emacs.d/clones/www.mlwerke.de/beb/beaa/beaa_089.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

67 lines
40 KiB
HTML
Raw Blame History

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 4. Kapitel</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_082.htm">3 . Kapitel </A> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm">Inhalt</A> | <A HREF="beaa_104.htm">5. Kapitel</A> </P>
<I><P ALIGN="CENTER">Viertes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Die Frau im Mittelalter <BR>
</FONT><I>1. Die Lage der Frau bei den Germanen</P>
</I><B><P><A NAME="S89">|89|</A></B> Die urw&uuml;chsigen, physisch gesunden und rohen, aber unverdorbenen V&ouml;lker, die in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung von Osten und Norden wie ungeheure Meereswogen heranfluteten und das erschlaffte r&ouml;mische Weltreich &uuml;berschwemmten, in dem allm&auml;hlich das Christentum zum Herrn sich aufgeworfen hatte, widerstanden mit aller Kraft den aszetischen Lehren der christlichen Prediger, und diese mu&szlig;ten wohl oder &uuml;bel diesen gesunden Naturen Rechnung tragen. Mit Verwunderung sahen die R&ouml;mer, da&szlig; die Sitten jener V&ouml;lker ganz andere als die ihrigen waren. Tacitus zollte dieser Tatsache in bezug auf die Deutschen seine Anerkennung, der er mit den Worten Ausdruck gibt: "Ihre Ehen sind sehr strenge, und keine ihrer Sitten ist mehr zu loben als diese, denn sie sind fast die einzigen Barbaren, die sich mit einem Weibe begn&uuml;gen; sehr wenig h&ouml;rt man bei diesem zahlreichen Volke von Ehebruch, der aber auch auf der Stelle bestraft wird, welches den M&auml;nnern selbst erlaubt ist. Mit abgeschnittenen Haaren jagt der Mann die ehebrecherische Frau nackt vor den Verwandten aus dem Dorfe, denn verletzte Sittsamkeit findet keine Nachsicht. Weder durch Sch&ouml;nheit noch durch Jugend oder Reichtum findet eine solche Frau einen Mann. Dort lacht niemand &uuml;ber das Laster; auch wird dort das Verf&uuml;hren oder Verf&uuml;hrtwerden nicht als Lebensart bezeichnet. Sp&auml;t verheiraten sich die J&uuml;nglinge, und daher behalten sie ihre Kraft; auch die Jungfrauen werden nicht eilfertig verheiratet, und bei ihnen findet sich dieselbe Jugendbl&uuml;te, die gleiche k&ouml;rperliche Gr&ouml;&szlig;e, Von gleichem Alter, gleich kr&auml;ftig, verm&auml;hlen sie sich, und die St&auml;rke der Eltern geht auf die Kinder &uuml;ber." </P>
<P>Offenbar hat Tacitus, um den R&ouml;mern ein Muster vorzuhalten, die ehelichen Zust&auml;nde der alten Germanen etwas sehr rosig gemalt. <A NAME="S90"><B>|90|</A></B> Allerdings wurde bei ihnen die ehebrecherische Frau strenge bestraft, aber das galt nicht von dem ehebrecherischen Manne. Zur Zeit des Tacitus stand die Gens unter den Germanen noch in Bl&uuml;te. Er, dem unter den vorgeschrittenen r&ouml;mischen Verh&auml;ltnissen die alte Gentilverfassung und ihre Grundlagen fremd und unverst&auml;ndlich geworden waren, erz&auml;hlt mit Verwunderung, da&szlig; bei den Germanen der Mutter Bruder seinen Neffen wie einen Sohn ansehe, ja einige hielten das Blutband zwischen dem Onkel von der Mutterseite und dem Neffen noch heiliger und enger als das zwischen Vater und Sohn, so da&szlig;, wenn Geiseln gefordert w&uuml;rden, der Schwestersohn f&uuml;r eine gr&ouml;&szlig;ere Garantie gelte als der eigene, Engels bemerkt dazu: "Wurde vom Genossen einer solchen Gens der eigne Sohn zum Pfand eines Gel&ouml;bnisses gegeben und fiel das Opfer bei Vertragsbruch des Vaters, so hatte dieser das mit sich selbst auszumachen. War es aber der Schwestersohn, der geopfert wurde, so war das heiligste Gentilrecht verletzt; der n&auml;chste, zum Schutz des Knaben oder J&uuml;nglings vor allen andern verpflichtete Gentilverwandte hatte seinen Tod verschuldet; entweder durfte er ihn nicht verpf&auml;nden, oder er mu&szlig;te den Vertrag halten."<A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_089.htm#F1">(1)</A></A> </P>
<P>Im &uuml;brigen war, wie Engels nachweist, zu Tacitus<75> Zeit bei den Deutschen das Mutterrecht bereits dem Vaterrecht gewichen. Die Kinder erbten vom Vater, fehlten solche, so erbten die Br&uuml;der und der Onkel von Vater- und Mutterseite. Die Zulassung des Mutterbruders als Erben, obgleich die Abstammung vom Vater f&uuml;r das Erbe ma&szlig;gebend war, erkl&auml;rt sich dadurch, da&szlig; das alte Recht eben erst geschwunden war. Die Erinnerungen an das alte Recht waren auch die Ursache der Achtung der Deutschen vor dem weiblichen Geschlecht, die Tacitus so &uuml;berraschte. Er fand auch, da&szlig; von den Frauen ihr Mut aufs &auml;u&szlig;erste entfacht wurde. Der Gedanke, ihre Frauen in Gefangenschaft und Sklaverei fallen zu sehen, war der schrecklichste f&uuml;r den alten Deutschen und stachelte ihn zum &auml;u&szlig;ersten Widerstand an. Aber auch die Frauen waren von einem Geiste beseelt, der den R&ouml;mern imponierte. Als Marius den gefangenen Frauen der Teutonen verweigerte, sie der Vesta (der G&ouml;ttin jungfr&auml;ulicher Keuschheit) als Priesterinnen zu widmen, begingen sie Selbstmord. </P>
<P>Zu Tacitus<75> Zeit waren bereits die Deutschen ans&auml;ssig geworden; die Austeilung des Landes fand allj&auml;hrlich nach Losen statt, daneben bestand Gemeineigentum an Wald, Wasser und Weideland. Ihre <A NAME="S91"><B>|91|</A></B> Lebensweise war noch sehr einfach, ihr Reichtum war haupts&auml;chlich Vieh; ihre Kleidung bestand aus grobem Wollmantel oder Tierfellen. Frauen und Vornehme trugen leinene Unterkleider. Metallbearbeitung war nur bei den St&auml;mmen in Gebrauch, die zu entfernt wohnten f&uuml;r die Einfuhr r&ouml;mischer Industrieprodukte. Das Recht sprach in geringeren Sachen der Rat der Vorsteher, in wichtigeren entschied die Volksversammlung. Die Vorsteher wurden gew&auml;hlt, und zwar meist aus derselben Familie, aber der &Uuml;bergang zum Vaterrecht beg&uuml;nstigte die Erblichkeit der Stellung und f&uuml;hrte schlie&szlig;lich zur Gr&uuml;ndung eines Stammadels, dem sp&auml;ter das K&ouml;nigtum entsprang. Wie in Griechenland und Rom, so ging die deutsche Gens an dem aufkommenden Privateigentum, der Entwicklung von Gewerbe und Handel und durch die Vermischung mit Angeh&ouml;rigen fremder St&auml;mme und V&ouml;lker zugrunde. An Stelle der Gens trat die Markgenossenschaft, die demokratische Organisation freier Bauern, die im Laufe vieler Jahrhunderte in den K&auml;mpfen gegen den Adel, Kirche und F&uuml;rsten ein festes Bollwerk bildete und selbst dann nicht ganz verschwand, nachdem der Feudalstaat zur Herzschaft gelangt war und die ehemals freien Bauern in Scharen zu Leibeigenen und H&ouml;rigen herabgedr&uuml;ckt worden waren. </P>
<P>Die Markgenossenschaft ward repr&auml;sentiert durch die Familienh&auml;upter. Ehefrauen, T&ouml;chter, Schwiegert&ouml;chter waren vom Rate und von der Leitung ausgeschlossen. Die Zeiten, in denen Frauen die Leitung der Gesch&auml;fte eines Stammes besorgten - ein Vorgang, der Tacitus aufs h&ouml;chste befremdete und &uuml;ber den er mit ver&auml;chtlichen Bemerkungen berichtet -, waren vor&uuml;ber. Im f&uuml;nften Jahrhundert hob das Salische Gesetz die Erbnachfolge des weiblichen Geschlechts f&uuml;r Erbstammg&uuml;ter auf. </P>
<P>Jeder m&auml;nnliche Markgenosse hatte, sobald er heiratete, ein Anrecht auf ein Los vom gemeinsamen Grund und Boden. In der Regel lebten Gro&szlig;eltern, Eltern und Kinder unter einem Dache in Hausgenossenschaft, und so kam es h&auml;ufig vor, da&szlig;, um ein weiteres Los zugeteilt zu erhalte&raquo;, der noch unm&uuml;ndige, geschlechtsunreife Sohn durch den Vater an eine mannbare Jungfrau verheiratet wurde und der Vater an Stelle des Sohns die ehem&auml;nnlichen Pflichten erf&uuml;llte.<A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_089.htm#F2">(2)</A></A> <A NAME="S92"><B>|92|</A></B> Junge Eheleute erhielten ein Fuder Buchenholz und das Holz zum Blockhaus. Wurde den Eheleuten eine Tochter geboren, so erhielten sie ein Fuder Holz; war das Neugeborene dagegen ein Sohn, zwei.<A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_089.htm#F3">(3)</A></A> Das weibliche Geschlecht wurde als halbwertig gesch&auml;tzt.<A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_089.htm#F4">(4)</A></A> </P>
<P>Die Eheschlie&szlig;ung war einfach. Eine religi&ouml;se Handlung war unbekannt, die beiderseitige Willenserkl&auml;rung gen&uuml;gte, und sobald das Paar das Ehebett beschritten hatte, war die Ehe geschlossen. Die Sitte, da&szlig; die Ehe zu ihrer G&uuml;ltigkeit eines kirchlichen Aktes bedurfte, kam erst im neunten Jahrhundert auf, und erst im sechzehnten wurde die Ehe auf Beschlu&szlig; des Trientiner Konzils f&uuml;r ein Sakrament der katholischen Kirche erkl&auml;rt.<I> </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_4_2">2. Feudalismus und das Recht der ersten Nacht</A></P>
</I><P>Mit dem Entstehen des Feudalstaats verschlechterte sich der Zustand einer gro&szlig;en Zahl Gemeinfreier. Die siegreichen Heerf&uuml;hrer benutzten ihre Gewalt, um sich gro&szlig;er L&auml;nderstrecken zu bem&auml;chtigen; sie betrachteten sich als Herren des Gemeinguts, das sie an die ihnen ergebene Gefolgschaft: Sklaven, Leibeigene, Freigelassene meist fremder Abstammung, auf Zeit oder mit dem Rechte der Vererbung vergaben. Sie schufen sich dadurch einen Hof- und Dienstadel, der ihnen in allem zu Willen war. Die Bildung eines gro&szlig;en Frankenreichs machte den letzten Resten der alten Gentilverfassung ein Ende. An die Stelle des Rates der Vorsteher traten die Unterf&uuml;hrer des Heeres und der neu aufgekommene Adel. </P>
<P>Allm&auml;hlich geriet die gro&szlig;e Masse der Gemeinfreien durch die fortgesetzten Eroberungskriege und Zwistigkeiten der Gro&szlig;en, f&uuml;r <A NAME="S93"><B>|93|</A></B> die sie die Lasten zu tragen hatten, in einen Zustand der Ersch&ouml;pfung und Verarmung. Der Verpflichtung, den Heerbann zu stellen, konnten sie nicht mehr nachkommen. An ihrer Stelle warben die F&uuml;rsten und der hohe Adel Dienstleute, daf&uuml;r stellten die Bauern sich und ihr Besitztum in den Schutz eines weltlichen oder geistlichen Herrn - denn die Kirche hatte es verstanden, binnen wenigen Jahrhunderten eine gro&szlig;e Macht zu werden -, wof&uuml;r sie Zins und Abgaben leisteten. So wurde das bisher freie Bauerngut in ein Zinsgut umgewandelt, das mit der Zeit mit immer neuen Verpflichtungen beschwert wurde. Einmal in diese abh&auml;ngige Lage gekommen, w&auml;hrte es nicht lange, und der Hauer verlor auch die pers&ouml;nliche Freiheit. H&ouml;rigkeit und Leibeigenschaft gewannen immer mehr an Ausdehnung. </P>
<P>Der Grundherr besa&szlig; die fast unumschr&auml;nkte Verf&uuml;gung &uuml;ber seine Leibeigenen und H&ouml;rigen. Ihm stand das Recht zu, jeden Mann, sobald er das 18. Lebensjahr erreicht hatte, und jedes M&auml;dchen, sobald es 14 Jahre alt geworden war, zu einer Ehe zu n&ouml;tigen. Er konnte dem Mann die Frau, der Frau den Mann vorschreiben. Dasselbe Recht hatte er gegen Witwer und Witwen. Als Herr seiner Untertanen betrachtete er sich als Verf&uuml;ger &uuml;ber die geschlechtliche Ben&uuml;tzung seiner weiblichen Leibeigenen und H&ouml;rigen, eine Gewalt, die in dem jus primae noctis (Recht der ersten Nacht) zum Ausdruck kam. Dieses Recht besa&szlig; auch sein Stellvertreter (Meyer), falls nicht auf die Aus&uuml;bung desselben gegen Leistung einer Abgabe verzichtet wurde, die schon durch ihren Namen ihre Natur verr&auml;t: Bettmund, Jungfernzins, Hemdschilling, Sch&uuml;rzenzins, Bunzengroschen usw. </P>
<P>Es wird vielfach bestritten, da&szlig; dieses Recht der ersten Nacht bestand. Dasselbe ist manchen Leuten recht unbequem, weil es noch in einer Zeit ge&uuml;bt wurde, die man gern von gewisser Seite als musterg&uuml;ltig f&uuml;r Sitte und Fr&ouml;mmigkeit hinstellen m&ouml;chte. Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie dieses Recht der ersten Nacht urspr&uuml;nglich eine Sitte war, die mit der Zeit des Mutterrechts zusammenhing. Mit dem Verschwinden der alten Familienorganisation erhielt sich anfangs der Gebrauch in der Preisgabe der Braut in der Brautnacht an die M&auml;nner der Genossenschaft fort. Aber das Recht schr&auml;nkt sich im Laufe der Zeit ein und geht schlie&szlig;lich auf das Stammesoberhaupt oder den Priester &uuml;ber. Der Feudalherr &uuml;bernimmt es, als Ausflu&szlig; seiner Gewalt &uuml;ber die Person, die zu seinem Grund und. Boden geh&ouml;rt, und er &uuml;bt dieses Recht, falls er will, oder er verzichtet darauf gegen eine <A NAME="S94"><B>|94|</A></B> Leistung von Naturalien oder Geld. Wie real dieses Recht der ersten Nacht war, geht hervor aus Jakob Grimms "Weist&uuml;mer", I, 43, woselbst es hei&szlig;t: "Aber sprechend die Hofl&uuml;t, weller hie zu der helgen see kumbt, der sol einen meyer (Gutsverwalter) laden und ouch sin frowen, da sol der meyer lien dem br&uuml;tgam ein haffen, da er wol mag ein schaff in geseyden, ouch sol der meyer bringen ein fuder holtz an das hochtzit, ouch sol der meyer und sin frow bringen ein viertenteyl einen schwynsbachen, und so die hochtzit vergat, so sol der br&uuml;tgam den meyer by sim wib lassen ligen die ersten nacht, oder er sol sy l&ouml;sen mit 5 schilling 4 pfenning." </P>
<P>Sugenheim <A NAME="ZF5"><A HREF="beaa_089.htm#F5">(5)</A></A> meint, das jus primae noctia als ein Recht des Grundherrn stamme daher, da&szlig; er die Zustimmung zur Verheiratung zu geben hatte. Aus diesem Rechte entsprang in B&eacute;arn, da&szlig; alle erstgeborenen Kinder einer Ehe, in der das jus primae noctis ge&uuml;bt worden war, freien Standes waren. Sp&auml;ter wurde dieses Recht allgemein durch eine Steuer abl&ouml;sbar. Am hartn&auml;ckigsten hielten, nach Sugenheim, an dieser Steuer die Bisch&ouml;fe von Amiens fest, und zwar bis zu Beginn des f&uuml;nfzehnten Jahrhunderts. In Schottland wurde das Recht der ersten Nacht von K&ouml;nig Malcolm III. zu Ende des elften Jahrhunderts durch eine Steuer f&uuml;r abl&ouml;sbar erkl&auml;rt. In Deutschland bestand es aber noch weit l&auml;nger, Nach dem Lagerbuch des schw&auml;bischen Klosters Adelberg vom Jahre 1496 mu&szlig;ten zu B&ouml;rtlingen se&szlig;hafte Leibeigene das Recht damit abl&ouml;sen, da&szlig; der Br&auml;utigam eine Scheibe Salz, die Braut aber 1 Pfund 7 Schilling Heller oder eine Pfanne, "da&szlig; sie mit dem Hinteren darein sitzen kann oder mag", entrichtete. Anderw&auml;rts hatten die Br&auml;ute dem Grundherrn als Abl&ouml;sungsgeb&uuml;hr so viel K&auml;se oder Butter zu entrichten, "als dick und schwer ihr Hinterteil war". An noch anderen Orten mu&szlig;ten sie einen zierlichen Korduansessel, "den sie just damit ausf&uuml;llen konnten", geben.<A NAME="ZF6"><A HREF="beaa_089.htm#F6">(6)</A></A> Nach den Schilderungen des bayerischen Oberappellationsgerichtsrats Welsch <A NAME="ZF7"><A HREF="beaa_089.htm#F7">(7)</A></A> bestand die Verpflichtung zur Abl&ouml;sung des jus primae noctis <A NAME="S95"><B>|95|</A></B> noch im achtzehnten Jahrhundert in Bayern. Ferner berichtete Engels <A NAME="ZF8"><A HREF="beaa_089.htm#F8">(8)</A></A>, da&szlig; bei den Walisern und Skoten sich das Recht der ersten Nacht durch das ganze Mittelalter erhielt, nur da&szlig; hier, bei dem Fortbestand . der Gentilorganisation, nicht der Grundherr oder sein Vertreter, sondern der Clanh&auml;uptling, als Vertreter s&auml;mtlicher Ehem&auml;nner, diesen Recht aus&uuml;bte, sofern es nicht abgekauft wurde. </P>
<P>Es besteht also kein Zweifel, da&szlig; das Recht der ersten Nacht nicht nur w&auml;hrend des Mittelalters, sondern noch bis in die Neuzeit bestand und eine Rolle im Kodex des Feudalrechts spielte. In Polen ma&szlig;ten sich die Edelleute das Recht an, jede Jungfrau zu sch&auml;nden, die ihnen gefiel, und sie lie&szlig;en hundert Stockstreiche dem geben, der sich beklagte. Da&szlig; die Opferung jungfr&auml;ulicher Ehre auch noch heute dem Grundherrn oder seinen Beamten als etwas Selbstverst&auml;ndliches erscheint, das kommt nicht nur, weit h&auml;ufiger als man glaubt, in Deutschland vor, sondern auch sehr h&auml;ufig, wie Kenner von Land und Leuten behaupten, im ganzen Osten und S&uuml;dosten Europas. </P>
<P>In der Feudalzeit waren die Eheschlie&szlig;gngen im Interesse des Grundherrn, denn die daraus erwachsenden Kinder traten zu ihm m dasselbe Untert&auml;nigkeitsverh&auml;ltnis wie ihre Eltern; seine Arbeitskr&auml;fte wurden dadurch vermehrt und hoben sein Einkommen. Daher beg&uuml;nstigten<I> geistliche</I> und<I> weltliche</I> Grundherren die Eheschlie&szlig;ungen ihrer Untertanen. Anders gestaltete sich das Verh&auml;ltnis f&uuml;r die Kirche, wenn sie Aussicht hatte, infolge von Eheverhinderungen durch Verm&auml;chtnis Land in kirchlichen Besitz zu bringen. Das betraf aber in der Regel nur die niederen Freien, deren Lage durch Umst&auml;nde, wie sie angedeutet wurden, immer unhaltbarer wurde und die ihr Besitztum an die Kirche abtraten, um hinter den Klostermauern Schutz und Frieden zu suchen. Andere wieder begaben sich gegen Leistung von Abgahen und Diensten in den Schutz der Kirche. H&auml;ufig verfielen aber auf diesem Wege ihre Nachkommen dem Los, dem ihre Vorfahren entrinnen wollten, sie gelangten allm&auml;hlich in die H&ouml;rigkeit der Kirche, oder man machte sie zu Novizen f&uuml;r die Kl&ouml;ster.</P>
<I><P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_4_3">3. Das Aufbl&uuml;hen der St&auml;dte. Klosterwesen und Prostitution</A></P>
</I><B><P><A NAME="S96">|96|</A></B> Die seit dem elften Jahrhundert aufbl&uuml;henden St&auml;dte hatten ein lebhaftes Interesse, den Bev&ouml;lkerungszuwachs zu beg&uuml;nstigen, indem sie die Niederlassung und die Eheschlie&szlig;ung m&ouml;glichst erleichterten; sie wurden Asyle f&uuml;r die dem unertr&auml;glichen Drucke sich entziehenden Landbewohner, f&uuml;r fl&uuml;chtige Leibeigene und H&ouml;rige. Aber sp&auml;ter &auml;nderten sich wieder diese Verh&auml;ltnisse. Sobald die St&auml;dte Macht erlangt hatten und ein sich behaglich f&uuml;hlender Handwerkerstand vorhanden war, wuchs bei diesem die Feindseligkeit gegen Neuhinzuziehende, die sich als Handwerker niederlassen wollten, in denen man unbequeme Konkurrenten erblickte. Es wurden Schranken gezogen gegen die Neuanziehenden. Hohe Niederlassungsgeb&uuml;hren, kostspielige Meisterpr&uuml;fungen, Beschr&auml;nkung der Gewerbe auf eine gewisse Kopfzahl von Meistern und Gesellen zwangen Tausende zur Unselbst&auml;ndigkeit, zum au&szlig;erehelichen Leben und zur Vagabondage. Als dann im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts, aus sp&auml;ter anzuf&uuml;hrenden Ursachen, die Bl&uuml;tezeit der St&auml;dte vor&uuml;ber war und ihr Verfall begann, lag es in den beschr&auml;nkten Anschauungen der Zeit, da&szlig; die Hindernisse zur Niederlassung und Selbst&auml;ndigmachung sich noch vermehrten. Andere Ursachen wirkten ebenfalls mit. </P>
<P>Die Tyrannei der Grundherren steigerte sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt so, da&szlig; viele ihrer Untertanen vorzogen, ihr Jammerleben mit dem Gesch&auml;ft des Bettlers, des Landstreichers oder R&auml;ubers, das durch die gro&szlig;en W&auml;lder und den schlechten Zustand der Verkehrswege beg&uuml;nstigt wurde, zu vertauschen. Oder sie wurden, bei den vielen kriegerischen Streitigkeiten jener Zeit, Landsknechte (S&ouml;ldner), die sich dorthin verkauften, wo der Sold am gr&ouml;&szlig;ten war und die reichste Beute lachte. Es entstand ein zahlreiches m&auml;nnliches und weibliches Lumpenproletariat, das zur Landplage wurde. Die Kirche trug zur allgemeinen Verderbnis redlich bei. Lag schon in der z&ouml;libat&auml;rischen Stellung der Geistlichkeit eine Hauptursache zur F&ouml;rderung geschlechtlicher Ausschweifungen, so wurden diese durch den unausgesetzten Verkehr mit Italien und Rom noch beg&uuml;nstigt. </P>
<P>Rom war nicht blo&szlig; die Hauptstadt der Christenheit, weil Residenz des Papsttums, es war auch, getreu seiner Vergangenheit in der heidnischen Kaiserzeit, das neue Babel, die europ&auml;ische Hochschule der Unsittlichkeit geworden und der p&auml;pstliche Hof ihr vornehmster Sitz. <A NAME="S97"><B>|97|</A></B> Das r&ouml;mische Reich hatte bei seinem Zerfall dem christlichen Europa alle seine Laster hinterlassen. Diese wurden in Italien gepflegt, und sie drangen von dort, beg&uuml;nstigt durch den Verkehr der Geistlichkeit mit Rom, nach Deutschland. Die ungemein zahlreiche Geistlichkeit, die zu einem gro&szlig;en Teil aus M&auml;nnern bestand, deren geschlechtliche Bed&uuml;rfnisse durch tr&auml;ges und &uuml;ppiges Leben aufs &auml;u&szlig;erste gesteigert Wurden und durch erzwungene Ehelosigkeit auf illegitime Befriedigung oder auf widernat&uuml;rliche Wege gewiesen war, trug die Sittenlosigkeit in alle Kreise der Gesellschaft; sie wurde eine pestartige Gefahr f&uuml;r die Moral des weiblichen Geschlechtes in St&auml;dten und D&ouml;rfern. M&ouml;nchs- und Nonnenkl&ouml;ster, und ihre Zahl war Legion, unterschieden sich nicht selten von &ouml;ffentlichen H&auml;usern nur dadurch, da&szlig; darin das Leben noch z&uuml;gelloser und ausschweifender war. Und zahlreiche Verbrechen, namentlich Kindesmorde, konnten dort um so leichter verborgen v erden, weil in ihnen nur diejenigen die Gerichtsbarkeit aus&uuml;ben durften, die oft mit an der Spitze dieser Verderbnis standen. Vielfach suchten Dauern ihre Frauen und T&ouml;chter vor geistlicher Verf&uuml;hrung dadurch zu sichern, da&szlig; sie keinen als Seelenhirten annahmen, der sich nicht verpflichtete, eine Konkubine zu nehmen. Ein Umstand, der einen Bischof von Konstanz veranla&szlig;te, den Pfarrern seiner Di&ouml;zese eine Konkubinensteuer aufzuerlegen. Aus solchen Zust&auml;nden erkl&auml;rt sich die historisch beglaubigte Tatsache, da&szlig; in dem von unseren R.omantikern als so fromm und sittsam dargestellten Mittelalter zum Beispiel 1414 auf dem Konzil zu Konstanz nicht weniger als 1500 fahrende Frauen anwesend waren. </P>
<P>Diese Zust&auml;nde traten aber keineswegs erst beim Verfall des Mittelalters auf, sie begannen schon fr&uuml;hzeitig und gaben unausgesetzt zu Klagen und Verordnungen Anla&szlig;. So erlie&szlig; im Jahre 802 Karl der Gro&szlig;e eine Verordnung, in der es hie&szlig;: "Die Frauenkl&ouml;ster sollen streng bewacht werden, die Nonnen d&uuml;rfen nicht umherschweifen, sondern sollen mit gr&ouml;&szlig;tem Flei&szlig; verwahrt werden, auch sollen sie nicht in Streit und Hader untereinander leben und in keinem St&uuml;ck den Meisterinnen oder &Auml;btissinnen ungehorsam oder zuwider handeln. Wo sie aber unter eine Klosterregel gestellt sind, sollen sie dieselbe durchaus einhalten. Nicht der Hurerei, nicht dem Volltrinken, nicht der Habsucht sollen sie dienen, sondern auf jede Weise gerecht und n&uuml;chtern leben. Auch soll kein Mann in ihr Kloster eintreten als blo&szlig; zur Messe, und dann soll er gleich wieder weggehen." Und eine <A NAME="S98"><B>|98|</A></B> Verordnung vom Jahre 869 bestimmte. "Wenn Priester<I> mehrere</I> Frauen halten, oder das Blut von Christen oder Heiden vergie&szlig;en, oder die kanonische Regel brechen, so sollen sie des Priestertums beraubt werden, weil sie schlechter sind als Laien!" Die Tatsache, da&szlig; in jener Zeit der Besitz mehrerer Frauen den Priestern verboten wurde, spricht daf&uuml;r, da&szlig; noch im neunten Jahrhundert Ehen mit mehreren Frauen keine Seltenheit waren. In der Tat bestanden keine Gesetze, die dieses verboten. </P>
<P>Ja, noch sp&auml;ter, zur Zeit der Minnes&auml;nger, im zw&ouml;lften und dreizehnten Jahrhundert, fand man den Besitz mehrerer Frauen nicht anst&ouml;&szlig;ig. So hei&szlig;t es zum Beispiel in einem Gedicht Albrechts von Johansdorf in der Sammlung "Minnesangs-Fr&uuml;hling"<A NAME="ZF9"> <A HREF="beaa_089.htm#F9">(9)</A></A> : </P>
<FONT SIZE=2><P>Waere ez niht unstaete <BR>
der zwein w&icirc;ben wolte s&icirc;n f&uuml;r eigen jehen, <BR>
bei diu tougenl&icirc;che? sprechet, herre, wurre ez iht? <BR>
(man sol ez den man erlouben und den vromven nicht.) </P>
</FONT><P>Besonders verh&auml;ngnisvoll f&uuml;r den moralischen Zustand der Zeit wirkten auch die Kreuzz&uuml;ge, die Zehntausende von M&auml;nnern auf Jahre der Heimat fernhielten und die namentlich im ostr&ouml;mischen Reich Sitten kennenlernten, die bis dahin in Westeuropa so gut wie unbekannt waren. </P>
<P>Die Lage der Frauen wurde auch dadurch besonders ung&uuml;nstig, da&szlig; neben den Hindernissen, die allm&auml;hlich die Verehelichung und die Niederlassung erschwerten, ihre Zahl die der M&auml;nner bedeutend &uuml;berschritt. Als besondere Ursachen hierf&uuml;r sind in erster Linie anzusehen die zahlreichen Kriege, K&auml;mpfe und Fehden und die gefahrvollen Handelsreisen jener Zeit. Ferner war infolge von Unm&auml;&szlig;igkeit und V&ouml;llerei die Sterblichkeit der M&auml;nner gr&ouml;&szlig;er, und die aus dieser Lebensweise hervorgehende erh&ouml;hte Disposition zu Krankheiten und Tod machte sich besonders geltend w&auml;hrend der Pest, die im Mittelalter so h&auml;ufig w&uuml;tete. So z&auml;hlte man in dem Zeitraum von 1326 bis 1400 zweiunddrei&szlig;ig, von 1400 bis 1500 einundvierzig und von 1500 bis 1600 drei&szlig;ig Pestjahre.<A NAME="ZF10"><A HREF="beaa_089.htm#F10">(10)</A></A></P>
<P>Scharen von Frauen trieben sich auf den Landstra&szlig;en als Gauklerinnen, S&auml;ngerinnen, Spielerinnen in Gesellschaft von fahrenden Sch&uuml;lern und Klerikern umher und &uuml;berschwemmten die Messen und <A NAME="S99"><B>|99|</A></B> M&auml;rkte. In den Heeren der Landsknechte bildeten sie besondere Abteilungen mit ihrem eigenen Weibel und wurden, dem Zunftcharakter der Zeit entsprechend, z&uuml;nftlerisch organisiert und nach Sch&ouml;nheit und Alter den verschiedenen Chargen zugewiesen. Bei schwerer Strafe durften sie sich au&szlig;erhalb dieses Kreises keinem hingeben. In den Lagern mu&szlig;ten sie mit den Tro&szlig;buben Heu, Stroh und Holz herbeischleppen, Gr&auml;ben, Teiche und Gruben ausf&uuml;llen, die Reinigung des Lagers besorgen. Bei Belagerungen hatten sie mit Reisig, Wellen und B&uuml;scheln die Gr&auml;ben auszuf&uuml;llen, um das St&uuml;rmen zu erleichtern; sie waren behilflich, die Gesch&uuml;tze in Position zu bringen, und mu&szlig;ten, wenn diese in den grundlosen Wegen steckenblieben, an der Fortschaffung derselben helfen. <A NAME="ZF11"><A HREF="beaa_089.htm#F11">(11)</A></A></P>
<P>Um dem Elend dieser zahlreichen hilflosen Frauen einigerma&szlig;en entgegenzuwirken, errichtete man seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in vielen St&auml;dten sogenannte Beginenanstalten, die unter st&auml;dtischer Verwaltung standen. In diesen untergebracht, waren sie gehalten, einen anst&auml;ndigen Lebenswandel zu f&uuml;hren. Aber weder waren diese Anstalten noch die zahlreichen Frauenkl&ouml;ster imstande, alle Hilfesuchenden aufzunehmen. </P>
<P>Die Eheerschwernisse, die Reisen der F&uuml;rsten, der Herren weltlichen und geistlichen Standes mit ihrem Tro&szlig; an Rittern und Knechten, die nach den St&auml;dten kamen, die M&auml;nnerjugend in den St&auml;dten selbst, nicht zu vergessen die verheiratete M&auml;nnerwelt, die lebenslustig, von Skrupeln nicht ber&uuml;hrt, nach Abwechslung im Lebensgenu&szlig; trachtete, schufen auch in den St&auml;dten des Mittelalters das Bed&uuml;rfnis nach Prostituierten. Und wie jedes Gewerbe in jener Zeit organisiert und reguliert wurde und ohne Zunftordnung nicht bestehen konnte, so geschah das auch mit der Prostitution. Es gab in allen gr&ouml;&szlig;eren St&auml;dten Frauenh&auml;user, die st&auml;dtisches, landesf&uuml;rstliches oder kirchliches Regal waren, deren Reinertr&auml;ge in die bez&uuml;glichen Kassen flossen. Die Frauen in diesen H&auml;usern hatten eine selbstgew&auml;hlte Altmeisterin, die auf Zucht und Ordnung zu sehen und insbesondere eifrig dar&uuml;ber zu wachen hatte, da&szlig; nichtz&uuml;nftige Konkurrentinnen, die "B&ouml;nhasen", dem legitimen Gesch&auml;ft nicht schadeten. Im Falle des Ertapptwerdens wurden sie beh&ouml;rdlich bestraft. So beschwerten sich die Bewohnerinnen eines N&uuml;rnberger Frauenhauses &uuml;ber ihre nichtz&uuml;nftigen Konkurrentinnen bei dem Magistrat, "da&szlig; <A NAME="S100"><B>|100|</A></B> auch andere Wirte Frauen halten, die nachts auf die Gassen gehen und Ehem&auml;nner und andere M&auml;nner beherbergen und solches (ihr Gewerbe) inma&szlig;en und viel gr&ouml;ber, denn sie es halten, in dem gemeinen (z&uuml;nftigen) Tochterhaus, da&szlig; solches zum Erbarmen sei, da&szlig; solches in dieser l&ouml;blichen Stadt also gehalten werde"<A NAME="ZF12"><A HREF="beaa_089.htm#F12">(12)</A></A>. Die Frauenh&auml;user genossen besonderen Schutz; Ruhest&ouml;rungen in ihrer N&auml;he wurden doppelt hart geahndet. Auch hatten die weiblichen Zunftgenossen das Recht, bei Prozessionen und Festlichkeiten, bei denen die Z&uuml;nfte stets mitwirkten, ebenfalls im Zuge zu erscheinen. Nicht selten wurden sie auch zu f&uuml;rstlichen und Ratstafeln als G&auml;ste gezogen. Die Frauenh&auml;user wurden f&uuml;r dienlich erachtet "zu besserer Bewahrung der Ehe und der Ehre der Jungfrauen". Das ist dieselbe Begr&uuml;ndung, mit der man in Athen die Staatsbordelle rechtfertigte und noch heute die Prostitution entschuldigt. Indes fehlte es auch nicht an gewaltt&auml;tigen Verfolgungen der Freudenm&auml;dchen, die ausgingen von derselben M&auml;nnerwelt, die durch ihre Anforderungen und ihr Geld die Prostituierten unterhielten. So verordnete Kaiser Karl der Gro&szlig;e, da&szlig; eine Prostituierte nackt auf den Markt geschleppt und ausgepeitscht werden solle; er selbst, der "allerchristlichste" K&ouml;nig und Kaiser, hatte nicht weniger als sechs Frauen auf einmal; auch waren seine T&ouml;chter, die offenbar dem Beispiel des Vaters folgten, keineswegs Tugendboldinnen. Sie bereiteten ihm durch ihren Lebenswandel manche unangenehme Stunde und brachten auch mehrere uneheliche Kinder ihm heim. Alkuin, Karls des Gro&szlig;en Freund und Ratgeber, warnte seine Sch&uuml;ler vor den "gekr&ouml;nten Tauben, die n&auml;chtlich durch die Pfalz fliegen", worunter er des Kaisers T&ouml;chter verstand. </P>
<P>Dieselben Gemeinwesen, die das Bordellwesen offiziell organisierten und es unter ihren Schutz nahmen und den Priesterinnen der Venus allerlei Privilegien einr&auml;umten, verh&auml;ngten die h&auml;rtesten und grausamsten Strafen &uuml;ber eine arme, verlassene Gefallene. Die Kindsm&ouml;rderin, die aus Verzweiflung ihre Leibesfrucht get&ouml;tet hatte, wurde den grausamsten Todesstrafen unterworfen, nach dem gewissenlosen Verf&uuml;hrer kr&auml;hte kein Hahn. Er sa&szlig; vielleicht mit im Gericht, welches &uuml;ber das arme Opfer das Todesurteil f&auml;llte. Dergleichen kommt noch heute vor.<A NAME="ZF13"><A HREF="beaa_089.htm#F13">(13)</A></A> Auch der Ehebruch der Frau wurde aufs h&auml;r- <A NAME="S101"><B>|101|</A></B> teste bestraft, der Pranger war ihr mindestens sicher, aber &uuml;ber den Ehebruch des Mannes wurde der Mantel christlicher Liehe gedeckt.. </P>
<P>In W&uuml;rzburg schwor der Frauenwirt dem Magistrat, "der Stadt treu und hold zu sein und Frauen zu werben". &Auml;hnlich in N&uuml;rnberg, Ulm, Leipzig, K&ouml;ln. Frankfurt usw. In Ulm, in dem in dem 1537 die Frauenh&auml;user aufgehoben wurden, beantragten 1551 die Z&uuml;nfte wieder ihre Einf&uuml;hrung, "um gr&ouml;&szlig;eres Unwesen zu verh&uuml;ten"! Hohen Fremden wurden auf Stadtkosten Freudenm&auml;dchen zur Verf&uuml;gung gestellt.. Als K&ouml;nig Ladislaus 1452 in Wien einzog, sandte ihm der Magistrat eine Deputation aus &ouml;ffentlichen Dirnen entgegen, die, nur mit leichter Gaze bekleidet, die sch&ouml;nsten K&ouml;rperformen zeigten. Und Kaiser Karl V. wurde bei seinem Einzug in Antwerpen ebenfalls von einer Deputation nackter M&auml;dchen begr&uuml;&szlig;t, eine Szene, die Hans Makart in einem gro&szlig;en Gem&auml;lde, das sich im Museum zu Hamburg befindet, verherrlichte. Solche Vorkommnisse erregten in jener Zeit kaum Ansto&szlig;.<I> </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_4_4">4. Rittertum und Frauenverehrung</A></P>
</I><P>Phantasiereiche Romantiker und Leute von schlauer Berechnung haben den Versuch gemacht, das Mittelalter als besonders sittlich und als beseelt von wahrer Frauenverehrung darzustellen. Dazu mu&szlig; besonders die Zeit der Minnes&auml;nger - vom zw&ouml;lften bis zum vierzehnten Jahrhundert - die Folie geben. Der Minnedienst (Liebesdienst) des Rittertums, den es zuerst bei den Moriscos in Spanien kennenlernte, soll Zeugnis f&uuml;r die hohe Achtung ablegen, in der zu jener Zeit die Frau stand. Da ist an einiges zu erinnern. Erstens bildet die Ritterschaft nur einen sehr geringen Prozentsatz der Bev&ouml;lkerung und dementsprechend auch die Ritterfrauen von den Frauen; zweitens hat nur ein sehr. kleiner Teil der Ritterschaft jenen so verherrlichten Minnedienst ge&uuml;bt; drittens ist die wahre Natur dieses Minnedienstes stark verkannt oder entstellt worden, Das Zeitalter, in dem dieser Minnedienst bl&uuml;hte, war das<I> Zeitalter des schlimmsten Faustrechtes</I> in Deutschland, in dem alle Bande der Ordnung gel&ouml;st waren und die <A NAME="S102"><B>|102|</A></B> Ritterschaft sich ungez&uuml;gelt der Wegelagerei, dem Raub und der Brandschatzung hingab. Eine solche Zeit der brutalsten Gewaltt&auml;tigkeiten ist keine, in der milde und poetische Gef&uuml;hle vorherrschen. Im Gegenteil. Diese Zeit trug wesentlich dazu bei, die etwa noch vorhandene Achtung vor dem weiblichen Geschlecht zu zerst&ouml;ren. Die Ritterschaft, und zwar auf dem Lande wie in den St&auml;dten, bestand zu einem gro&szlig;en Teil aus rohen, w&uuml;sten Gesellen, deren vornehmste Leidenschaft, neben Fehden und unm&auml;&szlig;igem Trinken, die z&uuml;gelloseste Befriedigung geschlechtlicher Begierden war. Die Chronisten jener Zeit wissen nicht genug von Notzucht und Gewalttat zu erz&auml;hlen, die sich der Adel sowohl auf dem Lande wie in den St&auml;dten zuschulden kommen lie&szlig;, in denen er bis zum dreizehnten und teilweise bis ins vierzehnte und f&uuml;nfzehnte Jahrhundert das Stadtregiment in der Hand hatte. Und die Mi&szlig;handelten besa&szlig;en selten die M&ouml;glichkeit, sich Recht zu verschaffen, denn in der Stadt besetzten die Junker die Sch&ouml;ffenbank, und auf dem Lande war es der Grundherr, dem der Blutbann zustand. Es ist also arge &Uuml;bertreibung, da&szlig; Adel und Herrentum mit solchen Sitten und Gewohnheiten eine besondere Achtung vor den Frauen hatten und sie als eine Art h&ouml;herer Wesen auf den H&auml;nden trugen. </P>
<P>Eine sehr kleine Minderheit der Ritterschaft schien f&uuml;r Frauensch&ouml;nheit zu schw&auml;rmen, aber diese Schw&auml;rmerei war keineswegs platonisch, sondern verfolgte sehr reale Zwecke. Selbst jener Harlekin unter den Schw&auml;rmern "f&uuml;r minnigliche Frauen", jener Ulrich von Lichtenstein l&auml;cherlichen Angedenkens, war nur so lange Platoniker, als er es sein mu&szlig;te. Im Grunde genommen war jener Minnedienst die Verg&ouml;tterung der Liebsten auf Kosten - der legitimen Frau,<I> ein ins Mittelalterlich-Christliche &uuml;bertragener Het&auml;risrnus</I>, wie er zur Zeit des Perikles in Griechenland bestand. Die gegenseitige Verf&uuml;hrung der Frauen war auch in der Ritterschaft ein stark ge&uuml;bter Minnedienst, so wie sich heute &auml;hnliches in gewissen Kreisen unserer Bourgeoisie wiederholt. </P>
<P>Unzweifelhaft lag in jenem Zeitalter in dem<I> offenen</I> Rechnungtragen der Sinnenlust die Anerkennung, da&szlig; der in jeden gesunden und reifen Menschen eingepflanzte Naturtrieb die Berechtigung hat, befriedigt zu werden. Insofern lag darin ein Sieg der gesunden Natur &uuml;ber die Aszese des Christentums. Andererseits mu&szlig; immer wieder hervorgehoben werden, da&szlig; diese Anerkennung nur f&uuml;r das eine Ge- <A NAME="S103"><B>|103|</A></B> schlecht in Betracht kam, da&szlig; hingegen das andere behandelt wurde, als k&ouml;nnte und d&uuml;rfte es nicht die gleichen Triebe haben. Die geringste &Uuml;bertretung von seiner Seite, der von der M&auml;nnerwelt vorgeschriebenen Moralgesetze, wurde auf das h&auml;rteste bestraft. Und das weibliche Geschlecht hat infolge fortgesetzter Unterdr&uuml;ckung und eigenartiger Erziehung sich so in den Ideengang seines Beherrschers hineingelebt, da&szlig; es diesen Zustand bis heute nat&uuml;rlich findet. </P>
<P>Gab es nicht auch Millionen Sklaven, die die Sklaverei nat&uuml;rlich fanden und sich nie befreit h&auml;tten, erstanden ihnen nicht aus der Klasse der Sklavenhalter die Befreier? Petitionierten doch preu&szlig;ische Bauern, als sie infolge der Steinschen Gesetzgebung aus der H&ouml;rigkeit befreit werden sollten, darum, sie darin zu lassen, "denn wer solle f&uuml;r sie sorgen, wenn sie krank w&uuml;rden oder alt seien"? Und ist es bei der modernen Arbeiterbewegung nicht &auml;hnlich? Wie viele Arbeiter lassen sich noch von ihren Ausbeutern beeinflussen und willenlos leiten! </P>
<P>Der Unterdr&uuml;ckte bedarf des Anregers und Anfeuerers, weil ihm die Unabh&auml;ngigkeit. zur Initiative fehlt. So war es in der modernen Proletarierbewegung, und so ist es in dem Kampfe f&uuml;r die Emanzipation der Frau. Sogar dem in seinem Befreiungskampf vergleichsweise g&uuml;nstig gestellten B&uuml;rgertum brachen adlige und geistliche Wortf&uuml;hrer die Hahn. </P>
<P>Wie viele M&auml;ngel das Mittelalter hatte, es besa&szlig; eine gesunde Sinnlichkeit, die einer kernhaften, lebensfrohen Volksnatur entsprang, die das Christentum nicht zu unterdr&uuml;cken vermochte. Die heuchlerische Pr&uuml;derie und versteckte L&uuml;sternheit unserer Zeit, die sich scheut und sperrt, die Dinge beim rechten Namen zu nennen und &uuml;ber nat&uuml;rliche Dinge nat&uuml;rlich zu sprechen, war ihm fremd. Es kannte auch nicht jene pikante Zweideutigkeit, in die man Dinge, die man aus mangelnder Nat&uuml;rlichkeit oder aus Sitte gewordener Pr&uuml;derie nicht offen nennen will, einh&uuml;llt und damit um so gef&auml;hrlicher macht, weil eine solche Sprache reizt, aber nicht befriedigt, nur ahnen l&auml;&szlig;t, aber nicht klar ausspricht. Unsere gesellschaftliche Unterhaltung, unsere Romane und unsere Theater sind voll dieser pikanten Zweideutigkeiten, und die Wirkung davon liegt zutage. Dieser Spiritualismus des Rou&eacute;s, der sich hinter den religi&ouml;sen Spiritualismus versteckt, hat eine gewaltige Macht. </P>
<P ALIGN="CENTER"><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Engels, Der Ursprung der Familie usw. <A HREF="beaa_089.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Dasselbe trug sich unter der Herrschaft des Mir in Ru&szlig;land zu. Siehe de Laveleye, Das Ureigentum, &uuml;bersetzt von Karl B&uuml;cher. Autorisierte deutsche Auflage. S. 35. Leipzig 1879. <A HREF="beaa_089.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Eyn iglich g&egrave;furster man, der ein kindbette hat, ist sin kint eyn dochter, so mag er eyn wagen vorn bornholzes von urholz verkaufen of den samstag. Ist iz eyn sone, so mag he iz tun of den dinstag und of den samstag von ligendem holz oder von urholz und sal der Frauwen davon kaufen win und schon brod, dyeweile sie kintes june lit. G. L. v. Maurer, Geschichte der Markverfassung in Deutschland. <A HREF="beaa_089.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Das kommt auch noch heute vor. Daf&uuml;r spricht eine in Amrischwend bei St. Blasien &uuml;bliche Begr&uuml;&szlig;ung, die der Vater bei der Nachricht von der Geburt eines Kindes &auml;u&szlig;ert. Ist es ein M&auml;dchen, so ruft er: Potz hundert Sappermost! Ist es aber ein Sohn, dann: Potz tusig Sappermost! Badisches Volksleben im neunzehnten Jahrhundert, von Eduard Hugo Maier. Stra&szlig;burg 1900. <A HREF="beaa_089.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und H&ouml;rigkeit in Europa bis um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. St. Petersburg 1861. <A HREF="beaa_089.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Memminger, St&auml;lin und andere, Beschreibung der w&uuml;rttembergischen &Auml;mter. Heft 20. (Oberamt G&ouml;ppingen,) Hormayr, Die Bayern im Morgenlande. Anmerkung S. 38. Siehe Sugenheirn, a. a. O., S. 360. <A HREF="beaa_089.htm#ZF6">&lt;=</A> </P>
<P><A NAME="F7">(7)</A> &Uuml;ber Stetigung und Abl&ouml;sung der b&auml;uerlichen Grundlasten mit besonderer R&uuml;cksicht auf Bayern, W&uuml;rttemberg, Baden, Hessen, Preu&szlig;en und &Ouml;sterreich. Landshut 1848. <A HREF="beaa_089.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">(8)</A> A. a. O., S. 97. <A HREF="beaa_089.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">(9)</A> Sammlung von Karl Lachmann und Moritz Haupt. Leipzig 1857, S. Hirzel. <A HREF="beaa_089.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">(10)</A> Dr. Karl B&uuml;cher, Die Frauenfrage im Mittelalter. S. 6 bis 7. T&uuml;bingen 1883. <A HREF="beaa_089.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F11">(11)</A> Dr. Karl B&uuml;cher, a. a. O., S. 35. <A HREF="beaa_089.htm#ZF11">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F12">(12)</A> Joh. Scherr, Geschichte der deutschen Frauenwelt. 4. Auflage. Leipzig 1879. <A HREF="beaa_089.htm#ZF12">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F13">(13)</A> Leon Richter berichtet in "La femme libre" einen Fall, wonach in Paris ein Dienstm&auml;dchen wegen Kindesmordes durch den<I> Vater ihres eigenen Kindes,</I> einen angesehenen,<I> frommen</I> Advokaten, der mit im Schwurgericht sa&szlig;, verurteilt wurde. Noch mehr.<I> Der Advokat war sogar selbst der M&ouml;rder und die Mutter vollkommen unschuldig,</I> wie diese<I> erst nach</I> ihrer Verurteilung vor dem Gericht bekannte. <A HREF="beaa_089.htm#ZF13">&lt;=</A></P></BODY>
</HTML>