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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Vereinbarungsdebatte ueber die Valdenairische
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Angelegenheit</title>
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<p align="center"><a href="me05_284.htm"><font size="2">Die "Kölnische Zeitung" über
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englische Verhältnisse</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font
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size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_293.htm"><font size="2">Die
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russische Note</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 289-292<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1><font size="5">Vereinbarungsdebatte über die Valdenairesche
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Angelegenheit</font></font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 63 vom 2. August 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S289"><289></a></b> **<i>Köln</i>, 1. August. Wir haben wieder einige
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Vereinbarungssitzungen nachzuholen.</p>
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<p>In der Sitzung vom 18. Juli wurde der Antrag auf Einberufung des Abgeordneten Valdenaire
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<Siehe <a href="me05_083.htm">"Valdenaires Haft - Sebaldt"</a>> beraten. Die
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Zentralabteilung trug auf Annahme an. Drei rheinische Juristen erhoben sich dagegen.</p>
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<p>Zuerst Herr <i>Simons</i> aus Elberfeld, ehemaliger Staatsprokurator. Herr Simons glaubte
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sich noch vor den Assisen oder vor dem Zuchtpolizeigericht; er trat als öffentlicher
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Ankläger auf und hielt ein förmliches Plaidoyer gegen Herrn Valdenaire und zugunsten
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der Justiz. Er sagte: Die Sache liegt vor dem Anklagesenat, sie wird dort rasch entschieden,
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und entweder kommt Valdenaire frei oder er wird vor die Assisen verwiesen. Geschieht das
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letztere, "so ist es im höchsten Grade zu wünschen, daß dann die Sache nicht
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auseinandergerissen und in der Aburteilung nicht aufgehalten werde". Dem Herrn Simons gilt das
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Interesse der Justiz, d.h. die Bequemlichkeit der Anklagesenate, Staatsprokuratoren und
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Assisenhöfe für höher als das Interesse der Freiheit und die Unverletzlichkeit
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der Volksrepräsentanten.</p>
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<p>Herr Simons verdächtigt dann zuerst die Schutzzeugen Valdenaires und sodann Valdenaire
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selbst. Er erklärt, der Versammlung werde durch seine Abwesenheit "irgendein Talent nicht
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entzogen", und alsdann erklärt er ihn für unqualifiziert, in der Versammlung zu
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sitzen, solange er sich nicht von jedem Verdacht des Komplottierens gegen die Regierung oder
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der Rebellion gegen die bewaffnete Macht gereinigt habe. Was das Talent angeht, so könnte
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man nach der Logik des Herrn Simons neun Zehntel der löblichen Versammlung ebensogut wie
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Herrn Valdenaire verhaften, ohne daß ihr irgendein <a name="S290"><b><290></b></a>
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Talent entzogen würde; und in Beziehung auf das zweite Argument gereicht es Herrn Simons
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allerdings zur höchsten Ehre, daß er nie "Komplotte" gegen den Absolutismus
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geschmiedet, noch auf den Barrikaden des März sich "Rebellion gegen die öffentliche
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Macht". hat zuschulden kommen lassen.</p>
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<p>Nachdem Herr <i>Gräff</i>, der Stellvertreter Valdenaires, unwiderleglich bewiesen,
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daß weder auf Valdenaire irgendein Verdacht laste, noch die fragliche Handlung eine
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gesetzwidrige sei (da sie darin bestand, der mit <i>Zustimmung des Magistrats</i> die
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Barrikaden von Trier okkupierenden <i>gesetzlich konstituierten Bürgerwehr</i> in
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Ausübung ihrer Funktionen Hülfe verschafft zu haben), erhebt sich Herr Bauerband zur
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Unterstützung des öffentlichen Ministeriums.</p>
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<p>Herr <i>Bauerband</i> hat ebenfalls einen sehr gewichtigen Skrupel: "Würde durch die
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Einberufung Valdenaires das künftige Urteil der Geschworenen nicht präjudiziert
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werden?" Tiefsinniges Bedenken, das durch die einfache Bemerkung des Herrn <i>Borchardt</i>
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noch unlösbarer wird: Ob die Nichteinberufung Valdenaires nicht die Geschworenen ebenfalls
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präjudizieren werde? Das Dilemma ist wirklich so tiefsinnig, daß ein Denker selbst
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von größerer Force als Herr Bauerband zu seiner Lesung Jahre lang vergeblich
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anwenden dürfte. Vielleicht ist nur <i>ein</i> Mann in der Versammlung stark genug, das
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Rätsel zu lösen: der Abgeordnete <i>Baumstark</i>.</p>
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<p>Herr Bauerband plaidiert noch eine Zeitlang möglichst breit und verworren fort. Ihm
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antwortet kurz Herr <i>Borchardt</i>. Nach diesem erhebt sich Herr <i>Stupp</i>, um ebenfalls
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gegen Valdenaire so viel zu sagen, daß er den Reden von Simons und Bauerband "in jeder
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Beziehung nichts (!) hinzuzusetzen habe". Dies ist für ihn natürlich ein
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hinreichender Grund, um so lange fortzusprechen, bis ihn der Ruf nach dem Schluß der
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Debatte unterbricht. Herr Reichensperger II und Herr Wencelius sprechen noch kurz zugunsten
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Valdenaires, und die Versammlung beschließt, wie bekannt, ihn einzuberufen. Herr
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Valdenaire hat der Versammlung den Streich gespielt, diesem Rufe nicht zu folgen.</p>
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<p>Herr <i>Borchardt</i> stellt den Antrag: Um die bevorstehende Vollziehung von Todesstrafen
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zu verhindern, ehe die Versammlung sich über den Antrag des Herrn Lisiecki wegen Aufhebung
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der Todesstrafe ausgesprochen, möge man nach acht Tagen über diesen Antrag
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beschließen.</p>
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<p>Herr <i>Ritz</i> meint, dies übereilte Verfahren sei nicht <i>parlamentarisch</i>.</p>
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<p>Herr <i>Brill</i>: Wenn wir, wie ich wünsche, in kurzer Zeit die Aufhebung der
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Todesstrafe beschließen, so würde es gewiß sehr <i>unparlamentarisch</i> sein,
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wenn vorläufig jemand geköpft würde.</p>
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<p><b><a name="S291"><291></a></b> Der Präsident will die Diskussion
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schließen, aber schon steht der beliebte Herr <i>Baumstark</i> auf der Tribüne,
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flammenden Blicks und die Röte edler Entrüstung im Antlitz..</p>
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<p><font size="2">"Meine Herren, erlauben Sie mir, ein <i>ernstes Wort</i> zu sagen! Der
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Gegenstand, um den es sich hier handelt, ist nicht von der Art, daß man auf die
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Tribüne gehe und so kurzhin vom Köpfen als von einer unparlamentarischen Sache
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spreche!" (Die Rechte, der das Köpfen höchst parlamentarisch vorkommt, bricht in ein
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stürmisches Bravo aus.) "Es ist ein Gegenstand von der größten, ernstesten
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Bedeutung" (das sagt Herr Baumstark bekanntlich von jedem Gegenstand, über den er
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spricht). "Andere Parlamente ... die größten Männer der Gesetzgebung und
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Wissenschaft" (d.h. "alle Staatsphilosophen, von Plato bis herab zu Dahlmann") "haben sich
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selbst 200 bis 300 Jahre" jeder?) "damit beschäftigt, und wenn Sie den Vorwurf auf uns
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laden wollen, über eine so wichtige Frage mit einer solchen Leichtigkeit hinwegzugehen ...
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(Bravo!) Mich drängt nichts, als das Gewissen ... die Frage ist aber zu ernst ... auf
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<i>acht Tage mehr</i> kann es hier <i>wahrlich</i> nicht ankommen!"</font></p>
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<p>Das ernste Wort des edlen Abgeordneten Baumstark schlägt vor lauter größter,
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ernstester Bedeutung des Gegenstandes in die leichtsinnigste Frivolität um. In der Tat,
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gibt es eine größere Frivolität, als nach des Herrn Baumstark anscheinender
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Absicht 200 bis 300 Jahre über die Abschaffung der Todesstrafe zu diskutieren und in der
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Zwischenzeit flott weiter köpfen zu lassen? "Auf acht Tage mehr kann es hier wahrlich
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nicht ankommen", und auf ein paar in dieser Zeit fallende Köpfe ebensowenig!</p>
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<p>Der Ministerpräsident erklärt übrigens, es werde nicht beabsichtigt,
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Todesurteile vorderhand vollziehen zu lassen.</p>
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<p>Nach einigen scharfsinnigen reglementarischen Skrupeln des Herrn Schulze von Delitzsch wird
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Borchardts Antrag verworfen, dagegen ein Amendement des Herrn Nethe angenommen, das der
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Zentralkommission Beschleunigung empfiehlt.</p>
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<p>Der Abgeordnete <i>Hildenhagen</i> stellt den Antrag: Der Präsident solle bis zur
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Vorlage des betreffenden Gesetzentwurfs jede Sitzung mit der solennen Formel
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schließen:</p>
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<p><font size="2">"Wir aber sind der Meinung, das Ministerium müsse die Vorlage des neuen
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Kommunalgesetzes auf das eifrigste betreiben."</font></p>
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<p>Dieser erhebende Vorschlag war leider nicht für unsere bürgerlichen Zeiten
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gemacht.</p>
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<div style="margin-left: 12em">
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<p><font size="2">Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.<br>
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<H. Heine, "Zur Beruhigung"></font></p>
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<p>Der Versuch, aus dem Rohmaterial des Herrn Präsidenten Grabow die klassische Figur
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eines Appius Claudius zu meißeln und das solenne Ceterum <a name=
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"S292"><b><292></b></a> censeo auf die Kommunalordnung anzuwenden, fiel mit "ungeheurer
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Heiterkeit" durch.</p>
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<p>Nachdem der Abgeordnete <i>Bredt</i> aus Barmen noch drei Interpellationen in ziemlich
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sanftem Tone an den Handelsminister gestellt hat über die Vereinigung ganz Deutschlands zu
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einem Zollgebiet und zu einem Schiffahrtsbunde mit Navigationszöllen, endlich über
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provisorische Schutzzölle; nachdem er auf diese Fragen von Herrn <i>Milde</i> ebenfalls
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recht sanfte, aber auch recht ungenügende Antworten erhalten hat, beschließt Herr
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<i>Gladbach</i> die Sitzung. Herr <i>Schütze</i> aus Lissa hatte ihm einen Ordnungsruf
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wegen seiner energischen Sprache bei Gelegenheit der Freischarenentwaffung <Siehe <a href=
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"me05_169.htm">"Vereinbarungsdebatten"</a> und <a href="me05_178.htm#S180">"Berliner
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Vereinbarungsdebatten"</a>> beantragen wollen, den Antrag jedoch wieder zurückgenommen.
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Herr Gladbach fordert jedoch den tapfern Schütze und die ganze Rechte mit großer
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Ungeniertheit heraus und erzählt zum großen Ärger der Altpreußen eine
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possierliche Anekdote von einem preußischen Leutenant, der, auf dem Pferde eingeschlafen,
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unter die Freischaren ritt. Diese begrüßten ihn mit dem Liede "Schlaf, Kindlein,
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schlaf" und sollten deshalb vor ein Kriegsgericht gestellt werden! Herr Schütze stammelte
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einige ebenso entrüstete wie zusammenhangslose Worte, und damit ward die Sitzung
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aufgehoben.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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