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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - III. 4</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_716.htm"><FONT SIZE=2>III. 3</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_731.htm"><FONT SIZE=2>IV. 1</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 727-731.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III. 4</P>
</FONT><B><P><A NAME="S727">|727|</A></B> Nachdem die Warenwirtschaft die herrschende Form der Produktion in Europa wenigstens in den St&auml;dten geworden war, in 18. Jahrhundert, fangen die Gelehrten an, die Frage zu untersuchen, worauf diese Wirtschaft, das hei&szlig;t der allgemeine Austausch, beruht. Aller Austausch wird durch das Geld vermittelt, und der Wert jeder Ware im Austausch hat einen Geldausdruck. Was bedeutet nun dieser Geldausdruck, und worauf beruht der Wert jeder Ware im Handel. Das waren die ersten Fragen, die die National&ouml;konomie untersuchte. In der zweiten H&auml;lfte des 18. und im Anfang des 19. Jahrhunderts wurde nun die gro&szlig;e Entdeckung von den Engl&auml;ndern Adam Smith und David Ricardo gemacht, da&szlig; der Wert jeder Ware nichts anderes als die in ihr steckende menschliche Arbeit ist, da&szlig; sich also beim Austausch der Waren gleiche Mengen verschiedener Arbeit gegeneinander austauschen. Das Geld ist nur der Vermittler dabei und dr&uuml;ckt im Preise nur die entsprechende Menge Arbeit aus, die in jeder Ware steckt. Es erscheint eigentlich als eine merkw&uuml;rdige Sache, da&szlig; hier von einer gro&szlig;en Entdeckung gesprochen werden kann, da doch, wie man glauben sollte, nichts klarer und selbstverst&auml;ndlicher ist, als da&szlig; der Austausch von Waren auf der [in] ihnen steckenden Arbeit beruht. Allein der Ausdruck des Warenwerts in Gold, der allgemeine und ausschlie&szlig;liche Gewohnheit geworden war, verdeckte diese nat&uuml;rliche Sache. In der Tat, wenn ich sage, der Schuster und der B&auml;cker tauschen ihre Produkte gegeneinander aus, so ist noch naheliegend und sichtbar, da&szlig; der Tausch deshalb zustande kommt, weil trotz des verschiedenen Gebrauchs das eine so gut Arbeit gekostet hat wie das andere, das eine also das andere wert ist, sofern sie gleiche Zeit in Anspruch genommen haben, Wenn ich aber sage, ein Paar Schuhe kosten 10 Mark, so ist zun&auml;chst dieser Ausdruck, wenn man ihn n&auml;her &uuml;berlegt, etwas ganz R&auml;tselhaftes. Was haben denn ein Paar Schuhe mit den 10 Mark gemein, worin sind sie sich denn gleich, um sich gegeneinander auszutauschen? Wie kann man so verschiedene Dinge &uuml;berhaupt miteinander vergleichen? Und wie kann man im Tausch f&uuml;r ein n&uuml;tzliches Produkt wie die Schuhe einen so unn&uuml;tzen und sinnlosen Gegenstand wie die gestempelten Geld oder Silberscheibchen nehmen? Wie kommt es endlich, da&szlig; gerade diese unn&uuml;tzen Metallscheibchen die Zauberkraft besitzen, alles in der Welt in Tausch zu kriegen? Nun, <I>alle </I>diese Fragen ist es den gro&szlig;en Sch&ouml;pfern der National&ouml;konomie, den <A NAME="S728"><B>|728|</A></B> Smith und Ricardo, zu beantworten nicht gelungen. Die Entdeckung, da&szlig; im Tauschwert jeder Ware, wie im Gelde auch,. blo&szlig; menschliche Arbeit steckt und da&szlig; somit der Wert jeder Ware um so gr&ouml;&szlig;er ist, je mehr Arbeit ihre Herstellung erfordert und umgekehrt, diese Entdeckung ist n&auml;mlich erst die halbe Wahrheit. Die andere H&auml;lfte der Wahrheit besteht in der Erkl&auml;rung, wieso und warum die menschliche Arbeit denn die seltsame Form des Tauschwertes und gar die r&auml;tselhaft Form des Geldes annimmt. Die englischen Sch&ouml;pfer der National&ouml;konomie haben sich diese letztere Frage nicht einmal vorgelegt, denn sie betrachteten es als eine angeborene, von Natur gegebene Eigenschaft der menschlichen Arbeit, da&szlig; sie Waren zum Tausch und Geld schafft. Das hei&szlig;t mit anderen Worten: Sie nahmen an, da&szlig; ebenso nat&uuml;rlich, wie der Mensch essen und trinken mu&szlig;, wie er auf dem Kopf Haare und im Gesicht eine Nase hat, er auch mit seinen H&auml;nden Waren zum Handel produzieren m&uuml;sse. Sie glaubten dies so fest, da&szlig; Adam Smith sich zum Beispiel in allem Ernst die Frage vorlegt, ob nicht schon die Tiere miteinander Handel treiben, und er verneint dies nur deshalb, weil man noch keine derartigen Beispiele bei Tieren bemerkt hat. Er sagt <A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_727.htm#F1">[1]</A></A>:</P>
<P>Diese naive Auffassung bedeutet aber nichts anderes, als da&szlig; die gro&szlig;en Sch&ouml;pfer der National&ouml;konomie in der felsenfesten Vorstellung lebten, die heutige kapitalistische Gesellschaftsordnung, bei der alles Ware ist und alles nur f&uuml;r den Handel produziert wird,. sei die einzig m&ouml;gliche und ewige Gesellschaftsordnung, die so lange dauern wird, wie das Menschengeschlecht auf Erden lebt. Erst Karl Marx, der als Sozialist die kapitalistische Ordnung nicht f&uuml;r die ewige und einzig m&ouml;gliche, sondern f&uuml;r eine verg&auml;ngliche geschichtliche Gesellschaftsform hielt, stellte Vergleiche zwischen den heutigen und den fr&uuml;heren Verh&auml;ltnissen in anderen Epochen an. Es zeigte sich dabei, da&szlig; die Menschen Jahrtausende lebten und arbeiteten, ohne vom Geld und vom Austausch viel zu wissen. Erst in dem Ma&szlig;e, wie jede gemeinsame planm&auml;&szlig;ige Arbeit in der Gesellschaft aufh&ouml;rte und die Gesellschaft sich in einen losen anarchischen Haufen ganz freier und selbst&auml;ndiger Produzenten mit Privateigentum aufl&ouml;ste, in dem Ma&szlig;e wurde der Austausch zum einzigen Mittel, die zersplitterten Individuen und ihre Arbeiten zu einer zusammenh&auml;ngenden gesellschaftlichen Wirtschaft zu vereinigen. An Stelle eines gemeinsamen Wirtschaftsplans, der der Produktion vorausging. trat nun das Geld, das zum einzigen direkten gesellschaftlichen Bindemittel wurde, und zwar deshalb, weil es das einzig Gemeinsame zwischen den vielen verschiednen Privatarbeiten dar- <A NAME="S729"><B>|729|</A></B> stellt, als ein St&uuml;ck menschlicher Arbeit ohne jeden besonderen Nutzen, also gerade dadurch. weil es ein ganz sinnloses Produkt ist, untauglich zu jeglichem Gebrauch im menschlichen Privatleben. Diese sinnlose Erfindung ist also eine Notwendigkeit, ohne die der Austausch &uuml;berhaupt. also die ganze bisherige Kulturgeschichte seit der Aufl&ouml;sung des Urkommunismus, unm&ouml;glich w&auml;re. Die b&uuml;rgerlichen National&ouml;konomen betrachten das Geld freilich nur als eine h&ouml;chst wichtige und unentbehrliche Sache, aber nur vom Standpunkte der rein &auml;u&szlig;erlichen Bequemlichkeit des Warenaustausches. Man kann dies in Wirklichkeit vom Gelde nur in dem Sinne sagen, wie man sagen kann, die Menschheit habe zum Beispiel die Religion zur Bequemlichkeit erfunden. Tats&auml;chlich sind Geld und Religion zwei gewaltige Kulturprodukte der Menschheit, die aber in ganz bestimmten vor&uuml;bergehenden Verh&auml;ltnissen wurzeln und, wie sie entstanden sind, so auch mit der Zeit &uuml;berfl&uuml;ssig werden. Die enormen. j&auml;hrlichen Ausgaben f&uuml;r die Goldproduktion, wie die Ausgaben f&uuml;r den Kultus wie auch die Ausgaben f&uuml;r Gef&auml;ngnisse, Militarismus, &ouml;ffentliche Wohlt&auml;tigkeit, die heute die gesellschaftliche Wirtschaft schwer belasten, aber bei der Existenz dieser Wirtschaftsform notwendige Kosten sind werden mit der Aufhebung der Warenwirtschaft von selbst wegfallen.</P>
<P>Die Warenwirtschaft, wie wir ihren inneren Mechanismus kennengelernt haben, erscheint vor uns als eine wunderbar harmonische und auf h&ouml;chsten Prinzipien der Moral beruhende Wirtschaftsordnung .Denn erstens herrscht ja v&ouml;llige individuelle Freiheit: Jeder arbeitet, wie, woran und wieviel er will, ganz nach freiem Belieben; jeder ist sein eigener Herr und braucht sich nur nach dem eigenen Vorteil zu richten. Zweitens, die einen tauschen ihre Waren, das hei&szlig;t ihre Arbeitsprodukte, gegen die Arbeitsprodukte anderer aus; Arbeit wird gegen Arbeit ausgetauscht, und zwar im Durchschnitt gleiche Mengen Arbeit gegen gleiche Mengen. Es herrscht also v&ouml;llige Gleichheit und Gegenseitigkeit der Interessen. Drittens gibt es bei der Warenwirtschaft eben nur Ware gegen Ware, Arbeitsprodukt gegen Arbeitsprodukt. Wer also kein Produkt seiner Arbeit zu bieten hat, wer nicht arbeitet, wird auch nichts zu essen kriegen. Es ist also auch die h&ouml;chste Gerechtigkeit. In der Tat versprachen die Philosophen und Politiker des 18. Jahrhunderts, die f&uuml;r den v&ouml;lligen Sieg der Gewerbefreiheit k&auml;mpften und f&uuml;r die Abschaffung der letzten Reste der alten Herrschaftsverh&auml;ltnisse - des Zunftreglements und der feudalen Leibeigenschaft <A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_727.htm#F2">[2]</A></A> -, die M&auml;nner der Gro&szlig;en Franz&ouml;sischen Revolution der Menschheit ein Paradies auf Erden, in dem Freiheit, Gleichheit und Br&uuml;derlichkeit herrschen sollten.</P>
<B><P><A NAME="S730">|730|</A></B> &Auml;hnlicher Meinung waren auch noch manche bedeutenden Sozialisten in der ersten H&auml;lfte des 19. Jahrhunderts. Als die wissenschaftliche National&ouml;konomie geschaffen und die gro&szlig;e Entdeckung von Smith-Ricardo gemacht wurde, da&szlig; alle Warenwerte auf menschlicher Arbeit beruhen, kamen sofort einzelne Freunde der Arbeiterklasse auf die Idee, da&szlig; bei richtiger Durchf&uuml;hrung des Warenaustausches v&ouml;llige Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft herrschen m&uuml;&szlig;ten. Denn tauscht sich stets nur Arbeit gegen Arbeit in gleichen Mengen aus, so kann unm&ouml;glich eine Ungleichheit des Reichtums eintreten, h&ouml;chstens die wohlverdiente Ungleichheit zwischen den Arbeitsamen und den Faulen, und der ganze gesellschaftliche Reichtum mu&szlig; denjenigen geh&ouml;ren, die arbeiten, das hei&szlig;t der Arbeiterklasse. Wenn wir also trotzdem in der heutigen Gesellschaft gro&szlig;e Unterschiede in der Lage der Menschen, wenn wir Reichtum neben Elend sehen und gerade Reichtum bei den Nichtarbeitenden und Elend bei denjenigen, die alle Werte durch ihre Arbeit schaffen, so mu&szlig; das offenbar aus einer Unredlichkeit bei dem Austausch entstehen, und zwar dank dem Umstand, da&szlig; bei dem Austausch der Arbeitsprodukte das Geld als Vermittler dazwischenspringe.<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_727.htm#F3">[3]</A></A> Das Geld verdeckt die wahre Herkunft aller Reicht&uuml;mer von der Arbeit, ruft best&auml;ndige Preisschwankungen hervor und gibt daher die M&ouml;glichkeit zu willk&uuml;rlichen Preisen, zu Prellereien und zur Ansammlung von Reicht&uuml;mern auf Kosten anderer. Also fort mit dem Gelde! Dieser auf die Abschaffung des Geldes gerichtete Sozialismus kam zuerst in England auf, wo ihn schon in den zwanziger und drei&szlig;iger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr talentvolle Schriftsteller, wie Thompson, Bray und andere, vertraten; dann erfand nochmals diese Sorte Sozialismus in Preu&szlig;en der konservative pommersche Junker und gl&auml;nzende national&ouml;konomische Schriftsteller Rodbertus, und zum drittenmal erfand diesen Sozialismus in Frankreich im Jahre 1849 Proudhon. Selbst praktische Versuche nach dieser Richtung wurden unternommen. Unter dem Einflu&szlig; des obengenannten Bray wurden in London und in vielen anderen St&auml;dten Englands sogenannte "Bazare f&uuml;r den gerechten Arbeitsaustausch" gegr&uuml;ndet, wohin die Waren gebracht wurden, um ohne Geldvermittlung streng nach der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit ausgetauscht zu werden. Auch Proudhon hat die Gr&uuml;ndung seiner sogenannten "Volksbank" zu diesem Zwecke vorgeschlagen. Diese Versuche sowie die Theorie selbst machten bald Bankrott. Der Warenaustausch ohne Geld ist in der Tat undenkbar, und jene Preisschwankungen, die man abschaffen <B>|731|</B> wollte, sind ja das einzige Mittel, den Warenproduzenten anzuzeigen, ob sie zuwenig oder zuviel von einer Ware herstellen, ob sie weniger oder mehr als erforderlich auf ihre Herstellung Arbeit verwenden, ob sie die richtigen Waren oder nicht erzeugen. Schafft man dieses einzige Verst&auml;ndigungsmittel zwischen den isolierten Warenproduzenten in der anarchischen Wirtschaft ab, so sind sie ganz verloren, dann sind sie nicht nur taubstumm, sondern auch blind. Dann mu&szlig; die Produktion stillstehen, und der kapitalistische Babelturm zerf&auml;llt in Tr&uuml;mmer. Die sozialistischen Pl&auml;ne, die aus der kapitalistischen Warenproduktion eine sozialistische machen wollten durch die blo&szlig;e Abschaffung des Geldes, sind also eine reine Utopie.</P>
<P>Allein wie steht es denn in Wirklichkeit mit der Freiheit, Gleichheit und Br&uuml;derlichkeit bei der Warenproduktion? Wie kann bei allgemeiner Warenproduktion, wo jedermann nur f&uuml;r ein Arbeitsprodukt etwas kriegen kann und wo nur gleiche Werte gegen gleiche Werte ausgetauscht werden, wie kann dabei Ungleichheit des Reichtums entstehen? Die heutige kapitalistische Wirtschaft zeichnet sich aber, wie jedermann wei&szlig;, gerade am meisten durch die schreiende Ungleichheit in der materiellen Lage der Menschen aus, durch ungeheure Ansammlung von Reicht&uuml;mern in wenigen H&auml;nden auf der einen und durch wachsende Massenarmut auf der anderen Seite. Die weitere Frage, die sich f&uuml;r uns logisch aus dem Bisherigen ergibt, gestaltet sich demnach so: <I>Wie ist bei der Warenwirtschaft und dem Austausch der Waren nach ihrem Wert der Kapitalismus m&ouml;glich?</P>
</I><P><HR></P>
Redaktionelle Anmerkungen
<P><A NAME="F1">[1]</A> In der Quelle fehlt das Zitat. <A HREF="lu05_727.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Randnotiz R. L.: Naturalwirtsch <A HREF="lu05_727.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Randnotiz R. L.: Vgl. [Kapitel &uuml;ber] John Bellers, [In: Eduard] Bernstein: Engl. Rev. [Sozialismus und Demokratie in der gro&szlig;en englischen Revolution, Stuttgart 1908], S. 354. <A HREF="lu05_727.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
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