307 lines
19 KiB
HTML
307 lines
19 KiB
HTML
|
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
|||
|
<HTML>
|
|||
|
|
|||
|
<HEAD>
|
|||
|
|
|||
|
<TITLE>Rosa Luxemburg - Frauenwahlrecht und Klassenkampf</TITLE>
|
|||
|
|
|||
|
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
|||
|
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">
|
|||
|
</HEAD>
|
|||
|
<BODY link="#6000FF" vlink="#8080C0" alink="#FF0000" bgcolor="#FFFFCC">
|
|||
|
|
|||
|
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
|||
|
<TR>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
|||
|
</TR>
|
|||
|
</TABLE>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<H2>Rosa Luxemburg</H2>
|
|||
|
<H1> Frauenwahlrecht und Klassenkampf</H1>
|
|||
|
<P><SMALL>Aus: »Frauenwahlrecht«, Propagandaschrift zum II. sozialdemokratischen Frauentag,Stuttgart, 12. Mai 1912.</SMALL></P>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<P>»Warum gibt es in Deutschland keine Arbeiterinnenvereine?
|
|||
|
Warum hört man so wenig von der Arbeiterinnenbewegung?« Mit diesen Worten leitete eine der Gründerinnen der proletarischen
|
|||
|
Frauenbewegung in Deutschland, Emma Ihrer, im Jahre 1898
|
|||
|
ihre Schrift ein: »Die Arbeiterinnen im Klassenkampf.« Kaum
|
|||
|
vierzehn Jahre sind seitdem verflossen, und heute ist die proletarische
|
|||
|
Frauenbewegung in Deutschland mächtig entfaltet. Mehr
|
|||
|
als hundertfünfzigtausend gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen
|
|||
|
bilden mit die Kerntruppen des wirtschaftlich kämpfenden
|
|||
|
Proletariats. Viele Zehntausende politisch organisierter Frauen
|
|||
|
sind um das Banner der Sozialdemokratie geschart: das
|
|||
|
sozialdemokratische Frauenorgan zählt über hunderttausend
|
|||
|
Abonnenten; die Forderung des Frauenwahlrechts steht auf der
|
|||
|
Tagesordnung des politischen Lebens der Sozialdemokratie.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Manch einer könnte gerade aus diesen Tatsachen heraus die
|
|||
|
Bedeutung des Kampfes um das Frauenwahlrecht unterschätzen.
|
|||
|
Er könnte denken: auch ohne die politische Gleichberechtigung des
|
|||
|
weiblichen Geschlechts haben wir glänzende Fortschritte in der
|
|||
|
Aufklärung und Organisierung der Frauen erzielt, das Frauenwahlrecht
|
|||
|
ist wohl auch weiterhin keine dringende Notwendigkeit.
|
|||
|
Doch wer so denkt, unterliegt einer Täuschung. Die großartige
|
|||
|
politische und gewerkschaftliche Aufrüttelung der Massen
|
|||
|
des weiblichen Proletariats in den letzten anderthalb Jahrzehnten
|
|||
|
ist nur deshalb möglich geworden, weil die Frauen des arbeitenden
|
|||
|
Volkes trotz ihrer Entrechtung am politischen Leben und an
|
|||
|
den parlamentarischen Kämpfen ihrer Klasse den regsten Anteil
|
|||
|
nehmen. Die Proletarierinnen zehren bis jetzt vom Wahlrecht der
|
|||
|
Männer, an dem sie tatsächlich teilnehmen, wenn auch nur indirekt.
|
|||
|
Der Wahlkampf ist jetzt schon für große Massen der
|
|||
|
Frauen wie der Männer der Arbeiterklasse ein gemeinsamer. In
|
|||
|
allen sozialdemokratischen Wählerversammlungen bilden die
|
|||
|
Frauen ein zahlreiches, manchmal das überwiegende, stets ein regsames
|
|||
|
und leidenschaftlich beteiligtes Publikum. In allen Wahlkreisen,
|
|||
|
wo eine gefestigte sozialdemokratische Organisation besteht,
|
|||
|
verrichten die Frauen mit die Wahlarbeit. Sie sind es auch,
|
|||
|
denen ein großes Verdienst an der Verbreitung von Flugblättern,
|
|||
|
an dem Werben von Abonnenten für die sozialdemokratische
|
|||
|
Presse zufällt, diese wichtigste Waffe des Wahlkampfes.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Der kapitalistische Staat hat den Frauen des Volkes nicht verwehren
|
|||
|
können, daß sie alle diese Mühen und Pflichten im politischen
|
|||
|
Leben auf sich nahmen. Er selbst hat ihnen die Möglichkeit
|
|||
|
dazu Schritt für Schritt durch die Gewährung des Vereins- und
|
|||
|
Versammlungsrechts erleichtern und sichern müssen. Nur das
|
|||
|
letzte politische Recht, das Recht, den Wahlzettel abzugeben,
|
|||
|
unmittelbar über die Volksvertretung in den gesetzgebenden und
|
|||
|
verwaltenden Körperschaften zu entscheiden und diesen Körperschaften
|
|||
|
als Erwählte anzugehören, nur dieses Recht will der Staat
|
|||
|
den Frauen nicht zugestehen. Allein hier, wie auf allen anderen
|
|||
|
Gebieten des gesellschaftlichen Lebens heißt es: »Wehre den Anfängen!« Der heutige Staat ist vor den proletarischen Frauen schon
|
|||
|
zurückgewichen, als er sie in öffentliche Versammlungen, in
|
|||
|
politische Vereine zuließ. Allerdings hat er das nicht aus freiem
|
|||
|
Willen getan, sondern der bitteren Not gehorchend, unter dem
|
|||
|
unwiderstehlichen Druck der aufstrebenden Arbeiterklasse. Nicht
|
|||
|
zuletzt war es das stürmische Vorwärtsdrängen der Proletarierinnen
|
|||
|
selbst, das den preußisch-deutschen Polizeistaat gezwungen
|
|||
|
hat, das famose »Frauensegment« in den politischen Vereinsversammlungen
|
|||
|
preiszugeben und den Frauen die Tore der politischen
|
|||
|
Organisationen sperrangelweit zu öffnen. Damit ist der
|
|||
|
Stein noch schneller ins Rollen gekommen. Der unaufhaltsame
|
|||
|
Fortschritt des proletarischen Klassenkampfes hat die arbeitenden
|
|||
|
Frauen mitten in den Strudel des politischen Lebens gerissen. Dank
|
|||
|
der Ausnützung des Vereins- und Versammlungsrechts haben sich
|
|||
|
die Proletarierinnen den regsten Anteil an dem parlamentarischen
|
|||
|
Leben, an den Wahlkämpfen errungen. Und nun ist es nur eine
|
|||
|
unabweisbare Folge, nur das logische Ergebnis der Bewegung, daß
|
|||
|
heute Millionen proletarischer Frauen selbstbewußt und trotzig
|
|||
|
rufen: <B>Her mit dem Frauenwahlrecht!</B>
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Ehemals, in den schönen Zeiten des vormärzlichen Absolutismus,
|
|||
|
hieß es gewöhnlich von dem ganzen arbeitenden Volke, es
|
|||
|
sei »noch nicht reif« zur Ausübung politischer Rechte. Heute kann
|
|||
|
das nicht von den proletarischen Frauen gesagt werden, denn sie
|
|||
|
haben ihre Reife für die Ausübung politischer Rechte erwiesen.
|
|||
|
Weiß doch jeder, daß ohne sie, ohne die begeisterte Mithilfe der
|
|||
|
Proletarierinnen, die deutsche Sozialdemokratie am 12. Januar
|
|||
|
nimmermehr den glänzenden Sieg errungen, die 4 1/4 Millionen
|
|||
|
Stimmen erhalten hätte. Aber gleichwohl: das arbeitende Volk
|
|||
|
hat jedesmal seine Reife zur politischen Freiheit durch eine siegreiche
|
|||
|
revolutionäre Massenerhebung erweisen müssen. Erst wenn
|
|||
|
das Gottesgnadentum auf dem Thron und die Edelsten und Besten
|
|||
|
der Nation die schwielige Faust des Proletariats fest auf dem
|
|||
|
Auge und sein Knie auf ihrer Brust fühlten, erst dann kam ihnen
|
|||
|
auch blitzartig der Glaube an die politische »Reife« des Volkes.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Heute sind die Frauen des Proletariats an der Reihe, ihre Reife
|
|||
|
dem kapitalistischen Staate zum Bewußtsein zu bringen. Das geschieht
|
|||
|
durch eine andauernde, machtvolle Massenbewegung, in
|
|||
|
der alle Mittel des proletarischen Kampfes und Druckes in
|
|||
|
Anwendung gebracht werden müssen.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Um das Frauenwahlrecht handelt es sich als Ziel, aber die
|
|||
|
Massenbewegung dafür ist nicht Frauensache allein, sondern gemeinsame
|
|||
|
Klassenangelegenheit der Frauen und Männer des Proletariats.
|
|||
|
Denn die Rechtlosigkeit der Frau ist heute in Deutschland
|
|||
|
nur ein Glied in der Kette der Reaktion, die das Leben des Volkes
|
|||
|
fesselt, und sie steht im engsten Zusammenhang mit der anderen
|
|||
|
Säule dieser Reaktion: mit der Monarchie. In dem heutigen
|
|||
|
groß-kapitalistischen, hochindustriellen Deutschland des zwanzigsten
|
|||
|
Jahrhunderts, im Zeitalter der Elektrizität und der Luftschiffahrt,
|
|||
|
ist die politische Rechtlosigkeit der Frau genau ein so reaktionäres
|
|||
|
Überbleibsel alter abgelebter Zustände wie die Herrschaft des
|
|||
|
Gottesgnadentums auf dem Throne. Beide Erscheinungen: das
|
|||
|
Instrument des Himmels als tonangebende Macht des politischen
|
|||
|
Lebens und die Frau, die züchtig am häuslichen Herde saß,
|
|||
|
unbekümmert um die Stürme des öffentlichen Lebens, um Politik
|
|||
|
und Klassenkampf: sie beide wurzeln in den vermorschten
|
|||
|
Verhältnissen der Vergangenheit, in den Zeiten der Leibeigenschaft
|
|||
|
auf dem Lande und der Zünfte in der Stadt. In diesen Zeiten
|
|||
|
waren sie begreiflich und notwendig. Beide: Monarchie wie
|
|||
|
Rechtlosigkeit der Frau sind heute durch die moderne kapitalistische
|
|||
|
Entwicklung entwurzelt, zur lächerlichen Karikatur auf die Menschheit
|
|||
|
geworden. Sie bestehen jedoch in der heutigen modernen Gesellschaft
|
|||
|
weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen hätte,
|
|||
|
sie wegzuräumen, nicht aus bloßer Beharrlichkeit und Trägheit
|
|||
|
der Zustände. Nein, sie sind noch da, weil beide - Monarchie wie
|
|||
|
Rechtlosigkeit der Frau - zu mächtigen Werkzeugen volksfeindlicher
|
|||
|
Interessen geworden sind. Hinter dem Thron und Altar wie
|
|||
|
hinter der politischen Versklavung des weiblichen Geschlechts
|
|||
|
verschanzen sich heute die schlimmsten und brutalsten Vertreter
|
|||
|
der Ausbeutung und der Knechtschaft des Proletariats. Monarchie
|
|||
|
und Rechtlosigkeit der Frau sind zu den wichtigsten Werkzeugen
|
|||
|
der kapitalistischen Klassenherrschaft geworden.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Für den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit darum,
|
|||
|
den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahlrecht vorzuenthalten.
|
|||
|
Von ihnen befürchtet er mit Recht die Gefährdung
|
|||
|
aller althergebrachten Einrichtungen der Klassenherrschaft. So des
|
|||
|
Militarismus, dessen Todfeindin jede denkende Proletarierin sein
|
|||
|
muß; der Monarchie; des Raubsystems der Zölle und Steuern auf
|
|||
|
Lebensmittel usw. Das Frauenwahlrecht ist für den heutigen
|
|||
|
kapitalistischen Staat ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die
|
|||
|
Millionen Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolutionäre
|
|||
|
Sozialdemokratie stärken würden. Käme es auf die Damen der
|
|||
|
Bourgeoisie an, so hätte der kapitalistische Staat von ihnen nur
|
|||
|
eine wirksame Unterstützung der Reaktion zu erwarten. Die meisten
|
|||
|
bürgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen »die Vorrechte
|
|||
|
der Männer« wie Löwinnen gebärden, würden im Besitz
|
|||
|
des Wahlrechts wie fromme Lämmlein mit dem Troß der konservativen
|
|||
|
und klerikalen Reaktion gehen. Ja, sie wären sicher noch
|
|||
|
um ein Beträchtliches reaktionärer als der männliche Teil ihrer
|
|||
|
Klasse. Von der kleinen Zahl Berufstätiger unter ihnen abgesehen,
|
|||
|
nehmen die Frauen der Bourgeoisie an der gesellschaftlichen
|
|||
|
Produktion keinen Anteil, sie sind bloße Mitverzehrerinnen des
|
|||
|
Mehrwerts, den ihre Männer aus dem Proletariat herauspressen,
|
|||
|
sie sind Parasiten der Parasiten am Volkskörper. Und Mitverzehrer
|
|||
|
sind gewöhnlich noch rabiater und grausamer in der Verteidigung
|
|||
|
ihres »Rechts« auf Parasitendasein, als die unmittelbaren
|
|||
|
Träger der Klassenherrschaft und der Ausbeutung. Die Geschichte
|
|||
|
aller großen Revolutionskämpfe hat dies grauenvoll bestätigt. Als
|
|||
|
nach dem Fall der Jakobinerherrschaft in der großen französischen
|
|||
|
Revolution der gefesselte Robespierre auf dem Wagen zum Richtplatz
|
|||
|
gefahren wurde, da führten die nackten Lustweiber der
|
|||
|
siegestrunkenen Bourgeoisie auf den Straßen einen schamlosen
|
|||
|
Freudentanz um den gefallenen Revolutionshelden auf. Und als
|
|||
|
im Jahre 1871 in Paris die heldenmütige Arbeiterkommune mit
|
|||
|
Mitrailleusen besiegt wurde, da übertrafen die rasenden Weiber
|
|||
|
der Bourgeoisie in ihrer blutigen Rache an dem niedergeworfenen
|
|||
|
Proletariat noch ihre bestialischen Männer. Die Frauen der
|
|||
|
besitzenden Klassen werden stets fanatische Verteidigerinnen der
|
|||
|
Ausbeutung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von
|
|||
|
der sie aus zweiter Hand die Mittel für ihr gesellschaftlich
|
|||
|
unnützes Dasein empfangen.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Wirtschaftlich und sozial stellen die Frauen der ausbeutenden
|
|||
|
Klassen keine selbständige Schicht der Bevölkerung dar. Sie üben
|
|||
|
bloß die soziale Funktion als Werkzeuge der natürlichen Fortpflanzung
|
|||
|
für die herrschenden Klassen aus. Hingegen sind die
|
|||
|
Frauen des Proletariats wirtschaftlich selbständig, sie sind für die
|
|||
|
Gesellschaft produktiv tätig so gut wie die Männer. Nicht in dem
|
|||
|
Sinne, daß sie dem Manne durch häusliche Arbeit helfen, mit dem
|
|||
|
kargen Lohn das tägliche Dasein der Familie zu fristen und Kinder
|
|||
|
zu erziehen. Diese Arbeit ist nicht produktiv im Sinne der
|
|||
|
heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und mag sie in
|
|||
|
tausendfältigen kleinen Mühen eine Riesenleistung an Selbstaufopferung
|
|||
|
und Kraftaufwand ergeben. Sie ist nur eine private Angelegenheit
|
|||
|
des Proletariers, sein Glück und Segen, und gerade
|
|||
|
deshalb bloße Luft für die heutige Gesellschaft. Als produktiv
|
|||
|
gilt - solange Kapitalherrschaft und Lohnsystem dauern werden -
|
|||
|
nur diejenige Arbeit, die Mehrwert schafft, die kapitalistischen
|
|||
|
Profit erzeugt. Von diesem Standpunkt ist die Tänzerin im Tingeltangel,
|
|||
|
die ihrem Unternehmer mit ihren Beinen Profit in die
|
|||
|
Tasche fegt, eine produktive Arbeiterin, während die ganze Mühsal
|
|||
|
der Frauen und Mütter des Proletariats in den vier Wänden
|
|||
|
ihres Heimes als unproduktive Tätigkeit betrachtet wird. Das
|
|||
|
klingt roh und wahnwitzig, entspricht aber genau der Roheit und
|
|||
|
dem Wahnwitz der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung,
|
|||
|
und diese rohe Wirklichkeit klar und scharf zu erfassen, ist die
|
|||
|
erste Notwendigkeit für die proletarischen Frauen.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Denn gerade von diesem Standpunkt aus ist jetzt der Anspruch
|
|||
|
der Proletarierinnen auf politische Gleichberechtigung in fester
|
|||
|
wirtschaftlicher Grundlage verankert. Millionen von proletarischen
|
|||
|
Frauen schaffen heute kapitalistischen Profit gleich Männern - in
|
|||
|
Fabriken, Werkstätten, in der Landwirtschaft, in der
|
|||
|
Hausindustrie, in Büros, in Läden. Sie sind also produktiv im
|
|||
|
strengsten wissenschaftlichen Sinne der heutigen Gesellschaft. Jeder
|
|||
|
Tag vergrößert die Scharen der kapitalistisch ausgebeuteten
|
|||
|
Frauen, jeder neue Fortschritt in der Industrie, in der Technik
|
|||
|
schafft neuen Platz für Frauen im Getriebe der kapitalistischen
|
|||
|
Profitmacherei. Und damit fügt jeder Tag und jeder industrielle
|
|||
|
Fortschritt einen neuen Stein zur festen Grundlage der politischen
|
|||
|
Gleichberechtigung der Frauen. Für den wirtschaftlichen Mechanismus
|
|||
|
selbst ist jetzt Schulbildung und geistige Intelligenz der
|
|||
|
Frauen notwendig geworden. Die beschränkte weltfremde Frau
|
|||
|
des altväterischen »häuslichen Herdes« taugt heute so wenig für
|
|||
|
die Ansprüche der Großindustrie und des Handels wie für die
|
|||
|
Anforderungen des politischen Lebens. Freilich, auch in dieser Beziehung
|
|||
|
hat der kapitalistische Staat seine Pflichten vernachlässigt.
|
|||
|
Bis jetzt haben die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen
|
|||
|
Organisationen das meiste und beste für die geistige und
|
|||
|
moralische Erweckung und Schulung der Frauen getan. Wie schon
|
|||
|
vor Jahrzehnten in Deutschland die Sozialdemokraten als die
|
|||
|
tüchtigsten, intelligentesten Arbeiter bekannt waren, so sind heute
|
|||
|
die Frauen des Proletariats durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften
|
|||
|
aus der Stickluft ihres engen Daseins, aus der kümmerlichen
|
|||
|
Geistlosigkeit und Kleinlichkeit des häuslichen Waltens
|
|||
|
emporgehoben worden. Der proletarische Klassenkampf hat
|
|||
|
ihren Gesichtskreis erweitert, ihren Geist elastisch gemacht, ihr
|
|||
|
Denkvermögen entwickelt, hat ihrem Streben große Ziele gewiesen.
|
|||
|
Der Sozialismus hat die geistige Wiedergeburt der Masse der
|
|||
|
proletarischen Frauen bewirkt und sie dadurch zweifellos auch
|
|||
|
zu tüchtigen produktiven Arbeiterinnen für das Kapital gemacht.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Nach alledem ist die politische Rechtlosigkeit der proletarischen
|
|||
|
Frauen eine um so niederträchtigere Ungerechtigkeit, als sie bereits
|
|||
|
eine halbe Lüge geworden ist. Beteiligen sich doch die Frauen
|
|||
|
in Massen und aktiv am politischen Leben. Jedennoch die Sozialdemokratie
|
|||
|
kämpft nicht mit dem Argument der »Ungerechtigkeit«.
|
|||
|
Der grundlegende Unterschied zwischen uns und dem früheren
|
|||
|
sentimentalen utopischen Sozialismus beruht gerade darauf,
|
|||
|
daß wir nicht auf die Gerechtigkeit der herrschenden Klassen,
|
|||
|
sondern einzig und allein auf die revolutionäre Macht der
|
|||
|
Arbeitermassen bauen und auf den Gang der gesellschaftlichen
|
|||
|
Entwicklung, der jener Macht den Boden schafft. So ist die
|
|||
|
Ungerechtigkeit an sich gewiß kein Argument, um reaktionäre
|
|||
|
Einrichtungen zu stürzen. Wenn sich jedoch das Empfinden der
|
|||
|
Ungerechtigkeit weiter Kreise der Gesellschaft bemächtigt - sagt Friedrich
|
|||
|
Engels, der Mitschöpfer des wissenschaftlichen Sozialismus -, so
|
|||
|
ist das immer ein sicheres Zeichen, daß in den wirtschaftlichen
|
|||
|
Grundlagen der Gesellschaft weitgehende Verschiebungen Platz
|
|||
|
gegriffen haben, daß bestehende Zustände bereits mit dem Fortschritt
|
|||
|
der Entwicklung in Widerspruch geraten sind. Die jetzige
|
|||
|
kraftvolle Bewegung der Millionen proletarischer Frauen, die ihre
|
|||
|
politische Rechtlosigkeit als ein schreiendes Unrecht empfinden,
|
|||
|
ist ein solches untrügliches Zeichen, daß die gesellschaftlichen
|
|||
|
Grundlagen der bestehenden Staatsordnung bereits morsch und
|
|||
|
ihre Tage gezählt sind.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Einer der ersten großen Verkünder der sozialistischen Ideale,
|
|||
|
der Franzose Charles Fourier, hat vor hundert Jahren die denkwürdigen
|
|||
|
Worte geschrieben: In jeder Gesellschaft ist der Grad
|
|||
|
der weiblichen Emanzipation (Freiheit) das natürliche Maß der
|
|||
|
allgemeinen Emanzipation. Das stimmt vollkommen für die heutige
|
|||
|
Gesellschaft. Der jetzige Massenkampf um die politische
|
|||
|
Gleichberechtigung der Frau ist nur eine Äußerung und ein Teil
|
|||
|
des allgemeinen Befreiungskampfes des Proletariats, und darin
|
|||
|
liegt gerade seine Kraft und seine Zukunft. Das allgemeine, gleiche,
|
|||
|
direkte Wahlrecht der Frauen würde - dank dem weiblichen
|
|||
|
Proletariat - den proletarischen Klassenkampf ungeheuer
|
|||
|
vorwärtstreiben und verschärfen. Deshalb verabscheut und fürchtet
|
|||
|
die bürgerliche Gesellschaft das Frauenwahlrecht, und deshalb
|
|||
|
wollen und werden wir es erringen. Auch durch den Kampf um
|
|||
|
das Frauenwahlrecht wollen wir die Stunde beschleunigen, wo die
|
|||
|
heutige Gesellschaft unter den Hammerschlägen des revolutionären
|
|||
|
Proletariats in Trümmer stürzt.</P>
|
|||
|
<HR size="1" align="left" width="200">
|
|||
|
<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
|
|||
|
Pfad: »../lu/«<BR>
|
|||
|
Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL></P>
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
|||
|
<TR>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
|||
|
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle> <A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
|||
|
</TR>
|
|||
|
</TABLE>
|
|||
|
</BODY>
|
|||
|
|
|||
|
</HTML>
|
|||
|
|