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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - VII. 1</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_768.htm"><FONT SIZE=2>IV. 7</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 770-778.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">VII<BR>
<I>Die Tendenzen der kapitalistischen Wirtschaft<BR>
</I>1</P>
</FONT><B><P><A NAME="S770">|770|</A></B> Wir haben gesehen, wie nach der stufenweisen Aufl&ouml;sung aller Gesellschaftsformen mit bestimmter planm&auml;&szlig;iger Organisation der Produktion - der urkommunistischen Gesellschaft, der Sklavenwirtschaft, der mittelalterlichen Fronwirtschaft - die Warenproduktion entstanden ist. Wir haben ferner gesehen, wie aus der einfachen Warenwirtschaft, das hei&szlig;t aus der handwerksm&auml;&szlig;igen st&auml;dtischen Produktion am Ausgang des Mittelalters, ganz mechanisch, das hei&szlig;t ohne Willen und Bewu&szlig;tsein der Menschen, die heutige kapitalistische Wirtschaft herausgewachsen ist. Im Anfang haben wir die Frage gestellt: <I>Wie ist die kapitalistische Wirtschaft m&ouml;glich</I>? Dies ist ja auch die Grundfrage der National&ouml;konomie als Wissenschaft. Nun, die Wissenschaft gibt uns darauf ausreichende Antwort. Sie zeigt uns, da&szlig; die kapitalistische Wirtschaft, die angesichts ihrer v&ouml;lligen Planlosigkeit, angesichts des Fehlens jeder bewu&szlig;ten Organisation auf den ersten Blick ein Ding der Unm&ouml;glichkeit, ein unentwirrbsres R&auml;tsel ist, sich trotzdem zu einem Ganzen f&uuml;gt und existieren kann. Und zwar:</P>
<P>durch den Warenaustausch und die Geldwirtschaft, womit sie alle Einzelproduzenten wie die entlegensten Gebiete der Erde miteinander wirtschaftlich verbindet und so die Arbeitsteilung in der ganzen Welt durchsetzt;</P>
<P>durch die freie Konkurrenz, die den technischen Fortschritt sichert und zugleich die kleinen Produzenten best&auml;ndig in Proletarier verwandelt, womit dem Kapital die k&auml;ufliche Arbeitskraft zugef&uuml;hrt wird;</P>
<P>durch das kapitalistische Lohngesetz, das einerseits mechanisch daf&uuml;r sorgt, da&szlig; die Lohnarbeiter sich nie aus dem Proletarierstand erheben und der Arbeit unter dem Kommando des Kapitals entrinnen, andererseits eine immer gr&ouml;&szlig;ere Anh&auml;ufung der unbezahlten Arbeit zu Kapital und damit immer gr&ouml;&szlig;ere Ansammlung und Ausdehnung der Produktionsmittel erm&ouml;glicht;</P>
<P>durch die industrielle Reservearmee, die der kapitalistischen Produktion jede Ausdehnungs- und Anpassungsf&auml;higkeit an die Bed&uuml;rfnisse der Gesellschaft gestattet;</P>
<P>durch die Ausgleichung der Profitrate, die die st&auml;ndige Bewegung des Kapitals aus einem Produktionszweig in einen anderen bedingt und so das Gleichgewicht der Arbeitsteilung reguliert; endlich</P>
<B><P><A NAME="S771">|771|</A></B> durch die Preisschwankungen und Krisen, die teils t&auml;glich, teils periodisch einen Ausgleich zwischen der blinden und chaotischen Produktion und den Bed&uuml;rfnissen der Gesellschaft herbeif&uuml;hren.</P>
<P>Auf diese Weise, durch die mechanische Wirkung der obigen wirtschaftlichen Gesetze, die ganz von selbst, ohne jede bewu&szlig;te Einmischung der Gesellschaft entstanden sind, existiert die kapitalistische Wirtschaft. Das hei&szlig;t, auf diese Weise wird es erm&ouml;glicht, da&szlig;, trotzdem jeder organisierte wirtschaftliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Produzenten fehlt, trotz der g&auml;nzlichen Planlosigkeit in dem wirtschaftlichen Treiben der Menschen, die gesellschaftliche Produktion und ihr Kreislauf mit der Konsumtion vor sich geht, die gro&szlig;e Masse der Gesellschaft an der Arbeit gehalten wird, die Bed&uuml;rfnisse der Gesellschaft schlecht oder recht gedeckt werden und der &ouml;konomische Fortschritt: die Entwicklung der Produktivit&auml;t der menschlichen Arbeit, als die Grundlage des ganzen Kulturfortschritts gesichert ist.</P>
<P>Dies sind aber die Grundbedingungen der Existenz jeder menschlichen Gesellschaft, und solange eine geschichtlich entstandene Wirtschaftsform diesen Bedingungen Gen&uuml;ge tut, kann sie ihrerseits bestehen, ist sie eine historische Notwendigkeit.</P>
<P>Die gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse sind aber keine starren, unbeweglichen Formen. Wir haben gesehen, wie sie im Laufe der Zeiten vielfache Ver&auml;nderungen aufwiesen, wie sie einem ewigen Wechsel unterworfen sind, in dem sich eben der menschliche Kulturfortschritt, die Entwicklung Bahn bricht. Auf die langen Jahrtausende der urkommunistischen Wirtschaft, die die menschliche Gesellschaft von den ersten Anf&auml;ngen des noch halbtierischen Daseins zu einer hohen Entwicklungsstufe der Kultur geleiten, zur Ausbildung der Sprache und der Religion, zur Viehzucht und zum Ackerbau, zur se&szlig;haften Lebensweise und zur Dorfbildung, folgt die allm&auml;hliche Zersetzung des Urkommunismus, folgt die Ausbildung der antiken Sklaverei, die ihrerseits gro&szlig;e neue Fortschritte im gesellschaftlichen Leben mit sich bringt, um wiederum mit dem Verfall der antiken Welt zu enden. Aus der kommunistischen Gesellschaft der Germanen in Mitteleuropa erw&auml;chst auf den Tr&uuml;mmern der antiken Welt eine neue Form - die Fronwirtschaft, auf der der mittelalterliche Feudalismus basierte.</P>
<P>Wieder nimmt die Entwicklung ihren ununterbrochenen Fortgang: Im Scho&szlig;e der feudalen Gesellschaft des Mittelalters entstehen in den St&auml;dten Keime einer ganz neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsform, es bilden sich das Zunfthandwerk, die Warenproduktion und ein regelm&auml;&szlig;iger Handel <A NAME="S772"><B>|772|</A></B> heraus, die schlie&szlig;lich die feudale Frongesellschaft zersetzen; sie bricht zusammen, um der kapitalistischen Produktion Platz zu machen, die aus der handwerksm&auml;&szlig;igen Warenproduktion dank dem Welthandel, der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien emporgewachsen ist.</P>
<P>Die kapitalistische Produktionsweise ist ihrerseits schon von vornherein, aus der ganzen enormen Perspektive des historischen Fortschritts betrachtet, keine unab&auml;nderliche und f&uuml;r ewige Zeiten bestehende, sondern sie ist ebenso eine blo&szlig;e &Uuml;bergangsphase, eine Staffel in der kolossalen Leiter der menschlichen Kulturentwicklung wie jede der vorhergehenden gesellschaftlichen Formen. Und tats&auml;chlich f&uuml;hrt die Entwicklung des Kapitalismus selbst bei n&auml;herem Zusehen zu seinem eigenen Untergang und &uuml;ber ihn hinaus. Haben wir bis jetzt die Zusammenh&auml;nge untersucht, die die kapitalistische Wirtschaft <I>m&ouml;glich </I>machen, so ist es jetzt an der Zeit, diejenigen kennenzulernen, die sie <I>unm&ouml;glich </I>machen. Dazu brauchen wir die eigenen inneren Gesetze der Kapitalsherrschaft nur in ihrer weiteren Wirkung zu verfolgen. Sie sind es selbst, die sich auf einer gewissen H&ouml;he der Entwicklung gegen alle die Grundbedingungen kehren, ohne die die menschliche Gesellschaft nicht bestehen kann. Was die kapitalistische Produktionsweise vor allen fr&uuml;heren besonders auszeichnet, ist, da&szlig; sie das innere Bestreben hat, sich mechanisch auf die ganze Erdkugel auszudehnen und jede andere, &auml;ltere Gesellschaftsordnung zu verdr&auml;ngen. In den Zeiten des Urkommunismus war die ganze der historischen Forschung zug&auml;ngliche Welt gleichfalls mit kommunistischen Wirtschaften bedeckt. Allein zwischen den einzelnen kommunistischen Gemeinden und St&auml;mmen bestanden gar keine oder nur zwischen den benachbarten Gemeinden schwache Beziehungen. Jede solche Gemeinde oder jeder Stamm lebte f&uuml;r sich ein geschlossenes Leben, und wenn wir auch zum Beispiel solche auffallenden Tatsachen finden, da&szlig; die mittelalterliche germanische kommunistische Gemeinde und die altperuanische in S&uuml;damerika fast gleichnamig waren, indem jene "Mark", diese "marca" hie&szlig;, so ist uns dieser Umstand bis jetzt noch ein unaufgekl&auml;rtes R&auml;tsel, wo nicht ein blo&szlig;er Zufall. Auch zur Zeit der Verbreitung der antiken Sklaverei finden wir blo&szlig; gr&ouml;&szlig;ere oder geringere <I>&Auml;hnlichkeit </I>in der Organisation und den Verh&auml;ltnissen der einzelnen Sklavenwirtschaften und Sklavenstaaten des Altertums, nicht aber eine Gemeinsamkeit des wirtschaftlichen Lebens zwischen ihnen. Desgleichen wiederholte sich die Geschichte des Zunfthandwerks und seiner Befreiung mit mehr oder weniger &Uuml;bereinstimmung in den meisten St&auml;dten des mittelalterlichen Italiens, Deutschlands, Frankreichs, Hol- <A NAME="S773"><B>|773|</A></B> lands, Englands usw.; es war dies aber meist die Geschichte jeder Stadt f&uuml;r sich.</P>
<P>Die kapitalistische Produktion dehnt sich auf s&auml;mtliche L&auml;nder aus, indem sie sie alle nicht blo&szlig; gleichartig wirtschaftlich gestaltet, sondern sie zu einer einzigen gro&szlig;en kapitalistischen Weltwirtschaft verbindet.</P>
<P>Im Innern jedes europ&auml;ischen industriellen Landes verdr&auml;ngt die kapitalistische Produktion unaufh&ouml;rlich die kleingewerbliche, handwerksm&auml;&szlig;ige und die kleine b&auml;uerliche. Gleichzeitig zieht sie alle r&uuml;ckst&auml;ndigen europ&auml;ischen L&auml;nder und alle L&auml;nder in Amerika, Asien, Afrika, Australien in die Weltwirtschaft herein. Das geht auf zwei Wegen vor sich: durch den Welthandel und durch die Kolonialeroberungen. Beide begannen Hand in Hand schon seit der Entdeckung Amerikas am Ausgang des 15. Jahrhunderts, dehnten sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte weiter aus, nahmen aber besonders im 19. Jahrhundert den gr&ouml;&szlig;ten Aufschwung und dehnen sich immer weiter aus. Beide - Welthandel wie Kolonialeroberungen - wirken Hand in Hand in folgender Weise. Zuerst bringen sie die kapitalistischen Industriel&auml;nder Europas in Ber&uuml;hrung mit allerlei Gesellschaftsformen anderer Weltteile, die auf &auml;lteren Kultur- und Wirtschaftsstufen stehen: b&auml;uerlichen, Sklavenwirtschaften, feudalen Fronwirtschaften, vorwiegend aber mit urkommunistischen. Durch den Handel, in den diese Wirtschaften hineingezogen werden, werden sie rasch zersetzt und zerr&uuml;ttet. Durch die Gr&uuml;ndung der kolonialen Handelsgesellschaften auf fremdem Boden oder durch direkte Eroberung kommen der Grund und Boden, die wichtigste Grundlage der Produktion, sowie auch die Viehherden, wo solche vorhanden sind, in die H&auml;nde europ&auml;ischer Staaten oder der Handelsgesellschaften. Dadurch werden die naturw&uuml;chsigen Gesellschaftsverh&auml;ltnisse und die Wirtschaftsweise der Eingeborenen &uuml;berall vernichtet, ganze V&ouml;lker werden zum Teil ausgerottet, zum &uuml;brigen Teil aber proletarisiert und in dieser oder jener Form als Sklaven oder Lohnarbeiter unter das Kommando des Industrie und Handelskapitals gestellt. Die Geschichte der jahrzehntelangen Kolonialkriege, die sich durch das ganze 19. Jahrhundert zieht: Aufst&auml;nde gegen Frankreich, Italien, England und Deutschland in Afrika, gegen Frankreich, England, Holland und die Vereinigten Staaten in Asien, gegen Spanien und Frankreich in Amerika - das ist der lange und z&auml;he Widerstand der alten eingeborenen Gesellschaften gegen ihre Ausrottung und Proletarisierung durch das moderne Kapital, ein Kampf, in dem das Kapital schlie&szlig;lich &uuml;berall als Sieger hervorgeht.</P>
<P>In erster Linie bedeutet dies eine ungeheure Ausdehnung des Herr- <A NAME="S774"><B>|774|</A></B> schaftsbereichs des Kapitals, eine Ausbildung des Weltmarkts und der Weltwirtschaft, in der s&auml;mtliche bewohnten L&auml;nder der Erdkugel gegenseitig f&uuml;reinander Produzenten und Abnehmer von Produkten sind, einander in die Hand arbeiten, Beteiligte einer und derselben erdumspannenden Wirtschaft sind.</P>
<P>Die andere Seite ist aber die fortschreitende Verelendung immer weiterer Kreise der Menschheit auf dem Erdrund und fortschreitende Unsicherheit ihrer Existenz. Indem an Stelle alter kommunistischer, b&auml;uerlicher oder der Fronverh&auml;ltnisse mit ihren beschr&auml;nkten Produktivkr&auml;ften und geringem Wohlstand, aber festen und gesicherten Existenzbedingungen f&uuml;r alle die kapitalistischen Kolonialverh&auml;ltnisse, Proletarisierung und Lohnsklaverei treten, zieht f&uuml;r alle betroffenen V&ouml;lker in Amerika, Asien, Afrika, Australien nacktes Elend, ungewohnte und unertr&auml;gliche Arbeitslast und obendrein v&ouml;llige Unsicherheit der Existenz herauf. Nachdem das fruchtbare und reiche Brasilien f&uuml;r Bed&uuml;rfnisse des europ&auml;ischen und nordamerikanischen Kapitalismus in eine riesige &Ouml;de und eint&ouml;nige Kaffeeplantage, ganze Massen der Eingeborenen aber in proletarisierte Lohnsklaven auf den Plantagen verwandelt worden sind, werden diese Lohnsklaven obendrein durch eine rein kapitalistische Erscheinung: die sogenannte "Kaffeekrise", pl&ouml;tzlich f&uuml;r l&auml;ngere Zeit der Arbeitslosigkeit und dem nackten Hunger preisgegeben. Das reiche und enorme Indien wurde durch die englische Kolonialpolitik nach jahrzehntelangem verzweifeltem Widerstand der Herrschaft des Kapitals unterworfen, und seitdem sind Hungersnot wie Hungertyphus, die Millionen auf einmal dahinraffen, periodische G&auml;ste in der Gegend des Gangesflusses. Im Innern Afrikas sind durch die englische und deutsche Kolonialpolitik binnen der letzten 20 Jahre ganze V&ouml;lkerschaften zum Teil in Lohnsklaven verwandelt, zum Teil ausgehungert, ihre Knochen in alle Gegenden zerstreut worden. Die verzweifelten Aufst&auml;nde und die Hungerepidemien in dem Riesenreich China <A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_770.htm#F1">[1]</A></A> sind die Folgen der Zermalmung der alten b&auml;uerlichen und handwerksm&auml;&szlig;igen Wirtschaft dieses Landes durch den Einzug des europ&auml;ischen Kapitals. Der Einzug des europ&auml;ischen Kapitalismus nach den Vereinigten Staaten wurde begleitet erst durch die Ausrottung der eingeborenen amerikanischen Indianer und den Raub ihrer L&auml;ndereien durch die eingewanderten Engl&auml;nder, dann durch die Errichtung anfangs <A NAME="S775"><B>|775|</A></B> des 19. Jahrhunderts einer kapitalistischen Rohproduktion f&uuml;r die englische Industrie, dann durch Versklavung von vier Millionen Afrikanegern, die von europ&auml;ischen Sklavenh&auml;ndlern nach Amerika verkauft wurden, um als Arbeitskraft auf den Baumwoll-, Zucker- und Tabakplantagen unter das Kommando des Kapitals gestellt zu werden.</P>
<P>So ger&auml;t ein Weltteil nach dem anderen und in jedem Weltteil ein Landstrich nach dem anderen, eine Rasse nach der anderen unentrinnbar unter die Herrschaft des Kapitals, damit aber verfallen immer neue ungez&auml;hlte Millionen der Proletarisierung, der Versklavung, der Unsicherheit der Existenz, kurz der Verelendung.<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_770.htm#F2">[2]</A></A> Die Errichtung der kapitalistischen Weltwirtschaft zieht auf der anderen Seite nach sich Verbreitung immer gr&ouml;&szlig;eren Elends, einer unleidlichen Arbeitslast und einer wachsenden Unsicherheit der Existenz auf dem ganzen Erdenrund, der die Anh&auml;ufung des Kapitals in wenigen H&auml;nden entspricht. Die kapitalistische Weltwirtschaft bedeutet immer mehr die Anspannung der ganzen Menschheit zur schweren Arbeit unter zahllosen Entbehrungen und Leiden, unter physischer und geistiger Degeneration zum Zwecke der Kapitalanh&auml;ufung. Wir haben gesehen: Die kapitalistische Produktionsweise hat das Eigent&uuml;mliche, da&szlig; f&uuml;r sie die menschliche Konsumtion, die in jeder fr&uuml;heren Wirtschaftsform Zweck war, nur ein Mittel ist, das dem eigentlichen Zweck dient: der Anh&auml;ufung von kapitalistischem Profit. Das Selbstwachstum des Kapitals erscheint als Anfang und Ende, als Selbstzweck und Sinn der ganzen Produktion. Das Hirnverbrannte dieser Verh&auml;ltnisse kommt aber in dem Ma&szlig;e erst zum Vorschein, wie sich die kapitalistische Produktion zur Weltproduktion ausw&auml;chst. Hier, auf dem Ma&szlig;stabe der Weltwirtschaft, erreicht das Absurde der kapitalistischen Wirtschaft seinen richtigen Ausdruck in dem Bilde einer ganzen Menschheit, die unter furchtbaren Leiden im Joche einer von ihr selbst unbewu&szlig;t geschaffenen blinden Gesellschaftsmacht, des Kapitals, st&ouml;hnt. Der Grundzweck jeder gesellschaftlichen Produktionsform: die Erhaltung der Gesellschaft durch die Arbeit, die Befriedigung ihrer Bed&uuml;rfnisse, erscheint erst hier v&ouml;llig auf den Kopf gestellt, indem die Produktion nicht um der Menschen, sondern um des Profits willen auf der ganzen Erdkugel zum Gesetz und die Unterkonsumtion, st&auml;ndige Unsicherheit der Konsumtion und zeitweise direkte Nichtkonsumtion der enormen Mehrheit der Menschen zur Regel werden.</P>
<P>Gleichzeitig zieht die Entwicklung der Weltwirtschaft noch andere wichtige Erscheinungen nach sich, und zwar f&uuml;r die Kapitalproduktion selbst. Der Einzug der europ&auml;ischen Kapitalsherrschaft in die au&szlig;ereuro- <A NAME="S776"><B>|776|</A></B> p&auml;ischen L&auml;nder macht, wie wir sagten, zwei Etappen durch: zuerst das Eindringen des Handels und dadurch die Hineinziehung der Eingeborenen in den Warenaustausch, zum Teil auch Verwandlung der vorgefundenen Produktionsformen der Eingeborenen in Warenproduktion, dann die Enteignung der Eingeborenen in dieser oder jener Form von ihrem Grund und Boden und damit von den Produktionsmitteln. Diese Produktionsmittel verwandeln sich in den H&auml;nden der Europ&auml;er in Kapital, w&auml;hrend sich die Eingeborenen in Proletarier verwandeln. Den beiden ersten folgt aber in der Regel fr&uuml;her oder sp&auml;ter eine dritte Etappe: die Gr&uuml;ndung einer eigenen kapitalistischen Produktion in dem Koloniallande, sei es durch eingewanderte Europ&auml;er, sei es durch bereicherte Eingeborene. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die erst durch Engl&auml;nder und andere europ&auml;ische Auswanderer bev&ouml;lkert wurden, nachdem die eingeborenen Roth&auml;ute in langem Kriege ausgerottet wurden, bildeten erst ein agrarisches Hinterland des kapitalistischen Europas, das Rohstoffe f&uuml;r die englische Industrie, wie Baumwolle und Korn, lieferte, daf&uuml;r Abnehmer f&uuml;r allerlei Industrieprodukte aus Europa war. In der zweiten H&auml;lfte des 19. Jahrhunderts ersteht aber in den Vereinigten Staaten eine eigene Industrie, die nicht nur die Einfuhr aus Europa verdr&auml;ngt, sondern bald in Europa selbst und in anderen Weltteilen dem europ&auml;ischen Kapitalismus harte Konkurrenz bereitet. In Indien ist dem englischen Kapitalismus gleichfalls ein gef&auml;hrlicher Konkurrent erstanden in der einheimischen Textil- und sonstigen Industrie. Australien ist denselben Weg der Entwicklung vom Kolonialland zum kapitalistischen Industrieland gegangen. In Japan hat sich schon auf der ersten Etappe - aus dem Ansto&szlig; des Welthandels - eine eigene Industrie entwickelt, was Japan vor der Aufteilung als europ&auml;isches Kolonialland bewahrt hat. In China kompliziert sich der Proze&szlig; der Zerst&uuml;ckelung und Auspl&uuml;nderung des Landes durch den europ&auml;ischen Kapitalismus durch die Anstrengungen des Landes, mit Hilfe Japans eine eigene kapitalistische Produktion zur Abwehr der europ&auml;ischen zu gr&uuml;nden, wodurch f&uuml;r die Bev&ouml;lkerung auch verdoppelte komplizierte Leiden erfolgen. Auf diese Weise verbreitet sich nicht nur die Herrschaft und das Kommando des Kapitals &uuml;ber der ganzen Erde durch Schaffung eines Weltmarktes, sondern es verbreitet sich allm&auml;hlich auch die kapitalistische Produktionsweise auf der ganzen Erdkugel. Damit geraten aber das Ausdehnungsbed&uuml;rfnis der Produktion und ihr Ausdehnungsgebiet, das hei&szlig;t die Absatzm&ouml;glichkeiten, in immer mi&szlig;licheres Verh&auml;ltnis zueinander. Es ist, wie wir gesehen. das innerste Bed&uuml;rfnis und Lebensgesetz der kapitalistischen Produktion, da&szlig; sie die M&ouml;glichkeit hat, nicht stabil <A NAME="S777"><B>|777|</A></B> zu bleiben, sondern sich immer weiter, und zwar immer rascher auszudehnen, das hei&szlig;t immer gewaltigere Warenmassen in immer gr&ouml;&szlig;eren Betrieben mit immer besseren technischen Mitteln immer rascher zu produzieren. An sich kennt diese Ausdehnungsm&ouml;glichkeit der kapitalistischen Produktion keine Grenzen, weil der technische Fortschritt und damit auch die Produktivkr&auml;fte der Erde keine Grenzen haben. Allein dieses Ausdehnungsbed&uuml;rfnis st&ouml;&szlig;t auf ganz bestimmte Schranken, n&auml;mlich auf das Profitinteresse des Kapitals. Die Produktion und ihre Ausdehnung haben nur so lange Sinn, wie dabei mindestens der "&uuml;bliche" Durchschnittsprofit herauskommt. Ob dies aber der Fall ist, h&auml;ngt vom Markt ab, das hei&szlig;t vom Verh&auml;ltnis der zahlungsf&auml;higen Nachfrage seitens der Konsumenten und der Menge
<P>Allein, je mehr L&auml;nder eine eigene kapitalistische Industrie entwickeln, um so gr&ouml;&szlig;er das Ausdehnungsbed&uuml;rfnis und die Ausdehnungsm&ouml;glichkeit der Produktion auf der einen Seite, um so geringer im Verh&auml;ltnis dazu die Ausdehnungsm&ouml;glichkeit der Marktschranken. Wenn man die Spr&uuml;nge vergleicht, in denen die englische Industrie in den sechziger und siebziger Jahren wuchs, als England <A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_770.htm#F3">[3]</A></A> noch das herrschende kapitalistische Land auf dem Weltmarkt war, mit ihrem Wachstum in den letzten beiden Jahrzehnten, seit Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Weltmarkt England bedeutend verdr&auml;ngt haben, so ergibt sich, da&szlig; das Wachstum im Verh&auml;ltnis zu fr&uuml;her ein viel langsameres geworden ist. Was aber das Schicksal der englischen Industrie f&uuml;r sich war, das steht unvermeidlich auch der deutschen, der nordamerikanischen und schlie&szlig;lich der Gesamtindustrie der Welt bevor. Unaufhaltsam, mit jedem Schritt ihrer eigenen Fortentwicklung n&auml;hert sich die kapitalistische Produktion der Zeit, wo sie sich immer langsamer und schwieriger wird ausdehnen und entwickeln k&ouml;nnen. Freilich hat die kapitalistische Entwicklung an sich noch eine gro&szlig;e Strecke Weges, in dem die kapitalistische Produktions- <A NAME="S778"><B>|778|</A></B> weise als solche erst noch den geringsten Bruchteil der Gesamtproduktion der Erde darstellt. Sogar in den &auml;ltesten Industriel&auml;ndern Europas bestehen immer noch neben industriellen Gro&szlig;betrieben sehr viele r&uuml;ckst&auml;ndige kleine handwerksm&auml;&szlig;ige Betriebe, und vor allem wird der gr&ouml;&szlig;te Teil der landwirtschaftlichen Produktion, n&auml;mlich die b&auml;uerliche, nicht kapitalistisch betrieben. Daneben gibt es in Europa ganze L&auml;nder, in denen die Gro&szlig;industrie kaum entwickelt, die einheimische Produktion aber vorwiegend b&auml;uerlichen und handwerksm&auml;&szlig;igen Charakter tr&auml;gt. Und endlich bilden in den &uuml;brigen Weltteilen, ausgenommen den Nordteil Amerikas, kapitalistische Produktionsst&auml;tten nur kleine, zerstreute Punkte, w&auml;hrend ganz enorme Strecken Landes zum Teil nicht einmal zur einfachen Warenproduktion &uuml;bergegangen sind. Freilich wird das wirtschaftliche Leben auch aller dieser nicht selbst kapitalistisch produzierenden Gesellschaftsschichten und L&auml;nder in Europa wie der au&szlig;ereurop&auml;ischen L&auml;nder vom Kapitalismus beherrscht. Der europ&auml;ische Bauer mag selbst noch die primitivste Parzellenwirtschaft f&uuml;hren, er h&auml;ngt mit Haut und Haaren von der gro&szlig;kapitalistischen Wirtschaft, vom Weltmarkt ab, mit dem ihn der Handel und die Steuerpolitik der kapitalistischen Gro&szlig;staaten in Ber&uuml;hrung gebracht haben. Ebenso werden die primitivsten au&szlig;ereurop&auml;ischen L&auml;nder durch den Welthandel wie durch die Kolonialpolitik unter die Herrschaft des europ&auml;ischen und des nordamerikanischen Kapitalismus gebracht. An sich jedoch k&ouml;nnte die kapitalistische Produktionsweise noch eine gewaltige Ausdehnung finden, wenn sie alle r&uuml;ckst&auml;ndigeren Produktionsformen &uuml;berall verdr&auml;ngen sollte. Im allgemeinen bewegt sich auch die Entwicklung, wie wir bereits ausgef&uuml;hrt haben, nach dieser Richtung hin. Allein gerade bei dieser Entwicklung verwickelt sich der Kapitalismus in den fundamentalen Widerspruch: Je mehr an Stelle r&uuml;ckst&auml;ndigerer Produktionen die kapitalistische tritt, um so enger werden die durch das Profitinteresse geschaffenen Marktschranken f&uuml;r das Ausdehnungsbed&uuml;rfnis der bereits bestehenden kapitalistischen Betriebe. Die Sache wird ganz klar, wenn wir uns f&uuml;r einen Augenblick vorstellen, die Entwicklung des Kapitalismus sei so weit vorgeschritten, da&szlig; auf der ganzen Erdkugel alles, was von Menschen produziert wird, nur kapitalistisch, das hei&szlig;t nur von kapitalistischen Privatunternehmern in Gro&szlig;betrieben mit modernen Lohnarbeitern, produziert wird. Alsdann trit
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Randnotiz R. L.: Indien Hungertyphus. <A HREF="lu05_770.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Randnotiz R. L.: Ausrottung der primitiven V&ouml;lker. <A HREF="lu05_770.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> In der Quelle: sie. <A HREF="lu05_770.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
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