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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 16. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_186.htm"><FONT SIZE=2>15. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_209.htm"><FONT SIZE=2>17. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 196-209.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Sechzehntes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Rodbertus' Kritik der klassischen Schule</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S196">&lt;196&gt;</A></B> Rodbertus gr&auml;bt tiefer als v. Kirchmann. Er sucht die Wurzeln des &Uuml;bels in den Grundlagen selbst der gesellschaftlichen Organisation und erkl&auml;rt der herrschenden Freihandelsschule erbitterten Krieg. Freilich nicht gegen das System des ungehinderten Warenverkehrs oder der Gewerbefreiheit, die er voll und ganz akzeptiert, zieht er ins Feld, sondern gegen das Manchestertum, das laissez faire in den inneren sozialen Verh&auml;ltnissen der <A NAME="S197"><B>&lt;197&gt;</A></B> Wirtschaft. Zu seiner Zeit war auf die Sturm-und-Drang-Periode der klassischen &Ouml;konomie bereits jenes skrupellose Apologetentum zur Herrschaft gelangt, das in dem fabelhaften Vulgarus und Abgott aller Philister, dem Herrn Fr&eacute;d&eacute;ric Bastiat mit seinen "Harmonien", den gelungensten Ausdruck fand, und bald sollten auch verschiedene Schulzes als der k&uuml;mmerlich-spie&szlig;erliche deutsche Abklatsch des franz&ouml;sischen Harmoniepropheten grassieren. Gegen diese skrupellosen "Freihandelshausierburschen" richtete sich die Kritik Rodbertus'. "F&uuml;nf Sechsteile der Nation", ruft er in seinem "Ersten socialen Brief an von Kirchmann" (1850), "werden bisher durch die Geringf&uuml;gigkeit ihres Einkommens nicht blo&szlig; von den meisten Wohltaten der Zivilisation ausgeschlossen, sondern unterliegen dann und wann den furchtbarsten Ausbr&uuml;chen wirklichen Elends und sind immerdar dessen drohender Gefahr ausgesetzt. Dennoch sind sie die Sch&ouml;pfer alles gesellschaftlichen Reichtums. Ihre Arbeit beginnt mit aufgehender, endigt mit niedergehender Sonne, erstreckt sich bis in die Nacht hinein, aber keine Anstrengung vermag dies Los zu &auml;ndern. Ohne ihr Einkommen erh&ouml;hen zu k&ouml;nnen, verlieren sie nur noch die letzte Zeit, die ihnen f&uuml;r Bildung ihres Geistes h&auml;tte &uuml;brigbleiben sollen. Wir wollen annehmen, da&szlig; der Fortschritt der Zivilisation soviel Leiden zu seinem Fu&szlig;gestell bisher bedurfte. Da leuchtet pl&ouml;tzlich die M&ouml;glichkeit einer &Auml;nderung dieser traurigen Notwendigkeit aus einer Reihe der wunderbarsten Erfindungen - Erfindungen, welche die menschliche Arbeitskraft mehr als verhundertfachen. Der Nationalreichtum - das Nationalverm&ouml;gen im Verh&auml;ltnis zur Bev&ouml;lkerung - w&auml;chst infolgedessen in steigender Progression. Ich frage: Kann es eine nat&uuml;rlichere Folgerung, eine gerechtere Forderung geben, als da&szlig; auch die Sch&ouml;pfer dieses alten und neuen Reichtums von dieser Zunahme irgendwie Vorteil haben? - als da&szlig; sich entweder ihr Einkommen mit erh&ouml;ht oder die Zeit ihrer Arbeit erm&auml;&szlig;igt oder immer mehrere Mitglieder von ihnen in die Reihen jener Gl&uuml;cklichen &uuml;bergehen, die vorzugsweise die Fr&uuml;chte der Arbeit zu brechen berechtigt sind? Aber die Staatswirtschaft oder besser die Volkswirtschaft hat nur das Gegenteil von dem allen zustande zu bringen vermocht. W&auml;hrend der Nationalreichtum w&auml;chst, w&auml;chst auch die Verarmung jener Klassen, m&uuml;ssen Spezialgesetze sogar der Verl&auml;ngerung der Arbeitszeit in den Weg treten und nimmt endlich die Zahl der arbeitenden Klassen in gr&ouml;&szlig;erem Verh&auml;ltnis zu als die der anderen. Aber nicht genug! Die hundertfach erh&ouml;hte Ar- <A NAME="S198"><B>&lt;198&gt;</A></B> beitskraft, die schon f&uuml;nf Sechsteilen der Nation keine Erleichterung zu gew&auml;hren vermochte, wird periodisch auch noch der Schrecken des letzten Sechsteils der Nation und damit der ganzen Gesellschaft." "Welche Widerspr&uuml;che also auf dem wirtschaftlichen Gebiete insbesondere! Und welche Widerspr&uuml;che auf dem gesellschaftlichen Gebiete &uuml;berhaupt! Der gesellschaftliche Reichtum nimmt zu, und die Begleiterin dieser Zunahme ist die Zunahme der Armut. - Die Sch&ouml;pfungskraft der Produktivmittel wird gesteigert, und deren Einstellung ist davon die Folge. - Der gesellschaftliche Zustand verlangt die Erhebung der materiellen Lage der arbeitenden Klassen zu gleicherer H&ouml;he mit ihrer politischen, und der wirtschaftliche Zustand antwortet mit deren tieferer Erniedrigung. - Die Gesellschaft bedarf des ungehinderten Aufschwungs des Reichtums, und die heutigen Leiter der Produktion m&uuml;ssen denselben hemmen, um nicht der Armut Vorschub zu leisten. - Nur eines ist in Harmonie! Der Verkehrtheit der Zust&auml;nde entspricht die Verkehrtheit des herrschenden Teils der Gesellschaft, die Verkehrtheit, den Grund dieser &Uuml;bel da zu suchen, wo er nicht liegt. Jener Egoismus, der sich nur zu oft in das Gewand der Moral h&uuml;llt, klagt als die Ursache des Pauperismus die Untugenden der Arbeiter an. Ihrer angeblichen Ungen&uuml;gsamkeit und Unwirtschaftlichkeit b&uuml;rdet er auf, was &uuml;berm&auml;chtige Tatsachen an ihnen verbrechen, und wo selbst er seine Augen nicht vor ihrer Schuldlosigkeit verschlie&szlig;en kann, erhebt er die 'Notwendigkeit der Armut' zur Theorie. Ohne Unterla&szlig; ruft er den Arbeitern nur ora er labora zu, macht ihnen Enthaltsamkeit und Sparsamkeit zur Pflicht und f&uuml;gt h&ouml;chstens die Rechtsverletzung von Zwangssparanstalten der Not der Arbeiter hinzu. Er sieht nicht, da&szlig; eine blinde Verkehrsgewalt das Gebet zur Arbeit in einen Fluch &uuml;ber erzwungene Arbeitslosigkeit verwandelt, da&szlig; ... Sparsamkeit eine Unm&ouml;glichkeit oder eine Grausamkeit ist und da&szlig; endlich die Moral stets wirkungslos in dem Munde derer blieb, von denen der Dichter wei&szlig;, 'sie trinken heimlich Wein und predigen &ouml;ffentlich Wasser'."<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_196.htm#F1">(1)</A></A></P>
<P>Konnten solche tapferen Worte an sich - drei&szlig;ig Jahre nach Sismondi und Owen, zwanzig Jahre nach den Anklagen der englischen Sozialisten aus der Ricardoschule, endlich nach der Chartistenbewegung, nach der Junischlacht und, last not least, nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifests - keinen Anspruch auf bahnbrechende Bedeutung erheben, so kam es letzt um so mehr auf die wissenschaftliche Begr&uuml;ndung dieser Anklagen an. Rodbertus gibt hier ein ganzes System, das auf die folgenden knappen S&auml;tze zur&uuml;ckgef&uuml;hrt werden kann.</P>
<B><P><A NAME="S199">&lt;199&gt;</A></B> Die geschichtlich erreichte H&ouml;he der Produktivit&auml;t der Arbeit zusammen mit den "Institutionen des positiven Rechts", d.h. dem Privateigentum, haben dank den Gesetzen eines "sich selbst &uuml;berlassenen Verkehrs" eine ganze Reihe verkehrter und unmoralischer Erscheinungen hervorgerufen. So</P>
<P>1. den Tauschwert, an Stelle des "normalen", "konstituierten Werts" und dadurch das heutige Metallgeld an Stelle eines richtigen "seiner Idee entsprechenden" "Papierstreifen"geldes oder "Arbeitsgeldes" "Die erste (Wahrheit) ist, da&szlig; alle wirtschaftlichen G&uuml;ter <I>Arbeitsprodukt</I> sind oder, wie man dieselbe auch wohl noch sonst auszudr&uuml;cken pflegte, da&szlig; die Arbeit allein produktiv ist. Dieser Satz bedeutet aber weder schon, da&szlig; der Wert des Produkts immer der Kostenarbeit &auml;qual ist, mit anderen Worten, da&szlig; die Arbeit heute schon einen Ma&szlig;stab des Wertes abgeben k&ouml;nne." Wahrheit ist vielmehr, "da&szlig; dies noch keine staatswirtschaftliche <I>Tatsache</I>, sondern nur erst staatswirtschaftliche <I>Idee</I> ist".<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_196.htm#F2">(2)</A></A></P>
<P>"Sollte der Wert nach der Arbeit, die das Produkt gekostet hat, konstituiert werden k&ouml;nnen, so l&auml;&szlig;t sich noch ein Geld vorstellen, das gleichsam aus den losgerissenen Bl&auml;ttern jenes allgemeinen Kontobuches, aus einer auf dem wohlfeilsten Stoff, auf Lumpen, geschriebenen Quittung bestehen w&uuml;rde, die jedermann &uuml;ber den von ihm produzierten Wert erhielte und die derselbe wieder als Anweisung auf ebensoviel Wert an dem zur Verteilung kommenden Nationalproduktteil realisierte ... Kann indessen der Wert aus irgendwelchen Gr&uuml;nden <I>nicht</I> oder <I>noch</I> nicht konstituiert werden, so mu&szlig; das Geld denjenigen Wert, den es liquidieren soll, selbst schon als Gleichwert, als Pfand oder B&uuml;rgschaft mit sich herumschleppen, d.h. selbst schon aus einem wertvollen Gut, aus Gold oder Silber, bestehen."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_196.htm#F3">(3)</A></A> Sobald jedoch die kapitalistische Warenproduktion da ist, wird alles auf den Kopf gestellt: "Die Konstituierung des Wertes mu&szlig; aufh&ouml;ren, weil er nur noch Tauschwert sein kann."<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_196.htm#F4">(4)</A></A> Und "weil nicht der Wert konstituiert werden konnte, kann auch das Geld nicht <I>blo&szlig;</I> Geld sein, nicht vollst&auml;ndig seiner Idee entsprechen"<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_196.htm#F5">(5)</A></A>. "Bei einer gerechten Vergeltung im Tausche (m&uuml;&szlig;te) der Tauschwert der Produkte &auml;qual sein der Arbeitsquantit&auml;t, die sie gekostet haben, m&uuml;&szlig;ten in den Produkten immer gleiche Arbeitsquantit&auml;ten ausgetauscht werden." Aber selbst vorausgesetzt, da&szlig; jedermann gerade die Gebrauchswerte produziert, die ein anderer braucht, "m&uuml;&szlig;te, da es sich hier um menschliche Erkenntnis und <A NAME="S200"><B>&lt;200&gt;</A></B> menschlichen Willen handelte, doch immer noch eine richtige Berechnung, Ausgleichung und Festsetzung der in den auszutauschenden Produkten enthaltenen Arbeitsquantit&auml;ten vorausgehen <I>und ein</I> Gesetz dieserhalb bestehen, dem sich die Tauschenden f&uuml;gen."<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_196.htm#F6">(6)</A></A></P>
<P>Rodbertus betont bekanntlich mit Nachdruck seine Priorit&auml;t vor Proudhon in der Entdeckung des "konstituierten Werts", was ihm gern zugestanden werden mag. Wie sehr diese "Idee" nur ein Gespenst war, das schon eine geraume Zeit vor Rodbertus in England theoretisch fruktifiziert und praktisch begraben worden war, und wie sehr diese "Idee" eine utopische Verballhornung der Ricardoschen Wertlehre war, haben Marx in seinem "Elend der Philosophie" wie Engels in seiner Vorrede dazu ersch&ouml;pfend dargetan. Es er&uuml;brigt sich deshalb, auf diese "Zukunftsmusik auf der Kindertrompete" hier weiter einzugehen.</P>
<P>2. Aus dem "Tauschverkehr" ergab sich die "Degradation" der Arbeit zur Ware und der Arbeitslohn nach dem " Kostenwert" statt einer festen Quote des Anteils am Produkt. Rodbertus leitet sein Lohngesetz mit einem k&uuml;hnen historischen Sprung direkt aus der Sklaverei her, wobei er die spezifischen Charaktere, die die kapitalistische Warenproduktion der Ausbeutung aufdr&uuml;ckt, nur als t&auml;uschende L&uuml;ge ansieht und vom moralischen Standpunkt verdonnert, "Solange die Produzenten selbst noch Eigentum der Nichtproduzenten waren, solange Sklaverei bestand, war es ausschlie&szlig;lich der Privatvorteil der 'Herren', der einseitig die Gr&ouml;&szlig;e jenes Teils (des Anteils der Arbeitenden - <I>R. L.</I>) bestimmte. Seit die Produzenten die volle pers&ouml;nliche Freiheit, aber noch nichts weiter erreicht haben, vereinbaren sich beide Teile &uuml;ber den Lohn im voraus. Der Lohn ist, wie es heute hei&szlig;t, Gegenstand eines 'freien Vertrages', d.i. der Konkurrenz. Dadurch wird nat&uuml;rlich die Arbeit denselben Tauschwertgesetzen unterworfen, denen auch die Produkte unterliegen; sie erh&auml;lt selbst Tauschwert; die Gr&ouml;&szlig;e ihres Lohns h&auml;ngt von den Wirkungen des Angebots und der Nachfrage ab." Nachdem er so die Dinge auf den Kopf gestellt und den Tauschwert der Arbeitskraft aus der Konkurrenz abgeleitet hat, leitet er gleich darauf nat&uuml;rlich ihren Wert aus ihrem Tauschwert ab:</P>
<P>"Die Arbeit erh&auml;lt unter der Herrschaft der Tauschwertgesetze gleich den Produkten eine Art 'Kostenwert' , der auf ihren Tauschwert, den Lohnbetrag, eine Anziehungskraft &auml;u&szlig;ert." Dies ist derjenige Lohnbetrag, der n&ouml;tig ist, um sie "instand zu erhalten", d.h. um ihr die Kraft zur eigenen Fortsetzung, wenn auch nur in ihrer Nachkommenschaft, zu gew&auml;hren, der sogenannte "notwendige Unterhalt". Dies ist aber f&uuml;r Rodbertus wieder- <A NAME="S201"><B>&lt;201&gt;</A></B> um nicht Feststellung objektiver &ouml;konomischer Gesetze, sondern blo&szlig; Gegenstand sittlicher Entr&uuml;stung. Die Behauptung der klassischen Schule, "die Arbeit habe nicht mehr Wert, als sie Lohn bekomme", nennt Rodbertus "zynisch" und nimmt sich vor, "die Reihe von Irrt&uuml;mern" aufzudecken, die zu diesem "krassen und unmoralischen Schlusse" gef&uuml;hrt haben.<A NAME="ZF7"><A HREF="lu05_196.htm#F7">(7)</A></A> "Eine ebenso entehrende Vorstellung als die war, welche den Arbeitslohn nach dem notwendigen Unterhalt oder wie eine Maschinenreparatur sch&auml;tzen lie&szlig;, hat auch bei der zur Tauschware gewordenen Arbeit, diesem Prinzip aller G&uuml;ter, von einem 'nat&uuml;rlichen Preise' oder von 'Kosten' wie bei dem Produkt derselben gesprochen und diesen nat&uuml;rlichen Preis, diese Kosten der Arbeit in den G&uuml;terbetrag gesetzt, der n&ouml;tig sei, um die Arbeit immer wieder auf den Markt zu bringen." Dieser Warencharakter und die entsprechende Wertbestimmung der Arbeitskraft sind indes nichts als boshafte Verirrung der Freihandelsschule, und statt wie die englischen Ricardosch&uuml;ler auf den Widerspruch innerhalb der kapitalistischen Warenproduktion: zwischen der Wertbestimmung der Arbeit und der Wertbestimmung durch die Arbeit, hinzuweisen, zeiht Rodbertus als guter Preu&szlig;e die kapitalistische Warenproduktion des Widerspruchs - mit dem geltenden Staatsrecht. "Welch ein t&ouml;richter, unbeschreiblicher Widerspruch in der Auffassung derjenigen National&ouml;konomen" ruft er, "welche die Arbeiter in ihrer rechtlichen Stellung &uuml;ber die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden und zugleich sie national&ouml;konomisch nur immer als Ware behandeln lassen wollen!"<A NAME="ZF8"><A HREF="lu05_196.htm#F8">(8)</A></A></P>
<P>Es fragt sich nur noch, weshalb sich die Arbeiter eine so t&ouml;richte und schreiende Ungerechtigkeit gefallen lassen - ein Einwurf, der zum Beispiel von <I>Hermann</I> gegen die Ricardosche Werttheorie erhoben wurde. Darauf antwortet Rodbertus: "Was h&auml;tten die Arbeiter tun sollen, wenn sie sich nach ihrer Freilassung jene Vorschrift nicht h&auml;tten gefallen lassen wollen? Stellen Sie sich deren Lage vor! Die Arbeiter sind nackt oder in Lumpen freigelassen worden, mit nichts als ihrer Arbeitskraft. Auch war mit der Aufhebung der Sklaverei oder der Leibeigenschaft die moralische oder rechtliche Verpflichtung des Herrn, sie zu f&uuml;ttern oder f&uuml;r ihre Notdurft zu sorgen, fortgefallen. Aber ihre Bed&uuml;rfnisse waren geblieben; sie mu&szlig;ten leben. Wie sollten sie mit ihrer Arbeitskraft f&uuml;r dies Leben sorgen? Von dem in der Gesellschaft vorhandenen Kapital nehmen und damit ihren Unterhalt produzieren? Aber das Kapital in der Gesellschaft geh&ouml;rte schon anderen als ihnen, und die Vollstrecker des 'Rechts' h&auml;tten es <A NAME="S202"><B>&lt;202&gt;</A></B> nicht gelitten." Was blieb also den Arbeitern &uuml;brig? "Nur eine Alternative: entweder das Recht der Gesellschaft umst&uuml;rzen oder unter den ungef&auml;hren fr&uuml;heren wirtschaftlichen Bedingungen, wenn auch in ver&auml;nderter rechtlicher Stellung, zu ihren fr&uuml;heren Herren, den Grund- und Kapitalbesitzern, zur&uuml;ckzukehren und als Lohn zu empfangen, was sie fr&uuml;her als Futter bekommen hatten!" Zum Gl&uuml;ck f&uuml;r die Menschheit und den preu&szlig;ischen Rechtsstaat waren die Arbeiter "so weise", die Zivilisation "nicht aus ihrer Bahn zu werfen" und sich lieber heroisch den niedertr&auml;chtigen Zumutungen ihrer "fr&uuml;heren Herren" zu f&uuml;gen. So entstand das kapitalistische Lohnsystem und das Lohngesetz als "ungef&auml;hre Sklaverei", als ein Produkt des Gewaltmi&szlig;brauchs der Kapitalisten und der Zwangslage sowie der sanften F&uuml;gsamkeit der Proletarier, wenn man den bahnbrechenden theoretischen Erkl&auml;rungen desselben Rodbertus Glauben schenken soll, der von Marx bekanntlich theoretisch "gepl&uuml;ndert" worden ist. In bezug auf diese Lohntheorie ist jedenfalls die "Priorit&auml;t" Rodbertus' unbestritten, denn die englischen Sozialisten und andere soziale Kritiker hatten das Lohnsystem viel weniger roh und primitiv analysiert. Das Originelle dabei ist, da&szlig; Rodbertus den ganzen Aufwand an sittlicher Entr&uuml;stung &uuml;ber die Entstehung und die &ouml;konomischen Gesetze des Lohnsystems nicht etwa dazu verbraucht, um als die Konsequenz daraus die Abschaffung des schauderhaften Unrechts, des "t&ouml;richten und unbeschreiblichen Widerspruchs" zu fordern. Bewahre! Er beruhigt wiederholt die Mitmenschheit, da&szlig; sein Gebr&uuml;ll wider die Ausbeutung nicht gar zu tragisch gemeint sei, er sei kein L&ouml;we, sondern blo&szlig; Schnock der Schreiner.<A NAME="ZF9"><A HREF="lu05_196.htm#F9">(9)</A></A> Die ethische Theorie des Lohngesetzes ist nur n&ouml;tig, um daraus den weiteren Schlu&szlig; zu ziehen:</P>
<P>3. Aus der Bestimmung des Lohnes durch die "Tauschwertgesetze" ergibt sich n&auml;mlich, da&szlig; mit dem Fortschritt der Produktivit&auml;t der Arbeit der Anteil der Arbeiter am Produkt immer kleiner wird. Hier sind wir an dem archimedischen Punkt des Rodbertusschen "Systems" angelangt. Die "fallende Lohnquote" ist die wichtigste "eigene" Idee, die er seit seiner ersten sozialen Schrift (wahrscheinlich 1839) bis zu seinem Tode wiederholt und die er als sein Eigentum "in Anspruch nimmt". Zwar war diese "Idee" eine einfache Schlu&szlig;folgerung aus Ricardos Werttheorie, zwar ist sie implicite in der Lohnfondstheorie enthalten, die seit den Klassikern bis zum Erscheinen des Marxschen "Kapitals" die b&uuml;rgerliche National&ouml;konomie beherrschte. Trotzdem glaubt Rodbertus mit dieser "Entdek- <A NAME="S203"><B>&lt;203&gt;</A></B> kung" eine Art Galilei in der National&ouml;konomie geworden zu sein, und er zieht seine "fallende Lohnquote" zur Erkl&auml;rung aller &Uuml;bel und Widerspr&uuml;che der kapitalistischen Wirtschaft heran. Aus der fallenden Lohnquote leitet er also vor allem den Pauperismus ab, der bei ihm neben Krisen "die soziale Frage" ausmacht. Und es w&auml;re angezeigt, der geneigten Aufmerksamkeit der modernen Marxt&ouml;ter die Tatsache zu empfehlen, da&szlig; es zwar nicht Marx, wohl aber der ihnen viel n&auml;her stehende Rodbertus gewesen ist, der eine regelrechte Verelendungstheorie, und zwar in der gr&ouml;bsten Form, aufgestellt und sie im Unterschied von Marx nicht zur Begleiterscheinung, sondern zum Zentralpunkt der "sozialen Frage" gemacht hat. Siehe z.B. seine Beweisf&uuml;hrung der absoluten Verelendung der Arbeiterklasse im "Ersten socialen Brief an von Kirchmann". Sodann mu&szlig; die "fallende Lohnquote" auch zur Erkl&auml;rung der anderen grundlegenden Erscheinung der "sozialen Frage" herhalten: der Krisen, Hier tritt Rodbertus an das Problem des Gleichgewichts zwischen Konsumtion und Produktion heran und ber&uuml;hrt den ganzen Komplex der damit verbundenen Streitfragen, die bereits zwischen Sismondi und der Ricardoschule ausgefochten wurden.</P>
<P>Die Kenntnis der Krisen war bei Rodbertus nat&uuml;rlich auf ein viel reicheres Tatsachenmaterial gest&uuml;tzt als bei Sismondi. In seinem "Ersten socialen Brief" gibt er bereits eine eingehende Schilderung der vier Krisen: 1818; 1819, 1825, 1837-1839 und 1847. Dank der l&auml;ngeren Beobachtung konnte Rodbertus zum Teil einen tieferen Einblick in das Wesen der Krisen gewinnen, als dies seinen Vorl&auml;ufern m&ouml;glich war. So formuliert er bereits 1850 die Periodizit&auml;t der Krisen, und zwar ihre Wiederkehr mit immer k&uuml;rzeren Intervallen, daf&uuml;r aber in immer zunehmender Sch&auml;rfe: "Von Mal zu Mal, im Verh&auml;ltnis der Zunahme des Reichtums hat sich die Furchtbarkeit dieser Krisen gesteigert, sind die Opfer, die sie verschlingen, gr&ouml;&szlig;er geworden, Die Krisis von 1818/19, so sehr sie schon den Schrecken des Handels und die Bedenken der Wissenschaft erregte, war verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig unbedeutend gegen die von 1825/26. Die letztere schlug dem Kapitalverm&ouml;gen Englands solche Wunden, da&szlig; die ber&uuml;hmtesten Staatswirte die vollst&auml;ndige Ausheilung derselben bezweifelten, sie ward dennoch von der Krisis von 1836/37 &uuml;bertroffen. Die Krisen von 1839/40 und 1846/47 richteten noch wieder st&auml;rkere Verheerungen an als die vorausgehenden." "Indessen nach der bisherigen Erfahrung kehren die- <A NAME="S204"><B>&lt;204&gt;</A></B> selben in immer k&uuml;rzeren Intervallen wieder. Von der ersten bis zur dritten Krisis verflossen 18 Jahre, von der zweiten bis zur vierten 14 Jahre, von der dritten bis zur f&uuml;nften 12 Jahre. Schon mehren sich die Anzeichen eines nahe bevorstehenden neuen Ungl&uuml;cks, obwohl unzweifelhaft das Jahr 1848 dessen Ausbruch aufgehalten hat."<A NAME="ZF10"><A HREF="lu05_196.htm#ZF10">(10)</A></A> Weiter macht Rodbertus die Beobachtung, da&szlig; der regelm&auml;&szlig;ige Vorl&auml;ufer der Krisen ein au&szlig;erordentlicher Aufschwung der Produktion, gro&szlig;e technische Fortschritte der Industrie zu sein pflegen: "... jede einzelne derselben (der Krisen) ist auf eine hervorstechende Periode industrieller Bl&uuml;te gefolgt."<A NAME="ZF11"><A HREF="lu05_196.htm#F11">(11)</A></A> Er schildert an der Hand der Geschichte der Krisen, da&szlig; "dieselben stets nur nach einer bedeutenden Steigerung der Produktivit&auml;t eintreten"<A NAME="ZF12"><A HREF="lu05_196.htm#F12">(12)</A></A>. Rodbertus bek&auml;mpft die vulg&auml;re Ansicht, die Krisen nur zu Geld- und Kreditst&ouml;rungen machen will, und kritisiert die ganze verfehlte Peelsche Banknotengesetzgebung, ausf&uuml;hrlich begr&uuml;ndet er seine Ansicht in dem Aufsatz "Die Handelskrisen und die Hypothekennoth" aus dem Jahre 1858, wo er u.a. sagt: "Man t&auml;uscht sich daher auch, wenn man die Handelskrisen nur als Geld-, B&ouml;rsen- oder Kreditkrisen auffa&szlig;t. So erscheinen sie nur &auml;u&szlig;erlich bei ihrem ersten Auftreten.<A NAME="ZF13">"<A HREF="lu05_196.htm#F13">(13)</A></A> Bemerkenswert ist auch der scharfe Blick Rodbertus' f&uuml;r die Bedeutung des ausw&auml;rtigen Handels im Zusammenhang mit dem Problem der Krisen. Genau wie Sismondi konstatiert er die Notwendigkeit der Expansion f&uuml;r die kapitalistische Produktion, zugleich aber die Tatsache, da&szlig; damit nur die Dimensionen der periodischen Krisen wachsen m&uuml;ssen. "Der ausw&auml;rtige Handel", sagt er in "Zur Beleuchtung der Socialen Frage", 2. Teil, 1. Heft, "verh&auml;lt sich zu den Handelsstockungen nur wie die Wohlt&auml;tigkeit zum Pauperismus - sie steigern sich zuletzt nur an demselben."<A NAME="ZF14"><A HREF="lu05_196.htm#F14">(14)</A></A> Und in dem zitierten Aufsatz "Handelskrisen und Hypothekennoth": "Was man zur Verh&uuml;tung k&uuml;nftiger Ausbr&uuml;che 'der Krisen' anwenden kann, ist nur das zweischneidige Mittel einer Erweiterung des ausw&auml;rtigen Marktes. Das heftige Streben nach solcher Erweiterung ist gro&szlig;enteils nichts als ein aus dem leidenden Organ entspringender krankhafter Reiz. Weil auf dem inneren <A NAME="S205"><B>&lt;205&gt;</A></B> Markt der eine Faktor, die Produktivit&auml;t, ewig steigt und der andere, die Kaufkraft, f&uuml;r den gr&ouml;&szlig;ten Teil der Nation sich ewig gleichbleibt, mu&szlig; der Handel eine gleiche Unbegrenztheit des letzteren auf ausw&auml;rtigen M&auml;rkten zu supplieren suchen. Was diesen Reiz stillt, verz&ouml;gert wenigstens den neuen Ausbruch des &Uuml;bels. Jeder neue ausw&auml;rtige Markt gleicht daher einer Vertagung der sozialen Frage. In derselben Weise wirken Kolonisationen in unangebauten L&auml;ndern. Europa erzieht sich einen Markt, wo sonst keiner war. Aber dieses Mittel kajoliert doch im Grunde nur das &Uuml;bel. Wenn die neuen M&auml;rkte ausgef&uuml;llt sind - so ist die Frage nur wieder zu ihrem alten Ausgangspunkt zur&uuml;ckgekehrt, dem begrenzten Faktor der Kaufkraft gegen&uuml;ber dem unbegrenzten Faktor der Produktivit&auml;t, und der neue Ausbruch ward nur von dem kleineren Markte ferngehalten, um ihn auf dem gr&ouml;&szlig;eren in noch weiteren Dimensionen und noch heftigeren Zuf&auml;llen wieder auftreten zu lassen. Und da doch die Erde begrenzt ist und deshalb die Gewinnung neuer M&auml;rkte einmal aufh&ouml;ren mu&szlig;, mu&szlig; auch die blo&szlig;e Vertagung der Frage einmal aufh&ouml;ren. Sie mu&szlig; dereinst definitiv gel&ouml;st werden."<A NAME="ZF15"><A HREF="lu05_196.htm#ZF15">(15)</A></A> <A NAME="S206"><B>&lt;206&gt;</A></B> Er hat auch die Anarchie der kapitalistischen Privatproduktion als krisenbildenden Faktor ins Auge gefa&szlig;t, allein nur unter anderen Faktoren, nicht als die eigentliche Ursache der Krisen &uuml;berhaupt, sondern als Quelle einer bestimmten Abart Krisen. So sagt er &uuml;ber den Ausbruch der "Krise" im v. Kirchmannschen "Ort": "Ich will nun nicht behaupten, da&szlig; diese Art der Absatzstockung nicht auch in der Wirklichkeit vork&auml;me. Der Markt ist heute gro&szlig;, der Bed&uuml;rfnisse und Produktionszweige sind viele, die Produktivit&auml;t ist bedeutend, die Anzeichen des Begehrs sind dunkel und tr&uuml;gerisch, die Unternehmer ohne gegenseitige Kenntnis des Umfangs ihrer Produktion - es kann also auch leicht geschehen, da&szlig; diese sich in dem Ma&szlig;e eines bestimmten Warenbedarfs t&auml;uschen und den Markt damit &uuml;berf&uuml;llen." Rodbertus spricht es auch rundweg heraus, da&szlig; diesen Krisen nur eine planm&auml;&szlig;ige Organisation der Wirtschaft, eine "vollst&auml;ndige Umkehrung" der heutigen Eigentumsverh&auml;ltnisse. die Vereinigung aller Produktionsmittel "in der Hand einer einzigen gesellschaftlichen Beh&ouml;rde" <A NAME="S207"><B>&lt;207&gt;</A></B> abhelfen k&ouml;nnte. Er beeilt sich freilich auch hier gleich zur Beruhigung der Gem&uuml;ter hinzuzuf&uuml;gen, da&szlig; er es dahingestellt sein lasse, ob ein solcher Zustand m&ouml;glich sei, "aber jedenfalls w&auml;re in ihm die einzige M&ouml;glichkeit gegeben, <I>diese</I> Art von Absatzstockungen zu verhindern". Er unterstreicht also hier, da&szlig; er die Anarchie der heutigen Produktionsweise nur f&uuml;r eine bestimmte partielle Erscheinungsform der Krisen verantwortlich macht.</P>
<P>Rodbertus verwirft mit Hohn den Say-Ricardoschen Satz von dem nat&uuml;rlichen Gleichgewicht zwischen Konsumtion und Produktion und legt ganz wie Sismondi den Nachdruck auf die Kaufkraft der Gesellschaft, die er wieder wie Sismondi von der Einkommensverteilung abh&auml;ngig macht. Trotzdem akzeptiert er die Sismondische Krisentheorie, namentlich in ihren Schlu&szlig;folgerungen, durchaus nicht und stellt sich zu ihr in scharfen Gegensatz. Wenn Sismondi n&auml;mlich in der schrankenlosen Ausdehnung der Produktion ohne R&uuml;cksicht auf die Einkommensschranken die Quelle des &Uuml;bels sah, und dementsprechend die Eind&auml;mmung der Produktion predigte, tritt Rodbertus umgekehrt f&uuml;r die kr&auml;ftigste und schrankenlose Ausdehnung der Produktion, des Reichtums, der Produktivkr&auml;fte ein. Die Gesellschaft, meint er, bed&uuml;rfe einer ungehinderten Zunahme ihres Reichtums. Wer den Reichtum der Gesellschaft verwerfe, verwerfe mit ihrer Macht ihren Fortschritt, mit diesem ihre Tugend, wer seiner Zunahme Hindernisse in den Weg werfe, werfe sie ihrem Fortschritte &uuml;berhaupt in den Weg. Jede Zunahme des Wissens, Wollens und K&ouml;nnens in der Gesellschaft sei an eine Zunahme des Reichtums gebunden.<A NAME="ZF16"><A HREF="lu05_196.htm#F16">(16)</A></A> Von diesem Standpunkt aus war Rodbertus ein warmer Bef&uuml;rworter des Systems der Notenbanken, die er als unumg&auml;nglich Grundlage zur raschen und unbeschr&auml;nkten Expansion der Gr&uuml;ndert&auml;tigkeit betrachtete. Sowohl sein Aufsatz &uuml;ber die Hypothekennot aus dem Jahre 1858 wie schon die 1845 erschienene Abhandlung &uuml;ber die preu&szlig;ische Geldkrisis sind dieser Beweisf&uuml;hrung gewidmet. Er wendet sich aber auch direkt polemisierend gegen die Mahnungen im Geiste Sismondis, wobei er auch hier die Sache zun&auml;chst in seiner ethisch-utopischen Weise anfa&szlig;t. "Die Unternehmer", deklamiert er, "sind im wesentlichen nichts als volkswirtschaftliche Beamte, welche, wenn sie die nationalen Produktionsmittel, die ihnen die Institution des Eigentums unaufl&ouml;slich anvertraut hat, mit der Anspannung aller Kr&auml;fte arbeiten lassen, nur ihre Schuldigkeit tun. Denn das <A NAME="S208"><B>&lt;208&gt;</A></B> Kapital ist, wiederhole ich, nur zur Produktion da." Weiter aber sachlich: "Oder sollen sie (die Unternehmer) gar die akuten Leidenszuf&auml;lle chronisch machen, indem sie von Anbeginn an und fortw&auml;hrend mir geringeren Kr&auml;ften, als sie in ihren Mitteln wirklich besitzen, arbeiten und auf diese Weise einen niedrigeren Grad der Heftigkeit mit einer unausgesetzten Dauer des &Uuml;bels erkaufen? Selbst wenn man so t&ouml;richt w&auml;re, ihnen solchen Rat zu geben, sie w&uuml;rden ihn nicht zu befolgen verm&ouml;gen. Woran sollten jene Weltproduzenten diese schon krankhafte Grenze des Marktes erkennen? Sie alle produzieren, ohne voneinander zu wissen, an den verschiedensten Ecken und Enden der Erde f&uuml;r einen Hunderte von Meilen entfernten Markt mit so riesigen Kr&auml;ften, da&szlig; die Produktion eines Monats jene Grenze zu &uuml;berschreiten gen&uuml;gt - wie ist es denkbar, da&szlig; eine so zerst&uuml;ckte und doch so m&auml;chtige Produktion die &Uuml;bersicht jenes Gen&uuml;ges rechtzeitig zu gewinnen verm&ouml;chte? Wo sind nur die Anstalten, z.B. auf dem laufenden gehaltene statistische B&uuml;ros, um ihnen dabei behilflich zu sein? Aber was schlimmer ist, der einzige F&uuml;hler des Marktes ist der Preis, sein Steigen und Fallen. Aber er ist nicht wie ein Barometer, das die Temperatur des Marktes vorhersagt, sondern wie ein Thermometer, das sie nur mi&szlig;t. F&auml;llt der Preis, so <I>ist</I> schon die Grenze &uuml;berschritten und das &Uuml;bel bereits da."<A NAME="ZF17"><A HREF="lu05_196.htm#F17">(17)</A></A> Diese zweifellos gegen Sismondi gerichtete Polemik zeigt, da&szlig; zwischen beiden in der Auffassung der Krisen sehr wesentliche Unterschiede lagen; wenn deshalb Engels im "Anti-D&uuml;hring" sagt, die Erkl&auml;rung der Krisen aus Unterkonsumtion r&uuml;hre von Sismondi her und von diesem habe sie Rodbertus entlehnt, so ist das, streng genommen, nicht genau. Gemeinsam ist Rodbertus wie Sismondi nur die Opposition gegen die klassische Schule sowie die Erkl&auml;rung der Krisen im allgemeinen aus der Verteilung des Einkommens. Aber auch hier folgt Rodbertus seiner eigenen Privatschrulle. Nicht die Niedrigkeit des Einkommens der Arbeitermasse bewirke die &Uuml;berproduktionen und auch nicht die beschr&auml;nkte Konsumtionsf&auml;higkeit der Kapitalisten, wie bei Sismondi, sondern lediglich die Tatsache, da&szlig; das Einkommen der Arbeiter mit dem Fortschritt der Produktivit&auml;t einen immer geringeren Teil des Produktenwertes darstellt. Rodbertus weist seinem Widerpart ausdr&uuml;cklich nach, da&szlig; nicht aus der Geringf&uuml;gigkeit der Anteile der arbeitenden Klassen Absatzstockungen entspringen: "Stellen Sie sich", belehrt er v. Kirchmann, "diese Anteile so klein vor, da&szlig; die Berechtigten nur das nackte Leben dabei haben, <A NAME="S209"><B>&lt;209&gt;</A></B> halten Sie die Anteile aber nur in der Quote, die sie am Nationalprodukt einnehmen, fest, und lassen Sie dann die Produktivit&auml;t zunehmen, so haben Sie auch das feste Wertgef&auml;&szlig;, das einen immer gr&ouml;&szlig;eren Inhalt aufzunehmen imstande ist, so haben Sie den immer zunehmenden Wohlstand auch der arbeitenden Klassen ... Umgekehrt stellen Sie sich die Anteile der arbeitenden Klassen so gro&szlig; vor, wie Sie wollen, lassen Sie sie aber unter der Zunahme der Produktivit&auml;t zu einer immer kleineren Quote des Nationalprodukts herabsinken, so werden diese Anteile zwar bis dahin, da&szlig; sie auf ihre heutige Geringf&uuml;gigkeit zur&uuml;ckgebracht sind, immer noch vor &uuml;bergro&szlig;er Entbehrung sch&uuml;tzen, denn ihr Produktinhalt wird noch immer bedeutend gr&ouml;&szlig;er als heute sein, aber sie werden dennoch sofort, als sie zu sinken beginnen, jene zu unsern Handelskrisen sich steigernde Unbefriedigung nach sich ziehen, die ohne Verschulden der Kapitalisten ja nur deshalb eintritt, <I>weil</I> die Kapitalisten den Umfang ihrer Produktion nach der gegebenen Gr&ouml;&szlig;e der Anteile einrichteten."<A NAME="ZF18"><A HREF="lu05_196.htm#F18">(18)</A></A></P>
<P>Also die "fallende Lohnquote" ist die eigentliche Ursache der Krisen und das einzig wirksame Mittel gegen sie - die gesetzliche Bestimmung, wonach der Anteil der Arbeiter am Nationalprodukt eine feste und unab&auml;nderliche Quote darstellt. Man mu&szlig; sich in diesen bizarren Einfall gut hineindenken, um seinen &ouml;konomischen Inhalt nach Geb&uuml;hr zu w&uuml;rdigen.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Carl Rodbertus-Jagetzow: Schriften, Berlin 1899, Bd. III, S. 172-174 u. 184. <A HREF="lu05_196.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> l.c., Bd. II, S. 104/105. <A HREF="lu05_196.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> l.c., Bd. I, S. 99. <A HREF="lu05_196.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> l.c., Bd. I, S. 175. <A HREF="lu05_196.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> l.c., Bd. I, S. 176. <A HREF="lu05_196.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> l.c., Bd. II, S. 65. <A HREF="lu05_196.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> l.c., Bd. I, S. 182-184. <A HREF="lu05_196.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">(8)</A> l.c., Bd. II, S. 72. <A HREF="lu05_196.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">(9)</A> Vgl. l.c., Bd. IV, S. 225 <A HREF="lu05_196.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">(10)</A> l.c., Bd. III, S. 110 u. 111. <A HREF="lu05_196.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F11">(11)</A> l.c., Bd. III, S. 108. <A HREF="lu05_196.htm#ZF11">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F12">(12)</A> l.c., Bd. I, S. 62. <A HREF="lu05_196.htm#ZF12">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F13">(13)</A> l.c., Bd. IV, S. 226. <A HREF="lu05_196.htm#ZF13">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F14">(14)</A> l.c., Bd. III, S. 186. <A HREF="lu05_196.htm#ZF14">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F15">(15)</A> l.c., Bd. IV, S. 233. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu sehen wie Rodbertus unbeschadet seiner ethischen Polterei &uuml;ber das Los der ungl&uuml;cklichen arbeitenden Klassen in der Praxis als ein &auml;u&szlig;erst n&uuml;chterner und realistisch denkender Prophet der kapitalistischen Kolonialpolitik im Sinne und Geiste der heutigen "Alldeutschen" auftrat. "Von hier" schreibt er in der Fu&szlig;note zum angef&uuml;hrten Passus, "mag man einen raschen Blick auf die Wichtigkeit der Erschlie&szlig;ung Asiens, namentlich Chinas und Japans, dieser reichsten M&auml;rkte der Welt, sowie der Erhaltung Indiens unter englischer Herrschaft werfen. <I>Die soziale Frage gewinnt dadurch Zeit</I> (der donnernde R&auml;cher der Ausgebeuteten verr&auml;t hier naiv den Nutznie&szlig;ern der Ausbeutung das Mittel, wie sie ihren "t&ouml;richten und verbrecherischen Irrtum", ihre "unmoralische" Auffassung, ihre "schreiende Ungerechtigkeit" m&ouml;glichst lange koservieren k&ouml;nnen! - <I>R. L.</I>) denn, (diese philosophische Resignation ist unvergleichlich - <I>R. L.</I>) der Gegenwart gebricht es zu ihrer L&ouml;sung an Uneigenn&uuml;tzigkeit und sittlichem Ernst, ebensosehr als an Einsicht. Ein volkswirtschaftlicher Vorteil ist nun allerdings kein gen&uuml;gender Rechtstitel zu gewaltsamem Einschreiten. Allein andererseits ist auch die strikte Anwendung des modernen Natur- und V&ouml;lkerrechts auf alle Nationen der Erde, sie m&ouml;gen einer Kulturstufe angeh&ouml;ren, welcher sie wollen, unhaltbar. (Wer denkt da nicht an dir Worte Dorinens im Moli&egrave;reschen "Tartuffe": "Le ciel d&eacute;fend, de vraie, certains contentements, mais il y avec lui des accomodements." - <I>R. L.</I>) Unser V&ouml;lkerrecht ist ein Produkt der <I>christlich</I>-ethischen Kultur und kann, weil alles Recht auf Gegenseitigkeit beruht, deshalb auch nur ein Ma&szlig; f&uuml;r die Beziehungen zu Nationen sein, die dieser selben Kultur angeh&ouml;ren. Seine Anwendung &uuml;ber diese Grenze hinaus ist natur- und v&ouml;lkerrechtliche Sentimentalit&auml;t, von der die indischen Greuel uns geheilt haben werden. Vielmehr sollte das christliche Europa etwas von dem Gef&uuml;hl in sich aufnehmen, das die Griechen und R&ouml;mer bewog, alle anderen V&ouml;lker der Erde als Barbaren zu betrachten. Dann w&uuml;rde auch in den neueren europ&auml;ischen Nationen wieder jener weltgeschichtliche Trieb wach werden, der die Alten dr&auml;ngte, ihre heimische Kultur &uuml;ber den Orbis terrarum zu verbreiten. Sie w&uuml;rden in <I>gemeinsamer Aktion</I> Asien der Geschichte zur&uuml;ckerobern. Und an diese <I>Gemeinsamkeit</I> w&uuml;rden sich die gr&ouml;&szlig;ten sozialen Fortschritte kn&uuml;pfen, die feste Begr&uuml;ndung des europ&auml;ischen Friedens, die Reduktion der Armeen, eine Kolonisation Asiens im altr&ouml;mischen Stil, mit andern Worten, eine wahrhafte Solidarit&auml;t der Interessen auf allen gesellschaftlichen Lebensgebieten." Der Prophet der Ausgebeuteten und Unterdr&uuml;ckten wird hier bei den Visionen der kapitalistischen Kolonialexpansion beinah zum Dichter. Und dieser poetische Schwung will um so mehr gew&uuml;rdigt werden, als die "christlich-ethische Kultur" sich just damals mit solchen Ruhmestaten bedeckte wie den Opiumkriegen gegen China und den "indischen Greul" - n&auml;mlich den Greul der Engl&auml;nder bei der blutigen Unterdr&uuml;ckung des Sepoyaufstandes. In seinem "Zweiten socialen Brief", im Jahre 1850, meinte Rodbertus zwar, wenn der Gesellschaft "die sittliche Kraft" zur L&ouml;sung der sozialen Frage, d.h. zur &Auml;nderung der Verteilung des Reichtums fehlen sollte, w&uuml;rde die Geschichte "wieder die Peitsche der Revolution &uuml;ber sie schwingen m&uuml;ssen". (l.c., Bd. II, S. 83.) Acht Jahre sp&auml;ter zieht er als braver Preu&szlig;e vor, die Peitsche der christlich-ethischen Kolonialpolitik &uuml;ber die Eingeborenen der Koloniall&auml;nder zu schwingen. Es ist auch nur folgerichtig, da&szlig; der "eigentliche Begr&uuml;nder des wissenschaftlichen Sozialismus in Deutschland" auch ein warmer Anh&auml;nger des Militarismus und seine Phrase von der "Reduktion der Armeen" nur als eine Licentia poetica im Redeschwall zu nehmen war. In seinem "Zur Beleuchtung der Socialen Frage", 2. Teil, 1. Heft, f&uuml;hrt er aus, da&szlig; "die ganze nationale Steuerlast immerfort nach unten gravitiert, bald in Steigerung der Preise der Lohng&uuml;ter, bald in dem Druck auf den Geldarbeitslohn", wobei die allgemeine Milit&auml;rpflicht, "unter den Gesichtspunkt einer Staatslast gebracht, bei den arbeitenden Klassen nicht einmal einer Steuer, sondern gleich einer mehrj&auml;hrigen Konfiskation des ganzen Einkommens gleichkommt." Dem f&uuml;gt er schleunig hinzu: "Um keinem Mi&szlig;verst&auml;ndnis ausgesetzt zu sein, bemerke ich, da&szlig; ich ein entschiedener Anh&auml;nger unserer heutigen Milit&auml;rverfassung (also der preu&szlig;ischen Milit&auml;rverfassung der Konterevolution - <I>R. L.</I>) bin, so dr&uuml;ckend sie auch f&uuml;r die arbeitenden Klassen sein mag und so hoch die finanziellen Opfer scheinbar sind, die den besitzenden Klassen daf&uuml;r abverlangt werden." (l.c., Bd. III, S. 34) Nein, Schnock ist entschieden kein L&ouml;we! <A HREF="lu05_196.htm#ZF15">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F16">(16)</A> Siehe l.c., Bd. III, S. 182. <A HREF="lu05_196.htm#ZF16">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F17">(17)</A> l.c., Bd. IV, S. 231. <A HREF="lu05_196.htm#ZF17">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F18">(18)</A> l.c., Bd. I, S. 59. <A HREF="lu05_196.htm#ZF18">&lt;=</A></P></BODY>
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