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<TITLE>Ernst Thälmann: Die Lehren des Hamburger Aufstandes</TITLE>
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<script src="http://www.mlwerke.de/scripte/Dokident.js" type="text/javascript" language="JavaScript"></script>
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<H1><A name="top">Die Lehren des Hamburger Aufstandes</a></H1>
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Quelle: Ernst Thälmann - Ausgewählte Reden und Schriften
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in zwei Bänden, Band 1, Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt
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am Main 1976, Seite 69 ff. </p>
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Ernst Thälmann</p>
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Die Lehren des Hamburger Aufstandes</p>
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23. Oktober 1925</p>
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Heute vor zwei Jahren, am 23. Oktober 1923, stieg Hamburg auf
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die Barrikaden. Getrieben vom Elend der Inflationszeit, gedrängt von
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der unerhörten Not der werktätigen Massen, getragen vom Geiste
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des Bolschewismus griff der beste, revolutionärste Teil der Hamburger
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Arbeiterschaft zum Gewehr und nahm den Kampf gegen die kapitalistischen
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Unterdrücker auf. </p>
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Zwei Jahre sind seit dem 23. Oktober 1923 vergangen. Vieles
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hat sich inzwischen in Deutschland und in der ganzen Welt geändert.
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Wir, die Kommunisten, sind zwar geschlagen worden und mit uns die ganze deutsche
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Arbeiterklasse. Die Stabilisierung des bürgerlichen Deutschlands ist
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in gewissem, begrenztem Umfang gelungen. Die Bourgeoisie schöpft neue
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Hoffnung. Das Proletariat durchlebte ein Jahr der Entmutigung und des
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Rückzuges. Wenn wir heute der zweijährigen Widerkehr des Hamburger
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Straßenkampfes gedenken, so geschieht das nicht aus dem bloßen
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Anlaß, daß der Kalendertag des 23. Oktobers wiederkehrt.
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Jubiläen sind für die Kommunisten und den klassenbewußten
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Teil des Proletariats nicht leere Gedenktage, sondern Richtlinien für
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den Klassenkampf, Leitfäden für die Aktion. Gerade die politische
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Situation, in der wir heute stehen, fordert mit gebieterischem Zwang von
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uns, daß wir die geschichtliche Bedeutung und die Lehren des Hamburger
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Aufstandes vollkommen klar erkennen. </p>
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Was waren DIE URSACHEN DES HAMBURGER KAMPFES? War es nur die
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Agitation der Kommunisten, waren es die Beschlüsse illegaler Geheimorgane,
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wie die bürgerlichen Gerichte behaupten? Nein! Die Ursachen liegen tiefer.
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Der Aufstand entsprang weder dem blinden Zufall noch dem freien Willen von
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ein paar Verschwörern. Der Hamburger Aufstand entsprang der
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revolutionären Situation vom Herbst 1923. </p>
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Der Herbst 1923 brachte die tiefste, ganz Deutschland umfassende,
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alle Schichten und Klassen der Bevölkerung ergreifende Krise der
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Bourgeoisie. Der Ententeimperialismus hatte seine Zerstörungsarbeit
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vollendet. Der zehn Monate lange Ruhrkrieg war für die deutsche Bourgeoisie
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verloren. Die Markwährung, die beim Regierungsantritt des Reichskanzlers
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Cuno auf 8000 stand, stieg auf 4,5 und 6 Billionen. Die Arbeiter konnten
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für ihre Löhne nichts mehr kaufen. Sogar "die treuesten Diener
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des Staates", die Beamten, begannen zu rebellieren. Die Mittelschichten waren
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ruiniert. Das Gespenst des Hungers schritt durch Deutschland. Machtlos standen
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die Regierungen der Bourgeoisie dem Zerfall gegenüber. Stresemann, der
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damalige Reichskanzler, erklärte nach dem Cuno-Streik, "daß seine
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Regierung [vielleicht] die letzte bürgerliche Regierung in Deutschland
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[sein] werde". </p>
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<P>
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Bereits im Frühjahr 1923 begannen riesenhafte Streikbewegungen
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im Ruhrgebiet und in Oberschlesien. Neue Wellen des Klassenkampfes rollten
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in ganz Deutschland heran. Die Arbeiter kämpften noch nicht um die Macht,
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sondern nur um die dringendsten Tagesforderungen, um die Beseitigung der
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brennendsten Not. Der Kampf vollzog sich noch vorwiegend in "friedlichen"
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Formen. Während die rechten Sozialdemokraten, die Sollmann und Severing,
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bereits im Bunde mit den Reichswehrgeneralen und den Polizeipräsidenten
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zur blutigen Niederschlagung des Proletariats rüsteten, setzten die
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"linken" Sozialdemokraten alles daran, die Arbeiterschaft wehrlos zu machen,
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sie am Machtkampf zu hindern, sie mit Phrasen abzuspeisen, sie auf die
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"friedlichen", parlamentarischen Kampfformen der Vorkriegszeit
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zurückzudrängen. Aber die Logik von fünf Revolutionsjahren
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war stärker als die Schurkerei der rechten und die Feigheit der linken
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sozialdemokratischen Führer. </p>
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<P>
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Vom Moment des Sturzes der Cuno-Regierung an sprang der Funke
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des Bürgerkrieges durch Deutschland. Schon vorher war an der Ruhr, in
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Hannover, in Oberschlesien, in Bayern und anderen Teilen Deutschlands geschossen
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worden. Jetzt wurde es mit jedem Augenblick klarer, daß eine friedliche
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Entscheidung nicht mehr möglich war. Der erbarmungslose gewaltsame Kampf
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zwischen Klasse und Klasse wurde unvermeidlich. Aus den Streiks wurden
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Zusammenstöße, aus den Kundgebungen wurden blutige Kleinkämpfe
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zwischen Arbeitern und Polizei in Dutzenden deutscher Städte. Es kam
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der Augenblick, von dem Lenin in seinen "Lehren des Moskauer Aufstands" im
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Jahre 1906 sprach: Es zeigte sich, "daß sich der Generalstreik als
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selbständige und hauptsächliche Kampfform überlebt hat, daß
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die Bewegung mit elementarer, unwiderstehlicher Gewalt diesen engen Rahmen
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durchbricht und eine höhere Kampfform, den Aufstand, gebiert". </p>
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<P>
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Diesem Augenblick näherten wir uns im Oktober 1923 mit
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unheimlicher Schnelligkeit. Eine unmittelbar revolutionäre Situation
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war vorhanden. Alle Bedingungen für den Sieg der Arbeiterklasse waren
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da, außer einer einzigen: dem Bestehen einer klaren, eisern
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zusammengeschlossenen, unauflöslich mit den breitesten Massen verbundenen
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kommunistischen Partei, die entschlossen und fähig war, den spontanen
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Kampf der Arbeitermassen zu organisieren, ihn zu leiten. </p>
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Die Führung unserer Partei versagte in der entscheidenden
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Stunde. Der Eintritt führender Kommunisten gemeinsam mit den linken
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Sozialdemokraten in die sächsische Regierung war nur dann richtig, wenn
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dieser Schritt einem einzigen Ziel diente: der Organisierung der Revolution,
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der Bewegung der Massen, der Aufnahme des Kampfes in ganz Deutschland. </p>
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<P>
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Gerade dieses Ziel verlor die damalige Leitung unserer Partei
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aus den Augen. Unsere Führer benutzten ihre Stellung in der
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sächsischen Regierung nicht zur Entfesselung, sondern zur Vermeidung
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des Kampfes. Koalitionspolitik war es nicht, daß sie in die
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sächsische Regierung eintraten, sondern daß sie sich in dieser
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Regierung übertölpeln und führen ließen, anstatt die
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Arbeitermassen in den Kampf gegen die Reichsregierung zu führen. </p>
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Sie vergaßen, daß die Bewegung "in eine höhere
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Kampfform" übergehen mußte. Sie beschränkten sie auf den
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"engen Rahmen", ja sie versuchten sogar, den engen Rahmen der wirtschaftlichen
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und politischen Teilkämpfe noch "enger" zu spannen. Sie gaben den Auftrag,
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bestehende Streikbewegungen abzubrechen, da "der entscheidende Kampf bevorstehe".
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<P>
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Unsere Partei als Ganzes war noch viel zu unreif, um diese
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Fehler der Führung zu verhindern. So scheiterte im Herbst 1923 die
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Revolution am Fehlen einer ihrer wichtigsten Voraussetzungen: dem Bestehen
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einer bolschewistischen Partei. </p>
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Die SACHSENPOLITIK endete mit dem kampflosen Rückzug.
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Die Reichsexekutive, der Einmarsch der weißen Generale, besiegelte
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die Niederlage. </p>
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Ist damit die Geschichte des Oktobers 1923 erschöpft?
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Nein und abermals nein! Man beging noch später mehrfach den Fehler,
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in Resolutionen und Artikeln, ja sogar in Reden vor dem bürgerlichen
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Gericht nur auf Sachsen hinzuweisen, wenn man vom Oktober 1923 sprach. Aber
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es gab nicht nur Sachsen, sondern es gab auch Hamburg! </p>
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HAMBURG bestätigte in größtem Maßstabe
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die Leninsche Lehre, "daß die Bewegung mit elementarer, unwiderstehlicher
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Gewalt diesen engen Rahmen durchbricht und eine höhere Kampfform, den
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Aufstand, gebiert". Der Hamburger Aufstand bildete, wie es in den Thesen
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der Januar-Exekutive von 1924 heißt, den "Gegenpol zu Sachsen". </p>
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<P>
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Diejenigen, die in der Geschichte unserer ganzen Partei bis
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Frankfurt nur Unfähigkeit, Verrat und Opportunismus erblicken, vergessen
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die gewaltige Lehre des Hamburger Kampfes. Sie vergessen, daß die tiefen
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Mitgliedermassen unserer Partei keineswegs in passiver Ohnmacht
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dahindämmerten, sondern daß sie zur Einsetzung ihres Lebens für
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die Erkämpfung der Macht entschlossen waren. Und die Hamburger Arbeiter
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können mit größerem Recht als alle anderen sagen: Es waren
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nicht nur die Hamburger, sondern auch die Berliner, die sächsischen
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und alle anderen kommunistischen Arbeiter in Deutschland, die zum Kampfe
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bereit waren. </p>
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Die Wasserkante hatte die gleiche Entwicklung durchgemacht
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wie das ganze übrige Deutschland. Eine Welle von Streiks und
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Lohnkämpfen jagte durch das ganze Küstengebiet. Am 20. Oktober
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fanden in Hamburg mächtige Arbeitslosendemonstrationen statt. In
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verschiedenen Stadtteilen kam es zur Plünderung von
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Lebensmittelgeschäften und zu blutigen Zusammenstößen mit
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der Polizei. Die Bannmeile wurde seit Jahren zum erstenmal mit Gewalt
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durchbrochen. Am Dienstag, dem 23. Oktober, in der Frühe, Punkt 5 Uhr
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wurden bald in allen Hamburger Außenbezirken die Polizeiwachen von
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revolutionären Kampftrupps überfallen, die Polizeibeamten
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sämtlich entwaffnet. Alle Vorräte an Waffen und Munition aus den
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sechsundzwanzig überrumpelten Polizeiwachen nahmen die revolutionären
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Kampftrupps mit sich. Als das Polizeipräsidium seine Überfallkommandos
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und die von außerhalb bereits herangeholten Verstärkungen entsandte,
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waren die Kampfbezirke in bewaffnete Festungen verwandelt. Hunderte von Arbeitern
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und Arbeiterfrauen bauten in den Straßen Barrikaden. Unsterblich bleibt
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der Ruhm des roten Barmbeck. Die Polizeitruppen marschierten in ganzen Kompanien
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und Bataillonen an, aber sie mußten immer wieder unverrichteter Sache
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umkehren, da ihre Verluste bei jedem Sturmangriff größer wurden.
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Die Barmbecker Arbeiter hatten Bäume gefällt, das Straßenpflaster
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aufgerissen, aus Baumstämmen, Steinen und Sand die
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Straßenzugänge verbarrikadiert. Hinter dieser Schutzwehr
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kämpften sie wie Tiger. </p>
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Die ersten Kampftrupps waren beim Handstreich auf die Polizeiwachen
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unbewaffnet. Sie holten sich die Gewehre und die Munition erst von der Polizei.
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300 Mann standen im Schnell- und Trommelfeuer von 6000 Söldnern der
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Polizei, der Reichswehr und der Marine. Sie standen drei Tage und drei
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Nächte. Sie griffen an, sie fielen, sie wichen zurück, aber sie
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ergaben sich nicht. Sie retteten die Ehre der Kommunistischen Partei
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Deutschlands. Sie waren die Preisfechter der deutschen Arbeiterklasse. </p>
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Hamburg wurde geschlagen. Die Barrikadenkämpfer wurden
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niedergeworfen. Zwar wurden nur wenige getötet, der beste Teil wurde
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gefangen, verfolgt und zersprengt. Noch heute sitzen sie in den
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Zuchthäusern und Festungen. Sie gaben durch ihre heldenmütige
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Verteidigung in den Hamburger Hochverratsprozessen ein Musterbeispiel
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dafür, wie Kommunisten vor den bürgerlichen Klassengerichten auftreten
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sollen. </p>
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Die proletarische Revolution hat mehr als eine blutige Niederlage
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ertragen. Sie ist niemals daran verblutet. Sie ist stärker, stolzer,
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entschlossener weitergeschritten. Die Pariser Kommune wurde niedergetreten.
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Die russische Revolution von 1905 endete an den Galgen des Zaren, in den
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Kerkern, in Sibirien. Und sie erwachte trotzdem aufs neue! Auch Hamburg ist
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nicht tot, sondern Hamburg ist unbesieglich. Neue Aufstände des
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Proletariats, neue Siege der Konterrevolution sind dem deutschen Oktober
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gefolgt. In Polen, in Estland, in Bulgarien standen die Arbeiter auf und
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wurden geschlagen. Und dennoch werden sie siegen! </p>
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<P>
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Die Aufstände des Proletariats sind Etappen auf dem Siegeszuge
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der Revolution nicht nur durch ihre unmittelbaren positiven Resultate, sondern
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vor allem infolge der großen Lehren, die sie der ganzen Arbeiterklasse
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einhämmern.</p>
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<P>
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WAS SIND DIE WICHTIGSTEN LEHREN DES HAMBURGER AUFSTANDES?</p>
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<P>
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1. Eine zahlenmäßig geringe Schar von Proletariern,
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die mit größtem Heldenmut unter dem Banner der Diktatur [des
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Proletariats] gekämpft haben, konnte sich mit Erfolg gegen die zwanzigfache
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Übermacht der glänzend organisierten und bewaffneten Truppen der
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Bourgeoisie militärisch halten.</p>
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<P>
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2. Der unvergängliche Ruhm der Hamburger Oktoberkämpfer
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besteht darin, daß sie in einer revolutionären Situation zu den
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Waffen griffen, obwohl sie den Sieg nicht zu 99 Prozent in der Tasche hatten.
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Der Leninismus lehrt, daß man den Kampf aufnehmen muß, wenn ernste
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Chancen für den Sieg vorliegen. Eine Garantie für den Sieg gibt
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es niemals im voraus. Die Niederlage in einem solchen Kampf ist tausendmal
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fruchtbarer und wertvoller für die Zukunft des Klassenkampfes als ein
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Rückzug ohne Schwertstreich.</p>
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<P>
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3. Der Aufstand führte zur Niederlage, weil er isoliert
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blieb, weil er nicht in Sachsen und im ganzen Reiche sofort unterstützt
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wurde. Mögen die Arbeiter in einem einzelnen Ort mit dem größten
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Heldenmut, getragen von der stärksten Massenbewegung, den Kampf aufnehmen:
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Sie werden geschlagen, wenn nicht das Proletariat im ganzen Lande mit ihnen
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geht. Gerade darin, in der Organisierung und Zusammenfassung der gesamten
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Arbeiterklasse in allen Industriezentren und Großstädten im ganzen
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Lande, besteht DIE ROLLE DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI als Vortrupp des
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Proletariats. Gerade darum brauchen wir eine eiserne, völlig geschlossene,
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restlos verschmolzene, unbedingt disziplinierte Partei.</p>
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<P>
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4. Es ist nicht wahr, daß der Hamburger Aufstand ein
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Putsch war, sondern er wurde von der Sympathie der breitesten Massen getragen.
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|
Sogar der Polizeisenator Hense mußte wütend zugeben, daß
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|
die sozialdemokratischen Arbeiter in Hamburg, dieser rechtesten Organisation
|
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der SPD, und mit ihnen "die weitesten Kreise der Bevölkerung zu den
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||
|
Kommunisten hielten". Unsere Schwäche bestand nur darin, daß wir
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||
|
nicht verstanden, diese Massen fest um uns zu scharen, sie rechtzeitig in
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||
|
allen Teilkämpfen zu uns herüberzuziehen, mit ihnen die Einheitsfront
|
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|
gegen die sozialdemokratischen Führer zu schließen.</p>
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<P>
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|
5. Um bei der unvermeidlich kommenden Wiederkehr des Hamburger
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|
Kampfes in viel größerem Maßstabe siegen zu können,
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|
müssen wir wie ein Keil in die Massen eindringen, sie durch tausend
|
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|
Klammern mit uns vereinigen, eine wirkliche proletarische Einheitsfront mit
|
||
|
Millionen Arbeitern bilden. In den Gewerkschaften, in allen parteilosen
|
||
|
Organisationen der Arbeiterklasse muß ein großer revolutionärer
|
||
|
Flügel heranwachsen, der gemeinsam mit den Kommunisten zum Träger
|
||
|
der kommenden Kämpfe wird. </p>
|
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<P>
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||
|
6. Als besonderer Mangel wurde in den Hamburger Oktobertagen
|
||
|
das Fehlen einer starken Rätebewegung empfunden. Diese Tatsache ist
|
||
|
noch nicht genügend in der Partei verstanden worden. Die Räte sind
|
||
|
die Organe, die in einer revolutionären Situation die Millionenmassen
|
||
|
des Proletariats zusammenfassen, die das Rückgrat des Kampfes bilden.
|
||
|
Diese Lehre dürfen wir auch in der jetzigen Periode zwischen zwei
|
||
|
Revolutionen nicht vergessen.</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
7. Die Machtergreifung des Proletariats ist kein einmaliger
|
||
|
Akt. Sie besteht nicht nur in dem militärischen Kampf gegen die Truppen
|
||
|
der Bourgeoisie, sondern sie muß durch jahrelange, ausdauernde Arbeit
|
||
|
der Kommunistischen Partei und des ganzen Proletariats vorbereitet werden.
|
||
|
Die kommenden Sieger über die Bourgeoisie müssen durch unzählige
|
||
|
Teilkämpfe erzogen, vorbereitet, organisiert werden. Dies ist UNSERE
|
||
|
HAUPTAUFGABE in der jetzigen Periode.</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
8. Es ist falsch, daß durch die Oktoberniederlage von
|
||
|
1923 eine einzigartige revolutionäre Situation ein für allemal
|
||
|
"verpaßt" wurde. Die Niederlage von 1923 war keine dauernde, ebensowenig
|
||
|
wie die Niederlage des Spartakusbundes in den Nosketagen von 1919 eine dauernde
|
||
|
war. Die Stabilisierung des bürgerlichen Deutschlands hat keinen langen
|
||
|
Atem: trotz Dawesplan und Garantiepakt. Besser: wegen Dawesplan und Garantiepakt.
|
||
|
Die kapitalistische Stabilisierung in Deutschland erlebt jetzt ihre erste
|
||
|
"Atemnot". Das große Resultat des Hamburger Aufstandes ist, daß
|
||
|
die Arbeiter den scheinbar unbesieglichen Klassenfeind dreimal vierundzwanzig
|
||
|
Stunden lang in seiner ganzen Schwäche gesehen haben. Zu den Hamburger
|
||
|
Tagen haben die Arbeiter die Bourgeoisie am Rande des Abgrundes gesehen.
|
||
|
Und sie werden diesen Augenblick niemals vergessen! Wir gehen nicht einer
|
||
|
Versumpfung, sondern neuen Kämpfen, wir gehen mit eherner Notwendigkeit
|
||
|
in Deutschland der zweiten Revolution entgegen. Darum gehört der Hamburger
|
||
|
Aufstand nicht "der Geschichte" an, sondern er ist eine Probe für die
|
||
|
Zukunft.</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
9. Der Aufstand war ein Musterbeispiel für die
|
||
|
glänzende, reibungslos arbeitende Organisation des revolutionären
|
||
|
Kampfes. Aber er offenbarte zugleich den größten organisatorischen
|
||
|
Fehler unserer Partei. Die Hamburger Kämpfer besaßen die volle
|
||
|
Sympathie der Arbeiter in den Betrieben, aber sie hatten organisatorisch
|
||
|
keine Verbindung mit ihnen. Es zeigte sich die ganze Unbrauchbarkeit, die
|
||
|
verhängnisvolle Rückständigkeit unserer alten sozialdemokratischen
|
||
|
Wohnorganisation. Die Wahlmaschine taugt nicht für die Barrikaden! Die
|
||
|
schwerste Lücke in der Hamburger Kampffront war das Fehlen kommunistischer
|
||
|
BETRIEBSZELLEN. Eine Kämpferschar wie die Hamburger, die sich auf fest
|
||
|
verwurzelte Zellen in allen Betrieben und auf die Vereinigung der breitesten
|
||
|
Arbeitermassen stützt, wird künftig in einer ähnlichen Situation
|
||
|
unbesiegbar sein.</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
10. Die größte, wertvollste Lehre des Hamburger
|
||
|
Aufstandes ist die großartige Erfüllung der ROLLE DER KOMMUNISTISCHEN
|
||
|
PARTEI IN DER PROLETARISCHEN REVOLUTION. Die Kommunisten waren nicht in Worten,
|
||
|
sondern in der Tat der Vortrupp, die Führung, der Wegweiser der
|
||
|
Arbeiterklasse. Sie gaben der Bewegung ein klar umrissenes Ziel, ein genau
|
||
|
formuliertes Programm: die Diktatur des Proletariats. In dieser Beziehung
|
||
|
steht der Hamburger Kampf auf einer weit höheren Stufe als alle
|
||
|
früheren Bewegungen. Die Märzaktion von 1921 z.B. hält keinen
|
||
|
Vergleich mit dem Hamburger Aufstand aus. Nur weil die Partei die Führung
|
||
|
des Kampfes fest in den Händen hatte, wurde von den Hamburger
|
||
|
Revolutionären zum ersten Male in Westeuropa die Marx-Engelssche Lehre
|
||
|
begriffen und verwirklicht, daß "der Aufstand eine Kunst und daß
|
||
|
die größte Hauptregel dieser Kunst die mit verwegener Kühnheit
|
||
|
und größter Entschlossenheit geführte OFFENSIVE ist."</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
Das sind die wichtigsten Lehren des Hamburger Aufstandes. Das
|
||
|
grausame Lehrgeld, das wir für sie zahlten, waren der Tod und die
|
||
|
Einkerkerung unserer Besten. Und dennoch: Diese Opfer werden sich hundertfach
|
||
|
lohnen. Sie wurden nicht nur für den Aufbau einer Partei von Bolschewisten
|
||
|
in Deutschland, sondern für die Zukunft der ganzen Arbeiterklasse
|
||
|
gebracht.</p>
|
||
|
<P>
|
||
|
Augenblicklich befinden wir uns nicht in der Periode des direkten
|
||
|
Sturmes, des unmittelbaren Kampfes um die Eroberung der Macht. Wir befinden
|
||
|
uns in der Periode zwischen der ersten und der zweiten Revolution. Analysiert
|
||
|
man die Weltlage und die konkrete Situation in Deutschland, so ist es für
|
||
|
jeden ernsthaften Menschen klar, daß die gegenwärtige "Atempause"
|
||
|
nicht lange dauern wird. Wir müssen sie gut ausnutzen, um zu lernen,
|
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unsere Kräfte zu erweitern, uns und die Arbeiterklasse zu schulen, uns
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und die Arbeiterklasse politisch und organisatorisch vorzubereiten auf die
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neuen Hamburger Tage, die in allen Städten Deutschlands eine gewaltige
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Wiederkehr erleben werden.</p>
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Gerade in der jetzigen Periode des geduldigen Kleinkampfes,
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der zähen, langsam wachsenden Teilbewegungen dürfen wir keine Minute
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die Bedeutung und die Lehren des Hamburger Aufstandes vergessen. Unsere Partei
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vollzieht eine entscheidende Umstellung von der Spitze bis in die unterste
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Tiefe. Sie merzt den scheinrevolutionären, wortradikalen Geist aus.
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Sie beseitigt die Reste des Sektierertums, der Massenverachtung in ihren
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eigenen Reihen. Sie ändert ihre Taktik, um sich noch fester, noch enger
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mit den sozialdemokratischen Arbeitern, mit den Massen in den Gewerkschaften
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und in den Betrieben zu verbinden. Sie geht an die völlige Umgestaltung
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ihrer organisatorischen Grundlagen heran. Sie arbeitet an der Schaffung eines
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großen linken Flügels in der Arbeiterbewegung.</p>
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Zur Erfüllung dieser Aufgaben brauchen wir vor allem die
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geduldige, mühselige, hartnäckige Tagesarbeit. Bedeutet das, die
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Politik des Hamburger Aufstandes zu verlassen? Nein! Wenn wir sie verlieren,
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sind wir verloren. Durch den Übergang zur Politik der Massengewinnung
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und der Massenführung schmieden wir die Klassenbasis für einen
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anderen Hamburger Aufstand von ungleich größerem Ausmaß,
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von viel weiterer Tragweite, von noch tieferer historischer Bedeutung, als
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es der erste war.</p>
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Mehr denn je muß in dieser Periode jeder deutsche Kommunist,
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jedes Parteimitglied, jedes Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes,
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jeder revolutionäre Arbeiter stets und unverrückbar das Bild des
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Hamburger Oktoberkämpfers vor Augen haben: kaltblütig, todesverachtend,
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der Sache der Arbeiterklasse grenzenlos ergeben, das Gewehr in der Hand,
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vor sich die Barrikade, zum Empfang des Feindes bereit und den Blick auf
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ein einziges Ziel gerichtet, auf das größte, stolzeste Ziel, das
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es für einen Kommunisten gibt: die Diktatur des Proletariats.</p>
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Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 245 vom 23. Oktober 1925</p>
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