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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Algerien</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me14_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Aufs&auml;tze f&uuml;r "The New American Cyclop&aelig;dia"</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 95-106.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 22.08.1998.</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H2>Algerien</H2>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben um den 15. September 1857.<BR>
Aus dem Englischen. </P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P><A NAME="S95">["The New American Cyclop&aelig;dia", Band I]</P>
</FONT><B><P>&lt;95&gt;</A></B> <I>Algerien - </I>ein Teil Nordafrikas, ehemals das t&uuml;rkische Paschalik Algier, doch seit 1830 zu den &uuml;berseeischen Herrschaftsgebieten Frankreichs z&auml;hlend. Es wird im Norden vom Mittelmeer begrenzt, im Osten von Tunis, im Westen von Marokko und im S&uuml;den von der Gro&szlig;en Sahara. Die gr&ouml;&szlig;te L&auml;ngenausdehnung von Osten nach Westen betr&auml;gt 500 Meilen, die gr&ouml;&szlig;te Breite von Norden nach S&uuml;den 200 Meilen. Die Gebirgskette des Atlas ist eines der hervorragenden nat&uuml;rlichen Merkmale des Landes und trennt das Ackerland an der Meeresk&uuml;ste von der W&uuml;ste. Sie bildet auch die Wasserscheide dieses Gebietes nach Norden und S&uuml;den. Die Hauptkette des Gebirges verl&auml;uft von Osten nach Westen, doch ist das ganze Gebiet mit Ausl&auml;ufern der zentralen Bergkette in allen Richtungen durchzogen. Der h&ouml;chste der im westlichen Teil gelegenen Berge ist der Mount Wanaschris, der Mons Zalacus des Ptolem&auml;us; im &ouml;stlichen Teil sind es der Dschurdschura und der Aur&egrave;s. Diese Berge erreichen eine H&ouml;he von fast 7.000 Fu&szlig;. Der bedeutendste Flu&szlig; ist der Schiliff. Es gibt auch Fl&uuml;sse von ansehnlicher Gr&ouml;&szlig;e, die an der S&uuml;dseite des Atlas entspringen und in der W&uuml;ste versiegen. Keiner dieser Fl&uuml;sse ist schiffbar. Im Sommer sind sie fast ausgetrocknet, im Fr&uuml;hling aber &uuml;berfluten sie eine betr&auml;chtliche Landfl&auml;che und machen den Boden fruchtbar.</P>
<P>Das Klima wird von einigen Reisenden als gesund angesehen. Augenentz&uuml;ndungen und Hautkrankheiten sind weit verbreitet. Angeblich gibt es in Algerien keine endemischen Fiebererkrankungen, aber die gro&szlig;e Anzahl der franz&ouml;sischen Truppen, die den Seuchen erlagen, lassen offensichtlich eine andere Schlu&szlig;folgerung zu. Die Atmosph&auml;re ist rein und klar, und der Sommer ist sehr hei&szlig;; im Winter erlebt man gelegentlich, besonders im Bergland, eine sehr rauhe Witterung. Am Rande der W&uuml;ste ist der Boden unfruchtbar und sandig, doch zwischen den bergigen Gegenden ist er fruchtbar, besonders in der N&auml;he der Fl&uuml;sse; Getreide aller Art, <A NAME="S96"><B>&lt;96&gt;</A></B> europ&auml;isches Obst und S&uuml;dfr&uuml;chte, Blumen, vor allem Rosen von bemerkenswerter Sch&ouml;nheit, und eine Sorte Zuckerrohr, welche die gr&ouml;&szlig;te und ertragreichste aller bekannten Sorten sein soll, gedeihen in Algerien. Haustiere aller Arten gibt es die Menge. Die Pferde sind ohne Frage vortrefflich, die Esel haben einen sch&ouml;nen Wuchs und werden vielfach als Reittiere verwendet. Das algerische Kamel und das Dromedar sind ganz hervorragend. Das Merino-Schaf - und Spanien wurde damit zuerst aus Algerien versorgt -, ist hier heimisch, ebenso der numidische L&ouml;we, der Panther und der Leopard. Strau&szlig;e, Schlangen, Skorpione sowie andere giftige Reptilien gibt es im Lande im &Uuml;berflu&szlig;.</P>
<P>Die Berber, Kabylen oder Mazigh - unter diesen drei Bezeichnungen sind sie bekannt - sollen die Ureinwohner Algeriens sein. Von ihrer Stammesgeschichte ist wenig mehr bekannt, als da&szlig; sie einst ganz Nordwestafrika bewohnten und auch an der Ostk&uuml;ste zu finden sind. Die Kabylen leben in den Gebirgsgegenden. Die anderen Einwohner sind Araber, die Nachkommen der mohammedanischen Eroberer, sowie Mauren, T&uuml;rken, Kulugli, Juden und Neger und schlie&szlig;lich Franzosen. Die Bev&ouml;lkerungszahl im Jahre 1852 betrug 2.078.035, wovon 134.115 Europ&auml;er aller Nationen waren, neben einer Armee von 100.000 Mann. Die Kabylen sind ein flei&szlig;iger Volksstamm, sie leben in regelrechten D&ouml;rfern, sind ausgezeichnete Ackerbauern und arbeiten in Bergwerken, bei der Metallbearbeitung und in Werkst&auml;tten f&uuml;r Rohwolle und Baumwolle. Sie stellen Schie&szlig;pulver und Seife her, sammeln Honig und Wachs und versorgen die St&auml;dte mit Gefl&uuml;gel, Obst und anderen Nahrungsmitteln. Die Araber folgen den Sitten ihrer Vorfahren, sie f&uuml;hren ein Nomadenleben und verlegen ihre Lager von Ort zu Ort, je nach den Erfordernissen der Weidegr&uuml;nde oder anderen Notwendigkeiten. Die Mauren sind wahrscheinlich von allen Einwohnern die am wenigsten angesehenen. Sie wohnen in den St&auml;dten und f&uuml;hren ein &uuml;ppigeres Leben als die Araber oder die Kabylen. Infolge st&auml;ndiger Unterdr&uuml;ckung durch ihre t&uuml;rkischen Herrscher sind sie furchtsam, haben sich aber dennoch ihre Grausamkeit und Rachsucht erhalten und stehen in moralischer Beziehung auf sehr niedriger Stufe.</P>
<P>Die wichtigsten St&auml;dte Algeriens sind die Hauptstadt Algier, Constantine, mit einer Bev&ouml;lkerung von etwa 20.000 Menschen, und Bona, eine befestigte Stadt an der Meeresk&uuml;ste, die 1847 etwa 10.000 Einwohner z&auml;hlte. In der N&auml;he dieser Stadt befinden sich die Pl&auml;tze der Korallenfischerei, die von den Fischern aus Frankreich und Italien aufgesucht werden. Bougie liegt am Golf gleichen Namens. Die Inbesitznahme dieses Ortes wurde durch die Ausschreitungen der Kabylen in der Nachbarschaft beschleunigt, <A NAME="S97"><B>&lt;97&gt;</A></B> die eine franz&ouml;sische Brigg zum Stranden brachten, indem sie ihr Ankertau durchschnitten, sie dann pl&uuml;nderten und die Besatzung niedermachten.</P>
<P>Im Innern Algeriens, besonders in der Provinz Constantine, befinden sich noch &Uuml;berreste aus dem Altertum, unter anderen die Ruinen der antiken Stadt Lambessa; erhalten sind &Uuml;berreste der Stadttore, Teile eines Amphitheaters und ein Mausoleum, das von korinthischen S&auml;ulen getragen wird. An der K&uuml;ste liegen Coleah und Scherschel, das alte Julia Caesarea, ein Ort von einiger Bedeutung f&uuml;r die Franzosen. Es war dies die Residenz von Juba, und in seiner Umgebung befinden sich antike &Uuml;berreste. Oran ist eine befestigte Stadt. Sie blieb bis 1792 im Besitz der Spanier. Tlemcen, seinerzeit die Residenz Abd el Kaders, liegt in einer fruchtbaren Gegend; die alte Stadt wurde 1670 durch Feuer und die neue Stadt fast ganz von den Franzosen zerst&ouml;rt. In ihren Mauern werden Teppiche und Wolldecken hergestellt. S&uuml;dlich des Atlas liegt das Zaab, das alte Gaetulia. Der Hauptort ist Biskra; dessen Einwohner sind friedfertige Leute und sehr beliebt in den n&ouml;rdlichen H&auml;fen als Hausknechte und Packtr&auml;ger.</P>
<P>Algerien ist nacheinander von den R&ouml;mern, den Vandalen und den Arabern erobert worden. Als die Mauren 1492 aus Spanien vertrieben wurden, schickte Ferdinand eine Expedition nach Algerien und drohte nach der Einnahme von Oran, Bougie und Algier mit der Unterwerfung des ganzen Landes. Selim Eutemi, der Emir der Metidschah, einer fruchtbaren Ebene in der N&auml;he von Algier, war nicht in der Lage, es mit dem m&auml;chtigen Eindringling aufzunehmen, und bat die T&uuml;rken um Unterst&uuml;tzung, die ihm daraufhin den ber&uuml;chtigten Korsaren Barbarossa Horuk zu Hilfe sandten. Horuk landete 1516, und nachdem er sich zum Herrn des Landes gemacht und Selim Eutemi mit eigener Hand erschlagen hatte, griff er die Spanier an. Nach Kriegshandlungen mit wechselndem Gl&uuml;ck mu&szlig;te er sich jedoch nach Tlemcen zur&uuml;ckziehen. Die Stadt wurde durch eine spanische Armee belagert, er selbst gefangengenommen und 1518 hingerichtet. Horuks Bruder Cheireddin wurde sein Nachfolger. Er wandte sich um Hilfe an Sultan Selim I. und erkannte diesen F&uuml;rsten als seinen Souver&auml;n an. Demzufolge ernannte ihn Selim zum Pascha von Algier und sandte ihm Truppen, mit denen er die Spanier zur&uuml;ckschlagen und sich schlie&szlig;lich zum Herrn des Landes machen konnte. Seine Unternehmungen gegen die Christen im Mittelmeer brachten ihm von Suleiman I. die W&uuml;rde eines Kapudan-Paschas ein. Karl V. machte einen Versuch, die spanische Herrschaft wiederherzustellen, und 1541 setzte eine starke Expedition von 370 Schiffen und 30.000 Mann &uuml;ber das Mittelmeer. Aber ein schrecklicher Sturm und ein Erdbeben zerstreuten die Flotte und schnitten alle Verbindungen <A NAME="S98"><B>&lt;98&gt;</A></B> zwischen ihr und der Armee ab. Schutzlos den zerm&uuml;rbenden Angriffen eines wagemutigen Feindes ausgesetzt, mu&szlig;ten die Truppen sich wieder einschiffen und unter Verlust von 8.000 Mann, 15 Kriegsschiffen und 140 Transportschiffen die Flucht ergreifen. Von dieser Zeit an gab es endlose Feindseligkeiten zwischen den Barbareskenstaaten und den Malteser-Rittern; hieraus entsprang jenes System der Seer&auml;uberei, das die algerischen Korsaren im Mittelmeer so gef&uuml;rchtet machte und dem sich die christlichen M&auml;chte so lange unterwarfen. Die Engl&auml;nder unter Blake, die Franzosen unter Duquesne, die Holl&auml;nder und andere M&auml;chte griffen Algier zu verschiedenen Zeitpunkten an; nachdem Duquesne die Stadt zweimal bombardiert hatte, sandte der Dei nach dem franz&ouml;sischen Konsul Ludwigs XIV., und, nachdem er von ihm die Kosten des Bambardements erfahren hatte, sagte der Dei sp&ouml;ttisch, da&szlig; er f&uuml;r die H&auml;lfte dieses Geldes selbst die Stadt niedergebrannt h&auml;tte.</P>
<P>Trotz des st&auml;ndigen Widerstandes der europ&auml;ischen M&auml;chte wurde das Kaperunwesen fortgesetzt; und selbst die K&uuml;sten Spaniens und Italiens wurden manchmal von den Desperados heimgesucht, die dieses schreckliche Gewerbe - Krieg und Pl&uuml;nderung - weiter fortf&uuml;hrten. Tausende christlicher Sklaven schmachteten st&auml;ndig in algerischer Gefangenschaft, und Gesellschaften frommer M&auml;nner wurden gebildet, deren ausdr&uuml;ckliches Ziel es war, Jahr f&uuml;r Jahr zwischen Europa und Algier hin und her zu fahren, um die Gefangenen mit den Summen loszukaufen, die ihnen von deren Verwandten anvertraut worden waren. Inzwischen war die Oberhoheit der t&uuml;rkischen Regierung auf den blo&szlig;en Namen reduziert worden. Die Deis wurden durch die Janitscharen gew&auml;hlt und hatten ihre Unabh&auml;ngigkeit von der Pforte verk&uuml;ndet. Der letzte t&uuml;rkische Pascha war 1705 von Dei Ibrahim vertrieben worden; in st&uuml;rmischen Wahlen ernannten die Janitscharen neue Anf&uuml;hrer, die sie oft im Verlaufe von Meutereien ermordeten. Die Janitscharen wurden aus den Kreisen t&uuml;rkischer Einwanderer geworben, und kein Eingeborener wurde in ihre Reihen aufgenommen, selbst wenn es sich um S&ouml;hne von Janitscharen mit eingeborenen Frauen handelte. Der Dei sandte gelegentlich Geschenke nach Konstantinopel als Zeichen seiner nominellen Untertanentreue, doch wurde jedweder regelm&auml;&szlig;ige Tribut eingestellt, und die T&uuml;rken, durch ihre st&auml;ndigen K&auml;mpfe mit den Russen behindert, waren zu schwach, um die Rebellen einer weit entfernten Provinz zu z&uuml;chtigen. Es war der jungen Republik der Vereinigten Staaten vorbehalten, den Weg zur Abschaffung der ungeheuerlichen Tyrannei zu weisen. W&auml;hrend der Kriege der Franz&ouml;sischen Revolution und der napoleonischen Feldz&uuml;ge hatten die starken Flotten im <A NAME="S101"><B>&lt;101&gt;</A></B> Mittelmeer den Handel gesch&uuml;tzt, und die Algerier waren gezwungen gewesen, zeitweilig ihre ungesetzlichen Eintreibungen einzustellen. Nach der Wiederherstellung des Friedens nahmen die Algerier ihre Raubz&uuml;ge wieder auf; doch die Amerikaner, die 1795 noch gezwungen waren, dem Beispiel europ&auml;ischer Nationen zu folgen und dem Dei Subsidien f&uuml;r die Aufrechterhaltung des Friedens zu zahlen, verweigerten jetzt den Tribut. 1815 bem&auml;chtigte sich der Kommodore Decatur bei einem Kampf mit einem algerischen Geschwader einer Fregatte und einer Brigg und segelte in die Bucht von Algier, wo er den Dei zwang, alle amerikanischen Gefangenen auszuliefern und jedem k&uuml;nftigen Anspruch auf Tribut zu entsagen. Diesem k&uuml;hnen Beispiel folgten die Engl&auml;nder, die 1816 unter Lord Exmouth die Stadt bombardierten, sie in Asche legten und so den Dei zwangen, seine Gefangenen herauszugeben. Dies war jedoch nur eine Bestrafung, denn die Freibeuterei h&ouml;rte damit nicht auf; noch 1826 kaperten die Algerier ganz offen italienische Schiffe im Mittelmeer und dehnten ihre Streifz&uuml;ge sogar bis in die Nordsee aus. 1818 ging die Herrschaft an Hussein-Bei &uuml;ber. Als 1823 der Wohnsitz des franz&ouml;sischen Konsuls gepl&uuml;ndert und verschiedentlich Gewalttaten gegen Schiffe ver&uuml;bt wurden, die unter franz&ouml;sischer Flagge segelten, wurde Genugtuung verlangt, jedoch ohne Erfolg. Schlie&szlig;lich beleidigte der Dei von Algier pers&ouml;nlich den franz&ouml;sischen Konsul und bediente sich respektloser Ausdr&uuml;cke gegen den K&ouml;nig von Frankreich, der einen Brief nicht beantwortete, den der Dei wegen einer Schuld der franz&ouml;sischen Regierung an j&uuml;dische Kaufleute geschrieben hatte, die ihrerseits bei Hussein verschuldet waren. Um eine Entschuldigung zu erzwingen, wurde ein franz&ouml;sisches Geschwader entsandt, das Algier blockierte. Verhandlungen wurden zwischen Frankreich, Mechmed Ali und der Pforte er&ouml;ffnet, in deren Verlauf Mechmed Ali es auf sich nahm, mit Unterst&uuml;tzung Frankreichs Algier zu erobern und einen regelm&auml;&szlig;igen Tribut an den Sultan zu zahlen, in dessen Namen er die R
<P>Von der ersten Besetzung Algeriens durch die Franzosen bis zum heutigen Tage ist das ungl&uuml;ckliche Land der Schauplatz endlosen Blutvergie&szlig;ens, des Raubes und der Gewalttaten gewesen. Jede Stadt, ob gro&szlig; oder klein, ist Haus f&uuml;r Haus unter unerme&szlig;lichen Opfern erobert worden. Die Araber- und Kabylenst&auml;mme, denen die Unabh&auml;ngigkeit kostbar und der Ha&szlig; auf die Fremdherrschaft teurer ist als das eigene Leben, sind durch die schrecklichen Razzien, in deren Verlauf Behausungen und Eigentum verbrannt und zerst&ouml;rt, die Ernte auf dem Halm vernichtet und die Ungl&uuml;cklichen, die &uuml;brigblieben, niedergemetzelt oder allen Schrecken der Lust und Brutalit&auml;t ausgesetzt wurden, &uuml;berw&auml;ltigt und entmutigt worden. An diesem barbarischen System der Kriegf&uuml;hrung haben die Franzosen gegen alle Gebote der Menschlichkeit, der Zivilisation und des Christentums festgehalten. Zur Rechtfertigung wird behauptet, da&szlig; die Kabylen grausam und mordlustig seien, da&szlig; sie ihre Gefangenen martern und da&szlig; Milde bei Wilden nicht am Platze sei. Die Politik einer zivilisierten Regierung, die sich auf die lex talionis &lt;das Gesetz der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem&gt; beruft, kann sehr wohl in Zweifel gezogen werden. Und wenn man den Baum nach seinen Fr&uuml;chten beurteilt, dann kann man nur sagen, da&szlig; nach einer Ausgabe von vermutlich 100 Millionen Dollar und hunderttausenden geopferten Menschenleben Algerien nichts weiter ist als eine Kriegsschule f&uuml;r franz&ouml;sische Generale und Soldaten, in welcher alle die franz&ouml;sischen Offiziere, die sich im Krimkrieg Lorbeeren erwarben, ihre milit&auml;rische Ausbildung und Kampferfahrung erhielten. Wie ein Vergleich der Anzahl der Europ&auml;er mit der der Einheimischen zeigt, ist auch der Kolonisierungsversuch gegenw&auml;rtig als ein fast v&ouml;lliger Mi&szlig;erfolg zu betrachten; und dies in einem der fruchtbarsten L&auml;nder der Welt, der alten Kornkammer Italiens, 20 Stunden von Frankreich entfernt, wo nur eins <A NAME="S103"><B>&lt;103&gt;</A></B> fehlt: die Sicherheit f&uuml;r Leben und Eigentum, die von milit&auml;rischen Freunden und grausamen Feinden bedroht wird. Ob dieser Mi&szlig;erfolg einer angeborenen Charakterschw&auml;che der Franzosen zuzuschreiben ist, die sie f&uuml;r Auswanderung ungeeignet macht, oder einer unverst&auml;ndigen &ouml;rtlichen Verwaltung - das zu beurteilen liegt nicht in unserer Kompetenz. Alle bedeutenden St&auml;dte, Constantine, Bona und Bougie, Arzew, Mostaganem und Tlemcen, wurden mit all den damit einhergehenden Schrecken im Sturm genommen. Die Eingeborenen hatten sich schon widerwillig ihren t&uuml;rkischen Herrschern unterworfen, die zumindest f&uuml;r sich beanspruchen konnten, der gleichen Religion zu sein; aber sie sahen keine Vorz&uuml;ge in der sogenannten Zivilisation der neuen Regierung, gegen die sie au&szlig;erdem die ganze Abneigung des religi&ouml;sen Fanatismus empfanden. Jeder Gouverneur erschien nur, um die H&auml;rten seines Vorg&auml;ngers zu wiederholen; Proklamationen verk&uuml;ndeten die wohlwollendsten Absichten, aber die Besatzungsarmee, die Truppenbewegungen, die furchtbaren, von beiden Seiten ver&uuml;bten Grausamkeiten, sie alle widerlegten die Friedens- und Wohlwollensbeteuerungen.</P>
<P>Im Jahre 1831 war Baron Pichon zum Zivilintendanten ernannt worden und er bem&uuml;hte sich, ein System der Zivilverwaltung einzurichten, das mit der Milit&auml;rregierung zusammen vorgehen sollte, aber die Kontrolle, die seine Ma&szlig;nahmen dem Generalgouverneur auferlegt h&auml;tten, ver&auml;rgerte Savary, den Herzog von Rovigo, Napoleons ehemaligen Polizeiminister, und auf seine Vorstellung hin wurde Pichon abberufen. Unter Savary wurde Algerien zum Exil all derer, die infolge ihrer politischen oder sozialen Vergehen mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren; gleichzeitig wurde in Algerien eine Fremdenlegion aufgestellt, deren Soldaten es verboten war, die St&auml;dte zu betreten. Der Deputiertenkammer wurde 1833 eine Petition vorgelegt, in der festgestellt wurde:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Seit 3 Jahren ertragen wir alle m&ouml;glichen Ungerechtigkeiten. So oft wir Beschwerden erhoben, wurden neue Grausamkeiten besonders gegen diejenigen ver&uuml;bt, von welchen die Beschwerden herr&uuml;hrten. Nun wagt niemand mehr, sich voran zu stellen, und darum tr&auml;gt auch diese Bittschrift keine Unterschriften. O meine Herren, wir beschw&ouml;ren Sie im Namen der Menschlichkeit, befreien Sie uns von dieser schm&auml;hlichen Tyrannei, erl&ouml;sen Sie uns aus den Sklavenketten. Will man das Land mit der Milit&auml;rregierung behalten, soll hier keine Zivilverwaltung stattfinden, so geht es zu Grunde, weil es niemals Frieden bekommen wird."</P>
</FONT><P>Diese Petition f&uuml;hrte dazu, da&szlig; ein Untersuchungsausschu&szlig; eingesetzt wurde, dessen T&auml;tigkeit zur Errichtung einer Zivilverwaltung f&uuml;hrte. Nach dem Tode Savarys waren unter der Interimsverwaltung des Generals <A NAME="S104"><B>&lt;104&gt;</A></B> Voirol einige Ma&szlig;nahmen eingeleitet worden, welche die Erbitterung lindern sollten: die Trockenlegung von S&uuml;mpfen, Verbesserung der Stra&szlig;en und die Aufstellung einer Eingeborenenmiliz. Nach der R&uuml;ckkehr des Marschalls Clausel, unter welchem eine erste und &auml;u&szlig;erst ungl&uuml;ckselige Expedition gegen Constantine stattfand, wurden diese Ma&szlig;nahmen jedoch eingestellt. Seine Regierungst&auml;tigkeit war so unzul&auml;nglich, da&szlig; 1836 eine Petition, die von 54 in der Provinz in f&uuml;hrender Position stehenden Pers&ouml;nlichkeiten unterzeichnet war, nach Paris gesandt wurde, mit der Bitte, eine Untersuchung der unter seiner Regierung ver&uuml;bten Mi&szlig;br&auml;uche einzuleiten. Dies f&uuml;hrte schlie&szlig;lich zu Clausels R&uuml;cktritt. Die ganze Regierungsperiode Louis-Philippes war erf&uuml;llt von Versuchen zur Kolonisation, die nur auf Bodenspekulation hinausliefen, zur milit&auml;rischen Kolonisation, die nutzlos war, da die Siedler, wenn sie sich mehr als eine Schu&szlig;weite von ihren Blockh&auml;usern entfernten, ihres Lebens nicht sicher waren, fernerhin von Versuchen, den &ouml;stlichen Teil Algeriens zu besiedeln und Abd el Kader aus Oran und dem Westen zu vertreiben. Die Niederlage dieses rastlosen und unerschrockenen Anf&uuml;hrers befriedete das Land so weit, da&szlig; der gro&szlig;e Stamm der Hamianes Garabas sofort seine Unterwerfung erkl&auml;rte.</P>
<P>Zur Zeit der Revolution von 1848 wurde General Cavaignac in Nachfolge des Herzogs von Aumale zum Generalgouverneur der Provinz ernannt, und dieser sowie der Prinz von Joinville, der sich ebenfalls in Algerien befand, traten zur&uuml;ck. Doch die Republik schien in der Verwaltung dieser Provinz nicht mehr Gl&uuml;ck zu haben als die Monarchie. W&auml;hrend ihres kurzen Bestehens l&ouml;sten mehrere Gouverneure einander ab. Kolonisten wurden ausgeschickt, um den Boden zu bestellen, aber sie kamen um oder gaben voller Widerwillen auf. Im Jahre 1849 marschierte General P&eacute;lissier gegen mehrere St&auml;mme und die D&ouml;rfer der Beni Sillem, Ihre Ernte und alles erreichbare Eigentum wurden wie gew&ouml;hnlich verbrannt und zerst&ouml;rt, weil sie den Tribut verweigerten. Als in Zaab, einem fruchtbaren Gebiet am Rande der W&uuml;ste, gro&szlig;e Erregung infolge der Predigten eines Marabuts aufgekommen war, wurde eine Expedition von 1.200 Mann ausgesandt, die von der Bev&ouml;lkerung geschlagen wurde. Es stellte sich nun heraus, da&szlig; die Revolte weit verbreitet war und durch geheime Vereinigungen, die "Sidi Abderrahman" hie&szlig;en, gesch&uuml;rt wurde, deren Hauptziel die Ausrottung der Franzosen war. Die Rebellen wurden erst niedergeschlagen, als man eine Expedition unter den Generalen Canrobert und Herbillon gegen sie ausgesandt hatte; und die Belagerung der arabischen Stadt Zaatscha bewies, da&szlig; die Eingeborenen weder den Mut verloren noch Zuneigung f&uuml;r die Eindringlinge gefa&szlig;t hatten. Die Stadt <A NAME="S105"><B>&lt;105&gt;</A></B> widerstand 51 Tage lang den Angriffen der Belagerer und wurde schlie&szlig;lich im Sturm genommen. Klein-Kabylien ergab sich erst 1851, als General Saint-Arnaud es unterwarf und dadurch eine Verbindungslinie zwischen Philippeville und Constantine herstellte.</P>
<P>Die franz&ouml;sischen Bulletins und Zeitungen sind voll von Erkl&auml;rungen &uuml;ber den Frieden und den Wohlstand in Algerien. Sie sind jedoch nichts als ein Zugest&auml;ndnis an die nationale Eitelkeit. Selbst heute ist das Land in seinem Innern genauso wenig kolonisiert wie fr&uuml;her. Die franz&ouml;sische Oberhoheit besteht mit Ausnahme an der K&uuml;ste und in der N&auml;he der St&auml;dte nur in der Einbildung. Die St&auml;mme behaupten noch immer ihre Unabh&auml;ngigkeit und geben ihrem Ha&szlig; gegen&uuml;ber dem franz&ouml;sischen Regime Ausdruck; das abscheuliche System der Razzien wurde noch nicht aufgegeben. So wurde 1857 von Marschall Randon eine erfolgreiche Razzia auf die D&ouml;rfer und Wohnst&auml;tten der bisher nicht unterworfenen Kabylen veranstaltet, um ihr Territorium den franz&ouml;sischen Besitzungen einzuverleiben. Die Eingeborenen werden noch immer mit der eisernen Faust regiert, und st&auml;ndige Aufst&auml;nde zeugen von der Unsicherheit des franz&ouml;sischen Besatzungsregimes und von der Hohlheit eines Friedens, der mit derartigen Mitteln aufrechterhalten wird. Eine Gerichtsverhandlung, die im August 1857 in Oran stattfand und in der Hauptmann Doineau, der Pr&auml;sident des Bureaux Arabes, f&uuml;r schuldig befunden wurde, einen prominenten und reichen Eingeborenen ermordet zu haben, enth&uuml;llte in der Tat, mit welcher zur Gewohnheit gewordenen Grausamkeit und Despotie franz&ouml;sische Beamten, selbst untergeordneten Dienstgrades, ihre Macht aus&uuml;ben, was ganz zu Recht die Aufmerksamkeit der Welt auf sich lenkte.</P>
<P>Gegenw&auml;rtig ist die Kolonialverwaltung auf die drei Provinzen Constantine im Osten, Algier im Zentrum und Oran im Westen verteilt. Das Land untersteht einem Generalgouverneur, der gleichzeitig Oberbefehlshaber ist. Ihm zur Seite stehen ein Sekret&auml;r und ein Zivilintendant sowie ein Beirat, der sich aus dem Direktor f&uuml;r Zivilangelegenheiten, dem Befehlshaber der Marine, dem Milit&auml;rintendanten und dem Generalprokurator zusammensetzt, dessen Aufgabe darin besteht, die Verf&uuml;gungen des Gouverneurs zu bekr&auml;ftigen. Der Conseil des contentieux &lt;Begutachtungsrat&gt; zu Algier ist f&uuml;r zivile und kriminelle Rechts&uuml;berschreitungen zust&auml;ndig. Die Provinzen, in denen eine Zivilverwaltung organisiert wurde, haben B&uuml;rgermeister, Richter und Polizeikommissare. Die St&auml;mme der Eingeborenen, die sich zur mohammedanischen Religion bekennen, haben noch ihre Kadis; doch ist <A NAME="S106"><B>&lt;106&gt;</A></B> bei ihnen ein Schiedsgerichtsverfahren eingef&uuml;hrt worden, das sie angeblich bevorzugen sollen, und ein Beamter (l'avocat des Arabes &lt;der Advokat der Araber&gt;) ist speziell mit der Aufgabe betraut, arabische Interessen vor den franz&ouml;sischen Tribunalen zu verteidigen.</P>
<P>Es wird behauptet, da&szlig; der Handel seit der franz&ouml;sischen Besetzung betr&auml;chtlich angestiegen ist. Die Importe werden mit etwa 22 Millionen Dollar, die Exporte mit 3 Millionen Dollar bewertet. Die Importe sind Baumwolle, wollgewebte Stoffe und Seidenwaren, Getreide und Mehl, Kalk und raffinierter Zucker; die Exporte sind Rohkorallen, H&auml;ute, Weizen, &Ouml;l und Wolle sowie andere kleinere Bedarfsartikel.</P>
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