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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 28. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_316.htm"><FONT SIZE=2>27. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_342.htm"><FONT SIZE=2>29. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 334-342.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Achtundzwanzigstes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Die Einf&uuml;hrung der Warenwirtschaft</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S334">&lt;334&gt;</A></B> Die zweite wichtigste Vorbedingung, sowohl zur Erwerbung von Produktionsmitteln wie zur Realisierung des Mehrwerts, ist die Hineinbeziehung der naturalwirtschaftlichen Verb&auml;nde, nachdem und indem sie zerst&ouml;rt werden, in den Warenverkehr und in die Warenwirtschaft. Alle nichtkapitalistischen Schichten und Gesellschaften m&uuml;ssen f&uuml;r das Kapital zu Warenabnehmern werden und m&uuml;ssen ihm ihre Produkte verkaufen. Es scheint, da&szlig; hier wenigstens der "Friede" und die "Gleichheit" beginnen, das do ut des, die Gegenseitigkeit der Interessen, der "friedliche Wettbewerb" und die "Kultureinfl&uuml;sse". Kann das Kapital mit Gewalt fremden sozialen Verb&auml;nden Produktionsmittel entrei&szlig;en und die Arbeitenden mit Gewalt zwingen, Objekte der kapitalistischen Ausbeutung zu werden, so kann es sie doch nicht mit Gewalt zu Abnehmern seiner Waren machen, es kann sie nicht zwingen, seinen Mehrwert zu realisieren. Was diese Annahme zu. best&auml;tigen scheint, ist der Umstand, da&szlig; Transportmittel - Eisenbahnen, Schiffahrt, Kan&auml;le - die unumg&auml;ngliche Vorbedingung der Verbreitung der Warenwirtschaft in naturalwirtschaftlichen Gebieten darstellen. Der Eroberungszug der Warenwirtschaft beginnt meist mit gro&szlig;artigen Kulturwerken modernen Verkehrs, wie Eisenbahnlinien, die Urw&auml;lder durchschneiden und Gebirge durchstechen, Telegraphendr&auml;hte, die W&uuml;sten &uuml;berspannen, Ozeandampfer, die in weltfremde H&auml;fen einlaufen. Doch ist die Friedlichkeit dieser Umw&auml;lzungen blo&szlig;er Schein. Die Handelsbeziehungen der ostindischen Kompanien mit den Gew&uuml;rzl&auml;ndern waren so gut Raub, Erpressung und grober Schwindel unter der Flagge des Handels wie heute die Beziehungen der amerikanischen Kapitalisten zu den Indianern in Kanada, denen sie Pelze abkaufen, oder der deutschen H&auml;ndler zu den Afrikanegern. Das klassische Beispiel des "sanften" und "friedliebenden" Warenhandels mit r&uuml;ckst&auml;ndigen Gesellschaften ist die moderne Geschichte Chinas, durch die sich wie ein roter Faden seit Beginn der vierziger Jahre, das ganze 19. Jahrhundert hin- <A NAME="S335"><B>&lt;335&gt;</A></B> durch die Kriege der Europ&auml;er ziehen, deren Zweck war, China gewaltsam dem Warenverkehr zu erschlie&szlig;en. Durch Missionare provozierte Christenverfolgungen, von Europ&auml;ern angezettelte Tumulte, periodische blutige Kriegsgemetzel, in denen sich die v&ouml;llige Hilflosigkeit eines friedlichen Ackerbauervolkes mit der modernsten kapitalistischen Kriegstechnik der vereinigten europ&auml;ischen Gro&szlig;m&auml;chte messen sollte, schwere Kriegskontributionen mit dem ganzen System von &ouml;ffentlicher Schuld, europ&auml;ischen Anleihen, europ&auml;ischer Kontrolle der Finanzen und europ&auml;ischer Besetzung der Festungen im Gefolge, erzwungene Er&ouml;ffnung von Freih&auml;fen und erpre&szlig;te Konzessionen zu Eisenbahnbauten an europ&auml;ische Kapitalisten - das waren die Geburtshelfer des Warenhandels in China von Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zum Ausbruch der chinesischen Revolution.</P>
<P>Die Periode der Erschlie&szlig;ung Chinas f&uuml;r die europ&auml;ische Kultur, d.h. f&uuml;r den Warenaustausch mit dem europ&auml;ischen Kapital, wird durch den Opiumkrieg inauguriert, in dem China gezwungen wird, das Gift aus den indischen Plantagen abzunehmen, um es f&uuml;r die englischen Kapitalisten zu Geld zu machen. Im 17. Jahrhundert war die Kultur des Opiums durch die englische Ostindische Kompanie in Bengalen eingef&uuml;hrt und durch ihre Zweigniederlassung in Kanton der Gebrauch des Gifts in China verbreitet. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel das Opium so stark im Preise, da&szlig; es rapid zum "Volksgenu&szlig;mittel" wurde. Noch im Jahre 1821 betrug die Einfuhr des Opium nach China 4.628 Kisten zum Preise von durchschnittlich 1.325 Dollar, dann fiel der Preis auf die H&auml;lfte, und 1825 stieg die chinesische Einfuhr auf 9.62l Kisten, 1830 auf 26.670 Kisten.<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_334.htm#F1">(1)</A></A> Die verheerenden Wirkungen des Gifts, namentlich der billigsten von der armen Bev&ouml;lkerung gebrauchten Sorten, gestalteten sich zur &ouml;ffentlichen Kalamit&auml;t und riefen als Notwehr seitens Chinas ein Verbot der Einfuhr hervor. Bereits 1828 hatte der Vizek&ouml;nig von Kanton den Import von Opium verboten, was aber den Handel nur in andere Hafenst&auml;dte lenkte. <A NAME="S336"><B>&lt;336&gt;</A></B> Einer der Pekinger Zensoren wurde mit der Untersuchung der Frage beauftragt und gab folgendes Gutachten ab:</P>
<P>"Ich habe in Erfahrung gebracht, da&szlig; die Opiumraucher nach diesem sch&auml;dlichen Medikament ein so heftiges Verlangen haben, da&szlig; sie alles aufbieten, um sich dessen Genu&szlig; zu verschaffen. Wenn sie das Opium nicht zur gewohnten Stunde erhalten, fangen ihre Glieder an zu zittern, dicke Schwei&szlig;tropfen flie&szlig;en ihnen von der Stirn und &uuml;ber das Gesicht, und sie sind unf&auml;hig, die geringste Besch&auml;ftigung vorzunehmen. Bringt man ihnen aber eine Pfeife mit Opium, atmen sie einige Z&uuml;ge davon ein und sind sogleich geheilt.</P>
<P>Das Opium ist daher f&uuml;r alle, die es rauchen, ein notwendiges Bed&uuml;rfnis geworden, und man darf sich gar nicht wundern, da&szlig; sie, wenn sie von der Ortsbeh&ouml;rde zur Verantwortung gezogen werden, weit lieber jede Z&uuml;chtigung ertragen als den Namen desjenigen offenbaren, der ihnen das Opium liefert. Zuweilen erhalten die Ortsbeh&ouml;rden auch Geschenke, um dieses &Uuml;bel zu dulden oder um eine eingeleitete Untersuchung aufzuhalten. Die meisten Kaufleute, die Handelsartikel nach Kanton bringen, verkaufen auch Opium als Schmuggelware.</P>
<P>Ich bin der Ansicht, da&szlig; Opium ein weit gr&ouml;&szlig;eres &Uuml;bel ist als das Spiel und da&szlig; man daher den Opiumrauchern keine geringere Strafe auferlegen sollte als den Spielern."</P>
<P>Der Zensor schlug vor, da&szlig; jeder &uuml;berf&uuml;hrte Opiumraucher zu 80 Bambushieben, einer, der den Verk&auml;ufer nicht angeben wolle, zu 100 Hieben und dreij&auml;hriger Verbannung verurteilt werden sollte. Und mit einer f&uuml;r europ&auml;ische Beh&ouml;rden unerh&ouml;rten Offenherzigkeit schlo&szlig; der bezopfte Cato von Peking sein Gutachten: "Es scheint, da&szlig; das Opium zumeist durch unw&uuml;rdige Beamte von au&szlig;erhalb eingef&uuml;hrt wird, die im Einverst&auml;ndnis mit gewinns&uuml;chtigen Kaufleuten es ins Innere des Landes bef&ouml;rdern, wo zuerst junge Leute aus guter Familie, reiche Private und Kaufleute sich dem Genu&szlig; zuwenden, der sich endlich auch bei dem gemeinen Manne verbreitet. Ich habe in Erfahrung gebracht. da&szlig; sich in allen Provinzen nicht allein unter den Zivilbeamten, sondern auch in der Armee Opiumraucher befinden. W&auml;hrend die Beamten der verschiedenen Bezirke durch Edikte das gesetzliche Verbot des Verkaufs des Opium von neuem einsch&auml;rfen, rauchen ihre Eltern, Verwandten, Untergebenen und Diener nach wie vor, und die Kaufleute benutzen das Verbot, den Preis zu steigern. Selbst die Polizei, die ebenfalls daf&uuml;r eingenommen ist, kauft diesen Artikel, statt zu seiner Unterdr&uuml;ckung beizutragen. und dies ist auch der Grund, weshalb alle Verbote und Verf&uuml;gungen unber&uuml;cksichtigt blei- <A NAME="S337"><B>&lt;337&gt;</A></B> ben."<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_334.htm#F2">(2)</A></A> Daraufhin wurde 1833 ein versch&auml;rftes Gesetz erlassen, das f&uuml;r jeden Opiumraucher hundert Hiebe und zweimonatige Ausstellung am Pranger festsetzte. Die Gouverneure der Provinzen wurden verpflichtet, in ihren Jahresberichten die Erfolge des Kampfes mit dem Opium zu ber&uuml;cksichtigen. Der doppelte Erfolg dieses Kampfes lief freilich darauf hinaus, da&szlig; einerseits im Innern Chinas. namentlich in den Provinzen Honan, Setschuan und Kweitschou, Mohnkulturen im gro&szlig;en Ma&szlig;stab angelegt wurden und da&szlig; andererseits England China den Krieg erkl&auml;rte, um es zur Freigabe der Einfuhr zu zwingen. Nun begann die glorreiche "Erschlie&szlig;ung" Chinas f&uuml;r die europ&auml;ische Kultur in Gestalt der Opiumpfeife.</P>
<P>Der erste Angriff erfolgte auf Kanton. Die Befestigung der Stadt am Haupteingang des Perlflusses war denkbar primitiv. Ihr Hauptst&uuml;ck bestand in einer Sperre von eisernen Ketten, die t&auml;glich bei Sonnenuntergang in verschiedenen Abst&auml;nden an verankerten Holzfl&ouml;&szlig;en befestigt wurden. Man mu&szlig; noch ber&uuml;cksichtigen, da&szlig; die chinesischen Gesch&uuml;tze ohne jedwede Vorrichtung zum H&ouml;her- und Niedrigerstellen, also beim Gebrauch ganz harmlos waren. Mit dieser primitiven Befestigung, die gerade imstande war, ein paar Handelsschiffe an der Einfahrt zu verhindern, begegneten die Chinesen dem englischen Angriff. Zwei englische Kriegsschiffe gen&uuml;gten denn auch, um am 7. September 1839 die Durchfahrt zu erzwingen. Die sechzehn Kriegsdschunken und dreizehn Brander, mit denen die Chinesen sich widersetzten, wurden in dreiviertel Stunden zusammengeschossen und zerstreut. Nach diesem ersten Siege verst&auml;rkten die Engl&auml;nder ihre Kriegsflotte bedeutend und gingen zu Beginn 1841 zum erneuten Angriff &uuml;ber. Diesmal erfolgte der Angriff gleichzeitig gegen die Flotte und gegen die Forts. Die chinesische Flotte bestand in einer Anzahl Kriegsdschunken. Schon die erste Brandrakete drang durch die Planken in die Pulverkammer einer Dschunke, so da&szlig; diese mit der ganzen Mannschaft in die Luft flog. Nach kurzer Zeit waren elf Dschunken einschlie&szlig;lich des Admiralschiffes zerst&ouml;rt, der Rest suchte in wilder Flucht sein Heil. Die Aktion zu Lande nahm einige Stunden mehr in Anspruch. Bei der g&auml;nzlichen Untauglichkeit der chinesischen Gesch&uuml;tze schritten die Engl&auml;nder mitten durch die Befestigungen, erklommen einen wichtigen Punkt. der ganz unbesetzt geblieben war, und metzelten die wehrlosen Chinesen von oben nieder. Die Schlu&szlig;rechnung der Schlacht war: auf chinesischer Seite 600 Tote, auf englischer - 1 Toter und 30 Verwundete, wovon mehr als die H&auml;lfte durch das zuf&auml;llige Auffliegen eines Pulver- <A NAME="S338"><B>&lt;338&gt;</A></B> magazins Schaden erlitt. Einige Wochen sp&auml;ter lieferten die Engl&auml;nder ein neues Heldenst&uuml;ck. Es galt, die Forts von Anunghoi und Nord-Wantong zu nehmen. Hierzu standen auf englischer Seite nicht weniger als 12 Linienschiffe in voller Ausr&uuml;stung zur Verf&uuml;gung. Au&szlig;erdem hatten die Chinesen wieder die Hauptsache vergessen, n&auml;mlich die Insel S&uuml;d-Wantong zu befestigen. Die Engl&auml;nder landeten also dort in aller Seelenruhe eine Haubitzenbatterie und beschossen das Fort von einer Seite, w&auml;hrend die Kriegsschiffe es von der anderen unter Feuer nahmen. Wenige Minuten gen&uuml;gten, um die Chinesen aus den Forts zu verjagen und die Landung ohne Widerstand zu bewerkstelligen. Die unmenschliche Szene, welche nun folgte - so sagt ein englischer Bericht -, wird stets ein Gegenstand tiefen Bedauerns f&uuml;r die englischen Offiziere bleiben. Die Chinesen waren n&auml;mlich, als sie aus den Verschanzungen fliehen wollten, in die Gr&auml;ben gefallen, so da&szlig; diese mit hilflosen, um Gnade flehenden Soldaten buchst&auml;blich angef&uuml;llt waren. Auf diese liegende Masse menschlicher Leiber wurde nun von den Sepoys - angeblich entgegen dem Befehl der Offiziere - unabl&auml;ssig gefeuert. So wurde Kanton dem Warenhandel erschlossen.</P>
<P>Ebenso erging es den anderen H&auml;fen. Am 4. Juli 1841 erschienen drei englische Kriegsschiffe mit 120 Kanonen bei den Inseln am Eingang zur Stadt Ningpo. Andere Kriegsschiffe trafen am folgenden Tage ein. Am Abend sandte der englische Admiral eine Botschaft an den chinesischen Gouverneur mit der Forderung, die Inseln zu &uuml;bergeben. Der Gouverneur erkl&auml;rte, da&szlig; es ihm zum Widerstande an Macht fehle, da&szlig; er jedoch ohne Befehle aus Peking die &Uuml;bergabe nicht vornehmen d&uuml;rfe und daher um Aufschub b&auml;te. Dieser wurde ihm nicht gew&auml;hrt, und um 2<FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT size="-2">2</FONT> Uhr morgens begannen die Engl&auml;nder den Sturm auf die wehrlose Insel. In neun Minuten waren Fort und H&auml;user am Strand ein rauchender Schutthaufen. Die Truppen landeten an der verlassenen K&uuml;ste, die mit zerbrochenen Spie&szlig;en, S&auml;beln, Schilden, Flinten und einigen Toten bedeckt war, und zogen vor die W&auml;lle der Inselstadt Ting-hai, um sie einzunehmen. Durch die Mannschaften der inzwischen eingetroffenen weiteren Schiffe verst&auml;rkt, legten sie am n&auml;chsten Morgen Sturmleitern gegen die kaum verteidigten Mauern und waren nach wenigen Minuten Herren der Stadt. Dieser glorreiche Sieg wurde von den Engl&auml;ndern mit folgender bescheidener Meldung verk&uuml;ndet: "Den Morgen des 5. Juli 1841 hatte das Geschick als denkw&uuml;rdigen Tag bezeichnet, an dem zuerst die Fahne Ihrer Majest&auml;t von England &uuml;ber der sch&ouml;nsten Insel des himmlischen Reiches der Mitte weben sollte, das erste europ&auml;ische Banner, welches siegreich &uuml;ber diesen <A NAME="S339"><B>&lt;339&gt;</A></B> bl&uuml;henden Fluren stand."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_334.htm#F3">(3)</A></A> Am 25. August 1841 erschienen die Engl&auml;nder vor der Stadt Amoy, deren Forts mit mehreren hundert Kanonen gr&ouml;&szlig;ten chinesischen Kalibers armiert waren. Bei der fast g&auml;nzlichen Untauglichkeit dieser Gesch&uuml;tze sowie der Unbeholfenheit der Kommandierenden war die Einnahme des Hafens wieder ein Kinderspiel. Die englischen Schiffe n&auml;herten sich unter fortgesetztem Feuern den W&auml;llen von Kulangsu, dann landeten die Seesoldaten und vertrieben nach kurzem Widerstand die chinesischen Truppen. Die Engl&auml;nder erbeuteten dabei im Hafen 26 Kriegsdschunken mit 128 Gesch&uuml;tzen, die von der Mannschaft verlassen waren. Bei einer Batterie leisteten die Tataren dem vereinigten Feuer von f&uuml;nf englischen Schiffen heldenhaften Widerstand, die gelandeten Engl&auml;nder fielen ihnen aber in den R&uuml;cken und richteten unter ihnen ein vernichtendes Blutbad an.</P>
<P>So endete der glorreiche Opiumkrieg. Im Friedensschlu&szlig; vom 27. August 1842 bekamen die Engl&auml;nder die Insel Hongkong, ferner mu&szlig;ten Kanton, Amoy, Fu-Tschou, Ningpo und Schanghai dem Handel erschlossen werden. F&uuml;nfzehn Jahre sp&auml;ter erfolgte der zweite Krieg gegen China, wobei diesmal die Engl&auml;nder gemeinsam mit Franzosen vorgingen, 1857 wurde Kanton durch die verb&uuml;ndete Flotte ebenso heldenhaft wie im ersten Kriege erst&uuml;rmt. Im Frieden von Tientsin 1858 wurde der Opiumeinfuhr, dem europ&auml;ischen Handel und den Missionen Zutritt ins Innere des Landes gew&auml;hrt. Schon 1859 er&ouml;ffneten die Engl&auml;nder von neuem die Feindseligkeiten und beschlossen, die Befestigungen der Chinesen am Pei-ho zu zerst&ouml;ren, wurden aber nach einer m&ouml;rderischen Schlacht mit 464 Toten und Verwundeten zur&uuml;ckgeschlagen.<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_334.htm#F4">(4)</A></A> Jetzt operierten England und <A NAME="S340"><B>&lt;340&gt;</A></B> Frankreich wieder zusammen. Mit 12.600 Mann englischer und 7.500 franz&ouml;sischer Truppen unter General Cousin-Montauban nahmen sie Ende August 1860 zun&auml;chst die Takuforts ohne einen Schu&szlig;, dann drangen sie bis Tientsin und weiter nach Peking vor. Unterwegs kam es am 21. September 1860 zu der blutigen Schlacht bei Palikao, die Peking den europ&auml;ischen M&auml;chten preisgab. Die Sieger, die in die fast menschenleere und gar nicht verteidigte Stadt einzogen, pl&uuml;nderten zun&auml;chst den kaiserlichen Palast, woran sich General Cousin, der sp&auml;tere Marschall "Graf von Palikao", mit Eifer pers&ouml;nlich beteiligte, Lord Elgin aber lie&szlig; den Palast "zur S&uuml;hne" in Flammen aufgehen.<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_334.htm#F5">(5)</A></A></P>
<P>Jetzt wurde den europ&auml;ischen M&auml;chten zugestanden, Gesandte in Peking zu halten, Tientsin und andere St&auml;dte wurden dem Handel er&ouml;ffnet. W&auml;hrend in England die Antiopiumliga gegen die Verbreitung des Giftes in London, Manchester und anderen Industriebezirken arbeitete und eine vom Parlament ernannte Kommission den Genu&szlig; des Opiums f&uuml;r h&ouml;chst sch&auml;dlich erkl&auml;rte, wurde der Opiumeinfuhr nach China noch in der Tschi-fu-Konvention 1876 die Freiheit gesichert. Gleichzeitig sicherten alle Staatsvertr&auml;ge mit China den Europ&auml;ern - Kaufleuten wie Missionen - das Recht auf Landerwerb zu. Hierbei half neben dem Feuer der Gesch&uuml;tze auch bewu&szlig;ter Betrug kr&auml;ftig mit. Nicht nur bot die Zweideutigkeit der Vertragstexte eine bequeme Handhabe zur stufenweisen <A NAME="S341"><B>&lt;341&gt;</A></B> Ausdehnung der vom europ&auml;ischen Kapital in den Vertragsh&auml;fen besetzten Gebiete. Auf Grund der bekannten frechen F&auml;lschung im chinesischen Text der franz&ouml;sischen Zusatzkonvention vom Jahre 1860, den der katholische Missionar Abb&eacute; Delamarre als Dolmetscher ausgefertigt hatte, wurde der chinesischen Regierung in der Folge das Zugest&auml;ndnis abgepre&szlig;t, den Missionen nicht blo&szlig; in den Vertragsh&auml;fen, sondern in allen Provinzen des Reiches Landerwerb zu gestatten. Die franz&ouml;sische Diplomatie wie namentlich die protestantischen Missionen waren einig in der Verurteilung der raffinierten Schwindelei des katholischen Paters, was sie jedoch nicht hinderte, auf der Anwendung der so eingeschmuggelten Rechtserweiterung der franz&ouml;sischen Missionen energisch zu bestehen und sie 1887 ausdr&uuml;cklich auch auf die protestantischen Missionen ausdehnen zu lassen.<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_334.htm#F6">(6)</A></A></P>
<P>Die Erschlie&szlig;ung Chinas f&uuml;r den Warenhandel, die mit dem Opiumkriege begonnen war, wurde mit der Serie der "Pachtungen" und der Chinaexpedition des Jahres 1900 besiegelt, in der die Handelsinteressen des europ&auml;ischen Kapitals offen in internationalen Landraub umschlugen. Fein kehrt diesen Widerspruch zwischen der anf&auml;nglichen Theorie und der schlie&szlig;lichen Praxis der europ&auml;ischen "Kulturtr&auml;ger" in China die Depesche der Kaiserin-Witwe hervor, die nach der Einnahme der Takuforts an die K&ouml;nigin Victoria schrieb:</P>
<P>"Ew. Majest&auml;t einen Gru&szlig;! - In allen Verhandlungen Englands mit dem chinesischen Reiche, seit Beziehungen zwischen uns angekn&uuml;pft wurden, ist auf seiten Gro&szlig;britanniens niemals die Rede von Vergr&ouml;&szlig;erung des Landbesitzes gewesen, sondern nur von dem eifrigen Wunsch, die Interessen seines Handels zu f&ouml;rdern. Die Tatsache erw&auml;gend, da&szlig; unser Land nunmehr in einen entsetzlichen Kriegszustand gest&uuml;rzt ist, erinnern wir uns daran, da&szlig; ein gro&szlig;er Teil von Chinas Handel, 70 oder 80 Prozent, mit England abgeschlossen wird. Au&szlig;erdem sind Eure Seez&ouml;lle die niedrigsten in der Welt und wenig Beschr&auml;nkungen in Euren Seeh&auml;fen auf fremde Einfuhr gelegt. Aus diesen Gr&uuml;nden haben unsere freundlichen Beziehungen mit britischen Kaufleuten in unseren Vertragsh&auml;fen ununterbrochen w&auml;hrend des letzten halben Jahrhunderts zu unserem wechsel- <A NAME="S342"><B>&lt;342&gt;</A></B> seitigen Vorteil bestanden. Aber ein pl&ouml;tzlicher Wechsel ist nun eingetreten, und ein allgemeiner Verdacht hat sich gegen uns erhoben. Wir m&ouml;chten Euch daher bitten, zu &uuml;berlegen, wenn durch eine gewisse Kombination der Umst&auml;nde die Unabh&auml;ngigkeit unseres Reiches verlorengehen sollte und die M&auml;chte sich einigen, ihren l&auml;ngst gehegten Plan, sich unseres Gebietes zu bem&auml;chtigen, durchzuf&uuml;hren (in einer gleichzeitigen Depesche an den Kaiser von Japan spricht die temperamentvolle Tsi Hsi offen von den "landhungrigen M&auml;chten des Westens, deren gefr&auml;&szlig;ige Tigeraugen in unsere Richtung hin schielen" - <I>R. L.</I>), so w&uuml;rde das Ergebnis ungl&uuml;cklich und verh&auml;ngnisvoll auf Euren Handel wirken. Zur Zeit bem&uuml;ht sich unser Reich auf das &auml;u&szlig;erste, ein Heer und Mittel aufzubringen, die seinen Schutz verb&uuml;rgen. Inzwischen verlassen wir uns auf Eure guten Dienste als Zwischentr&auml;ger und erwarten dringend Eure Entschlie&szlig;ung.<A NAME="ZF7">"<A HREF="lu05_334.htm#F7">(7)</A></A></P>
<P>Zwischendurch laufen in jedem Kriege Pl&uuml;nderung und Diebstahl en gros der europ&auml;ischen Kulturtr&auml;ger in den chinesischen Kaiserpal&auml;sten, &ouml;ffentlichen Geb&auml;uden, an altert&uuml;mlichen Kulturdenkm&auml;lern, so gut im Jahre 1860, wo der Palast des Kaisers mit seinen m&auml;rchenhaften Sch&auml;tzen von Franzosen gepl&uuml;ndert wurde, wie 1900, wo "alle Nationen" &ouml;ffentliches und privates Gut um die Wette stahlen. Rauchende Tr&uuml;mmer gr&ouml;&szlig;ter und &auml;ltester St&auml;dte, Verfall der Ackerkultur auf gro&szlig;en Strecken platten Landes, unertr&auml;glicher Steuerdruck zur Erschwingung der Kriegskontributionen waren die Begleiter jedes europ&auml;ischen Vorsto&szlig;es, Hand in Hand mit den Fortschritten des Warenhandels. Von den mehr als 40 chinesischen Treaty ports ist jeder mit Blutstr&ouml;men, Gemetzel und Ruin erkauft worden.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> 1854 wurden 77.379 Kisten eingef&uuml;hrt. Sp&auml;ter geht die Einfuhr angesichts der Ausbreitung der heimischen Produktion ein wenig zur&uuml;ck. Trotzdem bleibt China der Hauptabnehmer der indischen Plantagen. 1873/1874 wurden in Indien 6,4 Millionen Kilogramm Opium produziert, davon 6,1 Millionen Kilogramm an die Chinesen abgesetzt. Jetzt noch werden von Indien j&auml;hrlich 4,8 Kilogramm im Werte von 150 Millionen Mark fast ausschlie&szlig;lich nach China und dem Malaiischen Archipel ausgef&uuml;hrt. <A HREF="lu05_334.htm#ZF1">&lt;=</A> </P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Angef&uuml;hrt bei Schreibert: Der Krieg in China, 1903, S. 170. <A HREF="lu05_334.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Schreibert:, l.c., S. 207. <A HREF="lu05_334.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Ein kaiserliches Edikt vom 3. Tage des 1. Mondes im 10. Jahre Hsien-Feng (6. September 1860) sagt u.a.: "Wir haben weder England noch Frankreich jemals untersagt, mit China Handel zu treiben, und lange Jahre hat zwischen jenen und uns Friede gewaltet. Aber vor drei Jahren sind die Engl&auml;nder in &uuml;bler Absicht in unsere Stadt Kanton eingedrungen und haben unsere Beamten in Gefangenschaft hinweggef&uuml;hrt. Wir sahen damals von Wiedervergeltung und Ma&szlig;regeln ab, weil wir anzuerkennen gezwungen waren, da&szlig; die Hartn&auml;ckigkeit des Vizek&ouml;nigs Yeh in gewissen Grade eine Veranlassung zu den Feindseligkeiten gegeben hatte. Vor zwei Jahren kam der Barbarenanf&uuml;hrer Elgin gen Norden, und wir befahlen dem Vizek&ouml;nig von Tschi-li, T'an Ting-Hsiang, die Sachlage zu pr&uuml;fen, ehe man zu Unterhandlungen schritte. Aber der Barbar benutzte unsere unvorbereitete Lage, griff die Takuforts an und ging auf Tientsin vor. Besorgt, unserem Volke die Kriegsschrecknisse zu ersparen, sahen wir abermals von Vergeltung ab und befahlen dem Kuel-Liang, &uuml;ber Frieden zu verhandeln. Trotz der schm&auml;hlichen Forderungen der Barbaren befahlen wir dem Kuel-Liang darauf, sich nach Schanghai wegen des vorgeschlagenen Handelsvertrages zu begeben, und haben sogar dessen Ratifikation als Zeichen unserer bona fides verstattet.</P>
<P>Dessen nicht geachtet, entwickelte der Barbarenf&uuml;hrer Bruce neuerdings eine Halsstrarrigkeit unvern&uuml;nftigster Art und erschien im 8. Monde mit einem Geschwader von Kriegsschiffen auf der Takureede. Daraufhin griff ihn Seng Ko Liu Ch'in heftig an und zwang ihn so schleunigem R&uuml;ckzug. Aus allem diesem geht hervor, da&szlig; China keinen Vertrauensbruch begangen hat und da&szlig; die Barbaren im Unrecht gewesen sind. Im laufenden Jahre sind nun die Barbarenchefs Elgin und Gros neuerlich an unseren K&uuml;sten erschienen, aber China, unlustig, zu &auml;u&szlig;ersten Ma&szlig;regeln zu greifen, gestattete ihnen die Landung und ihren Besuch in Peking zwecks Ratifikation des Vertages.</P>
<P>Wer h&auml;tte es glauben k&ouml;nnen, da&szlig; w&auml;hrend dieser ganzer Zeit die Barbaren nichts als R&auml;nke gesponnen haben, da&szlig; sie ein Heer von Soldaten und Artillerie mir sich f&uuml;hrten, mit denen sie die Takuforts von r&uuml;ckw&auml;rts angegriffen haben und nach Vertreibung der Besatzung auf Tientsin marschiert sind!" (China unter der Kaiserin-Wltwe, Berlin 1912, S. 25. Vgl. auch in dem genannten Werk das ganze Kapitel "Die Flucht nach Jehol".) <A HREF="lu05_334.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Die Operationen der europ&auml;ischen Helden behufs Erschlie&szlig;ung Chinas f&uuml;r den Warenhandel sind noch mit einem h&uuml;bschen Fragment aus der inneren Geschichte Chinas verkn&uuml;pft. Frischweg von der Pl&uuml;nderung des Sommerpalastes der Mandschu-Souver&auml;ne begab sich der "Chinesische Gordon" auf den Feldzug gegen die Taiping-Rebellen und &uuml;bernahm 1863 sogar den Befehl &uuml;ber die Kaiserliche Streitmacht. War doch die Niederwerfung des Aufstandes eigentlich das Werk der englischen Armee. W&auml;hrend aber eine erhebliche Anzahl von Europ&auml;ern, darunter ein franz&ouml;sischer Admiral, ihr Leben gelassen haben, um China der Mandschudynastie zu erhalten, benutzten die Vertreter des europ&auml;ischen Warenhandels die Gelegenheit, um bei diesen K&auml;mpfen ein Gesch&auml;ftchen zu machen, und versorgten mit Waffen sowohl die Verfechter der Erschlie&szlig;ung Chinas wie die Rebellen, gegen die jene zu Felde zogen. "Dir Gelegenheit. Geld zu machen, verf&uuml;hrte au&szlig;erdem auch den ehrenwerten Kaufmann dazu, beiden Parteien Waffen und Munition zu liefern, und da die Schwierigkeiten, sich in diesem Artikel zu verproviantieren, f&uuml;r die Rebellen gr&ouml;&szlig;er waren als f&uuml;r die Kaiserlichen und sie daher h&ouml;here Preise zahlen mu&szlig;ten und zu zahlen bereit waren, wurden mit Vorliebe mit ihnen die Gesch&auml;lte abgeschlossen. die ihnen erlaubten, nicht allein den Truppen der eigenen Regierung. sondern auch denen Englands und Frankreichs Widerstand zu leisten." (M. v. Brandt: 33 Jahre in Ostasien, Bd. III: China, 1901, S. 11.) <A HREF="lu05_334.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Siehe O. Franke: Die Rechtsverh&auml;ltnisse am Grundeigentum in China, Leipzig 1903, S. 82 ff. <A HREF="lu05_334.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> China unter der Kaiserin-Witwe, S. 334. <A HREF="lu05_334.htm#ZF7">&lt;=</A></P></BODY>
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