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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Koeln in Gefahr</title>
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<p align="center"><a href="me05_057.htm"><font size="2">Das Schild der Dynastie</font></a>
<font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
"2">|</font> <a href="me05_063.htm"><font size="2">Inkompetenzerkl&auml;rung der Versammlungen
zu Frankfurt und Berlin</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 59-62<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>K&ouml;ln in Gefahr</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung Nr. 11 vom 11. Juni 1848]</font></p>
<p><b><a name="S59">&lt;59&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 10. Juni. Pfingsten, das liebliche
Fest, war gekommen, die Felder gr&uuml;nten, die B&auml;ume bl&uuml;hten, und soweit es Leute
gibt, die den Dativ mit dem Akkusativ verwechseln, bereitete man sich vor, den heiligen Geist
der Reaktion auf <i>einen</i> Tag &uuml;ber alle Lande auszugie&szlig;en.</p>
<p>Der Augenblick ist gut gew&auml;hlt. In Neapel ist es den Gardelieutenants und Schweizer
Landsknechten gelungen, die junge Freiheit im Blut des Volks zu ersticken. &lt;Siehe <a href=
"me05_019.htm">"[Die neueste Heldentat des Hauses Bourbon]"</a>&gt; In Frankreich legt eine
Kapitalistenversammlung der Republik den Knebel drakonischer Gesetze an und ernennt zum
Kommandanten von Vincennes den General Perrot, der den 23. Februar am H&ocirc;tel Guizot Feuer
kommandierte. In England und Irland wirft man Chartisten und Repealers massenweise ins
Gef&auml;ngnis und sprengt unbewaffnete Meetings durch Dragoner auseinander. In Frankfurt setzt
die Nationalversammlung das vom seligen Bundestag vorgeschlagene und vom
F&uuml;nfzigerausschu&szlig; zur&uuml;ckgewiesene Triumvirat jetzt selbst ein. In Berlin siegt
die Rechte Schlag auf Schlag durch &Uuml;berzahl und Trommeln, und der Prinz von Preu&szlig;en
erkl&auml;rt durch seinen Einzug in das "Eigentum der ganzen Nation " die Revolution f&uuml;r
null und nichtig.</p>
<p>In Rheinhessen konzentrieren sich Truppen; rings um Frankfurt herum lagern die Helden, die
im Seekreis an den republikanischen Freischaren sich ihre Sporen verdienten; Berlin ist
zerniert, Breslau ist zerniert, und wie es in der Rheinprovinz aussieht, davon werden wir
gleich sprechen.</p>
<p>Die Reaktion bereitet einen gro&szlig;en Schlag vor.</p>
<p>W&auml;hrend man sich in Schleswig schl&auml;gt, w&auml;hrend Ru&szlig;land drohende Noten
schickt und dreimalhunderttausend Mann um Warschau zusammen- <a name=
"S60"><b>&lt;60&gt;</b></a> zieht, wird Rheinpreu&szlig;en mit Truppen &uuml;berschwemmt,
obwohl die Bourgeois der Pariser Kammer schon wieder "den Frieden um jeden Preis"
proklamieren!</p>
<p>In Rheinpreu&szlig;en, Mainz und Luxemburg stehen (nach der <i>"Deutschen Zeitung"</i>)
<i>vierzehn ganze</i> Infanterieregimenter (das 13., 15. <a name="Z1"></a><a href=
"me05_059.htm#M1">(1)</a>, 16., 17., 25., 26., 27., 28., 30., 34., 35., 38., 39., 40.), d.h. <i>ein
Drittel</i> der gesamten preu&szlig;ischen Linien- und Gardeinfanterie (45 Regimenter). Ein
Teil davon ist v&ouml;llig auf Kriegsfu&szlig; und die &uuml;brigen durch Einziehung des
dritten Teils der Reserven verst&auml;rkt. Au&szlig;erdem drei Ulanen-, zwei Husaren- und ein
Dragonerregiment, wozu noch in kurzer Zeit ein K&uuml;rassierregiment erwartet wird. Dazu der
gr&ouml;&szlig;te Teil der 7. und 8. Artilleriebrigade, von denen wenigstens schon die
H&auml;lfte mobil gemacht (d.h. von 19 auf 121 Pferde per Fu&szlig;batterie oder von 2 auf 8
bespannte Gesch&uuml;tze gebracht) worden ist. F&uuml;r Luxemburg und Mainz ist au&szlig;erdem
eine dritte Kompanie gebildet worden. Diese Truppen stehen in einem gro&szlig;en Bogen von
K&ouml;ln und Bonn &uuml;ber Koblenz und Trier nach der franz&ouml;sischen und luxemburgischen
Grenze. Alle Festungen werden armiert, die Gr&auml;ben verpallisadiert, die Glacisb&auml;ume
teils ganz, teils in der Schu&szlig;linie der Kanonen rasiert.</p>
<p>Und wie sieht es hier in <i>K&ouml;ln</i> aus?</p>
<p>Die K&ouml;lner Forts sind vollst&auml;ndig armiert. Die Bettungen werden gestreckt, die
Scharten geschnitten, die Gesch&uuml;tze sind da und werden aufgefahren. Jeden Tag von morgens
6 bis abends 6 wird daran gearbeitet. Die Gesch&uuml;tze sollen sogar nachts, um alles
Ger&auml;usch zu vermeiden, mit <i>umwickelten R&auml;dern</i> aus der Stadt gefahren worden
sein.</p>
<p>Die Armierung der Ringmauer hat angefangen am Bayenturm und ist schon vorger&uuml;ckt bis
Bastion Nr. 6, d.h. bis zur H&auml;lfte der Umwallung. Auf Abschnitt I sind schon 20
Gesch&uuml;tze aufgefahren.</p>
<p>Auf Bastion Nr. 2 (am Severintor) stehen die Gesch&uuml;tze &uuml;ber dem Tor. Sie brauchen
nur umgedreht zu werden, um die Stadt zu beschie&szlig;en.</p>
<p>Der beste Beweis, da&szlig; diese Bewaffnungen nur scheinbar gegen einen &auml;u&szlig;ern
Feind, in der Tat aber <i>gegen K&ouml;ln selbst</i> gerichtet sind, liegt darin, da&szlig;
hier die B&auml;ume des Glacis &uuml;berall stehengeblieben sind. F&uuml;r den Fall, da&szlig;
die Truppen die Stadt verlassen und sich in die Forts werfen m&uuml;&szlig;ten, sind dadurch
die Kanonen des Stadtwalls nutzlos gemacht gegen die Forts, w&auml;hrend die M&ouml;rser,
Haubitzen und Vierundzwanzigpf&uuml;nder der Forts keineswegs gehindert sind, Granaten und
Bomben &uuml;ber die B&auml;ume weg in die Stadt <a name="S61"><b>&lt;61&gt;</b></a> zu werfen.
Die Entfernung der Forts von der Ringmauer betr&auml;gt nur 1.400 Schritt und erlaubt den
Forts, Bomben, die bis zu 4.000 Schritt fliegen, in jeden beliebigen Teil der Stadt
hineinzuwerfen.</p>
<p>Jetzt die Ma&szlig;regeln, die <i>direkt gegen die Stadt gerichtet</i> sind.</p>
<p>Das <i>Zeughaus</i>, dem Regierungsgeb&auml;ude gegen&uuml;ber, wird <i>ausger&auml;umt</i>.
Die Gewehre werden h&uuml;bsch emballiert, so da&szlig; es nicht auff&auml;llt, und in die
Forts gebracht.</p>
<p>In <i>Gewehrkisten</i> wird Artilleriemunition in die Stadt gebracht und in den bombenfesten
Kriegsmagazinen l&auml;ngs der Ringmauer deponiert.</p>
<p>W&auml;hrend wir dies schreiben, werden an <i>die Artillerie Gewehre mit Bajonetten</i>
ausgeteilt, obwohl es bekannt ist, da&szlig; die Artillerie in Preu&szlig;en gar nicht darauf
einexerziert ist.</p>
<p>Die Infanterie liegt schon teilweise in den Forts. Ganz K&ouml;ln wei&szlig;, da&szlig; ihr
vorgestern 5.000 scharfe Patronen per Kompanie ausgeteilt wurden.</p>
<p>Folgende Dispositionen sind getroffen f&uuml;r den Fall eines Zusammensto&szlig;es mit dem
Volk.</p>
<p>Auf das erste Alarmzeichen r&uuml;ckt die 7. (Festungs-)Artilleriekompanie aus in die
Forts.</p>
<p>Die Batterie Nr. 37 r&uuml;ckt dann ebenfalls vor die Stadt. Diese Batterie ist schon
vollst&auml;ndig "kriegsfeldm&auml;&szlig;ig" ausger&uuml;stet.</p>
<p>Die 5. und 8. Artilleriekompanie bleibt vorderhand in der Stadt. Diese Kompanien haben 20
Schu&szlig; in jedem Protzkasten.</p>
<p>Die Husaren kommen von Deutz nach K&ouml;ln her&uuml;ber.</p>
<p>Die Infanterie besetzt den Neumarkt, das Hahnentor und Ehrentor, um den R&uuml;ckzug aller
Truppen aus der Stadt zu decken, und wirft sich alsdann ebenfalls in die Forts.</p>
<p>Dazu bieten die h&ouml;heren Offiziere alles auf, um den Truppen einen altpreu&szlig;ischen
Ha&szlig; gegen die neue Ordnung der Dinge beizubringen. Bei der jetzigen Bl&uuml;te der
Reaktion ist nichts leichter, als unter dem Vorwande einer Rede gegen die W&uuml;hler und
Republikaner die geh&auml;ssigsten Angriffe gegen die Revolution und gegen die konstitutionelle
Monarchie an den Mann zu bringen.</p>
<p><i>Dazu ist K&ouml;ln nie ruhiger gewesen als gerade in der letzten Zeit.</i> Au&szlig;er
einem unbedeutenden Auflauf vor dem Hause des Regierungspr&auml;sidenten und einer
Schl&auml;gerei auf dem Heumarkt ist seit vier Wochen nichts vorgefallen, das auch nur die
B&uuml;rgerwehr irgendwie alarmiert h&auml;tte. Alle diese Ma&szlig;regeln sind also
<i>g&auml;nzlich unprovoziert</i>.</p>
<p>Wir wiederholen: Nach diesen sonst ganz unbegreiflichen Ma&szlig;regeln, nach den
Truppenzusammenziehungen um Berlin und Breslau, die uns durch Briefe best&auml;tigt sind, nach
der &Uuml;berschwemmung der den Reaktion&auml;ren so <a name="S62"><b>&lt;62&gt;</b></a>
verha&szlig;ten Rheinprovinz mit Soldaten, k&ouml;nnen wir nicht daran zweifeln, da&szlig; die
Reaktion einen allgemeinen gro&szlig;en Coup vorbereitet.</p>
<p>Der Ausbruch scheint hier in K&ouml;ln auf den <i>zweiten Pfingsttag</i> festgesetzt zu
sein. Das Ger&uuml;cht wird geflissentlich verbreitet, da&szlig; es an diesem Tage "losgehen"
werde. Man wird sich bem&uuml;hen, einen kleinen Skandal hervorzurufen, um dann sofort die
Truppen agieren zu lassen, die Stadt mit Beschie&szlig;ung zu bedrohen, die B&uuml;rgerwehr zu
entwaffnen, die Hauptw&uuml;hler einzusperren, kurz, uns nach Mainzer und Trierer Art &lt;Siehe
<a href="me05_018.htm">"H&uuml;ser"</a>&gt; zu mi&szlig;handeln.</p>
<p>Wir warnen die K&ouml;lner Arbeiter ernstlich vor dieser Falle, die die Reaktion ihnen
stellt. Wir bitten sie dringend, der altpreu&szlig;ischen Partei <i>nicht den geringsten
Vorwand zu geben</i>, um K&ouml;ln unter den Despotismus der Kriegsgesetze zu stellen. Wir
bitten sie, <i>die beiden Pfingsttage ganz besonders ruhig vor&uuml;bergehen zu lassen</i> und
dadurch den Reaktion&auml;ren ihren ganzen Plan zu vereiteln.</p>
<p>Geben wir der Reaktion Vorwand, uns anzugreifen, so sind wir verloren, so geht es uns wie
den Mainzern. Zwingen wir sie, uns anzugreifen, und wagt sie den Angriff wirklich, so werden
die K&ouml;lner Gelegenheit haben zu beweisen, da&szlig; auch sie keinen Augenblick anstehen,
f&uuml;r die Errungenschaften des 18. M&auml;rz Blut und Leben in die Schanze zu schlagen.</p>
<p><i>Nachschrift</i>. Soeben sind folgende Befehle ausgeteilt worden:</p>
<p>F&uuml;r die beiden <i>Pfingsttage f&auml;llt die Parole</i> aus (w&auml;hrend sie sonst mit
ganz besonderer Feierlichkeit ausgegeben wurde). Die Truppen bleiben <i>in den Kasernen
konsigniert</i>, wo den Offizieren die Parole mitgeteilt wird.</p>
<p>Die Festungs- und Handwerkskompanien der Artillerie sowie die Infanteriebesatzung der Forts,
erhalten von heute ab au&szlig;er der gew&ouml;hnlichen Brotverpflegung t&auml;glich auf vier
Tage Brot voraus, <i>so da&szlig; sie stets auf acht Tage verproviantiert sind</i>.</p>
<p>Die Artillerie exerziert schon heute abend um 7 Uhr <i>mit Gewehren</i>.</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
<hr>
<br>
<br>
<p>Fu&szlig;noten</p>
<p><a name="M1">(1)</a>&nbsp;Nicht ganz richtig. Das 13. steht teilweise, das 15. ganz in
Westfalen, kann aber mit der Eisenbahn in wenig Stunden hier sein. <a href="me05_059.htm#Z1">&lt;=</a></p>
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</html>