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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>"Neue Rheinische Zeitung" - Lassalle</TITLE>
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<BODY BGCOLOR="#fffffc">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me06_314.htm"><FONT SIZE=2>Die Thronrede</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="../me_nrz49.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me06_323.htm"><FONT SIZE=2>Ruge</FONT></A></P>
<SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 320-322<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</SMALL></P>
<FONT SIZE=5><P>Lassalle</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P>["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 237 vom 4. M&auml;rz 1849]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S320">&lt;320&gt;</A></B> *<I>K&ouml;ln 3. </I>M&auml;rz. Man erinnert sich noch jener famosen Prozedur: Ein ungl&uuml;ckliches M&auml;dchen wurde wegen <I>Kindermordes </I>vor die <I>Assisen </I>gestellt. Die Jurys sprachen sie frei. Sp&auml;ter zitierte man sie wegen <I>verheimlichter Schwangerschaft </I>vor das Zuchtpolizeigericht. Unter allgemeinem Gel&auml;chter des Publikums wurde das Verweisungsurteil der Ratskammer kassiert.</P>
<P>Die Ratskammer zu D&uuml;sseldorf tritt in die Fu&szlig;stapfen ihrer ber&uuml;hmten Vorg&auml;ngerin.</P>
<P>Durch Beschlu&szlig; der Ratskammer zu D&uuml;sseldorf vom 22. Febr. sind <I>Lassalle</I>, <I>Cantador </I>und <I>Weyers wegen aufr&uuml;hrerischer Reden vor die Assisen </I>verwiesen. Wir haben nichts dagegen. Aber durch Beschlu&szlig; derselben Ratskammer ist <I>Lassalle </I>auch noch <I>zweitens </I>vor das <I>Zuchtpolizeigericht </I>gewiesen, weil er in einer <I>Rede zu Neu&szlig; </I>zu <I>"gewaltsamem Widerstand gegen Beamte" </I>(Verbrechen gegen Art. 209, 217) aufgefordert haben soll.</P>
<P>Konstatieren wir vor allem die Tatsache.</P>
<P>Unter den Umst&auml;nden, welche Lassalles Verweisung vor die Assisen motivieren, befindet sich <I>dieselbe Rede zu Neu&szlig;</I>. Die Ratskammer gibt an, er habe in dieser Rede zur <I>"Bewaffnung gegen die landesherrliche Gewalt aufgefordert"</I>. (Verbrechen gegen Art. 87, 91, 102.)</P>
<P>Auf <I>Grund derselben Rede </I>hin wird Lassalle also das eine Mal vor die Assisen, das andre Mal vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen. Spricht ihn die Jury frei, so verurteilt ihn das Zuchtpolizeigericht. Verurteilt ihn das Zuchtpolizeigericht nicht, so bleibt er jedenfalls in provisorischer Haft, bis das Zuchtpolizeigericht ihn freigesprochen hat. Das Urteil der Geschworenen mag ausfallen wie es will - er bleibt seiner Freiheit beraubt, und der preu&szlig;ische Staat ist gerettet.</P>
<P>Es ist, wir wiederholen es, <I>ein und dieselbe Rede</I>, auf Grund deren Lassalle <A NAME="S321"><B>&lt;321&gt;</A></B> von der D&uuml;sseldorfer Ratskammer das eine Mal vor die Assisen, das andre Mal vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen wird. Es ist <I>dieselbe </I>Tatsache.</P>
<P>Abgesehen davon.</P>
<P>Wenn ich in einer Rede zur "Bewaffnung gegen die landesherrliche Gewalt auffordere", versteht es sich nicht von selbst, da&szlig; ich zum "gewaltsamen Widerstand gegen Beamte" auffordere? Das <I>Dasein </I>der landesherrlichen Gewalt, das sind ja eben ihre <I>Beamte</I>, Armee, Administration, Richter. Abgesehen von diesem ihrem K&ouml;rper ist sie ein Schatten, eine Einbildung, ein Name. Der Sturz der Regierung ist unm&ouml;glich ohne gewaltsame Widersetzlichkeit gegen ihre Beamten. Fordere ich in einer Rede zur <I>Revolution </I>auf, so ist &uuml;berfl&uuml;ssig hinzuzuf&uuml;gen: <I>"Widersetzt euch gewaltsam den Beamten." </I>Nach dem Vorgange der D&uuml;sseldorfer Ratskammer k&ouml;nnte man also <I>jeden</I>, ohne Ausnahme, den man auf Grund der Art. 87, 102 wegen Aufreizung zum Sturz der Regierung vor die Assisen verweist, hinterher auf Grund der Art. 209, 217 vor das Zuchtpolizeigericht verweisen.</P>
<P>Und existiert nicht irgendwo im Code d'instruction criminelle ein Artikel, der folgenderma&szlig;en lautet:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Toute personne acquitt&eacute;e l&eacute;galement ne pourra plus &ecirc;tre reprise ni accus&eacute;e &agrave; raison du m&ecirc;me d&eacute;lit"? Zu <I>deutsch</I>: "Niemand, der gesetzlich freigesprochen ist, kann wegen desselben Vergehens jemals wieder in Anspruch genommen noch angeklagt werden."</P>
</FONT><P>Es &auml;ndert aber nichts an der Sachlage, ob man mich <I>nach </I>dem freisprechenden Urteil der Jury wegen desselben Vergehens <I>hinterher </I>vor das Zuchtpolizeigericht zitiert oder ob man das Urteil der Jury <I>von vornherein </I>kassiert, indem man mich von vornherein 1. an die Assisen verweist und 2. an das Zuchtpolizeigericht wegen desselben Vergehen.</P>
<P>Wir fragen die Ratskammer zu D&uuml;sseldorf, ob ihr patriotischer Eifer ihren juristischen Scharfsinn nicht &uuml;bert&ouml;lpelt hat? Wir fragen den Instruktionsrichter <I>Ebermeier</I>, ob er ganz frei von <I>pers&ouml;nlicher Feindschaft </I>gegen Lassalle ist? Wir fragen endlich einen Beamten des D&uuml;sseldorfer Parquets, ob er nicht ge&auml;u&szlig;ert hat: " An der Freisprechung des Cantador und Weyers liegt uns nicht viel, den Lassalle aber m&uuml;ssen wir jedenfalls behalten."</P>
<P>Wir zweifeln, ob Lassalle dieselbe Neigung hat, in dem Inventarium der par excellence &lt;im wahrsten Sinne des Wortes&gt; <I>"Staatsangeh&ouml;rigen" </I>f&uuml;r undenkliche Zeit aufgef&uuml;hrt zu werden.</P>
<P>Der schwebende Fall ist nicht nur wichtig f&uuml;r uns, weil es sich um die Freiheit und das Recht eines Mitb&uuml;rgers, eines unsrer Parteifreunde handelt. Er <A NAME="S322"><B>&lt;322&gt;</A></B> ist vor allem wichtig, weil es sich darum handelt, ob die ausschlie&szlig;liche Kompetenz des <I>Geschwornengerichts f&uuml;r politische Verbrechen </I>das Schicksal aller sogen. <I>M&auml;rzerrungenschaften </I>teilen soll oder nicht, ob es dem Gutd&uuml;nken der besoldeten Roben anheimgestellt bleibt, das unbesoldete Geschwornengericht zu einem blo&szlig;en Scheingericht herabzuw&uuml;rdigen, indem sie dieselbe Tatsache, f&uuml;r den Fall, da&szlig; sie nicht als politisches Verbrechen oder Vergehen von den Jurys anerkannt w&uuml;rde, zugleich als gew&ouml;hnliches Vergehen dem Urteil des Zuchtpolizeigerichts unterwirft. Warum hat man &uuml;berhaupt Verbrechen und Vergehen den ordentlichen Gerichten entzogen und Geschwornengerichten &uuml;berwiesen? Man hat offenbar, trotz der Ehre und Delikatesse der besoldeten Richter, vorausgesetzt, da&szlig; sie in politischen Prozessen alles vertreten, nur nicht das Interesse des Angeklagten.</P>
<P>Wir werden auf das Thema zur&uuml;ckkommen. &lt;Siehe <A HREF="me06_444.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 283, "Lassalle"</A>, <A HREF="me06_454.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 287, "Lassalle"</A> und <A HREF="me06_462.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 288, "Lassalle"</A>&gt;</P>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben von Karl Marx.</P>
</FONT>
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