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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Junge Jahre</TITLE>
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<TR>
<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "link1a" --><A HREF="fm03_003.htm"><SMALL>Vorwort</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
</TR>
</TABLE>
<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->7-14<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Erstes Kapitel: Junge Jahre<!-- #EndEditable --></H1>
<hr size="1">
<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 align="center">1. Haus und Schule<A name="Kap_1"></A></H3>
<P><B>|7|</B> Karl Heinrich Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren. &Uuml;ber
seine Abstammung ist wenig bekannt, dank der Verwirrung und Verw&uuml;stung, die
die kriegerischen Zeitl&auml;ufte um die Wende des Jahrhunderts in den rheinischen
Standesregistern angerichtet haben. Wird doch heute noch um das Geburtsjahr Heinrich
Heines gestritten!</P>
<P>Ganz so schlimm steht es nun freilich mit Karl Marx nicht, der in ruhigeren
Zeiten geboren wurde. Aber als vor f&uuml;nfzig Jahren eine Schwester seines Vaters
gestorben war, mit Hinterlassung eines ung&uuml;ltigen Testaments, gelang es allen
gerichtlichen Nachforschungen nach den Intestaterben doch nicht mehr, die Geburts-
und Todestage ihrer Eltern festzustellen, also der Gro&szlig;eltern von Karl Marx.
Der Gro&szlig;vater hie&szlig; Marx Levi, nannte sich sp&auml;ter aber nur Marx
und war Rabbiner in Trier; er soll 1798 gestorben sein und war 1810 jedenfalls
nicht mehr am Leben. Seine Ehefrau Eva, geborene Moses, war 1810 noch am Leben
und soll 1825 gestorben sein.</P>
<P>Von den zahlreichen Kindern dieses Paares widmeten sich zwei gelehrten Berufen:
Samuel und Hirschel. Samuel wurde als Rabbiner in Trier der Nachfolger seines
Vaters, w&auml;hrend sein Sohn Moses als Rabbinatskandidat nach Gleiwitz in Schlesien
verschlagen wurde. Samuel war 1781 geboren und starb 1829. Hirschel, der Vater
von Karl Marx, war 1782 geboren. Er wandte sich der Jurisprudenz zu, wurde Advokatanwalt
und sp&auml;ter Justizrat in Trier, lie&szlig; sich 1824 als Heinrich Marx taufen
und starb 1838. Er war mit Henriette Pre&szlig;burg verheiratet, einer holl&auml;ndischen
J&uuml;din, deren Ahnen nach Angabe ihrer Enkelin Eleanor Marx eine jahrhundertlange
Reihe von Rabbinern aufweisen. Sie starb 1863. Beide hinterlie&szlig;en ebenfalls
eine zahlreiche Familie, doch lebten zur Zeit jener Erbschaftsregulierung, deren
Akten diese genealogischen Notizen verdankt sind, nur noch vier von ihren Kindern:
Karl Marx und drei T&ouml;chter, Sophie als Witwe des Anwalts Schmalhausen in
Maastricht, Emilie als Ehefrau des Ingenieurs Conrady in Trier und Luise als Ehefrau
des Kaufmanns Juta in der Kapstadt.</P>
<P>Seinen Eltern, deren Ehe &uuml;beraus gl&uuml;cklich war, verdankte Karl Marx,
<A NAME="S8"></A><B>|8|</B> n&auml;chst der Schwester Sophie ihr &auml;ltestes
Kind, eine heitere und sorgenfreie Jugend. Wenn seine &raquo;herrlichen Naturgaben&laquo;
in dem Vater die Hoffnung weckten, da&szlig; sie dereinst zum Wohle der Menschheit
dienen w&uuml;rden, so hie&szlig; ihn die Mutter ein Gl&uuml;ckskind, dem alles
wohl unter den H&auml;nden gerate. Doch ist Karl Marx weder, wie Goethe, der Sohn
seiner Mutter, noch, wie Lessing und Schiller, der Sohn seines Vaters gewesen.
Die Mutter ging, bei all ihrer z&auml;rtlichen Sorge f&uuml;r ihren Gatten und
ihre Kinder, ganz in dem Frieden des Hauses auf; sie hat all ihr Lebtag nur ein
mangelhaftes Deutsch gesprochen und an den geistigen K&auml;mpfen ihres Sohnes
keinen Anteil genommen, es sei denn mit der m&uuml;tterlichen Bek&uuml;mmernis,
was aus ihrem Karl wohl h&auml;tte werden k&ouml;nnen, wenn er den rechten Weg
eingeschlagen h&auml;tte. In sp&auml;teren Jahren scheint Karl Marx seinen m&uuml;tterlichen
Verwandten in Holland n&auml;her gestanden zu haben, namentlich einem &raquo;Onkel&laquo;
Philips; er spricht von diesem &raquo;famosen alten Jungen&laquo;, der sich ihm auch in den
N&ouml;ten des Lebens hilfreich erwies, wiederholt mit gro&szlig;er Sympathie.</P>
<P>Jedoch auch der Vater blickte manches Mal mit geheimer Angst auf den &raquo;D&auml;mon&laquo;
in dem Lieblingssohne, obgleich er schon wenige Tage nach Karls zwanzigstem Geburtstage
starb. Nicht die kleinliche und peinliche Sorge des Hausm&uuml;tterchens um das
gedeihliche Fortkommen des Sohnes qu&auml;lte ihn, sondern die dumpfe Ahnung von
der granitenen H&auml;rte eines Charakters, die seinem weichen Wesen v&ouml;llig
fremd war. Jude, Rheinl&auml;nder, Rechtsgelehrter, so da&szlig; er gegen alle
Liebreize des ostelbischen Junkertums dreifach h&auml;tte gepanzert sein m&uuml;ssen,
war Heinrich Marx doch preu&szlig;ischer Patriot, nicht in dem faden Sinne, den
dies Wort heute hat, sondern preu&szlig;ischer Patriot etwa von dem Schlage, wie
ihn die &auml;lteren von uns noch in den Waldeck und Ziegler gekannt haben: mit
b&uuml;rgerlicher Bildung ges&auml;ttigt, in gutem Glauben an die altfritzige
Aufkl&auml;rung, ein &raquo;Ideologe&laquo;, wie sie Napoleon nicht ohne Grund ha&szlig;te.
Was dieser unter &raquo;dem tollen Ausdruck von Ideologie&laquo; verstand, sch&uuml;rte zumal
den Ha&szlig; des Vaters Marx gegen den Eroberer, der den rheinischen Juden die
b&uuml;rgerliche Gleichberechtigung und den rheinischen Landen den Code Napol&eacute;on
geschenkt hatte, ihr eifers&uuml;chtig beh&uuml;tetes, aber von der altpreu&szlig;ischen
Reaktion unabl&auml;ssig angefeindetes Kleinod.</P>
<P>Sein Glaube an den &raquo;Genius&laquo; der preu&szlig;ischen Monarchie ist auch nicht
dadurch ersch&uuml;ttert worden, da&szlig; ihn die preu&szlig;ische Regierung
gezwungen h&auml;tte, um seines Amtes willen seine Religion zu wechseln. Das ist
wiederholt behauptet worden und auch von sonst unterrichteter Seite, anscheinend
um zu rechtfertigen oder doch zu entschuldigen, was weder einer Rechtfertigung
noch auch nur einer Entschuldigung bedarf. Selbst <A NAME="S9"></A><B>|9|</B>
vom rein religi&ouml;sen Standpunkt hatte ein Mann, der mit Locke und Leibniz
und Lessing seinen &raquo;reinen Glauben an Gott&laquo; bekannte, nichts mehr in der Synagoge
zu suchen und fand noch am ehesten einen Unterschlupf in der preu&szlig;ischen
Landeskirche, in der damals ein duldsamer Rationalismus herrschte, eine sogenannte
Vernunftreligion, die selbst auf das preu&szlig;ische Zensuredikt von 1819 abgef&auml;rbt
hatte.</P>
<P>Aber die Lossagung vom Judentum war unter den damaligen Zeitl&auml;uften nicht
nur ein Akt religi&ouml;ser, sondern auch - und vornehmlich - ein Akt sozialer
Emanzipation. An der ruhmvollen Geistesarbeit unserer gro&szlig;en Denker und
Dichter war das Judentum nicht beteiligt gewesen; das bescheidene Licht eines
Moses Mendelssohn hatte seiner &raquo;Nation&laquo; vergebens den Weg in das deutsche Geistesleben
zu erhellen gesucht. Und als just in den Jahren, wo Heinrich Marx zum Christentum
&uuml;bertrat, ein Kreis junger Juden in Berlin die Bestrebungen Mendelssohns
wieder aufnahm, geschah es mit dem gleichen Mi&szlig;erfolge, obgleich sich M&auml;nner
wie Eduard Gans und Heinrich Heine unter ihnen befanden. Gans, der dies Schifflein
steuerte, strich sogar zuerst die Flagge und ging zum Christentum &uuml;ber, und
wenngleich Heine ihm zun&auml;chst einen derben Fluch nachsandte - &raquo;Gestern noch
ein Held gewesen, Ist man heute schon ein Schurke&laquo; -, so war er doch bald darauf
selbst gezwungen, den &raquo;Eintrittsschein zur europ&auml;ischen Kultur&laquo; zu l&ouml;sen.
Beide haben ihren historischen Anteil an der deutschen Geistesarbeit des Jahrhunderts
erworben, w&auml;hrend die Namen ihrer Gef&auml;hrten, die treuer als sie an der
Kultivierung des Judentums arbeiteten, vergessen und verschollen sind.</P>
<P>So ist manches lange Jahrzehnt hindurch der &Uuml;bertritt zum Christentum
f&uuml;r die freien K&ouml;pfe des Judentums ein zivilisatorischer Fortschritt
gewesen. Und nicht anders ist der Religionswechsel zu verstehen, den Heinrich
Marx im Jahre 1824 mit seiner Familie vollzog. M&ouml;glich, da&szlig; auch &auml;u&szlig;ere
Umst&auml;nde nicht die Tat selbst, aber den Zeitpunkt der Tat bestimmt haben.
Die j&uuml;dische G&uuml;terschl&auml;chterei, die in der landwirtschaftlichen
Krisis der zwanziger Jahre einen heftigen Aufschwung nahm, hatte einen ebenso
heftigen Judenha&szlig; auch in den Rheinlanden erregt, und diesen Ha&szlig; mitzutragen
hatte ein Mann von der unantastbaren Redlichkeit des alten Marx weder die Pflicht,
noch auch nur - im Hinblick auf seine Kinder - das Recht. Oder der Tod seiner
Mutter, der in diese Zeit gefallen sein mu&szlig;, hat ihn von einer R&uuml;cksicht
der Piet&auml;t befreit, die ganz seinem Charakter entsprochen h&auml;tte, oder
es mag auch mitgesprochen haben, da&szlig; im Jahre des &Uuml;bertritts sein &auml;ltester
Sohn das schulpflichtige Alter erreicht hatte.</P>
<P><B><A NAME="S10">|10|</A></B> Mag dem so oder anders sein, so besteht daran
kein Zweifel, da&szlig; Heinrich Marx sich die freimenschliche Bildung erarbeitet
hatte, die ihn von aller j&uuml;dischen Befangenheit befreite, und diese Freiheit
hat er seinem Karl als wertvolles Erbe hinterlassen. Nichts in den immerhin zahlreichen
Briefen, die er an den jungen Studenten gerichtet hat, verr&auml;t eine Spur von
j&uuml;discher Art oder Unart, sie sind in einem altv&auml;terischen, sentimental-weitl&auml;ufigen
Tone gehalten, im Briefstil noch des achtzehnten Jahrhunderts, wo der echte deutsche
Mann schw&auml;rmte, wenn er liebte, und polterte, wenn er z&uuml;rnte. Ohne jede
spie&szlig;b&uuml;rgerliche Beschr&auml;nktheit gehen sie willig auf die geistigen
Interessen des Sohnes ein, nur mit entschiedener und durchaus berechtigter Abneigung
gegen dessen Gel&uuml;ste, sich als &raquo;gemeines Poetlein&laquo; aufzutun. Bei allem Schwelgen
in den Gedanken an die Zukunft seines Karl kann sich freilich der alte Herr mit
&raquo;seinen gebleichten Haaren und ein wenig gebeugtem Gem&uuml;t&laquo; doch nicht ganz
des Gedankens entschlagen, ob das Herz dem Kopfe des Sohnes entspreche, ob es
Raum f&uuml;r die irdischen, aber sanfteren Gef&uuml;hle habe, die in diesem Jammertale
den Menschen so wesentlich trostreich seien.</P>
<P>In seinem Sinne waren seine Zweifel wohl berechtigt; die echte Liebe, womit
er den Sohn &raquo;im Innersten seines Herzens&laquo; trug, machte ihn nicht blind, sondern
hellseherisch. Aber wie der Mensch niemals die letzten Folgen seines Tuns zu &uuml;berblicken
vermag, so hat Heinrich Marx nicht daran gedacht und nicht daran denken k&ouml;nnen,
wie er durch das reiche Ma&szlig; b&uuml;rgerlicher Bildung, das er dem S&ouml;hne
als kostbare Mitgift f&uuml;rs Leben gab, doch nur den gef&uuml;rchteten &raquo;D&auml;mon&laquo;
entbinden half, von dem er zweifelte, ob er &raquo;himmlischer&laquo; oder &raquo;faustischer&laquo; Natur
sei. Wieviel hat Karl Marx im Elternhause schon spielend &uuml;berwunden, was
einem Heine oder einem Lassalle die ersten und schwersten Lebensk&auml;mpfe gekostet
hat, K&auml;mpfe, deren Wunden bei beiden niemals v&ouml;llig verharscht sind!</P>
<P>Was die Schule dem heranwachsenden Knaben mitgegeben hat, l&auml;&szlig;t sich
weniger klar erkennen. Karl Marx hat niemals von einem seiner Schulkameraden gesprochen,
und so liegt auch von keinem dieser Kameraden eine Kunde &uuml;ber ihn vor. Fr&uuml;h
genug hat er das Gymnasium seiner Vaterstadt durchlaufen; sein Abiturientenzeugnis
ist vom 24. September [bei Mehring: 25. August] 1835 datiert. Es begleitet den
hoffnungsvollen J&uuml;ngling in &uuml;blicher Weise mit seinen Segensw&uuml;nschen,
mit schablonenhaften Urteilen &uuml;ber die Leistungen in den einzelnen F&auml;chern.
Jedoch hebt es besonders hervor, da&szlig; Karl Marx h&auml;ufig auch die schwierigeren
Stellen der alten Klassiker zu &uuml;bersetzen und zu erkl&auml;ren <A NAME="S11"></A><B>|11|</B>
gewu&szlig;t habe, besonders solche, wo die Schwierigkeit nicht so sehr in der
Eigent&uuml;mlichkeit der Sprache, als in der Sache und dem Gedankenzusammenhange
bestehe; sein lateinischer Aufsatz zeige in sachlicher Hinsicht Reichtum an Gedanken
und tieferes Eindringen in den Gegenstand, sei aber h&auml;ufig mit Ungeh&ouml;rigem
&uuml;berladen.</P>
<P>In der eigentlichen Pr&uuml;fung wollte es mit der Religion nicht gehen, aber
auch mit der Geschichte nicht. Im deutschen Aufsatze jedoch fand sich ein Gedanke,
der den pr&uuml;fenden Lehrern schon als &raquo;interessant&laquo; erschien und uns noch viel
interessanter erscheinen mu&szlig;. Als Thema war gestellt &raquo;Betrachtung eines
J&uuml;nglings bei der Wahl eines Berufs&laquo;. Das Urteil lautete, die Arbeit empfehle
sich durch Gedankenreichtum und gute planm&auml;&szlig;ige Anordnung, sonst verfalle
der Verfasser auch hier in den ihm gew&ouml;hnlichen Fehler, ein &uuml;bertriebenes
Suchen nach einem seltenen, bilderreichen Ausdruck. Dann aber wird w&ouml;rtlich
der Satz hervorgehoben: &raquo;Wir k&ouml;nnen nicht immer den Stand ergreifen, zu dem
wir uns berufen glauben; unsere Verh&auml;ltnisse in der Gesellschaft haben einigerma&szlig;en
schon begonnen, ehe wir sie zu bestimmen imstande sind.&laquo; So k&uuml;ndigte sich
in dem Knaben das erste Wetterleuchten des Gedankens an, den allseitig zu entwickeln
das unsterbliche Verdienst des Mannes werden sollte.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">2. Jenny von Westphalen<A name="Kap_2"></A></H3>
<P>Im Herbste 1833 bezog Karl Marx die Universit&auml;t Bonn, wo er ein Jahr lang
vielleicht weniger Rechtswissenschaft studiert, als sich &raquo;Studierens halber&laquo; aufgehalten
hat.</P>
<P>Unmittelbare Kunde liegt auch &uuml;ber diese Zeit nicht vor, aber so wie sie
sich in den Briefen des Vaters spiegelt, scheint sich das junge Blut ein wenig
ausgesch&auml;umt zu haben. Von einem &raquo;wilden Toben&laquo; schrieb der Alte erst sp&auml;ter
in einer sehr &auml;rgerlichen Stunde; zur Zeit klagte er nur &uuml;ber die &raquo;Rechnungen
&agrave; la Karl, ohne Zusammenhang, ohne Resultat&laquo;, und mit diesen Rechnungen
hat es auch sp&auml;ter bei dem klassischen Theoretiker des Geldes nie recht stimmen
wollen.</P>
<P>Nach dem lustigen Jahre in Bonn sah es vollends einem studentischen Geniestreiche
gleich, als sich Karl Marx, in dem gesegneten Alter von achtzehn Jahren, mit einer
Gespielin seiner Kinderjahre verlobte, einer vertrauten Freundin seiner &auml;lteren
Schwester Sophie, die dem Bunde der jungen Merzen die Wege ebnen half. In der
Tat aber war es der erste und sch&ouml;nste Sieg, den dieser geborene Herrscher
&uuml;ber Menschen <A NAME="S12"></A><B>|12|</B> davontrug; ein Sieg, der dem
eigenen Vater ganz &raquo;unbegreiflich&laquo; erschien, bis er ihm erkl&auml;rlicher wurde
durch die Entdeckung, da&szlig; die Braut auch &raquo;etwas Genialisches&laquo; h&auml;tte
und Opfer zu bringen verst&uuml;nde, deren gew&ouml;hnliche M&auml;dchen nicht
f&auml;hig w&auml;ren.</P>
<P>Wirklich war Jenny von Westphalen ein M&auml;dchen nicht nur von ungew&ouml;hnlicher
Sch&ouml;nheit, sondern auch von ungew&ouml;hnlichem Geist und ungew&ouml;hnlichem
Charakter. Vier Jahre &auml;lter als Karl Marx, stand sie doch erst im Anfange
der zwanziger Jahre; im vollen Schmelz ihre jungen Sch&ouml;nheit war sie viel
gefeiert und viel umworben, und als die Tochter eines hochgestellten Beamten einer
gl&auml;nzenden Zukunft sicher. Alle diese Aussichten opferte sie, wie der alte
Marx meinte, einer &raquo;gefahrvollen und unsicheren Zukunft&laquo;, und er glaubte mitunter
auch an ihr die ahnungsschwere Furcht zu beobachten, die ihn beunruhigte. Aber
er war des &raquo;Engelsm&auml;dchens&laquo;, der &raquo;Zauberin&laquo; so sicher, da&szlig; er den Sohne
zuschwor, kein F&uuml;rst werde sie ihm abwenden.</P>
<P>Die Zukunft gestaltete sich viel gefahrvoller und unsicherer, als Heinrich
Marx in seinen b&auml;ngsten Tr&auml;umen vorhergesehen hatte, jedoch Jenny von
Westphalen, deren Jugendbildnis von kindlicher Anmut strahlt, hat mit dem unbeugsamen
Mut einer Heldin zu dem Mann ihrer Wahl gehalten, mitten in den furchtbarsten
Leiden und Qualen. Nicht vielleicht im hausbackenen Sinne des Wortes hat sie ihm
die schwere Last seines Lebens erleichtert, denn, ein verw&ouml;hntes Kind des
Gl&uuml;ckes, war sie den kleinen Miseren des t&auml;glichen Lebens nicht immer
so gewachsen, wie es eine wetterfeste Proletarierin gewesen sein w&uuml;rde, aber
in dem hohen Sinne, womit sie das Werk seines Lebens erfa&szlig;te, ist sie ihm
eine ebenb&uuml;rtige Gef&auml;hrtin geworden. In allen ihren Briefen soviel ihrer
erhalten sind, weht ein Hauch echter Weiblichkeit; sie war eine Natur im Sinne
Goethes, gleich wahr in jeder Stimmung ihres Gem&uuml;ts, in dem entz&uuml;ckenden
Plauderton heiterer Tage wie in dem tragischen Schmerz der Niobe, der das Elend
ein Kind entri&szlig;, ohne da&szlig; sie ihm auch nur ein bescheidenes Grab betten
konnte. Ihre Sch&ouml;nheit war der Stolz ihres Mannes, und als ihre Geschicke
nahezu schon ein Menschenalter verkettet waren, schrieb er ihr 1863 aus Trier,
wo er zum Begr&auml;bnis seiner Mutter weilte: &raquo;Ich bin t&auml;glich zum alten
Westphalenhause gewallfahrtet (in der R&ouml;merstra&szlig;e), das mich mehr interessiert
hat als alle r&ouml;mischen Altert&uuml;mer, weil es mich an die gl&uuml;ckliche
Jugendzeit erinnert und meinen besten Schatz barg. Au&szlig;erdem fragt man mich
t&auml;glich, links und rechts, nach dem quondam &#155;sch&ouml;nsten M&auml;dchen
von Trier&#139; und der &#155;Ballk&ouml;nigin&#139;. Es ist verdammt angenehm f&uuml;r einen
Mann, wenn seine Frau in der Phantasie einer ganzen Stadt so als &#155;verwunschene
<A NAME="S13"></A><B>|13|*</B> Prinzessin&#139; fortlebt.&laquo; So auch hat der sterbende
Mann, wie fremd ihm immer alle Sentimentalit&auml;t geblieben ist, in wehm&uuml;tig
ersch&uuml;tterndem Ton von dem sch&ouml;nsten Teil seines Lebens gesprochen,
der ihm in dieser Frau beschlossen gewesen sei.</P>
<P>Die jungen Leute verlobten sich zun&auml;chst, ohne die Eltern der Braut zu
fragen, was seinem gewissenhaften Vater nicht geringe Bedenken erregte. Aber nicht
lange danach gaben auch sie ihre Zustimmung. Der Geheime Regierungsrat Ludwig
von Westphalen geh&ouml;rte trotz seines Namens und Titels weder zum ostelbischen
Junkertum noch zur altpreu&szlig;ischen B&uuml;rokratie. Sein Vater war jener
Philipp Westphalen, der zu den merkw&uuml;rdigsten Gestalten der Kriegsgeschichte
z&auml;hlt. B&uuml;rgerlicher Geheimsekret&auml;r des Herzogs Ferdinand von Braunschweig,
der im siebenj&auml;hrigen Kriege an der Spitze eines bunt zusammengew&uuml;rfelten,
von englischem Gelde besoldeten Heeres das westliche Deutschland erfolgreich vor
den Eroberungsgel&uuml;sten Ludwigs XV. und seiner Pompadour sch&uuml;tzte, hatte
sich Philipp Westphalen zum tats&auml;chlichen Generalstabschef des Herzogs zu
machen verstanden, allen deutschen und englischen Generalen des Heeres zum Trotz.
Seine Verdienste waren so anerkannt, da&szlig; ihn der K&ouml;nig von England
zum Generaladjutanten von der Armee ernennen wollte, was Philipp Westphalen jedoch
ablehnte. Nur soweit mu&szlig;te er seinen b&uuml;rgerlichen Sinn z&auml;hmen,
da&szlig; er den Adel &raquo;genehmigte&laquo;: aus &auml;hnlichen Gr&uuml;nden, wie sich
ein Herder oder Schiller zu dieser Erniedrigung bequemen mu&szlig;te: um die Tochter
einer schottischen Baronsfamilie heiraten zu k&ouml;nnen, die im Feldlager des
Herzogs Ferdinand erschienen war, zum Besuch ihrer mit einem General der englischen
Hilfstruppen verm&auml;hlten Schwester.</P>
<P>Ein Sohn dieses Paares war Ludwig von Westphalen. Hatte er von seinem Vater
einen historischen Namen geerbt, so reichte auch die Ahnenreihe der Mutter zu
gro&szlig;en historischen Erinnerungen herauf; einer ihrer Vorfahren in gerade
aufsteigender Linie hatte im Kampfe f&uuml;r die Einf&uuml;hrung der Reformation
in Schottland den Scheiterhaufen bestiegen, ein anderer, der Earl Archibald Argyle,
war als Rebeller im Freiheitskampfe gegen Jakob II. auf dem Marktplatze in Edinburgh
enthauptet worden. Mit solchen Familien&uuml;berlieferungen entwuchs Ludwig von
Westphalen von vornherein den Dunstkreisen des bettelstolzen Junkertums und der
d&uuml;nkelhaften B&uuml;rokratie. Urspr&uuml;nglich in braunschweigischen Diensten,
hatte er sich nicht bedacht, diese Dienste fortzusetzen, als das kleine Herzogtum
von Napoleon zum K&ouml;nigreich Westfalen geschlagen worden war, da ihm offenbar
weniger an dem angestammten Welfen lag als an den Reformen, mit denen die franz&ouml;sische
<A NAME="S14"></A><B>|14|</B> Eroberung die verrotteten Zust&auml;nde seines Heimatl&auml;ndchens
heilte. Der Fremdherrschaft selbst blieb er deshalb nicht weniger abgeneigt und
hatte im Jahre 1813 die harte Hand des Marschalls Davoust zu sp&uuml;ren. Vor
Landrat in Salzwedel, wo ihm seine Tochter Jenny am 12. Februar 1814 geboren wurde,
war er dann zwei Jahre sp&auml;ter als Rat an die Regierung in Trier versetzt
worden; im ersten Eifer besa&szlig; der preu&szlig;ische Staatskanzler Hardenberg
noch die Erkenntnis, da&szlig; die t&uuml;chtigsten, von junkerlichen Schrullen
freiesten K&ouml;pfe in die neugewonnenen Rheinland geworfen werden m&uuml;&szlig;ten,
die mit ihrem Herzen immer noch an Frankreich hingen.</P>
<P>Karl Marx hat Zeit seines Lebens von diesem Manne mit gr&ouml;&szlig;ter Anh&auml;nglichkeit
und Dankbarkeit gesprochen. Nicht nur als sein Schwiegersohn, hat er ihn seinen
&raquo;teuren, v&auml;terlichen Freund&laquo; genannt und ihn seiner &raquo;kindlichen Liebe&laquo; versichert.
Westphalen konnte ganze Ges&auml;nge Homers vom Anfang bis zum Ende hersagen;
er kannte die meisten Dramen Shakespeares englisch wie deutsch auswendig; aus
dem &raquo;alten Westphalenhause&laquo; holte sich Karl Marx viele Anregungen, die ihm das
eigne Haus nicht bieten konnte und noch viel weniger die Schule. Er selbst ist
schon von fr&uuml;h auf ein Liebling Westphalens gewesen, der seine Einwilligung
in die Verlobung auch in der Erinnerung an die gl&uuml;cklich Ehe der eignen Eltern
gegeben haben mag; im Sinne der Welt hatte die Tochter der altadeligen Baronsfamilie
ebenfalls eine schlechte Partie gemacht, als sie sich mit dem armen b&uuml;rgerlichen
Geheimsekret&auml;r verband.</P>
<P>In dem &auml;ltesten Sohne Ludwig von Westphalens ist die Gesinnung des Vaters
nicht lebendig geblieben. Er war ein b&uuml;rokratischer Streber und schlimmeres
als das; in der Reaktionszeit der f&uuml;nfziger Jahre hat er als preu&szlig;ischer
Minister des Innern die feudalen Anspr&uuml;che des verstocktesten Zaunjunkertums
sogar gegen den Ministerpr&auml;sidenten Manteuffel vertreten, der immerhin ein
gewitzter B&uuml;rokrat war. Mit seiner Schwester Jenny hat dieser Ferdinand von
Westphalen in keinen engeren Beziehungen gestanden, zumal da er f&uuml;nfzehn
Jahre &auml;lter als sie und auch nur, als Sohn aus einer ersten Ehe des Vaters,
ihr Halbbruder war.</P>
<P>Ihr echter Bruder war dagegen Edgar von Westphalen, der nach links von den
Pfaden des Vaters abwich wie Ferdinand nach rechts. Er ha gelegentlich die kommunistischen
Kundgebungen seines Schwagers Marx mitunterzeichnet. Ein steter Gef&auml;hrte
ist er ihm freilich nicht geworden; er ging &uuml;ber das gro&szlig;e Wasser,
hatte dort wechselnde Schicksale, kehrte zur&uuml;ck, tauchte bald hier, bald
dort auf, ein rechter Wildling, wo man von ihm h&ouml;rt. Aber ein treues Herz
hat er immer f&uuml;r Jenny und Karl Marx gehabt, und sie haben ihren ersten Sohn
nach ihm genannt.</P>
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<P><SMALL>Pfad: &raquo;../fm/fm03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
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Mehring</SMALL></A></TD>
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