emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me21/me21_198.htm

84 lines
20 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>Friedrich Engels - Vorwort zu &quot;Karl Marx vor den K&ouml;lner Geschwornen&quot;</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<META name="description" content="Vorwort zu &quot;Karl Marx vor den K&ouml;lner Geschwornen&quot;">
</HEAD>
<BODY LINK="#6000ff" VLINK="#8080c0" BGCOLOR="#ffffbf">
<TABLE width=600 border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD bgcolor="#ffffee" width="1" rowspan=2></TD>
<TD bgcolor="#ffffee" height="1" colspan=4></TD>
</TR>
<TR>
<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><FONT size="2" color="#006600">MLWerke</A></FONT></TD>
<TD ALIGN="center" width="200" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</A></TD>
<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="../me_ak85.htm"><FONT size=2 color="#006600">Artikel und Korrespondenzen 1885</A></TD>
<TD bgcolor="#6C6C6C" width=1 rowspan=1></TD>
</TR>
<TR>
<TD bgcolor="#6C6C6C" height=1 colspan=5></TD>
</TR>
</TABLE>
<P>
<TABLE cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD valign="top"><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: </SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 198-204.</SMALL></TD>
</TR>
<TR>
<TD><SMALL>Korrektur:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>1</SMALL></TD>
</TR>
<TR>
<TD><SMALL>Erstellt:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>20.03.1999</SMALL></TD>
</TR>
</TABLE>
<H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Vorwort [zu "Karl Marx vor den K&ouml;lner Geschwornen"]</H1>
<FONT SIZE=2><P>Nach: "Karl Marx vor den K&ouml;lner Geschwornen", Hottingen-Z&uuml;rich 1885.</P>
</FONT><P><HR size="1"></P>
<B><P><A NAME="S198">|198|</A></B> Zum besseren Verst&auml;ndnis der nachfolgenden Verhandlungen wird es gen&uuml;gen, die Hauptereignisse zusammenzustellen, an die sie sich ankn&uuml;pfen.</P>
<P>Die Feigheit der deutschen Bourgeoisie hatte der feudalb&uuml;rokratisch-absolutistischen Reaktion erlaubt, sich von den niederschmetternden Schl&auml;gen des M&auml;rzes 1848 soweit zu erholen, da&szlig; Ende Oktober schon ein zweiter Entscheidungskampf bevorstand. Der Fall von Wien, nach langem, heldenm&uuml;tigem Widerstand, gab auch der preu&szlig;ischen Kamarilla den Mut zu einem Staatsstreich. Die zahme Berliner "Nationalversammlung" war ihr immer noch zu wild. Sie sollte gesprengt, mit der Revolution sollte ein Ende gemacht werden.</P>
<P>Am 8. November 1848 wird das Ministerium Brandenburg-Manteuffel gebildet. Am 9. verlegt es den Sitz der Versammlung von Berlin nach Brandenburg, damit sie, ungest&ouml;rt durch die revolution&auml;ren Einfl&uuml;sse Berlins, im Schutz der Bajonette "frei" beraten k&ouml;nne. Die Versammlung weigert sich zu gehen; die B&uuml;rgerwehr weigert sich, gegen die Versammlung einzuschreiten. Das Ministerium l&ouml;st die B&uuml;rgerwehr auf, entwaffnet sie, ohne da&szlig; sie sich wehrt, und erkl&auml;rt Berlin in Belagerungszustand. Die Versammlung antwortet damit, da&szlig; sie das Ministerium am 13. November wegen Hochverrats in Anklagestand versetzt. Das Ministerium hetzt die Versammlung von einem Berliner Lokal ins andere. Die Versammlung beschlie&szlig;t am 15., da&szlig; das Ministerium Brandenburg nicht berechtigt sei, &uuml;ber Staatsgelder zu verf&uuml;gen und Steuern zu erheben, solange sie, die Versammlung, nicht frei in Berlin ihre Sitzungen fortsetzen kann.</P>
<P>Dieser Beschlu&szlig; der Steuerverweigerung konnte nur dadurch in Wirksamkeit treten, da&szlig; das Volk der Steuereintreibung mit bewaffneter Hand Widerstand entgegensetzte. Und damals waren noch Waffen genug in der Hand der B&uuml;rgerwehr. Trotzdem blieb man fast &uuml;berall beim passiven <A NAME="S199"><B>|199|</A></B> Widerstand. Nur an wenigen Orten bereitete man sich vor, die Gewalt mit der Gewalt zu vertreiben. Der k&uuml;hnste Aufruf hierzu aber blieb der des Ausschusses der demokratischen Vereine der Rheinprovinz, der in K&ouml;ln sa&szlig; und aus <I>Marx,</I> <I>Schapper</I> und <I>Schneider</I> bestand.</P>
<P>Da&szlig; der Kampf gegen den in Berlin siegreich durchgef&uuml;hrten Staatsstreich am Rhein nicht mit Erfolg aufzunehmen war, dar&uuml;ber t&auml;uschte sich der Ausschu&szlig; nicht. Die Rheinprovinz hatte f&uuml;nf Festungen; in ihr selbst, in Westfalen, Mainz, Frankfurt und Luxemburg lag allein ungef&auml;hr ein Drittel der ganzen preu&szlig;ischen Armee, darunter zahlreiche Regimenter aus den &ouml;stlichen Provinzen. Die B&uuml;rgerwehr war in K&ouml;ln und andern St&auml;dten bereits aufgel&ouml;st und entwaffnet. Aber es handelte sich auch nicht um den unmittelbaren Sieg in K&ouml;ln, das selbst erst vor wenigen Wochen vom Belagerungszustand befreit war. Es handelte sich darum, ein Beispiel zu geben f&uuml;r die &uuml;brigen Provinzen und dadurch die revolution&auml;re Ehre der Rheinprovinz zu retten. Und das war geschehen.</P>
<P>Die preu&szlig;ische Bourgeoisie, die der Regierung einen Machtposten nach dem andern wieder abgetreten hatte, aus Furcht vor den damals noch halb tr&auml;umenden Zuckungen des Proletariats, die l&auml;ngst schon Reue empfand &uuml;ber ihre fr&uuml;heren Machtgel&uuml;ste, die schon seit M&auml;rz vor Angst nicht mehr wu&szlig;te wo aus noch ein, weil hier die um den Absolutismus gruppierten M&auml;chte der alten Gesellschaft, dort das zum Bewu&szlig;tsein seiner Klassen-Stellung heraufd&auml;mmernde junge Proletariat ihr drohend gegen&uuml;bertrat - die preu&szlig;ische Bourgeoisie tat, was sie stets im entscheidenden Augenblick getan - sie duckte sich. Und die Arbeiter waren nicht so dumm, f&uuml;r die Bourgeoisie ohne die Bourgeoisie loszuschlagen; f&uuml;r sie - namentlich am Rhein - waren die preu&szlig;ischen Fragen ohnehin reine Lokalfragen; sollten sie einmal im Interesse der Bourgeoisie ins Feuer gehn, dann auch gleich in und f&uuml;r ganz Deutschland. Es war ein bedeutsames Vorzeichen, da&szlig; schon damals die "preu&szlig;ische Spitze" bei den Arbeitern absolut nicht zog.</P>
<P>Kurz, die Regierung siegte. Einen Monat sp&auml;ter, am 5. Dezember, konnte sie die Berliner Versammlung, die bis dahin ein ziemlich sch&auml;biges Dasein gefristet, endg&uuml;ltig aufl&ouml;sen und eine neue Verfassung oktroyieren, die aber auch erst wirklich ins Leben trat, nachdem sie zum blo&szlig;en konstitutionellen Possenspiel degradiert war.</P>
<P>Am Tage nach dem Erscheinen des Aufrufs, 20. November, waren die drei Unterzeichner vor den Untersuchungsrichter vorgeladen; der Proze&szlig; wegen Rebellion wurde gegen sie eingeleitet. Von Verhaftung war damals selbst in K&ouml;ln keine Rede. Am 7. Februar hatte die "Neue Rheinische <A NAME="S200"><B>|200|</A></B> Zeitung" ihren ersten Pre&szlig;proze&szlig; zu bestehen; Marx, ich und der Gerant Korff erschienen vor den Geschwornen und wurden freigesprochen. Am folgenden Tage wurde der Proze&szlig; des Ausschusses verhandelt. Das Volk hatte bereits sein Urteil im voraus gef&auml;llt, indem es 14 Tage vorher den Angeklagten Schneider zum Abgeordneten f&uuml;r K&ouml;ln gew&auml;hlt.</P>
<P>Die Verteidigungsrede von Marx bildet selbstverst&auml;ndlich den Gipfelpunkt der Verhandlungen. Sie ist namentlich nach zwei Seiten hin interessant.</P>
<P>Erstens dadurch, da&szlig; es ein Kommunist ist, der hier den b&uuml;rgerlichen Geschwornen klarzumachen hat, da&szlig; die Handlungen, die er begangen und derentwegen er als Angeklagter vor ihnen steht, eine Handlung ist, die nicht nur zu begehn, sondern zu ihren &auml;u&szlig;ersten Folgerungen fortzuf&uuml;hren eigentlich die Pflicht und Schuldigkeit ihrer Klasse, der Bourgeoisie, war. Diese Tatsache allein gen&uuml;gt, um die Haltung der deutschen, speziell preu&szlig;ischen Bourgeoisie w&auml;hrend der Revolutionszeit zu kennzeichnen. Es handelt sich darum, wer herrschen soll, die um die absolute Monarchie gruppierten gesellschaftlichen und staatlichen M&auml;chte: feudaler Gro&szlig;grundbesitz, Armee, B&uuml;rokratie, Pfaffentum, oder aber die Bourgeoisie. Das noch im Entstehen begriffene Proletariat hat an dem Kampf nur soweit Interesse, als es durch den Sieg der Bourgeoisie Luft und Licht zur eignen Entwicklung, Ellbogenraum auf dem Kampfplatz erh&auml;lt, wo es einst den Sieg &uuml;ber alle andern Klassen erfechten soll. Aber die Bourgeoisie, und mit ihr das Kleinb&uuml;rgertum, r&uuml;hrt und regt sich nicht, als die feindliche Regierung sie im Sitz ihrer Macht angreift, ihr Parlament zersprengt, ihre B&uuml;rgerwehr entwaffnet, sie selbst unter den Belagerungszustand wirft. Da treten die Kommunisten in den Ri&szlig;, rufen sie auf, zu tun, was ihre verfluchte Schuldigkeit ist. Gegen&uuml;ber der alten, feudalen Gesellschaft bilden beide, Bourgeoisie wie Proletariat, die neue Gesellschaft, stehn beide zusammen. Der Aufruf bleibt nat&uuml;rlich erfolglos, und die Ironie der Geschichte will, da&szlig; dieselbe Bourgeoisie jetzt zu Gericht sitzen soll &uuml;ber den revolution&auml;ren, proletarischen Kommunisten hier und &uuml;ber die kontrerevolution&auml;re Regierung dort.</P>
<P>Zweitens aber - und dies macht die Rede besonders wichtig auch noch f&uuml;r unsere Tage - wahrt sie den revolution&auml;ren Standpunkt gegen&uuml;ber der heuchlerischen Gesetzlichkeit der Regierung in einer Weise, woran mancher sich noch heute ein Beispiel nehmen k&ouml;nnte. - Wir haben das Volk zu den Waffen gerufen gegen die Regierung? Das taten wir, und es war unsere Schuldigkeit. Wir haben das Gesetz gebrochen, wir haben den Rechtsboden verlassen? Gut, aber die Gesetze, die wir brachen, die Regierung hat sie schon vorher zerrissen dem Volk vor die F&uuml;&szlig;e geworfen, und ein <A NAME="S201"><B>|201|</A></B> Rechtsboden besteht nicht mehr. Man kann uns als besiegte Feinde aus dem Wege r&auml;umen, aber man kann uns nicht verurteilen.</P>
<P>Die offiziellen Parteien von der "Kreuz-Zeitung" bis zur " Frankfurter" werfen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei vor, sie sei eine revolution&auml;re Partei, sie wolle den Rechtsboden, der 1866 und 1871 geschaffen wurde, nicht anerkennen, und sie stelle sich dadurch selbst - so hei&szlig;t's wenigstens noch bis zu den Nationalliberalen hinab - au&szlig;erhalb des gemeinen Rechts. Ich will von der monstr&ouml;sen Ansicht absehn, als k&ouml;nne sich jemand durch Behauptung einer Meinung au&szlig;erhalb des gemeinen Rechts stellen. Das ist der pure Polizeistaat, den man doch besser t&auml;te, nur im stillen zu praktizieren und in der Phrase den Rechtsstaat zu predigen. Aber was ist denn der Rechtsboden von 1866 anders als ein revolution&auml;rer Boden? Man bricht die Bundesverfassung und erkl&auml;rt den Bundesgenossen den Krieg. Nein, sagt Bismarck, die andern haben den Bundesbruch begangen. Worauf zu antworten, da&szlig; eine revolution&auml;re Partei sehr t&ouml;lpelhaft sein mu&szlig;, wenn sie nicht f&uuml;r jede Schilderhebung mindestens ebenso gute Rechtsgr&uuml;nde findet wie Bismarck f&uuml;r die seinige 1866. - Dann provoziert man den B&uuml;rgerkrieg, denn anders war der Krieg 1866 nichts. Jeder B&uuml;rgerkrieg aber ist ein revolution&auml;rer Krieg. Man f&uuml;hrt den Krieg mit revolution&auml;ren Mitteln. Man verb&uuml;ndet sich mit dem Ausland gegen Deutsche; man f&uuml;hrt italienische Truppen und Schiffe ins Gefecht, man k&ouml;dert Bonaparte mit Aussichten auf deutsche Gebietserwerbung am Rhein. Man bildet eine ungarische Legion, die f&uuml;r revolution&auml;re Zwecke gegen ihren angestammten Landesvater k&auml;mpfen soll; man st&uuml;tzt sich in Ungarn auf Klapka wie in Italien auf Garibaldi. Man siegt, und - verschluckt drei Kronen von Gottes Gnaden, Hannover, Kurhessen, Nassau, deren jede mindestens ebenso legitim, ebensosehr "angestammt" und "von Gottes Gnaden" war wie die Krone Preu&szlig;en. Endlich zwingt man den &uuml;brigen Bundesgenossen eine Reichsverfassung auf, die z.B. im Fall von Sachsen ebenso freiwillig angenommen wurde wie seinerzeit der Tilsiter Friede von Preu&szlig;en.</P>
<P>Beklage ich mich dar&uuml;ber? Es f&auml;llt mir nicht ein. &uuml;ber geschichtliche Ereignisse beklagt man sich nicht, man bem&uuml;ht sich im Gegenteil, ihre Ursachen zu verstehen und damit auch ihre Folgen, die noch lange nicht ersch&ouml;pft sind. Aber was man ein Recht hat zu verlangen, ist, da&szlig; die Leute, die alles das getan, nicht andern Leuten vorwerfen, sie seien Revolution&auml;re. Das Deutsche Reich ist eine Sch&ouml;pfung der Revolution - allerdings einer Revolution eigner Art, aber darum nicht minder einer Revolution. Was dem einen recht, das ist dem andern billig. Revolution bleibt Revolution, ob sie <A NAME="S202"><B>|202|</A></B> von der Krone Preu&szlig;en praktiziert wird oder von einem Kesselflicker. Wenn die Regierung des Tags die bestehenden Gesetze anwendet, um sich ihrer Gegner zu entledigen, so tut sie, was jede Regierung tut. Wenn sie aber glaubt, sie schmettre sie noch extra nieder mit dem Donnerwort: Revolution&auml;r! - so kann sie damit h&ouml;chstens den Philister schrecken. "Selbst Revolution&auml;r!" hallt es aus ganz Europa zur&uuml;ck.</P>
<P>Grundkomisch aber wird die Zumutung, man solle die aus den geschichtlichen Verh&auml;ltnissen unumg&auml;nglich folgende revolution&auml;re Natur ablegen, wenn sie an eine Partei gerichtet wird, die man erst au&szlig;erhalb des gemeinen Rechts, d.h. au&szlig;erhalb des Gesetzes stellt und von der man dann verlangt, sie solle den Rechtsboden anerkennen, den man grade <I>f&uuml;r sie abgeschafft hat</I>.</P>
<P>Da&szlig; man &uuml;ber so etwas nur ein Wort zu verlieren hat, beweist wieder den politisch zur&uuml;ckgebliebenen Zustand Deutschlands. In der &uuml;brigen Welt wei&szlig; jedermann, da&szlig; die gesamten gegenw&auml;rtigen politischen Zust&auml;nde das Ergebnis von lauter Revolutionen sind. Frankreich, Spanien, die Schweiz, Italien - soviel L&auml;nder, soviel Regierungen von Revolutions Gnaden. In England erkennt sogar der Whig Macaulay an, da&szlig; der jetzige Rechtszustand begr&uuml;ndet ist auf eine Revolution &uuml;ber die andere (revolutions heaped upon revolutions). Amerika feiert seit hundert Jahren seine Revolution jeden vierten Juli. In der Mehrzahl dieser L&auml;nder gibt es Parteien, die sich durch den bestehenden Rechtszustand nicht l&auml;nger gebunden halten, als dieser sie binden kann. Wer aber z.B. in Frankreich die Royalisten oder Bonapartisten anklagen wollte, sie seien revolution&auml;r, der w&uuml;rde einfach ausgelacht.</P>
<P>Nur in Deutschland, wo politisch nichts gr&uuml;ndlich erledigt wird (sonst w&auml;re es nicht in zwei St&uuml;cke zerrissen, in &Ouml;sterreich und das sogenannte Deutschland) und wo eben deswegen auch die Vorstellungen vergangner, aber erst halb &uuml;berwundner Zeiten in den K&ouml;pfen unsterblich fortvegetieren (weshalb die Deutschen sich das Denkervolk nennen) - nur in Deutschland kann es noch vorkommen, da&szlig; man von einer Partei verlangt, sie solle sich durch den bestehenden sogenannten Rechtszustand nicht nur tats&auml;chlich, sondern auch moralisch gebunden halten; sie solle im voraus versprechen: was auch kommen m&ouml;ge, sie wolle diesen von ihr bek&auml;mpften Rechtszustand nicht umwerfen, selbst wenn sie es k&ouml;nne. Mit anderen Worten, sie solle sich verpflichten, die bestehende politische Ordnung am Leben zu erhalten in alle Ewigkeit. Das und nichts andres hei&szlig;t es, wenn man von der deutschen Sozialdemokratie verlangt, sie solle aufh&ouml;ren "revolution&auml;r" zu sein.</P>
<B><P><A NAME="S203">|203|</A></B> Aber der deutsche Spie&szlig;b&uuml;rger - und seine Meinung ist noch immer die &ouml;ffentliche Meinung Deutschlands - ist ein eigner Mann. Er hat nie eine Revolution <I>gemacht</I>. Die von 1848 machten die Arbeiter f&uuml;r ihn - zu seinem Entsetzen. Daf&uuml;r hat er um so mehr Revolutionen <I>erlitten</I>. Denn wer in Deutschland seit dreihundert Jahren die Revolutionen machte - sie waren auch danach -, das waren die <I>F&uuml;rsten</I>. Ihre ganze Landeshoheit und endlich ihre Souver&auml;nit&auml;t war die Frucht von Rebellionen gegen den Kaiser. Preu&szlig;en ging ihnen mit gutem Beispiel voran. Preu&szlig;en konnte erst ein K&ouml;nigreich werden, nachdem der "gro&szlig;e Kurf&uuml;rst" |Friedrich Wilhelm, Kurf&uuml;rst von Brandenburg| gegen seinen Lehnsherrn, die Krone Polen, eine erfolgreiche Rebellion durchgef&uuml;hrt und so das Herzogtum Preu&szlig;en von Polen unabh&auml;ngig gemacht hatte. Seit Friedrich II. wurde die Rebellion Preu&szlig;ens gegen das deutsche Reich in ein System gebracht; er "pfiff" auf die Reichsverfassung noch ganz anders als unser braver <I>Bracke</I> auf das Sozialistengesetz. Dann kam die Franz&ouml;sische Revolution, und sie wurde von den F&uuml;rsten wie von den Spie&szlig;b&uuml;rgern unter Tr&auml;nen und Seufzern erlitten. Das deutsche Reich wurde im Reichsdeputationshauptschlu&szlig; 1803 von Franzosen und Russen h&ouml;chst revolution&auml;r unter die deutschen F&uuml;rsten verteilt, weil diese selbst &uuml;ber die Teilung sich nicht einigen konnten. Dann kam Napoleon und erlaubte seinen ganz besondern Sch&uuml;tzlingen, den F&uuml;rsten von Baden, Bayern und W&uuml;rttemberg, sich aller innerhalb und zwischen ihren Gebieten liegenden reichsunmittelbaren Grafschaften, Baronien und St&auml;dte zu bem&auml;chtigen. Gleich darauf machten dieselben drei Hochverr&auml;ter die letzte erfolgreiche Rebellion gegen ihren Kaiser, machten sich mit Napoleons H&uuml;lfe souver&auml;n und sprengten damit endgiltig das alte deutsche Reich. Seitdem verteilte der faktische deutsche Kaiser, Napoleon, Deutschland ungef&auml;hr alle drei Jahre wieder neu unter seine getreuen Knechte, die deutschen F&uuml;rsten und andre. Endlich kam die glorreiche Befreiung von der Fremdherrschaft, und zum Lohne wurde Deutschland vom Wiener Kongre&szlig;, d.h. von Ru&szlig;land, Frankreich und England, als allgemeines Entsch&auml;digungsgebiet f&uuml;r heruntergekommene F&uuml;rsten verteilt und verschachert, und die deutschen Spie&szlig;b&uuml;rger wie soviel Hammel in ungef&auml;hr 2.000 abgesonderten Gebietsfetzen den verschiedenen sechsunddrei&szlig;ig Landesv&auml;tern zugewiesen, vor deren Mehrzahl sie noch heute als vor ihren angestammten Landesv&auml;tern "untert&auml;nigst ersterben". Alles das soll nicht revolution&auml;r gewesen sein - wie recht hatte doch Schnapphahnski-Lichnowski, als er im Frankfurter Parlament ausrief: Das historische Recht hat keinen Datum nicht! Es hatte n&auml;mlich nie einen gehabt!</P>
<B><P><A NAME="S204">|204|</A></B> Die Zumutung des deutschen Spie&szlig;b&uuml;rgers an die deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei hat also nur den einen Sinn, da&szlig; diese Partei Spie&szlig;b&uuml;rger werden soll wie er selbst und die Revolutionen beileibe nicht mitmachen, aber sie alle <I>erleiden</I>. Und wenn die durch Kontrerevolution und Revolution zur Macht gekommene Regierung dieselbe Zumutung stellt, so hei&szlig;t das nur, da&szlig; die Revolution gut ist, solange sie von Bismarck f&uuml;r Bismarck und Konsorten gemacht wird, aber verwerflich, wenn sie gegen Bismarck und Konsorten gemacht wird.</P>
<P>London, 1. Juli 1885</P>
<I><P ALIGN="RIGHT">Friedrich Engels</P></I>
<HR size="1"><P>
<TABLE width=600 border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD bgcolor="#ffffee" width="1" rowspan=2></TD>
<TD bgcolor="#ffffee" height="1" colspan=4></TD>
</TR>
<TR>
<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><FONT size="2" color="#006600">MLWerke</A></FONT></TD>
<TD ALIGN="center" width="200" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</A></TD>
<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="../me_ak85.htm"><FONT size=2 color="#006600">Artikel und Korrespondenzen 1885</A></TD>
<TD bgcolor="#6C6C6C" width=1 rowspan=1></TD>
</TR>
<TR>
<TD bgcolor="#6C6C6C" height=1 colspan=5></TD>
</TR>
</TABLE></BODY>
</HTML>