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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>Friedrich Engels - Der deutsche Bauernkrieg - II</title>
</head>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7,S. 342-358<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
<p align="center"><a href="me07_330.htm"><font size="2">I - [Die &ouml;konomische Lage und der
soziale Schichtenabu Deutschlands]</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
"me07_327.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
"me07_359.htm"><font size="2">III - [Vorl&auml;ufer des gro&szlig;en Bauernkrieges zwischen 1476
und 1517]</font></a></p>
<p align="center"><font size="5">II</font></p>
<p align="center"><font size="5">[Die gro&szlig;en oppositionellen Gruppierungen und ihre
Ideologien - Luther und M&uuml;nzer]</font></p>
<p><b><a name="S342">&lt;342&gt;</a></b> Die Gruppierung der damals so mannigfaltigen St&auml;nde
zu gr&ouml;&szlig;eren Ganzen wurde schon durch die Dezentralisation und die lokale und
provinzielle Selbst&auml;ndigkeit, durch die industrielle und kommerzielle Entfremdung der
Provinzen voneinander, durch die schlechten Kommunikationen fast unm&ouml;glich gemacht. Diese
Gruppierung bildet sich erst heraus mit der allgemeinen Verbreitung revolution&auml;rer
religi&ouml;s-politischer Ideen in der Reformation. Die verschiedenen St&auml;nde, die sich
diesen Ideen anschlie&szlig;en oder entgegenstellen, konzentrieren, freilich nur sehr m&uuml;hsam
und ann&auml;hernd, die Nation in drei gro&szlig;e Lager, in das katholische oder
reaktion&auml;re, das lutherische b&uuml;rgerlich-reformierende und das revolution&auml;re. Wenn
wir auch in dieser gro&szlig;en Zerkl&uuml;ftung der Nation wenig Konsequenz entdecken, wenn wir
in den ersten beiden Lagern zum Teil dieselben Elemente finden, so erkl&auml;rt sich dies aus dem
Zustand der Aufl&ouml;sung, in dem sich die meisten, aus dem Mittelalter &uuml;berlieferten
offiziellen St&auml;nde befanden, und aus der Dezentralisation, die denselben St&auml;nden an
verschiedenen Orten momentan entgegengesetzte Richtungen anwies. Wir haben in den letzten Jahren
so h&auml;ufig ganz &auml;hnliche Fakta in Deutschland zu sehen Gelegenheit gehabt, da&szlig; uns
eine solche scheinbare Durcheinanderw&uuml;rfelung der St&auml;nde und Klassen unter den viel
verwickelteren Verh&auml;ltnissen des 16. Jahrhunderts nicht wundern kann.</p>
<p>Die deutsche Ideologie sieht, trotz der neuesten Erfahrungen, in den K&auml;mpfen, denen das
Mittelalter erlag, noch immer weiter nichts als heftige theologische Z&auml;nkereien. H&auml;tten
die Leute jener Zeit sich nur &uuml;ber die himmlischen Dinge verst&auml;ndigen k&ouml;nnen, so
w&auml;re, nach der Ansicht unsrer vaterl&auml;ndischen Geschichtskenner und Staatsweisen, gar
kein Grund vorhanden gewesen, &uuml;ber die Dinge dieser Welt zu streiten. Diese Ideologen sind
leichtgl&auml;ubig genug, alle Illusionen f&uuml;r bare M&uuml;nze zu nehmen, die sich eine
Epoche &uuml;ber sich selbst macht oder die die Ideologen einer Zeit sich &uuml;ber diese Zeit
machen. Dieselbe Klasse von Leuten sieht z.B. in der Revolution <a name=
"S343"></a><b>&lt;343&gt;</b> von 1789 nur eine etwas hitzige Debatte &uuml;ber die Vorz&uuml;ge
der konstitutionellen vor der absoluten Monarchie, in der Julirevolution eine praktische
Kontroverse &uuml;ber die Unhaltbarkeit des Rechts "von Gottes Gnaden", in der Februarrevolution
den Versuch zur L&ouml;sung der Frage "Republik oder Monarchie?" usw. Von den
<i>Klassenk&auml;mpfen</i>, die in diesen Ersch&uuml;tterungen ausgefochten werden und deren
blo&szlig;er Ausdruck die jedesmal auf die Fahne geschriebene politische Phrase ist, von diesen
Klassenk&auml;mpfen haben selbst heute noch unsre Ideologen kaum eine Ahnung, obwohl die Kunde
davon vernehmlich genug nicht nur vorn Auslande her&uuml;ber, sondern auch aus dem Murren und
Grollen vieler tausend einheimischen Proletarier herauf erschallt.</p>
<p>Auch in den sogenannten Religionskriegen des sechzehnten Jahrhunderts handelte es sich vor
allem um sehr positive materielle Klasseninteressen, und diese Kriege waren Klassenk&auml;mpfe,
ebensogut wie die sp&auml;teren inneren Kollisionen in England und Frankreich. Wenn diese
Klassenk&auml;mpfe damals religi&ouml;se Schibboleths trugen, wenn die Interessen,
Bed&uuml;rfnisse und Forderungen der einzelnen Klassen sich unter einer religi&ouml;sen Decke
verbargen, so &auml;ndert dies nichts an der Sache und erkl&auml;rt sich leicht aus den
Zeitverh&auml;ltnissen.</p>
<p>Das Mittelalter hatte sich ganz aus dem Rohen entwickelt. &Uuml;ber die alte Zivilisation, die
alte Philosophie, Politik und Jurisprudenz hatte es reinen Tisch gemacht, um in allem wieder von
vorn anzufangen. Das einzige, das es aus der untergegangenen alten Welt &uuml;bernommen hatte,
war das Christentum und eine Anzahl halbzerst&ouml;rter, ihrer ganzen Zivilisation entkleideter
St&auml;dte. Die Folge davon war, da&szlig;, wie auf allen urspr&uuml;nglichen
Entwicklungsstufen, die Pfaffen das Monopol der intellektuellen Bildung erhielten und damit die
Bildung selbst einen wesentlich theologischen Charakter bekam. Unter den H&auml;nden der Pfaffen
blieben Politik und Jurisprudenz, wie alle &uuml;brigen Wissenschaften, blo&szlig;e Zweige der
Theologie und wurden nach denselben Prinzipien behandelt, die in dieser Geltung hatten. Die
Dogmen der Kirche waren zu gleicher Zeit politische Axiome, und Bibelstellen hatten in jedem
Gerichtshof Gesetzeskraft. Selbst als ein eigner Juristenstand sich bildete, blieb die
Jurisprudenz noch lange unter der Vormundschaft der Theologie. Und diese Oberherrlichkeit der
Theologie auf dem ganzen Gebiet der intellektuellen T&auml;tigkeit war zugleich die notwendige
Folge von der Stellung der Kirche als der allgemeinsten Zusammenfassung und Sanktion der
bestehenden Feudalherrschaft.</p>
<p>Es ist klar, da&szlig; hiermit alle allgemein ausgesprochenen Angriffe auf den Feudalismus,
vor allem Angriffe auf die Kirche, alle revolution&auml;ren, gesellschaftlichen und politischen
Doktrinen zugleich und vorwiegend theologische <a name="S344"></a><b>&lt;344&gt;</b> Ketzereien
sein mu&szlig;ten. Damit die bestehenden gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse angetastet werden
konnten, mu&szlig;te ihnen der Heiligenschein abgestreift werden.</p>
<p>Die revolution&auml;re Opposition gegen die Feudalit&auml;t geht durch das ganze Mittelalter.
Sie tritt auf, je nach den Zeitverh&auml;ltnissen, als Mystik, als offene Ketzerei, als
bewaffneter Aufstand. Was die Mystik angeht, so wei&szlig; man, wie abh&auml;ngig die
Reformatoren des 16. Jahrhunderts von ihr waren; auch M&uuml;nzer hat viel aus ihr genommen Die
Ketzereien waren teils der Ausdruck der Reaktion der patriarchalischen Alpenhirten gegen die zu
ihnen vordringende Feudalit&auml;t (die Waldenser; teils der Opposition der dem Feudalismus
entwachsenen St&auml;dte gegen ihn (die Albigenser, Arnold von Brescia etc.); teils direkter
Insurrektionen der Bauern (John Ball, der Meister aus Ungarn &lt;Jakob&gt;, in der Pikardie
etc.). Die patriarchalische Ketzerei der Waldenser k&ouml;nnen wir hier, ganz wie die
Insurrektion der Schweizer, als einen nach Form und Inhalt reaktion&auml;ren Versuch der
Absperrung gegen die geschichtliche Bewegung, und von nur lokaler Bedeutung, beiseite lassen. In
den beiden &uuml;brigen Formen der mittelalterlichen Ketzerei finden wir schon im zw&ouml;lften
Jahrhundert die Vorl&auml;ufer des gro&szlig;en Gegensatzes zwischen b&uuml;rgerlicher und
b&auml;urisch-plebejischer Opposition, an dem der Bauernkrieg zugrunde ging. Dieser Gegensatz
zieht sich durchs ganze sp&auml;tere Mittelalter.</p>
<p>Die Ketzerei der St&auml;dte - und sie ist die eigentlich offizielle Ketzerei des Mittelalters
- wandte sich haupts&auml;chlich gegen die Pfaffen, deren Reicht&uuml;mer und politische Stellung
sie angriff. Wie jetzt die Bourgeoisie ein gouvernement &agrave; bon march&eacute;, eine
wohlfeile Regierung fordert, so verlangten die mittelalterlichen B&uuml;rger zun&auml;chst eine
eglise &agrave; bon march&eacute;, eine wohlfeile Kirche. Der Form nach reaktion&auml;r, wie jede
Ketzerei, die in der Fortentwicklung der Kirche und der Dogmen nur eine Entartung sehen kann,
forderte die b&uuml;rgerliche Ketzerei Herstellung der urchristlichen einfachen Kirchenverfassung
und Aufhebung des exklusiven Priesterstandes. Diese wohlfeile Einrichtung beseitigte die
M&ouml;nche, die Pr&auml;laten, den r&ouml;mischen Hof, kurz alles, was in der Kirche kostspielig
war. Die St&auml;dte, selbst Republiken, wenn auch unter dem Schutz von Monarchen, sprachen durch
ihre Angriffe gegen das Papsttum zum ersten Male in allgemeiner Form aus, da&szlig; die normale
Form der Herrschaft des B&uuml;rgertums die Republik ist. Ihre Feindschaft gegen eine Reihe von
Dogmen und Kirchengesetzen erkl&auml;rt sich teils aus dem Gesagten, teils aus ihren sonstigen
Lebensverh&auml;ltnissen. Warum sie z.B. so heftig gegen das Z&ouml;libat auftraten, dar&uuml;ber
gibt niemand besser Aufschlu&szlig; als Boccaccio. <a name="S345"></a><b>&lt;345&gt;</b> Arnold
von Brescia in Italien und Deutschland, die Albigenser in S&uuml;dfrankreich, John Wycliffe in
England, Hus und die Calixtiner in B&ouml;hmen waren die Hauptrepr&auml;sentanten dieser
Richtung. Da&szlig; die Opposition gegen den Feudalismus hier nur als Opposition gegen die
<i>geistliche</i> Feudalit&auml;t auftritt, erkl&auml;rt sich sehr einfach daraus, da&szlig; die
St&auml;dte &uuml;berall schon anerkannter Stand waren und die weltliche Feudalit&auml;t mit
ihren Privilegien, mit den Waffen oder in den st&auml;ndischen Versammlungen hinreichend
bek&auml;mpfen konnten.</p>
<p>Auch hier sehen wir schon, sowohl in S&uuml;dfrankreich wie in England und B&ouml;hmen,
da&szlig; der gr&ouml;&szlig;te Teil des niederen Adels sich den St&auml;dten im Kampf gegen die
Pfaffen und in der Ketzerei anschlie&szlig;t - eine Erscheinung, die sich aus der
Abh&auml;ngigkeit des niederen Adels von den St&auml;dten und aus der Gemeinsamkeit der
Interessen beider gegen&uuml;ber den F&uuml;rsten und Pr&auml;laten erkl&auml;rt und die wir im
Bauernkrieg wiederfinden werden.</p>
<p>Einen ganz verschiedenen Charakter hatte die Ketzerei, die der direkte Ausdruck der
b&auml;urischen und plebejischen Bed&uuml;rfnisse war und sich fast immer an einen Aufstand
anschlo&szlig;. Sie teilte zwar alle Forderungen der b&uuml;rgerlichen Ketzerei in betreff der
Pfaffen, des Papsttums und der Herstellung der urchristlichen Kirchenverfassung, aber sie ging
zugleich unendlich weiter. Sie verlangte die Herstellung des urchristlichen
Gleichheitsverh&auml;ltnisses unter den Mitgliedern der Gemeinde und seine Anerkennung als Norm
auch f&uuml;r die b&uuml;rgerliche Welt. Sie zog von der "Gleichheit der Kinder Gottes" den
Schlu&szlig; auf die b&uuml;rgerliche Gleichheit und selbst teilweise schon auf die Gleichheit
des Verm&ouml;gens. Gleichstellung des Adels mit den Bauern, der Patrizier und bevorrechteten
B&uuml;rger mit den Plebejern, Abschaffung der Frondienste, Grundzinsen, Steuern, Privilegien und
wenigstens der schreiendsten Verm&ouml;gensunterschiede waren Forderungen, die mit mehr oder
weniger Bestimmtheit aufgestellt und als notwendige Konsequenzen der urchristlichen Doktrin
behauptet wurden. Diese b&auml;urisch-plebejische Ketzerei, in der Bl&uuml;tezeit des
Feudalismus, z.B. bei den Albigensern, kaum noch zu trennen von der b&uuml;rgerlichen, entwickelt
sich zu einer scharf geschiedenen Parteiansicht im 14. und 15. Jahrhundert, wo sie
gew&ouml;hnlich ganz selbst&auml;ndig neben der b&uuml;rgerlichen Ketzerei auftritt. So John
Ball, der Prediger des Wat-Tylerschen Aufstandes in England neben der Wycliffeschen Bewegung, so
die Taboriten neben Calixtinern in B&ouml;hmen. Bei den Taboriten tritt sogar schon die
republikanische Tendenz unter theokratischer Verbr&auml;mung hervor, die am Ende des 15. und
Anfang des 16. Jahrhunderts durch die Vertreter der Plebejer in Deutschland weiter ausgebildet
wurde.</p>
<p>An diese Form der Ketzerei schlie&szlig;t sich die Schw&auml;rmerei mystizisieren- <a name=
"S346"></a><b>&lt;346&gt;</b> der Sekten, der Gei&szlig;ler, Lollards etc., die in Zeiten der
Unterdr&uuml;ckung die revolution&auml;re Tradition fortpflanzen.</p>
<p>Die Plebejer waren damals die einzige Klasse, die ganz au&szlig;erhalb der offiziell
bestehenden Gesellschaft stand. Sie befand sich au&szlig;erhalb des feudalen und au&szlig;erhalb
des b&uuml;rgerlichen Verbandes. Sie hatte weder Privilegien noch Eigentum; sie hatte nicht
einmal, wie die Bauern und Kleinb&uuml;rger, einen mit dr&uuml;ckenden Lasten beschwerten Besitz.
Sie war in jeder Beziehung besitzlos und rechtlos; ihre Lebensbedingungen kamen direkt nicht
einmal in Ber&uuml;hrung mit den bestehenden Institutionen, von denen sie vollst&auml;ndig
ignoriert wurden. Sie war das lebendige Symptom der Aufl&ouml;sung der feudalen und
zunftb&uuml;rgerlichen Gesellschaft und zugleich der erste Vorl&auml;ufer der
modern-b&uuml;rgerlichen Gesellschaft.</p>
<p>Aus dieser Stellung erkl&auml;rt es sich, warum die plebejische Fraktion schon damals nicht
bei der blo&szlig;en Bek&auml;mpfung des Feudalismus und der privilegierten Pfahlb&uuml;rgerei
stehenbleiben konnte, warum sie, wenigstens in der Phantasie, selbst &uuml;ber die kaum
empord&auml;mmernde modern-b&uuml;rgerliche Gesellschaft hinausgreifen, warum sie, die
vollst&auml;ndig besitzlose Fraktion, schon Institutionen, Anschauungen und Vorstellungen in
Frage stellen mu&szlig;te, welche allen auf Klassengegens&auml;tzen beruhenden
Gesellschaftsformen gemeinsam sind. Die chiliastischen Schw&auml;rmereien des ersten Christentums
boten hierzu einen bequemen Ankn&uuml;pfungspunkt. Aber zugleich konnte dies Hinausgehen nicht
nur &uuml;ber die Gegenwart, sondern selbst &uuml;ber die Zukunft, nur ein gewaltsames,
phantastisches sein und mu&szlig;te beim ersten Versuch der praktischen Anwendung
zur&uuml;ckfallen in die beschr&auml;nkten Grenzen, die die damaligen Verh&auml;ltnisse allein
zulie&szlig;en. Der Angriff auf das Privateigentum, die Forderung der G&uuml;tergemeinschaft,
mu&szlig;te sich aufl&ouml;sen in eine rohe Organisation der Wohlt&auml;tigkeit; die vage
christliche Gleichheit konnte h&ouml;chstens auf die b&uuml;rgerliche "Gleichheit vor dem Gesetz"
hinauslaufen; die Beseitigung aller Obrigkeit verwandelt sich schlie&szlig;lich in die
Herstellung vom Volke gew&auml;hlter republikanischer Regierungen. Die Antizipation des
Kommunismus durch die Phantasie wurde in der Wirklichkeit eine Antizipation der modernen
b&uuml;rgerlichen Verh&auml;ltnisse.</p>
<p>Diese gewaltsame, aber dennoch aus der Lebenslage der plebejischen Fraktion sehr
erkl&auml;rliche Antizipation auf die sp&auml;tere Geschichte finden wir zuerst in
<i>Deutschland</i>, bei <i>Thomas M&uuml;nzer</i> und seiner Partei. Bei den Taboriten hatte
allerdings eine Art chiliastischer G&uuml;tergemeinschaft bestanden, aber nur als rein
milit&auml;rische Ma&szlig;regel. Erst bei M&uuml;nzer sind diese kommunistischen Ankl&auml;nge
Ausdruck der Bestrebungen einer wirklichen Gesellschaftsfraktion, erst bei ihm sind sie mit einer
gewissen Bestimmtheit formuliert, und seit ihm <a name="S347"></a><b>&lt;347&gt;</b> finden wir
sie in jeder gro&szlig;en Volksersch&uuml;tterung wieder, bis sie allm&auml;hlich mit der
modernen proletarischen Bewegung zusammenflie&szlig;en; geradeso wie im Mittelalter die
K&auml;mpfe der freien Bauern gegen die sie mehr und mehr umstrickende Feudalherrschaft
zusammenflie&szlig;en mit den K&auml;mpfen der Leibeigenen und H&ouml;rigen um den
vollst&auml;ndigen Bruch der Feudalherrschaft.</p>
<p>W&auml;hrend sich in dem ersten der drei gro&szlig;en Lager, im
<i>konservativ-katholischen</i>, alle Elemente zusammenfanden, die an der Erhaltung des
Bestehenden interessiert waren, also die Reichsgewalt, die geistlichen und ein Teil der
weltlichen F&uuml;rsten, der reichere Adel, die Pr&auml;laten und das st&auml;dtische Patriziat,
sammeln sich um das Banner der <i>b&uuml;rgerlich-gema&szlig;igten lutherischen</i> Reform die
besitzenden Elemente der Opposition, die Masse des niederen Adels, die B&uuml;rgerschaft und
selbst ein Teil der weltlichen F&uuml;rsten, der sich durch Konfiskation der geistlichen
G&uuml;ter zu bereichern hoffte und die Gelegenheit zur Erringung gr&ouml;&szlig;erer
Unabh&auml;ngigkeit vom Reich benutzen wollte. Die Bauern und Plebejer endlich schlossen sich zur
<i>revolution&auml;ren</i> Partei zusammen, deren Forderungen und Doktrinen am sch&auml;rfsten
durch M&uuml;nzer ausgesprochen wurden.</p>
<p>Luther und M&uuml;nzer repr&auml;sentieren nach ihrer Doktrin wie nach ihrem Charakter und
ihrem Auftreten jeder seine Partei vollst&auml;ndig.</p>
<p><i>Luther</i> hat in den Jahren 1517 bis 1525 ganz dieselben Wandlungen durchgemacht, die die
modernen deutschen Konstitutionellen von 1846 bis 1849 durchmachten und die jede b&uuml;rgerliche
Partei durchmacht, welche, einen Moment an die Spitze der Bewegung gestellt, in dieser Bewegung
selbst von der hinter ihr stehenden plebejischen oder proletarischen Partei &uuml;berfl&uuml;gelt
wird.</p>
<p>Als Luther 1517 zuerst gegen die Dogmen und die Verfassung der katholischen Kirche auftrat,
hatte seine Opposition durchaus noch keinen bestimmten Charakter. Ohne &uuml;ber die Forderungen
der fr&uuml;heren b&uuml;rgerlichen Ketzerei hinauszugehn, schlo&szlig; sie keine einzige
weitergehende Richtung aus und konnte es nicht. Im ersten Moment mu&szlig;ten alle
oppositionellen Elemente vereinigt, mu&szlig;te die entschiedenste revolution&auml;re Energie
angewandt, mu&szlig;te die Gesamtmasse der bisherigen Ketzerei gegen&uuml;ber der katholischen
Rechtgl&auml;ubigkeit vertreten werden. Geradeso waren unsere liberalen Bourgeois noch 1847
revolution&auml;r, nannten sich Sozialisten und Kommunisten und schw&auml;rmten f&uuml;r die
Emanzipation der Arbeiterklasse. Die kr&auml;ftige Bauernnatur Luthers machte sich in dieser
ersten Periode seines Auftretens in der ungest&uuml;msten Weise Luft.</p>
<p><font size="2">"Wenn ihr" (der r&ouml;mischen Pfaffen) "rasend W&uuml;ten einen Fortgang haben
sollte, mich es w&auml;re schier kein besserer Rat und Arznei, ihm zu steuern, denn da&szlig;
<a name="S348"></a><b>&lt;348&gt;</b> K&ouml;nige und F&uuml;rsten mit Gewalt dazut&auml;ten,
sich r&uuml;steten und diese sch&auml;dlichen Leute, so alle Welt vergiften, angriffen und einmal
des Spiels ein Ende machten, <i>mit Waffen, nicht mit Worten</i>. So wir Diebe mit Schwert,
M&ouml;rder mit Strang &lt;Bei Zimmermann: Diebe mit Strang, M&ouml;rder mit Schwert&gt;, Ketzer
mit Feuer strafen, warum greifen wir nicht vielmehr an diese sch&auml;dlichen Lehrer des
Verderbens, als P&auml;pste, Kardin&auml;le, Bisch&ouml;fe und das [ganze] Geschw&auml;rm der
r&ouml;mischen Sodoma mit <i>allerlei Waffen und waschen unsere H&auml;nde in ihrem
Blut?</i>"</font></p>
<p>Aber dieser erste revolution&auml;re Feuereifer dauerte nicht lange. Der Blitz schlug ein, den
Luther geschleudert hatte. Das ganze deutsche Volk geriet in Bewegung. Auf der einen Seite sahen
Bauern und Plebejer in seinen Aufrufen wider die Pfaffen, in seiner Predigt von der christlichen
Freiheit das Signal zur Erhebung; auf der andern schlossen sich die gem&auml;&szlig;igteren
B&uuml;rger und ein gro&szlig;er Teil des niederen Adels ihm an, wurden selbst F&uuml;rsten vom
Strom mit fortgerissen. Die einen glaubten den Tag gekommen, wo sie mit allen ihren
Unterdr&uuml;ckern Abrechnung halten k&ouml;nnten, die andern wollten nur die Macht der Pfaffen,
die Abh&auml;ngigkeit von Rom, die katholische Hierarchie brechen und sich aus der Konfiskation
des Kirchengutes bereichern. Die Parteien sonderten sich und fanden ihre Repr&auml;sentanten.
Luther mu&szlig;te zwischen ihnen w&auml;hlen. Er, der Sch&uuml;tzling des Kurf&uuml;rsten von
Sachsen, der angesehene Professor von Wittenberg, der &uuml;ber Nacht m&auml;chtig und
ber&uuml;hmt gewordene, mit einem Zirkel von abh&auml;ngigen Kreaturen und Schmeichlern umgebene
gro&szlig;e Mann zauderte keinen Augenblick. Er lie&szlig; die popul&auml;ren Elemente der
Bewegung fallen und schlo&szlig; sich der b&uuml;rgerlichen, adligen und f&uuml;rstlichen Seite
an. Die Aufrufe zum Vertilgungskampfe gegen Rom verstummten; Luther predigte jetzt die
<i>friedliche Entwicklung</i> und den <i>passiven Widerstand</i> (vgl. z.B. "An den Adel
teutscher Nation", 1520 etc.). Auf Huttens Einladung, zu ihm und Sickingen auf die Ebernburg, den
Mittelpunkt der Adelsverschw&ouml;rung gegen Pfaffen und F&uuml;rsten, zu kommen, antwortete
Luther:</p>
<p><font size="2">"Ich m&ouml;chte nicht, da&szlig; man das Evangelium <i>mit Gewalt und
Blutvergie&szlig;en verfechte</i>. Durch das Wort ist die Welt &uuml;berwunden worden, durch das
Wort ist die Kirche erhalten, durch das Wort wird sie auch wieder in den Stand kommen, und der
Antichrist, wie er Seines ohne Gewalt bekommen, wird ohne Gewalt fallen."</font></p>
<p>Von dieser Wendung, oder vielmehr von dieser bestimmteren Feststellung der Richtung Luthers,
begann jenes Markten und Feilschen um die beizubehaltenden oder zu reformierenden Institutionen
und Dogmen, jenes widerw&auml;rtige Diplomatisieren, Konzedieren, Intrigieren und Vereinbaren,
<a name="S349"></a><b>&lt;349&gt;</b> dessen Resultat die Augsburgische Konfession war, die
schlie&szlig;lich erhandelte Verfassung der reformierten B&uuml;rgerkirche. Es ist ganz derselbe
Schacher, der sich neuerdings in deutschen Nationalversammlungen, Vereinbarungsversammlungen,
Revisionskammern und Erfurter Parlamenten in politischer Form bis zum Ekel wiederholt hat. Der
spie&szlig;b&uuml;rgerliche Charakter der offiziellen Reformation trat in diesen Verhandlungen
aufs offenste hervor.</p>
<p>Da&szlig; Luther, als nunmehr erkl&auml;rter Repr&auml;sentant der b&uuml;rgerlichen Reform,
den gesetzlichen Fortschritt predigte, hatte seine guten Gr&uuml;nde. Die Masse der St&auml;dte
war der gem&auml;&szlig;igten Reform zugefallen; der niedere Adel schlo&szlig; sich ihr mehr und
mehr an, ein Teil der F&uuml;rsten fiel zu, ein anderer schwankte. Ihr Erfolg war so gut wie
gesichert, wenigstens in einem gro&szlig;en Teile von Deutschland. Bei fortgesetzter friedlicher
Entwicklung konnten die &uuml;brigen Gegenden auf die Dauer dem Andrang der gem&auml;&szlig;igten
Opposition nicht widerstehn. Jede gewaltsame Ersch&uuml;tterung aber mu&szlig;te die
gem&auml;&szlig;igte Partei in Konflikt bringen mit der extremen, plebejischen und Bauernpartei,
mu&szlig;te die F&uuml;rsten, den Adel und manche St&auml;dte der Bewegung entfremden und
lie&szlig; nur die Chance entweder der &Uuml;berfl&uuml;gelung der b&uuml;rgerlichen Partei durch
die Bauern und Plebejer oder der Unterdr&uuml;ckung s&auml;mtlicher Bewegungsparteien durch die
katholische Restauration. Und wie die b&uuml;rgerlichen Parteien, sobald sie die geringsten Siege
erfochten haben, vermittelst des gesetzlichen Fortschritts zwischen der Scylla der Revolution und
der Charybdis der Restauration durchzulavieren suchen, davon haben wir in der letzten Zeit
Exempel genug gehabt.</p>
<p>Wie unter den allgemein gesellschaftlichen und politischen Verh&auml;ltnissen der damaligen
Zeit die Resultate jeder Ver&auml;nderung notwendig den F&uuml;rsten zugute kommen und ihre Macht
vermehren mu&szlig;ten, so mu&szlig;te die b&uuml;rgerliche Reform, je sch&auml;rfer sie sich von
den plebejischen und b&auml;urischen Elementen schied, immer mehr unter die Kontrolle der
reformierten F&uuml;rsten geraten. Luther selbst wurde mehr und mehr ihr Knecht, und das Volk
wu&szlig;te sehr gut, was es tat, wenn es sagte, er sei ein F&uuml;rstendiener geworden wie die
andern, und wenn es ihn in Orlam&uuml;nde mit Steinw&uuml;rfen verfolgte.</p>
<p>Als der Bauernkrieg losbrach, und zwar in Gegenden, wo F&uuml;rsten und Adel
gr&ouml;&szlig;tenteils katholisch waren, suchte Luther eine vermittelnde Stellung einzunehmen.
Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien schuld am Aufstand durch ihre
Bedr&uuml;ckungen; nicht die Bauern setzten sich wider sie, sondern Gott selbst. Der Aufstand sei
freilich auch ung&ouml;ttlich und wider das Evangelium, hie&szlig; es auf der andern Seite.
Schlie&szlig;lich riet er beiden Parteien, nachzugeben und sich g&uuml;tlich zu vertragen.</p>
<p><b><a name="S350">&lt;350&gt;</a></b> Aber der Aufstand, trotz dieser wohlmeinenden
Vermittlungsvorschl&auml;ge, dehnte sich rasch aus, ergriff sogar protestantische, von
lutherischen F&uuml;rsten, Herren und St&auml;dten beherrschte Gegenden und wuchs der
b&uuml;rgerlichen, "besonnenen" Reform rasch &uuml;ber den Kopf. In Luthers n&auml;chster
N&auml;he, in Th&uuml;ringen, schlug die entschiedenste Fraktion der Insurgenten unter
M&uuml;nzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge, und ganz Deutschland stand in Flammen,
Luther war umzingelt, vielleicht als Verr&auml;ter durch die Spie&szlig;e gejagt, und die
b&uuml;rgerliche Reform weggeschwemmt von der Sturmflut der b&auml;urisch-plebejischen
Revolution. Da galt kein Besinnen mehr. Gegen&uuml;ber der Revolution wurden alle alten
Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten der Bauern waren die Diener der
r&ouml;mischen Sodoma unschuldige L&auml;mmer, sanftm&uuml;tige Kinder Gottes; und B&uuml;rger
und F&uuml;rsten, Adel und Pfaffen, Luther und Papst verbanden sich "wider die m&ouml;rderischen
und r&auml;uberischen Rotten der Bauern".</p>
<p><font size="2">"Man soll sie zerschmei&szlig;en, <i>w&uuml;rgen</i> und <i>stechen</i>,
<i>heimlich</i> und <i>&ouml;ffentlich,</i> wer da kann, wie man einen <i>tollen Hund</i>
totschlagen mu&szlig;!" schrie Luther. "Darum, liebe Herren, loset hie, rettet da, steche,
schlage, w&uuml;rge sie, wer da kann, bleibst du dar&uuml;ber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst
du nimmermehr &uuml;berkommen."</font></p>
<p>Man solle nur keine falsche Barmherzigkeit mit den Bauern haben. Die mengen sich selber unter
die Aufr&uuml;hrischen, die sich derer erbarmen, welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern welche
er gestraft und verderbet haben will. Nachher werden die Bauern selber Gott danken lernen, wenn
sie die eine Kuh hergeben m&uuml;ssen, auf da&szlig; sie die andre in Frieden genie&szlig;en
k&ouml;nnen; und die F&uuml;rsten werden durch den Aufruhr erkennen, wes Geistes der P&ouml;bel
sei, der nur mit Gewalt zu regieren.</p>
<p><font size="2">"Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino &lt;Der Esel braucht Futter,
B&uuml;rde und Stockschl&auml;ge&gt; - in einen Bauern geh&ouml;rt Haberstroh, sie h&ouml;ren
nicht das Wort und sind unsinnig, so m&uuml;ssen sie die virgam, die B&uuml;chse, h&ouml;ren, und
geschieht ihnen recht. Bitten sollen wir f&uuml;r sie, da&szlig; sie gehorchen; wo nicht, so
gilt's hier nicht viel Erbarmens. <i>Lasset nur die B&uuml;chsen unter</i> sie <i>sausen</i>, sie
machen's sonst tausendmal &auml;rger."</font></p>
<p>Geradeso sprachen unsere weiland sozialistischen und philanthropischen Bourgeois, als das
Proletariat nach den M&auml;rztagen seinen Anteil an den Fr&uuml;chten des Siegs reklamieren
kam.</p>
<p>Luther hatte der plebejischen Bewegung ein m&auml;chtiges Werkzeug in die Hand gegeben durch
die &Uuml;bersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er dem feudalisierten Christentum der Zeit das
bescheidene Christentum der ersten <a name="S351"></a><b>&lt;351&gt;</b> Jahrhunderte, der
zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts von
der weitschichtigen, kunstm&auml;&szlig;igen Feudalhierarchie wu&szlig;te. Die Bauern hatten dies
Werkzeug gegen F&uuml;rsten, Adel, Pfaffen, nach allen Seiten hin benutzt. Jetzt kehrte Luther es
gegen sie und stellte aus der Bibel einen wahren Dithyrambus auf die von Gott eingesetzte
Obrigkeit zusammen, wie ihn kein Tellerlecker der absoluten Monarchie je zustande gebracht hat.
Das F&uuml;rstentum von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam, selbst die Leibeigenschaft wurde mit
der Bibel sanktioniert. Nicht nur der Bauernaufstand, auch die ganze Auflehnung Luthers selbst
gegen die geistliche und weltliche Autorit&auml;t war hierin verleugnet; nicht nur die
popul&auml;re Bewegung, auch die b&uuml;rgerliche war damit an die F&uuml;rsten verraten.</p>
<p>Brauchen wir die Bourgeois zu nennen, die auch von dieser Verleugnung ihrer eignen
Vergangenheit uns k&uuml;rzlich wieder Beispiele gegeben haben?</p>
<p>Stellen wir nun dem b&uuml;rgerlichen Reformator Luther den plebejischen Revolution&auml;r
<i>M&uuml;nzer</i> gegen&uuml;ber.</p>
<p><i>Thomas M&uuml;nzer</i> war geboren zu <i>Stolberg</i> am Harz, um das Jahr 1498. Sein Vater
soll, ein Opfer der Willk&uuml;r der Stolbergschen Grafen, am Galgen gestorben sein. Schon in
seinem f&uuml;nfzehnten Jahre stiftete M&uuml;nzer auf der Schule zu Halle einen geheimen Bund
gegen den Erzbischof von Magdeburg und die r&ouml;mische Kirche &uuml;berhaupt. Seine
Gelehrsamkeit in der damaligen Theologie verschaffte ihm fr&uuml;h den Doktorgrad und eine Stelle
als Kaplan in einem Nonnenkloster zu Halle. Hier behandelte er schon Dogmen und Ritus der Kirche
mit der gr&ouml;&szlig;ten Verachtung, bei der Messe lie&szlig; er die Worte der Wandlung ganz
aus und a&szlig;, wie Luther von ihm erz&auml;hlt, die Herrg&ouml;tter ungeweiht. Sein
Hauptstudium waren die mittelalterlichen Mystiker, besonders die chiliastischen Schriften
Joachims des Calabresen. Das Tausendj&auml;hrige Reich, das Strafgericht &uuml;ber die entartete
Kirche und die verderbte Welt, das dieser verk&uuml;ndete und ausmalte, schien M&uuml;nzer mit
der Reformation und der allgemeinen Aufregung der Zeit nahe herbeigekommen. Er predigte in der
Umgegend mit gro&szlig;em Beifall. 1520 ging er als erster evangelischer Prediger nach Zwickau.
Hier fand er eine jener schw&auml;rmerischen chiliastischen Sekten vor, die in vielen Gegenden im
stillen fortexistierten, hinter deren momentaner Demut und Zur&uuml;ckgezogenheit sich die
fortwuchernde Opposition der untersten Gesellschaftsschichten gegen die bestehenden Zust&auml;nde
verborgen hatte und die jetzt mit der wachsenden Agitation immer offener und beharrlicher ans
Tageslicht hervortraten. Es war die Sekte der Wiedert&auml;ufer, an deren Spitze Niklas
<i>Storch</i> stand. Sie predigten das Nahen des J&uuml;ngsten Gerichts und des
Tausendj&auml;hrigen Reichs; sie <a name="S352"></a><b>&lt;352&gt;</b> hatten "Gesichte,
Verz&uuml;ckungen und den Geist der Weissagung". Bald kamen sie in Konflikt mit dem Zwickauer
Rat; M&uuml;nzer verteidigte sie, obwohl er sich ihnen nie unbedingt anschlo&szlig;, sondern sie
vielmehr unter seinen Einflu&szlig; bekam. Der Rat schritt energisch gegen sie ein; sie
mu&szlig;ten die Stadt verlassen, und M&uuml;nzer mit ihnen. Es war Ende 1521.</p>
<p>Er ging nach Prag und suchte, an die Reste der hussitischen Bewegung ankn&uuml;pfend, hier
Boden zu gewinnen; aber seine Proklamation hatte nur den Erfolg, da&szlig; er auch aus
B&ouml;hmen wieder fliehen mu&szlig;te. 1522 wurde er Prediger zu Allstedt in Th&uuml;ringen.
Hier begann er damit, den Kultus zu reformieren. Noch ehe Luther so weit zu gehen wagte, schaffte
er die lateinische Sprache total ab und lie&szlig; die ganze Bibel, nicht blo&szlig; die
vorgeschriebenen sonnt&auml;glichen Evangelien und Episteln verlesen. Zu gleicher Zeit
organisierte er die Propaganda in der Umgegend. Von allen Seiten lief das Volk ihm zu, und bald
wurde Allstedt das Zentrum der popul&auml;ren Antipfaffenbewegung von ganz Th&uuml;ringen.</p>
<p>Noch war M&uuml;nzer vor allem Theologe; noch richtete er seine Angriffe fast
ausschlie&szlig;lich gegen die Pfaffen. Aber er predigte nicht, wie Luther damals schon, die
ruhige Debatte und den friedlichen Fortschritt, er setzte die fr&uuml;heren gewaltsamen Predigten
Luthers fort und rief die s&auml;chsischen F&uuml;rsten und das Volk auf zum bewaffneten
Einschreiten gegen die r&ouml;mischen Pfaffen.</p>
<p><font size="2">"Sagt doch Christus, ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das
Schwert. Was sollt ihr" (die s&auml;chsischen F&uuml;rsten) "aber mit demselben machen? Nichts
anders, denn die B&ouml;sen, die das Evangelium verhindern, wegtun und absondern, wollt ihr
anders Diener Gottes sein. Christus hat mit gro&szlig;em Ernst befohlen, Luc. 19,27, nehmt meine
Feinde und w&uuml;rget sie vor meinen Augen ... Gebet uns keine schalen Fratzen vor, da&szlig;
die Kraft Gottes es tun soll ohne euer Zutun des Schwertes, es m&ouml;chte euch sonst in der
Scheide verrosten. Die, welche Gottes Offenbarung zuwider sind, soll man wegtun, ohne alle Gnade,
wie Hiskias, Cyrus, Josias, Daniel und Elias die Baalspfaffen verst&ouml;ret haben, anders mag
die christliche Kirche zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen. Man mu&szlig; das Unkraut ausraufen
aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte. Gott hat 5. Mose 7 gesagt, ihr sollt euch nicht
erbarmen &uuml;ber die Abg&ouml;ttischen, zerbrecht ihre Alt&auml;re, zerschmei&szlig;t ihre
Bilder und verbrennet sie, auf da&szlig; ich nicht mit euch z&uuml;rne."</font></p>
<p>Aber diese Aufforderungen an die F&uuml;rsten blieben ohne Erfolg, w&auml;hrend gleichzeitig
unter dem Volk die revolution&auml;re Aufregung von Tag zu Tag wuchs. M&uuml;nzer, dessen Ideen
immer sch&auml;rfer ausgebildet, immer k&uuml;hner wurden, trennte sich jetzt entschieden von der
b&uuml;rgerlichen Reformation und trat von nun an zugleich direkt als politischer Agitator
auf.</p>
<p><b><a name="S353">&lt;353&gt;</a></b> Seine theologisch- philosophische Doktrin griff alle
Hauptpunkte nicht nur des Katholizismus, sondern des Christentums &uuml;berhaupt an. Er lehrte
unter christlichen Formen einen Pantheismus, der mit der modernen spekulativen Anschauungsweise
eine merkw&uuml;rdige &Auml;hnlichkeit hat und stellenweise sogar an Atheismus anstreift. Er
verwarf die Bibel sowohl als ausschlie&szlig;liche wie als unfehlbare Offenbarung. Die
eigentliche, die lebendige Offenbarung sei die Vernunft, eine Offenbarung, die zu allen Zeiten
und bei allen V&ouml;lkern existiert habe und noch existiere. Der Vernunft die Bibel
entgegenhalten, hei&szlig;e den Geist durch den Buchstaben t&ouml;ten. Denn der Heilige Geist,
von dem die Bibel spreche, sei nichts au&szlig;er uns Existierendes; der Heilige Geist ist sei
eben die Vernunft. Der Glaube sei nichts anderes als das Lebendigwerden der Vernunft im Menschen,
und daher k&ouml;nnten auch die Heiden den Glauben haben. Durch diesen Glauben, durch die
lebendig gewordene Vernunft werde der Mensch verg&ouml;ttlicht und selig. Der Himmel sei daher
nichts Jenseitiges, er sei in diesem Leben zu suchen, und der Beruf der Gl&auml;ubigen sei,
diesen Himmel, das Reich Gottes, hier auf der Erde herzustellen. Wie keinen jenseitigen Himmel,
so gebe es auch keine jenseitige H&ouml;lle oder Verdammnis. Ebenso gebe es keinen Teufel als die
b&ouml;sen L&uuml;ste und Begierden der Menschen. Christus sei ein Mensch gewesen wie wir, ein
Prophet und Lehrer, und sein Abendmahl sei ein einfaches Ged&auml;chtnismahl, worin Brot und Wein
ohne weitere mystische Zutat genossen werde.</p>
<p>Diese Lehren predigte M&uuml;nzer meist versteckt unter denselben christlichen Redeweisen,
unter denen sich die neuere Philosophie eine Zeitlang verstecken mu&szlig;te. Aber der
erzketzerische Grundgedanke blickt &uuml;berall aus seinen Schriften hervor, und man sieht
da&szlig; es ihm mit dem biblischen Deckmantel weit weniger ernst war als manchem Sch&uuml;ler
Hegels in neuerer Zeit. Und doch liegen drei hundert Jahre zwischen M&uuml;nzer und der modernen
Philosophie.</p>
<p>Seine politische Doktrin schlo&szlig; sich genau an diese revolution&auml;re religi&ouml;se
Anschauungsweise an und griff ebensoweit &uuml;ber die unmittelbar vorliegenden
gesellschaftlichen und politischen Verh&auml;ltnisse hinaus wie seine Theologie &uuml;ber die
geltenden Vorstellungen seiner Zeit. Wie M&uuml;nzers Religionsphilosophie an den Atheismus, so
streifte sein politisches Programm an den Kommunismus, und mehr als eine moderne kommunistische
Sekte hatte noch am Vorabend der Februarrevolution &uuml;ber kein reichhaltigeres theoretisches
Arsenal zu verf&uuml;gen als die "M&uuml;nzerschen" des sechzehnten Jahrhunderts. Dies Programm,
weniger die Zusammenfassung der Forderungen der damaligen Plebejer als die geniale Antizipation
der Emanzipationsbedingungen der kaum sich entwickelnden proletarischen Elemente unter diesen
Plebejern - dies Programm forderte die sofortige Herstellung des Reiches Gottes, des prophe-
<a name="S354"></a><b>&lt;354&gt;</b> zeiten Tausendj&auml;hrigen Reichs auf Erden, durch
Zur&uuml;ckf&uuml;hrung der Kirche auf ihren Ursprung und Beseitigung aller Institutionen, die
mit dieser angeblich urchristlichen, in Wirklichkeit aber sehr neuen Kirche in Widerspruch
standen. Unter dem Reich Gottes verstand M&uuml;nzer aber nichts anderes als einen
Gesellschaftszustand, in dem keine Klassenunterschiede, kein Privateigentum und keine den
Gesellschaftsmitgliedern gegen&uuml;ber selbst&auml;ndige, fremde Staatsgewalt mehr bestehen.
S&auml;mtliche bestehende Gewalten, sofern sie nicht sich f&uuml;gen und der Revolution
anschlie&szlig;en wollten, sollten gest&uuml;rzt, alle Arbeiten und alle G&uuml;ter gemeinsam und
die vollst&auml;ndigste Gleichheit durchgef&uuml;hrt werden. Ein Bund sollte gestiftet werden, um
dies durchzusetzen, nicht nur &uuml;ber ganz Deutschland, sondern &uuml;ber die ganze
Christenheit; F&uuml;rsten und Herren sollten eingeladen werden, sich anzuschlie&szlig;en; wo
nicht, sollte der Bund sie bei der ersten Gelegenheit mit den Waffen in der Hand st&uuml;rzen
oder t&ouml;ten.</p>
<p>M&uuml;nzer setzte sich gleich daran, diesen Bund zu organisieren. Seine Predigten nahmen
einen noch heftigeren, revolution&auml;reren Charakter an; neben den Angriffen auf die Pfaffen
donnerte er mit gleicher Leidenschaft gegen die F&uuml;rsten, den Adel, das Patriziat, schilderte
er in gl&uuml;henden Farben den bestehenden Druck und hielt dagegen sein Phantasiebild des
Tausendj&auml;hrigen Reichs der sozial-republikanischen Gleichheit. Zugleich ver&ouml;ffentlichte
er ein revolution&auml;res Pamphlet nach dem andern und sandte Emiss&auml;re nach allen 3
Richtungen aus, w&auml;hrend er selbst den Bund in Allstedt und der Umgegend organisierte.</p>
<p>Die erste Frucht dieser Propaganda war die Zerst&ouml;rung der Marienkapelle zu Mellerbach bei
Allstedt, nach dem Gebot: "Ihre Alt&auml;re sollt ihr zerrei&szlig;en, ihre S&auml;ulen
zerbrechen und ihre G&ouml;tzen mit Feuer verbrennen, denn ihr seid ein heilig Volk" (Deut. 7, 6
&lt;Deuteronomium (5. Buch Mose) 7,5-6&gt;). Die s&auml;chsischen F&uuml;rsten kamen selbst nach
Allstedt, um den Aufruhr zu stillen, und lie&szlig;en M&uuml;nzer aufs Schlo&szlig; rufen. Dort
hielt er eine Predigt, wie sie deren von Luther, "dem sanftlebenden Fleisch zu Wittenberg", wie
M&uuml;nzer ihn nannte, nicht gewohnt waren. Er bestand darauf, da&szlig; die gottlosen Regenten,
besonders Pfaffen und M&ouml;nche, die das Evangelium als Ketzerei behandeln, get&ouml;tet werden
m&uuml;&szlig;ten, und berief sich daf&uuml;r aufs Neue Testament. Die Gottlosen h&auml;tten kein
Recht zu leben, es sei denn durch die Gnade der Auserw&auml;hlten. Wenn die F&uuml;rsten die
Gottlosen nicht vertilgen, so werde Gott ihnen das Schwert nehmen, <i>denn die ganze Gemeinde
habe die Gewalt des Schwerts</i>. Die Grundsuppe &lt; alter Kraftausdruck; Inbegriff alles
Schlechten&gt; des Wuchers, der <a name="S355"></a><b>&lt;355&gt;</b> Dieberei und R&auml;uberei
seien die F&uuml;rsten und Herren; sie nehmen alle Kreaturen zum Eigentum, die Fische im Wasser,
die V&ouml;gel in der Luft, das Gew&auml;chs auf Erden. Und dann predigen sie gar noch den Armen
das Gebot: Du sollst nicht stehlen, sie selber aber nehmen, wo sie's finden, schinden und schaben
den Bauer und den Handwerker; wo aber dieser am Allergeringsten sich vergreife, so m&uuml;sse er
h&auml;ngen, und zu dem allen sage dann der Doktor L&uuml;gner: Amen.</p>
<p><font size="2">"Die Herren machen das selber, da&szlig; ihnen der arme Mann feind wird. Die
Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun, wie kann es in die L&auml;nge gut werden? Ach,
liebe Herren, wie h&uuml;bsch wird der Herr unter die alten T&ouml;pfe schmei&szlig;en mit einer
eisernen Stange! So ich das sage, werde ich aufr&uuml;hrisch sein. Wohl hin!" (Vgl. Zimmermann,
"Bauernkrieg", II, S. 75)</font></p>
<p>M&uuml;nzer lie&szlig; die Predigt drucken; sein Drucker in Allstedt wurde zur Strafe vom
Herzog Johann von Sachsen gezwungen, das Land zu verlassen, und ihm selbst wurde f&uuml;r alle
seine Schriften die Zensur der herzoglichen Regierung zu Weimar auferlegt. Aber diesen Befehl
achtete er nicht. Er lie&szlig; gleich darauf eine h&ouml;chst aufregende Schrift in der
Reichsstadt M&uuml;hlhausen drucken, worin er das Volk aufforderte,</p>
<p><font size="2">"das Loch weit zu machen, auf da&szlig; alle Welt sehen und greifen m&ouml;ge,
wer unsre gro&szlig;en Hansen sind, die Gott also l&auml;sterlich zum gemalten M&auml;nnlein
gemacht haben", und die er mit den Worten beschlo&szlig;: "Die ganze Welt mu&szlig; einen
gro&szlig;en Sto&szlig; aushalten; es wird ein solch Spiel angehn, da&szlig; die Gottlosen vom
Stuhl gest&uuml;rzt, die Niedrigen aber erh&ouml;het werden."</font></p>
<p>Als Motto schrieb "Thomas M&uuml;nzer mit dem Hammer" auf den Titel:</p>
<p><font size="2">"Nimm wahr, ich habe meine Worte in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heute
&uuml;ber die Leute und &uuml;ber die Reiche gesetzt &lt;(<i>1895</i>) fehlt: ich habe die heute
&uuml;ber die Leute und &uuml;ber die Reiche gesetzt&gt;, auf da&szlig; du auswurzlest,
zerbrechest, zerstreuest und verst&uuml;rzest, und bauest und pflanzest. Eine eiserne Mauer wider
die K&ouml;nige, F&uuml;rsten, Pfaffen und wider das Volk ist dargestellt. Die m&ouml;gen
streiten, der Sieg ist wunderlich zum Untergang der starken gottlosen Tyrannen."</font></p>
<p>Der Bruch M&uuml;nzers mit Luther und seiner Partei war schon lange vorhanden. Luther hatte
manche Kirchenreformen selbst annehmen m&uuml;ssen, die M&uuml;nzer, ohne ihn zu fragen,
eingef&uuml;hrt hatte. Er beobachtete M&uuml;nzers T&auml;tigkeit mit dem &auml;rgerlichen
Mi&szlig;trauen des gem&auml;&szlig;igten Reformers gegen energischere, weitertreibende Partei.
Schon im Fr&uuml;hjahr 1524 hatte M&uuml;nzer an Melanchthon, dieses Urbild des
philistr&ouml;sen, hektischen Stubenhockers, geschrieben, er und Luther verst&auml;nden die
Bewegung gar nicht. Sie suchten sie <a name="S356"></a><b>&lt;356&gt;</b> im biblischen
Buchstabenglauben zu ersticken, ihre ganze Doktrin sei wurmstichig.</p>
<p><font size="2">"Lieben Br&uuml;der, la&szlig;t euer Warten und Zaudern, es ist Zeit, der
Sommer ist vor der T&uuml;r. Wollet nicht Freundschaft halten mit den Gottlosen, sie hindern,
da&szlig; das Wort nicht wirke in voller Kraft. Schmeichelt nicht euren F&uuml;rsten, sonst
werdet ihr selbst mit ihnen verderben. Ihr zarten Schriftgelehrten, seid nicht unwillig, ich kann
es nicht anders machen."</font></p>
<p>Luther fordert M&uuml;nzer mehr als einmal zur Disputation heraus; aber dieser, bereit, den
Kampf jeden Augenblick vor dem Volk aufzunehmen, hatte nicht die geringste Lust, sich in eine
theologische Z&auml;nkerei vor dem parteiischen Publikum der Wittenberger Universit&auml;t
einzulassen. Er wollte "das Zeugnis des Geistes nicht ausschlie&szlig;lich auf die hohe Schule
bringen". Wenn Luther aufrichtig sei, so solle er seinen Einflu&szlig; dahin verwenden, da&szlig;
die Schikanen gegen M&uuml;nzers Drucker und das Gebot der Zensur aufh&ouml;re, damit der Kampf
ungehindert in der Presse ausgefochten werden k&ouml;nne.</p>
<p>Jetzt, nach der erw&auml;hnten revolution&auml;ren Brosch&uuml;re M&uuml;nzers, trat Luther
&ouml;ffentlich als Denunziant gegen ihn auf. In seinem gedruckten "Brief an die F&uuml;rsten zu
Sachsen wider den aufr&uuml;hrerischen Geist" erkl&auml;rte er M&uuml;nzer f&uuml;r ein Werkzeug
des Satans und forderte die F&uuml;rsten auf, einzuschreiten und die Anstifter des Aufruhrs zum
Lande hinauszujagen, da sie sich nicht begn&uuml;gen, ihre schlimmen Lehren zu predigen, sondern
zum Aufstand und zur gewaltsamen Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit aufrufen.</p>
<p>Am 1. August mu&szlig;te M&uuml;nzer sich vor den F&uuml;rsten auf dem Schlo&szlig; zu Weimar
gegen die Anklage aufr&uuml;hrerischer Umtriebe verantworten. Es lagen h&ouml;chst
kompromittierende Tatsachen gegen ihn vor; man war seinem geheimen Bund auf die Spur gekommen,
man hatte in den Verbindungen der Bergknappen und Bauern seine Hand entdeckt. Man bedrohte ihn
mit Verbannung. Kaum nach Allstedt zur&uuml;ck, erfuhr er, da&szlig; Herzog Georg von Sachsen
seine Auslieferung verlangte; Bundesbriefe von seiner Handschrift waren aufgefangen worden, worin
er Georgs Untertanen zu bewaffnetem Widerstand gegen die Feinde des Evangeliums aufforderte. Der
Rat h&auml;tte ihn ausgeliefert, wenn er nicht die Stadt verlassen h&auml;tte.</p>
<p>Inzwischen hatte die steigende Agitation unter Bauern und Plebejern die M&uuml;nzersche
Propaganda ungemein erleichtert. F&uuml;r diese Propaganda hatte er an den Wiedert&auml;ufern
unsch&auml;tzbare Agenten gewonnen. Diese Sekte, ohne bestimmte positive Dogmen, zusammengehalten
nur durch ihre gemeinsame Opposition gegen alle herrschenden Klassen und durch das gemeinsame
Symbol der Wiedertaufe, asketisch-streng im Lebenswandel, unerm&uuml;dlich, fanatisch und
unerschrocken in der Agitation, hatte sich mehr und mehr um <a name="S357"></a><b>&lt;357&gt;</b>
M&uuml;nzer gruppiert. Durch die Verfolgungen von jedem festen Wohnsitz ausgeschlossen, streifte
sie &uuml;ber ganz Deutschland und verk&uuml;ndete &uuml;berall die neue Lehre, in der
M&uuml;nzer ihnen ihre eigenen Bed&uuml;rfnisse und W&uuml;nsche klargemacht hatte.
Unz&auml;hlige wurden gefoltert, verbrannt oder sonst hingerichtet, aber der Mut und die Ausdauer
dieser Emiss&auml;re war unersch&uuml;tterlich, und der Erfolg ihrer T&auml;tigkeit, bei der
schnell wachsenden Aufregung des Volks, war unerme&szlig;lich. Daher fand M&uuml;nzer bei seiner
Flucht aus Th&uuml;ringen den Boden &uuml;berall vorbereitet, er mochte sich hinwenden, wohin er
wollte.</p>
<p>Bei N&uuml;rnberg, wohin M&uuml;nzer zuerst ging, war kaum einen Monat vorher ein
Bauernaufstand im Keime erstickt worden. M&uuml;nzer agitierte hier im stillen; bald traten Leute
auf, die seine k&uuml;hnsten theologischen S&auml;tze von der Unverbindlichkeit der Bibel und der
Nichtigkeit der Sakramente verteidigten, Christus f&uuml;r einen blo&szlig;en Menschen und die
Gewalt der weltlichen Obrigkeit f&uuml;r ung&ouml;ttlich erkl&auml;rten. "Da sieht man den Satan
umgehn, den Geist aus Allstedt!" rief Luther. Hier in N&uuml;rnberg lie&szlig; M&uuml;nzer seine
Antwort an Luther drucken. Er klagte ihn geradezu an, da&szlig; er den F&uuml;rsten heuchle und
die reaktion&auml;re Partei mit seiner Halbheit unterst&uuml;tze. Aber das Volk werde trotzdem
frei werden, und dem Doktor Luther werde es dann gehen wie einem gefangenen Fuchs. - Die Schrift
wurde von Rats wegen mit Beschlag belegt, und M&uuml;nzer mu&szlig;te N&uuml;rnberg
verlassen.</p>
<p>Er ging jetzt durch Schwaben nach dem Elsa&szlig;, der Schweiz und zur&uuml;ck nach dem oberen
Schwarzwald, wo schon seit einigen Monaten der Aufstand ausgebrochen war, beschleunigt zum
gro&szlig;en Teil durch seine wiedert&auml;uferischen Emiss&auml;re. Diese Propagandareise
M&uuml;nzers hat offenbar zur Organisation der Volkspartei, zur klaren Feststellung ihrer
Forderungen und zum endlichen allgemeinen Ausbruch des Aufstandes im April 1525 wesentlich
beigetragen. Die doppelte Wirksamkeit M&uuml;nzers, einerseits f&uuml;r das Volk, dem er in der
ihm damals allein verst&auml;ndlichen Sprache des religi&ouml;sen Prophetismus zuredete, und
andrerseits f&uuml;r die Eingeweihten, gegen die er sich offen &uuml;ber seine schlie&szlig;liche
Tendenz aussprechen konnte, tritt hier besonders deutlich hervor. Hatte er schon fr&uuml;her in
Th&uuml;ringen einen Kreis der entschiedensten Leute, nicht nur aus dem Volk, sondern auch aus
der niedrigen Geistlichkeit, um sich versammelt und an die Spitze der geheimen Verbindung
gestellt, so wird er hier der Mittelpunkt der ganzen revolution&auml;ren Bewegung von
S&uuml;dwestdeutschland, so organisiert er die Verbindung von Sachsen und Th&uuml;ringen
&uuml;ber Franken und Schwaben bis nach dem Elsa&szlig; und der Schweizer Grenze und z&auml;hlt
die s&uuml;ddeutschen Agitatoren, wie Hubmaier in Waldshut, Konrad Grebel von Z&uuml;rich, Franz
Rabmann zu Grie&szlig;en, Schappeler zu Mem- <a name="S358"></a><b>&lt;358&gt;</b> mingen, Jakob
Wehe zu Leipheim, Doktor Mantel in Stuttgart, meist revolution&auml;re Pfarrer, unter seine
Sch&uuml;ler und unter die H&auml;upter des Bundes. Er selbst hielt sich meist in Grie&szlig;en
an der Schaffhausener Grenze auf und durchstreifte von da den Hegau, Klettgau etc. Die blutigen
Verfolgungen, die die beunruhigten F&uuml;rsten und Herren &uuml;berall gegen diese neue
plebejische Ketzerei unternahmen, trugen nicht wenig dazu bei, den rebellischen Geist zu
sch&uuml;ren und die Verbindung fester zusammenzuschlie&szlig;en. So agitierte M&uuml;nzer gegen
f&uuml;nf Monate in Oberdeutschland und ging um die Zeit, wo der Ausbruch der Verschw&ouml;rung
herannahte, wieder nach Th&uuml;ringen zur&uuml;ck, wo er den Aufstand selbst leiten wollte und
wo wir ihn wiederfinden werden.</p>
<p>Wir werden sehen, wie treu der Charakter und das Auftreten der beiden Parteichefs die Haltung
ihrer Parteien selbst widerspiegeln; wie die Unentschiedenheit, die Furcht vor der ernsthaft
werdenden Bewegung selbst, die feige F&uuml;rstendienerei Luthers ganz der zaudernden,
zweideutigen Politik der B&uuml;rgerschaft entsprach und wie die revolution&auml;re Energie und
Entschlossenheit M&uuml;nzers in der entwickeltsten Fraktion der Plebejer und Bauern sich
reproduzieren. Der Unterschied ist nur, da&szlig;, w&auml;hrend Luther sich begn&uuml;gte, die
Vorstellungen und W&uuml;nsche der Majorit&auml;t seiner Klasse auszusprechen und sich damit eine
h&ouml;chst wohlfeile Popularit&auml;t bei ihr zu erwerben, M&uuml;nzer im Gegenteil weit
&uuml;ber die unmittelbaren Vorstellungen und Anspr&uuml;che der Plebejer und Bauern hinausging
und sich aus der Elite der vorgefundenen revolution&auml;ren Elemente erst eine Partei bildete,
die &uuml;brigens, soweit sie auf der H&ouml;he seiner Ideen stand und seine Energie teilte,
immer nur eine kleine Minorit&auml;t der insurgierten Masse blieb.</p>
</body>
</html>