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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der Aufstand in Frankfurt</title>
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<p align="center"><a href="me05_408.htm"><font size="2">Die Ratifikation des
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Waffenstillstandes</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
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"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_414.htm"><font size="2">Das
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Ministerium der Kontrerevolution</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 410-413<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
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<h1>Der Aufstand in Frankfurt</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 107 vom 20. September 1848,
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Beilage]</font></p>
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<p><b><a name="S410"><410></a></b> **<i>Köln</i>, 19. September, abends 7 Uhr. Der
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deutsch-dänische Waffenstillstand hat den Sturm beschworen. Der blutigste Aufstand ist in
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Frankfurt losgebrochen; die Ehre Deutschlands, von der Nationalversammlung an ein mit Schimpf
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und Schande abgedanktes preußisches Ministerium verraten, wird von den Arbeitern
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Frankfurts, Offenbachs und Hanaus, von den Bauern der Umgegend mit dem Leben verteidigt.</p>
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<p>Noch schwankt der Kampf. Die Soldaten scheinen bis gestern abend wenig Fortschritte gemacht
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zu haben. Artillerie ist in Frankfurt mit Ausnahme der Zeil und allenfalls einiger andern
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Straßen und Plätze wenig anzuwenden, Kavallerie fast gar nicht. Von dieser Seite
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stehen die Chancen günstig fürs Volk. Die Hanauer, aus dem gestürmten Zeughaus
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bewaffnet, sind zur Hülfe hinzugezogen. Desgleichen die Bauern aus zahllosen Ortschaften
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der Umgegend. Das Militär mochte bis gestern abend gegen 10.000 Mann, mit wenig
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Artillerie, stark sein. Der Zuzug von Bauern während der Nacht muß sehr groß,
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der von Soldaten schon geringer gewesen sein; die nächste Umgegend war entblößt
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von Truppen. Die revolutionäre Gesinnung der odenwälder, nassauischen und
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kurhessischen Bauern erlaubte keine weitern Absendungen; die Kommunikationen werden
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unterbrochen sein. Hat sich der Aufstand nur noch heute gehalten, so steht der ganze Odenwald,
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Nassau, Kurhessen und Rheinhessen, so steht zwischen Fulda, Koblenz, Mannheim und Aschaffenburg
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die ganze Bevölkerung unter den Waffen, und die Truppen fehlen, den Aufstand zu
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unterdrücken. Und wer steht für Mainz, Mannheim, Marburg, Kassel, Wiesbaden - lauter
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Städte, in denen der Haß gegen die Soldateska durch blutige Exzesse der sog.
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"Reichstruppen" auf den höchsten Grad gestiegen ist? Wer steht für die Bauern am
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Rhein, die mit Leichtigkeit Truppensendungen zu Wasser verhindern können?</p>
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<p><b><a name="S411"><411></a></b> Und dennoch, wir gestehen es, wir haben wenig Hoffnung
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für den Sieg der braven Insurgenten. Frankfurt ist eine zu kleine Stadt, die
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unverhältnismäßige Stärke der Truppen und die bekannten
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kontrerevolutionären Sympathien der Frankfurter Spießbürger sind zu
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überwiegend, als daß wir uns übergroße Hoffnungen machen
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könnten.</p>
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<p>Selbst wenn die Insurgenten unterliegen, so ist noch nichts entschieden. Die
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Kontrerevolution wird übermütig werden, wird uns mit Belagerungszustand,
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Unterdrückung der Preßfreiheit, der Klubs und der Volksversammlungen einen
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Augenblick knechten; aber nicht lange und das Krähen des gallischen Hahns wird die Stunde
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der Befreiung, die Stunde der Vergeltung verkünden.</p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 108 vom 21 September 1848]</font></p>
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<p>**<i>Köln</i>, 20. September. Die Nachrichten aus Frankfurt fangen an, unsere gestrigen
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Befürchtungen allmählich zu bestätigen. Es scheint gewiß zu sein,
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daß die Insurgenten aus Frankfurt herausgeschlagen sind und nur noch Sachsenhausen
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besetzt halten, wo sie stark verschanzt sein sollen. Frankfurt ist in Belagerungsstand
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erklärt; wer mit den Waffen in der Hand oder im Widerstande gegen die "Reichsmacht"
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ergriffen wird, soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden.</p>
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<p>Die Herren in der Paulskirche sind jetzt also ihren Kollegen in Paris ebenbürtig; sie
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können in aller Ruhe und unter der Herrschaft des Belagerungsstandes die Grundrechte des
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deutschen Volkes auf ein "Minimum" reduzieren.</p>
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<p>Die Eisenbahn nach Mainz ist an vielen Stellen aufgerissen, und die Posten treffen zu
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spät oder gar nicht ein.</p>
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<p>Die Artillerie scheint den Kampf in den breiteren Straßen entschieden und dem
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Militär einen Weg in den Rücken der Barrikadenkämpfer eröffnet zu haben.
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Der Eifer, womit die Frankfurter Spießbürgerschaft den Soldaten ihre Häuser
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öffnete und ihnen damit alle Vorteile des Straßenkampfes in die Hände gab, die
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Übermacht der mit den Eisenbahnen rasch hineingezogenen Truppen gegenüber den
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langsamen, zu Fuß ankommenden Zuzügen der Bauern tat das übrige.</p>
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<p>Aber selbst wenn der Kampf in Frankfurt selbst sich nicht wieder erneuert hat, ist damit der
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Aufstand keineswegs unterdrückt. Die wütenden Bauern werden die Waffen nicht so ohne
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weiteres niederlegen. Können sie die Nationalversammlung nicht sprengen, so haben sie zu
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Hause immer noch genug wegzuräumen. Der Sturm, von der Paulskirche abgeschlagen, kann sich
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<a name="S412"><b><412></b></a> auf sechs bis acht Residenzchen, auf Hunderte von
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Rittersitzen verteilen; der Bauernkrieg von diesem Frühjahre hat sein Ende solange noch
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nicht erreicht, bis er sein Resultat, die Befreiung der Bauern vom Feudalismus,
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herbeigeführt haben wird.</p>
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<p>Woher der fortwährende Sieg der "Ordnung" auf allen Punkten Europas, woher die Reihe
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der zahllosen, sich stets wiederholenden Niederlagen der revolutionären Partei von Neapel,
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Prag, Paris bis Mailand, Wien und Frankfurt?</p>
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<p>Weil alle Parteien wissen, daß der Kampf, der sich in allen zivilisierten Ländern
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vorbereitet, ein ganz anderer, ein unendlich bedeutenderer ist als alle bisherigen
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Revolutionen; weil es sich in Wien wie in Paris, in Berlin wie in Frankfurt, in London wie in
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Mailand um den <i>Sturz der politischen Herrschaft der Bourgeoisie</i> handelt, um eine
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Umwälzung, deren nächste Konsequenzen schon alle behäbigen und spekulierenden
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Bürger mit Entsetzen erfüllen.</p>
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<p>Gibt es noch ein revolutionäres Zentrum in der Welt, wo nicht von den Barrikaden der
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letzten fünf Monate die rote Fahne, das Kampfeszeichen des verbrüderten
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europäischen Proletariats, geweht hat?</p>
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<p>Auch in Frankfurt ist das Parlament der vereinigten Junker und Bourgeois unter der roten
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Fahne bekämpft worden.</p>
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<p>Daher, weil die Bourgeoisie direkt in ihrer politischen und indirekt in ihrer
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gesellschaftlichen Existenz durch jeden Aufstand bedroht ist, der jetzt losbricht, daher alle
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diese Niederlagen. Das meist waffenlose Volk hat zu kämpfen nicht nur gegen die von der
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Bourgeoisie übernommene Macht des organisierten Beamten- und Militärstaats, es hat
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auch zu kämpfen gegen die bewaffnete Bourgeoisie selbst. Dem nicht organisierten und
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schlecht bewaffneten Volk stehen sämtliche übrigen Klassen der Gesellschaft
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wohlorganisiert und wohlgerüstet gegenüber. Und daher kommt es, daß bisher das
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Volk erlegen [ist], daß es erliegen wird, bis seine Gegner - sei es durch
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Beschäftigung der Truppen im Krieg, sei es durch eine Spaltung unter sich -geschwächt
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werden oder bis irgendein großes Ereignis das Volk zu einem verzweifelten Kampfe treibt
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und seine Gegner demoralisiert.</p>
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<p>Und solch ein großes Ereignis bereitet sich in Frankreich vor.</p>
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<p>Darum brauchen wir nicht zu verzweifeln, wenn seit vier Monaten die Kartätschen auf
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allen Punkten über die Barrikaden gesiegt haben. Im Gegenteil - jeder Sieg unserer Gegner
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war zugleich eine Niederlage für sie; er spaltete sie, er verschaffte nicht der
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siegreichen Partei der Februar- und Märzkonservativen, er verschaffte jedesmal
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schließlich <i>der</i> Partei die Herrschaft, die im Februar und März
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<i>gestürzt</i> wurde. Der Junisieg in Paris hat nur für den Anfang die Herrschaft
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der kleinen Bourgeoisie, der <i>reinen</i> Republikaner hergestellt; noch nicht drei Monate
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sind verflossen, und die große Bourgeoisie, <a name="S413"><b><413></b></a> die
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konstitutionelle Partei droht Cavaignac zu stürzen und die "Reinen" den "Roten" in die
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Arme zu werfen. So wird's auch in Frankfurt gehen: Der Sieg wird nicht den biedern Zentren, er
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wird der <i>Rechten</i> zugute kommen; die Bourgeoisie wird den Herren vom Militär-,
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Beamten- und Junkerstaat den Vorrang gewähren und bald genug die bittern Früchte
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ihres Sieges kosten müssen.</p>
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<p>Mögen sie ihr wohl bekommen! Wir inzwischen wollen des Augenblicks warten, wo in Paris
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die Befreiungsstunde für Europa schlägt.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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