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<TITLE>Kurt Eisner - Im preußischen Herrenhaus</TITLE>
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<META name="BOOKTITLE" content="Zwischen Kapitalismus und Kommunismus">
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<META name="TYPE" content="Reden und Aufsätze">
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</TR>
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<HR size="1">
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<P><SMALL>Kurt Eisner: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Reden und Aufsätze. Edition Suhrkamp.<BR>
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1. Korrektur<BR>
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Erstellt am 20.11.1999</SMALL><H2>Kurt Eisner</H2>
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<H1>Im preußischen Herrenhaus</H1>
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<P><SMALL>in: Der Zukunftsstaat der Junker. Manteuffeleien gegen die Sozialdemokratie im
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preußischen Herrenhaus am 11. und 13. Mai 1904, Berlin 1904, S. 3-10</SMALL>
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<HR size="1">
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<P>Der sozialdemokratische Dreimillionen-Sieg hat auf die herrschenden Klassen
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einen weit tieferen Eindruck gemacht, als sie äußerlich zugaben. Die
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unmittelbare Wirkung war der Zusammenschluß nach rechts.
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<P>Heimliche Intrigen und dann auch öffentliche Angriffe richteten sich
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zunächst gegen das Reichstagswahlrecht. Die unterirdischen, weit
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verzweigten Verschwörungen gegen das Wahlrecht wurden aufgedeckt, auch
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nationalliberale Abgeordnete wurden als Mitschuldige entlarvt. Bald zeigten
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sämtliche Parteien ihren Haß gegen das Wahlrecht. Im
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preußischen Abgeordnetenhaus verstanden sich die Freisinnigen zu einem
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Reformantrag, dessen Endergebnis noch eine Verschlechterung des
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Dreiklassensystems zuungunsten des in Preußen parlamentarisch rechtlosen
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Proletariats sein muß. Der Führer des Zentrums, das seine
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Zuverlässigkeit in der Wahlrechtsfrage immer beteuert, Herr Dr. Bachern,
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sprach am 23. Januar 1904 im preußischen Abgeordnetenhaus gegen die
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Demokratisierung des preußischen Wahlrechts, »weil doch das
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bestehende Reichstagswahlrecht auch als das reine Ideal nicht anerkannt werden
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kann, und es doch, wie es sich gezeigt hat. Mißstände mit sich
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bringen kann. Mißbräuchen einen gewissen Raum bringt«. Der
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nationalliberale Abgeordnete Menk blies das große Wecken gegen das
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Wahlrecht des Umsturzes. Von der Partei gerüffelt, erklärte er keck,
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wie er dächten alle, sie seien nur zu feige dazu, es öffentlich zu
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sagen. Um den Schein zu wahren, schloß man ihn aus der Fraktion aus -
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eine doppelte Bestätigung für Herrn Menk, eine Bekräftigung
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nationalliberaler Feigheit und nationalliberaler Herzenswünsche.
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<P>Daneben wiesen andere Erscheinungen den Weg. Die Arbeitgeber schlössen
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sich zu Trutzbünden zusammen. Im Reichstag fanden sich die
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bürgerlichen Parteien bei jedem unmöglichen Anlaß gegen die
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Sozialdemokratie in Ausbrüchen dummen und fanatischen Hasses. Während
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sozialdemokratische Mandate unsinnigerweise für ungültig erklärt
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wurden, weil gegen unsere Partei Wahlbeeinflussung getrieben wurde,
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bestätigte man das Mandat eines Herbert Bismarck, der es lediglich durch
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gröbste Ungesetzlichkeiten gewann.
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<P>Der preußische Partikularismus wurde immer verwegener. Preußen
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brach rücksichtslos in Reichsrechte ein und kümmerte sich, um seine
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Absichten durchzusetzen, nicht um Verfassung und Gesetz. In der
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preußischen Ansiedlungsnovelle und dem Kontraktbruchgesetz lebt schon der
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offene Aufruhr des Staatsstreichs. Während der preußische Landtag
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alle Reichsangelegenheiten vor sein Gericht zog, verbot man geradezu den
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preußischen Ministern, im Reichstag Rede zu stehen. Im Herrenhaus wurde
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schließlich ausgesprochen, was ist.
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<P>Es ist seit Jahren das Vorrecht des Herrenhauses, die gewaltsame Beseitigung
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des Reichstagwahlrechts zu fordern. Schon am 28. März 1895 erklärte
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an dieser Stelle Graf Mirbach: es werde mit Jubel begrüßt werden,
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»wenn die verbündeten Fürsten sich entschlössen, einen
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neuen Reichstag auf der Basis eines neuen Wahlrechts ins Leben treten zu
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lassen, und zwar unverzüglich«. Er deutete auch klar an, wie er sich
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die Ausführung dieses Wunsches dächte, indem er an Alexander den
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Großen und den gordischen Knoten erinnerte. Alexander löste ihn mit
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einem - Schwerthieb!
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<P>Aber alle diese Äußerungen blieben vereinzelt und wurden
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verschüchtert abgeleugnet.
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<P>(...)
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<P>Noch in anderer Hinsicht ist eine bedeutsame Wandlung seit dem 16. Juni 1903
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eingetreten. Die Regierung, die vordem immer noch den Schein einer
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Versöhnungspolitik zu wahren suchte und gegen die äußerste
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Agrarfronde sich, wie matt immer, zur Wehr setzte, ist vollständig
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geschwenkt. Wie auf Kommando benutzen sie jetzt jede Gelegenheit, Reden gegen
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die Sozialdemokratie zu schleudern, die im Stil und Geist der
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Instruktionsstunden beim Rekrutendrill gehalten sind. Bülow und Budde
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ließen ihre Reden gegen den Umsturz als Flugblätter verbreiten. Herr
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v. Hammerstein, der preußische Polizeiminister, erklärte den
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boshaften Wahnsinn des preußischen Dreiklassensystems für das beste
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aller Wahlrechte, und der deutsche Reichskanzler leistete im preußischen
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Herrenhaus den Schwur: »Der König in Preußen voran,
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Preußen in Deutschland voran, Deutschland in der Welt voran« -was im
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gewöhnlichen Deutsch bedeutet: der Junker überall voran!
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<P>Überhaupt verlegten die Minister ihre Tätigkeit immer mehr in die
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preußischen Parlamente. Noch 1902 protestierte der preußische
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Finanzminister v. Rheinbaben gegen die herrenhäuslerischen
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Übergriffe, sich als höhere Instanz über die Reichspolitik
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aufzuwerfen, indem er dem Grafen Mirbach gegenüber bemerkte: »Ich
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kann im wohlverstandenen Interesse dieses Hohen Hauses wie überhaupt des
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preußischen Landtags nur dringend davor warnen, Angelegenheiten des
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Reichstages hier zur Sprache zu bringen.«
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<P>Im Mai 1903 verließen die Minister den Saal des Herrenhauses, sobald
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dieses die Handelspolitik des Reiches zu erörtern begann.
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<P>Diesmal verantwortete sich Graf Bülow, der Reichskanzler, sehr
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ausführlich und höchst demütig gegen die Angriffe auf die
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»Schwäche« seiner Reichspolitik, und anstatt die
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Reichsverfassung gegen die Gewaltaufreizungen der preußischen Junker zu
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verteidigen, erkannte er grundsätzlich ihre Forderungen an. Ja, noch mehr:
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<P>Als am zweiten Tag der Debatte geradezu eine Treibjagd gegen den
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schwächlichen Reichskanzler veranstaltet wurde, erhob der Finanzminister
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v. Rheinbaben, nicht etwa um den abwesenden Ministerpräsidenten zu
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schützen, sondern um den einzigen Redner abzuwehren, der für die
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Regierung gesprochen - eine Szene, die im
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<I>
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Vorwärts
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</I>
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wie folgt geschildert wurde: Während die Lucius und Manteuffel Angriff
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und Angriff, Anklage auf Anklage häuften gegen eine Regierung, deren
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»Nachsicht« gegenüber der Sozialdemokratie »an
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Schwäche grenze«, und die dem fluchwürdigen geheimen
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Reichstagswahlrecht durch Einführung des Klosettgesetzes gar noch
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Zugeständnisse gemacht habe, spielte Herr v. Rheinbaben elegant mit seinem
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Bleistift, saß Herr v. Hammerstein, in sich selbst verkrochen, bei seinen
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Akten, bemühten sich auch die Herren v. Budde und v. Podbielski,
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vollendete Gleichgültigkeit zu heucheln, indes der angegriffene
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Ministerpräsident fern blieb, sei es im Gefühl der Sicherheit seiner
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Position, sei es, um einen verlorenen Posten rechtzeitig zu räumen.
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<P>Die Debatte selbst begann mit einem gottseligen Vorspiel. Etliche evangelische
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Ritter führten ein Turnier auf zur Wahrung ihres vom Katholizismus
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bedrohten Gewissens, weil die Regierung eine belanglose Bestimmung des
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Jesuitengesetzes aufgehoben hatte. Der geistliche Streit endigte in einem
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Versöhnungsfest. Auch das gehört zum Bild dieser Zeit. Man will vom
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konfessionellen Gegensatz nichts mehr wissen. Konfessioneller Friede - ist die
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Losung im protestantischen wie im katholischen Lager. Was bedeutet das? Ist die
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Ausbeutung nicht immer konfessionslos gewesen? Sitzen nicht evangelische,
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katholische und jüdische Unternehmer friedlich in ihren
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Kampforganisationen gegen die Arbeiter beisammen? Ist nicht auch der Zollwucher
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konfessionslos und wird gleichermaßen von Magnaten katholischen und
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protestantischen Glaubens als höchste Religion bekannt? Der konfessionelle
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Friede bedeutet eben lediglich den Frieden der Besitzenden. Hinter der Formel
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steckt jedoch noch etwas anderes: die Auslieferung der Schule an die Kirche,
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insonderheit an die katholische Kirche, die es bisher noch immer verstanden
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hat, Arbeitermassen um die sozialistische Aufklärung zu betrügen.
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Konfessioneller Friede der Herrschenden - das ist die konfessionelle Spaltung
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der Arbeiter, die verhindert werden sollen, sich ohne Unterschied der
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Konfession, so wie es ihre Unterdrücker tun, zu vereinigen.
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<P>Nachdem dermaßen die geistige Fessel für die Arbeiterschaft in
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frommem Gottesstreit geschmiedet, wurde dann in der allgemeinen Diskussion die
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wirtschaftliche und politische Alleinherrschaft der Gutsherrn proklamiert.
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<P>Diesen Feudalherren erfüllt sich der Zweck der menschlichen Gesellschaft,
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wenn den Herren ein standesgemäßes Dasein und absolute Freiheit
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über die Masse der Frohndenden gewährt wird. Ihre wirtschaftliche
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Existenz soll durch Kündigung der Handelsverträge gesichert werden.
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Diese Kleinigkeit verlangten die Edlen sofort und unbedingt von der Regierung.
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Mag die Industrie darüber zugrundegehen - das Ideal der Feudalherren, der
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Zukunftsstaat der Junker ist das Monopol der nationalen Lebensmittelerzeugung,
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ist ein Agrarsyndikat, das bei Aussperrung aller fremden Zufuhr die
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Möglichkeit hat, dem Volk die Preise zu diktieren, die es zu zahlen hat,
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damit der Junker bestehen könne. Weil aber das zu politischer
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Mündigkeit erwachte Proletariat diesen Selbstmord freiwillig niemals
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begehen wird, darum muß es zunächst niedergeschlagen werden. Das war
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der Sinn und der Zweck der Sozialistenhetze.
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<P>(...) Es ist erstaunlich, wie armselig eine Versammlung über die
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höchsten Kulturprobleme schwatzt, eine Körperschaft, die doch aus den
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Sprößlingen tausendjähriger vornehmster Zucht und dem feinsten
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Ausschuß des Bürgertums, den Universitätsprofessoren und den
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Spitzen der städtischen Gemeinden besteht. Nirgends erhob sich die Debatte
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über die jämmerlichen Phrasen von sozialdemokratischer
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Vaterlandslosigkeit und Religionszerstörung. Diese Herren, die
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behaupteten, die gesamte sozialdemokratische Literatur gelesen zu haben,
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verrieten auch nicht die Kenntnis eines einzigen Satzes aus dem
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sozialdemokratischen Programm. Nichts als öde Verleumdungen, tausendfach
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widerlegte Flugblattmärchen und dazwischen wunderbare
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Räubergeschichten, wie sie sich die alten Weiber auf den entlegensten
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Gutshöfen gruselnd erzählen mögen.
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<P>Freilich, darauf kam es auch nicht an. Darüber war sich das hohe Haus, das
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die lebendige Widerlegung des aristokratischen Prinzips als eines
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Kulturprinzips ist, durchweg einig: Mit geistigen Waffen läßt sich
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die Sozialdemokratie nicht besiegen. Natürlich: wie soll sich die
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Wahrheit, die Vernunft, die Notwendigkeit geistig widerlegen lassen? Das
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Junkertum vertraut auf keinem Gebiet den geistigen Waffen. Dann, das weiß
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es, muß es unterliegen. Darum wendet es seine ganze ungeheure
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gesellschaftliche Macht dazu an, den freien Wettbewerb der Bildung und
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Fähigkeit auszuschalten und den hochwohlgeborenen Erzeugnissen der
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Gutsbezirke Armee, Verwaltung, Justiz ausschließlich zu sichern.
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<P>Hilft der Geist nicht, so muß die Faust retten. So wurde es denn als
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Programm mit brutaler Offenheit verkündet: Politische Entrechtung der
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Arbeiter, Beseitigung des Reichstagswahlrechts, Ausnahmegesetze gegen die
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Sozialdemokratie. Man weiß, was das bedeutet: Knebelung der Presse,
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Zerstörung des Versammlungsund Vereinswesens, Zuchthausvorlagen gegen die
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Gewerkschaften, weiterhin: Beschränkung der Freizügigkeit und
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Beseitigung aller Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausbeutung der
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Besitzlosen irgendwie zu mildern. Von der Sozialpolitik des Reiches, diesem
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Reklamestolz des christlich-monarchischen Staates, wollen die Magnaten
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Preußens gar nichts wissen. Der Arbeiter sei doch nicht
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»dankbar«, sie sind dazu da, billig zu arbeiten und teuer die
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Produkte der nationalen Agrarier zu bezahlen - zu weiter nichts. Es war der
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Graf Mirbach, der darüber zornig klagte, daß die Belastung der
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Gutsbesitzer durch das Unfallgesetz unerträglich sei. Zwei und eine halbe
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Mark haben die ostpreußischen Feudalherren auf den Kopf ihrer Arbeiter
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jährlich dafür zu zahlen, daß die in ihren Diensten
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getöteten oder zu Krüppeln gewordenen Arbeiter unterstützt
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werden können; auch diese Bettelpfennige sind schon unerträglich.
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<P>Als Mindestgrenze der politischen Entrechtung wurde die »Reform« des
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Reichstagswahlrechts in der Richtung gefordert, daß die Wahl
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öffentlich und an eine direkte Steuerleistung gebunden, das Wahlalter auf
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50 Jahre heraufgesetzt werde. Es war der Hausminister des Königs von
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Preußen, des deutschen Kaisers, Herr v. Wedel-Piesdorf, der dieses
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Programm aufstellte, obwohl doch dieselbe Verfassung, die dem Rechtsgrund der
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deutschen Kaiserkrone bildet, das demokratische Wahlrecht enthält.
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<P>Über die Durchführung dieser Diktatur des Junkertums machen sich die
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Herren nicht die geringste Sorge. Das Herrenhaus, das ein Rechtsbruch schuf,
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vertritt seit jeher die Politik des Staatsstreichs. In der Konfliktszeit 1861 -
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unmittelbar nach dem Regierungsantritt Bismarcks - war es das Herrenhaus, das
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am 11. Oktober, ohne einen Augenblick zu schwanken, verfassungswidrig einen
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anderen Etatsentwurf beschloß, als es vom Abgeordnetenhaus erhalten
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hatte. Man lachte darüber, daß der Präsident des damals
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oppositionellen Landtags mit pathetischer Gebärde den
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»verfassungswidrigen Beschluß von der Barre dieses Hauses
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zurückwies«. Die Grafen und Barone der ersten Kammer hielten den
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Rechtsbruch für »geboten«, und so verübten sie ihn.
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<P>Man hat auch genügend deutlich verraten, wie gegen das Wahlrecht
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vorzugehen sei. Dieser Reichstag werde allerdings für eine Reform nicht zu
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haben sein. Dann müsse eben an einen anderen Reichstag appelliert werden!
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Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll - es ist ja klar, daß ein unter
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der Parole der Beseitigung des Wahlrechts erfolgender Wahlkampf keinen
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Reichstag gegen das Wahlrecht ergeben würde -, so kann er nur bedeuten,
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daß nach dem Vorgang der preußischen Konterrevolution der Reichstag
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aufgelöst und auf Grund eines oktroyierten Wahlrechts ein neuer
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gewählt wird, der dann den Staatsstreich zu legitimieren hätte.
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<P>Der verantwortliche Hüter der Reichsverfassung aber fand kein Wort des
|
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|
Protestes gegen die Aufreizungen zum Hochverrat. Zwar ist Graf Bülow nicht
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|
geneigt, sofort zu handeln. Aber wenn das Wahlrecht weiter »falsch«
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||
|
angewendet werden sollte, dann werde man es ändern müssen. Das
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||
|
heißt, das Elementarrecht des Bürgers im modernen Staat
|
||
|
grundsätzlich preisgeben. Er will auch die Sozialreform fortsetzen, aber
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|
nur, um ein gutes Gewissen zur Schau tragen zu können, wenn zu anderen
|
||
|
Maßnahmen gegen die Freiheitsbewegung des Proletariats übergegangen
|
||
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werden sollte, das heißt: den Arbeiterschutz als Freibier und Freischnaps
|
||
|
verwenden, um den Arbeitern im Rausch das Bewußtsein ihres Elends und
|
||
|
ihrer Zukunft zu entwenden.
|
||
|
<P>Und die Vertreter des Bürgertums? Seitdem die deutsche Bourgeoisie, aus
|
||
|
feiger und kurzsichtiger Angst vor dem Proletariat, ihre historische Aufgabe
|
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|
verraten hat, mit dem Feudalismus aufzuräumen, ist sie politisch
|
||
|
gebrochen. Zwar richtet sich der Aufstand des Junkertums auch gegen den
|
||
|
bürgerlichen Kapitalismus, die industrielle Entwicklung, die Regierungs-
|
||
|
und Verwaltungsfähigkeit des Bürgertums im Staat - aber man geht
|
||
|
lieber zugrunde, als daß man mit dem Proletariat »paktiert«.
|
||
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<P>Indem die preußischen Herrenhausritter die gewaltsame Niederwerfung der
|
||
|
Arbeiterbewegung fordern, bekämpfen sie nicht nur den Sozialismus. Sie
|
||
|
errichten den Feudalismus gegen die Demokratie, gegen den Liberalismus. Das
|
||
|
Junkertum fühlt, daß alles Echte und Große einer liberalen
|
||
|
Weltanschauung in die Arbeiterbewegung übergegangen ist. So wiederholt
|
||
|
sich in der Staatsstreichpolitik des Herrenhauses gegen alle Grundrechte des
|
||
|
modernen Staates tatsächlich zunächst noch einmal der Kampf des
|
||
|
Feudalismus gegen das Bürgertum, des Feudalismus, der logisch 1789 in den
|
||
|
Katakomben der Weltgeschichte beigesetzt ist, in Preußen und Deutschland
|
||
|
aber nach seinem Tode noch verpestend bis zum heutigen Tage herrscht. Es
|
||
|
wiederholt sich und vollendet sich die preußische Junkerrebellion der
|
||
|
fünfziger Jahre, und diesmal wird das Bürgertum politisch für
|
||
|
immer vernichtet werden. Nicht das Proletariat, gegen das sich der Kampf
|
||
|
richtet, wird politisch unterliegen, sondern die Bourgeoisie, die sich hinter
|
||
|
den breiten Rücken der Feudalherren verkrochen hat.
|
||
|
<P>Die Wortführer des Bürgertums schwiegen in dieser Herrenhausdebatte
|
||
|
durchweg, obwohl es doch auch um ihre Sache sich handele, wie übrigens
|
||
|
auch die Führer des Zentrums keinerlei Einwendungen erhoben. Nur zwei
|
||
|
Bürgermeister machten einige schüchterne Bedenken gehend, und zwei
|
||
|
Professoren bekundeten den traurigen Niedergang deutscher Wissenschaft. Da
|
||
|
sprach ein berühmter Universitätsmann
|
||
|
<I>
|
||
|
(Der Nationalökonom Gustav Schmoller
|
||
|
</I>
|
||
|
|
||
|
<I>
|
||
|
Anm. d. Hg.).
|
||
|
</I>
|
||
|
in einem lichten marxistischen Augenblick unter der stürmischen Unruhe
|
||
|
der Erlauchten von einem feudal-aristokratischen Klassenregiment, um im
|
||
|
gleichen Atemzug über den Klassenkampf des Proletariats zu jammern; da
|
||
|
wehrte er sich in kläglichen Ausflüchten gegen den furchtbaren
|
||
|
Verdacht, er habe mit der Sozialdemokratie bei den Berliner Landtagswahlen
|
||
|
kompromisselt und dadurch das Interesse der freien Forschung, die allein von
|
||
|
der Sozialdemokratie unbedingt verteidigt wird, gegen die Erstickung durch die
|
||
|
Junkergewalt schützen wollen. Und ein anderer, noch berühmterer
|
||
|
Professor
|
||
|
<I>
|
||
|
(Der Jurist und Zivilrechtler Heinrich Dernburg Anm. d. Hg.)
|
||
|
</I>
|
||
|
rief beschwörend die Hohenzollerntreue an, um die Anklage zu
|
||
|
entkräften, die preußische, etatmäßige Wissenschaft
|
||
|
könne jemals so tief sinken, daß sie mit der Revolution sich
|
||
|
verbrüdere.
|
||
|
<P>(...)
|
||
|
<P>Es ist kein Zweifel, daß das deutsche Proletariat erst am Anfang seiner
|
||
|
Kämpfe steht. Ehe nicht das Junkertum gebrochen ist, sind selbst die
|
||
|
Elementarrechte des Volkes, die Grundbedingungen jeder Kultur, dauernd
|
||
|
gefährdet. Kein altes Recht ist gesichert, kein neues Recht wird uns
|
||
|
zugestanden. Zwischen der Sozialdemokratie und dem Junkertum gibt es
|
||
|
ebensowenig eine Brücke und eine Verständigung wie zwischen dem
|
||
|
Feudalismus und moderner Weltanschauung. Das deutsche Proletariat hat noch
|
||
|
immer um die Rechte zu ringen, die seit der großen französischen
|
||
|
Kultur Gemeingut und heiligster Besitz der Kulturstaaten geworden sind, um die
|
||
|
Vorbedingungen jeden Aufstiegs und jeder Entwicklung der Gesellschaft.
|
||
|
<P>Aber das in der Sozialdemokratie organisierte Proletariat wird in diesem Kampf
|
||
|
siegen, wie schwer er sich gestalten mag; denn mit ihr ist die Vernunft, die
|
||
|
geschichtliche Notwendigkeit. Es gibt nur ein Mittel, um unsere Sache zu
|
||
|
überwältigen. Sie müßten das gesamte Proletariat
|
||
|
totschlagen. Das aber tun sie nicht, weil sie ohne uns nicht leben können.
|
||
|
Sie brauchen unsere Hände, unsere Köpfe, sie sind nichts ohne uns.
|
||
|
Selbst für das Totschlagen brauchen sie Proletarier, die noch unwissend
|
||
|
genug sind, um gegen sich selbst zu wüten.
|
||
|
<P>Die Junkerherrschaft muß zugrunde gehen. Sie kann nur eines leisten: die
|
||
|
inneren Verhältnisse vorübergehend zerrütten und Deutschland im
|
||
|
Rat der Völker wehrlos machen und isolieren. Die Unfreiheit der
|
||
|
verjunkerten Zustände Deutschlands hat bereits jetzt dazu geführt,
|
||
|
daß sich die demokratischen Staaten Europas, Frankreich, England,
|
||
|
Italien, gegen das Deutschland der Reaktion zusammengeschlossen haben. Die
|
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Inzucht der junkerlichen Monopolisten aller Staatsgewalt hat den
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öffentlichen Geist Deutschlands verödet und verdorben. Kein
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staatsmännisches Talent zeigt sich irgendwo an leitender Stelle, kein
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Charakter, geschweige eine geniale Persönlichkeit. Hohle Diplomaten und
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unwissende Bürokraten schleppen von Tag zu Tag, ohne irgendwelches
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bedeutende Ziel, die Regierung weiter. Kein frischer Wind, kein freies Atmen!
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<P><SMALL>Pfad: »../ke/«<BR>
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Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL>
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<TD align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><A href="default.htm"><SMALL>Kurt Eisner</SMALL></A>
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