml;t die Malthussche Lehre so unbesehn akzeptierte, so sieht doch
jeder auf den ersten Blick, da&szlig; man keine Malthus-Brille braucht, um den
Kampf ums Dasein in der Natur wahrzunehmen - den Widerspruch zwischen der zahllosen
Menge von Keimen, die die Natur verschwenderisch erzeugt, und der geringen Anzahl
von ihnen, die &uuml;berhaupt zur Reife kommen k&ouml;nnen; einen Widerspruch,
der sich in der Tat gr&ouml;&szlig;tenteils in einem - stellenweise &auml;u&szlig;erst
grausamen - Kampf ums Dasein l&ouml;st. Und wie das Gesetz des Arbeitslohns seine
Geltung behalten hat, auch nachdem die malthusianischen Argumente l&auml;ngst
verschollen sind, auf die Ricardo es st&uuml;tzte -, so kann der Kampf ums Dasein
in der Natur ebenfalls stattfinden, auch ohne irgendeine malthusianische Interpretation.
&Uuml;brigens haben die Organismen der Natur ebenfalls ihre Bev&ouml;lkerungsgesetze,
die so gut wie gar nicht untersucht sind, deren Feststellung aber f&uuml;r die
Theorie von der Entwicklung der Arten von entscheidender Wichtigkeit sein wird.
Und wer hat auch in dieser Richtung den entscheidenden Ansto&szlig; gegeben? Niemand
anders als Darwin.</P>
<P>Herr D&uuml;hring h&uuml;tet sich wohl, auf diese positive Seite der Frage
einzugehn. Statt dessen mu&szlig; der Kampf ums Dasein immer wieder vorhalten.
Von einem Kampf ums Dasein unter bewu&szlig;tlosen Pflanzen und gem&uuml;tlichen
Pflanzenfressern k&ouml;nne von vornherein keine Rede sein:</P>
<P><SMALL>&raquo;in genau bestimmtem Sinne ist nun der Kampf ums Dasein innerhalb der
Brutalit&auml;t insoweit vertreten, als die Ern&auml;hrung durch Raub und Verzehrung
erfolgt&laquo;.</SMALL></P>
<P>Und nachdem er den Begriff: Kampf ums Dasein, auf diese engen Grenzen reduziert,
kann er &uuml;ber die Brutalit&auml;t dieses von ihm selbst auf die Brutalit&auml;t
beschr&auml;nkten Begriffs seiner vollen Entr&uuml;stung freien Lauf lassen. Diese
sittliche Entr&uuml;stung trifft aber nur Herrn D&uuml;hring selbst, der ja der
alleinige Verfasser des Kampfs ums Dasein in dieser Beschr&auml;nkung und daher
auch allein daf&uuml;r verantwortlich ist. Es ist also nicht Darwin, der</P>
<P><SMALL>&raquo;im Gebiet der Bestien die Gesetze und das Verst&auml;ndnis aller Naturaktion
sucht&laquo; -</SMALL></P>
<P>Darwin hatte ja grade die ganze organische Natur mit in den Kampf eingeschlossen
-, sondern ein von Herrn D&uuml;hring selbst zurechtgemachter Phantasiepopanz.
Der <I>Name:</I> Kampf ums Dasein, kann &uuml;brigens dem hochmoralischen Zorn
des Herrn D&uuml;hring gern preisgegeben werden. Da&szlig; <A NAME="S65"></A><B>|65|</B>
die <I>Sache</I> auch unter Pflanzen existiert, kann ihm jede Wiese, jedes Kornfeld,
jeder Wald beweisen, und nicht um den Namen handelt es sich, ob man das &raquo;Kampf
ums Dasein&laquo; nennen soll oder &raquo;Mangel der Existenzbedingungen und mechanische Wirkungen&laquo;,
sondern darum, wie diese Tatsache auf die Erhaltung oder Ver&auml;nderung der
Arten einwirkt. Dar&uuml;ber verharrt Herr D&uuml;hring in einem hartn&auml;ckig
sich selbst gleichen Stillschweigen. Es wird also wohl vorl&auml;ufig bei der
Naturz&uuml;chtung sein Bewenden haben.</P>
<P><SMALL>Aber der Darwinismus &raquo;produziert seine Verwandlungen und Differenzen
aus nichts&laquo;.</SMALL></P>
<P>Allerdings sieht Darwin, wo er von der Naturz&uuml;chtung handelt, ab von den
<I>Ursachen</I>, die die Ver&auml;nderungen in den einzelnen Individuen hervorgerufen
haben, und handelt zun&auml;chst von der Art und Weise, in der solche individuelle
Abweichungen nach und nach zu Kennzeichen einer Race, Spielart oder Art werden.
F&uuml;r Darwin handelt es sich zun&auml;chst weniger darum, diese Ursachen zu
finden - die bis jetzt teilweise ganz unbekannt, teilweise nur ganz allgemein
angebbar sind -, als vielmehr eine rationelle Form, in der sich ihre Wirkungen
festsetzen, dauernde Bedeutung erhalten. Da&szlig; Darwin dabei seiner Entdeckung
einen &uuml;berm&auml;&szlig;igen Wirkungskreis zuschrieb, sie zum ausschlie&szlig;lichen
Hebel der Artver&auml;nderung machte und die Ursachen der wiederholten individuellen
Ver&auml;nderungen &uuml;ber der Form ihrer Verallgemeinerung vernachl&auml;ssigte,
ist ein Fehler, den er mit den meisten Leuten gemein hat, die einen wirklichen
Fortschritt machen. Zudem, wenn Darwin seine individuellen Verwandlungen aus nichts
produziert und dabei &raquo;die Weisheit des Z&uuml;chters&laquo; ausschlie&szlig;lich anwendet,
so mu&szlig; hiernach der Z&uuml;chter seine nicht blo&szlig; vorgestellten, sondern
wirklichen Verwandlungen der Tier- und Pflanzenformen ebenfalls aus <I>nichts
</I>produzieren. Wer aber den Ansto&szlig; gegeben hat, zu untersuchen, woraus
denn eigentlich diese Verwandlungen und Differenzen entstehn, ist wieder niemand
anders als Darwin.</P>
<P>Neuerdings ist, namentlich durch Haeckel, die Vorstellung von der Naturz&uuml;chtung
erweitert und die Artver&auml;nderung gefa&szlig;t als Resultat der Wechselwirkung
von Anpassung und Vererbung, wobei dann die Anpassung als die &auml;ndernde, die
Vererbung als die erhaltende Seite des Prozesses dargestellt wird. Auch dies ist
Herrn D&uuml;hring wieder nicht recht.</P>
<P><SMALL>&raquo;Eigentliche Anpassung an Lebensbedingungen, wie sie durch die Natur
geboten oder entzogen werden, setzt Antriebe und T&auml;tigkeiten voraus, die
sich nach Vorstellungen bestimmen. Andernfalls ist die Anpassung nur ein Schein
und die alsdann <A NAME="S66"></A><B>|66|</B> wirkende Kausalit&auml;t erhebt
sich nicht &uuml;ber die niedern Stufen des Physikalischen, Chemischen und pflanzlich
Physiologischen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Es ist wieder der Name, der Herrn D&uuml;hring zum &Auml;rgernis dient. Wie
er aber auch den Vorgang bezeichnen m&ouml;ge: die Frage ist hier die, ob durch
solche Vorg&auml;nge Ver&auml;nderungen in den Arten der Organismen hervorgerufen
werden oder nicht? Und Herr D&uuml;hring gibt wieder keine Antwort.</P>
<P><SMALL>&raquo;Wenn eine Pflanze in ihrem Wachstum den Weg nimmt, auf welchem sie
das meiste Licht erh&auml;lt, so ist diese Wirkung des Reizes nichts als eine
Kombination physikalischer Kr&auml;fte und chemischer Agenzien, und wenn man hier
nicht metaphorisch, sondern eigentlich von einer Anpassung reden will, so mu&szlig;
dies in die Begriffe eine <I>spiritistische</I> Verworrenheit bringen.&laquo;</SMALL></P>
<P>So streng gegen andre ist derselbe Mann, der ganz genau wei&szlig;, um wessen
<I>Willen</I> die Natur dies oder jenes tut, der von der <I>Subtilil&auml;t</I>
der Natur spricht, ja von ihrem <I>Willen</I>! Spiritistische Verworrenheit in
der Tat - aber wo, bei Haeckel oder bei Herrn D&uuml;hring?</P>
<P>Und nicht nur spiritistische, sondern auch logische Verworrenheit. Wir sahen,
da&szlig; Herr D&uuml;hring mit aller Gewalt darauf besteht, den Zweckbegriff
in der Natur geltend zu machen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die Beziehung von Mittel und Zweck setzt keineswegs eine bewu&szlig;te
Absicht voraus.&laquo;</SMALL></P>
<P>Was ist nun aber die Anpassung ohne bewu&szlig;te Absicht, ohne Vermittlung
von Vorstellungen, gegen die er so eifert, anders als eine solche unbewu&szlig;te
Zweckt&auml;tigkeit?</P>
<P>Wenn also Laubfr&ouml;sche und laubfressende Insekten gr&uuml;ne, W&uuml;stentiere
sandgelbe, Polarlandtiere vorwiegend schneewei&szlig;e Farbe haben, so haben sie
sich diese sicher nicht absichtlich oder nach irgendwelchen Vorstellungen angeeignet;
im Gegenteil lassen sich die Farben nur aus physikalischen Kr&auml;ften und chemischen
Agenzien erkl&auml;ren. Und doch ist es unleugbar, da&szlig; diese Tiere, durch
jene Farben, dem Mittel, in dem sie leben, zweckm&auml;&szlig;ig <I>angepa&szlig;t</I>
sind, und zwar so, da&szlig; sie ihren Feinden dadurch weit weniger sichtbar geworden.
Ebenso sind die Organe, womit gewisse Pflanzen die sich darauf niedersetzenden
Insekten fangen und verzehren, dieser T&auml;tigkeit angepa&szlig;t, und sogar
zweckm&auml;&szlig;ig angepa&szlig;t. Wenn nun Herr D&uuml;hring darauf besteht,
da&szlig; die Anpassung durch Vorstellungen bewirkt sein mu&szlig;, so sagt er
nur mit andern Worten, da&szlig; die Zweckt&auml;tigkeit ebenfalls durch Vorstellungen
vermittelt, bewu&szlig;t, absichtlich sein mu&szlig;. Womit wir wieder, wie gew&ouml;hnlich
in der Wirklichkeitsphilosophie, beim zweckt&auml;tigen Sch&ouml;pfer, bei Gott
angekommen sind.</P>
<P><SMALL><B><A NAME="S67">|67|</A></B></SMALL><SMALL> &raquo;Sonst nannte man eine
solche Auskunft Deismus und hielt nicht viel davon&laquo; (sagt Herr D&uuml;hring);
&raquo;jetzt aber scheint <I>man</I> sich auch in dieser Beziehung r&uuml;ckw&auml;rtsentwickelt
zu haben.&laquo;</SMALL></P>
<P>Von der Anpassung kommen wir auf die Vererbung. Auch hier ist der Darwinismus,
nach Herrn D&uuml;hring, vollst&auml;ndig auf dem Holzwege. Die ganze organische
Welt, behaupte Darwin, soll von einem Urwesen abstammen, sozusagen die Brut eines
einzigen Wesens sein. Die selbst&auml;ndige Nebenordnung gleichartiger Naturproduktionen
ohne Abstammungsvermittlung sei f&uuml;r Darwin gar nicht vorhanden, und er m&uuml;sse
daher mit seinen r&uuml;ckw&auml;rtsgekehrten Anschauungen sofort am Ende sein,
wo ihm der Faden der Zeugung oder sonstigen Fortpflanzung rei&szlig;t.</P>
<P>Die Behauptung, Darwin leite alle jetzigen Organismen von Einem Urwesen her,
ist, um uns h&ouml;flich auszudr&uuml;cken, eine &raquo;eigne freie Sch&ouml;pfung und
Imagination&laquo; des Herrn D&uuml;hring. Darwin sagt ausdr&uuml;cklich auf der vorletzten
Seite der &raquo;Origin of Species&laquo;, 6. Auflage, er sehe</P>
<P><SMALL>&raquo;alle Wesen nicht als besondre Sch&ouml;pfungen, sondern als die Nachkommen,
in gerader Linie, <I>einiger weniger Wesen</I>&laquo; |Hervorhebung von Engels| an.</SMALL></P>
<P>Und Haeckel geht noch bedeutend weiter und nimmt</P>
<P><SMALL>&raquo;einen ganz selbst&auml;ndigen Stamm f&uuml;r das Pflanzenreich, einen
zweiten f&uuml;r das Tierreich&laquo; an und zwischen beiden &raquo;eine Anzahl von selbst&auml;ndigen
Protistenst&auml;mmen, deren jeder ganz unabh&auml;ngig von jenen aus einer eignen
archigonen Monerenform sich entwickelt hat&laquo; (&raquo;Sch&ouml;pfungsgeschichte&laquo; S. 397).</SMALL></P>
<P>Dieses Urwesen ist von Herrn D&uuml;hring nur erfunden worden, um es durch
Parallele mit dem Urjuden Adam m&ouml;glichst in Verruf zu bringen; wobei ihm
- n&auml;mlich Herrn D&uuml;hring - das Ungl&uuml;ck passiert, da&szlig; ihm unbekannt
geblieben, wieso dieser Urjude durch [George] Smiths assyrische Entdeckungen sich
als Ursemit entpuppt; da&szlig; die ganze Sch&ouml;pfungs- und S&uuml;ndflutgeschichte
der Bibel sich erweist als ein St&uuml;ck aus dem altheidnischen, den Juden mit
Babyloniern, Chald&auml;ern und Assyrern gemeinsamen religi&ouml;sen Sagenkreise.</P>
<P>Es ist allerdings ein harter, aber nicht abzuweisender Vorwurf gegen Darwin,
da&szlig; er sofort am Ende ist, wo ihm der Faden der Abstammung rei&szlig;t.
Leider verdient ihn unsre gesamte Naturwissenschaft. Wo ihr der Faden der Abstammung
rei&szlig;t, ist sie &raquo;am Ende&laquo;. Sie hat es bisher noch nicht fertiggebracht, organische
Wesen ohne Abstammung zu erzeugen; ja noch nicht einmal einfaches Protoplasma
oder andre Eiwei&szlig;k&ouml;rper aus den chemischen Elementen herzustellen.
Sie kann also &uuml;ber den Ursprung des <A NAME="S68"></A><B>|68|</B> Lebens
bis jetzt nur soviel mit Bestimmtheit sagen, da&szlig; er sich auf chemischem
Wege vollzogen haben mu&szlig;. Vielleicht aber ist die Wirklichkeitsphilosophie
in der Lage, hier abhelfen zu k&ouml;nnen, da sie &uuml;ber selbst&auml;ndig nebengeordnete
Naturproduktionen verf&uuml;gt, die nicht durch Abstammung untereinander vermittelt
sind. Wie k&ouml;nnen diese entstanden sein? Durch Urzeugung? Aber bis jetzt haben
selbst die verwegensten Vertreter der Urzeugung nichts als Bakterien, Pilzkeime
und andere sehr urspr&uuml;ngliche Organismen auf diesem Wege zu erzeugen beansprucht
- keine Insekten, Fische, V&ouml;gel oder S&auml;ugetiere. Wenn nun diese gleichartigen
Naturproduktionen - wohlverstanden organische, von denen ist hier allein die Rede
- nicht durch Abstammung zusammenh&auml;ngen, so m&uuml;ssen sie oder jeder ihrer
Vorfahren da, &raquo;wo der Faden der Abstammung rei&szlig;t&laquo;, durch einen aparten Sch&ouml;pfungsakt
in die Welt gesetzt sein. Also schon wieder beim Sch&ouml;pfer und dem, was man
Deismus nennt.</P>
<P>Ferner erkl&auml;rt Herr D&uuml;hring es f&uuml;r eine gro&szlig;e Oberfl&auml;chlichkeit
von Darwin,</P>
<P><SMALL>&raquo;den blo&szlig;en Akt geschlechtlicher Komposition von Eigenschaften
zum Fundamentalprinzip der Entstehung dieser Eigenschaften zu machen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Dies ist wieder eine freie Sch&ouml;pfung und Imagination unseres wurzelhaften
Philosophen. Im Gegenteil erkl&auml;rt Darwin bestimmt: der Ausdruck Naturz&uuml;chtung
schlie&szlig;e nur ein die <I>Erhaltung</I> von Ver&auml;nderungen, nicht aber
ihre Erzeugung (S. 63). Diese neue Unterschiebung von Sachen, die Darwin nie gesagt,
dient aber dazu, uns zu folgendem D&uuml;hringschen Tiefsinn zu verhelfen:</P>
<P><SMALL>&raquo;H&auml;tte man im innern Schematismus der Zeugung irgendein Prinzip
der selbst&auml;ndigen Ver&auml;nderung aufgesucht, so w&uuml;rde dieser Gedanke
ganz rationell gewesen sein; denn es ist ein nat&uuml;rlicher Gedanke, das Prinzip
der allgemeinen Genesis mit dem der geschlechtlichen Fortpflanzung zu einer Einheit
zusammenzufassen und die sogenannte Urzeugung aus einem hohem Gesichtspunkt nicht
als absoluten Gegensatz der Reproduktion, sondern eben als eine Produktion anzusehn.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und der Mann, der solchen Gallimathias verfassen konnte, geniert sich nicht,
Hegel seinen &raquo;Jargon&laquo; vorzuwerfen!</P>
<P>doch genug der verdrie&szlig;lichen, widerspruchsvollen Quengelei und N&ouml;rgelei,
mit der Herr D&uuml;hring seinem &Auml;rger &uuml;ber den kolossalen Aufschwung
Luft macht, den die Naturwissenschaft dem Ansto&szlig; der Darwinschen Theorie
verdankt. Weder Darwin noch seine Anh&auml;nger unter den Naturforschern denken
daran, die gro&szlig;en Verdienste Lamarcks irgendwie zu verkleinern; sind sie
es doch grade, die ihn zuerst wieder auf den Schild <A NAME="S69"></A><B>|69|</B>
gehoben haben. Aber wir d&uuml;rfen nicht &uuml;bersehn, da&szlig; zu Lamarcks
Zeit die Wissenschaft bei weitem noch nicht &uuml;ber hinreichendes Material verf&uuml;gte,
um die Frage nach dem Ursprung der Arten anders als antizipierend, sozusagen prophetisch
beantworten zu k&ouml;nnen. Au&szlig;er dem enormen Material aus dem Gebiet der
sammelnden wie der anatomischen Botanik und Zoologie, das seitdem angeh&auml;uft,
sind aber seit Lamarck zwei ganz neue Wissenschaften entstanden, die hier von
entscheidender Wichtigkeit sind: die Untersuchung der Entwicklung der pflanzlichen
und tierischen Keime (Embryologie) und die der, in den verschiednen Schichten
der Erdoberfl&auml;che aufbewahrten, organischen &Uuml;berreste (Pal&auml;ontologie).
Es findet sich n&auml;mlich eine eigent&uuml;mliche &Uuml;bereinstimmung zwischen
der stufenweisen Entwicklung der organischen Keime zu reifen Organismen und der
Reihenfolge der nacheinander in der Geschichte der Erde auftretenden Pflanzen
und Tiere. Und grade diese &Uuml;bereinstimmung ist es, die der Entwicklungstheorie
die sicherste Grundlage gegeben hat. Die Entwicklungstheorie selbst ist aber noch
sehr jung, und es ist daher unzweifelhaft, da&szlig; die weitere Forschung die
heutigen, auch die streng darwinistischen Vorstellungen von dem Hergang der Artenentwicklung
sehr bedeutend modifizieren wird.</P>
<P>Was hat uns nun die Wirklichkeitsphilosophie &uuml;ber die Entwicklung des
organischen Lebens Positives zu sagen?</P>
<P><SMALL>&raquo;Die ... Ab&auml;nderlichkeit der Arten ist eine annehmbare Voraussetzung.&laquo;
Daneben gilt aber auch &raquo;die selbst&auml;ndige Nebenordnung gleichartiger Naturproduktionen,
ohne Abstammungsvermittlung&laquo;.</SMALL></P>
<P>Hiernach sollte man meinen, die ungleichartigen Naturproduktionen, d.h. die
sich &auml;ndernden Arten stammten voneinander ab, die gleichartigen aber nicht.
Dies stimmt aber auch nicht ganz; denn auch bei sich &auml;ndernden Arten d&uuml;rfte</P>
<P><SMALL>&raquo;die Vermittlung durch Abstammung im Gegenteil erst ein ganz sekund&auml;rer
Akt der Natur sein&laquo;.</SMALL></P>
<P>Also doch Abstammung, aber &raquo;zweiter Klasse&laquo;. Seien wir froh, da&szlig; die
Abstammung, nachdem Herr D&uuml;hring ihr soviel &Uuml;bles und Dunkles nachgesagt,
dennoch endlich durch die Hintert&uuml;r wieder zugelassen wird. Ebenso geht es
der Naturz&uuml;chtung, denn nach all der sittlichen Entr&uuml;stung &uuml;ber
den Kampf ums Dasein, vermittelst dessen die Naturz&uuml;chtung sich ja vollzieht,
hei&szlig;t es pl&ouml;tzlich:</P>
<P><SMALL>&raquo;Der tiefere Grund der Beschaffenheit der Gebilde ist mithin in den
Lebensbedingungen und kosmischen Verh&auml;ltnissen zu suchen, w&auml;hrend die
von Darwin betonte Naturz&uuml;chtung erst in zweiter Linie in Frage kommen kann.&laquo;</SMALL></P>
<P><B><A NAME="S70">|70|</A></B> Also doch Naturz&uuml;chtung, wenn auch zweiter
Klasse; also mit der Naturz&uuml;chtung auch Kampf ums Dasein und damit auch priesterlich-malthusianisches
Bev&ouml;lkerungsgedr&auml;nge! Das ist alles, im &uuml;brigen verweist uns Herr
D&uuml;hring auf Lamarck.</P>
<P>Schlie&szlig;lich warnt er uns vor dem Mi&szlig;brauch der Worte Metamorphose
und Entwicklung. Metamorphose sei ein unklarer Begriff und der Begriff der Entwicklung
nur soweit zul&auml;ssig, als sich Entwicklungsgesetze wirklich nachweisen lassen.
Statt beider sollen wir sagen &raquo;Komposition&laquo;, und dann sei alles gut. Es ist wieder
die alte Geschichte: die Sachen bleiben, wie sie waren, und Herr D&uuml;hring
ist ganz zufrieden, sobald wir nur die Namen &auml;ndern, wenn wir von der Entwicklung
des H&uuml;hnchens im Ei sprechen, so machen wir Konfusion, weil wir die Entwicklungsgesetze
nur mangelhaft nachweisen k&ouml;nnen. Sprechen wir aber von seiner Komposition,
so wird alles klar. Wir werden also nicht mehr sagen: dies Kind entwickelt sich
pr&auml;chtig, sondern: es komponiert sich ausgezeichnet, und wir d&uuml;rfen
Herrn D&uuml;hring Gl&uuml;ck w&uuml;nschen, da&szlig; er dem Sch&ouml;pfer des
Nibelungenringes nicht nur in edler Selbstsch&auml;tzung w&uuml;rdig zur Seite
steht, sondern auch in seiner Eigenschaft als Komponist der Zukunft.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_VIII"></A>VIII. Naturphilosophie. Organische Welt</H3>
<H4 ALIGN="CENTER">(Schlu&szlig;)</H4>
<P><SMALL>&raquo;Man erw&auml;ge, ... was zu unserm naturphilosophischen Abschnitt an
positiver Erkenntnis geh&ouml;re, um ihn mit allen seinen wissenschaftlichen Voraussetzungen
auszustatten. Ihm liegen zun&auml;chst alle wesentlichen Errungenschaften der
Mathematik und alsdann die Hauptfeststellungen des exakten Wissens in Mechanik,
Physik, Chemie, sowie &uuml;berhaupt die naturwissenschaftlichen Ergebnisse in
Physiologie, Zoologie und in &auml;hnlichen Forschungsgebieten zugrunde.&laquo;</SMALL></P>
<P>So zuversichtlich und entschieden spricht sich Herr D&uuml;hring aus &uuml;ber
die mathematische und naturwissenschaftliche Gelehrsamkeit des Herrn D&uuml;hring.
Man sieht es dem magern Abschnitt selbst nicht an, und noch weniger seinen noch
d&uuml;rftigeren Resultaten, welche Wurzelhaftigkeit positiver Erkenntnis dahintersteckt.
Jedenfalls braucht man, um die D&uuml;hringschen Orakel &uuml;ber Physik und Chemie
zustande zu bringen, von der Physik nichts zu wissen als die Gleichung, die das
mechanische &Auml;quivalent der W&auml;rme ausdr&uuml;ckt, und von der Chemie
nur dies, da&szlig; alle K&ouml;rper sich einteilen in Elemente und Zusammensetzungen
von Elementen. Wer zudem, <A NAME="S71"></A><B>|71|</B> wie Herr D&uuml;hring
S. 131, von &raquo;gravitierenden Atomen&laquo; sprechen kann, beweist nur damit, da&szlig;
er &uuml;ber den Unterschied von Atom und Molek&uuml;l g&auml;nzlich &raquo;im Dunkeln&laquo;
ist. Atome existieren bekanntlich nicht f&uuml;r die Gravitation oder andre mechanische
oder physikalische Bewegungsformen, sondern nur f&uuml;r die chemische Aktion.
Und wenn man gar das Kapitel &uuml;ber die organische Natur liest, so kann man
bei dem leeren, sich widersprechenden, am entscheidenden Punkt orakelhaft sinnlosen
Hin- und Hergerede, und bei der absoluten Nichtigkeit des Schlu&szlig;ergebnisses
schon von vornherein sich der Ansicht nicht erwehren, da&szlig; Herr D&uuml;hring
hier von Dingen spricht, von denen er merkw&uuml;rdig wenig wei&szlig;. Diese
Ansicht wird zur Gewi&szlig;heit, wenn man zu seinem Vorschlag kommt, in der Lehre
von dem organischen Wesen (Biologie) fernerhin Komposition zu sagen statt Entwicklung.
Wer so etwas vorschlagen kann, beweist, da&szlig; er von der Bildung organischer
K&ouml;rper nicht die geringste Ahnung hat.</P>
<P>Alle organischen K&ouml;rper, mit Ausnahme der allerniedrigsten, bestehn aus
Zellen, kleinen, nur durch starke Vergr&ouml;&szlig;erung sichtbaren Eiwei&szlig;kl&uuml;mpchen
mit einem Zellenkern im Innern. In der Regel entwickelt die Zelle auch eine &auml;u&szlig;ere
Haut, und der Inhalt ist dann mehr oder weniger fl&uuml;ssig. Die niedrigsten
Zellenk&ouml;rper bestehn aus einer Zelle; die ungeheure Mehrzahl der organischen
Wesen ist vielzellig, ein zusammengeh&ouml;riger Komplex vieler Zellen, die, bei
niedrigem Organismen noch gleichartig, bei den h&ouml;hern mehr und mehr verschiedne
Formen, Gruppierungen und T&auml;tigkeiten erhalten. Im menschlichen K&ouml;rper
z. B. sind Knochen, Muskel, Nerven, Sehnen, B&auml;nder, Knorpel. Haut, kurz,
alle Gewebe aus Zellen entweder zusammengesetzt oder doch entstanden. Aber allen
organischen Zellengebilden, von der Am&ouml;be, die ein einfaches, die meiste
Zeit hautloses Eiwei&szlig;kl&uuml;mpchen mit einem Zeilenkern im Innern ist,
bis zum Menschen, und von der kleinsten einzelligen Desmidiacee bis zur h&ouml;chstentwickelten
Pflanze, ist die Art gemeinsam wie die Zellen sich vermehren: durch Spaltung.
Der Zellenkern schn&uuml;rt sich zuerst in der Mitte ein, die Einschn&uuml;rung,
die die beiden Kolben des Kerns trennt, wird immer st&auml;rker, zuletzt trennen
sie sich und bilden zwei Zellenkerne. Derselbe Vorgang findet an der Zelle selbst
statt, jeder der beiden Kerne wird der Mittelpunkt einer Ansammlung von Zellstoff,
die mit der andern durch eine immer enger werdende Einschn&uuml;rung zusammenh&auml;ngt,
bis zuletzt beide sich trennen und als selbst&auml;ndige Zellen fortleben. Durch
solche wiederholte Zellenspaltung wird aus dem Keimbl&auml;schen des tierischen
Eies, nach eingetretener Befruchtung, nach und nach das ganze fertige Tier entwickelt,
und ebenso beim <A NAME="S72"></A><B>|72|</B> erwachsenen Tier der Ersatz der
verbrauchten Gewebe vollzogen. Einen solchen Vorgang eine Komposition, und seine
Bezeichnung als Entwicklung &raquo;eine pure Imagination&laquo; zu nennen, dazu geh&ouml;rt
doch sicher jemand, der - so schwer das auch heutzutage anzunehmen ist - von diesem
Vorgang gar nichts wei&szlig;; hier wird ja eben nur, und zwar im buchst&auml;blichsten
Sinn entwickelt, komponiert aber ganz und gar nicht!</P>
<P>&Uuml;ber das, was Herr D&uuml;hring im allgemeinen unter Leben versteht, werden
wir weiter unten noch etwas zu sagen haben. Im besondern stellt er sich unter
Leben folgendes vor:</P>
<P><SMALL>&raquo;Auch die unorganische Welt ist ein System sich selbst vollziehender
Regungen; aber erst da, wo die eigentliche Gliederung und die Vermittlung der
Zirkulation der Stoffe durch besondre Kan&auml;le von einem innern Punkt und nach
einem an ein kleineres Gebilde &uuml;bertragbaren Keimschema beginnt, darf man
im engeren und strengeren Sinne von eigentlichem Leben zu reden unternehmen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Dieser Satz ist im engern und strengern Sinn ein System sich selbst vollziehender
Regungen (was das auch immer f&uuml;r Dinger sein m&ouml;gen) von Unsinn, selbst
abgesehn von der h&uuml;lflos verworrenen Grammatik. Wenn das Leben erst anf&auml;ngt,
wo die eigentliche Gliederung beginnt, dann m&uuml;ssen wir das ganze Haeckelsche
Protistenreich und vielleicht noch viel mehr f&uuml;r tot erkl&auml;ren, je nachdem
der Begriff von Gliederung gefa&szlig;t wird. Wenn das Leben erst da beginnt,
wo diese Gliederung durch ein kleineres Keimschema &uuml;bertragbar ist, so sind
mindestens alle Organismen bis zu den einzeiligen hinauf, und diese eingeschlossen,
nicht lebendig. Ist die Vermittlung der Zirkulation der Stoffe durch besondre
Kan&auml;le das Kennzeichen des Lebens, so m&uuml;ssen wir au&szlig;er den obigen
noch die ganze Oberklasse der Coelenterata, allenfalls mit Ausnahme der Medusen,
also s&auml;mtliche Polypen und andre Pflanzentiere aus der Reihe der lebenden
Wesen ausstreichen. Gilt aber gar die Zirkulation der Stoffe durch besondre Kan&auml;le
von einem innern Punkt f&uuml;r das wesentliche Kennzeichen des Lebens, so m&uuml;ssen
wir alle diejenigen Tiere f&uuml;r tot erkl&auml;ren, die kein Herz, oder auch
die mehrere Herzen haben. Dazu geh&ouml;ren au&szlig;er den vorerw&auml;hnten
noch s&auml;mtliche W&uuml;rmer, Seesterne und R&auml;dertiere (Annuloida und
Annulosa, Huxleys Einteilung), ein Teil der Krustentiere (Krebse) und endlich
sogar ein Wirbeltier, das Lanzettierchen (Amphioxus). Dazu s&auml;mtliche Pflanzen.</P>
<P>Indem also Herr D&uuml;hring unternimmt, das eigentliche Leben im engern und
strengern Sinne zu kennzeichnen, gibt er vier einander total widersprechende Kennzeichen
des Lebens an, von denen das eine nicht nur das ganze Pflanzenreich, sondern auch
ungef&auml;hr das halbe Tierreich zu ewigem <A NAME="S73"></A><B>|73|</B> Tode
verdammt. Wahrhaftig, niemand kann sagen, er habe uns angef&uuml;hrt, als er uns</P>
<P><SMALL>&raquo;von Grund aus eigent&uuml;mliche Ergebnisse und Anschauungen&laquo;</SMALL></P>
<P>versprach!</P>
<P>An einer andern Stelle hei&szlig;t es:</P>
<P><SMALL>&raquo;auch in der Natur liegt allen Organisationen von der niedrigsten bis
zur h&ouml;chsten ein einfacher Typus zugrunde&laquo;, und dieser Typus ist &raquo;schon in
der untergeordnetsten Regung der unvollkommensten Pflanze in seinem allgemeinen
Wesen voll und ganz anzutreffen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Diese Behauptung ist wieder &raquo;voll und ganz&laquo; Unsinn. Der allereinfachste Typus,
der in der ganzen organischen Natur anzutreffen, ist die Zelle; und sie liegt
den h&ouml;chsten Organisationen allerdings zugrunde. Dagegen finden sich unter
den niedrigsten Organismen eine Menge, die noch tief unter der Zelle stehn - die
Protam&ouml;be, ein einfaches Eiwei&szlig;kl&uuml;mpchen, ohne irgendwelche Differenzierung,
eine ganze Reihe andrer Monere und s&auml;mtliche Schlauchalgen (Siphoneen). Diese
sind s&auml;mtlich mit den h&ouml;hern Organismen nur dadurch verkn&uuml;pft,
da&szlig; ihr wesentlicher Bestandteil Eiwei&szlig; ist und sie demnach Eiwei&szlig;funktionen
vollziehn, d.h. leben und sterben.</P>
<P>Weiter erz&auml;hlt uns Herr D&uuml;hring:</P>
<P><SMALL>&raquo;Physiologisch ist die Empfindung an das Vorhandensein irgendeines,
wenn auch noch so einfachen Nervenapparates gekn&uuml;pft. Es ist daher das Charakteristische
aller tierischen Gebilde, der Empfindung, d.h. einer subjektiv bewu&szlig;ten
Auffassung ihrer Zust&auml;nde f&auml;hig zu sein. Die scharfe Grenze zwischen
Pflanze und Tier liegt da, wo der Sprung zur Empfindung vollzogen wird. Diese
Grenze l&auml;&szlig;t sich so wenig durch die bekannten &Uuml;bergangsgebilde
verwischen, da&szlig; sie vielmehr grade durch diese &auml;u&szlig;erlich unentschiednen
oder unentscheidbaren Gestaltungen erst recht zum logischen Bed&uuml;rfnis gemacht
wird.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und ferner:</P>
<P><SMALL>&raquo;Dagegen sind die Pflanzen g&auml;nzlich und f&uuml;r immer ohne die
leiseste Spur von Empfindung und auch ohne jede Anlage dazu.&laquo;</SMALL></P>
<P>Erstens sagt Hegel, &raquo;Naturphilosophie&laquo; &sect;351, Zusatz, da&szlig; </P>
<P><SMALL>&raquo;die Empfindung die differentia specifica, das absolut Auszeichnende
des Tieres ist&laquo;.</SMALL></P>
<P>Also wieder eine &raquo;Krudit&auml;t&laquo; Hegels, die durch einfache Annexion von Seiten
Herrn D&uuml;hrings in den Adelstand einer endg&uuml;ltigen Wahrheit letzter Instanz
erhoben wird.</P>
<P><B><A NAME="S74">|74|</A></B> Zweitens h&ouml;ren wir hier zum ersten Male
von &Uuml;bergangsgebilden, &auml;u&szlig;erlich unentschiednen oder unentscheidbaren
Gestaltungen (sch&ouml;nes Kauderwelsch!) zwischen Pflanze und Tier. Da&szlig;
diese Zwischenformen existieren; da&szlig; es Organismen gibt, von denen wir platterdings
nicht sagen k&ouml;nnen, ob sie Pflanzen oder Tiere sind; da&szlig; wir also &uuml;berhaupt
die Grenze zwischen Pflanze und Tier nicht scharf feststellen k&ouml;nnen - das
macht es f&uuml;r Herrn D&uuml;hring grade zum logischen Bed&uuml;rfnis, ein Unterscheidungsmerkmal
aufzustellen, von dem er im selben Atem zugibt, da&szlig; es nicht stichhaltig
ist! Aber wir brauchen gar nicht auf das zweifelhafte Gebiet zwischen Pflanzen
und Tieren zur&uuml;ckzugehen; sind die sensitiven Pflanzen, die bei der leisesten
Ber&uuml;hrung ihre Bl&auml;tter falten oder ihre Blumen schlie&szlig;en, sind
die insektenfressenden Pflanzen ohne die leiseste Spur von Empfindung und auch
ohne jede Anlage dazu? Das kann selbst Herr D&uuml;hring nicht ohne &raquo;unwissenschaftliche
Halbpoesie&laquo; behaupten.</P>
<P>Drittens ist es wieder eine freie Sch&ouml;pfung und Imagination des Herrn
D&uuml;hring, wenn er behauptet, die Empfindung sei psychologisch |mu&szlig; offenbar
&raquo;physiologisch&laquo; hei&szlig;en| an das Vorhandensein irgendeines, wenn auch noch
so einfachen Nervenapparates gekn&uuml;pft. Nicht nur alle Urtiere, auch noch
die Pflanzentiere, wenigstens ihrer gro&szlig;en Mehrzahl nach, weisen keine Spur
eines Nervenapparates auf. Erst von den W&uuml;rmern an wird ein solcher regelm&auml;&szlig;ig
vorgefunden, und Herr D&uuml;hring ist der erste, der die Behauptung aufstellt,
jene Tiere h&auml;tten keine Empfindung, weil keine Nerven. Die Empfindung ist
nicht notwendig an Nerven gekn&uuml;pft, wohl aber an gewisse, bisher nicht n&auml;her
festgestellte Eiwei&szlig;k&ouml;rper.</P>
<P>&Uuml;brigens werden die biologischen Kenntnisse des Herrn D&uuml;hring hinreichend
charakterisiert durch die Frage, die er sich nicht scheut, Darwin gegen&uuml;ber
aufzuwerfen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Soll sich das Tier aus der Pflanze entwickelt haben?&laquo;</SMALL></P>
<P>So kann nur jemand fragen, der weder von Tieren noch von Pflanzen das geringste
wei&szlig;.</P>
<P>Vom Leben im allgemeinen wei&szlig; uns Herr D&uuml;hring nur zu sagen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Der Stoffwechsel, der sich vermittelst einer plastisch bildenden Schematisierung&laquo;
(was in aller Welt ist das nur ein Ding?) &raquo;vollzieht, bleibt stets ein auszeichnender
Charakter des eigentlichen Lebensprozesses.&laquo;</SMALL></P>
<P>Das ist alles, was wir vom Leben erfahren, wobei wir noch gelegentlich der
&raquo;plastisch bildenden Schematisierung&laquo; knietief im sinnlosen Kauderwelsch des reinsten
D&uuml;hring-Jargons steckenbleiben. Wenn wir also wissen <A NAME="S75"></A><B>|75|</B>
wollen, was Leben ist, so werden wir uns wohl selbst n&auml;her danach umsehn
m&uuml;ssen.</P>
<P>Da&szlig; der organische Stoffwechsel die allgemeinste und bezeichnendste Erscheinung
des Lebens, ist seit drei&szlig;ig Jahren von physiologischen Chemikern und chemischen
Physiologen unz&auml;hligemal gesagt und hier von Herrn D&uuml;hring einfach in
seine eigne elegante und klare Sprache &uuml;bersetzt. Aber das Leben als organischen
Stoffwechsel definieren, hei&szlig;t das Leben definieren als - Leben; denn organischer
Stoffwechsel oder Stoffwechsel mit plastisch bildender Schematisierung ist eben
ein Ausdruck, der selbst wieder der Erkl&auml;rung durch das Leben bedarf, der
Erkl&auml;rung durch den Unterschied von Organischem und Unorganischem, d.h. Lebendem
und Nichtlebendem. Mit dieser Erkl&auml;rung kommen wir also nicht vom Fleck.</P>
<P>Stoffwechsel als solcher findet statt auch ohne Leben. Es gibt eine ganze Reihe
von Prozessen in der Chemie, die bei gen&uuml;gender Zufuhr von Rohstoffen ihre
eignen Bedingungen stets wieder erzeugen und zwar so, da&szlig; dabei ein bestimmter
K&ouml;rper Tr&auml;ger des Prozesses ist. So bei der Fabrikation von Schwefels&auml;ure
durch Verbrennung von Schwefel. Es erzeugt sich dabei Schwefeldioxyd, SO<SPAN class="bottom">2</SPAN>,
und indem man Wasserdampf und Salpeters&auml;ure zuf&uuml;hrt, nimmt das Schwefeldioxyd
Wasserstoff und Sauerstoff auf und verwandelt sich in Schwefels&auml;ure, H<SPAN class="top">2</SPAN>SO<SPAN class="bottom">4</SPAN>.
Die Salpeters&auml;ure gibt dabei Sauerstoff ab und wird zu Stickoxyd reduziert;
dies Stickoxyd nimmt sogleich wieder aus der Luft neuen Sauerstoff auf und verwandelt
sich in h&ouml;here Oxyde des Stickstoffs, aber nur um diesen Sauerstoff sofort
wieder an das Schwefeldioxyd abzugeben und von neuem denselben Proze&szlig; durchzumachen,
so da&szlig; theoretisch eine unendlich kleine Menge von Salpeters&auml;ure hinreichen
sollte, um eine unbeschr&auml;nkte Menge von Schwefeldioxyd, Sauerstoff und Wasser
in Schwefels&auml;ure zu verwandeln. - Stoffwechsel findet ferner statt bei dem
Durchtritt von Fl&uuml;ssigkeiten durch tote organische und selbst durch unorganische
Membranen, sowie bei Traubes k&uuml;nstlichen Zellen. Es zeigt sich hier wiederum,
da&szlig; wir mit dem Stoffwechsel nicht vom Fleck kommen; denn der eigent&uuml;mliche
Stoffwechsel, der das Leben erkl&auml;ren soll, bedarf selbst wieder der Erkl&auml;rung
durch das Leben. Wir m&uuml;ssen es also anders versuchen.</P>
<P><I>Leben ist die Daseinsweise der Eiwei&szlig;k&ouml;rper,</I> und diese Daseinsweise
besteht wesentlich in der best&auml;ndigen Selbsterneuerung der chemischen Bestandteile
dieser K&ouml;rper.</P>
<P>Eiwei&szlig;k&ouml;rper ist hier verstanden im Sinn der modernen Chemie, die
unter diesem Namen alle dem gew&ouml;hnlichen Eiwei&szlig; analog zusammen- <A NAME="S76"></A><B>|76|</B>
gesetzten K&ouml;rper, sonst auch Proteinsubstanzen genannt, zusammenfa&szlig;t.
Der Name ist ungeschickt, weil das gew&ouml;hnliche Eiwei&szlig; von allen ihm
verwandten Substanzen die lebloseste, passivste Rolle spielt, indem es neben dem
Eidotter lediglich Nahrungssubstanz f&uuml;r den sich entwickelnden Keim ist.
Solange indes &uuml;ber die chemische Zusammensetzung der Eiwei&szlig;k&ouml;rper
noch so wenig bekannt, ist dieser Name immer noch besser, weil allgemeiner, als
alle andern.</P>
<P>&Uuml;berall, wo wir Leben vorfinden, finden wir es an einen Eiwei&szlig;k&ouml;rper
gebunden, und &uuml;berall, wo wir einen nicht in der Aufl&ouml;sung begriffenen
Eiwei&szlig;k&ouml;rper vorfinden, da finden wir ausnahmslos auch Lebenserscheinungen.
Unzweifelhaft ist die Gegenwart auch andrer chemischer Verbindungen in einem lebenden
K&ouml;rper notwendig, um besondre Differenzierungen dieser Lebenserscheinungen
hervorzurufen; zum nackten Leben sind sie nicht erforderlich, es sei denn soweit
sie als Nahrung eingehn und in Eiwei&szlig; verwandelt werden. Die niedrigsten
lebenden Wesen, die wir kennen, sind eben nichts als einfache Eiwei&szlig;kl&uuml;mpchen,
und sie zeigen schon alle wesentlichen Lebenserscheinungen.</P>
<P>Worin aber bestehn diese &uuml;berall, bei allen lebenden Wesen gleichm&auml;&szlig;ig
vorhandnen Lebenserscheinungen? Vor allem darin, da&szlig; der Eiwei&szlig;k&ouml;rper
aus seiner Umgebung andre geeignete Stoffe in sich aufnimmt, sie sich assimiliert,
w&auml;hrend andre, &auml;ltere Teile des K&ouml;rpers sich zersetzen und ausgeschieden
werden. Andre, nicht lebende K&ouml;rper ver&auml;ndern, zersetzen oder kombinieren
sich auch im Lauf der nat&uuml;rlichen Dinge; aber dabei h&ouml;ren sie auf, das
zu sein, was sie waren. Der Fels, der verwittert, ist kein Fels mehr; das Metall,
das oxydiert, geht in Rost &uuml;ber. Aber was bei toten K&ouml;rpern Ursache
des Untergangs, das ist beim Eiwei&szlig; <I>Grundbedingung der Existenz</I>.
Von dem Augenblick an, wo diese ununterbrochene Umsetzung der Bestandteile im
Eiwei&szlig;k&ouml;rper, dieser andauernde Wechsel von Ern&auml;hrung und Ausscheidung
aufh&ouml;rt, von dem Augenblick an h&ouml;rt der Eiwei&szlig;k&ouml;rper selbst
auf, zersetzt sich, d.h. <I>stirbt</I>. Das Leben, die Daseinsweise des Eiwei&szlig;k&ouml;rpers
besteht also vor allem darin, da&szlig; er in jedem Augenblick er selbst und zugleich
ein andrer ist; und dies nicht infolge eines Prozesses, dem er von au&szlig;en
her unterworfen wird, wie dies auch bei toten K&ouml;rpern der Fall sein kann.
Im Gegenteil, das Leben, der durch Ern&auml;hrung und Ausscheidung erfolgende
Stoffwechsel ist ein sich selbst vollziehender Proze&szlig;, der seinem Tr&auml;ger,
dem Eiwei&szlig;, inh&auml;rent, eingeboren ist, ohne den es nicht sein kann.
Und daraus folgt, da&szlig;, wenn es der Chemie jemals gelingen sollte, Eiwei&szlig;
k&uuml;nstlich herzustellen, dies Eiwei&szlig; Lebenserscheinungen zeigen mu&szlig;,
m&ouml;gen sie auch noch so schwach sein. Es ist freilich fraglich, <A NAME="S77"></A><B>|77|</B>
ob die Chemie auch gleichzeitig das richtige Futter f&uuml;r dies Eiwei&szlig;
entdecken wird.</P>
<P>Aus dem durch Ern&auml;hrung und Ausscheidung vermittelten Stoffwechsel als
wesentlicher Funktion des Eiwei&szlig;es und aus der ihm eignen Plastizit&auml;t
leiten sich dann alle &uuml;brigen einfachsten Faktoren des Lebens ab: Reizbarkeit
- die schon in der Wechselwirkung zwischen dem Eiwei&szlig; und seiner Nahrung
eingeschlossen liegt; Kontraktibilit&auml;t - die sich schon auf sehr niedriger
Stufe bei der Verzehrung des Futters zeigt, Wachstumsm&ouml;glichkeit, die auf
niedrigster Stufe die Fortpflanzung durch Teilung einschlie&szlig;t; innere Bewegung,
ohne die weder Verzehrung noch Assimilation der Nahrung m&ouml;glich ist.</P>
<P>Unsre Definition des Lebens ist nat&uuml;rlich sehr ungen&uuml;gend, indem
sie, weit entfernt <I>alle</I> Lebenserscheinungen einzuschlie&szlig;en, sich
vielmehr auf die allerallgemeinsten und einfachsten beschr&auml;nken mu&szlig;.
Alle Definitionen sind wissenschaftlich von geringem Wert. Um wirklich ersch&ouml;pfend
zu wissen, was das Leben ist, m&uuml;&szlig;ten wir alle seine Erscheinungsformen
durchgehn, von der niedrigsten bis zur h&ouml;chsten. F&uuml;r den Handgebrauch
sind jedoch solche Definitionen sehr bequem und stellenweise nicht gut zu entbehren;
sie k&ouml;nnen auch nicht schaden, solange man nur ihre unvermeidlichen M&auml;ngel
nicht vergi&szlig;t.</P>
<P>Doch zur&uuml;ck zu Herrn D&uuml;hring. Wenn es ihm im Bereich der irdischen
Biologie einigerma&szlig;en schlecht ergeht, so wei&szlig; er sich zu tr&ouml;sten,
er fl&uuml;chtet in seinen Sternenhimmel.</P>
<P><SMALL>&raquo;Es ist nicht erst die besondre Einrichtung eines empfindenden Organs,
sondern schon die ganze objektive Welt, welche auf die Hervorbringung von Lust
und Schmerz angelegt ist. Aus diesem Grunde nehmen wir an, da&szlig; der Gegensatz
von Lust und Schmerz, und zwar <I>genau</I> in der uns bekannten Weise, ein universeller
sei und <I>in den verschiednen Welten des Alls </I>durch wesentlich gleichartige
Gef&uuml;hle vertreten sein m&uuml;sse ... Diese &Uuml;bereinstimmung bedeutet
aber <I>nicht wenig</I>; denn sie ist der Schl&uuml;ssel zu dem <I>Universum der
Empfindungen </I>... Uns ist mithin die subjektive kosmische Welt nicht viel fremder
als die objektive. Die Konstitution beider Reiche ist nach einem &uuml;bereinstimmenden
Typus zu denken, und hiermit haben wir die Anf&auml;nge zu einer Bewu&szlig;tseinslehre,
die eine gr&ouml;&szlig;ere als blo&szlig; terrestrische Tragweite hat.&laquo;</SMALL></P>
<P>Was verschlagen ein paar grobe Schnitzer in der irdischen Naturwissenschaft
f&uuml;r den, der den Schl&uuml;ssel zu dem Universum der Empfindungen in der
Tasche tr&auml;gt? Allons donc! |Also wohlan!|</P>
<H3 align="center">IX. Moral und Recht. Ewige Wahrheiten<A name="Kap_IX"></A></H3>
<P><B><A NAME="S78">|78|</A></B> Wir enthalten uns, Pr&ouml;bchen zu geben von
dem Mischmasch von Plattheit und Orakelhaftigkeit, kurz von dem simplen <I>Kohl</I>,
den Herr D&uuml;hring seinen Lesern f&uuml;nfzig volle Seiten zu genie&szlig;en
gibt, als wurzelhafte Wissenschaft von den Elementen des Bewu&szlig;tseins. Wir
zitieren nur dies:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wer nur an der Hand der Sprache zu denken vermag, hat noch nie erfahren,
was <I>abgesondertes</I> und <I>eigentliches</I> Denken zu bedeuten habe.&laquo;</SMALL></P>
<P>Danach sind die Tiere die abgesondertsten und eigentlichsten Denker, weil ihr
Denken nie durch die zudringliche Einmischung der Sprache getr&uuml;bt wird. Allerdings
sieht man es den D&uuml;hringschen Gedanken und der sie ausdr&uuml;ckenden Sprache
an, wie wenig diese Gedanken f&uuml;r irgendeine Sprache gemacht sind und wie
wenig die deutsche Sprache f&uuml;r diese Gedanken.</P>
<P>Endlich erl&ouml;st uns der vierte Abschnitt, der uns, au&szlig;er jenem zerflie&szlig;enden
Redebrei, wenigstens hie und da etwas Greifbares &uuml;ber <I>Moral</I> und <I>Recht</I>
bietet. Gleich im Anfang werden wir diesmal zu einer Reise auf die andern Weltk&ouml;rper
eingeladen:</P>
<P><SMALL>die Elemente der Moral m&uuml;ssen sich &raquo;bei allen au&szlig;ermenschlichen
Wesen, in denen sich ein t&auml;tiger Verstand mit der bewu&szlig;ten Ordnung
von triebf&ouml;rmigen Lebensregungen zu befassen hat, in &uuml;bereinstimmender
Weise ... wiederfinden ... Doch wird unsre Teilnahme f&uuml;r solche Folgerungen
gering bleiben ... Au&szlig;erdem aber bleibt es immer eine den Gesichtskreis
<I>wohlt&auml;tig erweiternde</I> Idee, wenn wir uns vorstellen, da&szlig; auf
andern Weltk&ouml;rpern das Einzel- und das Gemeinleben von einem Schema ausgehen
mu&szlig;, welches ... nicht vermag, die allgemeine Grundverfassung eines verstandesm&auml;&szlig;ig
handelnden Lesens aufzuheben oder zu umgehn.&laquo;</SMALL></P>
<P>Wenn hier ausnahmsweise die G&uuml;ltigkeit der D&uuml;hringschen Wahrheiten
auch f&uuml;r alle andern m&ouml;glichen Welten an die Spitze, statt ans Ende
des betreffenden Kapitels gestellt wird, so hat das seinen zureichenden Grund.
Hat man erst die G&uuml;ltigkeit der D&uuml;hringschen Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen
f&uuml;r alle <I>Welten</I> festgestellt, so wird man um so leichter ihre G&uuml;ltigkeit
auf alle <I>Zeiten</I> wohlt&auml;tig erweitern k&ouml;nnen. Es handelt sich aber
hier wieder um nichts Geringeres als um endg&uuml;ltige Wahrheit letzter Instanz.</P>
<P><SMALL>Die moralische Welt hat &raquo;so gut wie diejenige des allgemeinen Wissens
... ihre bleibenden Prinzipien und einfachen Elemente&laquo;, die moralischen Prinzipien
stehn &raquo;&uuml;ber der Geschichte und &uuml;ber den heutigen Unterschieden der V&ouml;lkerbeschaffenheiten
... Die besondern Wahrheiten, aus denen sich im Lauf der Entwicklung das <A NAME="S79"></A><B>|79|</B>
vollere moralische Bewu&szlig;tsein und sozusagen das Gewissen zusammensetzt,
k&ouml;nnen, soweit sie bis in ihre letzten Gr&uuml;nde erkannt sind, eine &auml;hnliche
Geltung und Tragweite beanspruchen, wie die Einsichten und Anwendungen der Mathematik.
<I>Echte Wahrheiten sind &uuml;berhaupt nicht wandelbar</I> ... so da&szlig; es
&uuml;berhaupt eine Torheit ist, die Richtigkeit der Erkenntnis als von der Zeit
und den realen Ver&auml;nderungen angreifbar vorzustellen.&laquo; Daher l&auml;&szlig;t
uns die Sicherheit strengen Wissens und die Zul&auml;nglichkeit der gemeineren
Erkenntnis nicht dazu kommen, im besonnenen zustande an der absoluten G&uuml;ltigkeit
der Wissensprinzipien zu verzweifeln. &raquo;Schon der dauernde Zweifel selbst ist ein
krankhafter Schw&auml;chezustand und nichts als der Ausdruck <I>w&uuml;ster Verworrenheit,</I>
die bisweilen in dem systematischen Bewu&szlig;tsein ihrer <I>Nichtigkeit</I>
den Schein von etwas Haltung aufzutreiben sucht. In den sittlichen Angelegenheiten
klammert sich die Leugnung allgemeiner Prinzipien an die geographischen und geschichtlichen
Mannigfaltigkeiten der Sitten und Grunds&auml;tze, und gibt man ihr die unausweichliche
Notwendigkeit des sittlich Schlimmen und B&ouml;sen zu, so glaubt sie erst recht
&uuml;ber die Anerkennung der ernsthaften Geltung und tats&auml;chlichen Wirksamkeit
&uuml;bereinstimmender moralischer Antriebe hinaus zu sein. Diese <I>aush&ouml;hlende
Skepsis,</I> die sich nicht etwa gegen einzelne falsche Lehren, sondern gegen
die menschliche F&auml;higkeit zur bewu&szlig;ten Moralit&auml;t selbst kehrt,
m&uuml;ndet schlie&szlig;lich in ein wirkliches Nichts, ja eigentlich in etwas,
was schlimmer ist als der blo&szlig;e Nihilismus ... Sie schmeichelt sich, in
ihrem <I>wirren Chaos</I> von aufgel&ouml;sten sittlichen Vorstellungen leichten
Kaufes herrschen und dem grundsatzlosen Belieben alle Tore &ouml;ffnen zu k&ouml;nnen.
Sie t&auml;uscht sich aber gewaltig: denn die blo&szlig;e Hinweisung auf die unvermeidlichen
Schicksale des Verstandes in Irrtum und Wahrheit gen&uuml;gt, um schon durch diese
einzige Analogie erkennbar zu machen, wie die naturgesetzliche Fehlbarkeit die
Vollbringung des Zutreffenden nicht auszuschlie&szlig;en braucht.&laquo;</SMALL></P>
<P> Wir haben bis jetzt alle diese pomp&ouml;sen Ausspr&uuml;che des Herrn D&uuml;hring
&uuml;ber endg&uuml;ltige Wahrheiten letzter Instanz, Souver&auml;net&auml;t des
Denkens, absolute Sicherheit des Erkennens usw. ruhig hingenommen, weil die Sache
doch erst an dem Punkt zum Austrag gebracht werden konnte, wo wir jetzt angelangt
sind. Bisher gen&uuml;gte die Untersuchung, inwieweit die einzelnen Behauptungen
der Wirklichkeitsphilosophie &raquo;souver&auml;ne Geltung&laquo; und &raquo;unbedingten Anspruch
auf Wahrheit&laquo; hatten; hier kommen wir vor die Frage, ob und welche Produkte des
menschlichen Erkennens &uuml;berhaupt souver&auml;ne Geltung und unbedingten Anspruch
auf Wahrheit haben k&ouml;nnen. Wenn ich sage: des <I>menschlichen</I> Erkennens,
so sage ich dies nicht etwa in beleidigender Absicht gegen die Bewohner andrer
Weltk&ouml;rper, die ich nicht die Ehre habe zu kennen, sondern nur weil auch
die Tiere erkennen, aber keineswegs souver&auml;n. Der Hund erkennt in seinem
Herrn seinen Gott, wobei dieser Herr der gr&ouml;&szlig;te Lump sein kann.</P>
<P> Ist das menschliche Denken souver&auml;n? Ehe wir ja oder nein antworten,
m&uuml;ssen wir erst untersuchen, was das menschliche Denken ist. Ist es das <A NAME="S80"></A><B>|80|</B>
Denken eines einzelnen Menschen? Nein. Aber es existiert nur als das Einzeldenken
von vielen Milliarden vergangner, gegenw&auml;rtiger und zuk&uuml;nftiger Menschen.
Wenn ich nun sage, da&szlig; dies in meiner Vorstellung zusammengefa&szlig;te
Denken aller dieser Menschen, die zuk&uuml;nftigen eingeschlossen, <I>souver&auml;n</I>,
imstande ist, die bestehende Welt zu erkennen, sofern die Menschheit nur lange
genug dauert und soweit nicht in den Erkenntnisorganen und den Erkenntnisgegenst&auml;nden
diesem Erkennen Schranken gesetzt sind, so sage ich etwas ziemlich Banales und
zudem ziemlich Unfruchtbares. Denn das wertvollste Resultat d&uuml;rfte dies sein,
uns gegen unsre heutige Erkenntnis &auml;u&szlig;erst mi&szlig;trauisch zu machen,
da wir ja aller Wahrscheinlichkeit nach so ziemlich am Anfang der Menschheitsgeschichte
stehn, und die Generationen, die <I>uns</I> berichtigen werden, wohl viel zahlreicher
sein d&uuml;rften als diejenigen, deren Erkenntnis wir - oft genug mit betr&auml;chtlicher
Geringsch&auml;tzung - zu berichtigen im Falle sind.</P>
<P>Herr D&uuml;hring selbst erkl&auml;rt es f&uuml;r eine Notwendigkeit, da&szlig;
das Bewu&szlig;tsein, also auch das Denken und Erkennen, nur in einer Reihe von
Einzelwesen zur Erscheinung kommen k&ouml;nne. Dem Denken jedes dieser Einzelnen
k&ouml;nnen wir nur insofern Souver&auml;net&auml;t zuschreiben, als wir keine
Macht kennen, die imstande w&auml;re, ihm im gesunden und wachenden Zustand irgendeinen
Gedanken mit Gewalt aufzun&ouml;tigen. Was aber die souver&auml;ne Geltung der
Erkenntnisse jedes Einzeldenkens angeht, so wissen wir alle, da&szlig; davon gar
keine Rede sein kann, und da&szlig; nach aller bisherigen Erfahrung sie ohne Ausnahme
stets viel mehr Verbesserungsf&auml;higes als Nichtverbesserungsf&auml;higes oder
Richtiges enthalten.</P>
<P>Mit andern Worten: die Souver&auml;net&auml;t des Denkens verwirklicht sich
in einer Reihe h&ouml;chst unsouver&auml;n denkender Menschen; die Erkenntnis,
welche unbedingten Anspruch auf Wahrheit hat, in einer Reihe von relativen Irrt&uuml;mern;
weder die eine noch die andre kann anders als durch eine unendliche Lebensdauer
der Menschheit vollst&auml;ndig verwirklicht werden.</P>
<P>Wir haben hier wieder denselben Widerspruch, wie <A HREF="me20_032.htm#S35">schon oben</A>,
zwischen dem notwendig als absolut vorgestellten Charakter des menschlichen Denkens,
und seiner Realit&auml;t in lauter beschr&auml;nkt denkenden Einzelmenschen, ein
Widerspruch, der sich nur im unendlichen Progre&szlig;, in der f&uuml;r uns wenigstens
praktisch endlosen Aufeinanderfolge der Menschengeschlechter l&ouml;sen kann.
In diesem Sinn ist das menschliche Denken ebensosehr souver&auml;n wie nicht souver&auml;n
und seine Erkenntnisf&auml;higkeit ebensosehr unbeschr&auml;nkt wie beschr&auml;nkt.
Souver&auml;n und unbeschr&auml;nkt der Anlage, <A NAME="S81"></A><B>|81|</B>
dem Beruf, der M&ouml;glichkeit, dem geschichtlichen Endziel nach; nicht souver&auml;n
und beschr&auml;nkt der Einzelausf&uuml;hrung und der jedesmaligen Wirklichkeit
nach.</P>
<P>Ebenso verh&auml;lt es sich mit den ewigen Wahrheiten. K&auml;me die Menschheit
je dahin, da&szlig; sie nur noch mit ewigen Wahrheiten, mit Denkresultaten operierte,
die souver&auml;ne Geltung und unbedingten Anspruch auf Wahrheit haben, so w&auml;re
sie auf dem Punkt angekommen, wo die Unendlichkeit der intellektuellen Welt nach
Wirklichkeit wie M&ouml;glichkeit ersch&ouml;pft und damit das vielber&uuml;hmte
Wunder der abgez&auml;hlten Unzahl vollzogen w&auml;re.</P>
<P>Nun gibt es aber doch Wahrheiten, die so feststehn, da&szlig; jeder Zweifel
daran uns als gleichbedeutend mit Verr&uuml;cktheit erscheint? da&szlig; zwei
mal zwei vier ist, da&szlig; die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei Rechten
sind, da&szlig; Paris in Frankreich liegt, da&szlig; ein Mensch ohne Nahrung Hungers
stirbt usw.? Also gibt es doch <I>ewige</I> Wahrheiten, endg&uuml;ltige Wahrheiten
letzter Instanz?</P>
<P>allerdings Wir k&ouml;nnen das ganze Gebiet des Erkennens nach altbekannter
Art in drei gro&szlig;e Abschnitte teilen. Der erste umfa&szlig;t alle Wissenschaften,
die sich mit der unbelebten Natur besch&auml;ftigen und mehr oder minder einer
mathematischen Behandlung f&auml;hig sind: Mathematik, Astronomie, Mechanik, Physik,
Chemie. Wenn es jemandem Vergn&uuml;gen macht, gewaltige Worte auf sehr einfache
Dinge anzuwenden, so kann man sagen, da&szlig; <I>gewisse</I> Ergebnisse dieser
Wissenschaften ewige Wahrheiten, endg&uuml;ltige Wahrheiten letzter Instanz sind:
weshalb man diese Wissenschaften auch die <I>exakten</I> genannt hat. Aber noch
lange nicht alle Ergebnisse. Mit der Einf&uuml;hrung der ver&auml;nderlichen Gr&ouml;&szlig;en
und der Ausdehnung ihrer Ver&auml;nderlichkeit bis ins unendlich Kleine und unendlich
Gro&szlig;e hat die sonst so sittenstrenge Mathematik den S&uuml;ndenfall begangen;
sie hat den Apfel der Erkenntnis gegessen, der ihr die Laufbahn der riesenhaftesten
Erfolge er&ouml;ffnete, aber auch die der Irrt&uuml;mer. Der jungfr&auml;uliche
Zustand der absoluten G&uuml;ltigkeit, der unumst&ouml;&szlig;lichen Bewiesenheit
alles Mathematischen war auf ewig dahin; das Reich der Kontroversen brach an,
und wir sind dahin gekommen, da&szlig; die meisten Leute differenzieren und integrieren,
nicht weil sie verstehn, was sie tun, sondern aus reinem Glauben, weil es bisher
immer richtig herausgekommen ist. Mit der Astronomie und Mechanik steht es noch
schlimmer, und in Physik und Chemie befindet man sich inmitten der Hypothesen
wie inmitten eines Bienenschwarms. Es ist dies auch gar nicht anders m&ouml;glich.
In der Physik haben wir es mit der Bewegung von Molek&uuml;len, in der Chemie
mit der Bildung von Molek&uuml;len aus Atomen zu tun, und wenn nicht die Interferenz
der Lichtwellen eine Fabel <A NAME="S82"></A><B>|82|</B> ist, so haben wir absolut
keine Aussicht, jemals diese interessanten Dinger mit unsern Augen zu sehn. Die
endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz werden da mit der Zeit merkw&uuml;rdig
selten.</P>
<P>Noch schlimmer sind wir dran in der Geologie, die ihrer Natur nach sich haupts&auml;chlich
mit Vorg&auml;ngen besch&auml;ftigt, bei denen nicht nur nicht wir, sondern &uuml;berhaupt
kein Mensch dabeigewesen ist. Die Ausbeute an endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter
Instanz ist daher hier mit sehr vieler M&uuml;he verkn&uuml;pft und dabei &auml;u&szlig;erst
sparsam.</P>
<P>Die zweite Klasse von Wissenschaften ist die, welche die Erforschung der lebenden
Organismen in sich begreift. Auf diesem Gebiet entwickelt sich eine solche Mannigfaltigkeit
der Wechselbeziehungen und Urs&auml;chlichkeiten, da&szlig; nicht nur jede gel&ouml;ste
Frage eine Unzahl neuer Fragen aufwirft, sondern auch jede einzelne Frage meist
nur st&uuml;ckweise, durch eine Reihe von oft Jahrhunderte in Anspruch nehmenden
Forschungen gel&ouml;st werden kann; wobei dann das Bed&uuml;rfnis systematischer
Auffassung der Zusammenh&auml;nge stets von neuem dazu n&ouml;tigt, die endg&uuml;ltigen
Wahrheiten letzter Instanz mit einer &uuml;berwuchernden Anpflanzung von Hypothesen
zu umgeben. Welche lange Reihe von Mittelstufen von Galen bis Malpighi war n&ouml;tig,
um eine so einfache Sache wie die Zirkulation des Bluts bei S&auml;ugetieren richtig
festzustellen, wie wenig wissen wir von der Entstehung der Blutk&ouml;rperchen,
und wieviel Mittelglieder fehlen uns heute noch, um z.B. die Erscheinungen einer
Krankheit mit ihren Ursachen in rationellen Zusammenhang zu bringen! Dabei kommen
oft genug Entdeckungen vor wie die der Zelle, die uns zwingen, alle bisher festgestellten
endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz auf dem Gebiet der Biologie einer
totalen Revision zu unterwerfen und ganze Haufen davon ein f&uuml;r allemal zu
beseitigen. Wer also hier wirklich echte, unwandelbare Wahrheiten aufstellen will,
der wird sich mit Plattheiten begn&uuml;gen m&uuml;ssen wie: Alle Menschen m&uuml;ssen
sterben, alle weiblichen S&auml;ugetiere haben Milchdr&uuml;sen usw.; er wird
nicht einmal sagen k&ouml;nnen, da&szlig; die h&ouml;heren Tiere mit dem Magen
und Darmkanal verdauen und nicht mit dem Kopf, denn die im Kopf zentralisierte
Nervent&auml;tigkeit ist zur Verdauung unumg&auml;nglich.</P>
<P>Noch schlimmer aber steht es mit den ewigen Wahrheiten in der dritten Gruppe
von Wissenschaften, der historischen, die die Lebensbedingungen der Menschen,
die gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse, die Rechts- und Staatsformen mit ihrem
idealen &Uuml;berbau von Philosophie, Religion, Kunst usw. in ihrer geschichtlichen
Folge und ihrem gegenw&auml;rtigen Ergebnis untersucht. In der organischen Natur
haben wir es doch wenigstens mit einer Reihenfolge von Herg&auml;ngen zu tun,
die sich, soweit unsre unmittelbare <A NAME="S83"></A><B>|83|</B> Beobachtung
in Frage kommt, innerhalb sehr weiter Grenzen ziemlich regelm&auml;&szlig;ig wiederholen.
Die Arten der Organismen sind seit Aristoteles im ganzen und gro&szlig;en dieselben
geblieben. In der Geschichte der Gesellschaft dagegen sind die Wiederholungen
der Zust&auml;nde die Ausnahme, nicht die Regel, sobald wir &uuml;ber die Urzust&auml;nde
der Menschen, das sogenannte Steinalter, hinausgehn; und wo solche Wiederholungen
vorkommen, da ereignen sie sich nie genau unter denselben Umst&auml;nden. So das
Vorkommen des urspr&uuml;nglichen Gemeineigentums am Boden bei allen Kulturv&ouml;lkern
und die Form seiner Aufl&ouml;sung. Wir sind daher auf dem Gebiet der Menschengeschichte
mit unsrer Wissenschaft noch weit mehr im R&uuml;ckstand als auf dem der Biologie;
und mehr noch: wenn einmal ausnahmsweise der innere Zusammenhang der gesellschaftlichen
und politischen Daseinsformen eines Zeitabschnitts erkannt wird, so geschieht
es regelm&auml;&szlig;ig dann, wenn diese Formen sich schon halb &uuml;berlebt
haben, dem Verfall entgegengehn. Die Erkenntnis ist hier also wesentlich relativ,
indem sie sich beschr&auml;nkt auf die Einsicht in den Zusammenhang und auf die
Folgen gewisser, nur zu einer gegebnen Zeit und f&uuml;r gegebne V&ouml;lker bestehenden
und ihrer Natur nach verg&auml;nglichen Gesellschafts- und Staatsformen. Wer hier
also auf endg&uuml;ltige Wahrheiten letzter Instanz, auf echte, &uuml;berhaupt
nicht wandelbare Wahrheiten Jagd macht, der wird wenig heimtragen, es seien denn
Plattheiten und Gemeinpl&auml;tze der &auml;rgsten Art, z.B. da&szlig; die Menschen
im allgemeinen ohne Arbeit nicht leben k&ouml;nnen, da&szlig; sie sich bisher
meist eingeteilt haben in Herrschende und Beherrschte, da&szlig; Napoleon am 5.
Mal 1821 gestorben ist usw.</P>
<P>Nun ist es aber merkw&uuml;rdig, da&szlig; gerade auf diesem Gebiet die angeblichen
ewigen Wahrheiten, die endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz usw. uns am
h&auml;ufigsten begegnen. Da&szlig; zwei mal zwei vier ist, da&szlig; die V&ouml;gel
Schn&auml;bel haben, oder derartiges wird nur der f&uuml;r ewige Wahrheiten erkl&auml;ren,
der mit der Absicht umgeht, aus dem Dasein ewiger Wahrheiten &uuml;berhaupt zu
folgern, da&szlig; es auch auf dem Gebiete der Menschengeschichte ewige Wahrheiten
gebe, eine ewige Moral, eine ewige Gerechtigkeit usw., die eine &auml;hnliche
Geltung und Tragweite beanspruchen wie die Einsichten und Anwendungen der Mathematik.
Und dann k&ouml;nnen wir mit Bestimmtheit darauf rechnen, da&szlig; derselbe Menschenfreund
uns bei erster Gelegenheit erkl&auml;ren wird, alle fr&uuml;heren Fabrikanten
ewiger Wahrheiten seien mehr oder weniger Esel und Scharlatane, seien alle im
Irrtum befangen gewesen, h&auml;tten gefehlt; das Vorhandensein <I>ihres</I> Irrtums
und <I>ihrer</I> Fehlbarkeit aber sei naturgesetzlich und beweise das Dasein der
Wahrheit und des Zutreffenden <I>bei ihm</I>, und er, der jetzt erstandne Prophet,
trage die endg&uuml;ltige Wahr- <A NAME="S84"></A><B>|84|</B> heit letzter Instanz,
die ewige Moral, die ewige Gerechtigkeit, fix und fertig im Sack. Das alles ist
schon so hundertmal und tausendmal dagewesen, da&szlig; man sich nur wundern mu&szlig;,
wenn es noch Menschen gibt, leichtgl&auml;ubig genug, um dies nicht von andern,
nein, von sich selbst zu glauben. Und dennoch erleben wir hier wenigstens noch
einen solchen Propheten, der denn auch ganz in gewohnter Weise in hochmoralischen
Harnisch ger&auml;t, wenn andre Leute es ableugnen, da&szlig; irgendein einzelner
die endg&uuml;ltige Wahrheit letzter Instanz zu liefern imstande sei. Solche Leugnung,
ja schon der blo&szlig;e Zweifel ist ein Schw&auml;chezustand, w&uuml;ste Verworrenheit,
Nichtigkeit, aush&ouml;hlende Skepsis, schlimmer als der blo&szlig;e Nihilismus,
wirres Chaos und was dergleichen Liebensw&uuml;rdigkeiten mehr sind. Wie bei allen
Propheten, wird nicht kritisch-wissenschaftlich untersucht und beurteilt, sondern
ohne weiteres moralisch verdonnert.</P>
<P>Wir h&auml;tten oben noch die Wissenschaften erw&auml;hnen k&ouml;nnen, die
die Gesetze des menschlichen Denkens untersuchen, also Logik und Dialektik. Hier
aber sieht es mit den ewigen Wahrheiten nicht besser aus. Die eigentliche Dialektik
erkl&auml;rt Herr D&uuml;hring f&uuml;r reinen Widersinn, und die vielen B&uuml;cher,
die &uuml;ber Logik geschrieben worden sind und noch geschrieben werden, beweisen
zur Gen&uuml;ge, da&szlig; auch da die endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz
viel d&uuml;nner ges&auml;et sind, als mancher glaubt.</P>
<P>&Uuml;brigens brauchen wir uns keineswegs dar&uuml;ber zu erschrecken, da&szlig;
die Erkenntnisstufe, auf der wir heute stehn, ebensowenig endg&uuml;ltig ist als
alle vorhergegangenen. Sie umfa&szlig;t schon ein ungeheures Material von Einsichten
und erfordert eine sehr gro&szlig;e Spezialisierung der Studien f&uuml;r jeden,
der in irgendeinem Fach heimisch werden will. Wer aber den Ma&szlig;stab echter,
unwandelbarer, endg&uuml;ltiger Wahrheit letzter Instanz an Erkenntnisse legt,
die der Natur der Sache nach entweder f&uuml;r lange Reihen von Generationen relativ
bleiben und st&uuml;ckweise vervollst&auml;ndigt werden m&uuml;ssen, oder gar
an solche, die, wie in Kosmogonie, Geologie, Menschheitsgeschichte schon wegen
der Mangelhaftigkeit des geschichtlichen Materials stets l&uuml;ckenhaft und unvollst&auml;ndig
bleiben werden - der beweist damit nur seine eigne Unwissenheit und Verkehrtheit,
selbst wenn nicht, wie hier, der Anspruch auf pers&ouml;nliche Unfehlbarkeit den
eigentlichen Hintergrund bildet. Wahrheit und Irrtum, wie alle sich in polaren
Gegens&auml;tzen bewegenden Denkbestimmungen, haben absolute G&uuml;ltigkeit eben
nur f&uuml;r ein &auml;u&szlig;erst beschr&auml;nktes Gebiet; wie wir das eben
gesehn haben, und wie auch Herr D&uuml;hring wissen w&uuml;rde, bei einiger Bekanntschaft
mit den ersten Elementen der Dialektik, die grade von der Unzul&auml;nglichkeit
aller polaren Gegens&auml;tze handeln. Sobald wir den Gegensatz von Wahrheit und
Irrtum au&szlig;erhalb <A NAME="S85"></A><B>|85|</B> jenes oben bezeichneten engen
Gebiets anwenden, wird er relativ und damit f&uuml;r genaue wissenschaftliche
Ausdrucksweise unbrauchbar; versuchen wir aber, ihn au&szlig;erhalb jenes Gebiets
als absolut g&uuml;ltig anzuwenden, so kommen wir erst recht in die Br&uuml;che;
die beiden Pole des Gegensatzes schlagen in ihr Gegenteil um, Wahrheit wird Irrtum
und Irrtum Wahrheit. Nehmen wir als Beispiel das bekannte Boylesche Gesetz, wonach
bei gleichbleibender Temperatur das Volumen der Gase sich umgekehrt verh&auml;lt
wie der Druck, dem sie ausgesetzt sind. Regnault fand, da&szlig; dies Gesetz f&uuml;r
gewisse F&auml;lle nicht zutraf. W&auml;re er nun ein Wirklichkeitsphilosoph gewesen,
so war er verpflichtet zu sagen: das Boylesche Gesetz ist wandelbar, also keine
echte Wahrheit, also &uuml;berhaupt keine Wahrheit, also Irrtum. Damit h&auml;tte
er aber einen weit gr&ouml;&szlig;eren Irrtum begangen, als der im Boyleschen
Gesetz enthaltene war; in einem Sandhaufen von Irrtum w&auml;re sein K&ouml;rnchen
Wahrheit verschwunden; er h&auml;tte also sein urspr&uuml;nglich richtiges Resultat
zu einem Irrtum verarbeitet, gegen den das Boylesche Gesetz mitsamt dem bi&szlig;chen
Irrtum, das an ihm klebte, als Wahrheit erschien. Regnault, als wissenschaftlicher
Mann, lie&szlig; sich aber auf dergleichen Kindereien nicht ein, sondern untersuchte
weiter und fand, da&szlig; das Boylesche Gesetz &uuml;berhaupt nur ann&auml;hernd
richtig ist, und besonders seine G&uuml;ltigkeit verliert bei Gasen, die durch
Druck tropfbarfl&uuml;ssig gemacht werden k&ouml;nnen, und zwar sobald der Druck
sich dem Punkt n&auml;hert, wo die Tropfbarkeit eintritt. Das Boylesche Gesetz
erwies sich also als richtig nur innerhalb bestimmter Grenzen. Ist es aber absolut,
endg&uuml;ltig wahr innerhalb dieser Grenzen? Kein Physiker wird das behaupten.
Er wird sagen, da&szlig; es G&uuml;ltigkeit hat innerhalb gewisser Druck- und
Temperaturgrenzen und f&uuml;r gewisse Gase; und er wird innerhalb dieser noch
enger gesteckten Grenzen die M&ouml;glichkeit nicht ausschlie&szlig;en einer noch
engeren Begrenzung oder ver&auml;nderter Fassung durch k&uuml;nftige Untersuchungen.<A NAME="ZF1"></A><A HREF="me20_032.htm#F1"><SPAN class="top">(1)</SPAN></A>
So steht es also um die endg&uuml;l- <A NAME="S86"></A><B>|86|</B> tigen Wahrheiten
letzter Instanz, z.B. in der Physik. Wirklich wissenschaftliche Arbeiten vermeiden
daher regelm&auml;&szlig;ig solche dogmatisch-moralische Ausdr&uuml;cke wie Irrtum
und Wahrheit, w&auml;hrend diese uns &uuml;berall entgegentreten in Schriften
wie die Wirklichkeitsphilosophie, wo leeres Hin- und Herreden uns als souver&auml;nstes
Resultat des souver&auml;nen Denkens sich aufdr&auml;ngen will.</P>
<P>Aber, k&ouml;nnte ein naiver Leser fragen, wo hat denn Herr D&uuml;hring ausdr&uuml;cklich
gesagt, da&szlig; der Inhalt seiner Wirklichkeitsphilosophie endg&uuml;ltige Wahrheit
sei, und zwar letzter Instanz? Wo? Nun, zum Beispiel in dem Dithyrambus auf sein
System (S. 13), den wir im <A HREF="me20_016.htm#S26">II. Kapitel</A> teilweise ausgezogen.
Oder wenn er in dem <A HREF="me20_032.htm#S78">oben zitierten Satz</A> sagt: Die moralischen
Wahrheiten, soweit sie bis in ihre letzten Gr&uuml;nde erkannt sind, beanspruchen
eine &auml;hnliche Geltung wie die Einsichten der Mathematik. Und behauptet nicht
Herr D&uuml;hring, von seinem wirklich kritischen Standpunkt aus und vermittelst
seiner bis an die Wurzeln reichenden Untersuchung bis zu diesen letzten Gr&uuml;nden,
den Grundschematen, vorgedrungen zu sein, also den moralischen Wahrheiten Endg&uuml;ltigkeit
letzter Instanz verliehen zu haben? Oder aber, wenn Herr D&uuml;hring diesen Anspruch
weder f&uuml;r sich noch f&uuml;r seine Zeit stellt, wenn er nur sagen will, da&szlig;
irgendeinmal in nebelgrauer Zukunft endg&uuml;ltige Wahrheiten letzter Instanz
festgestellt werden k&ouml;nnen, wenn er also ungef&auml;hr, nur konfuser, dasselbe
sagen will wie die &raquo;aush&ouml;hlende Skepsis&laquo; und &raquo;w&uuml;ste Verworrenheit&laquo; -
ja dann, wozu der L&auml;rm, was steht dem Herrn zu Diensten?</P>
<P>Wenn wir schon mit Wahrheit und Irrtum nicht weit vom Fleck kamen, so noch
viel weniger mit Gut und B&ouml;se. Dieser Gegensatz bewegt sich ausschlie&szlig;lich
auf moralischem, also auf einem der Menschengeschichte angeh&ouml;rigen Gebiet,
und hier sind die endg&uuml;ltigen Wahrheiten letzter Instanz grade am d&uuml;nnsten
ges&auml;et. Von Volk zu Volk, von Zeitalter zu Zeitalter haben die Vorstellungen
von Gut und B&ouml;se so sehr gewechselt, da&szlig; sie einander oft geradezu
widersprachen. - Aber, wird jemand einwerfen, Gut ist doch nicht B&ouml;se, und
B&ouml;se nicht Gut; wenn Gut und B&ouml;se zusammengeworfen werden, so h&ouml;rt
alle Moralit&auml;t auf, und jeder kann tun und lassen, was er will. - dies ist
auch, aller Orakelhaftigkeit entkleidet, die Meinung des Herrn D&uuml;hring. Aber
so einfach erledigt sich die Sache doch nicht. Wenn das so einfach ginge, w&uuml;rde
ja &uuml;ber Gut und B&ouml;se gar kein Streit sein, w&uuml;rde jeder wissen,
was Gut und was B&ouml;se ist. Wie steht's aber heute? Welche Moral wird uns heute
gepredigt? Da ist zuerst die christlich-feudale, <A NAME="S87"></A><B>|87|</B>
aus fr&uuml;hern glaubten Zeiten &uuml;berkommne, die sich wesentlich wieder in
eine katholische und protestantische teilt, wobei wieder Unterabteilungen von
der jesuitisch-katholischen und orthodox-protestantischen bis zur lax-aufgekl&auml;rten
Moral nicht fehlen. Daneben figuriert die modern-b&uuml;rgerliche und neben dieser
wieder die proletarische Zukunftsmoral, so da&szlig; Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft allein in den fortgeschrittensten L&auml;ndern Europas drei gro&szlig;e
Gruppen gleichzeitig und nebeneinander geltender Moraltheorien liefern. Welche
ist nun die wahre? Keine einzige, im Sinn absoluter Endg&uuml;ltigkeit; aber sicher
wird diejenige Moral die meisten, Dauer versprechenden, Elemente besitzen, die
in der Gegenwart die Umw&auml;lzung der Gegenwart, die Zukunft, vertritt, also
die proletarische.</P>
<P>Wenn wir nun aber sehn, da&szlig; die drei Klassen der modernen Gesellschaft,
die Feudalaristokratie, die Bourgeoisie und das Proletariat jede ihre besondre
Moral haben, so k&ouml;nnen wir daraus nur den Schlu&szlig; ziehn, da&szlig; die
Menschen, bewu&szlig;t oder unbewu&szlig;t, ihre sittlichen Anschauungen in letzter
Instanz aus den praktischen Verh&auml;ltnissen sch&ouml;pfen, in denen ihre Klassenlage
begr&uuml;ndet ist - aus den &ouml;konomischen Verh&auml;ltnissen, in denen sie
produzieren und austauschen.</P>
<P>Aber in den obigen drei Moraltheorien ist doch manches allen dreien gemeinsam
- w&auml;re dies nicht wenigstens ein St&uuml;ck der ein f&uuml;r allemal feststehenden
Moral? - Jene Moraltheorien vertreten drei verschiedne Stufen derselben geschichtlichen
Entwicklung, haben also einen gemeinsamen geschichtlichen Hintergrund, und schon
deshalb notwendig viel Gemeinsames. Noch mehr. F&uuml;r gleiche oder ann&auml;hernd
gleiche &ouml;konomische Entwicklungsstufen m&uuml;ssen die Moraltheorien notwendig
mehr oder weniger &uuml;bereinstimmen. Von dem Augenblick an, wo das Privateigentum
an beweglichen Sachen sich entwickelt hatte, mu&szlig;te allen Gesellschaften,
wo dies Privateigentum galt, da&szlig; Moralgebot gemeinsam sein: Du sollst nicht
stehlen. Wird dies Gebot dadurch zum ewigen Moralgebot? Keineswegs. In einer Gesellschaft,
wo die Motive zum Stehlen beseitigt sind, wo also auf die Dauer nur noch h&ouml;chstens
von Geisteskranken gestohlen werden kann, wie w&uuml;rde da der Moralprediger
ausgelacht werden, der feierlich die ewige Wahren proklamieren wollte: Du sollst
nicht stehlen!</P>
<P>Wir weisen demnach eine jede Zumutung zur&uuml;ck, uns irgendwelche Moraldogmatik
als ewiges, endg&uuml;ltiges, fernerhin unwandelbares Sittengesetz aufzudr&auml;ngen,
unter dem Vorwand, auch die moralische Welt habe ihre bleibenden Prinzipien, die
&uuml;ber der Geschichte und den V&ouml;lkerverschiedenheiten stehn. Wir behaupten
dagegen, alle bisherige Moraltheorie sei das Erzeugnis, in letzter Instanz, der
jedesmaligen &ouml;konomischen <A NAME="S88"></A><B>|88|</B> Gesellschaftslage.
Und wie die Gesellschaft sich bisher in Klassengegens&auml;tzen bewegte, so war
die Moral stets eine Klassenmoral; entweder rechtfertigte sie die Herrschaft und
die Interessen der herrschenden Klasse, oder aber sie vertrat, sobald die unterdr&uuml;ckte
Klasse m&auml;chtig genug wurde, die Emp&ouml;rung gegen diese Herrschaft und
die Zukunftsinteressen der Unterdr&uuml;ckten. Da&szlig; dabei im ganzen und gro&szlig;en
f&uuml;r die Moral sowohl, wie f&uuml;r alle andern Zweige der menschlichen Erkenntnis
ein Fortschritt zustande gekommen ist, daran wird nicht gezweifelt. Aber &uuml;ber
die Klassenmoral sind wir noch nicht hinaus. Eine &uuml;ber den Klassengegens&auml;tzen
und &uuml;ber der Erinnerung an sie stehende, wirklich menschliche Moral wird
erst m&ouml;glich auf einer Gesellschaftsstufe, die den Klassengegensatz nicht
nur &uuml;berwunden, sondern auch f&uuml;r die Praxis des Lebens vergessen hat.
Und nun ermesse man die Selbst&uuml;berheburg des Herrn D&uuml;hring, der mitten
aus der alten Klassengesellschaft heraus den Anspruch macht, am Vorabend einer
sozialen Revolution der k&uuml;nftigen, klassenlosen Gesellschaft eine ewige,
von der Zeit und den realen Ver&auml;nderungen unabh&auml;ngige Moral aufzuzwingen!
Vorausgesetzt selbst - was uns bis jetzt noch unbekannt -, da&szlig; er die Struktur
dieser k&uuml;nftigen Gesellschaft wenigstens in ihren Grundz&uuml;gen verstehe.</P>
<P>Schlie&szlig;lich noch eine &raquo;von Grund aus eigent&uuml;mliche&laquo;, aber darum
nicht weniger &raquo;bis an die Wurzeln reichende&laquo; Enth&uuml;llung: in Beziehung auf
den Ursprung des B&ouml;sen</P>
<P><SMALL>&raquo;steht uns die Tatsache, da&szlig; der <I>Typus der Katze</I> mit der
zugeh&ouml;rigen Falschheit in einer Tierbildung vorhanden ist, mit dem Umstande
auf gleicher Stufe, da&szlig; sich eine &auml;hnliche Charaktergestaltung auch
im Menschen vorfindet ... Das B&ouml;se ist daher nichts Geheimnisvolles, wenn
man nicht etwa Lust hat, auch in dem Dasein der <I>Katze</I> oder &uuml;berhaupt
des Raubtiers etwas Mystisches zu wittern.&laquo;</SMALL></P>
<P>Das B&ouml;se ist - die Katze. Der Teufel hat also keine H&ouml;rner und Pferdefu&szlig;,
sondern Krallen und gr&uuml;ne Augen. Und Goethe beging einen unverzeihlichen
Fehler, wenn er den Mephistopheles als schwarzen Hund, statt als ditto Katze einf&uuml;hrt.
Das B&ouml;se ist die Katze! Das ist Moral, nicht nur f&uuml;r alle Welten, sondern
auch - f&uuml;r die Katze!</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_X">X. Moral und Recht, Gleichheit</A></H3>
<P>Wir haben die Methode des Herrn D&uuml;hring schon mehrfach kennengelernt.
Sie besteht darin, jede Gruppe von Erkenntnisgegenst&auml;nden in ihre angeblichen
einfachsten Elemente zu zerlegen, auf diese Elemente ebenso einfache, angeblich
selbstverst&auml;ndliche Axiome anzuwenden, und mit den <A NAME="S89"></A><B>|89|</B>
so gewonnenen Resultaten weiter zu operieren. Auch eine Frage aus dem Bereich
des gesellschaftlichen Lebens</P>
<P><SMALL>&raquo;ist an einzelnen einfachen Grundgestalten axiomatisch so zu entscheiden,
als wenn es sich um einfache ... Grundgestalten der Mathematik handelte&laquo;.</SMALL></P>
<P>Und so soll die Anwendung der mathematischen Methode auf Geschichte, Moral
und Recht uns auch hier mathematische Gewi&szlig;heit verschaffen f&uuml;r die
Wahrheit der erlangten Resultate, sie kennzeichnen als echte, unwandelbare Wahrheiten.</P>
<P>Es ist dies nur eine andere Wendung der alten beliebten, ideologischen, sonst
auch aprioristisch genannten Methode, die Eigenschaften eines Gegenstandes nicht
aus dem Gegenstand selbst zu erkennen, sondern sie aus dem Begriff des Gegenstandes
beweisend abzuleiten. Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff des Gegenstandes;
dann dreht man den Spie&szlig; um und mi&szlig;t den Gegenstand an seinem Abbild,
dem Begriff. Nicht der Begriff soll sich nun nach dem Gegenstand, der Gegenstand
soll sich nach dem Begriff richten. Bei Herrn D&uuml;hring tun die einfachsten
Elemente, die letzten Abstraktionen, zu denen er gelangen kann, Dienst f&uuml;r
den Begriff, was an der Sache nichts &auml;ndert; diese einfachsten Elemente sind
im besten Fall rein begrifflicher Natur. Die Wirklichkeitsphilosophie erweist
sich also auch hier als pure Ideologie, Ableitung der Wirklichkeit nicht aus sich
selbst, sondern aus der Vorstellung.</P>
<P>Wenn nun ein solcher Ideolog die Moral und das Recht, statt aus den wirklichen
gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen der ihn umgebenden Menschen, aus dem Begriff
oder den sogenannten einfachsten Elementen &raquo;der Gesellschaft&laquo; herauskonstruiert,
welches Material liegt dann vor f&uuml;r diesen Aufbau? Offenbar zweierlei: erstens
der d&uuml;rftige Rest von wirklichem Inhalt, der noch in jenen zugrunde gelegten
Abstraktionen m&ouml;glicherweise vorhanden ist, und zweitens der Inhalt, den
unser Ideolog aus seinem eignen Bewu&szlig;tsein wieder hineintr&auml;gt. Und
was findet er vor in seinem Bewu&szlig;tsein? Gr&ouml;&szlig;tenteils moralische
und rechtliche Anschauungen, die ein mehr oder weniger entsprechender Ausdruck
- positiv oder negativ, best&auml;tigend oder bek&auml;mpfend - der gesellschaftlichen
und politischen Verh&auml;ltnisse sind, unter denen er lebt; ferner vielleicht
Vorstellungen, die der einschl&auml;gigen Literatur entlehnt sind: endlich m&ouml;glicherweise
noch pers&ouml;nliche Schrullen. Unser Ideolog mag sich drehn und wenden, wie
er will, die historische Realit&auml;t, die er zur T&uuml;r hinausgeworfen, kommt
zum Fenster wieder herein, und w&auml;hrend er glaubt, eine Sitten- und Rechtslehre
f&uuml;r alle Welten und Zeiten zu entwerfen, verfertigt er in der Tat ein verzerrtes,
weil von seinem <A NAME="S90"></A><B>|90|</B> wirklichen Boden losgerissenes,
wie im Hohlspiegel auf den Kopf gestelltes Konterfei der konservativen oder revolution&auml;ren
Str&ouml;mungen seiner Zeit.</P>
<P>Herr D&uuml;hring zerlegt also die Gesellschaft in ihre einfachsten Elemente
und findet dabei, da&szlig; die einfachste Gesellschaft mindestens aus <I>zwei</I>
Menschen besteht. Mit diesen zwei Menschen wird nun axiomatisch operiert. Und
da bietet sich ungezwungen das moralische Grundaxiom dar:</P>
<P><SMALL>&raquo;Zwei menschliche Willen sind als solche einander <I>v&ouml;llig gleich</I>,
und der eine kann dem andern zun&auml;chst positiv gar nichts zumuten.&laquo; Hiermit
ist die &raquo;Grundform der moralischen Gerechtigkeit gekennzeichnet&laquo;; und ebenfalls
die der juristischen, denn &raquo;zur Entwicklung der prinzipiellen Rechtsbegriffe bed&uuml;rfen
wir nur das g&auml;nzlich einfache und elementare Verh&auml;ltnis von <I>zwei
Menschen</I>&laquo;.</SMALL></P>
<P>da&szlig; zwei Menschen oder zwei menschliche Willen als solche einander <I>v&ouml;llig</I>
gleich sind, ist nicht nur kein Axiom, sondern sogar eine starke &Uuml;bertreibung.
Zwei Menschen k&ouml;nnen zun&auml;chst, selbst als solche, ungleich sein nach
dem Geschlecht, und diese einfache Tatsache f&uuml;hrt uns sofort darauf, da&szlig;
die einfachsten Elemente der Gesellschaft - wenn wir f&uuml;r einen Augenblick
auf die Kinderei eingehn - nicht zwei M&auml;nner sind, sondern ein M&auml;nnlein
und ein Weiblein, die eine <I>Familie</I> stiften, die einfachste und erste Form
der Vergesellschaftung behufs der Produktion. Aber dies kann Herrn D&uuml;hring
keineswegs konvenieren. Denn einerseits m&uuml;ssen die beiden Gesellschaftsstifter
m&ouml;glichst gleichgemacht werden, und zweitens brachte es selbst Herr D&uuml;hring
nicht fertig, aus der Urfamilie die moralische und rechtliche Gleichstellung von
Mann und Weib herauszukonstruieren. Also von zwei Dingen eins: entweder ist das
D&uuml;hringsche Gesellschaftsmolek&uuml;l, aus dessen Vervielfachung sich die
ganze Gesellschaft aufbauen soll, von vornherein auf den Untergang angelegt, da
die beiden M&auml;nner unter sich nie ein Kind zustande bringen, oder aber wir
m&uuml;ssen sie uns als zwei Familienh&auml;upter vorstellen. Und in diesem Fall
ist das ganze einfache Grundschema in sein Gegenteil verkehrt; statt der Gleichheit
der Menschen beweist es h&ouml;chstens die Gleichheit der Familienh&auml;upter,
und da die Weiber nicht gefragt werden, au&szlig;erdem noch die Unterordnung der
Weiber.</P>
<P>Wir haben hier dem Leser die unangenehme Mitteilung zu machen, da&szlig; er
von nun an auf geraume Zeit diese beiden famosen M&auml;nner nicht wieder loswerden
wird. Sie spielen auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse eine
&auml;hnliche Rolle, wie bisher die Bewohner anderer Weltk&ouml;rper, mit denen
wir jetzt hoffentlich fertig sind. Gibt es eine Frage der &Ouml;konomie, der Politik
usw. zu l&ouml;sen, flugs marschieren die beiden M&auml;nner auf und machen die
Sache im Nu &raquo;axiomatisch&laquo; ab. Ausgezeichnete, sch&ouml;pferische, systemschaffende
Entdeckung unseres Wirklichkeitsphilosophen: Aber <A NAME="S91"></A><B>|91|</B>
leider, wenn wir der Wahrheit die Ehre geben wollen, hat er die beiden M&auml;nner
nicht entdeckt. Sie sind dem ganzen 18. Jahrhundert gemein. Sie kommen schon vor
in Rousseaus Abhandlung &uuml;ber die Ungleichheit 1754, wo sie beil&auml;ufig
das Gegenteil von den D&uuml;hringschen Behauptungen axiomatisch beweisen. Sie
spielen eine Hauptrolle bei den politischen &Ouml;konomen von Adam Smith bis Ricardo;
aber hier sind sie wenigstens darin ungleich, da&szlig; sie jeder ein verschiednes
Gesch&auml;ft betreiben - meist der J&auml;ger und der Fischer - und ihre Produkte
gegenseitig austauschen. Auch dienen sie im ganzen 18. Jahrhundert haupts&auml;chlich
als blo&szlig;es erl&auml;uterndes Beispiel, und Herrn D&uuml;hrings Originalit&auml;t
besteht nur darin, da&szlig; er diese Beispielsmethode zur Grundmethode aller
Gesellschaftswissenschaft und zum Ma&szlig;stab aller geschichtlichen Bildungen
erhebt, Leichter kann man sich die &raquo;strengwissenschaftliche Auffassung von Dingen
und Menschen&laquo; allerdings nicht machen.</P>
<P>Um das Grundaxiom fertigzubringen, da&szlig; zwei Menschen und ihre Willen
einander v&ouml;llig gleich sind und keiner dem andern etwas zu befehlen hat,
dazu k&ouml;nnen wir noch keineswegs jede beliebigen zwei M&auml;nner gebrauchen.
Es m&uuml;ssen zwei Menschen sein, die so sehr von aller Wirklichkeit, von allen
auf der Erde vorkommenden nationalen, &ouml;konomischen, politischen, religi&ouml;sen
Verh&auml;ltnissen, von allen geschlechtlichen und pers&ouml;nlichen Eigent&uuml;mlichkeiten
befreit sind, da&szlig; von dem einen wie von dem andern nichts &uuml;brigbleibt
als der blo&szlig;e Begriff: Mensch, und dann sind sie allerdings &raquo;v&ouml;llig
gleich&laquo;. Sie sind also zwei vollst&auml;ndige Gespenster, beschworen von demselben
Herrn D&uuml;hring, der &uuml;berall &raquo;spiritistische&laquo; Regungen wittert und denunziert.
Diese beiden Gespenster m&uuml;ssen nat&uuml;rlich alles tun, was ihr Beschw&ouml;rer
von ihnen verlangt, und ebendeshalb sind ihre s&auml;mtlichen Kunstproduktionen
von der h&ouml;chsten Gleichg&uuml;ltigkeit f&uuml;r die &uuml;brige Welt.</P>
<P>Doch verfolgen wir Herrn D&uuml;hrings Axiomatik etwas weiter. Die beiden Willen
k&ouml;nnen der eine dem andern gar nichts positiv zumuten. Tut der eine dies
dennoch und setzt seine Zumutung mit Gewalt durch, so entsteht ein ungerechter
Zustand, und an diesem Grundschema erkl&auml;rt Herr D&uuml;hring die Ungerechtigkeit,
die Vergewaltigung, die Knechtschaft, kurz die ganze bisherige verwerfliche Geschichte.
Nun hat schon Rousseau, in der oben angef&uuml;hrten Schrift, grade vermittelst
der beiden M&auml;nner das Gegenteil ebenso axiomatisch nachgewiesen, n&auml;mlich
da&szlig; von Zweien A den B nicht durch Gewalt knechten kann, sondern nur dadurch,
da&szlig; er den B in eine Lage versetzt, worin dieser den A nicht entbehren kann;
was f&uuml;r Herrn D&uuml;hring allerdings eine schon viel zu materialistische
Auffassung ist. Fassen wir also dieselbe Sache etwas anders. Zwei Schiffbr&uuml;chige
sind auf einer <A NAME="S92"></A><B>|92|</B> Insel allein und bilden eine Gesellschaft.
Ihre Willen sind formell v&ouml;llig gleich, und dies ist von beiden anerkannt.
Aber materiell besteht eine gro&szlig;e Ungleichheit. A ist entschlossen und energisch,
B unentschieden, tr&auml;g und schlapp; A ist aufgeweckt, B ist dumm. Wie lange
dauert's, so n&ouml;tigt A seinen Willen dem B erst durch &Uuml;berredung, nachher
gewohnheitsm&auml;&szlig;ig, aber immer unter der Form der Freiwilligkeit, regelm&auml;&szlig;ig
auf? Ob die Form der Freiwilligkeit gewahrt oder mit F&uuml;&szlig;en getreten
wird, Knechtschaft bleibt Knechtschaft. Freiwilliger Eintritt in die Knechtschaft
geht durchs ganze Mittelalter, in Deutschland bis nach dem Drei&szlig;igj&auml;hrigen
Krieg. Als in Preu&szlig;en nach den Niederlagen von 1806 und 1807 die H&ouml;rigkeit
abgeschafft wurde und mit ihr die Verpflichtung der gn&auml;digen Herrn, f&uuml;r
ihre Untertanen in Not, Krankheit und Alter zu sorgen, da petitionierten die Bauern
an den K&ouml;nig, man m&ouml;ge sie doch in der Knechtschaft lassen - wer solle
sonst im Elend f&uuml;r sie sorgen? Es ist also das Schema der zwei M&auml;nner
auf die Ungleichheit und Knechtschaft ebensosehr &raquo;angelegt&laquo; wie auf die Gleichheit
und den gegenseitigen Beistand; und da wir sie, bei Strafe des Aussterbens, als
Familienh&auml;upter annehmen m&uuml;ssen, so ist auch schon die erbliche Knechtschaft
darin vorgesehn.</P>
<P>Lassen wir indes alles das f&uuml;r einen Augenblick auf sich beruhn. Nehmen
wir an, Herrn D&uuml;hrings Axiomatik habe uns &uuml;berzeugt, und wir schw&auml;rmten
f&uuml;r die v&ouml;llige Gleichberechtigung der beiden Willen, f&uuml;r die &raquo;allgemein
menschliche Souver&auml;net&auml;t&laquo;, f&uuml;r die &raquo;Souver&auml;net&auml;t des
Individuums&laquo; - wahre Prachtkolosse von Worten, gegen die Stirners &raquo;Einziger&laquo; mit
seinem Eigentum ein St&uuml;mper bleibt, obwohl auch er sein bescheidnes Teil
daran beanspruchen d&uuml;rfte. Also wir sind jetzt alle <I>v&ouml;llig gleich</I>
und unabh&auml;ngig. Alle? Nein, doch nicht alle.</P>
<P><SMALL>Es gibt auch &raquo;zul&auml;ssige Abh&auml;ngigkeiten&laquo;, aber diese erkl&auml;ren
sich &raquo;aus Gr&uuml;nden, die nicht in der Bet&auml;tigung der beiden Willen als
solcher, sondern in einem dritten Gebiet, also z.B. Kindern gegen&uuml;ber, in
der Unzul&auml;nglichkeit ihrer Selbstbestimmung zu suchen sind&laquo;.</SMALL></P>
<P>in der Tat! Die Gr&uuml;nde der Abh&auml;ngigkeit sind nicht in der Bet&auml;tigung
der beiden Willen als solcher zu suchen! Nat&uuml;rlich nicht, denn die Bet&auml;tigung
des einen Willens wird ja grade verhindert! Sondern in einem dritten Gebiet! Und
was ist dies dritte Gebiet? Die konkrete Bestimmtheit des einen unterdr&uuml;ckten
Willens als eines unzul&auml;nglichen! Soweit hat sich unser Wirklichkeitsphilosoph
von der Wirklichkeit entfernt, da&szlig; ihm, gegen&uuml;ber der abstrakten und
inhaltslosen Redensart: Wille, der wirkliche Inhalt, die charakteristische Bestimmtheit
dieses Willens schon als ein &raquo;drittes Gebiet&laquo; gilt. Wie dem aber auch sei, wir
m&uuml;ssen konstatieren, da&szlig; die <A NAME="S93"></A><B>|93|</B> Gleichberechtigung
ihre Ausnahme hat. Sie gilt nicht f&uuml;r einen Willen, der mit der Unzul&auml;nglichkeit
der Selbstbestimmung behaftet ist. <I>R&uuml;ckzug Nr. 1. </I></P>
<P>Weiter:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wo die Bestie und der Mensch in einer Person gemischt sind, da kann
man im Namen einer zweiten, v&ouml;llig menschlichen Person fragen, ob deren Handlungsweise
dieselbe sein d&uuml;rfe, als wenn sich sozusagen nur menschliche Personen gegen&uuml;ber
stehn ... es ist daher unsre Voraussetzung von zwei moralisch ungleichen Personen,
deren eine an dem eigentlichen Bestiencharakter in irgendeinem Sinne teilhat,
die typische Grundgestalt f&uuml;r alle Verh&auml;ltnisse, welche diesem Unterschiede
gem&auml;&szlig; in und zwischen den Menschengruppen ... vorkommen k&ouml;nnen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und nun m&ouml;ge der Leser selbst die sich an diese verlegenen Ausfl&uuml;chte
anschlie&szlig;ende Jammerdiatribe nachsehn, in der Herr D&uuml;hring sich dreht
und windet wie ein Jesuitenpfaff, um kasuistisch festzustellen, wie weit der menschliche
Mensch gegen den bestialischen Menschen einschreiten, wie weit er Mi&szlig;trauen,
Kriegslist, scharfe, ja terroristische, ingleichen T&auml;uschungsmittel gegen
ihn anwenden d&uuml;rfe, ohne selbst der unwandelbaren Moral etwas zu vergeben.</P>
<P>Also auch wenn zwei Personen &raquo;moralisch ungleich&laquo; sind, h&ouml;rt die Gleichheit
auf. Dann war es aber gar nicht der M&uuml;he wert, die beiden sich v&ouml;llig
gleichen M&auml;nner heraufzubeschw&ouml;ren, denn es gibt gar keine zwei Personen,
die moralisch v&ouml;llig gleich sind. - Die Ungleichheit soll aber darin bestehn,
da&szlig; die eine eine menschliche Person ist und die andre ein St&uuml;ck Bestie
in sich tr&auml;gt. Nun liegt es aber schon in der Abstammung des Menschen aus
dem Tierreich, da&szlig; der Mensch die Bestie nie v&ouml;llig los wird, so da&szlig;
es sich also immer nur um ein Mehr oder Minder, um einen Unterschied des Grades
der Bestialit&auml;t resp. Menschlichkeit handeln kann. Eine Einteilung der Menschen
in zwei scharf geschiedne Gruppen, in menschliche und Bestienmenschen, in Gute
und B&ouml;se, Schafe und B&ouml;cke, kennt au&szlig;er der Wirklichkeitsphilosophie
nur noch das Christentum, das ganz konsequent auch seinen Weltrichter hat, der
die Scheidung vollzieht. Wer soll aber Weltrichter sein in der Wirklichkeitsphilosophie?
Es wird wohl hergehn m&uuml;ssen wie in der christlichen Praxis, wo die frommen
Sch&auml;flein das Amt des Weltrichters gegen ihre weltlichen Bocks-N&auml;chsten
selbst, und mit bekanntem Erfolg, &uuml;bernehmen. Die Sekte der Wirklichkeitsphilosophen,
wenn sie je zustande kommt, wird in dieser Beziehung den Stillen im Lande sicher
nichts nachgeben. Das kann uns indes gleichg&uuml;ltig sein; was uns interessiert,
ist das Eingest&auml;ndnis, da&szlig;, infolge der moralischen Ungleichheit zwischen
den Menschen, es mit der Gleichheit wieder nichts ist. <I>R&uuml;ckzug Nr. 2.</I></P>
<P><B><A NAME="S94">|94|</A></B> Abermals weiter:</P>
<P><SMALL>&raquo;Handelt der Eine nach Wahrheit und Wissenschaft, der andre aber nach
irgendeinem Aberglauben oder Vorurteil, so ... m&uuml;ssen in der Regel gegenseitige
St&ouml;rungen eintreten ... Bei einem gewissen Grad von Unf&auml;higkeit, Roheit
oder b&ouml;ser Charaktertendenz wird in allen F&auml;llen ein Zusammensto&szlig;
erfolgen m&uuml;ssen ... Es sind nicht blo&szlig; Kinder und Wahnsinnige, denen
gegen&uuml;ber die <I>Gewalt</I> das letzte Mittel ist. Die Artung ganzer Naturgruppen
und Kulturklassen von Menschen kann die <I>Unterwerfung </I>ihres durch seine
Verkehrtheit feindlichen Wollens im Sinne der Zur&uuml;ckf&uuml;hrung desselben
auf die gemeinschaftlichen Bindemittel zur unausweichlichen Notwendigkeit machen.
Der fremde Wille wird auch hier noch als <I>gleichberechtigt</I> erachtet; aber
durch die Verkehrtheit seiner verletzenden und feindlichen Bet&auml;tigung hat
er eine <I>Ausgleichung</I> herausgefordert, und wenn er Gewalt erleidet, so erntet
er nur die R&uuml;ckwirkung seiner eignen Ungerechtigkeit.&laquo;</SMALL></P>
<P>Also nicht nur moralische, sondern auch geistige Ungleichheit reicht hin, um
die &raquo;v&ouml;llige Gleichheit&laquo; der beiden Willen zu beseitigen und eine Moral herzustellen,
nach der alle Schandtaten zivilisierter Raubstaaten gegen zur&uuml;ckgebliebne
V&ouml;lker, bis herab zu den Scheu&szlig;lichkeiten der Russen in Turkestan sich
rechtfertigen lassen. Als General Kaufmann im Sommer 1873 den Tatarenstamm der
Jomuden &uuml;berfallen, ihre Zelte verbrennen, ihre Weiber und Kinder &raquo;auf gut
kaukasisch&laquo;, wie der Befehl lautete, niedermetzeln lie&szlig;, behauptete er auch,
die Unterwerfung des durch seine Verkehrtheit feindlichen Wollens der Jomuden,
im Sinne der Zur&uuml;ckf&uuml;hrung desselben auf die gemeinschaftlichen Bindemittel,
sei zur unausweichlichen Notwendigkeit geworden, und die von ihm angewandten Mittel
seien die zweckm&auml;&szlig;igsten; wer aber den Zweck wolle, m&uuml;sse auch
die Mittel wollen. Nur war er nicht so grausam, die Jomuden noch obendrein zu
verh&ouml;hnen und zu sagen, dadurch, da&szlig; er sie zur Ausgleichung massakriere,
achte er ihren Willen grade als gleichberechtigt. Und wieder sind es in diesem
Konflikt die Auserw&auml;hlten, die angeblich nach Wahrheit und Wissenschaft Handelnden,
also in letzter Instanz die Wirklichkeitsphilosophen, die zu entscheiden haben,
was Aberglauben, Vorurteil, Roheit, b&ouml;se Charaktertendenz und wann Gewalt
und Unterwerfung zur Ausgleichung n&ouml;tig sind. Die Gleichheit ist also jetzt
- die Ausgleichung durch die Gewalt, und der zweite Wille wird vom ersten als
gleichberechtigt anerkannt durch Unterwerfung. <I>R&uuml;ckzug Nr. 3</I>, der
hier schon in schimpfliche Flucht ausartet.</P>
<P>Beil&auml;ufig ist die Phrase, der fremde Wille werde grade in der Ausgleichung
durch Gewalt als gleichberechtigt erachtet, nur eine Verdrehung der Hegelschen
Theorie, wonach die Strafe das Recht des Verbrechers ist;</P>
<P><SMALL><B><A NAME="S95">|95|</A></B></SMALL><SMALL> &raquo;da&szlig; die Strafe als
sein eignes Recht enthaltend angesehn wird, darin wird der Verbrecher als Vern&uuml;nftiges
geehrt&laquo;. (Rechtsphilosophie, &sect; 100, Anmerk.)</SMALL></P>
<P>Hiermit k&ouml;nnen wir abbrechen. Es wird &uuml;berfl&uuml;ssig sein, Herrn
D&uuml;hring in die st&uuml;ckweise Zerst&ouml;rung seiner so axiomatisch aufgestellten
Gleichheit, allgemein menschlichen Souver&auml;net&auml;t usw. noch weiter zu
folgen; zu beobachten, wie er zwar die Gesellschaft mit zwei M&auml;nnern fertigbringt,
aber um den Staat herzustellen, noch einen dritten braucht, weil - um die Sache
kurz zu fassen - ohne diesen dritten keine Majorit&auml;tsbeschl&uuml;sse gefa&szlig;t
werden k&ouml;nnen, und ohne solche, also auch ohne Herrschaft der Majorit&auml;t
&uuml;ber die Minorit&auml;t, kein Staat bestehn kann; und wie er dann allm&auml;hlich
in das ruhigere Fahrwasser der Konstruktion seines sozialit&auml;ren Zukunftsstaates
einlenkt, wo wir ihn eines sch&ouml;nen Morgens aufzusuchen die Ehre haben werden.
Wir haben hinl&auml;nglich gesehn, da&szlig; die v&ouml;llige Gleichheit der beiden
Willen nur so lange besteht, als diese beiden Willen <I>nichts wollen</I>; da&szlig;,
sobald sie aufh&ouml;ren, menschliche Willen als solche zu sein, und sich in wirkliche,
individuelle Willen, in die Willen von zwei wirklichen Menschen verwandeln, die
Gleichheit aufh&ouml;rt; da&szlig; Kindheit, Wahnsinn, sogenannte Bestienhaftigkeit,
angeblicher Aberglaube, behauptetes Vorurteil, vermutete Unf&auml;higkeit auf
der einen, und eingebildete Menschlichkeit, Einsicht in die Wahrheit und Wissenschaft
auf der andern Seite, da&szlig; also jede Differenz in der Qualit&auml;t der beiden
Willen und in derjenigen der sie begleitenden Intelligenz eine Ungleichheit rechtfertigt,
die sich bis zur Unterwerfung steigern kann; was verlangen wir noch mehr, nachdem
Herr D&uuml;hring sein eignes Gleichheitsgeb&auml;ude so wurzelhaft von Grund
aus zertr&uuml;mmert hat?</P>
<P>Wenn wir aber auch mit Herrn D&uuml;hrings flacher und st&uuml;mperhafter Behandlung
der Gleichheitsvorstellung fertig sind, so sind wir darum noch nicht fertig mit
dieser Vorstellung selbst, wie sie namentlich durch Rousseau eine theoretische,
in und seit der gro&szlig;en Revolution eine praktisch-politische, und auch heute
noch in der sozialistischen Bewegung fast aller L&auml;nder eine bedeutende agitatorische
Rolle spielt. Die Feststellung ihres wissenschaftlichen Gehalts wird auch ihren
Wert f&uuml;r die proletarische Agitation bestimmen.</P>
<P>Die Vorstellung, da&szlig; alle Menschen als Menschen etwas Gemeinsames haben,
und so weit dies Gemeinsame reicht, auch gleich sind, ist selbstverst&auml;ndlich
uralt. Aber hiervon ganz verschieden ist die moderne Gleichheitsforderung; diese
besteht vielmehr darin, aus jener gemeinschaftlichen Eigenschaft des Menschseins,
jener Gleichheit der Menschen als Menschen, den Anspruch auf gleiche politische
resp. soziale Geltung aller Menschen, <A NAME="S96"></A><B>|96|</B> oder doch
wenigstens aller B&uuml;rger eines Staats, oder aller Mitglieder einer Gesellschaft
abzuleiten. Bis aus jener urspr&uuml;nglichen Vorstellung relativer Gleichheit
die Folgerung auf Gleichberechtigung in Staat und Gesellschaft gezogen werden,
bis sogar diese Folgerung als etwas Nat&uuml;rliches, Selbstverst&auml;ndliches
erscheinen konnte, dar&uuml;ber mu&szlig;ten Jahrtausende vergehn und sind Jahrtausende
vergangen. In den &auml;ltesten, naturw&uuml;chsigen Gemeinwesen konnte von Gleichberechtigung
h&ouml;chstens unter den Gemeindemitgliedern die Rede sein; Weiber, Sklaven, Fremde
waren von selbst davon ausgeschlossen. Bei den Griechen und R&ouml;mern galten
die Ungleichheiten der Menschen viel mehr als irgendwelche Gleichheit. Da&szlig;
Griechen und Barbaren, Freie und Sklaven, Staatsb&uuml;rger und Schutzverwandte,
r&ouml;mische B&uuml;rger und r&ouml;mische Untertanen (um einen umfassenden Ausdruck
zu gebrauchen) einen Anspruch auf gleiche politische Geltung haben sollten, w&auml;re
den Alten notwendig verr&uuml;ckt vorgekommen. Unter dem r&ouml;mischen Kaisertum
l&ouml;sten sich alle diese Unterschiede allm&auml;hlich auf, mit Ausnahme desjenigen
von Freien und Sklaven; es entstand damit, f&uuml;r die Freien wenigstens, jene
Gleichheit der Privatleute, auf deren Grundlage das r&ouml;mische Recht sich entwickelte,
die vollkommenste Ausbildung des auf Privateigentum beruhenden Rechts, die wir
kennen. Aber solange der Gegensatz von Freien und Sklaven bestand, konnte von
rechtlichen Folgerungen aus der allgemein <I>menschlichen</I> Gleichheit keine
Rede sein; wir sahen dies noch neuerdings in den Sklavenstaaten der nordamerikanischen
Union.</P>
<P>Das Christentum kannte nur <I>eine</I> Gleichheit aller Menschen, die der gleichen
Erbs&uuml;ndhaftigkeit, die ganz seinem Charakter als Religion der Sklaven und
Unterdr&uuml;ckten entsprach. Daneben kannte es h&ouml;chstens die Gleichheit
der Auserw&auml;hlten, die aber nur ganz im Anfang betont wurde. Die Spuren der
G&uuml;tergemeinschaft, die sich ebenfalls in den Anf&auml;ngen der neuen Religion
vorfinden, lassen sich vielmehr auf den Zusammenhalt der Verfolgten zur&uuml;ckf&uuml;hren
als auf wirkliche Gleichheitsvorstellungen. Sehr bald machte die Festsetzung des
Gegensatzes von Priester und Laie auch diesem Ansatz von christlicher Gleichheit
ein Ende. - Die &Uuml;berflutung Westeuropas durch die Germanen beseitigte f&uuml;r
Jahrhunderte alle Gleichheitsvorstellungen durch den allm&auml;hlichen Aufbau
einer sozialen und politischen Rangordnung von so verwickelter Art, wie sie bisher
noch nicht bestanden hatte; aber gleichzeitig zog sie West- und Mitteleuropa in
die geschichtliche Bewegung, schuf zum erstenmal ein kompaktes Kulturgebiet, und
auf diesem Gebiet zum erstenmal ein System sich gegenseitig beeinflussender und
gegenseitig in Schach haltender, vorwiegend nationaler <A NAME="S97"></A><B>|97|</B>
Staaten. Damit bereitete sie den Boden vor, auf dem allein in sp&auml;terer Zeit
von menschlicher Gleichgeltung, von Menschenrechten die Rede sein konnte.</P>
<P>Das feudale Mittelalter entwickelte au&szlig;erdem in seinem Scho&szlig; die
Klasse, die berufen war, in ihrer weitern Ausbildung die Tr&auml;gerin der modernen
Gleichheitsforderung zu werden: das B&uuml;rgertum. Anfangs selbst feudaler Stand,
hatte das B&uuml;rgertum die vorwiegend handwerksm&auml;&szlig;ige Industrie und
den Produktenaustausch innerhalb der feudalen Gesellschaft auf eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig
hohe Stufe entwickelt, als mit dem Ende des f&uuml;nfzehnten Jahrhunderts die
gro&szlig;en Entdeckungen zur See ihm eine neue, umfassendere Laufbahn er&ouml;ffneten.
Der au&szlig;ereurop&auml;ische Handel, bisher nur zwischen Italien und der Levante
betrieben, wurde jetzt bis Amerika und Indien ausgedehnt und &uuml;berfl&uuml;gelte
bald an Bedeutung sowohl den Austausch der einzelnen europ&auml;ischen L&auml;nder
unter sich, wie den innern Verkehr eines jeden einzelnen Landes. Das amerikanische
Gold und Silber &uuml;berflutete Europa und drang wie ein zersetzendes Element
in alle L&uuml;cken, Risse und Poren der feudalen Gesellschaft. Der handwerksm&auml;&szlig;ige
Betrieb gen&uuml;gte nicht mehr f&uuml;r den wachsenden Bedarf; in den leitenden
Industrien der fortgeschrittensten L&auml;nder wurde er ersetzt durch die Manufaktur.</P>
<P>Diesem gewaltigen Umschwung der &ouml;konomischen Lebensbedingungen der Gesellschaft
folgte indes keineswegs sofort eine entsprechende &Auml;nderung ihrer politischen
Gliederung. Die staatliche Ordnung blieb feudal, w&auml;hrend die Gesellschaft
mehr und mehr b&uuml;rgerlich wurde. Der Handel auf gro&szlig;er Stufenleiter,
also namentlich der internationale, und noch mehr der Welthandel, fordert freie,
in ihren Bewegungen ungehemmte Warenbesitzer, die als solche gleichberechtigt
sind, die auf Grundlage eines, wenigstens an jedem einzelnen Ort, f&uuml;r sie
alle gleichen Rechts austauschen. Der &Uuml;bergang vom Handwerk zur Manufaktur
hat zur Voraussetzung die Existenz einer Anzahl freier Arbeiter - frei einerseits
von Zunftfesseln und andrerseits von den Mitteln, um ihre Arbeitskraft selbst
zu verwerten -, die mit dem Fabrikanten wegen Vermietung ihrer Arbeitskraft kontrahieren
k&ouml;nnen, also ihm als Kontrahenten gleichberechtigt gegen&uuml;berstehn. Und
endlich fand die Gleichheit und gleiche G&uuml;ltigkeit aller menschlichen Arbeiten,
weil und insofern sie <I>menschliche</I> Arbeit &uuml;berhaupt sind |siehe Karl
Marx: &raquo;Das Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <a href="../me23/me23_049.htm" target="#S74">Bd.
23, S. 74</a>|, ihren unbewu&szlig;ten aber st&auml;rksten Ausdruck im Wertgesetz
der modernen b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie, wonach der Wert einer Ware gemessen
wird durch die in <A NAME="S98"></A><B>|98|</B> ihr enthaltene gesellschaftlich
notwendige Arbeit.<A NAME="ZF2"></A><A HREF="me20_032.htm#F2"><SPAN class="top">(2)</SPAN></A> - Wo aber
die &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse Freiheit und Gleichberechtigung forderten,
setzte ihnen die politische Ordnung Zunftfesseln und Sonderprivilegien auf jedem
Schritt entgegen. Lokalvorrechte, Differentialz&ouml;lle, Ausnahmsgesetze aller
Art trafen im Handel nicht nur den Fremden oder Kolonialbewohner, sondern oft
genug auch ganze Kategorien der eignen Staatsangeh&ouml;rigen; z&uuml;nftige Privilegien
lagerten sich &uuml;berall und immer von neuem der Entwicklung der Manufaktur
quer &uuml;ber den Weg. Nirgendwo war die Bahn frei und die Chancen f&uuml;r die
b&uuml;rgerlichen Wettl&auml;ufer gleich - und doch war dies die erste und immer
dringlichere Forderung.</P>
<P>Die Forderung der Befreiung von feudalen Fesseln und der Herstellung der Rechtsgleichheit
durch Beseitigung der feudalen Ungleichheiten, sobald sie erst durch den &ouml;konomischen
Fortschritt der Gesellschaft auf die Tagesordnung gesetzt war, mu&szlig;te bald
gr&ouml;&szlig;ere Dimensionen annehmen. Stellte man sie im Interesse der Industrie
und des Handels, so mu&szlig;te man dieselbe Gleichberechtigung fordern f&uuml;r
die gro&szlig;e Menge der Bauern, die in allen Stufen der Knechtschaft, von der
vollen Leibeigenschaft an, den gr&ouml;&szlig;ten Teil ihrer Arbeitszeit unentgeltlich
dem gn&auml;digen Feudalherrn darbringen und au&szlig;erdem noch zahllose Abgaben
an ihn und den Staat entrichten mu&szlig;ten. Man konnte andrerseits nicht umhin
zu verlangen, da&szlig; ebenfalls die feudalen Bevorzugungen, die Steuerfreiheit
des Adels, die politischen Vorrechte der einzelnen St&auml;nde aufgehoben w&uuml;rden.
Und da man nicht mehr in einem Weltreich lebte, wie das r&ouml;mische gewesen,
sondern in einem System unabh&auml;ngiger, miteinander auf gleichem Fu&szlig;
verkehrender Staaten von ann&auml;hernd gleicher H&ouml;he der b&uuml;rgerlichen
Entwicklung, so verstand es sich von selbst, da&szlig; die Forderung einen allgemeinen,
&uuml;ber den einzelnen Staat hinausgreifenden Charakter annahm, da&szlig; Freiheit
und Gleichheit proklamiert wurden als <I>Menschenrechte</I>. Wobei es f&uuml;r
den spezifisch b&uuml;rgerlichen Charakter dieser Menschenrechte bezeichnend ist,
da&szlig; die amerikanische Verfassung, die erste, welche die Menschenrechte anerkennt,
in demselben Atem die in Amerika bestehende Sklaverei der Farbigen best&auml;tigt:
die Klassenvorrechte werden ge&auml;chtet, die Racenvorrechte geheiligt.</P>
<P>Bekanntlich wird indes die Bourgeoisie, von dem Augenblick an, wo sie sich
aus dem feudalen B&uuml;rgertum entpuppt, wo der mittelalterliche Stand in eine
moderne Klasse &uuml;bergeht, stets und unvermeidlich begleitet von ihrem <A NAME="S99"></A><B>|99|</B>
Schatten, dem Proletariat. Und ebenso werden die b&uuml;rgerlichen Gleichheitsforderungen
begleitet von proletarischen Gleichheitsforderungen. Von dem Augenblick an, wo
die b&uuml;rgerliche Forderung der Abschaffung der Klassen<I>vorrechte</I> gestellt
wird, tritt neben sie die proletarische Forderung der Abschaffung der <I>Klassen
selbst -</I> zuerst in religi&ouml;ser Form, in Anlehnung an das Urchristentum,
sp&auml;ter gest&uuml;tzt auf die b&uuml;rgerlichen Gleichheitstheorien selbst.
Die Proletarier nehmen die Bourgeoisie beim Wort: die Gleichheit soll nicht blo&szlig;
scheinbar, nicht blo&szlig; auf dem Gebiet des Staats, sie soll auch wirklich,
auch auf dem gesellschaftlichen, &ouml;konomischen Gebiet durchgef&uuml;hrt werden.
Und namentlich seit die franz&ouml;sische Bourgeoisie, von der gro&szlig;en Revolution
an, die b&uuml;rgerliche Gleichheit in den Vordergrund gestellt hat, hat ihr das
franz&ouml;sische Proletariat Schlag auf Schlag geantwortet mit der Forderung
sozialer, &ouml;konomischer Gleichheit, ist die Gleichheit der Schlachtruf speziell
des franz&ouml;sischen Proletariats geworden.</P>
<P>Die Gleichheitsforderung im Munde des Proletariats hat somit eine doppelte
Bedeutung. Entweder ist sie - und dies ist namentlich in den ersten Anf&auml;ngen,
z.B. im Bauernkrieg, der Fall - die naturw&uuml;chsige Reaktion gegen die schreienden
sozialen Ungleichheiten, gegen den Kontrast von Reichen und Armen, von Herren
und Knechten, von Prassern und Verhungernden; als solche ist sie einfach Ausdruck
des revolution&auml;ren Instinkts und findet darin, und auch nur darin, ihre Rechtfertigung.
Oder aber, sie ist entstanden aus der Reaktion gegen die b&uuml;rgerliche Gleichheitsforderung,
zieht mehr oder weniger richtige, weitergehende Forderungen aus dieser, dient
als Agitationsmittel, um die Arbeiter mit den eignen Behauptungen der Kapitalisten
gegen die Kapitalisten aufzuregen, und in diesem Fall steht und f&auml;llt sie
mit der b&uuml;rgerlichen Gleichheit selbst. In beiden F&auml;llen ist der wirkliche
Inhalt der proletarischen Gleichheitsforderung die Forderung der <I>Abschaffung
der Klassen</I>. Jede Gleichheitsforderung, die dar&uuml;ber hinausgeht, verl&auml;uft
notwendig ins Absurde. Wir haben Beispiele davon gegeben und werden ihrer noch
genug finden, wenn wir zu den Zukunftsphantasien des Herrn D&uuml;hring kommen.</P>
<P>Somit ist die Vorstellung der Gleichheit, sowohl in ihrer b&uuml;rgerlichen
wie in ihrer proletarischen Form, selbst ein geschichtliches Produkt, zu deren
Hervorbringung bestimmte geschichtliche Verh&auml;ltnisse notwendig waren, die
selbst wieder eine lange Vorgeschichte voraussetzen. Sie ist also alles, nur keine
ewige Wahrheit. Und wenn sie sich heute f&uuml;r das gro&szlig;e Publikum - im
einen oder im andern Sinn - von selbst versteht, wenn sie, wie Marx sagt, &raquo;bereits
die Festigkeit eines Volksvorurteils <A NAME="S100"></A><B>|100|</B> besitzt&laquo;
|Siehe Karl Marx: &raquo;Das Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke,
<A HREF="../me23/me23_049.htm#S74">Bd. 23, S. 74</A>| so ist das nicht Wirkung
ihrer axiomatischen Wahrheit, sondern Wirkung der allgemeinen Verbreitung und
der andauernden Zeitgem&auml;&szlig;heit der Ideen des achtzehnten Jahrhunderts.
Wenn also Herr D&uuml;hring seine ber&uuml;hmten beiden M&auml;nner so ohne weiteres
auf dem Boden der Gleichheit kann wirtschaften lassen, so kommt dies daher, da&szlig;
dem Volksvorurteil dies ganz nat&uuml;rlich vorkommt. Und in der Tat, Herr D&uuml;hring
nennt seine Philosophie die <I>nat&uuml;rliche</I>, weil sie von lauter Dingen
ausgeht, die ihm ganz nat&uuml;rlich vorkommen. Warum aber sie ihm nat&uuml;rlich
vorkommen - danach fragt er freilich nicht.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_XI">XI. Moral und Recht. Freiheit und Notwendigkeit</A></H3>
<P><SMALL>&raquo;F&uuml;r das politische und juristische Gebiet liegen den in diesem
Kursus ausgesprochenen Grunds&auml;tzen die <I>eindringendsten Fachstudien </I>zugrunde.
Man wird daher ... davon ausgehn m&uuml;ssen, da&szlig; es sich hier ... um die
konsequente Darstellung der <I>Ergebnisse </I>des juristischen und staatswissenschaftlichen
Gebiets gehandelt hat. Mein urspr&uuml;ngliches Fachstudium war grade die Jurisprudenz,
und ich habe derselben nicht nur die gew&ouml;hnlichen drei Jahre der theoretischen
Universit&auml;tsvorbereitung, sondern auch w&auml;hrend neuer drei Jahre gerichtlicher
Praxis noch ein fortgesetztes, besonders auf die <I>Vertiefung</I> ihres wissenschaftlichen
Gehalts gerichtetes Studium gewidmet ... Auch w&uuml;rde <I>sicherlich </I>die
Kritik der Privatrechtsverh&auml;ltnisse und der entsprechenden juristischen Unzul&auml;nglichkeiten
nicht mit <I>gleicher Zuversicht </I>haben auftreten k&ouml;nnen, wenn sie sich
nicht bewu&szlig;t gewesen w&auml;re, &uuml;berall die Schw&auml;chen des Faches
ebensogut wie dessen st&auml;rkere Seiten <I>zu kennen</I>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Ein Mann, der so von sich selbst zu sprechen berechtigt ist, mu&szlig; von
vornherein Vertrauen einfl&ouml;&szlig;en, besonders gegen&uuml;ber dem</P>
<P><SMALL>&raquo;einstigen, eingestandnerma&szlig;en vernachl&auml;ssigten Rechtsstudium
des Herrn Marx&laquo;.</SMALL></P>
<P>Wundern mu&szlig; es uns deshalb, da&szlig; die mit solcher Zuversicht auftretende
Kritik der Privatrechtsverh&auml;ltnisse sich darauf <SMALL>beschr&auml;nkt, uns
zu erz&auml;hlen, da&szlig; es</SMALL></P>
<P><SMALL>&raquo;mit der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz nicht weit her&laquo; ist,
da&szlig; das positive b&uuml;rgerliche Recht das Unrecht ist, indem es das Gewalteigentum
sanktioniert, und da&szlig; der &raquo;Naturgrund&laquo; des Kriminalrechts die <I>Rache</I>
ist -</SMALL></P>
<P>eine Behauptung, an der nur die mystische Verkleidung in den &raquo;Naturgrund&laquo; allenfalls
neu ist. Die staatswissenschaftlichen Ergebnisse beschr&auml;nken sich auf die
Verhandlungen der bewu&szlig;ten drei M&auml;nner, von denen der <A NAME="S101"></A><B>|101|</B>
eine die andern bisher vergewaltigt, und wobei Herr D&uuml;hring alles Ernstes
untersucht, ob es der zweite oder der dritte ist, der die Gewalt und die Knechtschaft
zuerst eingef&uuml;hrt hat.</P>
<P>Verfolgen wir indes die eindringendsten Fachstudien und die durch dreij&auml;hrige
gerichtliche Praxis vertiefte Wissenschaftlichkeit unsres zuversichtlichen Juristen
etwas weiter.</P>
<P>Von Lassalle erz&auml;hlt uns Herr D&uuml;hring, er sei</P>
<P><SMALL>&raquo;wegen der Veranlassung des Versuchs zum Diebstahl einer Kassette&laquo; in
Anklagezustand versetzt worden, &raquo;ohne da&szlig; jedoch eine gerichtliche Verurteilung
zu verzeichnen gewesen w&auml;re, indem die <I>damals noch m&ouml;gliche </I>sogenannte
<I>Freisprechung von der Instanz </I>Platz griff ... diese <I>halbe </I>Freisprechung&laquo;.</SMALL></P>
<P>Der Proze&szlig; Lassalles, von dem hier die Rede ist, wurde verhandelt im
Sommer 1948 vor den Assisen zu K&ouml;ln, wo, wie fast in der ganzen Rheinprovinz,
das franz&ouml;sische Strafrecht in Kraft war. Nur f&uuml;r politische Vergehen
und Verbrechen war das preu&szlig;ische Landrecht ausnahmsweise eingef&uuml;hrt
gewesen, aber schon im April 1848 wurde diese Ausnahmsbestimmung durch Camphausen
wieder beseitigt. Das franz&ouml;sische Recht kennt durchaus nicht die liederliche
preu&szlig;ische Landrechtskategorie einer &raquo;Veranlassung&laquo; zu einem Verbrechen,
geschweige der Veranlassung des Versuchs eines Verbrechens. Es kennt nur <I>Anreizung
</I>zum Verbrechen, und diese, um strafbar zu sein, mu&szlig; geschehn &raquo;durch
Geschenke, Versprechungen, Drohungen, Mi&szlig;brauch des Ansehns oder der Gewalt,
listige Anstiftungen oder str&auml;fliche Kunstgriffe&laquo; (Code p&eacute;nal, art.
60). Das in das preu&szlig;ische Landrecht vertiefte &ouml;ffentliche Ministerium
&uuml;bersah, ganz wie Herr D&uuml;hring, den wesentlichen Unterschied zwischen
der scharf bestimmten franz&ouml;sischen Vorschrift und der verschwommenen landrechtlichen
Unbestimmtheit, machte Lassalle einen Tendenzproze&szlig; und fiel gl&auml;nzend
durch. Denn die Behauptung, als kenne der franz&ouml;sische Strafproze&szlig;
die preu&szlig;ische landrechtliche Freisprechung von der Instanz, diese <I>halbe
</I>Freisprechung, kann nur jemand wagen, der auf dem Gebiet des franz&ouml;sischen
modernen Rechts ein vollst&auml;ndiger Ignorant ist; dies Recht kennt im Strafproze&szlig;
nur Verurteilung oder Freisprechung, kein Mittelding.</P>
<P> Somit sind wir im Falle sagen zu m&uuml;ssen, da&szlig; Herr D&uuml;hring
sicherlich nicht mit gleicher Zuversicht diese &raquo;Geschichtszeichnung gro&szlig;en
Stils&laquo; an Lassalle h&auml;tte ver&uuml;ben k&ouml;nnen, wenn er den Code Napol&eacute;on
jemals in der Hand gehabt h&auml;tte. Wir m&uuml;ssen also konstatieren, da&szlig;
Herrn D&uuml;hring das <I>einzige </I>modern-b&uuml;rgerliche, auf den gesellschaftlichen
Errungenschaften der gro&szlig;en franz&ouml;sischen Revolution ruhende und sie
ins Juristische <A NAME="S102"></A><B>|102|</B> &uuml;bersetzende Gesetzbuch,
das moderne franz&ouml;sische Recht, <I>g&auml;nzlich unbekannt</I> ist.</P>
<P>Anderswo, bei der Kritik der nach franz&ouml;sischem Muster auf dem ganzen
Kontinent eingef&uuml;hrten, nach Stimmenmehrheit entscheidenden Geschwornengerichte,
werden wir belehrt:</P>
<P><SMALL>&raquo;Ja, man wird sich <I>sogar</I> mit dem, &uuml;brigens nicht einmal
geschichtlich beispiellosen Gedanken vertraut machen k&ouml;nnen, da&szlig; eine
Verurteilung mit <I>Widerspruch der Stimmen</I> in einem vollkommnen Gemeinwesen
zu den unm&ouml;glichen Institutionen geh&ouml;ren sollte ... Jedoch mu&szlig;
diese <I>ernste</I> und <I>tief geistige</I> Auffassungsart, wie schon oben angedeutet,
f&uuml;r die &uuml;berlieferten Gebilde darum als unpassend erscheinen, weil sie
f&uuml;r dieselben <I>zu gut</I> ist.&laquo;</SMALL></P>
<P>Es ist Herrn D&uuml;hring abermals unbekannt, da&szlig; die Einstimmigkeit
der Geschwornen nicht nur bei strafrechtlichen Verurteilungen, sondern auch bei
Urteilen in b&uuml;rgerlichen Prozessen unumg&auml;nglich notwendig ist nach dem
englischen gemeinen Recht, d.h. dem ungeschriebnen Gewohnheitsrecht, das seit
unvordenklicher Zeit in Kraft steht, also mindestens seit dem vierzehnten Jahrhundert.
Die ernste und tiefgeistige Auffassungsart, die nach Herrn D&uuml;hring f&uuml;r
die heutige Welt <I>zu gut</I> ist, hat in England also gesetzliche Geltung gehabt
schon im dunkelsten Mittelalter, und ist von England nach Irland, nach den Vereinigten
Staaten Amerikas und nach allen englischen Kolonien &uuml;bergef&uuml;hrt worden,
ohne da&szlig; die eindringendsten Fachstudien dem Herrn D&uuml;hring auch nur
ein Sterbensw&ouml;rtchen davon verraten h&auml;tten! Das Gebiet der Geschwornen-Einstimmigkeit
ist also nicht nur unendlich gro&szlig; gegen&uuml;ber dem winzigen Geltungsbereich
des preu&szlig;ischen Landrechts, es ist auch ausgedehnter als alle die Gebiete
zusammengenommen, auf denen die Geschwornen-Mehrheit entscheidet. Nicht nur, da&szlig;
Herrn D&uuml;hring das einzige moderne, das franz&ouml;sische Recht total unbekannt
ist, er ist auch ebenso unwissend in Beziehung auf das einzige germanische Recht,
das sich unabh&auml;ngig von r&ouml;mischer Autorit&auml;t bis auf die heutige
Zeit fortentwickelt und auf alle Weltteile ausgebreitet hat - das englische Recht.
Und warum nicht? Denn die englische Art der juristischen Denkweise</P>
<P><SMALL>&raquo;w&uuml;rde doch angesichts der auf deutschem Boden bewerkstelligten
Schulung in den reinen Begriffen der klassischen r&ouml;mischen Juristen nicht
standhalten&laquo;,</SMALL></P>
<P>sagt Herr D&uuml;hring, und ferner sagt er:</P>
<P><SMALL>&raquo;was ist die englisch-redende Welt mit ihrer kinderhaften Gemengselsprache
unserer urw&uuml;chsigen Sprachgestaltung gegen&uuml;ber?&laquo;</SMALL></P>
<P><B><A NAME="S103">|103|</A></B> Worauf wir nur mit Spinoza antworten k&ouml;nnen:
Ignorantia non est argumentum, die Unwissenheit ist kein Beweisgrund.</P>
<P>Wir k&ouml;nnen hiernach zu keinem andern Schlu&szlig;ergebnis kommen, als
da&szlig; Herrn D&uuml;hrings eindringendste Fachstudien darin bestanden, da&szlig;
er drei Jahre theoretisch in das Corpus juris und weitere drei Jahre praktisch
in das edle preu&szlig;ische Landrecht sich vertieft hat. Es ist das sicherlich
auch schon ganz verdienstlich und gen&uuml;gend f&uuml;r einen recht achtungswerten
altpreu&szlig;ischen Kreisrichter oder Advokaten. Wenn man aber eine Rechtsphilosophie
f&uuml;r alle Welten und Zeiten zu verfassen unternimmt, so sollte man doch auch
einigerma&szlig;en Bescheid wissen in den Rechtsverh&auml;ltnissen von Nationen
wie die Franzosen, Engl&auml;nder und Amerikaner, Nationen, die eine ganz andre
Rolle in der Geschichte gespielt haben als der Winkel von Deutschland, wo das
preu&szlig;ische Landrecht floriert. Doch sehn wir weiter zu.</P>
<P><SMALL>&raquo;Die bunte Mischung von Orts-, Provinzial- und Landesrechten, die sich
in sehr willk&uuml;rlicher Weise bald als Gewohnheitsrecht, bald als geschriebnes
Gesetz, oft unter Einkleidung der wichtigsten Angelegenheiten in reine Statutarform,
in den verschiedensten Richtungen kreuzen - diese Musterkarte von Unordnung und
Widerspruch, auf welcher die Einzelheiten das Allgemeine, und dann gelegentlich
wiederum die Allgemeinheiten das Besondre hinf&auml;llig machen, ist wahrlich
nicht geeignet, ein klares Rechtsbewu&szlig;tsein bei irgend jemand ... m&ouml;glich
zu machen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Wo aber herrscht dieser verworrene Zustand? Wieder im Geltungsbereich des preu&szlig;ischen
Landrechts, wo neben, &uuml;ber oder unter diesem Landrecht Provinzialrechte,
Ortsstatuten, hier und da auch gemeines Recht und andrer Quark die verschiedensten
relativen Abstufungen von G&uuml;ltigkeit haben und bei allen praktischen Juristen
jenen Notschrei hervorrufen, den Herr D&uuml;hring hier so sympathisch wiederholt.
Er braucht gar nicht sein geliebtes Preu&szlig;en zu verlassen, er darf nur an
den Rhein kommen, um sich zu &uuml;berzeugen, da&szlig; dort von alledem seit
siebzig Jahren keine Rede mehr ist - von andern zivilisierten L&auml;ndern gar
nicht zu reden, wo dergleichen veraltete Zust&auml;nde l&auml;ngst beseitigt sind.</P>
<P>Ferner:</P>
<P><SMALL>&raquo;in einer weniger schroffen Art tritt die Verschleierung der nat&uuml;rlichen
individuellen Verantwortlichkeit durch die geheimen und hiermit anonymen Kollektivurteile
und Kollektivhandlungen von Kollegien oder sonstigen Beh&ouml;rdeneinrichtungen
hervor, die den pers&ouml;nlichen Anteil eines jeden Mitglieds maskieren.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und an einer andern Stelle:</P>
<P><SMALL>&raquo;in unserm heutigen zustande wird es als eine <I>&uuml;berraschende</I>
und &auml;u&szlig;erst strenge <A NAME="S104"></A><B>|104|</B> Forderung gelten,
wenn man von der Verh&uuml;llung und Deckung der Einzelverantwortlichkeit durch
Kollegien nichts wissen will.&laquo;</SMALL></P>
<P>Vielleicht wird es f&uuml;r Herrn D&uuml;hring als eine &uuml;berraschende
Mitteilung gelten, wenn wir ihm sagen, da&szlig; im Gebiet des englischen Rechts
jedes Mitglied des Richterkollegiums sein Urteil in &ouml;ffentlicher Sitzung
einzeln abzugeben und zu begr&uuml;nden hat; da&szlig; die Verwaltungskollegien,
soweit sie nicht gew&auml;hlt sind und &ouml;ffentlich verhandeln und abstimmen,
eine vorzugs<I>weise preu&szlig;ische </I>Einrichtung und in den meisten &uuml;brigen
L&auml;ndern unbekannt sind, und da&szlig; daher seine Forderung f&uuml;r &uuml;berraschend
und &auml;u&szlig;erst streng eben nur gelten kann - in <I>Preu&szlig;en</I>.</P>
<P>Ebenso treffen seine Klagen &uuml;ber die Zwangseinmischungen der Religionspraktiken
bei Geburt, Ehe, Tod und Bestattung von allen gr&ouml;&szlig;ern zivilisierten
L&auml;ndern nur Preu&szlig;en, und seit Einf&uuml;hrung der Zivilstandsregister
auch dies nicht mehr. Was Herr D&uuml;hring nur vermittelst eines &raquo;sozialit&auml;ren&laquo;
Zukunftszustandes fertig bringt, hat sogar Bismarck inzwischen durch ein einfaches
Gesetz erledigt. - Nicht anders wird in der &raquo;Klage der mangelhaften Ausstattung
der Juristen f&uuml;r ihren Beruf&laquo;, eine Klage, die sich auch auf die &raquo;Verwaltungsbeamten&laquo;
ausdehnen l&auml;&szlig;t, eine spezifisch preu&szlig;ische Jeremiade angestimmt;
und selbst der bis ins L&auml;cherliche &uuml;bertriebne Judenha&szlig;, den Herr
D&uuml;hring bei jeder Gelegenheit zur Schau tr&auml;gt, ist eine, wo nicht spezifisch
preu&szlig;ische, so doch spezifisch ostelbische Eigenschaft. Derselbe Wirklichkeitsphilosoph,
der auf alle Vorurteile und Superstitionen souver&auml;n herabsieht, steckt selbst
so tief in pers&ouml;nlichen Marotten, da&szlig; er das aus der Bigotterie des
Mittelalters &uuml;berkommne Volksvorurteil gegen die Juden ein auf &raquo;Naturgr&uuml;nden&laquo;
beruhendes &raquo;Natururteil&laquo; nennt und sich bis zu der pyramidalen Behauptung versteigt:</P>
<P><SMALL>&raquo;der Sozialismus ist die einzige Macht, welche Bev&ouml;lkerungszust&auml;nden
mit st&auml;rkerer j&uuml;discher Untermischung&laquo; (Zust&auml;nde mit j&uuml;discher
Untermischung! welches Naturdeutsch!) &raquo;die Spitze bieten kann.&laquo;</SMALL></P>
<P>Genug. Die Gro&szlig;prahlerei mit der juristischen Gelahrtheit hat zum Hintergrund
- im besten Falle - die allerordin&auml;rsten Fachkenntnisse eines ganz gew&ouml;hnlichen
altpreu&szlig;ischen Juristen. Das juristische und staatswissenschaftliche Gebiet,
dessen Ergebnisse uns Herr D&uuml;hring konsequent darstellt, &raquo;deckt sich&laquo; mit
dem Geltungsbereich des preu&szlig;ischen Landrechts. Au&szlig;er dem jedem Juristen,
jetzt selbst in England so ziemlich gel&auml;ufigen r&ouml;mischen Recht, beschr&auml;nken
sich seine juristischen Kenntnisse einzig und allein auf das preu&szlig;ische
Landrecht, jenes Gesetzbuch des aufgekl&auml;rten patriarchalischen Despotismus,
das in einem Deutsch geschrieben ist, als w&auml;re Herr D&uuml;hring dort in
die Schule gegangen, und das mit seinen <A NAME="S105"></A><B>|105|</B> Moralglossen,
seiner juristischen Unbestimmtheit und Haltlosigkeit, seinen Stockpr&uuml;geln
als Tortur- und Strafmittel noch ganz der vorrevolution&auml;ren Zeit angeh&ouml;rt.
Was dar&uuml;ber ist, das ist f&uuml;r Herrn D&uuml;hring vom &Uuml;bel - sowohl
das modern-b&uuml;rgerliche franz&ouml;sische Recht wie das englische Recht mit
seiner ganz eigenartigen Entwicklung und seiner auf dem ganzen Kontinent unbekannten
Sicherung der pers&ouml;nlichen Freiheit. Die Philosophie, welche &raquo;keinen blo&szlig;
<I>scheinbaren</I> Horizont gelten l&auml;&szlig;t, sondern in m&auml;chtig umw&auml;lzender
Bewegung alle Erden und Himmel der &auml;u&szlig;ern und innern Natur aufrollt&laquo;
- sie hat zu ihrem <I>wirklichen</I> Horizont - die Grenzen der sechs altpreu&szlig;ischen
Ostprovinzen und allenfalls noch der paar sonstigen Landfetzen, wo das edle Landrecht
gilt; und jenseits dieses Horizonts rollt sie weder Erden noch Himmel, weder &auml;u&szlig;ere
noch innere Natur auf, sondern nur das Gem&auml;lde der krassesten Unwissenheit
&uuml;ber das, was in der &uuml;brigen Welt vorgeht.</P>
<P>Man kann nicht gut von Moral und Recht handeln, ohne auf die Frage vom sogenannten
freien Willen, von der Zurechnungsf&auml;higkeit des Menschen, von dem Verh&auml;ltnis
von Notwendigkeit und Freiheit zu kommen. Auch die Wirklichkeitsphilosophie hat
nicht nur eine, sondern sogar zwei L&ouml;sungen f&uuml;r diese Frage.</P>
<P><SMALL>&raquo;An die Stelle aller falschen Freiheitstheorien hat man die erfahrungsm&auml;&szlig;ige
Beschaffenheit des Verh&auml;ltnisses zu setzen, in welchem sich rationelle Einsicht
auf der einen und triebf&ouml;rmige Bestimmungen auf der andern Seite <I>gleichsam</I>
zu einer Mittelkraft vereinigen. Die Grundtatsachen dieser Art von Dynamik sind
aus der Beobachtung zu entnehmen, und f&uuml;r die Vorausbemessung des noch nicht
erfolgten Geschehns auch, so <I>gut es gehen will</I>, im allgemeinen nach Art
und Gr&ouml;&szlig;e zu veranschlagen. Hierdurch werden die albernen Einbildungen
&uuml;ber die innere Freiheit, an denen Jahrtausende genagt und gezehrt haben,
nicht nur gr&uuml;ndlich wegger&auml;umt, sondern auch durch etwas Positives ersetzt,
was sich f&uuml;r die praktische Einrichtung des Lebens brauchen l&auml;&szlig;t.&laquo;</SMALL></P>
<P>Danach besteht die Freiheit dann, da&szlig; die rationelle Einsicht den Menschen
nach rechts, die irrationellen Triebe ihn nach links zerren, und bei diesem Parallelogramm
der Kr&auml;fte die wirkliche Bewegung in der Richtung der Diagonale erfolgt.
Die Freiheit w&auml;re also der Durchschnitt zwischen Einsicht und Trieb, Verstand
und Unverstand, und ihr Grad w&auml;re bei jedem einzelnen erfahrungsm&auml;&szlig;ig
festzustellen durch eine &raquo;pers&ouml;nliche Gleichung&laquo;, um einen astronomischen
Ausdruck zu gebrauchen. Aber wenige Seiten sp&auml;ter hei&szlig;t es:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wir gr&uuml;nden die moralische Verantwortlichkeit auf die Freiheit,
die uns jedoch weiter nichts bedeutet als die Empf&auml;nglichkeit f&uuml;r bewu&szlig;te
Beweggr&uuml;nde nach Ma&szlig;- <A NAME="S106"></A><B>|106|</B> gabe des nat&uuml;rlichen
und erworbnen Verstandes. Alle solche Beweggr&uuml;nde wirken trotz der Wahrnehmung
des m&ouml;glichen Gegensatzes in den Handlungen mit unausweichlicher Naturgesetzm&auml;&szlig;igkeit;
aber grade auf diese unumg&auml;ngliche N&ouml;tigung z&auml;hlen wir, indem wir
die moralischen Hebel ansetzen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Diese zweite Bestimmung der Freiheit, die der ersten ganz ungeniert ins Gesicht
schl&auml;gt, ist wieder nichts als eine &auml;u&szlig;erste Verflachung der Hegelschen
Auffassung. Hegel war der erste, der das Verh&auml;ltnis von Freiheit und Notwendigkeit
richtig darstellte. F&uuml;r ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit.
&raquo;<I>Blind</I> ist die Notwendigkeit nur, <I>insofern dieselbe nicht begriffen
wird</I>.&laquo; Nicht in der getr&auml;umten Unabh&auml;ngigkeit von den Naturgesetzen
liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit
gegebnen M&ouml;glichkeit, sie planm&auml;&szlig;ig zu bestimmten Zwecken wirken
zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der &auml;u&szlig;ern
Natur, wie auf diejenigen, welche das k&ouml;rperliche und geistige Dasein des
Menschen selbst regeln - zwei Klassen von Gesetzen, die wir h&ouml;chstens in
der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander trennen k&ouml;nnen.
Freiheit des Willens hei&szlig;t daher nichts andres als die F&auml;higkeit, mit
Sachkenntnis entscheiden zu k&ouml;nnen. Je <I>freier</I> also das Urteil eines
Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto gr&ouml;&szlig;erer
<I>Notwendigkeit</I> wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein; w&auml;hrend
die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen vielen verschiednen und
widersprechenden Entscheidungsm&ouml;glichkeiten scheinbar willk&uuml;rlich w&auml;hlt,
eben dadurch ihre Unfreiheit beweist, ihr Beherrschtsein von dem Gegenstande,
den sie grade beherrschen sollte. Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis
der Naturnotwendigkeiten gegr&uuml;ndeten Herrschaft &uuml;ber uns selbst und
&uuml;ber die &auml;u&szlig;ere Natur; sie ist damit notwendig ein Produkt der
geschichtlichen Entwicklung. Die ersten, sich vom Tierreich sondernden Menschen
waren in allem Wesentlichen so unfrei wie die Tiere selbst; aber jeder Fortschritt
in der Kultur war ein Schritt zur Freiheit. An der Schwelle der Menschheitsgeschichte
steht die Entdeckung der Verwandlung von mechanischer Bewegung in W&auml;rme:
die Erzeugung des Reibfeuers; am Abschlu&szlig; der bisherigen Entwicklung steht
die Entdeckung der Verwandlung von W&auml;rme in mechanische Bewegung: die Dampfmaschine.
- Und trotz der riesigen befreienden Umw&auml;lzung, die die Dampfmaschine in
der gesellschaftlichen Weit vollzieht - sie ist noch nicht halb vollendet -, ist
es doch unzweifelhaft, da&szlig; das Reibfeuer sie an weltbefreiender Wirkung
noch &uuml;bertrifft. Denn das Reibfeuer gab dem Menschen zum <A NAME="S107"></A><B>|107|</B>
erstenmal die Herrschaft &uuml;ber eine Naturkraft und trennte ihn damit endg&uuml;ltig
vom Tierreich. Die Dampfmaschine wird nie einen so gewaltigen Sprung in der Menschheitsentwicklung
zustande bringen, sosehr sie uns auch als Repr&auml;sentantin aller jener, an
sie sich anlehnenden gewaltigen Produktivkr&auml;fte gilt, mit deren H&uuml;lfe
allein ein Gesellschaftszustand erm&ouml;glicht wird, worin es keine Klassenunterschiede,
keine Sorgen um die individuellen Existenzmittel mehr gibt, und worin von wirklicher
menschlicher Freiheit, von einer Existenz in Harmonie mit den erkannten Naturgesetzen,
zum ersten mal die Rede sein kann. Wie jung aber noch die ganze Menschengeschichte
und wie l&auml;cherlich es w&auml;re, unsern jetzigen Anschauungen irgendwelche
absolute G&uuml;ltigkeit zuschreiben zu wollen, geht aus der einfachen Tatsache
hervor, da&szlig; die ganze bisherige Geschichte sich bezeichnen l&auml;&szlig;t
als Geschichte des Zeitraums von der praktischen Entdeckung der Verwandlung von
mechanischer Bewegung in W&auml;rme bis zu derjenigen der Verwandlung von W&auml;rme
in mechanische Bewegung.</P>
<P>Bei Herrn D&uuml;hring wird die Geschichte freilich anders behandelt. Im allgemeinen
ist sie als Geschichte der Irrt&uuml;mer, der Unwissenheit und Roheit, der Vergewaltigung
und Knechtung ein die Wirklichkeitsphilosophie anwidernder Gegenstand, im besondern
jedoch teilt sie sich in zwei gro&szlig;e Abschnitte, n&auml;mlich 1. von dem
sich selbst gleichen Zustand der Materie bis auf die franz&ouml;sische Revolution,
und 2. von der franz&ouml;sischen Revolution bis auf Herrn D&uuml;hring; und dabei
bleibt das 19. Jahrhundert</P>
<P><SMALL>&raquo;noch wesentlich reaktion&auml;r, ja es ist es (?) in geistiger Beziehung
noch mehr als das 18.&laquo;, wobei es jedoch den Sozialismus in seinem Scho&szlig;
tr&auml;gt, und damit &raquo;den Keim einer gewaltigeren Umschaffung als sie von den
Vorl&auml;ufern und den Heroen der franz&ouml;sischen Revolution erdacht (!) wurde&laquo;.</SMALL></P>
<P>Die wirklichkeitsphilosophische Verachtung gegen die bisherige Geschichte rechtfertigt
sich wie folgt:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die wenigen Jahrtausende, f&uuml;r welche eine historische R&uuml;ckerinnerung
durch urspr&uuml;ngliche Aufzeichnungen vermittelt wird, haben mit ihrer bisherigen
Menschheitsverfassung <I>nicht viel zu bedeuten</I>, wenn man an die Reihe der
kommenden Jahrtausende denkt ... Das Menschengeschlecht ist als Ganzes noch sehr
jung, und wenn einst die wissenschaftliche R&uuml;ckerinnerung mit Zehntausenden
statt mit Tausenden von Jahren zu rechnen hat, wird die geistig unreife Kindheit
unserer Institutionen eine selbstverst&auml;ndliche Voraussetzung &uuml;ber unsre
alsdann als Uraltertum gew&uuml;rdigte Zeit unbestrittene Geltung haben.&laquo;</SMALL></P>
<P>Ohne uns bei der in der Tat &raquo;urw&uuml;chsigen Sprachgestaltung&laquo; des letzten
Satzes l&auml;nger aufzuhalten, bemerken wir nur zweierlei: Erstens, da&szlig;
dies &raquo;Uraltertum&laquo; unter allen Umst&auml;nden ein Geschichtsabschnitt von h&ouml;ch-
<A NAME="S108"></A><B>|108|</B> stem Interesse f&uuml;r alle k&uuml;nftigen Generationen
bleiben wird, weil es die Grundlage aller sp&auml;tern h&ouml;hern Entwicklung
bildet, weil es die Herausbildung des Menschen aus dem Tierreich zum Ausgangspunkt,
und zum Inhalt die &Uuml;berwindung von solchen Schwierigkeiten hat, wie sie sich
den zuk&uuml;nftigen assoziierten Menschen nie wieder entgegenstellen werden.
Und zweitens, da&szlig; der Abschlu&szlig; dieses Uraltertums, demgegen&uuml;ber
die k&uuml;nftigen, nicht mehr durch diese Schwierigkeiten und Hindernisse aufgehaltenen
Geschichtsperioden ganz andre wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche
Erfolge versprechen, ein jedenfalls sehr sonderbar gew&auml;hlter Moment ist,
um diesen kommenden Jahrtausenden Vorschriften zu machen durch endg&uuml;ltige
Wahrheiten letzter Instanz, unwandelbare Wahrheiten und wurzelhafte Konzeptionen,
entdeckt auf Grundlage der geistig unreifen Kindheit unsres so sehr &raquo;r&uuml;ckst&auml;ndigen&laquo;
und &raquo;r&uuml;ckl&auml;ufigen&laquo; Jahrhunderts. Man mu&szlig; eben der philosophische
Richard Wagner sein - doch ohne Wagners Talent -, um zu &uuml;bersehn, da&szlig;
alle die Herabw&uuml;rdigungen, die man auf die bisherige Geschichtsentwicklung
wirft, ebenfalls an ihrem angeblich letzten Resultat haften bleiben - an der sogenannten
Wirklichkeitsphilosophie.</P>
<P>Eines der bezeichnendsten St&uuml;cke der neuen wurzelhaften Wissenschaft ist
der Abschnitt &uuml;ber Individualisierung und Wertsteigerung des Lebens. Hier
sprudelt und str&ouml;mt in unaufhaltsamem Quelldrang durch volle drei Kapitel
der orakelhafte Gemeinplatz. Wir m&uuml;ssen uns leider auf ein paar kurze Proben
beschr&auml;nken.</P>
<P><SMALL>&raquo;Das tiefere Wesen aller Empfindung und mithin aller subjektiven Lebensformen
beruht auf der <I>Differenz</I> von Zust&auml;nden ... F&uuml;r das <I>volle</I>
(!) Leben l&auml;&szlig;t sich aber auch ohne weiteres (!) dartun, da&szlig; es
nicht die beharrliche Lage. Sondern der &Uuml;bergang von einer Lebenssituation
in die andre ist, wodurch das Lebensgef&uuml;hl gesteigert und die entscheidenden
Reize entwickelt werden ... Der ann&auml;hernd sich selbst gleiche, <I>sozusagen</I>
in Tr&auml;gheitsbeharrung und <I>gleichsam</I> in derselben Gleichgewichtslage
verbleibende Zustand hat, wie er auch beschaffen sein m&ouml;ge, f&uuml;r die
Erprobung des Daseins nicht viel zu bedeuten ... Die Gew&ouml;hnung und <I>sozusagen</I>
Einlebung macht ihn vollends zu etwas Indifferentem und Gleichg&uuml;ltigem, was
sich nicht sonderlich vom Totsein unterscheidet. H&ouml;chstens tritt noch als
eine Art negativer Lebensregung die Pein der Langeweile hinzu ... In einem sich
stauenden Leben erlischt f&uuml;r einzelne und V&ouml;lker alle Leidenschaft und
alles Interesse am Dasein. <I>Unser Gesetz der Differenz aber ist es, aus welchem
alle diese Erscheinungen erkl&auml;rlich werden</I>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Es geht &uuml;ber allen Glauben, mit welcher Geschwindigkeit Herr D&uuml;hring
seine von Grund aus eigent&uuml;mlichen Ergebnisse zustande bringt. Eben erst
ist der Gemeinplatz ins Wirklichkeitsphilosophische &uuml;bersetzt, da&szlig;
fort- <A NAME="S109"></A><B>|109|</B> dauernde Reizung desselben Nerven oder Fortdauer
desselben Reizes jeden Nerv und jedes Nervensystem erm&uuml;det, da&szlig; also
im normalen Zustand Unterbrechung und Abwechslung der Nervenreize stattfinden
mu&szlig; - was seit Jahren in jedem Handbuch der Physiologie zu lesen und was
jeder Philister aus eigner Erfahrung wei&szlig; -, kaum ist diese uralte Plattheit
in die mysteri&ouml;se Form &uuml;bersetzt worden, da&szlig; das tiefere Wesen
aller Empfindung auf der Differenz von Zust&auml;nden beruht, so verwandelt sie
sich auch schon in &raquo;<I>Unser</I> Gesetz der Differenz&laquo;. Und dies Gesetz der Differenz
macht &raquo;vollkommen erkl&auml;rlich&laquo; eine ganze Reihe von Erscheinungen, welche
wieder nichts sind als Illustrationen und Beispiele von der Annehmlichkeit der
Abwechslung, welche selbst f&uuml;r den allergew&ouml;hnlichsten Philisterverstand
durchaus keiner Erkl&auml;rung bed&uuml;rfen, und welche durch den Hinweis auf
dies angebliche Gesetz der Differenz nicht um die Breite eines Atoms an Klarheit
gewinnen.</P>
<P>Aber damit ist die Wurzelhaftigkeit &raquo;<I>unsres</I> Gesetzes der Differenz&laquo;
noch lange nicht ersch&ouml;pft:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die Abfolge der Lebensalter und das Eintreten der mit ihnen verbundnen
Ver&auml;nderungen der Lebensverh&auml;ltnisse liefern ein recht naheliegendes
Beispiel zur Veranschaulichung <I>unsres</I> Differenzprinzips. Kind, Knabe, J&uuml;ngling
und Mann erfahren die Starke ihrer jeweiligen Lebensgef&uuml;hle weniger durch
die bereits fixierten Zust&auml;nde, in denen sie sich befinden, als durch die
Epochen des &Uuml;bergangs, von dem einen zum andern.&laquo;</SMALL></P>
<P>Damit nicht genug:</P>
<P><SMALL>&raquo;<I>Unser</I> Gesetz der Differenz kann noch eine entlegnere Anwendung
erhalten, indem man die Tatsache in Anschlag bringt, da&szlig; die Wiederholung
des bereits Erprobten oder Geleisteten keinen Reiz hat.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und nun kann sich der Leser den orakelhaften Kohl selbst hinzudenken, zu dem
S&auml;tze von der Tiefe und Wurzelhaftigkeit der obigen den Ankn&uuml;pfungspunkt
bieten; und wohl mag Herr D&uuml;hring am Schlu&szlig; seines Buches triumphierend
ausrufen:</P>
<P><SMALL>&raquo;F&uuml;r die Sch&auml;tzung und Steigerung des Lebenswerts wurde das
Gesetz der Differenz zugleich theoretisch und praktisch ma&szlig;gebend!&laquo;</SMALL></P>
<P>F&uuml;r die Sch&auml;tzung des geistigen Werts seines Publikums durch Herrn
D&uuml;hring ebenfalls: er mu&szlig; glauben, es bestehe aus lauter Eseln oder
Philistern.</P>
<P>Weiterhin erhalten wir folgende &auml;u&szlig;erst praktische Lebensregeln:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die Mittel, das Gesamtinteresse am Leben rege zu erhalten&laquo; (sch&ouml;ne
Aufgabe f&uuml;r Philister und solche, die es werden wollen!) &raquo;bestehen darin,
die einzelnen <I>sozusagen</I> <A NAME="S110"></A><B>|110|</B> elementaren Interessen,
aus denen sich das Ganze zusammensetzt, sich nach den nat&uuml;rlichen Zeitma&szlig;en
entwickeln oder einander abl&ouml;sen zu lassen. Auch gleichzeitig f&uuml;r denselben
Zustand wird die Stufenfolge in der Ersetzbarkeit der niedern und leichter befriedigten
Reize durch die hohern und anhaltender wirksamen Erregungen dahin zu benutzen
sein, da&szlig; die Entstehung von g&auml;nzlich interesselosen L&uuml;cken vermieden
werde. &Uuml;brigens wird es aber darauf ankommen, zu verh&uuml;ten, da&szlig;
die naturgem&auml;&szlig; oder sonst im normalen Lauf des gesellschaftlichen Daseins
entstehenden Spannungen in willk&uuml;rlicher Weise geh&auml;uft, forciert oder,
was die gegenteilige Verkehrtheit ist, schon bei der leisesten Regung befriedigt
und so an der Entwicklung eines genu&szlig;f&auml;higen Bed&uuml;rfens verhindert
werden. Die Einhaltung des nat&uuml;rlichen Rhythmus ist hier wie anderw&auml;rts
die Vorbedingung der ebenm&auml;&szlig;igen und anmutenden Bewegung. Auch darf
man sich nicht die unl&ouml;sbare Aufgabe stellen, die Reize irgendeiner Situation
&uuml;ber die ihnen von der Natur oder den Verh&auml;ltnissen zugeme&szlig;ne
Frist ausdehnen zu wollen&laquo; usw.</SMALL></P>
<P>Der Biedermann, der sich diese feierlichen Philisterorakel einer &uuml;ber
die fadesten Plattheiten spintisierenden Pedanterie zur Regel der &raquo;Lebenserprobung&laquo;
dienen l&auml;&szlig;t, wird allerdings nicht &uuml;ber &raquo;g&auml;nzlich interesselose
L&uuml;cken&laquo; zu klagen haben. Er wird alle seine Zeit n&ouml;tig haben zur regelrechten
Vorbereitung und Anordnung der Gen&uuml;sse, so da&szlig; ihm zum Genie&szlig;en
selbst kein freier Augenblick bleibt.</P>
<P>Erproben sollen wir das Leben, das volle Leben. Nur zweierlei verbietet uns
Herr D&uuml;hring:</P>
<P><SMALL>erstens &raquo;die Unsauberkeiten der Einlassung mit dem Tabak&laquo;, und zweitens
Getr&auml;nke und Nahrungsmittel, welche &raquo;widerw&auml;rtig erregende oder &uuml;berhaupt
f&uuml;r die feinere Empfindung verwerfliche Eigenschaften haben&laquo;.</SMALL></P>
<P>da nun Herr D&uuml;hring in dem Kursus der &Ouml;konomie die Schnapsbrennerei
so dithyrambisch feiert, so kann er unter diesen Getr&auml;nken unm&ouml;glich
den Branntwein verstehn; wir sind also zu dem Schlu&szlig; gezwungen, da&szlig;
sein Verbot sich blo&szlig; auf Wein und Bier erstreckt. Er verbiete nun auch
noch das Fleisch, und dann hat er die Wirklichkeitsphilosophie auf dieselbe H&ouml;he
gebracht, auf der weiland Gustav Struve sich mit soviel Erfolg bewegte - auf der
H&ouml;he der puren Kinderei.</P>
<P>&Uuml;brigens k&ouml;nnte Herr D&uuml;hring doch in Beziehung auf die geistigen
Getr&auml;nke etwas liberaler sein. Ein Mann, der eingestandnerma&szlig;en die
Br&uuml;cke vom Statischen zum Dynamischen noch immer nicht finden kann, hat doch
sicher alle Ursache, gelind zu urteilen, wenn irgendein armer Teufel einmal zu
tief ins Glas guckt und infolgedessen die Br&uuml;cke vom Dynamischen zum Statischen
ebenfalls vergebens sucht.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_XII">XII. Dialektik - Quantit&auml;t und Qualit&auml;t</A></H3>
<P><SMALL><B><A NAME="S111">|111|</A></B></SMALL><SMALL> &raquo;Der erste und wichtigste
Satz &uuml;ber die logischen Grundeigenschaften des Seins bezieht sich auf den
Ausschlu&szlig; des Widerspruchs. Das Widersprechende ist eine Kategorie, die
nur der Gedankenkombination, aber keiner Wirklichkeit angeh&ouml;ren kann. In
den Dingen sind keine Widerspr&uuml;che, oder, mit andern Worten, der real gesetzte
Widerspruch ist selbst der Gipfelpunkt des Widersinns ... Der Antagonismus von
Kr&auml;ften, die sich in entgegengesetzter Richtung einander messen, ist sogar
die Grundform aller Aktionen im Dasein der Welt und ihrer Wesen. Dieser Widerstreit
der Kr&auml;fterichtungen der Elemente und der Individuen f&auml;llt aber nicht
im entferntesten mit dem Gedanken von Widerspruchsabsurdit&auml;ten zusammen ...
Hier k&ouml;nnen wir zufrieden sein, die Nebel, die aus vermeintlichen Mysterien
der Logik aufzusteigen pflegen, durch ein klares Bild von der wirklichen Absurdit&auml;t
des realen Widerspruchs aufgel&ouml;st, und die Nutzlosigkeit des Weihrauchs dargetan
zu haben, welchen man f&uuml;r die der antagonistischen Weltschematik untergeschobne
und recht plump geschnitzte Holzpuppe von Widerspruchsdialektik hier und da verschwendet
hat.&laquo;</SMALL></P>
<P>Dies ist so ziemlich alles, was in dem &raquo;Kursus der Philosophie&laquo; &uuml;ber Dialektik
gesagt wird. In der &raquo;Kritischen Geschichte&laquo; dagegen wird die Widerspruchsdialektik,
und mit ihr namentlich Hegel, ganz anders mitgenommen.</P>
<P><SMALL>&raquo;Das Widersprechende ist n&auml;mlich nach der Hegelschen Logik oder
vielmehr Logoslehre nicht etwa in dem seiner Natur nach nicht anders als subjektiv
und bewu&szlig;t vorzustellenden Denken, sondern in den Dingen und Vorg&auml;ngen
selbst objektiv vorhanden und sozusagen leibhaft anzutreffen, so da&szlig; der
Widersinn nicht eine unm&ouml;gliche Kombination des Gedankens bleibt, sondern
eine tats&auml;chliche Macht wird. Die Wirklichkeit des Absurden ist der erste
Glaubensartikel der Hegelschen Einheit von Logik und Unlogik ... Je widersprechender,
desto wahrer, oder mit andern Worten: je absurder, desto glaublicher, diese nicht
einmal neu erfundne, sondern der Offenbarungstheologie und der Mystik entlehnte
Maxime ist der nackte Ausdruck des sogenannten dialektischen Prinzips.&laquo;</SMALL></P>
<P>Der Gedankeninhalt der beiden angef&uuml;hrten Stellen fa&szlig;t sich in dem
Satz zusammen, da&szlig; Widerspruch = Widersinn ist, und daher in der wirklichen
Welt nicht vorkommen kann. Dieser Satz mag f&uuml;r Leute von sonst ziemlich gesundem
Menschenverstand dieselbe selbstverst&auml;ndliche Geltung haben wie der, da&szlig;
gerade nicht krumm und krumm nicht gerade sein kann. Aber die Differentialrechnung
setzt, ungeachtet aller Proteste des gesunden Menschenverstandes, Gerade und Krumm
unter gewissen Umst&auml;nden dennoch gleich und erreicht damit Erfolge, die der
auf den Widersinn der Identit&auml;t von Gerade und Krumm sich steifende gesunde
Menschenverstand nie fertigbringt. Und nach der bedeutenden Rolle, die die sogenannte
Widerspruchsdialektik in der Philosophie von den &auml;ltesten Griechen an bis
jetzt gespielt hat, w&auml;re selbst ein st&auml;rkerer Gegner als <A NAME="S112"></A><B>|112|</B>
Herr D&uuml;hring verpflichtet gewesen, ihr mit andern Argumenten entgegenzutreten,
als mit einer Behauptung und vielen Schimpfw&ouml;rtern.</P>
<P>Solange wir die Dinge als ruhende und leblose, jedes f&uuml;r sich, neben-
und nacheinander, betrachten, sto&szlig;en wir allerdings auf keine Widerspr&uuml;che
an ihnen. Wir finden da gewisse Eigenschaften, die teils gemeinsam, teils verschieden,
ja einander widersprechend, aber in diesem Fall auf verschiedne Dinge verteilt
sind und also keinen Widerspruch in sich enthalten. Soweit dies Gebiet der Betrachtung
ausreicht, soweit kommen wir auch mit der gew&ouml;hnlichen, metaphysischen Denkweise
aus. Aber ganz anders, sobald wir die Dinge in ihrer Bewegung, ihrer Ver&auml;nderung,
ihrem Leben, in ihrer wechselseitigen Einwirkung aufeinander betrachten. Da geraten
wir sofort in Widerspr&uuml;che. Die Bewegung selbst ist ein Widerspruch; sogar
schon die einfache mechanische Ortsbewegung kann sich nur dadurch vollziehn, da&szlig;
ein K&ouml;rper in einem und demselben Zeitmoment an einem Ort und zugleich an
einem andern Ort, an einem und demselben Ort und nicht an ihm ist. Und die fortw&auml;hrende
Setzung und gleichzeitige L&ouml;sung dieses Widerspruchs ist eben die Bewegung.</P>
<P>Hier haben wir also einen Widerspruch, der &raquo;in den Dingen und Vorg&auml;ngen
selbst objektiv vorhanden und sozusagen leibhaft anzutreffen ist&laquo;. Und was sagt
Herr D&uuml;hring dazu? Er behauptet,</P>
<P><SMALL>es gebe &uuml;berhaupt bis jetzt &raquo;in der rationellen Mechanik keine
Br&uuml;cke zwischen dem streng Statischen und dem Dynamischen&laquo;.</SMALL></P>
<P>Der Leser merkt jetzt endlich, was hinter dieser Lieblingsphrase des Herrn
D&uuml;hring steckt; weiter nichts als dies: der metaphysisch denkende Verstand
kann absolut nicht vom Gedanken der Ruhe zu dem der Bewegung kommen, weil ihm
hier obiger Widerspruch den Weg versperrt. F&uuml;r ihn ist die Bewegung, weil
ein Widerspruch, rein unbegreiflich. Und indem er die Unbegreiflichkeit der Bewegung
behauptet, gibt er selbst die Existenz dieses Widerspruchs wider Willen zu, gibt
also zu, da&szlig; es einen in den Dingen und Vorg&auml;ngen selbst objektiv vorhandnen
Widerspruch gibt, der zudem eine tats&auml;chliche Macht ist.</P>
<P>Wenn schon die einfache mechanische Ortsbewegung einen Widerspruch in sich
enth&auml;lt, so noch mehr die h&ouml;hern Bewegungsformen der Materie und ganz
besonders das organische Leben und seine Entwicklung. Wir sahen <A HREF="me20_032.htm#S76">oben</A>,
da&szlig; das Leben grade vor allem darin besteht, da&szlig; ein Wesen in jedem
Augenblick dasselbe und doch ein andres ist. Das Leben ist also ebenfalls ein
in den Dingen und Vorg&auml;ngen selbst vorhandner, sich stets <A NAME="S113"></A><B>|113|</B>
setzender und l&ouml;sender Widerspruch; und sobald der Widerspruch aufh&ouml;rt,
h&ouml;rt auch das Leben auf, der Tod tritt ein. Ebenso sahen wir |Siehe <A HREF="me20_032.htm#S35">S.
35</A> und <A HREF="me20_032.htm#S80">80/81</A>|, wie auch auf dem Gebiete des Denkens wir
den Widerspr&uuml;chen nicht entgehn k&ouml;nnen und wie z.B. der Widerspruch
zwischen dem innerlich unbegrenzten menschlichen Erkenntnisverm&ouml;gen und seinem
wirklichen Dasein in lauter &auml;u&szlig;erlich beschr&auml;nkten und beschr&auml;nkt
erkennenden Menschen sich l&ouml;st in der f&uuml;r uns wenigstens praktisch endlosen
Aufeinanderfolge der Geschlechter, im unendlichen Progre&szlig;.</P>
<P>Wir erw&auml;hnten schon, da&szlig; die h&ouml;here Mathematik den Widerspruch,
da&szlig; Gerade und Krumm unter Umst&auml;nden dasselbe sein sollen, zu einer
ihrer Hauptgrundlagen hat. Sie bringt den andern Widerspruch fertig, da&szlig;
Linien, die sich vor unsern Augen schneiden, dennoch schon f&uuml;nf bis sechs
Zentimeter von ihrem Schneidepunkt als parallel, als solche gelten sollen, die
sich selbst bei unendlicher Verl&auml;ngerung nicht schneiden k&ouml;nnen. Und
dennoch bringt sie mit diesen und mit noch weit st&auml;rkern Widerspr&uuml;chen
nicht nur richtige, sondern auch f&uuml;r die niedere Mathematik ganz unerreichbare
Resultate zustande.</P>
<P>Aber auch schon in diesen letztern wimmelt es von Widerspr&uuml;chen. Es ist
z.B. ein Widerspruch, da&szlig; eine Wurzel von A eine Potenz von A sein soll,
und doch ist <IMG SRC="term_1.gif" WIDTH=62 HEIGHT=11 alt="Wurzel A" hspace="2" vspace="0">.
Es ist ein Widerspruch, da&szlig; eine negative Gr&ouml;&szlig;e das Quadrat von
etwas sein soll, denn jede negative Gr&ouml;&szlig;e, mit sich selbst multipliziert,
gibt ein positives Quadrat. Die Quadratwurzel aus Minus Eins ist daher nicht nur
ein Widerspruch, sondern sogar ein absurder Widerspruch, ein wirklicher Widersinn.
Und dennoch ist <IMG SRC="-1.gif" WIDTH=24 HEIGHT=11 alt="-1"> ein in vielen F&auml;llen
notwendiges Resultat richtiger mathematischer Operationen; ja, noch mehr, wo w&auml;re
die Mathematik, niedre wie h&ouml;here, wenn ihr verboten w&uuml;rde, mit <IMG SRC="-1.gif" WIDTH=24 HEIGHT=11 alt="Wurzel -1">
zu operieren?</P>
<P>Die Mathematik selbst betritt mit der Behandlung der ver&auml;nderlichen Gr&ouml;&szlig;en
das dialektische Gebiet, und bezeichnenderweise ist es ein dialektischer Philosoph,
Descartes, der diesen Fortschritt in sie eingef&uuml;hrt hat. Wie die Mathematik
der ver&auml;nderlichen sich zu der der unver&auml;nderlichen Gr&ouml;&szlig;en
verh&auml;lt, so verh&auml;lt sich &uuml;berhaupt dialektisches Denken zu metaphysischem.
Was durchaus nicht verhindert, da&szlig; die gro&szlig;e Menge der Mathematiker
die Dialektik nur auf mathematischem Gebiet anerkennt, und da&szlig; es genug
unter ihnen gibt, die mit den auf dialektischem Weg gewonnenen Methoden ganz in
der alten, beschr&auml;nkten, metaphysischen Weise weiteroperieren.</P>
<P><B><A NAME="S114">|114|</A></B> Auf Herrn D&uuml;hrings Antagonismus von Kr&auml;ften
und seine antagonistische Weltschematik n&auml;her einzugehn, w&auml;re nur dann
m&ouml;glich, wenn er uns etwas mehr &uuml;ber dies Thema gegeben h&auml;tte,
als - die blo&szlig;e Phrase. Nachdem er dies fertiggebracht, wird uns dieser
Antagonismus weder in der Weltschematik noch in der Naturphilosophie ein einziges
Mal wirkend vorgef&uuml;hrt, das beste Eingest&auml;ndnis, da&szlig; Herr D&uuml;hring
mit dieser &raquo;Grundform aller Aktionen im Dasein der Welt und ihrer Wesen&laquo; absolut
nichts Positives anzufangen wei&szlig;. Wenn man in der Tat Hegels &raquo;Lehre vom
Wesen&laquo; bis auf die Plattheit von in entgegengesetzter Richtung, aber nicht in
Widerspr&uuml;chen, sich bewegenden Kr&auml;ften heruntergebracht hat, so tut
man allerdings am besten, jeder Anwendung dieses Gemeinplatzes aus dem Wege zu
gehn.</P>
<P>Den weitern Anhaltspunkt f&uuml;r Herrn D&uuml;hring, um seinem antidialektischen
Zorn Luft zu machen, bietet ihm Marx' &raquo;Kapital&laquo;.</P>
<P><SMALL>&raquo;Mangel an nat&uuml;rlicher und verst&auml;ndlicher Logik, durch welchen
sich die dialektisch-krausen Verschlingungen und Vorstellungsarabesken auszeichnen
... schon auf den bereits vorhandnen Teil mu&szlig; man das Prinzip anwenden,
da&szlig; in einer gewissen Hinsicht und auch &uuml;berhaupt (!) nach einem bekannten
philosophischen Vorurteil alles in jedem und jedes in allem zu suchen, und da&szlig;
dieser Misch- und Mi&szlig;vorstellung zufolge schlie&szlig;lich alles Eins sei.&laquo;</SMALL></P>
<P> Diese seine Einsicht in das bekannte philosophische Vorurteil bef&auml;higt
denn auch Herrn D&uuml;hring, mit Sicherheit vorauszusagen, was das &raquo;Ende&laquo; des
Marxschen &ouml;konomischen Philosophierens, also was der Inhalt der folgenden
B&auml;nde des &raquo;Kapitals&laquo; sein wird, genau sieben Zeilen nachdem er erkl&auml;rt
hat, es sei</P>
<P><SMALL>&raquo;jedoch wirklich nicht abzusehn, was, menschlich und deutsch geredet,
eigentlich in den zwei&laquo; (letzten) &raquo;B&auml;nden noch folgen soll&laquo;.</SMALL></P>
<P>Es ist indes nicht das erstemal, da&szlig; die Schriften des Herrn D&uuml;hring
sich uns erweisen als geh&ouml;rig zu den &raquo;Dingen&laquo;, in denen &raquo;das Widersprechende
objektiv vorhanden und sozusagen leibhaft anzutreffen&laquo; ist. Was ihn durchaus nicht
hindert, siegreich fortzufahren:</P>
<P><SMALL> &raquo;doch die gesunde Logik wird &uuml;ber ihre Karikatur voraussichtlich
triumphieren ... Das Vornehmtun und der dialektische Geheimniskram werden niemanden,
der noch ein wenig gesundes Urteil &uuml;brig hat, anreizen, sich mit den Unf&ouml;rmlichkeiten
der Gedanken und des Stils ... einzulassen. Mit dem Absterben der letzten Reste
der dialektischen Torheiten wird dieses Mittel der D&uuml;pierung ... seinen tr&uuml;gerischen
Einflu&szlig; verlieren, und niemand wird mehr glauben, sich abqu&auml;len zu
m&uuml;ssen, um dort hinter eine tiefe Weisheit zu kommen, wo der ges&auml;uberte
Kern der krausen Dinge im besten Fall die Z&uuml;ge gew&ouml;hnlicher Theorien,
wo nicht gar von Gemeinpl&auml;tzen zeigt ... Es ist <A NAME="S115"></A><B>|115|</B>
ganz unm&ouml;glich, die&laquo; (Marxschen) &raquo;Verschlingungen nach Ma&szlig;gabe der
Logoslehre wiederzugeben, ohne die gesunde Logik zu prostituieren.&laquo; Marx' Methode
bestehe darin, &raquo;dialektische Wunder f&uuml;r seine Gl&auml;ubigen herzurichten&laquo;,
und so weiter.</SMALL></P>
<P>Wir haben es hier noch durchaus nicht mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit
der &ouml;konomischen Resultate der Marxschen Untersuchung zu tun, sondern nur
mit der von Marx angewandten dialektischen Methode. Soviel aber ist sicher: die
meisten Leser des &raquo;Kapital&laquo; werden erst jetzt durch Herrn D&uuml;hring erfahren
haben, was sie eigentlich gelesen. Und unter ihnen auch Herr D&uuml;hring selbst,
der im Jahre 1867 (&raquo;Erg&auml;nzungsbl&auml;tter&laquo; III, Heft 3) noch imstande war,
eine f&uuml;r einen Denker seines Kalibers verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig rationelle
Inhaltsangabe des Buches zu machen, ohne gen&ouml;tigt zu sein, die Marxschen
Entwicklungen erst, wie es jetzt f&uuml;r unumg&auml;nglich erkl&auml;rt wird,
ins D&uuml;hringsche zu &uuml;bersetzen. Wenn er schon damals den Schnitzer beging,
die Marxsche Dialektik mit der Hegelschen zu identifizieren, so hatte er doch
nicht ganz die F&auml;higkeit verloren, zwischen der Methode und den durch sie
erlangten Resultaten zu unterscheiden, und zu begreifen, da&szlig; man die letztern
nicht im besondern widerlegt, wenn man die erstere im allgemeinen herunterrei&szlig;t.</P>
<P>Die &uuml;berraschendste Mitteilung des Herrn D&uuml;hring ist jedenfalls die,
da&szlig; f&uuml;r den Marxschen Standpunkt &raquo;schlie&szlig;lich alles Eins ist&laquo;,
da&szlig; f&uuml;r Marx also auch z.B. Kapitalisten und Lohnarbeiter, feudale,
kapitalistische und sozialistische Produktionsweise, &raquo;alles Eins ist&laquo;, ja am Ende
wohl gar auch Marx und Herr D&uuml;hring &raquo;alles Eins&laquo;. um die M&ouml;glichkeit
solcher simplen Narrheit zu erkl&auml;ren, bleibt nur die Annahme, da&szlig; das
blo&szlig;e Wort Dialektik Herrn D&uuml;hring in einen Zustand von Unzurechnungsf&auml;higkeit
versetzt, in dem ihm, einer gewissen Mi&szlig;- und Mischvorstellung zufolge,
schlie&szlig;lich &raquo;alles Eins&laquo; ist, was er sagt und tut.</P>
<P>Wir haben hier eine Probe von dem, was Herr D&uuml;hring</P>
<P><SMALL>&raquo;<I>meine</I> Geschichtszeichnung gro&szlig;en Stils&laquo; nennt, oder auch
&raquo;das summarische Verfahren, welches mit der Gattung und dem Typus abrechnet, und
sich gar nicht dazu herbeil&auml;&szlig;t, das, was ein Hume den Gelehrtenp&ouml;bel
nannte, in mikrologischen Einzelnheiten mit einer Blo&szlig;stellung zu beehren,
dieses Verfahren im h&ouml;hern und edlern Stile ist allein mit den Interessen
der vollen Wahrheit und mit den Pflichten gegen das zunftfreie Publikum vertr&auml;glich&laquo;.</SMALL></P>
<P>Die Geschichtszeichnung gro&szlig;en Stils und das summarische Abrechnen mit
der Gattung und dem Typus ist in der Tat sehr bequem f&uuml;r Herrn D&uuml;hring,
indem er dabei alle bestimmten Tatsachen als mikrologisch vernachl&auml;ssigen,
gleich Null setzen kann, und statt zu beweisen, nur allgemeine Redensarten machen,
zu behaupten und einfach zu verdonnern hat. Dabei <A NAME="S116"></A><B>|116|</B>
hat sie noch den Vorteil, da&szlig; sie dem Gegner keine tats&auml;chlichen Anhaltspunkte
darbietet, da&szlig; ihm also fast keine andre M&ouml;glichkeit der Antwort bleibt,
als ebenfalls im gro&szlig;en Stil und summarisch darauflos zu behaupten, sich
in allgemeinen Redensarten zu ergehn, und den Herrn D&uuml;hring schlie&szlig;lich
wieder zu verdonnern, kurz, wie man sagt, Retourkutsche zu spielen, was nicht
nach jedermanns Geschmack ist. Wir m&uuml;ssen es daher Herrn D&uuml;hring Dank
wissen, da&szlig; er den h&ouml;hern und edlern Stil ausnahmsweise verl&auml;&szlig;t,
um uns wenigstens zwei Beispiele von der verwerflichen Marxschen Logoslehre zu
geben.</P>
<P><SMALL>&raquo;Wie komisch nimmt sich nicht z.B. die Berufung auf die Hegelsche konfuse
Nebelvorstellung aus, da&szlig; die Quantit&auml;t in die Qualit&auml;t umschlage,
und da&szlig; daher ein Vorschu&szlig;, wenn er eine gewisse Grenze erreiche,
blo&szlig; durch diese quantitative Steigerung zu Kapital werde.&laquo;</SMALL></P>
<P>Das nimmt sich allerdings in dieser von Herrn D&uuml;hring &raquo;ges&auml;uberten&laquo;
Darstellung kurios genug aus. Sehn wir also zu, wie es sich im Original, bei Marx,
ausnimmt. Auf Seite 313 (2. Auflage des &raquo;Kapital&laquo;) zieht Marx aus der vorhergegangnen
Untersuchung &uuml;ber konstantes und variables Kapital und Mehrwert den Schlu&szlig;,
da&szlig; &raquo;nicht jede beliebige Geld- oder Wertsumme in Kapital verwandelbar,
zu dieser Verwandlung vielmehr ein bestimmtes Minimum von Geld oder Tauschwert
in der Hand des einzelnen Geld- oder Warenbesitzers vorausgesetzt ist |Siehe Karl
Marx: &raquo;Das Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_321.htm#S326">Bd.
23, S. 326</A>|. Er nimmt nun als Beispiel an, da&szlig; in irgendeinem Arbeitszweige
der Arbeiter t&auml;glich acht Stunden f&uuml;r sich selbst, d.h. zur Erzeugung
des Werts seines Arbeitslohns, und die folgenden vier Stunden f&uuml;r den Kapitalisten,
zur Erzeugung von, zun&auml;chst in dessen Tasche flie&szlig;endem, Mehrwert arbeite.
Dann mu&szlig; jemand schon &uuml;ber eine Wertsumme verf&uuml;gen, die ihm erlaubt,
zwei Arbeiter mit Rohstoff, Arbeitsmitteln und Arbeitslohn auszustatten, um an
Mehrwert t&auml;glich soviel einzustecken, da&szlig; er davon so gut leben kann,
wie einer seiner Arbeiter. Und da die kapitalistische Produktion nicht den blo&szlig;en
Lebensunterhalt, sondern die Vermehrung des Reichtums zum Zweck hat, so w&auml;re
unser Mann mit seinen beiden Arbeitern immer noch kein Kapitalist. Damit er nun
doppelt so gut lebe wie ein gew&ouml;hnlicher Arbeiter und die H&auml;lfte des
produzierten Mehrwerts in Kapital zur&uuml;ckverwandle, m&uuml;&szlig;te er acht
Arbeiter besch&auml;ftigen k&ouml;nnen, also schon das Vierfache der oben angenommnen
Wertsumme besitzen. Und erst nach diesem, und inmitten noch weiterer Ausf&uuml;hrungen
zur Beleuchtung und Begr&uuml;ndung der Tatsache, da&szlig; nicht jede beliebige
kleine Wertsumme hinreicht, um sich in Kapital zu ver- <A NAME="S117"></A><B>|117|</B>
wandeln, sondern da&szlig; daf&uuml;r jede Entwicklungsperiode und jeder Industriezweig
ihre bestimmten Minimalgrenzen haben, bemerkt Marx: &raquo;Hier, wie in der Naturwissenschaft,
<I>bew&auml;hrt sich</I> die Richtigkeit des von Hegel in seiner 'Logik' entdeckten
Gesetzes, da&szlig; blo&szlig; quantitative Ver&auml;nderungen auf einem gewissen
Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen.&laquo; |Siehe Karl Marx: &raquo;Das Kapital&laquo;,
Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_321.htm#S327">Bd.
23, S. 327</A>|</P>
<P>Und nun bewundre man den h&ouml;hern und edlern Stil, kraft dessen Herr D&uuml;hring
Marx das Gegenteil von dem unterschiebt, was er in Wirklichkeit gesagt hat. Marx
sagt: Die Tatsache, da&szlig; eine Wertsumme erst dann in Kapital sich verwandeln
kann, sobald sie eine je nach Umst&auml;nden verschiedne, in jedem einzelnen Fall
aber bestimmte Minimalgr&ouml;&szlig;e erreicht hat - diese Tatsache ist ein <I>Beweis
f&uuml;r die Richtigkeit</I> des Hegelschen Gesetzes. Herr D&uuml;hring l&auml;&szlig;t
ihn sagen: <I>Weil</I> nach dem Hegelschen Gesetz Quantit&auml;t in Qualit&auml;t
umschl&auml;gt, <I>&raquo;daher&laquo;</I> wird &raquo;ein Vorschu&szlig;, wenn er eine bestimmte
Grenze erreicht ... zu Kapital&laquo;. Also das grade Gegenteil.</P>
<P>Die Sitte, in den &raquo;Interessen der vollen Wahrheit&laquo; und den &raquo;Pflichten gegen
das zunftfreie Publikum&laquo; falsch zu zitieren, haben wir schon in Herrn D&uuml;hrings
Verhandlung in Sachen Darwins kennengelernt. Sie erweist sich mehr und mehr als
innere Notwendigkeit der Wirklichkeitsphilosophie, und ist allerdings ein sehr
&raquo;summarisches Verfahren&laquo;. Davon gar nicht zu sprechen, da&szlig; Herr D&uuml;hring
Marx des fernern unterschiebt, er spreche von jedem beliebigen &raquo;Vorschu&szlig;&laquo;,
w&auml;hrend es sich hier nur um den einen Vorschu&szlig; handelt, der in Rohstoffen,
Arbeitsmitteln und Arbeitslohn gemacht wird; und da&szlig; Herr D&uuml;hring es
damit fertigbringt, Marx reinen Unsinn sagen zu lassen. Und dann hat er die Stirn,
den von ihm selbst verfertigten Unsinn <I>komisch</I> zu finden. Wie er sich einen
Phantasie-Darwin zurechtmachte, um an ihm seine Kraft zu erproben, so hier einen
Phantasie-Marx. &raquo;Geschichtszeichnung gro&szlig;en Stils&laquo; in der Tat!</P>
<P>Wir haben schon oben gesehn |Siehe <A HREF="me20_032.htm#S42">S. 42</A>|, bei der Weltschematik,
da&szlig; mit dieser Hegelschen Knotenlinie von Ma&szlig;verh&auml;ltnissen, wo
an gewissen Punkten quantitativer Ver&auml;nderung pl&ouml;tzlich ein qualitativer
Umschwung eintritt, Herrn D&uuml;hring das kleine Malheur passiert war, sie in
einer schwachen Stunde selbst anerkannt und angewandt zu haben. Wir gaben dort
eins der bekanntesten Beispiele - das der Ver&auml;nderung der Aggregatzust&auml;nde
des Wassers, das unter Normalluftdruck bei 0&deg; C aus dem fl&uuml;ssigen in den
festen, und bei 100&deg; C aus dem fl&uuml;ssigen in den luftf&ouml;rmigen Zustand
&uuml;bergeht, wo also an diesen beiden Wendepunkten die blo&szlig;e quantitative
Ver- <A NAME="S118"></A><B>|118|</B> &auml;nderung der Temperatur einen qualitativ
ver&auml;nderten Zustand des Wassers herbeif&uuml;hrt.</P>
<P>Wir h&auml;tten aus der Natur wie aus der Menschengesellschaft noch Hunderte
solcher Tatsachen zum Beweis dieses Gesetzes anf&uuml;hren k&ouml;nnen. So z.B.
handelt in Marx' &raquo;Kapital&laquo; der ganze vierte Abschnitt: Produktion des relativen
Mehrwerts, auf dem Gebiet der Kooperation, Teilung der Arbeit und Manufaktur,
Maschinerie und gro&szlig;en Industrie, von zahllosen F&auml;llen, wo quantitative
Ver&auml;nderung die Qualit&auml;t und ebenso qualitative Ver&auml;nderung die
Quantit&auml;t der Dinge &auml;ndert, um die es sich handelt, wo also, um den
Herrn D&uuml;hring so verha&szlig;ten Ausdruck zu gebrauchen, Quantit&auml;t in
Qualit&auml;t umschl&auml;gt und umgekehrt. So z.B. die Tatsache, da&szlig; die
Kooperation Vieler, die Verschmelzung vieler Kr&auml;fte in eine Gesamtkraft,
um mit Marx zu reden, eine &raquo;neue Kraftpotenz&laquo; erzeugt, die wesentlich verschieden
ist von der Summe ihrer Einzelkr&auml;fte |Siehe Karl Marx: &raquo;Das Kapital&laquo;, Bd.
I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_341.htm#S345">Bd.
23, S. 345</A>|.</P>
<P>Zum &Uuml;berflu&szlig; hatte Marx noch an der von Herrn D&uuml;hring, im Interesse
der vollen Wahrheit, in ihr Gegenteil verkehrten Stelle die Anmerkung gemacht:
&raquo;Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt zuerst wissenschaftlich
entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem andern Gesetz.&laquo; |Siehe Karl Marx:
&raquo;Das Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_321.htm#S327">Bd.
23, S. 327, Note</A>, | Aber was ging das Herrn D&uuml;hring an? Wu&szlig;te er
doch:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die eminent modernen Bildungselemente der naturwissenschaftlichen Denkweise
fehlen grade da, wo, wie bei Herrn Marx und seinem Rivalen Lassalle, die Halbwissenschaften
und ein wenig Philosophasterei das d&uuml;rftige R&uuml;stzeug zur gelehrten Aufstutzung
ausmachten&laquo; -</SMALL></P>
<P>w&auml;hrend bei Herrn D&uuml;hring &raquo;die Hauptfeststellungen des exakten Wissens
in Mechanik, Physik und Chemie&laquo; usw. zugrunde liegen - wie, das haben wir gesehn.
Damit aber auch dritte Leute in den Stand gesetzt werden, zu entscheiden, wollen
wir das in der Marxschen Note angef&uuml;hrte Exempel etwas n&auml;her betrachten.</P>
<P>Es handelt sich hier n&auml;mlich um die homologen Reihen von Kohlenstoffverbindungen,
deren man schon sehr viele kennt und deren jede ihre eigne algebraische Zusammensetzungsformel
hat. Wenn wir z.B., wie in der Chemie geschieht, ein Atom Kohlenstoff durch C,
ein Atom Wasserstoff durch H, ein Atom Sauerstoff durch O, die Zahl der in jeder
Verbindung enthaltnen Kohlenstoffatome durch n ausdr&uuml;cken, so k&ouml;nnen
wir die Molekularformeln f&uuml;r einige dieser Reihen also darstellen:</P>
<P ALIGN="LEFT">
<TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2>
<TR>
<TD VALIGN="TOP"><B><A NAME="S119">|119|</A></B></TD>
<TD VALIGN="TOP" ALIGN="RIGHT">C<SPAN class="bottom">n</SPAN>H<SPAN class="bottom">2n+2</SPAN></TD>
<TD VALIGN="TOP">- Reihe der normalen Paraffine</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P></P>
</TD>
<TD VALIGN="TOP" ALIGN="RIGHT">C<SPAN class="bottom">n</SPAN>H<SPAN class="bottom">2n+2</SPAN>O</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Reihe der prim&auml;ren Alkohole
</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P></P>
</TD>
<TD VALIGN="TOP" ALIGN="RIGHT">C<SPAN class="bottom">n</SPAN>H<SPAN class="bottom">2n</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN></TD>
<TD VALIGN="TOP">- Reihe der einbasischen fetten S&auml;uren. </TD>
</TR>
</TABLE>
<P></P>
<P>Nehmen wir als Beispiel die letzte dieser Reihen, und setzen wir nacheinander
n = 1, n = 2, n = 3 usw., so erhalten wir folgende Resultate (mit Auslassung der
Isomeren):</P>
<P ALIGN="LEFT">
<TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P>CH<SPAN class="bottom">2</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Ameisens&auml;ure
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Siedepunkt
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">100&deg;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>Schmelzpunkt
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1&deg;
</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P>C<SPAN class="bottom">2</SPAN>H<SPAN class="bottom">4</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Essigs&auml;ure
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">118&deg;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">17&deg;
</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P>C<SPAN class="bottom">3</SPAN>H<SPAN class="bottom">6</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Propions&auml;ure
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">140&deg;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">-
</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P>C<SPAN class="bottom">4</SPAN>H<SPAN class="bottom">8</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Butters&auml;ure
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">162&deg;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">-
</TD>
</TR>
<TR>
<TD VALIGN="TOP">
<P>C<SPAN class="bottom">5</SPAN>H<SPAN class="bottom">10</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P>- Valerians&auml;ure
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">175&deg;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="CENTER">&quot;
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">-
</TD>
</TR>
</TABLE>
<P></P>
<P>und so weiter bis C<SPAN class="bottom">20</SPAN>H<SPAN class="bottom">60</SPAN>O<SPAN class="bottom">2</SPAN>, Melissins&auml;ure,
die erst bei 80&deg; schmilzt, und die gar keinen Siedepunkt hat, weil sie sich &uuml;berhaupt
nicht ohne Zersetzung verfl&uuml;chtigt.</P>
<P>Hier sehn wir also eine ganze Reihe von qualitativ verschiednen K&ouml;rpern,
gebildet durch einfachen quantitativen Zusatz der Elemente, und zwar immer in
demselben Verh&auml;ltnis. Am reinsten tritt dies da hervor, wo alle Elemente
der Verbindung in gleichem Verh&auml;ltnis ihre Quantit&auml;t &auml;ndern, so
bei den normalen Paraffinen C<SPAN class="bottom">n</SPAN>H<SPAN class="bottom">2n+2</SPAN>; das unterste ist das
Methan, CH<SPAN class="bottom">4</SPAN> ein Gas; das h&ouml;chste bekannte, das Hekdekan, C<SPAN class="bottom">16</SPAN>H<SPAN class="bottom">34</SPAN>,
ein fester, farblose Kristalle bildender K&ouml;rper, der bei 21&deg; schmilzt und
erst bei 278&deg; siedet. In beiden Reihen kommt jedes neue Glied durch den Hinzutritt
von CH<SPAN class="bottom">2</SPAN>, von einem Atom Kohlenstoff und zwei Atomen Wasserstoff zur
Molekularformel des vorigen Gliedes zustande, und diese quantitative Ver&auml;nderung
der Molekularformel bringt jedesmal einen qualitativ verschiednen K&ouml;rper
hervor.</P>
<P>Jene Reihen sind aber nur ein besonders handgreifliches Beispiel; fast &uuml;berall
in der Chemie, schon bei den verschiednen Oxyden des Stickstoffs, in den verschiednen
Sauerstoffs&auml;uren des Phosphors oder Schwefels kann man sehn, wie &raquo;Quantit&auml;t
in Qualit&auml;t umschl&auml;gt&laquo; und diese angebliche Hegelsche konfuse Nebelvorstellung
in den Dingen und Vorg&auml;ngen sozusagen leibhaft anzutreffen ist, wobei indes
niemand konfus und benebelt bleibt au&szlig;er Herrn D&uuml;hring. Und wenn Marx
der erste ist, der hierauf aufmerksam machte, und wenn Herr D&uuml;hring diesen
Hinweis liest, ohne ihn auch nur zu verstehn (denn sonst h&auml;tte er diesen
unerh&ouml;rten Frevel gewi&szlig; nicht so hingehn lassen), so reicht dies hin,
um auch ohne R&uuml;ckblick auf die ruhmvolle D&uuml;hringsche Naturphilosophie
klarzustellen, wem &raquo;die eminent modernen Bildungselemente der naturwissenschaftlichen
Denkweise&laquo; <A NAME="S120"></A><B>|120|</B> fehlen, Marx oder Herrn D&uuml;hring,
und wem die Bekanntschaft mit den &raquo;Hauptfeststellungen ... der Chemie&laquo;.</P>
<P>Zum Schlu&szlig; wollen wir noch einen Zeugen f&uuml;r das Umschlagen von Quantit&auml;t
in Qualit&auml;t anrufen, n&auml;mlich Napoleon. Dieser beschreibt das Gefecht
der schlechtreitenden, aber disziplinierten franz&ouml;sischen Kavallerie mit
den Mameluken, der f&uuml;r das Einzelgefecht unbedingt besten, aber undisziplinierten
Reiterei ihrer Zeit, wie folgt:</P>
<P><SMALL>&raquo;Zwei Mameluken waren drei Franzosen unbedingt &uuml;berlegen; 100 Mameluken
standen 100 Franzosen gleich; 300 Franzosen waren 300 Mameluken gew&ouml;hnlich
&uuml;berlegen, 1.000 Franzosen warfen jedesmal 1.500 Mameluken.&laquo;</SMALL></P>
<P>Grade wie bei Marx eine bestimmte, wenn auch ver&auml;nderliche. Minimalgr&ouml;&szlig;e
der Tauschwertsumme n&ouml;tig war, um ihren &Uuml;bergang in Kapital zu erm&ouml;glichen,
gradeso ist bei Napoleon eine bestimmte Minimalgr&ouml;&szlig;e der Reiterabteilung
n&ouml;tig, um der in der geschlossenen Ordnung und planm&auml;&szlig;igen Verwendbarkeit
liegenden Kraft der Disziplin zu erlauben, sichtbar zu werden und sich zu steigern
bis zur &Uuml;berlegenheit selbst &uuml;ber gr&ouml;&szlig;ere Massen besser berittner,
gewandter reitender und fechtender, und mindestens ebenso tapfrer irregul&auml;rer
Kavallerie. Aber was beweist das gegen Herrn D&uuml;hring? Ist Napoleon nicht
elendiglich im Kampf mit Europa erlegen? Hat er nicht Niederlage auf Niederlage
erlitten? Und weshalb? Einzig infolge seiner Einf&uuml;hrung der konfusen Hegelschen
Nebelvorstellung in die Taktik der Kavallerie!</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_XIII">XIII. Dialektik. Negation der Negation</A></H3>
<P><SMALL>&raquo;Diese historische Skizze&laquo; (der Genesis der sogenannten urspr&uuml;nglichen
Kapitalakkumulation in England) &raquo;ist noch das verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig
beste in dem Marxschen Buch und w&uuml;rde noch besser sein, wenn sie sich au&szlig;er
auf der gelehrten nicht auch noch auf der dialektischen Kr&uuml;cke fortgeholfen
h&auml;tte. Die Hegelsche Negation der Negation mu&szlig; hier n&auml;mlich in
Ermanglung besserer und klarerer Mittel den Hebammendienst leisten, durch welchen
die Zukunft aus dem Scho&szlig; der Vergangenheit entbunden wird. Die Aufhebung
des individuellen Eigentums, die sich in der angedeuteten Weise seit dem 16. Jahrhundert
vollzogen hat, ist die erste Verneinung. Ihr wird eine zweite folgen, die sich
als Verneinung der Verneinung und mithin als Wiederherstellung des 'individuellen
Eigentums', aber in einer h&ouml;hern, auf Gemeinbesitz des Bodens und der Arbeitsmittel
gegr&uuml;ndeten Form charakterisiert. Wenn dieses neue 'individuelle Eigentum'
bei Herrn Marx auch zugleich 'gesellschaftliches Eigentum' genannt worden ist,
so zeigt sich ja hierin die Hegelsche h&ouml;here Einheit, in welcher der Widerspruch
aufgehoben, n&auml;mlich der Wortspielerei gem&auml;&szlig; sowohl &uuml;berwunden
als aufbewahrt sein <A NAME="S121"></A><B>|121|</B> soll ... Die Enteignung der
Enteigner ist hiernach das gleichsam automatische Ergebnis der geschichtlichen
Wirklichkeit in ihren materiell &auml;u&szlig;erlichen Verh&auml;ltnissen ...
Auf den Kredit Hegelscher Flausen, wie die Negation der Negation eine ist, m&ouml;chte
sich schwerlich ein besonnener Mann von der Notwendigkeit der Boden- und Kapitalkommunit&auml;t
&uuml;berzeugen lassen ... Die nebelhafte Zwittergestalt der Marxschen Vorstellungen
wird &uuml;brigens den nicht befremden, der da wei&szlig;, was mit der Hegel-Dialektik
als wissenschaftlicher Grundlage gereimt werden kann oder vielmehr an Ungereimtheiten
herauskommen mu&szlig;. F&uuml;r den Nichtkenner dieser K&uuml;nste ist ausdr&uuml;cklich
zu bemerken, da&szlig; die erste Negation bei Hegel der Katechismusbegriff des
S&uuml;ndenfalls, und die zweite derjenige einer zur Erl&ouml;sung hinf&uuml;hrenden
h&ouml;heren Einheit ist. Auf diese Analogieschnurre hin, die dem Gebiet der Religion
entlehnt ist, m&ouml;chte nun wohl die Logik der Tatsachen nicht zu gr&uuml;nden
sein ... Herr Marx bleibt getrost in der Nebelwelt seines zugleich individuellen
und gesellschaftlichen Eigentums und &uuml;berl&auml;&szlig;t es seinen Adepten,
sich das tiefsinnige dialektische R&auml;tsel selber zu l&ouml;sen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Soweit Herr D&uuml;hring.</P>
<P>Also Marx kann die Notwendigkeit der sozialen Revolution, der Herstellung einer
auf Gemeineigentum der Erde und der durch Arbeit erzeugten Produktionsmittel nicht
anders beweisen als dadurch, da&szlig; er sich auf die Hegelsche Negation der
Negation beruft; und indem er seine sozialistische Theorie auf diese der Religion
entlehnte Analogieschnurre gr&uuml;ndet, kommt er zu dem Resultat, da&szlig; in
der k&uuml;nftigen Gesellschaft ein zugleich individuelles und gesellschaftliches
Eigentum als Hegelsche h&ouml;here Einheit des aufgehobnen Widerspruchs herrschen
wird.</P>
<P>Lassen wir zun&auml;chst die Negation der Negation auf sich beruhn, und besehn
wir uns das &raquo;zugleich individuelle und gesellschaftliche Eigentum&laquo;. dies wird
von Herrn D&uuml;hring als eine &raquo;Nebelwelt&laquo; bezeichnet, und er hat darin merkw&uuml;rdigerweise
wirklich recht. Es ist aber leider nicht Marx, der sich in dieser Nebelwelt befindet,
sondern wiederum Herr D&uuml;hring selbst. Wie er n&auml;mlich schon oben vermittelst
seiner Gewandtheit in der Hegelschen Methode des &raquo;Delirierens&laquo; ohne M&uuml;he
feststellen konnte, was die noch unvollendeten B&auml;nde des &raquo;Kapital&laquo; enthalten
m&uuml;ssen, so kann er auch hier ohne gro&szlig;e M&uuml;he Marx nach Hegel berichtigen,
indem er ihm die h&ouml;here Einheit eines Eigentums unterschiebt, von der Marx
kein Wort gesagt hat.</P>
<P>Bei Marx hei&szlig;t es: &raquo;Es ist Negation der Negation. Diese stellt das individuelle
Eigentum wieder her, aber auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen
&Auml;ra, der Kooperation freier Arbeiter und ihrem Gemeineigentum an der Erde
und den durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln. Die Verwandlung
des auf eigner Arbeit beruhenden, zersplitterten Privateigentums der Individuen
in kapitalistisches ist nat&uuml;rlich <A NAME="S122"></A><B>|122|</B> ein Proze&szlig;,
ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des faktisch
bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb beruhenden kapitalistischen
Privateigentums in gesellschaftliches Eigentum.&laquo; |Siehe Karl Marx, &raquo;Das Kapital&laquo;,
Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_741.htm#S791">Bd.
23, S. 791</A>| Das ist alles. Der durch die Enteignung der Enteigner hergestellte
Zustand wird also bezeichnet als die Wiederherstellung des individuellen Eigentums
aber <I>auf Grundlage </I>des gesellschaftlichen Eigentums an der Erde und den
durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln. F&uuml;r jeden, der Deutsch
versteht, hei&szlig;t dies, da&szlig; das gesellschaftliche Eigentum sich auf
die Erde und die andern Produktionsmittel erstreckt und das individuelle Eigentum
auf die Produkte, also auf die Verbrauchsgegenst&auml;nde. Und damit die Sache
auch f&uuml;r Kinder von sechs Jahren fa&szlig;lich werde, unterstellt Marx auf
Seite 56 einen &raquo;Verein freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln
arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskr&auml;fte selbstbewu&szlig;t als
eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben&laquo;, also einen sozialistisch organisierten
Verein, und sagt: &raquo;Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt.
Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. <I>Er bleibt gesellschaftlich.</I>
Aber ein andrer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsmitgliedern verzehrt.
<I>Er mu&szlig; daher unter sie verteilt werden.</I>&laquo; |Siehe Karl Marx, &raquo;Das Kapital&laquo;,
Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_049.htm#S92">Bd.
23, S. 92/93</A>| Und das ist doch wohl klar genug, selbst f&uuml;r den verhegelten
Kopf des Herrn D&uuml;hring.</P>
<P>Das zugleich individuelle und gesellschaftliche Eigentum, diese konfuse Zwittergestalt,
diese bei der Hegel-Dialektik herauskommen m&uuml;ssende Ungereimtheit, diese
Nebelwelt, dies tiefsinnige dialektische R&auml;tsel, das Marx seinen Adepten
zu l&ouml;sen &uuml;berl&auml;&szlig;t - es ist abermals eine freie Sch&ouml;pfung
und Imagination des Herrn D&uuml;hring. Marx, als angeblicher Hegelianer ist verpflichtet,
als Resultat der Negation der Negation eine richtige h&ouml;here Einheit zu liefern,
und da er dies nicht nach dem Geschmack des Herrn D&uuml;hring tut, so mu&szlig;
dieser wiederum in h&ouml;hern und edlern Stil verfallen, und Marx im Interesse
der vollen Wahrheit Dinge unterschieben, die Herrn D&uuml;hrings eigenstes Fabrikat
sind. Ein Mann, der so total unf&auml;hig ist, auch nur ausnahmsweise richtig
zu zitieren, mag wohl in sittliche Entr&uuml;stung geraten gegen&uuml;ber der
&raquo;Chinesengelehrsamkeit&laquo; andrer Leute, die ausnahmslos richtig zitieren, aber eben
dadurch &raquo;den Mangel einer Einsicht in das Ideenganze der jedesmal angef&uuml;hrten
Schriftsteller schlecht verdecken&laquo;. Herr D&uuml;hring hat recht. Es lebe die Geschichtszeichnung
gro&szlig;en Stils!</P>
<P>Bisher sind wir von der Voraussetzung ausgegangen, Herrn D&uuml;hrings hartn&auml;ckiges
Falschzitieren sei wenigstens in gutem Glauben geschehn und <A NAME="S123"></A><B>|123|</B>
beruhe entweder auf einer ihm eignen totalen Unf&auml;higkeit des Verst&auml;ndnisses,
oder aber auf einer, der Geschichtszeichnung gro&szlig;en Stils eigent&uuml;mlichen
und sonst wohl als liederlich bezeichneten Gewohnheit, aus dem Ged&auml;chtnis
anzuf&uuml;hren. Es scheint aber, da&szlig; wir hier an dem Punkt angekommen sind,
wo auch bei Herrn D&uuml;hring die Quantit&auml;t in die Qualit&auml;t umschl&auml;gt.
Denn wenn wir erw&auml;gen, da&szlig; erstens die Stelle bei Marx an sich vollkommen
klar und zudem noch durch eine andre platterdings kein Mi&szlig;verst&auml;ndnis
zulassende Stelle desselben Buchs erg&auml;nzt wird; da&szlig; zweitens weder
in der oben anger&uuml;hrten Kritik des &raquo;Kapital&laquo; in den &raquo;Erg&auml;nzungsbl&auml;ttern&laquo;,
noch auch in derjenigen in der ersten Auflage der &raquo;Kritischen Geschichte&laquo; Herr
D&uuml;hring dies Ungeheuer von &raquo;zugleich individuellem und gesellschaftlichem
Eigentum&laquo; entdeckt hatte, sondern erst in der zweiten Auflage, also bei <I>dritter</I>
Lesung; da&szlig; in dieser sozialistisch umgearbeiteten, zweiten Auflage Herr
D&uuml;hring es n&ouml;tig hatte, Marx &uuml;ber die zuk&uuml;nftige Organisation
der Gesellschaft m&ouml;glichst gro&szlig;en Bl&ouml;dsinn sagen zu lassen, um
dagegen - wie er auch tut - &raquo;die Wirtschaftskommune, die <I>ich</I> in meinem
'Cursus' &ouml;konomisch und juristisch skizziert habe&laquo;, um so triumphierender
vorf&uuml;hren zu k&ouml;nnen - wenn wir das alles erw&auml;gen, so wird uns der
Schlu&szlig; aufgedr&auml;ngt, da&szlig; Herr D&uuml;hring uns hier fast zur Annahme
zwingt, er habe hier den Marxschen Gedanken mit Vorbedacht &raquo;wohlt&auml;tig erweitert&laquo;
- wohlt&auml;tig f&uuml;r Herrn D&uuml;hring.</P>
<P>Welche Rolle spielt nun bei Marx die Negation der Negation? Auf Seite 791 u.ff.
stellt er die Schlu&szlig;ergebnisse der auf den vorhergehenden f&uuml;nfzig Seiten
durchgef&uuml;hrten &ouml;konomischen und geschichtlichen Untersuchung &uuml;ber
die sogenannte urspr&uuml;ngliche Akkumulation des Kapitals zusammen. Vor der
kapitalistischen &Auml;ra fand, wenigstens in England, Kleinbetrieb statt, auf
Grundlage des Privateigentums des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln. Die
sogenannte urspr&uuml;ngliche Akkumulation des Kapitals bestand hier in der Expropriation
dieser unmittelbaren Produzenten, d.h. in der Aufl&ouml;sung des auf eigner Arbeit
beruhenden Privateigentums. Dies wurde m&ouml;glich, weil der obige Kleinbetrieb
nur vertr&auml;glich ist mit engen, naturw&uuml;chsigen Schranken der Produktion
und der Gesellschaft und auf einem gewissen H&ouml;hegrad daher die materiellen
Mittel seiner eignen Vernichtung zur Welt bringt. Diese Vernichtung, die Verwandlung
der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte,
bildet die Vorgeschichte des Kapitals. Sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre
Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise
auf eignen F&uuml;&szlig;en steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der
Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und <A NAME="S124"></A><B>|124|</B> andern
Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigent&uuml;mer,
eine neue Form. &raquo;Was jetzt zu expropriieren, ist nicht l&auml;nger der selbstwirtschaftende
Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist. Diese Expropriation
vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion
selbst, durch die Konzentration der Kapitale. Je ein Kapitalist schl&auml;gt viele
tot. Hand in Hand mit dieser Konzentration oder der Expropriation vieler Kapitalisten
durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets
wachsender Stufenleiter, die bewu&szlig;te technologische Anwendung der Wissenschaft,
die planm&auml;&szlig;ig gemeinsame Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel
in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, und die &Ouml;konomisierung aller
Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als gemeinsame Produktionsmittel kombinierter,
gesellschaftlicher Arbeit. Mit der best&auml;ndig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten,
welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren,
w&auml;chst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Degradation,
der Ausbeutung, aber auch die Emp&ouml;rung der stets anschwellenden und durch
den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten
und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapital |in der 2. Auflage des &raquo;Kapital&laquo;
(1872): Kapitalmonopol| wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter
ihm aufgebl&uuml;ht ist. Die Konzentration der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung
der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unvertr&auml;glich werden mit ihrer kapitalistischen
H&uuml;lle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums
schl&auml;gt. Die Expropriateurs werden expropriiert.&laquo; |Siehe Karl Marx, &raquo;Das
Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_741.htm#S790">Bd.
23, S. 790/791</A>|</P>
<P>Und nun frage ich den Leser: Wo sind die dialektisch-krausen Verschlingungen
und Vorstellungsarabesken, wo die Misch- und Mi&szlig;vorstellung, derzufolge
schlie&szlig;lich alles eins ist, wo die dialektischen Wunder f&uuml;r die Gl&auml;ubigen,
wo der dialektische Geheimniskram und die Verschlingungen nach Ma&szlig;gabe der
Hegelschen Logoslehre, ohne die Marx, nach Herrn D&uuml;hring, seine Entwicklung
nicht zustande bringen kann? Marx weist einfach historisch nach und fa&szlig;t
hier kurz zusammen, da&szlig; grade, wie einst der Kleinbetrieb durch seine eigne
Entwicklung die Bedingungen seiner Vernichtung, d.h. der Enteignung der kleinen
Eigent&uuml;mer, mit Notwendigkeit erzeugte, so jetzt die kapitalistische Produktionsweise
ebenfalls die materiellen Bedingungen selbst erzeugt hat, an denen sie zugrunde
gehn mu&szlig;. Der Proze&szlig; ist ein geschichtlicher, und wenn er zugleich
ein dialektischer ist, so ist das nicht die Schuld von Marx, so fatal es Herrn
D&uuml;hring sein mag.</P>
<P><B><A NAME="S125">|125|</A></B> Erst jetzt, nachdem Marx mit seinem historisch-&ouml;konomischen
Beweis fertig ist, f&auml;hrt er fort: &raquo;Die kapitalistische Produktions- und Aneignungsweise,
daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen,
auf eigne Arbeit gegr&uuml;ndeten Privateigentums. Die Negation der kapitalistischen
Produktion wird durch sie selbst, mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses,
produziert. Es ist Negation der Negation&laquo; usw. (wie vorher zitiert) |Siehe Karl
Marx, &raquo;Das Kapital&laquo;, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../me23/me23_741.htm#S791">Bd.
23, S. 791</A>|.</P>
<P>Indem Marx also den Vorgang als Negation der Negation bezeichnet, denkt er
nicht daran, ihn dadurch beweisen zu wollen als einen geschichtlich notwendigen.
Im Gegenteil: Nachdem er geschichtlich bewiesen hat, da&szlig; der Vorgang in
der Tat teils sich ereignet hat, teils noch sich ereignen mu&szlig;, bezeichnet
er ihn zudem als einen Vorgang, der sich nach einem bestimmten dialektischen Gesetz
vollzieht. Das ist alles. Es ist also wieder eine reine Unterschiebung des Herrn
D&uuml;hring, wenn er behauptet, die Negation der Negation m&uuml;sse hier die
Hebammendienste leisten, durch welche die Zukunft aus dem Scho&szlig; der Vergangenheit
entbunden wird, oder da&szlig; Marx verlange, man solle auf den Kredit der Negation
der Negation hin sich von der Notwendigkeit der Boden- und Kapitalkommunit&auml;t
(welche selbst ein D&uuml;hringscher leibhafter Widerspruch ist) &uuml;berzeugen
lassen.</P>
<P>Es ist schon ein totaler Mangel an Einsicht in die Natur der Dialektik, wenn
Herr D&uuml;hring sie f&uuml;r ein Instrument des blo&szlig;en Beweisens h&auml;lt,
wie man etwa die formelle Logik oder die elementare Mathematik beschr&auml;nkterweise
so auffassen kann. Selbst die formelle Logik ist vor allem Methode zur Auffindung
neuer Resultate, zum Fortschreiten vom Bekannten zum Unbekannten, und dasselbe,
nur in weit eminenterem Sinne, ist die Dialektik, die zudem, weil sie den engen
Horizont der formellen Logik durchbricht, den Keim einer umfassenderen Weltanschauung
enth&auml;lt. In der Mathematik liegt dasselbe Verh&auml;ltnis vor. Die elementare
Mathematik, die Mathematik der konstanten Gr&ouml;&szlig;en bewegt sich innerhalb
der Schranken der formellen Logik, wenigstens im ganzen und gro&szlig;en; die
Mathematik der variablen Gr&ouml;&szlig;en, deren bedeutendsten Teil die Infinitesimalrechnung
bildet, ist wesentlich nichts andres als die Anwendung der Dialektik auf mathematische
Verh&auml;ltnisse. Das blo&szlig;em Beweisen tritt hier entschieden in den Hintergrund
gegen&uuml;ber der mannigfachen Anwendung der Methode auf neue Untersuchungsgebiete.
Aber fast alle Beweise der h&ouml;hern Mathematik, von den ersten der Differentialrechnung
an, sind vom Standpunkt der <A NAME="S126"></A><B>|126|</B> Elementarmathematik
aus, streng genommen, falsch. Dies kann nicht anders sein, wenn man, wie hier
geschieht, die auf dialektischem Gebiet gewonnenen Resultate vermittelst der formellen
Logik beweisen will. F&uuml;r einen krassen Metaphysiker, wie Herr D&uuml;hring,
vermittelst der blo&szlig;en Dialektik etwas beweisen zu wollen, w&auml;re dieselbe
verlorne M&uuml;he, die Leibniz und seine Sch&uuml;ler hatten, den damaligen Mathematikern
die S&auml;tze der Infinitesimalrechnung zu beweisen. Das Differential verursachte
ihnen dieselben Kr&auml;mpfe wie dem Herrn D&uuml;hring die Negation der Negation,
in der es &uuml;brigens, wie wir sehn werden, auch eine Rolle spielt. Die Herren
gaben zuletzt, soweit sie inzwischen nicht starben, knurrend nach, nicht weil
sie &uuml;berzeugt waren, sondern weil es immer richtig herauskam. Herr D&uuml;hring
ist, wie er selbst sagt, erst in den Vierzigen, und wenn er das hohe Alter erreicht,
das wir ihm w&uuml;nschen, so kann er auch noch dasselbe erleben.</P>
<P>Aber was ist denn diese schreckliche Negation der Negation, die Herrn D&uuml;hring
das Leben so sauer macht, die bei ihm dieselbe Rolle des unverzeihlichen Verbrechens
spielt, wie im Christentum die S&uuml;nde wider den heiligen Geist? - Eine sehr
einfache, &uuml;berall und t&auml;glich sich vollziehende Prozedur, die jedes
Kind verstehn kann, sobald man den Geheimniskram abstreift, unter dem die alte
idealistische Philosophie sie verh&uuml;llte, und unter dem sie ferner zu verh&uuml;llen
das Interesse h&uuml;lfloser Metaphysiker vom Schlage des Herrn D&uuml;hring ist.
Nehmen wir ein Gerstenkorn. Billionen solcher Gerstenk&ouml;rner werden vermahlen,
verkocht und verbraut, und dann verzehrt. Aber findet solch ein Gerstenkorn die
f&uuml;r es normalen Bedingungen vor, f&auml;llt es auf g&uuml;nstigen Boden,
so geht unter dem Einflu&szlig; der W&auml;rme und der Feuchtigkeit eine eigne
Ver&auml;nderung mit ihm vor, es keimt; das Korn vergeht als solches, wird negiert,
an seine Stelle tritt die aus ihm entstandne Pflanze, die Negation des Korns.
Aber was ist der normale Lebenslauf dieser Pflanze? Sie w&auml;chst, bl&uuml;ht,
wird befruchtet und produziert schlie&szlig;lich wieder Gerstenk&ouml;rner, und
sobald diese gereift, stirbt der Halm ab, wird seinerseits negiert. Als Resultat
dieser Negation der Negation haben wir wieder das anf&auml;ngliche Gerstenkorn,
aber nicht einfach, sondern in zehn-, zwanzig-, drei&szlig;igfacher Anzahl. Getreidearten
ver&auml;ndern sich &auml;u&szlig;erst langsam, und so bleibt sich die Gerste
von heute ziemlich gleich mit der von vor hundert Jahren. Nehmen wir aber eine
bildsame Zierpflanze, z.B. eine Dahlia oder Orchidee; behandeln wir den Samen
und die aus ihm entstehende Pflanze nach der Kunst des G&auml;rtners, so erhalten
wir als Ergebnis dieser Negation der Negation nicht nur mehr Samen, sondern auch
qualitativ verbesserten Samen, der sch&ouml;nere Blumen erzeugt, und jede <A NAME="S127"></A><B>|127|</B>
Wiederholung dieses Prozesses, jede neue Negation der Negation steigert diese
Vervollkommnung. - &Auml;hnlich wie beim Gerstenkorn vollzieht sich dieser Proze&szlig;
bei den meisten Insekten, z.B. Schmetterlingen. Sie entstehn aus dem Ei durch
Negation des Ei's, machen ihre Verwandlungen durch bis zur Geschlechtsreife, begatten
sich und werden wieder negiert, indem sie sterben, sobald der Gattungsproze&szlig;
vollendet und das Weibchen seine zahlreichen Eier gelegt hat. Da&szlig; bei andern
Pflanzen und Tieren der Vorgang nicht in dieser Einfachheit sich erledigt, da&szlig;
sie nicht nur einmal, sondern mehrmal Samen, Eier oder Junge produzieren, ehe
sie absterben, geht uns hier noch nichts an; wir haben hier nur nachzuweisen,
da&szlig; die Negation der Negation in den beiden Reichen der organischen Welt
<I>wirklich vorkommt</I>. Ferner ist die ganze Geologie eine Reihe von negierten
Negationen, eine Reihe von aufeinanderfolgenden Zertr&uuml;mmerungen alter und
Ablagerungen neuer Gesteinsformationen. Zuerst wird die urspr&uuml;ngliche, aus
der Abk&uuml;hlung der fl&uuml;ssigen Masse entstandne Erdkruste durch ozeanische,
meteorologische und atmosph&auml;risch-chemische Einwirkung zerkleinert und diese
zerkleinerten Massen auf dem Meeresboden geschichtet. Lokale Hebungen des Meeresbodens
&uuml;ber den Meeresspiegel setzen Teile dieser ersten Schichtung von neuem den
Einwirkungen des Regens, der wechselnden Warme der Jahreszeiten, des Sauerstoffs
und der Kohlens&auml;ure der Atmosph&auml;re aus; denselben Einwirkungen unterliegen
die aus dem Erdinnern hervor- und die Schichten durchbrechenden geschmolzenen
und nachher abgek&uuml;hlten Steinmassen. Millionen von Jahrhunderten hindurch
werden so immer neue Schichten gebildet, immer wieder gr&ouml;&szlig;tenteils
zerst&ouml;rt und immer wieder als Bildungsstoff f&uuml;r neue Schichten verwendet.
Aber das Ergebnis ist ein sehr positives: die Herstellung eines aus den verschiedensten
chemischen Elementen gemischten Bodens in einem Zustand mechanischer Zerkleinerung,
der die massenhafteste und verschiedenartigste Vegetation zul&auml;&szlig;t.</P>
<P>Ebenso in der Mathematik. Nehmen wir eine beliebige algebraische Gr&ouml;&szlig;e,
also <I>a</I>. Negieren wir sie, so haben wir -<I>a</I> (minus <I>a</I>). Negieren
wir diese Negation, indem wir -<I>a</I> mit -<I>a</I> multiplizieren, so haben
wir +<I>a<SPAN class="top">2</SPAN></I>, d.h. die urspr&uuml;ngliche positive Gro&szlig;e, aber
auf einer h&ouml;hern Stufe, n&auml;mlich auf der zweiten Potenz. Auch hier macht
es nichts aus, da&szlig; wir dasselbe <I>a<SPAN class="top">2</SPAN></I> dadurch erlangen k&ouml;nnen,
da&szlig; wir das positive <I>a</I> mit sich selbst multiplizieren und dadurch
auch <I>a<SPAN class="top">2</SPAN></I> erhalten. Denn die negierte Negation sitzt so fest in
dem <I>a<SPAN class="top">2</SPAN></I>, da&szlig; es unter allen Umst&auml;nden zwei Quadratwurzeln
hat, n&auml;mlich <I>a</I> und -<I>a</I>. Und diese Unm&ouml;glichkeit, die negierte
Negation, die im Quadrat enthaltne negative Wurzel loszuwerden, bekommt eine sehr
<A NAME="S128"></A><B>|128|</B> handgreifliche Bedeutung schon bei den quadratischen
Gleichungen. - Noch schlagender tritt die Negation der Negation hervor bei der
h&ouml;hern Analyse, bei jenen &raquo;Summationen unbeschr&auml;nkt kleiner Gr&ouml;&szlig;en&laquo;,
die Herr D&uuml;hring selbst f&uuml;r die h&ouml;chsten Operationen der Mathematik
erkl&auml;rt und die man in gew&ouml;hnlicher Sprache Differential- und Integralrechnung
nennt. Wie vollziehn sich diese Rechnungsarten? Ich habe z.B. in einer bestimmten
Aufgabe zwei ver&auml;nderliche Gr&ouml;&szlig;en x und y, von denen sich die
eine nicht ver&auml;ndern kann, ohne da&szlig; die andre sich in einem durch die
Sachlage bestimmten Verh&auml;ltnis mitver&auml;ndert. Ich differenziere <I>x</I>
und <I>y</I>, d.h. ich nehme <I>x</I> und <I>y</I> so unendlich klein an, da&szlig;
sie gegen jede noch so kleine wirkliche Gr&ouml;&szlig;e verschwinden, da&szlig;
von <I>x</I> und <I>y</I> nichts bleibt als ihr gegenseitiges Verh&auml;ltnis,
aber ohne alle sozusagen materielle Grundlage, ein quantitatives Verh&auml;ltnis
ohne alle Quantit&auml;t. <SPAN class="top">dx</SPAN>/<SPAN class="bottom">dy</SPAN>, das Verh&auml;ltnis der
beiden Differentiale von <I>x</I> und <I>y</I> ist also = <SPAN class="top">0</SPAN>/<SPAN class="bottom">0</SPAN>,
aber <SPAN class="top">0</SPAN>/<SPAN class="bottom">0</SPAN> gesetzt als der Ausdruck von <SPAN class="top">x</SPAN>/<SPAN class="bottom">y</SPAN>.
Da&szlig; dies Verh&auml;ltnis zwischen zwei verschwundnen Gr&ouml;&szlig;en,
der fixierte Moment ihres Verschwindens, ein Widerspruch ist, erw&auml;hne ich
nur nebenbei; es kann uns aber ebensowenig st&ouml;ren, wie es die Mathematik
&uuml;berhaupt seit fast zweihundert Jahren gest&ouml;rt hat. Was anders also
habe ich getan, als da&szlig; ich <I>x</I> und <I>y</I> negiert habe, aber negiert
nicht so, da&szlig; ich mich nicht mehr um sie k&uuml;mmere, wie die Metaphysik
negiert, sondern in der der Sachlage entsprechenden Weise? Statt <I>x</I> und
<I>y</I> habe ich also ihre Negation, <I>dx</I> und <I>dy</I> in den mir vorliegenden
Formeln oder Gleichungen. Ich rechne nun mit diesen Formeln weiter, behandle <I>dx</I>
und <I>dy</I> als wirkliche, wenn auch gewissen Ausnahmsgesetzen unterworfne Gr&ouml;&szlig;en,
und an einem gewissen Punkt - <I>negiere ich die Negation</I>, d.h. ich integriere
die Differentialformel, bekomme statt <I>dx</I> und <I>dy</I> wieder die wirklichen
Gr&ouml;&szlig;en <I>x</I> und <I>y</I> und bin dann nicht etwa wieder so weit
wie am Anfang, sondern ich habe damit die Aufgabe gel&ouml;st, an der die gew&ouml;hnliche
Geometrie und Algebra sich vielleicht umsonst die Z&auml;hne ausgebissen h&auml;tten.</P>
<P>Nicht anders in der Geschichte. Alle Kulturv&ouml;lker fangen an mit dem Gemeineigentum
am Boden. Bei allen V&ouml;lkern, die &uuml;ber eine gewisse urspr&uuml;ngliche
Stufe hinausgehn, wird dies Gemeineigentum im Lauf der Entwicklung des Ackerbaus
eine Fessel f&uuml;r die Produktion. Es wird aufgehoben, negiert, nach k&uuml;rzern
oder l&auml;ngern Zwischenstufen in Privateigentum verwandelt. Aber auf h&ouml;herer,
durch das Privateigentum am Boden selbst herbeigef&uuml;hrter Entwicklungsstufe
des Ackerbaus wird umgekehrt das Privateigentum eine Fessel f&uuml;r die Produktion
- wie dies heute <A NAME="S129"></A><B>|129|</B> der Fall ist sowohl mit dem kleinen
wie mit dem gro&szlig;en Grundbesitz. Die Forderung, es ebenfalls zu negieren,
es wieder in Gemeingut zu verwandeln, tritt mit Notwendigkeit hervor. Aber diese
Forderung bedeutet nicht die Wiederherstellung des alturspr&uuml;nglichen Gemeineigentums,
sondern die Herstellung einer weit h&ouml;hern, entwickeltern Form von Gemeinbesitz,
die, weit entfernt der Produktion eine Schranke zu werden, sie vielmehr erst entfesseln
und ihr die volle Ausnutzung der modernen chemischen Entdeckungen und mechanischen
Erfindungen gestatten wird.</P>
<P>Oder aber: Die antike Philosophie war urspr&uuml;nglicher, naturw&uuml;chsiger
Materialismus. Als solcher war sie unf&auml;hig, mit dem Verh&auml;ltnis des Denkens
zur Materie ins reine zu kommen. Die Notwendigkeit aber, hier&uuml;ber klarzuwerden,
f&uuml;hrte zur Lehre von einer vom K&ouml;rper trennbaren Seele, dann zu der
Behauptung der Unsterblichkeit dieser Seele, endlich zum Monotheismus. Der alte
Materialismus wurde also negiert durch den Idealismus. Aber in der weitern Entwicklung
der Philosophie wurde auch der Idealismus unhaltbar und negiert durch den modernen
Materialismus. Dieser, die Negation der Negation, ist nicht die blo&szlig;e Wiedereinsetzung
des alten, sondern f&uuml;gt zu den bleibenden Grundlagen desselben noch den ganzen
Gedankeninhalt einer zweitausendj&auml;hrigen Entwicklung der Philosophie und
Naturwissenschaft, sowie dieser zweitausendj&auml;hrigen Geschichte selbst. Es
ist &uuml;berhaupt keine Philosophie mehr, sondern eine einfache Weltanschauung,
die sich nicht in einer aparten Wissenschaftswissenschaft, sondern in den wirklichen
Wissenschaften zu bew&auml;hren und zu bet&auml;tigen hat. Die Philosophie ist
hier also &raquo;aufgehoben&laquo;, das hei&szlig;t &raquo;sowohl &uuml;berwunden als aufbewahrt&laquo;;
&uuml;berwunden, ihrer Form, aufbewahrt, ihrem wirklichen Inhalt nach. Wo Herr
D&uuml;hring nur &raquo;Wortspielerei&laquo; sieht, findet sich also, bei genauerem Zusehn,
ein wirklicher Inhalt.</P>
<P>Endlich: Sogar die Rousseausche Gleichheitslehre, von der die D&uuml;hringsche
nur ein matter, verf&auml;lschter Abklatsch ist, kommt nicht zustande, ohne da&szlig;
die Hegelsche Negation der Negation - und noch dazu fast zwanzig Jahre vor Hegels
Geburt - Hebammendienste leisten mu&szlig;. Und weit entfernt, sich dessen zu
sch&auml;men, tr&auml;gt sie in ihrer ersten Darstellung den Stempel ihrer dialektischen
Abstammung fast prunkend zur Schau. Im Zustand der Natur und der Wildheit waren
die Menschen gleich; und da Rousseau schon die Sprache als eine F&auml;lschung
des Naturzustandes ansieht, so hat er vollkommen recht, die Gleichheit der Tiere
Einer Art, soweit diese reicht, auch auf diese, neuerdings von Haeckel als Alali,
Sprachlose, hypothetisch klassifizierten Tiermenschen anzuwenden. Aber diese gleichen
Tiermenschen hatten vor den &uuml;brigen Tieren eine Eigenschaft voraus: die <A NAME="S130"></A><B>|130|</B>
Perfektibilit&auml;t, die F&auml;higkeit, sich weiter zu entwickeln; und diese
wurde die Ursache der Ungleichheit. Rousseau sieht also in der Entstehung der
Ungleichheit einen Fortschritt. Aber dieser Fortschritt war antagonistisch, er
war zugleich ein R&uuml;ckschritt.</P>
<P><SMALL>&raquo;Alle weitern Fortschritte&laquo; (&uuml;ber den Urzustand hinaus) &raquo;waren
ebensoviel Schritte scheinbar zur <I>Vervollkommnung des Einzelmenschen</I>, in
der Tat aber zum <I>Verfall der Gattung </I>... Die Metallbearbeitung und der
Ackerbau waren die beiden K&uuml;nste, deren Erfindung diese gro&szlig;e Revolution
hervorrief&laquo; (die Umwandlung des Urwaldes in kultiviertes Land, aber auch die Einf&uuml;hrung
des Elends und der Knechtschaft vermittelst des Eigentums). &raquo;F&uuml;r den Dichter
haben Gold und Silber, f&uuml;r den Philosophen haben Eisen und Korn die <I>Menschen</I>
zivilisiert und das Menschen<I>geschlecht</I> ruiniert.&laquo; |Alle Hervorhebungen
von Engels|</SMALL></P>
<P>Jeder neue Fortschritt der Zivilisation ist zugleich ein neuer Fortschritt
der Ungleichheit. Alle Einrichtungen, die sich die mit der Zivilisation entstandne
Gesellschaft gibt, schlagen in das Gegenteil ihres urspr&uuml;nglichen Zwecks
um.</P>
<P><SMALL>&raquo;Es ist unbestreitbar und Grundgesetz des ganzen Staatsrechts, da&szlig;
die V&ouml;lker sich F&uuml;rsten gegeben haben, um ihre Freiheit zu sch&uuml;tzen,
nicht aber sie zu vernichten.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und dennoch werden diese F&uuml;rsten mit Notwendigkeit die Unterdr&uuml;cker
der V&ouml;lker und steigern diese Unterdr&uuml;ckung bis auf den Punkt, wo die
Ungleichheit, auf die &auml;u&szlig;erste Spitze getrieben, wieder in ihr Gegenteil
umschl&auml;gt, Ursache der Gleichheit wird: vor dem Despoten sind alle gleich,
n&auml;mlich gleich Null.</P>
<P><SMALL>&raquo;Hier ist der &auml;u&szlig;erste Grad der Ungleichheit, <I>der Endpunkt</I>,
<I>der den Kreis schlie&szlig;t und den Punkt ber&uuml;hrt</I>, <I>von dem wir
ausgegangen sind</I>: hier werden alle Privatleute gleich, weil sie eben nichts
sind, und die Untertanen kein andres Gesetz mehr haben als den Willen des Herrn.&laquo;
Aber der Despot ist nur Herr, solange er die Gewalt hat, und deswegen kann er,
sobald man &raquo;ihn vertreibt, sich nicht gegen die Gewalt beklagen ... Die Gewalt
erhielt ihn, die Gewalt wirft ihn um, alles geht seinen richtigen naturgem&auml;&szlig;en
Gang.&laquo; |Alle Hervorhebungen von Engels|</SMALL></P>
<P>Und so schl&auml;gt die Ungleichheit wieder um in Gleichheit, aber nicht in
die alte naturw&uuml;chsige Gleichheit der sprachlosen Urmenschen, sondern in
die h&ouml;here des Gesellschaftsvertrags. Die Unterdr&uuml;cker werden unterdr&uuml;ckt.
Es ist Negation der Negation.</P>
<P>Wir haben hier also schon bei Rousseau nicht nur einen Gedankengang, der dem
in Marx' &raquo;Kapital&laquo; verfolgten auf ein Haar gleicht, sondern auch <A NAME="S131"></A><B>|131|</B>
im einzelnen eine ganze Reihe derselben dialektischen Wendungen, deren Marx sich
bedient: Prozesse, die ihrer Natur nach antagonistisch sind, einen Widerspruch
in sich enthalten, Umschlagen eines Extrems in sein Gegenteil, endlich als Kern
des Ganzen die Negation der Negation. Wenn Rousseau also 1754 den Hegel-Jargon
noch nicht sprechen konnte, so ist er doch, 16 Jahre vor Hegels Geburt, tief von
der Hegel-Seuche, Widerspruchsdialektik, Logoslehre, Theologik usw. angefressen.
Und wenn Herr D&uuml;hring in seiner Verseichtigung der Rousseauschen Gleichheitstheorie
mit seinen siegreichen zwei M&auml;nnern operiert, so ist er auch schon auf der
schiefen Ebene, auf der er rettungslos der Negation der Negation in die Arme rutscht.
Der Zustand, in dem die Gleichheit der beiden M&auml;nner floriert, und der auch
wohl als ein Idealzustand dargestellt wird, ist auf Seite 271 der &raquo;Philosophie&laquo;
als &raquo;Urzustand&laquo; bezeichnet. Dieser Urzustand wird aber nach Seite 279 notwendigerweise
durch das &raquo;Raubsystem&laquo; aufgehoben - erste Negation. Aber wir sind jetzt, dank
der Wirklichkeitsphilosophie, dahin gekommen, da&szlig; wir das Raubsystem abschaffen
und an seiner Stelle die von Herrn D&uuml;hring erfundne, auf Gleichheit beruhende
Wirtschaftskommune einf&uuml;hren - Negation der Negation, Gleichheit auf h&ouml;herer
Stufe. Erg&ouml;tzliches, den Gesichtskreis wohlt&auml;tig erweiterndes Schauspiel,
wie Herr D&uuml;hring das Kapitalverbrechen der Negation der Negation Allerh&ouml;chstselbst
begeht!</P>
<P>Was ist also die Negation der Negation? Ein &auml;u&szlig;erst allgemeines
und eben deswegen &auml;u&szlig;erst weitwirkendes und wichtiges Entwicklungsgesetz
der Natur, der Geschichte und des Denkens; ein Gesetz, das, wie wir gesehn, in
der Tier- und Pflanzenwelt, in der Geologie, in der Mathematik, m der Geschichte,
in der Philosophie zur Geltung kommt und dem selbst Herr D&uuml;hring trotz allen
Sperrens und Zerrens, ohne es zu wissen, in seiner Weise nachkommen mu&szlig;.
Es versteht sich von selbst, da&szlig; ich &uuml;ber den <I>besondern</I> Entwicklungsproze&szlig;,
den z.B. das Gerstenkorn von der Keimung bis zum Absterben der fruchttragenden
Pflanze durchmacht, gar nichts sage, wenn ich sage, es ist Negation der Negation.
Denn da die Integralrechnung ebenfalls Negation der Negation ist, w&uuml;rde ich
mit der entgegengesetzten Behauptung nur den Unsinn behaupten, der Lebensproze&szlig;
eines Gerstenhalms sei Integralrechnung oder meinetwegen auch Sozialismus. Das
ist es aber, was die Metaphysiker der Dialektik fortw&auml;hrend in die Schuhe
schieben. Wenn ich von all diesen Prozessen sage, sie sind Negation der Negation,
so fasse ich sie allesamt unter dies eine Bewegungsgesetz zusammen, und lasse
ebendeswegen die Besonderheiten jedes einzelnen Spezialprozesses unbeachtet. Die
Dialektik ist aber weiter nichts als die <A NAME="S132"></A><B>|132|</B> Wissenschaft
von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft
und des Denkens.</P>
<P>Nun kann man aber einwenden: Die hier vollzogne Negation ist gar keine richtige
Negation: ich negiere ein Gerstenkorn auch, wenn ich's vermahle, ein Insekt, wenn
ich's zertrete, die positive Gr&ouml;&szlig;e <I>a</I>, wenn ich sie ausstreiche
usw. Oder ich negiere den Satz: die Rose ist eine Rose, wenn ich sage: die Rose
ist keine Rose; und was kommt dabei heraus, wenn ich diese Negation wieder negiere
und sage: die Rose ist aber doch eine Rose? - Diese Einwendungen sind in der Tat
die Hauptargumente der Metaphysiker gegen die Dialektik und ganz dieser Borniertheit
des Denkens w&uuml;rdig. Negieren in der Dialektik hei&szlig;t nicht einfach nein
sagen, oder ein Ding f&uuml;r nicht bestehend erkl&auml;ren, oder es in beliebiger
Weise zerst&ouml;ren. Schon Spinoza sagt: Omnis determinatio est negatio, jede
Begrenzung oder Bestimmung ist zugleich eine Negation. Und ferner ist die Art
der Negation hier bestimmt erstens durch die allgemeine und zweitens die besondre
Natur des Prozesses. Ich soll nicht nur negieren, sondern auch die Negation wieder
aufheben. Ich mu&szlig; also die erste Negation so einrichten, da&szlig; die zweite
m&ouml;glich bleibt oder wird. Wie? Je nach der besondern Natur jedes einzelnen
Falls. Vermahle ich ein Gerstenkorn, zertrete ich ein Insekt, so habe ich zwar
den ersten Akt vollzogen, aber den zweiten unm&ouml;glich gemacht. Jede Art von
Dingen hat also ihre eigent&uuml;mliche Art, so negiert zu werden, da&szlig; eine
Entwicklung dabei herauskommt, und ebenso jede Art von Vorstellungen und Begriffen.
In der Infinitesimalrechnung wird anders negiert als in der Herstellung positiver
Potenzen aus negativen Wurzeln. Das will gelernt sein, wie alles andre. Mit der
blo&szlig;en Kenntnis, da&szlig; Gerstenhalm und Infinitesimalrechnung unter die
Negation der Negation fallen, kann ich weder erfolgreich Gerste bauen, noch differenzieren
und integrieren, ebensowenig wie ich mit den blo&szlig;en Gesetzen der Tonbestimmung
durch die Dimensionen der Saiten ohne weiteres Violine spielen kann. - Es ist
aber klar, da&szlig; bei einer Negationsnegierung, die in der kindischen Besch&auml;ftigung
besteht, <I>a</I> abwechselnd zu setzen und wieder auszustreichen, oder von einer
Rose abwechselnd zu behaupten, sie sei eine Rose und sie sei keine Rose, nichts
herauskommt als die Albernheit dessen, der solche langweilige Prozeduren vornimmt.
Und doch m&ouml;chten die Metaphysiker uns weismachen, wenn wir einmal die Negation
der Negation vollziehn wollten, dann sei das die richtige Art.</P>
<P>Es ist also wiederum niemand anders als Herr D&uuml;hring, der uns mystifiziert,
wenn er behauptet, die Negation der Negation sei eine von Hegel erfundne, dem
Gebiet der Religion entlehnte, auf die Geschichte vom <A NAME="S133"></A><B>|133|</B>
S&uuml;ndenfall und der Erl&ouml;sung gebaute Analogieschnurre. Die Menschen haben
dialektisch gedacht, lange ehe sie wu&szlig;ten, was Dialektik war, ebenso wie
sie schon Prosa sprachen, lange bevor der Ausdruck Prosa bestand. Das Gesetz der
Negation der Negation, das sich in der Natur und Geschichte, und bis es einmal
erkannt ist, auch in unsern K&ouml;pfen unbewu&szlig;t vollzieht, ist von Hegel
nur zuerst scharf formuliert worden. Und wenn Herr D&uuml;hring die Sache im stillen
selbst betreiben will und nur den Namen nicht vertragen kann, so m&ouml;ge er
einen bessern Namen finden. Will er aber die Sache aus dem Denken vertreiben,
so vertreibe er sie g&uuml;tigst zuerst aus der Natur und der Geschichte, und
erfinde eine Mathematik, worin -a &times; -a nicht +a<SPAN class="top">2</SPAN> ist und worin das
Differenzieren und Integrieren bei Strafe verboten ist.</P>
<H3 ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_XIV">XIV. Schlu&szlig;</A></H3>
<P>Wir sind zu Ende mit der Philosophie; was sonst noch von Zukunftsphantasien
im &raquo;Cursus&laquo; vorhanden, wird uns gelegentlich der D&uuml;hringschen Umw&auml;lzung
des Sozialismus besch&auml;ftigen. Was hat uns Herr D&uuml;hring versprochen?
Alles. Und was hat er gehalten? Gar nichts. &raquo;Die Elemente einer wirklichen und
demgem&auml;&szlig; auf die Wirklichkeit der Natur und des Lebens gerichteten
Philosophie&laquo;, die &raquo;strengwissenschaftliche Weltanschauung&laquo;, die &raquo;systemschaffenden
Gedanken&laquo;, und alle die andern, in hocht&ouml;nenden Redewendungen von Herrn D&uuml;hring
ausposaunten Leistungen des Herrn D&uuml;hring erwiesen sich, wo immer wir sie
anfa&szlig;ten, als <I>reiner Schwindel</I>. Die Weltschematik, die &raquo;ohne der
Tiefe des Gedankens etwas zu vergeben, die Grundgestalten des Seins sicher festgestellt
hat&laquo;, stellte sich heraus als ein unendlich verseichtigter Abklatsch der Hegelschen
Logik und teilt mit ihr den Aberglauben, da&szlig; diese &raquo;Grundgestalten&laquo; oder
logischen Kategorien irgendwo ein geheimnisvolles Dasein f&uuml;hren vor und au&szlig;er
der Welt, auf die sie &raquo;anzuwenden&laquo; sind. Die Naturphilosophie bot uns eine Kosmogonie,
deren Ausgangspunkt ein &raquo;sich selbst gleicher Zustand der Materie&laquo; ist, ein Zustand,
vorstellbar nur vermittelst der rettungslosesten Verwirrung &uuml;ber den Zusammenhang
von Materie und Bewegung, und vorstellbar au&szlig;erdem nur unter Annahme eines
au&szlig;erweltlichen pers&ouml;nlichen Gottes, der allein diesem Zustand zur
Bewegung verhelfen kann. Bei Behandlung der organischen Natur mu&szlig;te die
Wirklichkeitsphilosophie, nachdem sie Darwins Kampf ums Dasein und Naturz&uuml;chtung
als &raquo;ein St&uuml;ck gegen die Humanit&auml;t gerichtete Brutalit&auml;t&laquo; verworfen,
sie beide durch die Hintert&uuml;r wieder zulassen als in der Natur wirksame Faktoren,
wenn <A NAME="S134"></A><B>|134|</B> auch zweiter Ordnung. Sie fand zudem Gelegenheit,
auf dem Gebiet der Biologie eine Unwissenheit zu dokumentieren, wie man sie, seit
den popul&auml;rwissenschaftlichen Vortr&auml;gen nicht mehr zu entgehn ist, selbst
bei T&ouml;chtern gebildeter St&auml;nde mit der Laterne suchen m&uuml;&szlig;te.
Auf dem Gebiet der Moral und des Rechts war sie mit der Verflachung Rousseaus
nicht gl&uuml;cklicher als vorher mit der Verseichtigung Hegels und bewies auch
in Beziehung auf Rechtswissenschaft, trotz aller Versicherung des Gegenteils,
eine Unkenntnis, wie sie selbst bei den allergew&ouml;hnlichsten, altpreu&szlig;ischen
Juristen nur selten anzutreffen sein d&uuml;rfte. Die Philosophie, &raquo;die keinen
blo&szlig; scheinbaren Horizont gelten l&auml;&szlig;t&laquo;, begn&uuml;gt sich juristisch
mit einem wirklichen Horizont, der sich deckt mit dem Geltungsbereich des preu&szlig;ischen
Landrechts. Auf die &raquo;Erden und Himmel der &auml;u&szlig;ern und innern Natur&laquo;,
die diese Philosophie in ihrer m&auml;chtig umw&auml;lzenden Bewegung vor uns
aufzurollen versprach, warten wir noch immer, nicht weniger auf die &raquo;endg&uuml;ltigen
Wahrheiten letzter Instanz&laquo; und auf &raquo;das absolut Fundamentale&laquo;. Der Philosoph,
dessen Denkweise jede Anwandlung zu einer &raquo;subjektivistisch-beschr&auml;nkten
Weltvorstellung ausschlie&szlig;t&laquo;, erweist sich nicht nur als subjektivistisch
beschr&auml;nkt durch seine wie nachgewiesen &auml;u&szlig;erst mangelhaften Kenntnisse,
durch seine borniert metaphysische Denkweise und seine fratzenhafte Selbst&uuml;berhebung,
sondern sogar durch kindische pers&ouml;nliche Schrullen. Er kann die Wirklichkeitsphilosophie
nicht fertigbringen, ohne seinen Widerwillen gegen Tabak, Katzen und Juden als
allgemeing&uuml;ltiges Gesetz der ganzen &uuml;brigen Menschheit, die Juden eingeschlossen,
aufzudr&auml;ngen. Sein &raquo;wirklich kritischer Standpunkt&laquo; gegen&uuml;ber andern
Leuten besteht dann, ihnen beharrlich Dinge unterzuschieben, die sie nie gesagt,
und die Herrn D&uuml;hrings eigenstes Fabrikat sind. Seine breiten Bettelsuppen
&uuml;ber Spie&szlig;b&uuml;rgerthemata, wie der Wert des Lebens und die beste
Art des Lebensgenusses, sind von einer Phllisterhaftigkeit, die seinen Zorn gegen
Goethes Faust erkl&auml;rlich macht. Es war allerdings unverzeihlich von Goethe,
den unmoralischen Faust zum Helden zu machen und nicht den ernsten Wirklichkeitsphilosophen
Wagner. - Kurz, die Wirklichkeitsphilosophie, alles in allem genommen, erweist
sich, mit Hegel zu reden, als &raquo;der seichteste Abkl&auml;richt des deutschen Aufkl&auml;richt&laquo;,
ein Abkl&auml;richt, dessen D&uuml;nnheit und durchsichtige Gemeinpl&auml;tzlichkeit
verdickt und getr&uuml;bt wird nur durch die einger&uuml;hrten orakelhaften Redebrocken.
Und wenn wir mit dem Buch zu Ende sind, so sind wir genauso gescheit wie vorher
und zu dem Gest&auml;ndnis gezwungen, da&szlig; die &raquo;neue Denkweise&laquo;, die &raquo;von
Grund aus eigent&uuml;mlichen Ergebnisse und Anschauungen&laquo; und die &raquo;systemschaffenden
Gedanken&laquo; uns zwar verschiednen neuen Unsinn <A NAME="S135"></A><B>|135|</B> vorgef&uuml;hrt
haben, aber auch nicht eine Zeile, aus der wir h&auml;tten etwas lernen k&ouml;nnen.
Und dieser Mensch, der seine K&uuml;nste und seine Waren unter Pauken- und Trompetenschall
anpreist trotz dem ordin&auml;rsten Marktschreier, und hinter dessen gro&szlig;en
Worten nichts, aber auch rein gar nichts ist - dieser Mensch unterf&auml;ngt sich,
Leute wie Fichte, Schelling und Hegel, deren kleinster noch ein Riese ist ihm
gegen&uuml;ber, als Scharlatans zu bezeichnen. Scharlatan in der Tat - aber wer?</P>
<P ALIGN="CENTER">
<HR ALIGN="LEFT" size="1">
<P></P>
<P>Fu&szlig;noten von Friedrich Engels</P>
<P><SPAN class="top"><A NAME="F1">(1)</A></SPAN> Seit ich obiges niederschrieb, scheint es sich
bereits best&auml;tigt zu haben. Nach den neuesten, von Mendelejew und Boguski
mit genaueren Apparaten angestellten Untersuchungen zeigten alle echten Gase ein
ver&auml;nderliches Verh&auml;ltnis zwischen Druck und Volumen; der Ausdehnungskoeffizient
war bei Wasserstoff bei allen bisher angewandten Druckst&auml;rken positiv (das
Volumen nahm langsamer ab, als der Druck zunahm); bei der atmosph&auml;rischen
Luft und den andern untersuchten Gasen fand sich f&uuml;r jedes ein Nullpunkt
des Drucks, so da&szlig; bei geringerem Druck jener Koeffizient positiv, bei gr&ouml;&szlig;erem
negativ war. Das bisher noch immer praktisch brauchbare Boylesche Gesetz wird
also einer Erg&auml;nzung durch eine ganze Reihe von Spezialgesetzen bed&uuml;rfen.
(Wir wissen jetzt - 1885 - auch, da&szlig; es &uuml;berhaupt keine &raquo;echten&laquo; Gase
gibt. Sie sind alle auf den tropfbar-fl&uuml;ssigen Zustand reduziert worden.)
<A HREF="me20_032.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><SPAN class="top"><A NAME="F2">(2)</A></SPAN> Diese Ableitung der modernen Gleichheitsvorstellungen
aus den &ouml;konomischen Bedingungen der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft ist zuerst
dargelegt von Marx im &raquo;Kapital&laquo;. <A HREF="me20_032.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<!-- #EndEditable -->
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><!-- #BeginEditable "Pfad" --><SMALL>Pfad: &raquo;../me/me20&laquo;</SMALL><!-- #EndEditable --></P>
<HR size="1">
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201%20b" --><A HREF="me20_016.htm"><SMALL>Einleitung</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
<TD ALIGN="center">|</TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="me20_001.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%202%20b" --><A HREF="me20_136.htm"><SMALL>2.
Abschnitt</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="../default.htm"><SMALL>Marx/Engels</SMALL></A></TD>
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