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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 5. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_089.htm">4 . Kapitel </A> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm">Inhalt</A> | <A HREF="beaa_114.htm">6. Kapitel</A> </P>
<I><P ALIGN="CENTER">F&uuml;nftes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Die Reformation <BR>
</FONT><I>1. Luther</P>
</I><B><P><A NAME="S104">|104|</A></B> Die gesunde Sinnlichkeit des Mittelalters fand in Luther ihren klassischen Dolmetsch. Mit dem religi&ouml;sen Reformator haben wir es hier weniger zu tun als mit Luther als Mensch. Im Menschlichen trat Luthers kr&auml;ftige urw&uuml;chsige Natur unverf&auml;lscht hervor; diese zwang ihn, r&uuml;ckhaltlos und treffend sein Liebes- und Genu&szlig;bed&uuml;rfnis auszusprechen. Seine Stellung als ehemaliger r&ouml;mischer Geistlicher hatte ihm die Augen ge&ouml;ffnet. Er hatte die Unnatur des M&ouml;nchs- und Nonnenlebens in der Praxis, sozusagen am eigenen Leibe kennengelernt. Daher die W&auml;rme, mit der er das priesterliche und kl&ouml;sterliche Z&ouml;libat bek&auml;mpfte. Seine Worte gelten auch noch heute jenen, die glauben, wider die Natur s&uuml;ndigen zu d&uuml;rfen, und meinen, mit ihren Begriffen von Moral und Sittlichkeit es vereinigen zu k&ouml;nnen, wenn die staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen Millionen verhindern, ihren Naturzweck zu erf&uuml;llen. Luther sagt: "Ein Weib, wo nicht die hohe, seltsame Gnade da ist, kann eines Mannes ebensowenig entraten als Essen, Schlafen, Trinken und andere nat&uuml;rliche Notdurft. Wiederum also auch ein Mann kann eines Weibes nicht entraten. Ursache ist die: es ist ebenso tief eingepflanzt der Natur, Kinder zu zeugen als essen und trinken. Darum hat Gott dem Leibe die Glieder, Adern, Fl&uuml;sse, und alles, was dazu dient, gegeben und eingesetzt. Wer nun diesem wehren will und nicht lassen gehen, wie Natur will, und was tut er anders, denn er will wehren, da&szlig; Natur nicht Natur sei, da&szlig; Feuer nicht brenne, Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse, noch trinke, noch schlafe?" Und in seiner Predigt vom ehelichen Leben sagt er: "Also wenig als in meiner Macht steht, da&szlig; ich kein Mannsbild sei, also wenig steht es auch dir, da&szlig; du ohne Mann seiest, denn es ist nicht eine freie Willk&uuml;r oder Rat, sondern ein n&ouml;tig nat&uuml;rlich Ding, da&szlig; alles, was ein Mann ist, mu&szlig; ein Weib haben, und was ein <A NAME="S105"><B>|105|</A></B> Weib ist, mu&szlig; einen Mann haben." Luther spricht sich aber nicht blo&szlig; in dieser energischen Weise f&uuml;r das Eheleben und die Notwendigkeit des Geschlechtsverkehrs aus, er wendet sich auch dagegen, da&szlig; Ehe und Kirche etwas miteinander gemein haben. Er stand hierin ganz auf dem Boden der alten Zeit, die in der Ehe einen freien Willensakt der Beteiligten sah, der die Kirche nichts anging. Er sagt dar&uuml;ber: "Darum wisse, da&szlig; die Ehe ein &auml;u&szlig;erlich Ding ist, wie eine andere weltliche Hantierung. Wie ich nun mag mit einem Heiden, Juden, T&uuml;rken, Ketzer essen, trinken, schlafen, gehen, reiten, kaufen, reden und handeln, <I>also mag ich auch mit ihm ehelich werden und bleiben</I>. <I>Und kehre dich an der Narren Gesetze, die solches verbieten, nichts </I>... Ein Heide ist ebensowohl ein Mann und Weib, von Gott wohl und gut geschaffen, als St. Peter und St. Paul und St. Lukas, schweige denn als ein loser, falscher Christ." Luther erkl&auml;rte sich ferner, gleich anderen Reformatoren, gegen jede Beschr&auml;nkung der Ehe und wollte auch die Ehe Geschiedener wieder zulassen, wogegen die Kirche sich str&auml;ubte. Er sagt: "Wie aber jetzt bei uns die Ehesachen oder ein Scheiden zu halten sei, hab<61> ich gesagt, <I>da&szlig; man<61>s den Juristen soll befehlen und unter das weltliche Regiment werfen</I>, <I>weil der Ehestand gar ein weltlich &auml;u&szlig;erlich Ding ist</I>." Entsprechend dieser Anschauung wurde erst gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts die kirchliche Trauung bei den Protestanten Voraussetzung zu einer g&uuml;ltigen Ehe. Bis dahin galt die sogenannte Gewissensehe, das hei&szlig;t die blo&szlig;e gegenseitige Verpflichtung, sich als Mann und Weib anzusehen und ehelich zusammenleben zu wollen. Eine solche Ehe wurde nach deutschem Recht als legal angesehen. Luther ging sogar so weit, da&szlig; er dem in der Ehe unbefriedigt gebliebenen Teil - auch wenn dieser die Frau war - das Recht zusprach, sich au&szlig;er der Ehe Befriedigung zu verschaffen, "damit der Natur Gen&uuml;ge getan werde, welcher man nicht widerstehen k&ouml;nne"<A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_104.htm#F1">(1)</A></A>. Luther stellt hier Grunds&auml;tze auf, welche die lebhafte Entr&uuml;stung eines gro&szlig;en Teiles der "ehrbaren M&auml;nner und Frauen" unserer Zeit hervorrufen werden, die sich gerne in ihrem frommen Eifer auf Luther berufen. In seinem Traktat "Vom ehelichen Leben", II, 146, Jena 1522, sagt er: "Wenn ein t&uuml;chtig Weib zur Ehe einen unt&uuml;chtigen Mann &uuml;berk&auml;me und k&ouml;nnte doch keinen anderen &ouml;ffentlich nehmen und wollte auch nicht gerne wider ihre <A NAME="S106"><B>|106|</A></B> Ehre tun, soll sie zu ihrem Manne also sagen: Siehe, lieber Mann, du kannst mein nicht schuldig werden und hast mich und meinen jungen Leih betrogen, dazu in Gefahr der Ehre und Seligkeit bracht, und ist f&uuml;r Gott keine Ehre zwischen uns beiden, verg&ouml;nne mir, da&szlig; ich mit deinem Bruder oder n&auml;chsten Freund eine heimliche Ehe habe und du den Namen habst, <I>auf da&szlig; dein Gut nicht an fremde Erben komme</I>, <I>und la&szlig; dich wiederum williglich betr&uuml;gen durch mich</I>, <I>wie du mich ohne deinen Willen betrogen hast</I>." Der Mann, f&uuml;hrt Luther weiter aus, habe die Pflicht, solches zu bewilligen. "Will er nicht, hat sie das Recht, von ihm zu laufen in ein ander Land und einen anderen zu freien. Wiederum wenn ein Weib die eheliche Pflicht nicht aus&uuml;ben will, hat der Mann das Recht, eine andere zu beschlafen, nur soll er es ihr vorher sagen."<A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_104.htm#F2">(2)</A></A> Man sieht, es sind sehr radikale und in unserer an Heuchelei und Pr&uuml;derie so reichen Zeit sogar recht unsittliche Anschauungen, die der gro&szlig;e Reformator entwickelt. </P>
<P>Luther sprach nur aus, was zu jener Zeit Volksauffassung war. So teilt Jakob Grimm mit <A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_104.htm#F3">(3)</A></A> : </P>
<P>"Daer ein Man were, der sinen echten wive ver frowelik recht niet gedoin konde, der sall si sachtelik op sinen ruggen setten und draegen sie over negen erstnine und setten si sachtelik neder sonder stoeten, slaen und werpen und sonder enig quaed woerd of oevel sehen, und roipen dae sine naebur aen, dat sie inne sines wives lives noet helpen weren, und of sine naebur dat niet doen wolden of kunden, so sall he si senden up die neiste kermisse daerbi gelegen und dat sie sik s&uuml;verlik toe make und verzere und hangen &ouml;r einen buidel wail mit golde bestickt up die side, dat sie selft wat gewerven kunde; kumpt sie dannoch wider ungeholpen, so help &ouml;r dar der duifel." </P>
<P>Der Bauer des Mittelalters wollte in erster Linie durch die Ehe Erben haben, und vermochte er diese selbst nicht zu zeugen, so &uuml;berlie&szlig; er als praktischer Mann dieses Vergn&uuml;gen ohne besondere Skrupel einem anderen. Die Hauptsache war, da&szlig; er seinen Zweck erreichte, Wir wiederholen: Der Mensch beherrscht nicht das Eigentum, das Eigentum beherrscht ihn. Die aus den Schriften und Reden Luthers angezogenen Stellen &uuml;ber die Ehe sind um deswillen besonders wichtig, weil die darin ge&auml;u&szlig;erten Anschauungen mit den in der Kirche heute herrschenden im sch&auml;rf- <A NAME="S107"><B>|107|</A></B> sten Widerspruch stehen. Die Sozialdemokratie kann sich in dem Kampfe, den sie mit der Geistlichkeit zu f&uuml;hren hat, mit vollstem Fug und Recht auf Luther berufen, der in Fragen der Ehe einen durchaus vorurteilsfreien Standpunkt einnimmt. </P>
<P>Luther und die Reformatoren gingen in der Ehefrage sogar noch weiter, allerdings aus opportunistischen. Gr&uuml;nden, aus Gef&auml;lligkeit gegen die in Frage kommenden F&uuml;rsten, deren kr&auml;ftige Unterst&uuml;tzung oder dauerndes Wohlwollen sie sich zu erwerben, beziehentlich zu erhalten suchten. Der reformationsfreundliche Landgraf von Hessen, Philipp I., besa&szlig; neben seiner legitimen Frau eine Geliebte, die nur unter der Bedingung, da&szlig; er sie heirate, ihm zu Willen sein wollte. Der Fall war heikel. Eine Scheidung von der Gemahlin ohne durchschlagende Gr&uuml;nde verursachte gro&szlig;en Skandal, und eine Ehe mit zwei Frauen zugleich war bei einem christlichen F&uuml;rsten der neueren Zeit ein unerh&ouml;rtes Ereignis, das nicht minder Skandal verursachen mu&szlig;te. Gleichwohl entschlo&szlig; sich Philipp in seiner Verliebtheit f&uuml;r den letzteren Schritt. Es galt nur festzustellen, da&szlig; dieser Schritt nicht mit der Bibel im Widerspruch stand und die Zustimmung der Reformatoren, insbesondere Luthers und Melanchthons, fand. Zun&auml;chst begannen die Unterhandlungen des Landgrafen mit Butzer, der sich mit dem Plane einverstanden erkl&auml;rte und versprach, Luther und Melanchthon zu gewinnen. Butzer motivierte seine Ansicht damit, da&szlig; er sagte: Mehrere Weiber zugleich zu besitzen, sei nicht wider das Evangelium. Paulus, der doch viel vermeldet, die das Reich Gottes nicht erben sollten, aber von denen, die zwei Weiber haben, tue er keine Meldung; Paulus sage vielmehr, "da&szlig; ein Bischof nur eines Weibes haben, desgleichen die Diener. W&auml;r<EFBFBD>s nun Not gewesen, da&szlig; jeder haben solle ein Weib, so h&auml;tt<EFBFBD> er<65>s also geboten und mehr Weiber verboten." Luther und Melanchthon schlossen sich diesen Gr&uuml;nden an und billigten die Doppelehe, nachdem au.ch des Landgrafen Frau unter der Bedingung in die Ehe mit der zweiten Frau willigte, "da&szlig; er die ehelichen Pflichten noch mehr als bisher gegen sie erf&uuml;llen werde" <A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_104.htm#F4">(4)</A></A>. Luther hatte schon fr&uuml;her die Frage nach Berechtigung der Bigamie, als es sich um die Billigung einer Doppelehe Heinrichs VIII. von England handelte, Kopfschmerzen verursacht. Das geht aus einem Briefe an den s&auml;chsischen Kanzler Brink, Januar 1524, hervor, dem er schrieb: "<I>Grunds&auml;tzlich freilich k&ouml;nne er, Luther, die Bigamie nicht verwer-</I> <A NAME="S108"><B>|108|</A></B> <I>fen</I>, denn sie widerstreite nicht der Heiligen Schrift <A NAME="ZF5"><A HREF="beaa_104.htm#F5">(5)</A></A>, aber er halte es f&uuml;r &auml;rgerlich, wenn sie unter den Christen vork&auml;me, die auch erlaubte Dinge unterlassen m&uuml;&szlig;ten." Und nach der Trauung des Landgrafen, die im M&auml;rz 1540 wirklich stattfand, schrieb er (10. April) auf ein Anerkennungsschreiben desselben: "Da&szlig; Ew. Gnaden guter Dinge sei &uuml;ber unseren gegebenen Ratschlag, <I>den wir gern heimlich sehen halten</I>. <I>Sonst m&ouml;chten zuletzt auch noch die groben Bauern</I> (dem Beispiel des Landgrafen folgen wollen) <I>vielleicht ebenso gro&szlig;e und gr&ouml;&szlig;ere Ursache f&uuml;rwenden,</I> <I>dadurch wir denn gar viel zu schaffen m&ouml;chten kriegen</I>." </P>
<P>Melanchthon mochte die Zustimmung zu der Doppelehe des Landgrafen weniger schwergefallen sein, denn er hatte schon fr&uuml;her an Heinrich VlII. geschrieben, "jeder F&uuml;rst habe das Recht, in seinem Gebiet die Polygamie einzuf&uuml;hren". Aber die Doppelehe des Landgrafen machte so gro&szlig;es und unliebsames Aufsehen in seinem Lande, da&szlig; er - 1541 - eine Schrift verbreiten lie&szlig;, in der die Polygamie als nicht wider die Schrift versto&szlig;end verteidigt wurde.<A NAME="ZF6"><A HREF="beaa_104.htm#F6">(6)</A></A> Man lebte nicht mehr im neunten oder zw&ouml;lften Jahrhundert, in denen noch Vielweiberei ohne Ansto&szlig; ertragen wurde. Die Doppelehe des Landgrafen von Hessen war &uuml;brigens nicht die einzige, welche in weiten Kreisen b&ouml;ses Aufsehen erregte. Solche f&uuml;rstliche Doppelehen wiederholten sich sowohl im siebzehnten wie im achtzehnten Jahrhundert, wie noch gezeigt werden wird. </P>
<P>Wenn Luther die Befriedigung des Geschlechtstriebs als ein Gebot der Natur erkl&auml;rte, sprach er nur aus, was die Zeitgenossen dachten und besonders die M&auml;nnerwelt f&uuml;r sich in Anspruch nahm. Durch die Reformation, welche die Beseitigung des Z&ouml;libats der Geistlichen und die Aufhebung der Kl&ouml;ster in den protestantischen L&auml;ndern durchsetzte, schuf er Hunderttausenden die M&ouml;glichkeit, unter legitimen Formen ihrem Naturtrieb gerecht zu werden. Hunderttausend andere blieben freilich, auf Grund der bestehenden Eigentumsordnung und der auf Grund derselben geschaffenen Gesetze, auch ferner davon ausgeschlossen.</P>
<B><P><A NAME="S109">|109|</A></B> Die Reformation war der Protest des im Entstehen begriffenen Gro&szlig;b&uuml;rgertums gegen die Gebundenheit der feudalen Zust&auml;nde in Kirche, Staat und Gesellschaft. Dieses werdende Gro&szlig;b&uuml;rgertum strebte nach Befreiung aus den engen Banden der Zunft-, Hof- und Bannrechte, nach Zentralisation des Staatswesens, nach Vereinfachung des verschwenderisch ausgestatteten Kirchenwesens, nach Aufhebung der zahlreichen Sitze m&uuml;&szlig;iger Menschen, der Kl&ouml;ster, und Verwendung derselben im praktischen Erwerb. </P>
<P>Luther war auf religi&ouml;sem Gebiet der Vertreter dieser b&uuml;rgerlichen Bestrebungen. Trat er f&uuml;r die I&lt;<EFBFBD>reiheit der Ehe ein, so konnte es sich nur um die b&uuml;rgerliche Ehe handeln, die erst in unserem Zeitalter, durch das Zivilehegesetz und die damit verbundene b&uuml;rgerliche Gesetzgebung, Freiz&uuml;gigkeit, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit verwirklicht wurde. Wieweit dadurch die Stellung der Frau sich ver&auml;nderte, soll untersucht werden. Einstweilen waren in der Reformationszeit die Dinge noch nicht so weit gediehen. Wurde durch die Reformation vielen die Ehem&ouml;glichkeit gegeben, so wurde andererseits durch die st&auml;rkste Verfolgung dem freien Geschlechtsverkehr nachgestellt. Hatte die katholische Geistlichkeit gegen die geschlechtlichen Ausschweifungen eine gewisse Laxheit und Toleranz gezeigt, so eiferte jetzt die protestantische, nachdem sie selbst versorgt war, um so w&uuml;tender dagegen. Den &ouml;ffentlichen Frauenh&auml;usern wurde der Krieg erkl&auml;rt, sie wurden als "H&ouml;hlen des Satans" geschlossen, die Prostituierten als "T&ouml;chter des Teufels" verfolgt, und jede Frau, die einen "Fehltritt" beging, nach wie vor als Aushund aller Schlechtigkeit an den Pranger gestellt. </P>
<P>Aus dem lebenslustigen Kleinb&uuml;rger des Mittelalters, dar lebte und leben lie&szlig;, wurde ein bigotter, sittenstrenger, finsterer Spie&szlig;b&uuml;rger, der sparte, damit seine sp&auml;teren gro&szlig;b&uuml;rgerlichen Nachkommen um so flotter leben und um so mehr verschwenden konnten. Der ehrsame B&uuml;rger mit seiner steifen Krawatte, seinem engen Gesichtskreis, seiner strengen, aber heuchlerischen Moral ward das Prototyp der Gesellschaft. Die legitime Frau, der die katholischerseits tolerierte Sinnlichkeit des Mittelalters nicht sonderlich behagt hatte, war mit dem puritanischen Geiste des Protestantismus sehr einverstanden. Aber andere Umst&auml;nde, die die allgemeinen Verh&auml;ltnisse in Deutschland ung&uuml;nstig beeinflu&szlig;ten, waren <20>auch f&uuml;r die Frauen von ung&uuml;nstigem Einflu&szlig;.</P>
<I><P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_5_2">2. Die Folgen der Reformation. Der Drei&szlig;igj&auml;hrige Krieg</A></P>
</I><B><P><A NAME="S110">|110|</A></B> Die Umwandlung der Produktions-, der Geld- und Absatzverh&auml;ltnisse, die besonders durch die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien f&uuml;r Deutschland herbeigefiihrt wurde, rief eine gro&szlig;e Reaktion auf sozialem Gebiet hervor. Deutschland h&ouml;rte auf, der Mittelpunkt des europ&auml;ischen Verkehrs und Handels zu sein. Das deutsche Gewerbewesen, der deutsche Handel gerieten in Verfall. Gleichzeitig hatte die kirchliche Reformation die politische Einheit der Nation zerst&ouml;rt. Die Reformation wurde der Deckmantel, unter dem sich die deutschen F&uuml;rsten von der Kaisergewalt zu emanzipieren suchten. Andererseits unterjochten diese F&uuml;rsten den Adel und beg&uuml;nstigten, um ihren Zweck leichter zu erreichen, die St&auml;dte. Auch begaben sich nicht wenige der letzteren, angesichts der immer tr&uuml;ber werdenden Zeitl&auml;ufte, freiwillig unter die Herrschaft der F&uuml;rsten. Schlie&szlig;lich suchte das durch den &ouml;konomischen R&uuml;ckgang in seinem Erwerb bedrohte B&uuml;rgertum immer h&ouml;here Schranken zu errichten, um sich vor unliebsamer Konkurrenz zu sch&uuml;tzen, und die F&uuml;rsten kamen diesem Verlangen gerne nach. Die Verkn&ouml;cherung der Zust&auml;nde nahm zu, aber damit auch die Verarmung. </P>
<P>Die weiteren Folgen der Reformation waren die religi&ouml;sen K&auml;mpfe und Verfolgungen - die von den F&uuml;rsten als Deckmantel f&uuml;r ihre politischen und &ouml;konomischen Zwecke benutzt wurden -, die Deutschland mit Unterbrechungen l&auml;nger als ein Jahrhundert durchtobten und mit seiner vollst&auml;ndigen Ersch&ouml;pfung am Ende des Drei&szlig;igj&auml;hrigen Krieges endeten. Deutschland war ein ungeheures Leichen- und Tr&uuml;mmerfeld geworden. Ganze L&auml;nder und Provinzen waren verw&uuml;stet, Hunderte von St&auml;dten, Tausende von D&ouml;rfern waren teilweise oder g&auml;nzlich niedergebrannt, viele unter ihnen sind seitdem f&uuml;r immer vom Erdboden verschwunden. In vielen Orten war die Bev&ouml;lkerung auf den dritten, vierten, f&uuml;nften, selbst auf den achten und zehnten Teil gesunken. Das galt zum Beispiel von St&auml;dten wie N&uuml;rnberg und von ganz Franken. In dieser &auml;u&szlig;ersten Not kam man hier und da, um die entv&ouml;lkerten St&auml;dte und D&ouml;rfer m&ouml;glichst rasch wieder mit mehr Menschen zu versehen, zu dem drastischen Mittel, einem Manne ausnahmsweise <I>zwei Frauen zu erlauben</I>. Die M&auml;nner hatten die Kriege vernichtet, aber Frauen gab es in &Uuml;berzahl. So fa&szlig;te am 14. Februar 1650 der Fr&auml;nkische Kreistag zu N&uuml;rnberg den Beschlu&szlig;, <A NAME="S111"><B>|111|</A></B> "da&szlig; M&auml;nner unter 60 Jahren nicht in Kl&ouml;ster aufgenommen werden durften"; des weiteren befahl er, "denen Jenigen Priestern, Pfarrherrn, so nicht ordensleuth, oder auff den Stifftern Canonikaten, sich Ehelich zu verheyrathen". "Darzu sollte jeder Mann&szlig;person zwey Weyber zu heyrathen erlaubt sein: dabey doch alle und jede Mann&szlig;person erinnert, auch auff <I>den Kanzeln</I> &ouml;ffters ermanth werden sollen, Sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, da&szlig; er sich v&ouml;llig und geb&uuml;render Discretion und vorsorg beflei&szlig;ige, damit Er als Ehelicher Mann, der ihm zwei Weyber zu nemmen getraut, beide Ehefrauen nicht allein nothwendig versorge, sondern auch under Ihnen allen Unwillen verhuette." </P>
<P>Es wurde also sogar die Kanzel benutzt, um die Doppelehe zu propagieren und den Ehem&auml;nnern Verhaltungsma&szlig;regeln zu geben. Auch stockten Handel und Wandel und Gewerbe in dieser langen Zeit, ja vielfach waren sie g&auml;nzlich zugrunde gerichtet und konnten erst nach und nach sich erholen. Ein gro&szlig;er Teil der Bev&ouml;lkerung war verroht und demoralisiert und aller geordneten T&auml;tigkeit entw&ouml;hnt. Waren es w&auml;hrend der Kriege die raubenden, pl&uuml;ndernden, sch&auml;ndenden und mordenden S&ouml;ldnerheere, die Deutschland von einem Ende zum anderen durchzogen und gleichzeitig Freund und Feind brandschatzten und niederwarfen, so waren es nach den Kriegen ungez&auml;hlte R&auml;uber-, Bettler- und Vagabundenscharen, welche die Bev&ouml;lkerung in Angst und Schrecken setzten und Handel und Verkehr hinderten oder vernichteten. Namentlich war f&uuml;r das weibliche Geschlecht eine gro&szlig;e Leidenszeit angebrochen. In dieser Zeit der Z&uuml;gellosigkeit hatte die Verachtung der Frau die gr&ouml;&szlig;ten Fortschritte gemacht, auf ihren Schultern lastete die allgemeine Erwerbslosigkeit am st&auml;rksten, Zu Tausenden bev&ouml;lkerten Frauen, gleich den vagabundierenden M&auml;nnern, die Landstra&szlig;en und W&auml;lder und f&uuml;llten Armenh&auml;user und Gef&auml;ngnisse. Zu all diesen Leiden kam die gewaltsame Vertreibung zahlreicher Bauernfamilien durch einen landhungrigen Adel. Hatte sich der letztere seit der Reformation immer mehr unter die F&uuml;rstenmacht ducken m&uuml;ssen und war er durch Hof&auml;mter und milit&auml;rische Stellen in immer gr&ouml;&szlig;ere Abh&auml;ngigkeit von diesen geraten, so suchte er jetzt den Schaden, den ihm die F&uuml;rsten zugef&uuml;gt, doppelt und dreifach hereinzubringen durch den Raub am Bauerngut. Dagegen bot die Reformation den F&uuml;rsten den erw&uuml;nschten Vorwand, sich des reichen Kirchenguts zu bem&auml;chtigen, das sie in ungez&auml;hlten Morgen Landes <A NAME="S112"><B>|112|</A></B> zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht weniger als dreihundert geistliche G&uuml;ter ihrem urspr&uuml;nglichen Zweck entfremdet.<A NAME="ZF7"><A HREF="beaa_104.htm#F7">(7)</A></A> Und wie er hatten es seine Herren Br&uuml;der und Vettern, die &uuml;brigen protestantischen F&uuml;rsten, allen voran die Hohenzollern, gemacht. Der Adel ahmte das Beispiel nach, indem er das noch vorhandene Gemeindeland oder herrenlos gewordene Bauerng&uuml;ter einsackte und sowohl freie wie leibeigene Bauern von Haus und Hof vertrieb und mit deren G&uuml;tern sich bereicherte. Die verungl&uuml;ckten Bauernaufst&auml;nde im sechzehnten Jahrhundert lieferten dazu den erw&uuml;nschten Vorwand. Und nachdem der Versuch einmal gelungen war, fehlte es nicht an Gr&uuml;nden, um in gleich gewaltt&auml;tiger Weise weiterzugehen. Mit Hilfe von allerlei Schikanen, Drangsalierungen und Rechtsverdrehungen, zu denen das mittlerweile allgemein eingeb&uuml;rgerte r&ouml;mische Recht die bequeme Handhabe bot, wurden, um des Adels Besitz zu arrondieren, die Bauern zu niedrigsten Preisen ausgekauft oder von ihrem Eigentum verdr&auml;ngt. Ganze D&ouml;rfer, die Bauernh&ouml;fe halber Provinzen wurden auf diese Weise niedergeworfen. So waren, um nur einige Beispiele anzuf&uuml;hren, von 12.543 ritterschaftlichen Bauernstellen, die Mecklenburg noch zur Zeit des Drei&szlig;igj&auml;hrigen Krieges besa&szlig;, im Jahre 1848 nur noch 1.213 vorhanden. In Pommern gingen seit 1628 &uuml;ber 12.000 Bauernh&ouml;fe ein. Die Umwandlung in der b&auml;uerlichen Wirtschaftsweise, die sich im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts vollzog, war ein weiterer Anreiz, die Expropriation der Bauernh&ouml;fe vorzunehmen und die letzten Reste des Gemeindelandes in adliges Besitztum zu verwandeln. Es war die Koppelwirtschaft eingef&uuml;hrt worden, die erlaubte, in bestimmten Zeitabschnitten einen Wechsel in der Bebauung des Grund und Bodens eintreten zu lassen. Getreideland wurde zeitweilig in Weide verwandelt, was die Viehzucht beg&uuml;nstigte und erm&ouml;glichte, die Zahl der Arbeitskr&auml;fte zu vermindern. </P>
<P>In den St&auml;dten sah es nicht besser aus als auf dem Lande. Ehemals hatte man ohne Widerstreben auch den Frauen gestattet, den Meistertitel zu erwerben und Gesellen und Lehrlinge zu besch&auml;ftigen, ja man zwang sie sogar in die Z&uuml;nfte, um sie zu gleichen Konkurrenzbedingungen zu n&ouml;tigen. So gab es selbst&auml;ndige Frauen in der Leinenweberei, der Wollweberei, der Tuchmacherei und Schneiderei, der Teppichwirkerei; es gab weibliche Goldspinner, Goldschl&auml;ger, G&uuml;rtler, <A NAME="S113"><B>|113|</A></B> Riemenschneider usw. Wir finden zum Beispiel weibliche K&uuml;rschner in Frankfurt und in den schlesischen St&auml;dten, B&auml;cker in den mittelrheinischen St&auml;dten, Wappensticker und G&uuml;rtler in K&ouml;ln und Stra&szlig;burg, Riemenschneider in Bremen, Tuchscherer in Frankfurt, Lohgerber in N&uuml;rnberg, Goldspinner und Goldschl&auml;ger in K&ouml;ln.<A NAME="ZF8"><A HREF="beaa_104.htm#F8">(8)</A></A> In dem Ma&szlig;e aber, wie die Verh&auml;ltnisse der Handwerker sich verschlechterten, verschlechterte sich speziell die Stimmung gegen die weiblichen Konkurrenten. In Frankreich wurden die Frauen schon mit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts vom Gewerbe ausgeschlossen, in Deutschland erst gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts. Anfangs verbot man ihnen, Meister zu werden - mit Ausnahme der Witwen -, sp&auml;ter schlo&szlig; man sie auch als Gehilfinnen aus. Auch die Beseitigung des prunkvollen katholischen Kultus durch Protestantisierung hatte eine Menge Gewerbe, namentlich Kunstgewerbe, aufs schwerste gesch&auml;digt oder g&auml;nzlich vernichtet, und gerade in diesen Gewerben waren viele Frauen besch&auml;ftigt gewesen. Ferner veranla&szlig;te die Konfiskation und S&auml;kularisation der gro&szlig;en Kirchenverm&ouml;gen einen R&uuml;ckgang der Armenpflege, unter dem in erster Linie die Witwen und Waisen litten. Der allgemeine wirtschaftliche Zerfall, der aus all den angef&uuml;hrten Ursachen im sechzehnten Jahrhundert eingetreten war und das siebzehnte Jahrhundert fortdauerte, veranla&szlig;te alsdann eine immer strengere Ehegesetzgebung. Handwerksgesellen und dienenden Personen (Knechten und M&auml;gden) wurde die Ehe &uuml;berhaupt verboten, es sei denn, sie konnten beweisen, da&szlig; keine Gefahr bestand, der Gemeinde, zu der sie geh&ouml;rten, mit ihrer k&uuml;nftigen Familie zur Last zu fallen. Eheschlie&szlig;ungen ohne die gesetzlichen Voraussetzungen wurden mit harten, zum Teil barbarischen Strafen belegt, zum Beispiel nach dem bayerischen Rechte mit Karbatschstreichen und Einsperrung. Besonders harten Verfolgungen waren aber die sogenannten wilden Ehen ausgesetzt, die sich um so h&auml;ufiger bildeten, je schwerer die Erlangung der Erlaubnis zur Heirat war. Die Angst vor &Uuml;berv&ouml;lkerung beherrschte die Gem&uuml;ter, und um die Zahl der Bettler und Vaganten zu vermindern, jagte ein landesherrliches Dekret das andere, und eines war h&auml;rter als das andere. </P>
<P ALIGN="CENTER"><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Dr. Karl Hagen, Deutschlands literarische und religi&ouml;se Verh&auml;ltnisse im Reformationszeitalter. Frankfurt a. M. 1888. <A HREF="beaa_104.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Dr. Karl Hagen, a. a. O., S. 234. <A HREF="beaa_104.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Deutsche Rechtsaltert&uuml;mer. Weistum aus dem Amte Blankenburg. S. 444. <A HREF="beaa_104.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes 1525 bis 1555. Freiburg i. B. <A HREF="beaa_104.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Was vollkommen richtig, aber auch erkl&auml;rlich ist, da die Bibel aus einer Zeit stammt, in der Polygamie unter den V&ouml;lkern des Abend- und Morgenlandes weit verbreitet war, aber sie widersprach im sechzehnten Jahrhundert aufs st&auml;rkste den Sitten. Der Verfasser <A HREF="beaa_104.htm#ZF5">&lt;=</A> </P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. 3. Band. <A HREF="beaa_104.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> Joh. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes. 3. Band. <A HREF="beaa_104.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">(8)</A> Dr. Karl B&uuml;cher, Die Frauenfrage im Mittelalter. <A HREF="beaa_104.htm#ZF8">&lt;=</A> </P></BODY>
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