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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die Polendebatte in Frankfurt</title>
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<p align="center"><a href="me05_315.htm"><font size="2">Der "Musterstaat" Belgien</font></a>
<font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
"2">|</font> <a href="me05_364.htm"><font size="2">Das deutsche Reichsb&uuml;rgerrecht und die
preu&szlig;ische Polizei</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 319-363<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small>
<p class="RedNote">
Am 27. Juli 1848 hatte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche nach einer
dreit&auml;gigen Debatte beschlossen, den gr&ouml;&szlig;ten Teil des preu&szlig;isch
besetzten Teils von Polen in den Deutschen Bund aufzunehmen, d.h. zu annektieren. In der
hier wiedergegebenen Artikelserie unterwarf die Neue Rheinische Zeitung die Debatte einer bei&szlig;enden Kritik und
wiederholte ihre strategische Position, wonach Polen als die "notwendige Nation" als
wiedervereinigter und unabh&auml;ngiger Staat wiederhergestellt werden m&uuml;&szlig;te,
durchzusetzen durch einen revolution&auml;ren Krieg gegen das zaristische Ru&szlig;land,
was wiederum untrennbar verbunden sei mit der Errichtung von Deutschland, Ungarn und
Italien als Republiken.</p>
<p class="RedNote">
Ein halbes Jahrhundert sp&auml;ter hat Franz Mehring in seinem Vorwort
zu der dreib&auml;ndigen Ausgabe von Schriften von Marx und Engels den historischen Kontext
dieser im Jahre 1848 aktuellen Artikel dargestellt und einige kritische Anmerkungen dazu gemacht.
Siehe den Artikel "<a href="http://www.mlwerke.de/me/me05/..\..\fm\fm07\fm07_035.htm">Die polnische Frage</a>" in unserem Archiv.</p>
<p class="RedNote">Der von Engels kritisierte Ausschu&szlig;bericht, der m&uuml;ndliche Bericht von Stenzel dazu
sowie die Diskussionsbeitr&auml;ge der Abgeordneten kann man online
im Digitalisat des Wortprotokolls der Nationalversammlung bei der Bayerischen Staatsbibliothek nachlesen:
<a href="http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00011909/image_354">
Stenographischer Bericht &uuml;ber die Verhandlungen der
deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main.
Hrsg. auf Beschluss der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission
und in deren Auftrag von Franz Wigard, Frankfurt a. M., Bd. 2 1848, S. 1124-1129</a>
<br/>
<em>Red. mlwerke.de</em>
</p>
<h1>Die Polendebatte in Frankfurt</h1>
<p class="Autorinfo">Geschrieben von Friedrich Engels</p>
<ol>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-09">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 70 vom 9. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-12">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 73 vom 12. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-20">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 81 vom 20. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-22">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 82 vom 22. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-26">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 86 vom 26. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-08-31">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 90 vom 31. August 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-09-01">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 91 vom 1. September 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-09-03">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 93 vom 3. September 1848]</a></li>
<li><a href="me05_319.htm#NRhZ_1848-09-07">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 96 vom 7. September 1848]</a></li>
</ol>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-09">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 70 vom 9. August
1848]</a></p>
<p><b><a name="S319">&lt;319&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 7. August. Die Frankfurter
Versammlung, deren Debatten selbst in den erregtesten Momenten nie den Charakter einer echt
deutschen Gem&uuml;tlichkeit verloren, hat sich endlich bei der Posener Frage emporgerafft.
Hier, wo preu&szlig;ische Schrapnells und gehorsame Bundestagsbeschl&uuml;sse ihr vorgearbeitet
hatten, hier mu&szlig;te sie einen entscheidenden Beschlu&szlig; fassen; hier war keine
Vermittlung m&ouml;glich; sie mu&szlig;te Deutschlands Ehre retten oder sie abermals beflecken.
Die Versammlung hat unsern Erwartungen entsprochen; sie hat die sieben Teilungen Polens
sanktioniert, sie hat die Schmach von 1772, 1794 und 1815 von den Schultern der deutschen
F&uuml;rsten auf ihre eigenen Schultern gew&auml;lzt.</p>
<p>Noch mehr! Die Frankfurter Versammlung hat die sieben Teilungen Polens f&uuml;r ebenso viele
an die Polen verschwendete Wohltaten erkl&auml;rt. Hat nicht das gewaltsame Eindringen der
j&uuml;disch-germanischen Race Polen zu einer H&ouml;he der Kultur, zu einer Stufe der
Wissenschaft emporgeschwungen, von der das Land fr&uuml;her keine Ahnung hatte? Verblendete,
undankbare Polen! H&auml;tte man euch nicht geteilt, ihr selbst m&uuml;&szlig;tet bei der
Frankfurter Versammlung um die Gnade nachsuchen, geteilt zu werden!</p>
<p>Der Pfarrer Bonavita Blank im Kloster Paradies bei Schaffhausen erzog sich Elstern und Stare
zum Aus- und Einfliegen. Er hatte ihnen die untere H&auml;lfte des Schnabels ausgeschnitten,
da&szlig; sie ihr Futter nicht selbst suchen, sondern es blo&szlig; aus seiner Hand empfangen
konnten. Die Philister, welche von fern die V&ouml;gel auf die Schultern des Ehrw&uuml;rdigen
fliegen und vertraulich mit ihm verkehren sahen, bewunderten seine hohe Kultur und
Wissenschaft. - Die V&ouml;gel, sagt sein Biograph, <i>liebten</i> ihn <i>wie ihren
Wohlt&auml;ter</i>.</p>
<p>Und die gefesselten, verst&uuml;mmelten, gebrandmarkten Polen wollen ihre Wohlt&auml;ter
nicht lieben!</p>
<p><b><a name="S320">&lt;320&gt;</a></b> Wir k&ouml;nnen die den Polen durch das
Preu&szlig;entum erwiesenen Wohltaten nicht besser schildern, als indem wir auf den
v&ouml;lkerrechtlichen Ausschu&szlig;bericht des gelehrten Historienschreibers, Herrn
<i>Stenzel</i>, eingehen, den Bericht, der der Debatte als Text zugrunde liegt.</p>
<p>Der Bericht erz&auml;hlt zuerst, ganz im Stile der gew&ouml;hnlichsten diplomatischen
Aktenst&uuml;cke, die Entstehung des Gro&szlig;herzogtums Posen im Jahre 1815 durch
"Einverleibung" und "Zusammenschlagung". Dann folgen die von Friedrich Wilhelm III. den
Posenern zu gleicher Zeit gemachten Versprechungen: Aufrechthaltung der Nationalit&auml;t,
Sprache und Religion, Einsetzung eines eingebornen Statthalters, Teilnahme an der
ber&uuml;hmten preu&szlig;ischen Konstitution.</p>
<p>Was von diesen Versprechungen gehalten worden, ist bekannt. Die Verkehrsfreiheit zwischen
den drei Bruchst&uuml;cken Polens, die der Wiener Kongre&szlig; um so ruhiger beschlie&szlig;en
konnte, je unausf&uuml;hrbarer sie war, trat nat&uuml;rlich nie ins Leben.</p>
<p>Jetzt kommt das Bev&ouml;lkerungsverh&auml;ltnis. Herr Stenzel rechnet heraus, da&szlig;
1843 im Gro&szlig;herzogtum 790.000 Polen, 420.000 Deutsche und fast 80.000 Juden wohnten,
zusammen fast 1.300.000 Einwohner.</p>
<p>Der Behauptung des Herrn Stenzel stehen die polnischen Behauptungen, unter andern des
Erzbischofs Przyluski entgegen, wonach weit &uuml;ber 800.000 Polen, und nach Abzug der Juden,
Beamten und Soldaten, kaum 250.000 Deutsche in Posen leben.</p>
<p>Bleiben wir jedoch bei der Behauptung des Herrn Stenzel. Sie reicht vollst&auml;ndig hin
f&uuml;r unsere Zwecke. Geben wir zu, um uns alle weitere Debatte zu ersparen, da&szlig;
420.000 Deutsche in Posen wohnen. Wer sind diese durch Hinzuziehung der Juden auf eine halbe
Million gebrachten Deutschen?</p>
<p>Die Slawen sind ein vorwiegend ackerbautreibendes Volk, wenig geschickt zum Betrieb
st&auml;dtischer Gewerbe, wie sie bisher in slawischen L&auml;ndern m&ouml;glich waren. Der
Handelsverkehr auf seiner ersten, rohesten Stufe, wo er noch blo&szlig;er Schacher war, wurde
den hausierenden <i>Juden</i> &uuml;berlassen. Als Kultur und Bev&ouml;lkerung sich vermehrten,
als das Bed&uuml;rfnis st&auml;dtischer Gewerbe und st&auml;dtischer Konzentration f&uuml;hlbar
wurde, zogen <i>Deutsche</i> nach den slawischen L&auml;ndern. Die Deutschen, die
&uuml;berhaupt ihre h&ouml;chste Bl&uuml;te in der Kleinb&uuml;rgerei der mittelalterlichen
Reichsst&auml;dte, in dem tr&auml;gen, karawanenm&auml;&szlig;igen Binnenhandel und
beschr&auml;nkten Seehandel, im z&uuml;nftigen Handwerksbetrieb des 14. und 15. Jahrhunderts
erreichten, die Deutschen bewiesen ihren Beruf, die Pfahlb&uuml;rger der Weltgeschichte zu
werden, namentlich dadurch, da&szlig; sie bis auf den heutigen Tag den Kern der
Kleinb&uuml;rgerschaft von ganz Ost- und Nordeuropa, ja von Amerika bilden. In Petersburg, <a
name="S321"></a><b>&lt;321&gt;</b> Moskau, Warschau und Krakau, in Stockholm und Kopenhagen, in
Pest, Odessa und Jassy, in New York und Philadelphia sind die Handwerker, Kr&auml;mer und
kleinen Zwischenh&auml;ndler zum gro&szlig;en, oft zum gr&ouml;&szlig;ten Teil Deutsche oder
von deutscher Abkunft. In allen diesen St&auml;dten gibt es Stadtviertel, wo
ausschlie&szlig;lich deutsch gesprochen wird; einzelne St&auml;dte, wie Pest, sind sogar fast
ganz deutsch.</p>
<p>Diese deutsche Einwanderung ist, namentlich in den slawischen L&auml;ndern, seit dem 12. und
13. Jahrhundert fast ununterbrochen vor sich gegangen. Seit der Reformation wurden
au&szlig;erdem durch Sektenverfolgungen von Zeit zu Zeit ganze Massen von Deutschen nach Polen
getrieben, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. In andern slawischen L&auml;ndern, in
B&ouml;hmen, M&auml;hren usw., wurde die slawische Bev&ouml;lkerung durch Eroberungskriege der
Deutschen dezimiert und die deutsche Bev&ouml;lkerung durch Invasion vermehrt.</p>
<p>Die Sachlage ist gerade in Polen am klarsten. Die deutschen Spie&szlig;b&uuml;rger, die dort
seit Jahrhunderten ans&auml;ssig sind, haben sich von jeher ebensowenig politisch zu
Deutschland gerechnet wie die Deutschen in Nordamerika, wie die "franz&ouml;sische Kolonie" in
Berlin oder die 15.000 Franzosen in Montevideo zu Frankreich. Sie sind, soweit es in den
dezentralisierten Zeiten des 17. und 18. Jahrhunderts m&ouml;glich war, Polen geworden, deutsch
redende Polen, sie hatten l&auml;ngst vollkommen verzichtet auf allen Zusammenhang mit dem
Mutterlande.</p>
<p>Aber sie haben Kultur, Bildung und Wissenschaft, Handel und Gewerbe nach Polen gebracht! -
Allerdings den Kleinhandel und die Zunfthandwerke haben sie hingebracht; durch ihre Konsumtion
und den beschr&auml;nkten Verkehr, den sie herstellten, haben sie einigerma&szlig;en die
Produktion gehoben. Von gro&szlig;er Bildung und Wissenschaft hat man bis 1772 in ganz Polen
und seitdem auch in &Ouml;streichisch- und Russisch-Polen noch nicht viel geh&ouml;rt; vom
preu&szlig;ischen werden wir noch n&auml;her sprechen. Daf&uuml;r haben die Deutschen in Polen
die Bildung polnischer St&auml;dte mit polnischer Bourgeoisie verhindert; sie haben die
Zentralisation, das gewaltigste politische Mittel zur raschen Entwicklung eines Landes, durch
ihre verschiedene Sprache, durch ihr Abschlie&szlig;en von der polnischen Bev&ouml;lkerung,
durch ihre tausendfach verschiedenen Privilegien und st&auml;dtischen Rechtsverfassungen
erschwert. Fast jede Stadt hatte ihr eigenes Recht, ja, in gemischten St&auml;dten bestand und
besteht oft noch verschiedenes Recht f&uuml;r Deutsche, f&uuml;r Polen und f&uuml;r Juden. Die
Deutschpolen sind auf der alleruntergeordnetsten Stufe der Industrie stehengeblieben, sie haben
weder gro&szlig;e Kapitalien gesammelt, noch haben sie sich die gro&szlig;e Industrie
anzueignen gewu&szlig;t, noch haben sie sich der ausgedehnten <a name=
"S322"></a><b>&lt;322&gt;</b> Handelsverbindungen bem&auml;chtigt. Der Engl&auml;nder Cockerill
mu&szlig;te erst nach Warschau kommen, ehe die Industrie in Polen Wurzel fassen konnte.
Kramhandel, Handwerk und h&ouml;chstens Kornhandel und Manufaktur (Weberei etc.) im
beschr&auml;nktesten Ma&szlig;stabe - das war die ganze T&auml;tigkeit der Deutschpolen. Und
da&szlig; sie deutsches Philistertum, deutsche spie&szlig;b&uuml;rgerliche Beschr&auml;nktheit
nach Polen importiert, da&szlig; sie die schlechten Eigenschaften beider Nationen ohne die
guten in sich vereinigen, darf bei den Verdiensten der Deutschpolen ebenfalls nicht vergessen
werden.</p>
<p>Herr Stenzel sucht die Sympathie der Deutschen f&uuml;r die Deutschpolen rege zu machen:</p>
<blockquote>
"Als die K&ouml;nige ... vorz&uuml;glich im 17. Jahrhundert immer ohnm&auml;chtiger wurden
und auch die eingebornen polnischen Bauern gar nicht mehr gegen die h&auml;rteste
Unterdr&uuml;ckung durch den Adel sch&uuml;tzen konnten, verfielen auch die deutschen
D&ouml;rfer und St&auml;dte, von denen viele in den Besitz des Adels kamen. Nur die
gr&ouml;&szlig;ern k&ouml;niglichen St&auml;dte retteten einen Teil ihrer alten Freiheiten"
(lies: Privilegien).
</blockquote>
<p>Verlangt Herr Stenzel etwa, die Polen h&auml;tten die (&uuml;brigens auch "eingebornen")
"Deutschen" (lies: Deutschpolen) besser sch&uuml;tzen sollen als sich selbst? Es versteht sich
doch wohl von selbst, da&szlig; die in ein Land eingewanderten Ausl&auml;nder nichts mehr
verlangen k&ouml;nnen, als gute und b&ouml;se Tage mit der Urbev&ouml;lkerung zu teilen!</p>
<p>Kommen wir jetzt zu den Wohltaten, welche die Polen speziell der preu&szlig;ischen Regierung
zu verdanken haben.</p>
<p>1772 wurde der Netzdistrikt durch Friedrich II. geraubt und im folgenden Jahr der Bromberger
Kanal angelegt, der zwischen der Oder und der Weichsel eine Binnenschiffahrt herstellte.</p>
<blockquote>
"Die seit Jahrhunderten zwischen Polen und Pommern streitigen, durch zahllose Verheerungen
und gro&szlig;e Mor&auml;ste vielfach w&uuml;sten Umgebungen [...] wurden nun urbar gemacht
und durch zahlreiche Kolonisten bev&ouml;lkert."
</blockquote>
<p>Die erste Teilung Polens war also kein Raub. Friedrich II. bem&auml;chtigte sich nur eines
"seit Jahrhunderten streitigen" Gebietes. Aber seit wie lange bestand kein selbst&auml;ndiges
Pommern mehr, das dieses Gebiet h&auml;tte streitig machen <i>k&ouml;nnen</i>? Seit wie langen
Jahrhunderten war es wirklich den Polen nicht mehr streitig gemacht worden? Und was soll
&uuml;berhaupt diese rostige und verrottete Theorie der "Streitigmachungen" und
"Anspr&uuml;che", die gut genug war, im 17. und 18. Jahrhundert die Nacktheit der Handels- und
Arrondierungsinteressen zu verh&uuml;llen, was soll sie im Jahre 1848, wo allem historischen
Recht und Unrecht der Boden unter den F&uuml;&szlig;en weggezogen ist?</p>
<p><b><a name="S323">&lt;323&gt;</a></b> &Uuml;brigens sollte Herr Stenzel doch bedenken,
da&szlig; nach dieser Rumpelkammerdoktrin die Rheingrenze zwischen Frankreich und Deutschland
"seit Jahrtausenden streitig", ist und die Polen Anspr&uuml;che auf die Lehnshoheit &uuml;ber
die Provinz Preu&szlig;en und selbst Pommern geltend machen k&ouml;nnten!</p>
<p>Genug. Der Netzdistrikt wurde preu&szlig;isch und war somit nicht mehr "streitig". Friedrich
II. lie&szlig; ihn von Deutschen kolonisieren, und so entstanden die in der posenschen
Angelegenheit so ruhmvoll genannten <i>"Netzbr&uuml;der"</i>. Die Germanisierung von Staats
wegen beginnt mit dem Jahre 1773.</p>
<blockquote>
"Die Juden in dem Gro&szlig;herzogtum sind allen <i>zuverl&auml;ssigen Angaben</i> nach
durchgehends Deutsche und wollen es auch sein ... Die religi&ouml;se Toleranz, welche ehemals
in Polen vorherrschte, sowie mehrere Eigenschaften, welche den Polen abgingen, haben den
Juden seit Jahrhunderten einen tiefeingreifenden" (in die Geldbeutel der Polen n&auml;mlich)
"Wirkungskreis in Polen gegeben. In der Regel sind sie beider Sprachen m&auml;chtig, obgleich
sie in ihren Familien, wie von Jugend auf ihre Kinder, <i>deutsch</i> sprechen."
</blockquote>
<p>Die unerwartete Sympathie und Anerkennung, welche die polnischen Juden in der letzten Zeit
in Deutschland gefunden, hat hier ihren offiziellen Ausdruck erlangt. Verrufen, soweit der
Einflu&szlig; der Leipziger Messe reicht, als der vollst&auml;ndigste Ausdruck des Schachers,
der Filzigkeit und des Schmutzes, sind sie pl&ouml;tzlich deutsche Br&uuml;der geworden; der
biedere Michel dr&uuml;ckt sie unter Wonnetr&auml;nen an sein Herz, und Herr Stenzel reklamiert
sie im Namen der deutschen Nation als Deutsche, welche auch Deutsche sein <i>wollen</i>.</p>
<p>Und warum sollten die polnischen Juden keine echten Deutschen sein? Sprechen sie nicht "in
ihren Familien, sowie von Jugend auf ihre Kinder, deutsch"? Und welches Deutsch noch
obendrein!</p>
<p>Wir machen &uuml;brigens Herrn Stenzel darauf aufmerksam, da&szlig; er auf diese Weise ganz
Europa und halb Amerika, ja einen Teil von Asien reklamieren kann. Deutsch ist bekanntlich die
j&uuml;dische Weltsprache. In New York wie in Konstantinopel, in Petersburg wie in Paris
"sprechen die Juden in ihren Familien, sowie von Jugend auf ihre Kinder, deutsch", und
teilweise noch klassischeres Deutsch als die "stammverwandten" Bundesgenossen der
Netzbr&uuml;der, die posenschen Juden.</p>
<p>Der Bericht f&auml;hrt nun fort, die Nationalit&auml;tsverh&auml;ltnisse m&ouml;glichst
unbestimmt und m&ouml;glichst zugunsten der aus Deutschpolen, Netzbr&uuml;dern und Juden
bestehenden angeblichen halben Million Deutschen darzustellen. Der b&auml;uerliche Grundbesitz
der Deutschen sei gr&ouml;&szlig;er als der der polnischen Bauern (wir werden sehen, wie das
zugeht). Seit der ersten Teilung Polens sei der Ha&szlig; zwischen Polen und Deutschen,
namentlich Preu&szlig;en, aufs h&ouml;chste gestiegen.</p>
<blockquote>
<b><a name="S324">&lt;324&gt;</a></b>"Preu&szlig;en vorz&uuml;glich st&ouml;rte durch
Einf&uuml;hrung seiner besonders fest geregelten Staats- und Verwaltungsanordnungen" (welches
Deutsch!) "und deren strenge Handhabung die alten Gewohnheiten &lt;In der "Neuen Rheinischen
Zeitung": Gerechtigkeiten&gt; und herk&ouml;mmlichen Einrichtungen der Polen auf das
empfindlichste."
</blockquote>
<p>Wie sehr die "festgeregelten" und "strenge gehandhabten" Ma&szlig;regeln der l&ouml;blichen
preu&szlig;ischen B&uuml;rokratie nicht nur die alten Gewohnheiten und herk&ouml;mmlichen
Einrichtungen, sondern das ganze <i>gesellschaftliche</i> Leben, die industrielle und
ackerbauende Produktion, den Handelsverkehr, den Bergbau, kurz alle gesellschaftlichen
Beziehungen ohne Ausnahme <i>"st&ouml;rten"</i>, davon wissen nicht nur die Polen, sondern auch
die &uuml;brigen Preu&szlig;en, und ganz besonders wir Rheinl&auml;nder, wunderbare Dinge zu
erz&auml;hlen. Herr Stenzel spricht aber hier nicht einmal von der B&uuml;rokratie von
1807-1848, sondern von der von 1772-1806, von den Beamten des eigentlichsten
Stockpreu&szlig;entums, deren Gemeinheit, Bestechlichkeit, Habgier und Brutalit&auml;t in den
Verr&auml;tereien von 1806 so gl&auml;nzend zutage kam. Diese Beamten h&auml;tten den
polnischen Bauern gegen den Adel gesch&uuml;tzt und puren Undank geerntet; freilich h&auml;tten
die Beamten f&uuml;hlen m&uuml;ssen, "da&szlig; alles, auch Gutes geben und aufzwingen, nicht
f&uuml;r den Verlust nationaler Selbst&auml;ndigkeit entsch&auml;digt".</p>
<p>Auch wir kennen die Art, in der die preu&szlig;ischen Beamten noch in letzter Zeit gewohnt
waren, "alles zu geben und aufzuzwingen". Wo ist der Rheinl&auml;nder, der nicht mit frisch
importierten altpreu&szlig;ischen Beamten zu tun gehabt, der nicht Gelegenheit gehabt hat, dies
unvergleichliche, naseweise Besserwissen, dies unversch&auml;mte Dreinreden, diese Vereinigung
von Beschr&auml;nktheit und Unfehlbarkeit, diese apodiktische Grobheit zu bewundern! Bei uns
freilich haben die Herren Altpreu&szlig;en ihre h&auml;rtesten Ecken meist bald abgeschlissen;
sie hatten keine Netzbr&uuml;der, keine geheime Inquisition, kein Landrecht und keine
Stockpr&uuml;gel zu ihrer Verf&uuml;gung, und an dem Mangel der letzteren ist mancher vor Gram
gestorben. Wie sie aber erst in Polen gehaust haben m&ouml;gen, wo sie nach Herzenslust
pr&uuml;geln und geheim inquirieren lassen konnten, das braucht uns nicht erst beschrieben zu
werden.</p>
<p>Genug, die preu&szlig;ische Willk&uuml;rherrschaft wu&szlig;te sich so beliebt zu machen,
da&szlig; "schon nach der Schlacht von Jena sich der Ha&szlig; der Polen durch einen
allgemeinen Aufstand und Verjagung der preu&szlig;ischen Beamten zeigte". Damit hatte die
Beamtenwirtschaft einstweilen ihr Ende erreicht.</p>
<p>Aber im Jahr 1815 kam sie in etwas ver&auml;nderter Gestalt wieder. Das "reformierte",
"gebildete", "unbestechliche", "beste" Beamtentum versuchte sein Gl&uuml;ck an diesen
widerhaarigen Polen.</p>
<blockquote>
<b><a name="S325">&lt;325&gt;</a></b>"Auch mit Errichtung des Gro&szlig;herzogtums Posen
konnte kein gutes Vernehmen hergestellt werden, indem ... der K&ouml;nig von Preu&szlig;en
damals unm&ouml;glich darauf eingehen konnte, eine einzelne Provinz ganz selbst&auml;ndig zu
organisieren und aus seinem Staate gewisserma&szlig;en einen Bundesstaat zu machen."
</blockquote>
<p>Also der K&ouml;nig von Preu&szlig;en konnte nach Herrn Stenzel "unm&ouml;glich darauf
eingehen", seine eigenen Versprechungen und die Wiener Vertr&auml;ge zu halten!</p>
<blockquote>
"Als im Jahre 1830 die Sympathien des polnischen Adels f&uuml;r den Aufstand in Warschau
Besorgnisse erregten und seitdem planm&auml;&szlig;ig dahin gearbeitet wurde, durch mehrere
getroffene Einrichtungen (!), namentlich durch Aufkaufen, Zerschlagen und Verteilen
polnischer Ritterg&uuml;ter an Deutsche, vorz&uuml;glich den polnischen Adel nach und nach
v&ouml;llig zu beseitigen, stieg die Erbitterung derselben gegen Preu&szlig;en."
</blockquote>
<p>"Durch mehrere getroffene Einrichtungen!" Durch das Verbot, subhastierte Grundst&uuml;cke an
Polen zu verkaufen und andere derartigen Ma&szlig;regeln, die Herr Stenzel mit dem Mantel der
Liebe bedeckt.</p>
<p>Was w&uuml;rden die Rheinl&auml;nder dazu sagen, wenn bei uns die preu&szlig;ische Regierung
ebenfalls verboten h&auml;tte, gerichtlich verkaufte Grundst&uuml;cke an Rheinl&auml;nder zu
verkaufen! Vorw&auml;nde genug w&auml;ren dazu dagewesen: um die Bev&ouml;lkerung der alten und
neuen Provinzen zu verschmelzen; um die Eingeborenen der alten Provinzen an den Wohltaten der
Parzellierung und der rheinischen Gesetzgebung teilnehmen zu lassen; um die Rheinl&auml;nder zu
veranlassen, ihre Industrie auch in den alten Provinzen durch Einwanderung einheimisch zu
machen, usw. Gr&uuml;nde genug, um uns ebenfalls mit preu&szlig;ischen "Kolonisten" zu
begl&uuml;cken! Wie w&uuml;rden wir eine Bev&ouml;lkerung betrachten, die unsern Grund und
Boden, bei ausgeschlossener Konkurrenz, zu Spottpreisen aufkaufte und au&szlig;erdem noch vom
Staate dabei unterst&uuml;tzt w&uuml;rde; eine Bev&ouml;lkerung, die uns ausdr&uuml;cklich zu
dem Zwecke aufgeladen w&uuml;rde, um den Begeisterungsfusel mit Gott f&uuml;r K&ouml;nig und
Vaterland bei uns einheimisch zu machen?</p>
<p>Und wir sind doch noch Deutsche, wir sprechen dieselbe Sprache wie die alten Provinzen. In
Posen aber wurden diese Kolonisten systematisch, mit unerbittlicher Regelm&auml;&szlig;igkeit
auf die Dom&auml;nen, in die W&auml;lder, auf die parzellierten polnischen Ritterg&uuml;ter
geschickt, um die eingeborenen Polen und ihre Sprache von ihrem eigenen Lande zu
verdr&auml;ngen und eine echtpreu&szlig;ische Provinz zu bilden, die in schwarz-wei&szlig;em
Fanatismus selbst Pommern &uuml;bertreffen sollte.</p>
<p>Und damit die preu&szlig;ischen Bauern in Polen nicht ohne nat&uuml;rliche Vorgesetzte
blieben, sandte man ihnen die Bl&uuml;te der preu&szlig;ischen Ritterschaft, einen
<i>Tresckow</i>, einen <i>L&uuml;ttichau</i>, nach, die dort ebenfalls Ritterg&uuml;ter zu
Spott- <a name="S326"></a><b>&lt;326&gt;</b> preisen und mit Staatsvorsch&uuml;ssen aufkauften.
Ja, nach dem Polenaufstande von 1846 bildete sich eine ganze Aktiengesellschaft in Berlin,
unter dem gn&auml;digen Schutze hoher, h&ouml;chster und noch h&ouml;herer Personen, die den
Zweck hatte, polnische G&uuml;ter f&uuml;r deutsche Ritter aufzukaufen. Die hungrigen Schlucker
vom m&auml;rkischen und pommerschen Adel sahen voraus, da&szlig; der Polenproze&szlig; eine
Menge polnischer Rittergutsbesitzer ruinieren, da&szlig; man ihre G&uuml;ter n&auml;chstens
spottwohlfeil verschleudern werde. Welch ein gefunden Futter f&uuml;r so manchen in Schulden
ertrinkenden uckerm&auml;rkischen Don Ranudo! Ein sch&ouml;nes Rittergut fast umsonst,
polnische Bauern zum Pr&uuml;geln und obendrein noch das Verdienst, K&ouml;nig und Vaterland
sich verpflichtet zu haben - welche brillante Aussicht!</p>
<p>So entstand die dritte deutsche Einwanderung nach Polen: preu&szlig;ische Bauern und
preu&szlig;ischer Adel, die sich &uuml;berall in Posen festsetzten, und die, von der Regierung
unterst&uuml;tzt, mit der offenen Absicht nicht der Germanisierung, sondern der
<i>Verpommerung</i> hinkamen. Hatten die deutschpolnischen B&uuml;rger die Entschuldigung, zur
Hebung des Handels ein Kleines beigetragen zu haben, konnten die Netzbr&uuml;der sich
r&uuml;hmen, einige Mor&auml;ste urbar gemacht zu haben, so fehlte dieser letzten
preu&szlig;ischen Invasion aller Vorwand. Nicht einmal die Parzellierung hatten sie konsequent
eingef&uuml;hrt; der preu&szlig;ische Adel folgte den preu&szlig;ischen Bauern auf dem
Fu&szlig;.</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-12">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 73 vom 12. August
1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 11. August. Wir haben im ersten Artikel die "historische Grundlage" des
Stenzelschen Berichts untersucht, insoweit er auf die Lage Posens vor der Revolution eingeht.
Wir kommen heute auf Herrn Stenzels Geschichte der Revolution und Kontrerevolution in
Posen.</p>
<blockquote>
"Das deutsche Volk, immer voll Teilnahme f&uuml;r jeden Ungl&uuml;cklichen" (solange die
Teilnahme nichts kostet), "hatte jederzeit das gro&szlig;e Unrecht tief gef&uuml;hlt, was von
seinen F&uuml;rsten gegen die Polen begangen worden war."
</blockquote>
<p>Allerdings, "tief gef&uuml;hlt" im stillen deutschen Herzen, wo die Gef&uuml;hle so "tief"
sitzen, da&szlig; sie nie in Taten herausbrechen! Allerdings, "Teilnahme" durch einige Almosen
1831, durch Zweckessen und Polenb&auml;lle, solange es galt, zum Besten der Polen zu tanzen,
Champagner zu trinken und zu singen: "Noch ist Polen nicht verloren!" Aber wirklich etwas
Ernsthaftes tun, wirklich einmal ein Opfer bringen - wo ist das je der Deutschen Sache
gewesen!</p>
<blockquote>
"Die Deutschen boten aufrichtig die Bruderhand, um zu s&uuml;hnen, was ihre F&uuml;rsten
fr&uuml;her verbrochen."
</blockquote>
<p><b><a name="S327">&lt;327&gt;</a></b> Allerdings, wenn r&uuml;hrende Phrasen und tr&auml;ge
Kannegie&szlig;ereien irgend etwas "s&uuml;hnen" k&ouml;nnten, dann st&auml;nde kein Volk so
rein in der Geschichte da wie gerade die Deutschen.</p>
<blockquote>
"In demselben Augenblick aber, als die Polen einschlugen" (n&auml;mlich in die dargebotene
Bruderhand), "trennten sich auch schon beider Nationen Interessen und Ziele. Die Polen
dachten nur an die Wiederherstellung ihres alten Reichs, mindestens in der Landesausdehnung
vor der ersten Teilung im Jahr 1772."
</blockquote>
<p>Wahrlich, nur der gedankenlose, w&uuml;ste Enthusiasmus ins Blaue hinein, der von jeher eine
Hauptzierde des deutschen Nationalcharakters war, konnte es zuwege bringen, da&szlig; die
Deutschen von der Forderung der Polen &uuml;berrascht waren! Die Deutschen wollten das an Polen
begangene Unrecht <i>"s&uuml;hnen"</i>. Womit begann dies Unrecht? Von fr&uuml;heren
Verr&auml;tereien nicht zu sprechen, doch gewi&szlig; mit der ersten Teilung 1772. Wie war dies
zu "s&uuml;hnen"? Doch nur dadurch, da&szlig; der Status quo <i>vor</i> 1772 wiederhergestellt
wurde, oder mindestens dadurch, da&szlig; die Deutschen den Polen das herausgaben, was sie seit
1772 von ihnen geraubt hatten. Aber das Interesse der Deutschen war dagegen? Gut, sprechen wir
von Interessen, so kann von den Sentimentalit&auml;ten wegen "S&uuml;hnen" usw. keine Rede mehr
sein, so spreche man die Sprache der kalten, gef&uuml;hllosen Praxis und verschone uns mit
Toastphrasen und Gro&szlig;mutsempfindungen.</p>
<p>&Uuml;brigens haben die Polen erstens keineswegs <i>"nur"</i> an die Wiederherstellung des
Polens von 1772 "gedacht". Woran die Polen <i>"gedacht"</i> haben, geht uns &uuml;berhaupt
wenig an. Sie <i>verlangten</i> vorderhand nur Reorganisation des ganzen Posens und sprachen
von weitern Eventualit&auml;ten nur f&uuml;r den Fall eines deutsch-polnischen Kriegs gegen
Ru&szlig;land.</p>
<p>Zweitens "trennten sich beider Nationen Interessen und Ziele" nur so lange, als die
"Interessen und Ziele" des revolutionierten Deutschlands in v&ouml;lkerrechtlicher Beziehung
ganz dieselben blieben wie die des alten, absolutistischen Deutschlands. Russische Allianz,
wenigstens Friede mit Ru&szlig;land um jeden Preis, wenn das Deutschlands "Interesse und Ziel"
ist, mu&szlig; in Polen allerdings alles beim alten bleiben. Wir werden aber sp&auml;ter sehen,
wie sehr die <i>wirklichen</i> Interessen Deutschlands mit denen Polens identisch sind.</p>
<p>Jetzt kommt ein breiter, verworrener, verlegener Passus, in welchem Herr Stenzel sich
dar&uuml;ber ausl&auml;&szlig;t, wie recht die Deutschpolen hatten, wenn sie zwar Polen
Gerechtigkeit widerfahren lassen, zugleich aber preu&szlig;isch und deutsch bleiben wollten.
Da&szlig; das Zwar das Aber und das Aber das Zwar unm&ouml;glich macht, geht Herrn Stenzel
nat&uuml;rlich nichts an.</p>
<p>Daran schlie&szlig;t sich eine ebenso breite und verworrene Geschichtserz&auml;hlung, worin
Herr Stenzel im einzelnen zu beweisen sucht, da&szlig; bei den "sich <a name=
"S328"></a><b>&lt;328&gt;</b> trennenden Interessen und Zielen beider Nationen", bei der
dadurch sich stets steigernden gegenseitigen Erbitterung ein blutiger Zusammensto&szlig;
un<i>vermeidlich</i> war. Die Deutschen hielten das <i>"nationale"</i> Interesse fest, die
Polen das blo&szlig; <i>"territoriale"</i>. D.h., die Deutschen verlangten Scheidung des
Gro&szlig;herzogtums nach den Nationalit&auml;ten, die Polen wollten ihr ganzes altes Gebiet
f&uuml;r sich.</p>
<p>Dies ist wieder nicht wahr. Die Polen verlangten Reorganisation, erkl&auml;rten aber
zugleich, sie seien mit Abtretung der gemischten Grenzbezirke, da wo die Mehrheit deutsch sei
und zu Deutschland geschlagen sein wolle, vollst&auml;ndig einverstanden. Nur solle man die
Leute nicht nach dem Belieben der preu&szlig;ischen <i>Beamten</i> deutsch oder polnisch
machen, sondern nach ihrem eigenen Willen.</p>
<p>Willisens Mission, f&auml;hrt Herr Stenzel fort, mu&szlig;te nat&uuml;rlich scheitern an dem
(vorgegebenen, nirgends existierenden) Widerstand der Polen gegen die Abtretung der
&uuml;berwiegend deutschen Bezirke. Herrn Stenzel lagen die Erkl&auml;rungen Willisens
&uuml;ber die Polen und die der Polen &uuml;ber Willisen zur Einsicht vor. Diese
<i>gedruckten</i> Erkl&auml;rungen beweisen das Gegenteil. Aber das liegt daran, wenn man, wie
Herr Stenzel sagt, "ein Mann ist, der seit vielen Jahren sich mit Geschichte besch&auml;ftigt
und es sich zur Pflicht gemacht hat, nichts Unwahres zu sagen und nichts Wahres zu
verhehlen"!</p>
<p>Mit derselben Treue, die nichts Wahres verhehlt, geht Herr Stenzel &uuml;ber den in Posen
ver&uuml;bten Kannibalismus, &uuml;ber den schn&ouml;den Treubruch der Konvention von
Jaroslawiec, &uuml;ber die Metzeleien von Trzemeszno, Miloslaw und Wreschen, &uuml;ber das
verheerende W&uuml;ten einer des Drei&szlig;igj&auml;hrigen Krieges w&uuml;rdigen Soldateska
leicht hinweg, ohne davon auch nur eine Silbe zu erw&auml;hnen.</p>
<p>Herr Stenzel kommt nun zu den vier neuen Teilungen Polens durch die preu&szlig;ische
Regierung. Zuerst wurde der Netzdistrikt nebst vier andern Kreisen abgerissen (14. April); dazu
schlug man noch einige Teile anderer Kreise, zusammen mit einer Bev&ouml;lkerung von 593.390
K&ouml;pfen und lie&szlig; sie in den Deutschen Bund aufnehmen (22. April). Dann nahm man die
Stadt und Festung Posen nebst dem Rest des linken Wartheufers hinzu - wieder 273.500 Seelen,
also zusammen <i>mehr als doppelt</i> soviel, als selbst nach <i>preu&szlig;ischen</i> Angaben
Deutsche in ganz Posen wohnen. Das geschah durch Kabinettsordre vom 26. April &lt;In der "Neuen
Rheinischen Zeitung" irrt&uuml;mlich: 29. April&gt;, und schon am 2. Mai erfolgte die Aufnahme
in den Deutschen Bund. Herr Stenzel wimmert nun der Versammlung vor, wie es durchaus n&ouml;tig
sei, da&szlig; Posen in deutschen H&auml;nden bleibe, Posen, eine wich- <a name=
"S329"></a><b>&lt;329&gt;</b> tige, gewaltige Festung, wo &uuml;ber 20.000 Deutsche (von denen
die meisten polnische Juden) wohnen, denen <sup>2</sup>/<sub>3</sub> des gesamten Grundbesitzes
geh&ouml;rt usw. Da&szlig; Posen mitten in rein polnischem Lande liegt, da&szlig; es gewaltsam
germanisiert worden ist und da&szlig; polnische Juden keine Deutsche sind, das ist h&ouml;chst
gleichg&uuml;ltig f&uuml;r Leute, die "nie Unwahres berichten und nie Wahres verschwiegen",
f&uuml;r Historiker von der Force eines Herrn Stenzel!</p>
<p>Genug, aus milit&auml;rischen Gr&uuml;nden durfte man Posen nicht aus den H&auml;nden geben.
Als ob man diese Festung, die nach Willisen einer der gr&ouml;&szlig;ten strategischen Fehler
ist, nicht h&auml;tte schleifen und daf&uuml;r Breslau befestigen k&ouml;nnen. Aber man hatte
zehn Millionen hineingesteckt (beil&auml;ufig wieder nicht wahr, kaum f&uuml;nf Millionen), und
es ist nat&uuml;rlich vorteilhafter, das teure Kunstwerk zu behalten und 20-30 Quadratmeilen
polnischer Erde dazu.</p>
<p>Hat man aber erst die "Stadt und Festung" Posen, so bietet sich die ungezwungenste
Gelegenheit, noch mehr zu nehmen.</p>
<blockquote>
"Um aber die Festung zu behaupten, wird man gen&ouml;tigt sein, ihr auch die Zug&auml;nge von
Glogau, K&uuml;strin und Thorn sowie einen Festungsbezirk gegen Osten zu sichern" (der nur
1.000 bis 2.000 Schritte zu sein brauchte, wie der von Maestricht gegen Belgien und Limburg).
"Dadurch", schmunzelt Herr Stenzel weiter, "wird zugleich der ungest&ouml;rte Besitz des
Bromberger Kanals behauptet, es werden aber auch zahlreiche Striche, in denen die polnische
Bev&ouml;lkerung &uuml;berwiegend ist, dem Deutschen Bunde einverleibt werden m&uuml;ssen."
</blockquote>
<p>Aus allen diesen Gr&uuml;nden hat denn auch der bekannte Menschenfreund Pfuel von
H&ouml;llenstein zwei neue Teilungen Polens vorgenommen, wodurch alle W&uuml;nsche des Herrn
Stenzel befriedigt und drei Viertel des ganzen Gro&szlig;herzogtums zu Deutschland geschlagen
werden. Herr Stenzel erkennt dies Verfahren um so dankbarer an, als er, der Historiker, in
dieser potenzierten Erneuerung der Reunionskammern Ludwigs XIV. offenbar sehen mu&szlig;,
da&szlig; die Deutschen gelernt haben, die Lehren der Geschichte zu benutzen.</p>
<p>Die Polen, meint Herr Stenzel, sollen sich damit tr&ouml;sten, da&szlig; ihr Anteil
fruchtbarer ist als das einverleibte Gebiet, da&szlig; sie weit weniger Grundbesitz haben als
die Deutschen und da&szlig; "kein Unbefangener leugnen wird, da&szlig; der polnische Landmann
sich weit ertr&auml;glicher unter einer deutschen Regierung als der deutsche unter einer
polnischen befinden wird"!! Wovon die Geschichte merkw&uuml;rdige Beweise liefert.</p>
<p>Schlie&szlig;lich ruft Herr Stenzel den Polen zu, auch das kleine St&uuml;ckchen, das ihnen
geblieben, werde ihnen gen&uuml;gen, um sich durch Aus&uuml;bung aller b&uuml;rgerlichen
Tugenden</p>
<blockquote>
"w&uuml;rdig auf den Augenblick vorzubereiten, den die Zukunft ihnen jetzt noch verh&uuml;llt
und den sie in sehr verzeihlicher Weise vielleicht zu st&uuml;rmisch herbeizurufen suchen. <a
name="S330"></a><b>&lt;330&gt;</b> 'Es gibt', ruft einer ihrer einsichtsvollsten
Mitb&uuml;rger sehr treffend, 'eine Krone, welche auch w&uuml;rdig ist, euren Ehrgeiz zu
reizen, es ist die <i>B&uuml;rgerkrone</i>!' Ein Deutscher darf hinzusetzen: Sie gl&auml;nzt
nicht, aber sie ist gediegen!"
</blockquote>
<p>"Sie ist gediegen!" Noch "gediegener" aber sind die wirklichen Gr&uuml;nde der erneuerten
vier Teilungen Polens durch die preu&szlig;ische Regierung.</p>
<p>Deutscher Biedermann! Du glaubst, die Teilungen seien vorgenommen, um deine deutschen
Br&uuml;der von der polnischen Herrschaft zu retten? Um dir in der Festung Posen ein Bollwerk
gegen jeden Angriff zu sichern? Um die Stra&szlig;en von K&uuml;strin, Glogau und Bromberg, um
den Netzkanal sicherzustellen? Welche T&auml;uschung!</p>
<p>Man hat dich schm&auml;hlich hintergangen. Die neuen Teilungen Polens sind gemacht worden
aus keinem andern Grunde, als um die <i>Kassen des preu&szlig;ischen Staats zu
f&uuml;llen</i>.</p>
<p>Die ersten Teilungen Polens bis 1815 waren ein L&auml;nderraub mit bewaffneter Hand, die
Teilungen von 1848 sind ein <i>Diebstahl</i>.</p>
<p>Und jetzt merke auf, deutscher Biedermann, wie man dich hintergangen hat!</p>
<p>Nach der dritten Teilung Polens konfiszierte Friedrich Wilhelm II. die polnischen
starosteilichen und die der katholischen Geistlichkeit geh&ouml;renden G&uuml;ter zum Besten
des Staats. Namentlich die G&uuml;ter der Kirche machten "einen <i>sehr betr&auml;chtlichen</i>
Teil des ganzen Landeigentums aus", wie die Besitzergreifungsdeklaration vom 28. Juli &lt;In
der "Neuen Rheinischen Zeitung" irrt&uuml;mlich: M&auml;rz&gt; 1796 selbst sagte. Diese neuen
Dom&auml;nen wurden f&uuml;r k&ouml;nigliche Rechnung verwaltet oder verpachtet und waren so
ausgedehnt, da&szlig; zu ihrer Administration 34 Dom&auml;nen&auml;mter und 21
Oberf&ouml;rstereien errichtet werden mu&szlig;ten. Zu jedem dieser Dom&auml;nen&auml;mter
geh&ouml;rten eine Menge Ortschaften, z.B. zu den 10 &Auml;mtern des Bromberger
Regierungsbezirks zusammen 636 und zu dem einzigen Dom&auml;nenamt Mogilno 127 Ortschaften.</p>
<p>Au&szlig;erdem hat Friedrich Wilhelm II. 1796 die G&uuml;ter und Forsten des Nonnenklosters
zu Owinsk konfisziert und dem Kaufmann von Tresckow (Vorfahren des tapfern preu&szlig;ischen
Bandenf&uuml;hrers Tresckow aus dem letzten Heldenkriege) verkauft; diese G&uuml;ter bestehen
aus 24 Ortschaften nebst M&uuml;hlen und 20.000 Morgen Forst, im Wert von mindestens 1.000.000
Taler.</p>
<p>Ferner wurden die Dom&auml;nen&auml;mter Krotoschin, Rozdrazewo, Orpiszewo und Adelnau, im
Wert von mindestens 2 Millionen Taler, 1819 dem F&uuml;rsten Thurn und Taxis zur
Entsch&auml;digung f&uuml;r das Postregal in mehreren an Preu&szlig;en gefallenen Provinzen
abgetreten.</p>
<p><b><a name="S331">&lt;331&gt;</a></b> Die s&auml;mtlichen G&uuml;ter hatte Friedrich Wilhelm
II. unter dem Vorwande, sie besser zu verwalten, &uuml;bernommen. Trotzdem aber sind sie, ein
Eigentum der polnischen Nation, verschenkt, abgetreten, verkauft worden, und die Kaufgelder
sind in die <i>preu&szlig;ische</i> Staatskasse geflossen.</p>
<p>Die Dom&auml;nen&auml;mter Gnesen, Skorzencin, Trzemeszno sind zerschlagen und
ver&auml;u&szlig;ert worden.</p>
<p>Es bleiben also noch 27 Dom&auml;nen&auml;mter und die Oberf&ouml;rstereien in einem
Kapitalwert von allermindestens <i>zwanzig Millionen Taler</i> in den H&auml;nden der
preu&szlig;ischen Regierung. Wir sind erb&ouml;tig, mit der Karte in der Hand zu beweisen,
da&szlig; diese Dom&auml;nen und Forsten s&auml;mtlich - mit sehr wenigen oder gar keinen
Ausnahmen - in dem einverleibten Teil von Posen liegen. Um diesen reichen Schatz vor allem
R&uuml;ckfall an die polnische Nation zu retten, mu&szlig;te er in den Deutschen Bund
aufgenommen werden; und da er nicht zum Deutschen Bunde kommen konnte, so mu&szlig;te der
Deutsche Bund zu ihm kommen, und <sup>3</sup>/<sub>4</sub> von Posen wurden einverleibt.</p>
<p>Das ist der wahre Grund der vier ber&uuml;hmten Teilungen Polens binnen zwei Monaten. Nicht
die Reklamationen dieser oder jener Nationalit&auml;t, nicht angeblich strategische Gr&uuml;nde
haben entschieden: Die Lage der Dom&auml;nen, die Habgier der preu&szlig;ischen Regierung
allein hat die Grenzlinie bestimmt.</p>
<p>W&auml;hrend die deutschen B&uuml;rger f&uuml;r die erdichteten Leiden ihrer armen
Br&uuml;der in Posen blutige Tr&auml;nen vergossen, w&auml;hrend sie sich f&uuml;r die
Sicherung der deutschen Ostmark begeisterten, w&auml;hrend sie sich durch erlogene Berichte von
polnischen Barbareien gegen die Polen in Harnisch jagen lie&szlig;en, operierte die
preu&szlig;ische Regierung ganz im stillen und brachte ihr Sch&auml;fchen ins trockene. Der
grund- und zwecklose deutsche Enthusiasmus hat zu weiter nichts gedient, als die schmutzigste
Handlung der neueren Geschichte zu bem&auml;nteln.</p>
<p>So, deutscher Biedermann, wird dir von deinen verantwortlichen Ministern mitgespielt!</p>
<p>Aber in der Tat, du konntest es vorher wissen. Wo Herr Hansemann beteiligt ist, handelt es
sich nie um deutsche Nationalit&auml;t, milit&auml;rische Notwenigkeit und andere dergleichen
leere Phrasen, sondern stets um bare Zahlung und klaren Profit.</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-20">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 81 vom 20. August
1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 19. August. Wir haben den Bericht des Herrn Stenzel, die Grundlage der
Debatte, in seinen Einzelnheiten verfolgt. Wir haben nachgewiesen, wie er die &auml;ltere und
neuere Geschichte Polens und der Deutschen in Polen verf&auml;lscht, wie er die ganze Frage
verr&uuml;ckt, wie der Historiker Stenzel nicht <a name="S332"></a><b>&lt;332&gt;</b> nur
absichtliche Verf&auml;lschung, sondern sich auch grobe Unwissenheit hat zuschulden kommen
lassen.</p>
<p>Ehe wir auf die Debatte selbst eingehen, m&uuml;ssen wir noch einen Blick auf die polnische
Frage werfen.</p>
<p>Die Posener Frage ist, f&uuml;r sich betrachtet, ohne allen Sinn, ohne M&ouml;glichkeit der
L&ouml;sung. Sie ist ein Fragment der polnischen Frage, und nur in und mit dieser kann sie
gel&ouml;st werden. Die Grenze zwischen Deutschland und Polen kann erst bestimmt werden, wenn
Polen wieder existiert.</p>
<p>Aber kann und wird Polen wieder bestehen? In der Debatte ist dies geleuguet worden.</p>
<p>Ein franz&ouml;sischer Historiker hat gesagt: Il y a des peuples n&eacute;cessaires: es gibt
<i>notwendige V&ouml;lker</i>. Zu diesen notwendigen V&ouml;lkern geh&ouml;rt im 19.
Jahrhundert unbedingt das polnische Volk.</p>
<p>Die nationale Existenz Polens ist aber f&uuml;r niemand notwendiger als gerade f&uuml;r uns
Deutsche.</p>
<p>Worauf st&uuml;tzt sich zun&auml;chst die Macht der Reaktion in Europa seit 1815, ja,
teilweise seit der ersten franz&ouml;sischen Revolution? Auf die
russisch-preu&szlig;isch-&ouml;streichische <i>Heilige Allianz</i>. Und was h&auml;lt diese
Heilige Allianz zusammen? Die <i>Teilung Polens</i>, von der alle drei Alliierten Nutzen
zogen.</p>
<p>Der Ri&szlig;, den die drei M&auml;chte durch Polen zogen, ist das Band, das sie
aneinanderkettet; der gemeinsame Raub hat sie einer f&uuml;r den andern solidarisch
gemacht.</p>
<p>Von dem Augenblick an, wo der erste Raub an Polen begangen wurde, war Deutschland in die
Abh&auml;ngigkeit Ru&szlig;lands geraten. Ru&szlig;land befahl Preu&szlig;en und &Ouml;streich,
absolute Monarchien zu bleiben, und Preu&szlig;en und &Ouml;streich mu&szlig;ten gehorchen. Die
ohnehin schlaffen und sch&uuml;chternen Anstrengungen, namentlich der preu&szlig;ischen
Bourgeoisie, sich die Herrschaft zu erobern, scheiterten vollends an der Unm&ouml;glichkeit,
von Ru&szlig;land loszukommen, an dem R&uuml;ckhalt, den Ru&szlig;land der
feudalistisch-absolutistischen Klasse in Preu&szlig;en bot.</p>
<p>Dazu kam, da&szlig; von dem ersten Unterdr&uuml;ckungsversuche der Alliierten an die Polen
nicht nur insurrektionell f&uuml;r ihre Unabh&auml;ngigkeit k&auml;mpften, da&szlig; sie
zugleich <i>revolution&auml;r</i> gegen ihre eigenen inneren gesellschaftlichen Zust&auml;nde
auftraten.</p>
<p>Die Teilung Polens war zustande gekommen durch das B&uuml;ndnis der gro&szlig;en
Feudalaristokratie in Polen mit den drei teilenden M&auml;chten. Sie war kein Fortschritt, wie
der Ex-Poet Herr Jordan behauptet, sie war das letzte Mittel f&uuml;r die gro&szlig;e
Aristokratie, sich vor einer Revolution zu retten, sie war durch und durch reaktion&auml;r.</p>
<p><b><a name="S333">&lt;333&gt;</a></b> Die Folge schon der ersten Teilung war ganz
nat&uuml;rlich eine Allianz der &uuml;brigen Klassen, d.h. des Adels, der B&uuml;rgerschaft der
St&auml;dte und teilweise der Bauern, sowohl gegen die Unterdr&uuml;cker Polens wie gegen die
gro&szlig;e Aristokratie des Landes selbst. Wie sehr die Polen es schon damals begriffen,
da&szlig; ihre Unabh&auml;ngigkeit nach au&szlig;en unzertrennlich sei von dem Sturz der
Aristokratie und von der agrarischen Reform im Innern, beweist die Konstitution von 1791.</p>
<p>Die gro&szlig;en ackerbauenden L&auml;nder zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meere
k&ouml;nnen sich aus der patriarchalisch-feudalen Barbarei retten nur durch eine agrarische
Revolution, die die leibeigenen oder fronpflichtigen Bauern in freie Grundbesitzer verwandelt,
eine Revolution, die ganz dieselbe ist wie die franz&ouml;sische von 1789 auf dem platten
Lande. Die polnische Nation hat das Verdienst, unter allen ihren ackerbauenden
Nachbarv&ouml;lkern dies zuerst proklamiert zu haben. Der erste Reformversuch war die
Verfassung von 1791; in dem Aufstande von 1830 wurde die agrarische Revolution von Lelewel als
einziges Mittel zur Rettung des Landes ausgesprochen, aber zu sp&auml;t vom Reichstage
anerkannt; in den Insurrektionen von 1846 und 1848 wurde sie offen proklamiert.</p>
<p>Von dem Tage ihrer Unterdr&uuml;ckung an traten die Polen revolution&auml;r auf und
fesselten dadurch ihre Unterdr&uuml;cker um so fester an die Kontrerevolution. Sie zwangen ihre
Unterdr&uuml;cker, den patriarchalisch-feudalen Zustand nicht nur in Polen, sondern auch in
ihren &uuml;brigen L&auml;ndern aufrechtzuhalten. Und namentlich seit dem Krakauer Aufstand von
1846 ist der Kampf f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens zugleich der Kampf der
<i>agrarischen Demokratie</i> - der in Osteuropa einzig m&ouml;glichen - gegen den
<i>patriarchalisch-feudalen Absolutismus</i>.</p>
<p>Solange wir also Polen unterdr&uuml;cken helfen, solange wir einen Teil von Polen an
Deutschland schmieden, solange bleiben wir an Ru&szlig;land und die russische Politik
geschmiedet, solange k&ouml;nnen wir den patriarchalisch-feudalen Absolutismus bei uns selbst
nicht gr&uuml;ndlich brechen. Die Herstellung eines demokratischen Polens ist die erste
Bedingung der Herstellung eines demokratischen Deutschlands.</p>
<p>Die Herstellung Polens und seine Grenzregulierung mit Deutschland ist aber nicht nur
notwendig, sie ist bei weitem die l&ouml;sbarste von all den politischen Fragen, die seit der
Revolution in Osteuropa aufgetaucht sind. Die Unabh&auml;ngigkeitsk&auml;mpfe der V&ouml;lker
aller St&auml;mme, die s&uuml;dlich von den Karpaten bunt durcheinandergew&uuml;rfelt sind,
sind ganz anders verwickelt, werden weit mehr Blut, Verwirrung und B&uuml;rgerkrieg kosten als
der polnische Unabh&auml;ngigkeitskampf und die Feststellung der Grenze zwischen Deutschland
und Polen.</p>
<p><b><a name="S334">&lt;334&gt;</a></b> Es versteht sich, da&szlig; es sich nicht von der
Herstellung eines Scheinpolen handelt, sondern von der Herstellung eines Staats auf
lebensf&auml;higer Grundlage. Polen mu&szlig; wenigstens die Ausdehnung von 1772 haben,
mu&szlig; nicht nur die Gebiete, sondern auch die M&uuml;ndungen seiner gro&szlig;en
Str&ouml;me und mu&szlig; wenigstens an der Ostsee einen gro&szlig;en K&uuml;stenstrich
besitzen.</p>
<p>Alles das konnte ihm Deutschland garantieren und doch dabei seine Interessen und seine Ehre
sicherstellen, wenn es nach der Revolution in seinem eignen Interesse den Mut hatte, von
Ru&szlig;land die Herausgabe Polens mit den Waffen in der Hand zu fordern. Da&szlig; bei dem
Durcheinander von Deutsch und Polnisch an der Grenze und namentlich an der K&uuml;ste beide
Teile sich gegenseitig etwas nachgeben, da&szlig; mancher Deutsche polnisch, mancher Pole
h&auml;tte deutsch werden m&uuml;ssen, verstand sich von selbst und h&auml;tte keine
Schwierigkeit gemacht.</p>
<p>Aber nach der halben deutschen Revolution hatte man den Mut nicht, so entschieden
aufzutreten. Pomphafte Reden halten &uuml;ber die Befreiung Polens, die durchziehenden Polen an
den Eisenbahnstationen empfangen und ihnen die gl&uuml;hendsten Sympathien des deutschen Volks
anbieten (wem sind die nicht schon angeboten worden?) - das lie&szlig; sich h&ouml;ren; aber
einen Krieg mit Ru&szlig;land anfangen, das ganze europ&auml;ische Gleichgewicht in Frage
stellen und vollends irgendein L&auml;ppchen des geraubten Gebiets herausgeben - ja, da
m&uuml;&szlig;te man seine Deutschen nicht kennen!</p>
<p>Und was war der Krieg mit Ru&szlig;land? Der Krieg mit Ru&szlig;land war der
vollst&auml;ndige, offne und wirkliche Bruch mit unsrer ganzen schmachvollen Vergangenheit, war
die wirkliche Befreiung und Vereinigung Deutschlands, war die Herstellung der Demokratie auf
den Tr&uuml;mmern der Feudalit&auml;t und des kurzen Herrschaftstraums der Bourgeoisie. Der
Krieg mit Ru&szlig;land war der einzig m&ouml;gliche Weg, unsre Ehre und unsre Interessen
gegen&uuml;ber unsren slawischen Nachbarn und namentlich gegen&uuml;ber den Polen zu
retten.</p>
<p>Aber wir waren Spie&szlig;b&uuml;rger und wir blieben Spie&szlig;b&uuml;rger. Wir machten
ein paar Dutzend kleine und gro&szlig;e Revolutionen, vor denen wir uns selbst f&uuml;rchteten,
noch ehe sie vollendet waren. Nachdem wir den Mund recht voll genommen hatten, f&uuml;hrten wir
gar nichts aus. Die Revolution, statt unsern Gesichtskreis zu erweitern, verengerte ihn. Mit
der zaghaftesten, borniertesten, engherzigsten Philisterei wurden alle Fragen behandelt und
damit nat&uuml;rlich unsre wirklichen Interessen wieder kompromittiert. Auf dem Standpunkte
dieser kleinlichen Philisterei reduzierte sich denn auch die gro&szlig;e Frage von der
Befreiung Polens auf die winzige Phrase von der Reorganisation eines Teils der Provinz Posen,
verwandelte sich unser Enthusiasmus f&uuml;r die Polen in Schrapnells und H&ouml;llenstein.</p>
<p><b><a name="S335">&lt;335&gt;</a></b> Die einzig m&ouml;gliche, die einzige L&ouml;sung, die
Deutschlands Ehre, Deutschlands Interessen gewahrt h&auml;tte, wir wiederholen es, war der
Krieg mit Ru&szlig;land. Man hat ihn nicht gewagt, und das Unvermeidliche ist erfolgt: Die
Soldateska der Reaktion, in Berlin geschlagen, erhob ihr Haupt wieder in Posen; unter dem
Scheine, Deutschlands Ehre und Nationalit&auml;t zu retten, pflanzte sie das Banner der
Kontrerevolution auf und erdr&uuml;ckte die revolution&auml;ren Polen, unsre Bundesgenossen -
und das geprellte Deutschland jauchzte einen Augenblick seinen siegreichen Feinden Beifall zu.
Die neue Teilung Polens wurde vollzogen, und es fehlte ihr nur noch die Sanktion der deutschen
Nationalversammlung.</p>
<p>Es war f&uuml;r die Frankfurter Versammlung noch ein Weg m&ouml;glich, um die Sache wieder
gutzumachen: Man h&auml;tte ganz Posen vom Deutschen Bunde ausschlie&szlig;en und die
Grenzfrage f&uuml;r offen erkl&auml;ren m&uuml;ssen, bis man mit dem wiederhergestellten Polen
dar&uuml;ber d'&eacute;gal &agrave; &eacute;gal &lt;als Gleicher mit Gleichen&gt; verhandeln
k&ouml;nne.</p>
<p>Aber das w&auml;re zuviel verlangt gewesen von unsern Frankfurter Professoren, Advokaten und
Past&ouml;ren der Nationalversammlung! Die Lockung war zu gro&szlig;: Sie, die ruhigen
B&uuml;rger, die nie eine Flinte abgefeuert, sollten durch Aufstehen und Sitzenbleiben ein Land
von 500 Quadratmeilen f&uuml;r Deutschland erobern, 800.000 Netzbr&uuml;der, Deutschpolen,
Juden und Polen einverleiben, wenn auch auf Kosten der Ehre und der wirklichen, dauernden
Interessen Deutschlands - welche Versuchung! - Sie sind ihr erlegen, sie haben die Teilung
Polens best&auml;tigt.</p>
<p>Aus welchen Gr&uuml;nden, werden wir morgen sehn.</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-22">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 82 vom 22. August
1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 21. August. Wir &uuml;bergehen die Vorfrage, ob die Posener Abgeordneten
mitberaten und abstimmen sollen, und gehen gleich zur Debatte &uuml;ber die Hauptfrage.</p>
<p>Herr <i>Stenzel</i>, der Berichterstatter, er&ouml;ffnete sie mit einer erschrecklich
konfusen und diffusen Rede. Er stellt sich als Historiker und gewissenhaften Mann hin, er
spricht von Festungen und Feldschanzen, Himmel und H&ouml;lle, Sympathien und deutschen Herzen;
er geht zur&uuml;ck auf das 11. Jahrhundert, um zu beweisen, da&szlig; der polnische Adel den
Bauern immer unterdr&uuml;ckt habe; er benutzt einige sp&auml;rliche Data der polnischen
Geschichte als Entschuldigung f&uuml;r einen endlosen Strom der plattesten Gemeinpl&auml;tze
&uuml;ber Adel, Bauern, St&auml;dte, Wohltaten der absoluten Monarchie usw.; er entschuldigt in
<a name="S336"></a><b>&lt;336&gt;</b> holpriger und verlegener Sprache die Teilung Polens; er
setzt die Bestimmungen der Konstitution vom 3. Mai 1791 in einer so bunten Konfusion
auseinander, da&szlig; die Mitglieder, die sie bisher nicht kannten, jetzt erst recht nicht
wissen, woran sie sind; er will eben auf das Gro&szlig;herzogtum Warschau &uuml;bergehen, als
er durch den lauten Ruf: "Das geht zu weit!" und durch den Pr&auml;sidenten unterbrochen
wird.</p>
<p>Der gro&szlig;e Geschichtsforscher, g&auml;nzlich in Verwirrung gebracht, f&auml;hrt fort in
folgenden r&uuml;hrenden Worten:</p>
<blockquote>
"Ich werde kurz sein. Es fragt sich nun: Was wollen wir tun. Diese Frage ist ganz
nat&uuml;rlich" (! buchst&auml;blich). "Der Adel will das Reich wiederherstellen. Er
behauptet, er sei demokratisch. Ich zweifle nicht dran, da&szlig; er's ehrlich meint. Allein,
meine Herren, es ist nat&uuml;rlich (!), da&szlig; manche St&auml;nde sich gro&szlig;e
Illusionen machen. Ich glaube an die Aufrichtigkeit vollkommen, allein, wenn F&uuml;rsten und
Grafen in das Volk &uuml;bergehen sollen, so wei&szlig; ich nicht, wie die Verschmelzung
stattfinden wird" (was geht das auch den Herrn Stenzel an!). "Das ist in Polen unm&ouml;glich
etc."
</blockquote>
<p>Herr Stenzel tut, als ob in Polen Adel und Aristokratie ganz dasselbe sei. Lelewels
"Histoire de Pologne", die er selbst zitierte, Mieroslawskis "D&eacute;bat entre la
r&eacute;volution et la contrer&eacute;volution en Pologne" und eine Masse anderer neuerer
Schriften k&ouml;nnten den "Mann, der sich seit Jahren mit Geschichte besch&auml;ftigt", eines
Bessern belehren. Die meisten "F&uuml;rsten und Grafen", von denen Herr Stenzel spricht, sind
ja gerade diejenigen, gegen welche die polnische Demokratie selbst ank&auml;mpft.</p>
<p>Man soll also, meint Herr Stenzel, den Adel fallenlassen mit seinen Illusionen und ein Polen
gr&uuml;nden f&uuml;r den Bauern (indem man ein St&uuml;ck Polen nach dem andern zu Deutschland
schl&auml;gt).</p>
<blockquote>
"Reichen Sie vielmehr den armen Bauern die H&auml;nde, damit diese emporkommen, damit es
ihnen vielleicht (!) gelinge, ein freies Polen herzustellen, aber nicht nur herzustellen,
sondern auch zu erhalten. Das, meine Herren, ist die Hauptsache!"
</blockquote>
<p>Und unter dem Jubelruf der Nationalsalbaderer der Zentren": "Sehr brav!" "Ausgezeichnet!"
verl&auml;&szlig;t der siegestrunkne Geschichtsforscher die Trib&uuml;ne. Die neue Teilung
Polens als eine Wohltat f&uuml;r die polnischen Bauern darstellen, diese &uuml;berraschend
unsinnige Wendung mu&szlig;te allerdings die im Zentrum der Versammlung vereinigte Masse von
Gem&uuml;tlichkeit und Menschenliebe bis zu Tr&auml;nen r&uuml;hren!</p>
<p>Folgt Herr <i>Goeden</i> von <i>Krotoszyn</i>, ein Deutschpole vom reinsten Wasser. Nach ihm
tritt Herr <i>Senff</i> von <i>Inowroclaw</i> auf, ein sch&ouml;nes Musterbild eines
Netzbruders, an dem kein Falsch ist, der sich gegen den Ausschu&szlig;antrag hatte einschreiben
lassen und der daf&uuml;r sprach, so da&szlig; ein Redner gegen den Antrag um seine Reihenfolge
f&uuml;r das Wort geprellt war.</p>
<p><b><a name="S337">&lt;337&gt;</a></b> Die Art und Weise, wie die Herren Netzbr&uuml;der hier
auftreten, ist die possierlichste Kom&ouml;die von der Welt und zeigt abermals, wozu ein echter
Preu&szlig;e f&auml;hig ist. Wir alle wissen, die profitw&uuml;tigen
j&uuml;disch-preu&szlig;ischen Winkelm&auml;nner aus Posen bek&auml;mpften die Polen in der
innigsten Harmonie mit der B&uuml;rokratie, mit dem k[&ouml;niglich]-preu&szlig;ischen
Offizierskorps und mit der m&auml;rkischen und pommerschen Junkerschaft, kurz mit allem, was
reaktion&auml;r, was altpreu&szlig;isch war. Der Verrat an Polen war die erste Schilderhebung
der Kontrerevolution, und niemand war kontrerevolution&auml;rer als gerade die Herren
Netzbr&uuml;der.</p>
<p>Und nun sehe man diese preu&szlig;enw&uuml;tigen Schulmeister und Beamten mit Gott f&uuml;r
K&ouml;nig und Vaterland hier in Frankfurt, wie sie ihren kontrerevolution&auml;ren Verrat an
der polnischen Demokratie f&uuml;r eine Revolution, f&uuml;r eine wirkliche und echte
Revolution im Namen der souver&auml;nen Netzbr&uuml;derschaft erkl&auml;ren, wie sie das
historische Recht mit F&uuml;&szlig;en treten und &uuml;ber der angeblichen Leiche Polens
ausrufen: Nur der Lebende hat recht !</p>
<p>Aber so ist der Preu&szlig;e: An der Spree von Gottes Gnaden, an der Warta souver&auml;nes
Volk; an der Spree P&ouml;belaufruhr, an der Warta Revolution; an der Spree historisches Recht,
"das keinen Datum nicht hat" &lt;Ausspruch Lichnowskis; siehe. <a href="me05_319.htm#S351">S. 351</a>&gt;,
an der Warta Recht der lebendigen Tatsache, die von gestern datiert - und trotz alledem ohne
Falsch, ehrlich und brav im treuen preu&szlig;ischen Herzen!</p>
<p>H&ouml;ren wir den Herrn Goeden.</p>
<blockquote>
"Zum zweiten Male sollen wir eine Sache verteidigen, die von solcher Bedeutsamkeit, von
solcher Folgewichtigkeit f&uuml;r unser Vaterland ist, da&szlig;, h&auml;tte sie sich nicht
in sich selber als eine durchaus rechtliche f&uuml;r uns herausgearbeitet (!), sie
<i>notwendig dazu gemacht werden m&uuml;&szlig;te</i> (!!). Unser Recht hat weniger in der
Vergangenheit als in den <i>hei&szlig;en Pulsschl&auml;gen</i>" (und namentlich den
Kolbenschl&auml;gen) "der <i>Gegenwart</i> seine Wurzeln."
</blockquote>
<p>"Der polnische Bauer und B&uuml;rger f&uuml;hlte sich durch die" (preu&szlig;ische)
"Besitzergreifung in einen solchen Zustand der Sicherheit und des Wohlseins versetzt, wie er
ihn nie gekannt hatte." (Namentlich seit den polnisch-preu&szlig;ischen Kriegen und den
Teilungen Polens nicht.)</p>
<p>"Der Bruch der Gerechtigkeit, der in der Teilung Polens liegt, ist durch die Humanit&auml;t
Ihres" (des deutschen) "Volks" (und besonders durch die Stockpr&uuml;gel der preu&szlig;ischen
Beamten), "durch seinen Flei&szlig;" (auf geraubtem und verschenktem polnischem Grundeigentum),
"und im April dieses Jahres auch durch sein <i>Blut</i> vollst&auml;ndig ges&uuml;hnt
worden!"</p>
<p>Das Blut des Herrn Goeden von Krotoszyn!</p>
<blockquote>
"Die <i>Revolution</i> ist unser Recht, und kraft derselben sind wir hier!"
</blockquote>
<p><b><a name="S338">&lt;338&gt;</a></b> "Die Beweistitel unsrer rechtm&auml;&szlig;igen
Einverleibung in Deutschland bestehen nun nicht in vergilbten Pergamenten, wir sind nicht
angeheiratet, nicht angeerbt, nicht durch Kauf oder Tausch erworben worden; wir sind Deutsche
und geh&ouml;ren unserem Vaterlande an, weil uns ein vern&uuml;nftiger, rechtlicher, <i>ein
souver&auml;ner Wille</i> dazu treibt, ein Wille, der bedingt ist durch unsre geographische
Lage, unsre Sprache und Sitte, unsre Zahl (!), unsern Besitz, vor allem aber durch unsre
deutsche Gesinnung und unsre Liebe zum Vaterlande."</p>
<p>"Unsre Rechte sind so sichere, so tief im <i>modernen Weltbewu&szlig;tsein</i> ruhende,
da&szlig; nicht einmal ein deutsches Herz dazu geh&ouml;rt, sie anerkennen zu m&uuml;ssen!"</p>
<p>Es lebe der im modernen Weltbewu&szlig;tsein beruhende, auf die Schrapnell-Revolution
gest&uuml;tzte, in den hei&szlig;en Pulsschl&auml;gen der standrechtlichen Gegenwart wurzelnde
souver&auml;ne Wille der preu&szlig;isch-j&uuml;dischen Netzbr&uuml;derschaft! Es lebe das
Deutschtum der posenschen B&uuml;rokratengeh&auml;lter, des Kirchen- und
Starosteig&uuml;terraubs und der Geldvorsch&uuml;sse &agrave; la Flottwell!</p>
<p>Nach dem deklamatorischen Ritter der h&ouml;heren Berechtigung kommt der unversch&auml;mte
Netzbruder. F&uuml;r den Herrn Senff von Inowroclaw ist selbst der Stenzelsche Antrag noch zu
h&ouml;flich gegen die Polen, und daher schl&auml;gt er eine etwas gr&ouml;bere Fassung vor.
Mit derselben Stirn, mit der er sich unter diesem Vorwand als Redner gegen den Antrag
einschreiben lie&szlig;, erkl&auml;rte er, es sei ein himmelschreiendes Unrecht, die Posener
von der Abstimmung auszuschlie&szlig;en:</p>
<blockquote>
"Ich glaube, da&szlig; die Posener Abgeordneten <i>erst recht</i> dazu berufen seien
mitzustimmen, denn es handelt sich gerade um die wichtigsten Rechte derjenigen, die uns
hergeschickt haben."
</blockquote>
<p>Herr Senff geht dann auf die Geschichte Polens seit der ersten Teilung ein und bereicherte
sie mit einer Reihe absichtlicher F&auml;lschungen und schreiender Unwahrheiten, wovor Herr
Stenzel als der beklagenswerteste St&uuml;mper dasteht. Alles Ertr&auml;gliche, was in Posen
existiert, verdankt seinen Ursprung der preu&szlig;ischen Regierung und den
Netzbr&uuml;dern.</p>
<blockquote>
"Das Gro&szlig;herzogtum Warschau entstand. An die Stelle der preu&szlig;ischen Beamten
traten polnische, und im Jahre 1814 war kaum noch eine Spur dessen zu bemerken, was die
preu&szlig;ische Regierung f&uuml;r diese Provinzen Gutes getan hatte."
</blockquote>
<p>Herr Senff hat recht. Weder von der Leibeigenschaft, noch von den etatsm&auml;&szlig;igen
Zahlungen polnischer Distrikte an preu&szlig;ische Bildungsanstalten, z.B. f&uuml;r die
Universit&auml;t Halle, noch von den Erpressungen und Brutalit&auml;ten preu&szlig;ischer, des
Polnischen unkundiger Beamten war "noch eine Spur zu bemerken". Aber noch war Polen nicht
verloren, denn Preu&szlig;en kam von Ru&szlig;lands Gnaden wieder in Flor, und Posen kam wieder
an Preu&szlig;en.</p>
<blockquote>
<b><a name="S339">&lt;339&gt;</a></b> <font size="2">"Von da ab erneuerten sich die
Bestrebungen der preu&szlig;ischen Regierung, gerichtet auf Verbesserung der
Verh&auml;ltnisse der Provinz Posen."</font>
</blockquote>
<p>Wer dar&uuml;ber etwas N&auml;heres wissen will, der lese die Flottwellsche Denkschrift von
1841 nach. Bis 1830 geschah durch die Regierung gar <i>nichts</i>. Flottwell fand nur
<i>vier</i> Meilen Chaussee im ganzen Gro&szlig;herzogtum vor! Und sollen wir die
Flottwellschen Wohltaten aufz&auml;hlen? Herr Flottwell, ein schlauer B&uuml;rokrat, suchte die
Polen durch Chausseebauten, Schiffbarmachungen von Fl&uuml;ssen, Trockenlegungen von
S&uuml;mpfen etc. etc. zu bestechen; aber nicht mit dem Gelde der preu&szlig;[ischen]
Regierung, sondern mit <i>ihrem eignen Gelde</i> bestach er sie. Alle jene Verbesserungen
geschahen haupts&auml;chlich aus Privat- oder Kreismitteln; und wenn die Regierung hie und da
einige Gelder zuscho&szlig;, so war das nur der kleinste Teil der Summen, die sie an Steuern
und am Ertrag der polnischen National- und Kirchendom&auml;nen aus der Provinz zog. Ferner
verdanken die Polen dem Herrn Flottwell nicht nur das Fortbestehen der Suspendierung der Wahl
der Landr&auml;te durch die Kreise (seit 1826), sondern speziell noch die langsame
Expropriation der polnischen Gutsbesitzer durch die Regierungsaufk&auml;ufe subhastierter
Ritterg&uuml;ter, die nur an gutgesinnte Deutsche wieder verkauft wurden (Kabinettsordre von
1833). Eine schlie&szlig;liche Wohltat der Flottwellschen Verwaltung war die Verbesserung des
Schulwesens. Aber diese war wieder eine Verpreu&szlig;ungsma&szlig;regel. Die h&ouml;heren
Schulen sollten die jungen Adligen und zuk&uuml;nftigen katholischen Geistlichen, die niederen
sollten die Bauern durch preu&szlig;ische Lehrer verpreu&szlig;en. Wie es mit den
Bildungsanstalten gemeint war, hat der Bromberger Regierungspr&auml;sident, Herr Wallach, in
einer unbewachten Aufwallung verraten; er schreibt an den Oberpr&auml;sidenten Herrn Beurmann,
die <i>polnische Sprache</i> sei ein <i>Haupthindernis</i> der Verbreitung von Bildung und
Wohlstand unter der l&auml;ndlichen Bev&ouml;lkerung! Allerdings ganz richtig, wenn der
Schulmeister kein Polnisch versteht. - Wer &uuml;brigens diese Schulen bezahlte, das waren
wieder die Polen selbst, denn 1. wurden die meisten und wichtigsten, aber nicht gerade der
Verpreu&szlig;ung dienenden Institute aus Privatbeitr&auml;gen oder von den
Provinzialst&auml;nden gegr&uuml;ndet und dotiert, und 2. wurden selbst die
Verpreu&szlig;ungsschulen von den Eink&uuml;nften der am 31. M&auml;rz 1833
s&auml;kularisierten Kl&ouml;ster erhalten, und die Staatskasse bewilligte nur 21.000 Taler
j&auml;hrlich auf zehn Jahre. - Im &uuml;brigen gesteht Herr Flottwell zu, da&szlig; alle
Reformen von den Polen selbst ausgegangen. Da&szlig; die gr&ouml;&szlig;ten Wohltaten der
preu&szlig;ischen Regierung in der Einziehung bedeutender Renten und Steuern und in der
Verwendung der jungen Leute f&uuml;r den preu&szlig;ischen Kriegsdienst bestanden, verschweigt
Herr Flottwell nicht minder als Herr Senff.</p>
<p><b><a name="S340">&lt;340&gt;</a></b> Kurz, die s&auml;mtlichen Wohltaten der
preu&szlig;ischen Regierung reduzieren sich auf die Versorgung von preu&szlig;ischen
Unteroffizieren im Posenschen, sei es als Exerziermeister, Schulmeister, Gendarmen oder
Steuereintreiber.</p>
<p>Auf die weiteren grundlosen Verd&auml;chtigungen der Polen sowie auf die falschen
statistischen Angaben des Herrn Senff k&ouml;nnen wir weiter nicht eingehen. Genug, Herr Senff
spricht blo&szlig;, um die Polen bei der Versammlung geh&auml;ssig zu machen.</p>
<p>Es folgt Herr <i>Robert Blum</i>. Wie gew&ouml;hnlich h&auml;lt er einen sogenannten
ge<i>diegenen</i> Vortrag, d.h. einen Vortrag, der mehr Gesinnung als Gr&uuml;nde und mehr
Deklamation als Gesinnung enth&auml;lt, und der &uuml;brigens als Deklamatorium - wir
m&uuml;ssen es gestehen - keinen gr&ouml;&szlig;eren Effekt macht als das moderne
Weltbewu&szlig;tsein des Herrn Goeden von Krotoszyn. Polen, der Wall gegen nordische Barbarei
-- wenn die Polen Laster haben, so ist das die Schuld ihrer &lt;In der "Neuen Rheinischen
Zeitung" seiner&gt; Unterdr&uuml;cker -- der alte Gagern erkl&auml;rt die Teilung Polens
f&uuml;r den Alp, der auf unserer Zeit laste -- die Polen lieben ihr Vaterland warm, und wir
k&ouml;nnten ein Beispiel dran nehmen -- Gefahren, die von Ru&szlig;land drohen ---- wenn nun
in Paris die rote Republik siegte und Polen mit Gewalt der Waffen befreien wollte, wie dann,
meine Herren? - Seien wir unparteiisch usw. usw.</p>
<p>Es tut uns leid f&uuml;r Herrn Blum, aber wenn man alle diese sch&ouml;nen Sachen ihres
deklamatorischen Flitters beraubt, so bleibt nichts &uuml;brig als die allertrivialste
Kannegie&szlig;erei, wenn auch - was wir gern zugeben - Kannegie&szlig;erei auf gro&szlig;em
Fu&szlig; und in erhabener Arbeit. Selbst wenn Herr Blum meint, die Nationalversammlung
m&uuml;sse in Schleswig, B&ouml;hmen, Welschtirol, den russischen Ostseeprovinzen und dem
Elsa&szlig; konsequenterweise nach demselben Prinzip verfahren wie in Posen, so ist das ein
Grund, der nur berechtigt ist gegen&uuml;ber den gedankenlosen Nationalit&auml;tsl&uuml;gen und
der bequemen Inkonsequenz der Majorit&auml;t. Und wenn er meint, nur mit einem schon
existierenden Polen k&ouml;nne Deutschland anst&auml;ndigerweise wegen Posens verhandeln, so
werden wir ihm das nicht leugnen, aber doch bemerken, da&szlig; dieser einzige triftige Grund
in seiner Rede schon hundertmal und viel besser von den Polen selbst entwickelt ist,
w&auml;hrend er bei Herrn Blum als stumpfer rhetorischer Pfeil mit "M&auml;&szlig;igung und
schonender Milde" auf die verh&auml;rtete Brust der Majorit&auml;t fruchtlos abgeschossen
wird.</p>
<p>Herr Blum hat recht, wenn er sagt, Schrapnells sind keine Gr&uuml;nde, aber er hat unrecht -
und er wei&szlig; es -, wenn er sich unparteiisch auf einen "gem&auml;&szlig;igten" h&ouml;hern
Standpunkt stellt. Mag Herr Blum &uuml;ber die Polenfrage <a name="S341"></a><b>&lt;341&gt;</b>
nicht im klaren sein, das ist seine eigne Schuld. Aber da&szlig; er 1. glaubt, bei der
Majorit&auml;t durchzusetzen, auch nur da&szlig; sie von der Zentralgewalt Bericht einverlange,
und 2. da&szlig; er sich einbildet, durch den Bericht dieser Zentralgewaltsminister, die sich
bei Gelegenheit des 6. August so schm&auml;hlich vor den preu&szlig;ischen
Souver&auml;net&auml;tsgel&uuml;sten gebeugt haben - durch den Bericht dieser Minister werde er
auch nur das geringste gewinnen, das ist schlimm f&uuml;r Herrn Blum. Will man auf der
"entschiednen Linken" sitzen, so ist das erste Erfordernis, da&szlig; man alle schonende Milde
beiseite legt und da&szlig; man darauf verzichtet, irgend etwas, sei es auch noch so gering,
bei der Majorit&auml;t durchzusetzen.</p>
<p>&Uuml;berhaupt ergeht sich in der Polenfrage, wie immer, fast die ganze Linke in
Deklamationen oder gar in phantastischen Schw&auml;rmereien, ohne auf das tats&auml;chliche
Material, auf den praktischen Inhalt der Frage auch nur im entferntesten einzugehn. Und doch
war gerade hier das Material so reichhaltig, die Tatsachen so schlagend. Dazu geh&ouml;rt
freilich, da&szlig; man die Frage studiert, und das kann man sich nat&uuml;rlich sparen, wenn
man einmal durch das Fegefeuer der Wahl passiert und keinem Menschen weiter verantwortlich
ist.</p>
<p>Auf die wenigen Ausnahmen kommen wir im Verlauf der Debatte zur&uuml;ck. Morgen ein
W&ouml;rtchen mit Herrn Wilhelm Jordan, der keine Ausnahme ist, sondern diesmal im
buchst&auml;blichen Sinne, und aus Gr&uuml;nden, mit dem gro&szlig;en Haufen l&auml;uft.</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-26">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 86 vom 26. August
1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 25. August. Endlich verlassen wir, gottlob, die platte Sandebene der
allt&auml;glichen Kannegie&szlig;erei, um die erhabenern Alpenpartien der gro&szlig;en Debatte
zu betreten! Endlich besteigen wir jenen wolkenteilenden Gipfel, wo die Adler horsten, wo der
Mensch dem G&ouml;ttlichen Aug ins Auge blickt, von wo er ver&auml;chtlich herabsieht auf das
kleine Gew&uuml;rm, das tief, tief unten sich mit den wenigen Argumenten des gew&ouml;hnlichen
Menschenverstandes herumschl&auml;gt! Endlich, nach den Scharm&uuml;tzeln eines Blum mit einem
Stenzel, einem Goeden, einem Senff von Inowroclaw, er&ouml;ffnet sich die gro&szlig;e Schlacht,
in der ariostische Helden mit den Lanzensplittern ihres Geistes das Blachfeld
&uuml;bers&auml;en!</p>
<p>Die Reihen der K&auml;mpfer er&ouml;ffnen sich ehrfurchtsvoll, und mit geschwungenem Schwert
sprengt vor Herr <i>Wilhelm Jordan</i> von Berlin.</p>
<p>Wer ist Herr Wilhelm Jordan von Berlin?</p>
<p>Herr Wilhelm Jordan von Berlin war zur Zeit der Bl&uuml;te deutschen Literatentums Literat
in K&ouml;nigsberg. Man hielt halberlaubte Versammlungen <a name="S342"></a><b>&lt;342&gt;</b>
auf dem B&ouml;ttchersh&ouml;fchen; Herr Wilhelm Jordan ging hin, las ein Gedicht vor: "Der
Schiffer und sein Gott", und wurde ausgewiesen.</p>
<p>Herr Wilhelm Jordan von Berlin ging nach Berlin. Dort hielt man Studentenversammlungen. Herr
Wilhelm Jordan las ein Gedicht vor: "Der Schiffer und sein Gott", und wurde ausgewiesen.</p>
<p>Herr Wilhelm Jordan von Berlin ging nach Leipzig. Dort waren ebenfalls irgendwelche
unschuldige Zusammenk&uuml;nfte. Herr Wilhelm Jordan las ein Gedicht vor: "Der Schiffer und
sein Gott", und wurde ausgewiesen.</p>
<p>Herr Wilhelm Jordan gab ferner mehrere Schriften heraus: Ein Gedicht "Glocke und Kanone";
eine Sammlung litauischer Volkslieder, darunter auch eigenes Fabrikat, namentlich
selbstverfa&szlig;te Polenlieder; &Uuml;bersetzungen von George Sand; eine Zeitschrift, die
unbegreifliche "begriffene Welt" usw. im Dienst des r&uuml;hmlichst bekannten Herrn Otto
Wigand, der es noch nicht so weit gebracht hat wie sein franz&ouml;sisches Original, Herr
Pagnerre; ferner eine &Uuml;bersetzung von Lelewels "Histoire de Pologne" mit
polenschw&auml;rmender Vorrede usw.</p>
<p>Die Revolution kam. En un lugar de la Mancha, cuyo nombre no quiero acordarme &lt;In einem
Flecken des L&auml;ndchens la Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern mag (Anfangsworte
des Romans "Don Quijote von Cervantes)&gt; - in einem Ort der deutschen Mancha, der Mark
Brandenburg, wo die Don Ouixoten wachsen, einem Ort, auf dessen Namen ich mich nicht besinnen
mag, pr&auml;sentierte sich Herr Wilhelm Jordan von Berlin als Kandidat f&uuml;r die deutsche
Nationalversammlung. Die Bauern des Kreises waren gem&uuml;tlich-konstitutionell. Herr Wilhelm
Jordan hielt mehrere eindringliche Reden, voll der konstitutionellsten Gem&uuml;tlichkeit Die
entz&uuml;ckten Bauern w&auml;hlten den gro&szlig;en Mann zum Deputierten. Kaum in Frankfurt
angekommen, setzt sich der edle Unverantwortliche auf die "entschiedene" Linke und stimmt mit
den Republikanern. Die Bauern, die in ihrer Eigenschaft als Wahlm&auml;nner diesen
parlamentarischen Don Ouixote gezeugt hatten, senden ihm ein Mi&szlig;trauensvotum, erinnern
ihn an seine Versprechungen, rufen ihn zur&uuml;ck. Aber Herr Wilhelm Jordan h&auml;lt sich an
sein Wort ebensowenig gebunden wie ein K&ouml;nig und f&auml;hrt fort, bei jeder Gelegenheit
seine "Glocke und Kanone" in der Versammlung ert&ouml;nen zu lassen.</p>
<p>Jedesmal, wenn Herr Wilhelm Jordan auf die Kanzel der Paulskirche trat, hat er im Grunde nur
ein Gedicht vorgelesen: "Der Schiffer und sein Gott", - womit jedoch nicht gesagt ist,
da&szlig; er damit verdient h&auml;tte, ausgewiesen zu werden.</p>
<p>H&ouml;ren wir das letzte Glockengel&auml;ute und den neuesten Kanonendonner des
gro&szlig;en Wilhelm Jordan &uuml;ber Polen.</p>
<blockquote>
<b><a name="S343">&lt;343&gt;</a></b> <font size="2">"Vielmehr glaube ich, da&szlig; wir uns
erheben m&uuml;ssen auf den <i>weltgeschichtlichen Standpunkt,</i> auf dem die Posener
Angelegenheit zu untersuchen ist in ihrer Bedeutung als Episode des gro&szlig;en polnischen
Dramas."</font>
</blockquote>
<p>Mit einem Ruck hebt uns der gewaltige Herr Wilhelm Jordan weit &uuml;ber die Wolken, auf den
schneebedeckten, himmelanstrebenden Chimborazo des "weltgeschichtlichen Standpunkts" und
er&ouml;ffnet uns die unerme&szlig;lichste Aussicht.</p>
<p>Vorab aber ergeht er sich noch einen Augenblick auf dem allt&auml;glichen Gebiet der
"speziellen" Beratung, und zwar mit vielem Gl&uuml;ck. Einige Proben:</p>
<blockquote>
"Sp&auml;ter kam er" (der Netzdistrikt) "durch den Vertrag von Warschau" (d.h. die erste
Teilung) "an Preu&szlig;en und ist seitdem bei Preu&szlig;en geblieben, wenn man von der
kurzen Zwischenexistenz des Herzogtums Warschau absehen will."
</blockquote>
<p>Herr Jordan spricht hier vom Netzdistrikt im <i>Gegensatz</i> zum &uuml;brigen Posen. Er,
der Ritter des welthistorischen Standpunkts, der Kenner polnischer Geschichte, der
&Uuml;bersetzer Lelewels, welcher Quelle folgt er hier? Keiner andern, als der Rede des Herrn
Senff von Inowroclaw! Er folgt ihr so sehr, da&szlig; er sogar ganz vergi&szlig;t, wie auch der
&uuml;brige, gro&szlig;polnische Teil von Posen 1794 "an Preu&szlig;en kam und seitdem, wenn
man von der kurzen Zwischenexistenz des Herzogtums Warschau absehen will, bei Preu&szlig;en
geblieben ist". Aber davon hatte der Netzbruder Senff nicht gesprochen, und daher wei&szlig;
[es] der "weltgeschichtliche Standpunkt" nicht anders, als da&szlig; der Regierungsbezirk Posen
erst 1815 "an Preu&szlig;en kam".</p>
<blockquote>
"Ferner sind die Westkreise Birnhaum, Meseritz, Bornst, Fraustadt seit <i>urdenklicher</i>
Zeit, wie Sie schon aus den <i>Namen</i> dieser St&auml;dte entnehmen k&ouml;nnen, in der
&uuml;berwiegenden Mehrzahl ihrer Bewohner deutsch gewesen."
</blockquote>
<p>Und der Kreis Miedzychod, Herr Jordan, war "seit urdenklicher Zeit", wie Sie schon aus dem
Namen entnehmen k&ouml;nnen, in der &uuml;berwiegenden Mehrzahl seiner Bewohner "polnisch",
nicht wahr, Herr Jordan?</p>
<p>Der Kreis Miedzychod ist aber kein anderer als der Kreis Birnbaum. Die Stadt hei&szlig;t auf
polnisch Miedzychod.</p>
<p>Welch eine St&uuml;tze werden diese etymologischen Reunionskammern des "weltgeschichtlichen
Standpunktes" der "begriffenen Welt" erst an dem christlich-germanischen Herrn <i>Leo</i>
finden! Davon nicht zu sprechen, da&szlig; Mailand, L&uuml;ttich, Genf, Kopenhagen, "wie Sie
schon aus den Namen entnehmen, seit urdenklicher Zeit deutsch" sind; ersieht der
"weltgeschichtliche Standpunkt" nicht auch "schon aus den Namen" die urdenkliche Deutschheit
von Haimons-Eichicht, Welsch-Leyden, Jenau und Kaltenfelde? Der weltgeschichtliche Standpunkt
wird freilich verlegen sein, diese <a name="S344"></a><b>&lt;344&gt;</b> urdenklichen deutschen
Namen auf der Karte zu finden, und er verdankte es blo&szlig; dem Herrn Leo, der sie selbst
fabriziert hat, wenn er erf&auml;hrt, da&szlig; darunter Le Quesnoi, Lyon, Genua und Campo
Freddo gemeint sind.</p>
<p>Was wird der weltgeschichtliche Standpunkt sagen, wenn die Franzosen n&auml;chstens Cologne,
Coblence, Mayence und Francfort &lt;franz&ouml;sische Namen f&uuml;r K&ouml;ln, Koblenz, Mainz
und Frankfurt&gt; als urdenklich franz&ouml;sisches Land reklamieren, und dann wehe dem
welthistorischen Standpunkt!</p>
<p>Doch verweilen wir nicht l&auml;nger bei diesen petites mis&egrave;res de la vie humaine
&lt;kleinen Mi&szlig;geschicken des irdischen Lebens&gt;, die auch schon Gr&ouml;&szlig;eren
passiert sind. Folgen wir Herrn Wilhelm Jordan von Berlin in die h&ouml;heren Regionen seines
Fluges. Da hei&szlig;t es von den Polen, man habe sie "desto mehr lieb, je weiter man von ihnen
entfernt ist und je weniger man sie kennt, und desto weniger, je n&auml;her man ihnen
r&uuml;ckt", und daher beruhe "diese Zuneigung nicht sowohl auf einem wirklichen Vorzuge des
polnischen Charakters, als auf einem gewissen <i>kosmopolitischen Idealismus</i>".</p>
<p>Wie aber wird es der weltgeschichtliche Standpunkt erkl&auml;ren, da&szlig; die V&ouml;lker
der Erde ein anderes Volk, weder wenn man sich "von ihm entfernt", noch wenn man ihm
"n&auml;her r&uuml;ckt", "lieb haben", da&szlig; sie mit einer seltnen &Uuml;bereinstimmung
dies Volk verachten, exploitieren, verspotten und mit F&uuml;&szlig;en treten? Dies Volk sind
die <i>Deutschen</i>.</p>
<p>Der weltgeschichtliche Standpunkt wird sagen, dies beruhe auf einem <i>"kosmopolitischen
Materialismus"</i>, und damit ist er gerettet.</p>
<p>Aber unbek&uuml;mmert um solche kleinen Einw&auml;nde, schwingt der weltgeschichtliche Aar
seine Fittiche immer k&uuml;hner, immer h&ouml;her, bis er endlich im reinen &Auml;ther der
an-und-f&uuml;r-sich-seienden Idee in folgenden heroisch-weltgeschichtlich-hegelschen Hymnus
ausbricht:</p>
<blockquote>
"Mag man immerhin der Geschichte recht geben, die auf ihrem von der Notwendigkeit
vorgezeichneten Gange ein Volkstum, das nicht mehr stark genug ist, sich zu erhalten unter
ebenb&uuml;rtigen Nationen, mit ehernem Fu&szlig;e stets unerbittlich zertritt, so w&auml;re
es doch unmenschlich und barbarisch, sich gegen alle Teilnahme zu verschlie&szlig;en beim
Anblick der langen Passion eines solchen Volks, und ich bin weit entfernt von solcher
Gef&uuml;hllosigkeit." (Gott wird's Euch nicht unbelohnt lassen, edler Jordan!) "Ein andres
aber ist es, ergriffen zu sein von einem Trauerspiel, und ein andres, dies Trauerspiel
gleichsam r&uuml;ckg&auml;ngig machen zu wollen. Eben nur die eiserne Notwendigkeit, welcher
der Held unterliegt, macht sein Geschick zur <i>wahren Trag&ouml;die</i>, und in den Gang
dieses Schicksals eingreifen, aus menschlicher Teilnahme das umrollende Rad der Geschichte
aufhalten und noch einmal zur&uuml;ckdrehen zu wollen, das <a name=
"S345"></a><b>&lt;345&gt;</b> hie&szlig;e sich selbst der Gefahr preisgeben, von ihm zermalmt
zu werden. Polen blo&szlig; deswegen herstellen zu wollen, weil sein Untergang mit gerechter
Trauer erf&uuml;llt - das nenne ich eine schwachsinnige Sentimentalit&auml;t!"
</blockquote>
<p>Welche Gedankenf&uuml;lle! Welch eine Tiefe der Weisheit! Welche schwunghafte Sprache! So
spricht der weltgeschichtliche Standpunkt, wenn er seine stenographierten Reden
nachtr&auml;glich verbessert hat.</p>
<p>Die Polen haben die Wahl: Wollen sie eine "wahre Trag&ouml;die" spielen, dann m&uuml;ssen
sie dem&uuml;tig unter dem ehernen Fu&szlig; und dem umrollenden Rad der Geschichte sich
zerreiben lassen und zu Nikolaus sprechen: Herr, dein Wille geschehe! Oder wollen sie
rebellieren und versuchen, ob sie nicht auch einmal ihren Unterdr&uuml;ckern den "ehernen
Fu&szlig; der Geschichte" auf den Nacken setzen k&ouml;nnen, dann spielen sie keine "wahre
Trag&ouml;die", und Herr Wilhelm Jordan von Berlin kann sich nicht mehr f&uuml;r sie
interessieren. So spricht der vom Professor Rosenkranz &auml;sthetisch gebildete
weltgeschichtliche Standpunkt.</p>
<p>Worin lag die unerbittliche, die eiserne Notwendigkeit, die Polen momentan vernichtete? In
dem Verfall der auf der Leibeigenschaft beruhenden Adelsdemokratie, d.h. im Aufkommen einer
gro&szlig;en Aristokratie <i>innerhalb</i> des Adels. Das war ein Fortschritt, insofern es der
einzige Weg war, aus dem &uuml;berlebten Zustand der Adelsdemokratie herauszukommen. Was war
die Folge davon? Da&szlig; der eherne Fu&szlig; der Geschichte, d.h. da&szlig; die drei
Autokraten des Ostens Polen erdr&uuml;ckten. Die Aristokratie war zum Bund mit dem Ausland
gezwungen, um mit der Adelsdemokratie fertig zu werden. Die polnische Aristokratie blieb bis
vor kurzem, ja teilweise bis heute, der redliche Bundesgenosse der Erdr&uuml;cker Polens.</p>
<p>Und worin liegt die unerbittliche, die eherne Notwendigkeit, da&szlig; Polen sich wieder
befreit? Darin, da&szlig; die Herrschaft der Aristokratie in Polen, die seit 1815 wenigstens in
Posen und Galizien, und selbst teilweise in Russisch-Polen nicht aufgeh&ouml;rt hat, heute
ebenso &uuml;berlebt und untergraben ist wie 1772 die Demokratie des kleinen Adels; darin,
da&szlig; die Herstellung der agrarischen Demokratie f&uuml;r Polen nicht nur eine politische,
sondern auch eine gesellschaftliche Lebensfrage geworden ist; darin, da&szlig; die
Existenzquelle des polnischen Volks, der Ackerbau, zugrunde geht, wenn der leibeigene oder
robotpflichtige Bauer nicht freier Grundbesitzer wird; darin, da&szlig; die agrarische
Revolution unm&ouml;glich ist ohne die gleichzeitige Eroberung der nationalen Existenz, des
Besitzes der Ostseek&uuml;ste und der M&uuml;ndungen der polnischen Fl&uuml;sse.</p>
<p>Und das nennt Herr Jordan von Berlin das umrollende Rad der Geschichte aufhalten und noch
einmal zur&uuml;ckdrehen wollen!</p>
<p><b><a name="S346">&lt;346&gt;</a></b> Allerdings, das alte Polen der Adelsdemokratie ist
l&auml;ngst tot und begraben, und die "wahre Trag&ouml;die" dieses Polens r&uuml;ckg&auml;ngig
zu machen, kann nur Herr Jordan jemanden zumuten; aber dieser "Held" des Trauerspiels hat einen
robusten Sohn gezeugt, vor dessen n&auml;herer Bekanntschaft es allerdings manchem geckenhaften
Berliner Literaten grausen mag; und dieser Sohn, der sich erst anschickt, <i>sein</i> Drama
aufzuf&uuml;hren und Hand zu legen an das "umrollende Rad der Geschichte", dem aber der Sieg
gewi&szlig; ist - dieser Sohn ist das Polen der Bauerndemokratie.</p>
<p>Etwas abgenutzter belletristischer Pomp, etwas nachaffektierte Weltverachtung - die bei
Hegel eine K&uuml;hnheit war, bei Herrn Jordan eine wohlfeile plattgetretene Albernheit wird -
kurz, etwas Glocke und etwas Kanone, Schall und Rauch in schlechte S&auml;tze gebracht, und
dazu eine namenlose Verwirrung und Unwissenheit &uuml;ber die gew&ouml;hnlichen geschichtlichen
Verh&auml;ltnisse - darauf reduziert sich der ganze weltgeschichtliche Standpunkt!</p>
<p>Es lebe der weltgeschichtliche Standpunkt mit seiner begriffenen Welt!</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-08-31">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 90 vom 31. August
1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 26. August. Der zweite Schlachttag bietet ein noch gro&szlig;artigeres
Bild als der erste. Freilich fehlt uns ein Wilhelm Jordan von Berlin, dessen Lippen die Herzen
aller H&ouml;rer fesseln; aber bescheiden wir uns: ein Radowitz, ein Wartensleben, ein Kerst
und ein Rodomont-Lichnowski sind auch nicht zu verachten.</p>
<p>Herr <i>Radowitz</i> besteigt zuerst die Trib&uuml;ne. Der Chef der Rechten spricht kurz,
bestimmt, berechnet. Nicht mehr Deklamation, als gerade n&ouml;tig. Falsche Voraussetzungen,
aber zusammengedr&auml;ngte raschfolgende Schl&uuml;sse aus diesen Voraussetzungen. Appell an
die <i>Furcht</i> der Rechten. Kaltbl&uuml;tige Gewi&szlig;heit des Erfolgs, fu&szlig;end auf
der Feigheit der Majorit&auml;t. Gr&uuml;ndliche Verachtung der ganzen Versammlung, rechts wie
links. Das sind die Grundz&uuml;ge der kurzen Rede, die Herr Radowitz gehalten hat, und wir
begreifen sehr wohl den Effekt, den diese eiskalten und prunklosen wenigen Worte in einer
Versammlung machen mu&szlig;ten, die die pomphaftesten und hohlsten rhetorischen &Uuml;bungen
zu h&ouml;ren gewohnt ist. Herr Wilhelm Jordan von Berlin w&uuml;rde gl&uuml;cklich sein, wenn
er mit all seiner "begriffenen" und unbegriffenen Bilderwelt nur den zehnten Teil des Effekts
hervorgebracht h&auml;tte, wie Herr Radowitz mit seiner kurzen und im Grunde auch ganz
gehaltlosen Rede.</p>
<p>Herr Radowitz ist kein "Charakter", kein gesinnungst&uuml;chtiger Biedermann, aber er ist
eine Figur mit scharfen, bestimmten Umrissen, von dem man nur eine Rede zu lesen braucht, um
ihn vollst&auml;ndig zu kennen.</p>
<p><b><a name="S347">&lt;347&gt;</a></b> Wir haben nie nach der Ehre gegeizt, ein Organ
irgendeiner parlamentarischen Linken zu sein. Wir haben es bei den vielfachen verschiedenen
Elementen, aus denen sich die demokratische Partei in Deutschland gebildet hat, im Gegenteil
f&uuml;r dringend n&ouml;tig gehalten, niemanden sch&auml;rfer zu &uuml;berwachen als gerade
die Demokraten. Und bei dem Mangel an Energie, an Entschiedenheit, an Talent und an
Kenntnissen, der uns mit sehr wenigen Ausnahmen bei den F&uuml;hrern aller Parteien
gegen&uuml;bertritt, mu&szlig; es uns freuen, in Herrn Radowitz wenigstens einen
ebenb&uuml;rtigen <i>Gegner</i> zu finden.</p>
<p>Nach Herrn Radowitz Herr Schuselka. Trotz aller vorher[ge]gangenen Warnungen dennoch ein
r&uuml;hrender Appell ans Herz. Unendlich breiter Vortrag, unterbrochen durch seltene
historische Einw&auml;nde und hie und da durch etwas &ouml;streichischen praktischen Verstand.
Im ganzen ist der Eindruck ermattend.</p>
<p>Herr Schuselka ist nach Wien gegangen, wohin er auch in den Reichstag gew&auml;hlt wurde.
Dort ist er an seinem Platze. Wenn er in Frankfurt auf der Linken sa&szlig;, ger&auml;t er dort
ins Zentrum; wenn er in Frankfurt eine gewisse Rolle spielen konnte, macht er in Wien mit der
ersten Rede Fiasko. Das ist das Schicksal aller dieser belletristischen, philosophischen und
kannegie&szlig;ernden Gr&ouml;&szlig;en, die die Revolution nur dazu benutzt haben, sich
Positionen zu verschaffen; setzt sie einen Augenblick auf wirklich revolution&auml;ren Boden,
und im Nu sind sie verschwunden.</p>
<p>Es folgt der ci-devant &lt;ehemalige&gt; Graf <i>v. Wartensleben</i>. Herr Wartensleben
tritt als beh&auml;biger, von Wohlwollen &uuml;berflie&szlig;ender Biedermann auf, erz&auml;hlt
Anekdoten &uuml;ber seinen Zug als Landwehrmann an die polnische Grenze im Jahre 1830, spielt
&uuml;ber in den Sancho Pansa, indem er den Polen Spr&uuml;chw&ouml;rter zuruft: Ein Sperling
in der Hand sei besser als hundert auf dem Dache, und wei&szlig; dabei recht unschuldig die
perfide Bemerkung einzuschmuggeln:</p>
<blockquote>
"Woher kommt es, da&szlig; sich nicht einmal polnische Beamte fanden, welche die
Reorganisation in dem abzutretenden Teil &uuml;bernehmen wollten? Ich f&uuml;rchte, sie
f&uuml;rchten sich vor sich selbst, sie f&uuml;hlen, da&szlig; sie noch nicht so weit sind,
da&szlig; sie die Bev&ouml;lkerung ruhig organisieren k&ouml;nnten, und sie schieben aus
diesem Grunde nur vor, da&szlig; es die Vaterlandsliebe gegen Polen sei, welche sie
verhindere, auch nur den Keim zu legen zu einem fr&ouml;hlichen Auferstehen!"
</blockquote>
<p>Mit andern Worten, die Polen k&auml;mpfen seit achtzig Jahren mit Aufopferung ihres Lebens
und ihres Verm&ouml;gens unaufh&ouml;rlich f&uuml;r eine Sache, die sie selbst f&uuml;r
unm&ouml;glich und unsinnig halten.</p>
<p>Schlie&szlig;lich ist Herr Wartensleben der Meinung des Herrn Radowitz.</p>
<p><b><a name="S348">&lt;348&gt;</a></b> Herr Janiszewski aus Posen, Mitglied des Posenschen
Nationalkomitees, besteigt die Trib&uuml;ne.</p>
<p>Die Rede des Herrn Janiszewski ist das erste St&uuml;ck wirklicher parlamentarischer
Beredsamkeit, das von der Trib&uuml;ne der Paulskirche herab vorgetragen wurde. Endlich einmal
h&ouml;ren wir einen Redner, der nicht blo&szlig; nach dem Beifall des Saales hascht, der die
Sprache der wirklichen, lebendigen Leidenschaft spricht und der eben deshalb einen ganz andern
Effekt macht als alle Redner vor ihm. Blums Appell an das Gewissen der Versammlung, Jordans
wohlfeiler Bombast, Radowitz' kalte Konsequenz, Schuselkas gem&uuml;tliche Breite verschwinden
gleichm&auml;&szlig;ig vor diesem Polen, der die Existenz seiner Nation verteidigt und sein
gutes Recht zur&uuml;ckfordert. Janiszewski spricht erregt, heftig, aber er deklamiert nicht,
er tr&auml;gt nur die Tatsachen vor mit der gerechten Indignation, in der allein eine richtige
Schilderung solcher Tatsachen m&ouml;glich ist, und die doppelt gerecht ist nach den schamlosen
Entstellungen, die in der bisherigen Debatte vorgebracht waren. Seine Rede, die in der Tat den
Mittelpunkt der Debatte bildet, widerlegt alle fr&uuml;heren Angriffe auf die Polen, macht alle
Fehler der Polenfreunde wieder gut, f&uuml;hrt die Debatte auf ihren einzig praktischen und
richtigen Boden zur&uuml;ck und schneidet den sp&auml;teren Rednern der Rechten die
vollt&ouml;nendsten Argumente von vornherein ab.</p>
<blockquote>
"Ihr habt die Polen verschluckt, verdauen werdet Ihr sie bei Gott nicht!"
</blockquote>
<p>Dies schlagende Resum&eacute; der Rede Janiszewskis wird bleiben, ebenso wie der Stolz, mit
dem er auf all die Betteleien der Polenfreunde erkl&auml;rt:</p>
<blockquote>
"Ich komme nicht als Bettler zu Ihnen, ich komme mit meinem guten Rechte; nicht Sympathien
rufe ich an, nur die Gerechtigkeit."
</blockquote>
<p>Nach Herrn Janiszewski Herr Direktor Kerst aus Posen. Nach dem Polen, der f&uuml;r die
Existenz, f&uuml;r die soziale und politische Freiheit seines Volks k&auml;mpft, der nach Posen
eingewanderte preu&szlig;ische Schulmeister, der f&uuml;r seinen Gehalt k&auml;mpft. Nach der
sch&ouml;nen indignierten Leidenschaft des Unterdr&uuml;ckten die platte Unversch&auml;mtheit
des B&uuml;rokraten, der von der Unterdr&uuml;ckung zehrt.</p>
<p>Die Teilung Polens, "die man heute eine Schmach nennt", war seinerzeit "ein <i>ganz
gew&ouml;hnliches Ereignis</i>".</p>
<blockquote>
"Das Recht der V&ouml;lker, sich nach Nationalit&auml;ten zu sondern, ist ein nagelneues und
nirgends anerkanntes Recht ... In der Politik entscheidet nur der <i>faktische
Besitzstand</i>."
</blockquote>
<p>Das sind einige von den Kraftspr&uuml;chen, auf die Herr Kerst seine Argumentation basiert.
Dann folgen die plumpesten Widerspr&uuml;che:</p>
<blockquote>
<b><a name="S349">&lt;349&gt;</a></b> <font size="2">"Mit Posen ist ein Strich Landes zu
Deutschland gekommen, der allerdings &uuml;berwiegend polnisch ist" - und nicht lange
nachher: "Was den polnischen Teil Posens betrifft, so hat er nicht um den Anschlu&szlig; an
Deutschland gebeten, und soviel ich wei&szlig;, sind Sie, meine Herren, nicht gesonnen,
diesen Teil wider seinen Willen aufzunehmen!"</font>
</blockquote>
<p>Daran kn&uuml;pfen sich statistische Angaben &uuml;ber die
Bev&ouml;lkerungsverh&auml;ltnisse - Angaben nach den ber&uuml;hmten netzbr&uuml;derlichen
Aufnahmen, wonach nur diejenigen f&uuml;r Polen gelten, die kein Deutsch verstehen, und alle
diejenigen f&uuml;r Deutsche, die etwas Deutsch radbrechen. Und endlich eine h&ouml;chst
k&uuml;nstliche Kalkulation, worin er nachrechnet, da&szlig; bei der Abstimmung des Posener
Provinziallandtags die Minorit&auml;t von 17 gegen 26, die <i>f&uuml;r</i> den Anschlu&szlig;
an Deutschland stimmte, eigentlich die Majorit&auml;t war.</p>
<blockquote>
"Nach dem Provinzialgesetz w&auml;re allerdings notwendig, da&szlig; die Majorit&auml;t 2/3
sein m&uuml;&szlig;te, wenn sie beschlu&szlig;f&auml;hig sein sollte. Nun ist allerdings 17
nicht voll 2/3 zu 26, aber der Bruchteil, der dazu fehlt, ist so klein, da&szlig; er bei
einer so ernsten Frage nicht wohl in Betracht kommen kann."!!
</blockquote>
<p>Also wenn die Minorit&auml;t <sup>2</sup>/<sub>3</sub> von der Majorit&auml;t ist, so ist
sie "nach dem Provinzialgesetz" die Majorit&auml;t! Das Altpreu&szlig;entum wird Herrn Kerst
kr&ouml;nen f&uuml;r diese Entdeckung. - In der Tat aber steht die Sache so: Um einen
<i>Antrag</i> zu machen, mu&szlig;ten <sup>2</sup>/<sub>3</sub> der Stimmen daf&uuml;r sein.
Aufnahme in den Deutschen Bund war ein solcher Antrag. Die Aufnahme war also erst gesetzlich
beantragt, wenn <sup>2</sup>/<sub>3</sub> der Versammlung, <sup>2</sup>/<sub>3</sub> von 43
Stimmenden daf&uuml;r stimmten. Statt dessen stimmen fast <sup>2</sup>/<sub>3</sub> dagegen.
Aber was hilft das? 17 sind ja beinahe "<sup>2</sup>/<sub>3</sub> zu 43"!</p>
<p>Da&szlig; die Polen keine so "gebildete" Nation sind wie die B&uuml;rger des "Staats der
Intelligenz", ist sehr begreiflich, wenn der Staat der Intelligenz ihnen solche Rechenmeister
zu Lehrern gibt.</p>
<p>Herr <i>Clemens</i> aus Bonn macht die richtige Bemerkung, da&szlig; es der
preu&szlig;ischen Regierung nicht darauf angekommen sei, Posen zu germanisieren, sondern zu
<i>verpreu&szlig;en</i>, und vergleicht mit den Verpreu&szlig;ungsversuchen Posens die
&auml;hnlichen Versuche im Rheinlande.</p>
<p>Herr <i>Ostendorf</i> von Soest. Der Sohn der roten Erde verliest ein Repertorium von
politischen Plattheiten und Kannegie&szlig;ereien, ergeht sich in M&ouml;glichkeiten,
Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen, die vom Hundertsten ins Tausendste gehn, von Herrn Jordan
zu den Franzosen, von der roten Republik zu den Roth&auml;uten von Nordamerika, mit denen er
die Polen auf eine Stufe stellt, wie die Netzbr&uuml;der mit den Yankees. K&uuml;hne Parallele,
w&uuml;rdig der roten Erde! Herr Kerst, Herr Senff, Herr Goeden als Hinterw&auml;ldler mit
Blockhaus, B&uuml;chse und Schaufel - welche unvergleichliche Kom&ouml;die!</p>
<p><b><a name="S350">&lt;350&gt;</a></b> Herr <i>Franz Schmidt</i> von L&ouml;wenberg besteigt
die Trib&uuml;ne. Er spricht ruhig und ohne Prunk, was um so mehr anzuerkennen ist, als Herr
Schmidt einem Stande angeh&ouml;rt, der sonst die Deklamation &uuml;ber alles liebt, dem Stand
der deutsch-katholischen Geistlichen. Herr Schmidt, dessen Rede nach der von Janiszewski
jedenfalls die beste, weil die schlagendste und sachkundigste in der ganzen Debatte ist, Herr
Schmidt weist dem Ausschu&szlig; nach, wie hinter seinem scheinbaren Aufwand von Gelehrsamkeit
(deren Gehalt wir untersucht haben &lt;Siehe <a href="me05_319.htm#S319">S. 319-331</a>&gt;) die
grenzenloseste Unwissenheit &uuml;ber die tats&auml;chlich vorliegenden Verh&auml;ltnisse
versteckt liegt. Herr Schmidt hat jahrelang im Gro&szlig;herzogtum Posen gelebt und weist dem
Ausschu&szlig; selbst f&uuml;r den kleinen Distrikt, den er genauer kennt, die gr&ouml;bsten
Schnitzer nach. Er zeigt, wie der Ausschu&szlig; gerade in allen entscheidenden Punkten die
Versammlung ohne Aufkl&auml;rung gelassen hat, wie er sie geradezu auffordert, ohne irgendein
Material, ohne alle Kenntnis der Sache ins Blaue hinein zu beschlie&szlig;en. Er verlangt vor
allem Aufkl&auml;rung &uuml;ber die faktische Lage der Dinge. Er weist nach, wie die
Ausschu&szlig;antr&auml;ge mit ihren eigenen Voraussetzungen im Widerspruch stehen; er zitiert
Flottwells Denkschrift und fordert ihn, der auch als Deputierter gegenw&auml;rtig ist,
aufzutreten, wenn dies Aktenst&uuml;ck unecht sei. Er denunziert endlich dem Publikum, wie die
Netzbr&uuml;der zu Gagern gekommen seien und ihn durch die falsche Nachricht von einem in Posen
ausgebrochenen Aufstand zum raschen Schlu&szlig; der Debatte bewegen wollten. Gagern leugnet
dies zwar, indes Herr Kerst hat sich dessen laut ger&uuml;hmt.</p>
<p>Die Majorit&auml;t hat sich an Herrn Schmidt f&uuml;r diese mutige Rede dadurch
ger&auml;cht, da&szlig; sie f&uuml;r Verf&auml;lschung derselben in den stenogr[aphischen]
Berichten Sorge getragen hat. An einer Stelle hat Herr Schmidt den hineingeschriebenen Unsinn
dreimal selbst korrigiert, und dennoch ist er im Druck stehengeblieben. Trommeln gegen
Schl&ouml;ffel &lt;Siehe <a href="me05_014.htm#S16">"Die Frankfurter Versammlung", S.
16</a>&gt;, offene Gewalttat gegen Brentano, F&auml;lschung gegen Schmidt - in der Tat, die
Herren von der Rechten sind feine Kritiker!</p>
<p>Herr Lichnowski schlie&szlig;t die Sitzung. Diesen Freund indes behalten wir uns f&uuml;r
den n&auml;chsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Herrn Lichnowski bricht man nicht
&uuml;bers Knie!</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-09-01">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 91 vom 1. September 1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 31. August. Auf die Trib&uuml;ne schreitet mit ritterlich-galantem
Anstand und selbstgef&auml;lligem L&auml;cheln der bel-homme &lt;sch&ouml;ne Mann&gt; der
Versammlung, der deutsche Bayard ohne Furcht und Tadel, der Ex-F&uuml;rst (&sect; 6 der Grund-
<a name="S351"></a><b>&lt;351&gt;</b> rechte) von <i>Lichnowski</i>. Mit dem reinsten Akzent
des preu&szlig;ischen Lieutenants und mit ver&auml;chtlicher Nonchalance debitiert er die
wenigen Gedankensp&auml;ne, die er der Versammlung mitzuteilen hat.</p>
<p>Der sch&ouml;ne Ritter bildet in dieser Debatte ein durchaus notwendiges Moment. Wer an den
Herren Goeden, Senff und Kerst sich noch nicht hinl&auml;nglich genug davon &uuml;berzeugt hat,
welche achtungswerten Leute die Deutschpolen sind, der kann an dem Ritter Lichnowski sehen,
welche un&auml;sthetische Erscheinung - trotz der netten Figur - der verpreu&szlig;te Slawe
ist. Herr Lichnowski ist der Stammverwandte der Deutschpolen, er vervollst&auml;ndigt die Akten
durch sein blo&szlig;es Auftreten auf der Trib&uuml;ne. Der in den preu&szlig;ischen
Krautjunker aufgegangene Slachcic &lt;polnische Adlige&gt; aus der Wasserpolackei liefert uns
ein lebendes Exempel von dem, was die liebevolle preu&szlig;ische Regierung aus dem posenschen
Adel zu machen gedenkt. Herr Lichnowski ist trotz aller seiner Beteuerungen kein Deutscher, er
ist ein "reorganisierter" Pole; er spricht auch kein Deutsch, sondern Preu&szlig;isch.</p>
<p>Herr Lichnowski beginnt mit der Beteuerung seiner ritterlichsten Sympathie f&uuml;r die
Polen, er macht Herrn Janiszewski Komplimente, er vindiziert den Polen "die gro&szlig;e Poesie
des M&auml;rtyrertums" und schl&auml;gt dann pl&ouml;tzlich um: Warum haben diese Sympathien
abgenommen? Weil in allen Insurrektionen und Revolutionen "die Polen in erster Linie auf den
Barrikaden waren"! Das ist allerdings ein Verbrechen, das nicht mehr vorkommt, sobald die Polen
"reorganisiert" sind; wir k&ouml;nnen &uuml;brigens dem Herrn Lichnowski die beruhigende
Versicherung geben, da&szlig; auch unter der "polnischen Emigration", auch unter dem nach ihm
so tief gesunkenen polnischen Adel in der Verbannung Leute sind, die sich von aller
Ber&uuml;hrung mit den Barrikaden g&auml;nzlich unbefleckt erhielten.</p>
<p>Jetzt folgt eine heitere Szene.</p>
<blockquote>
<i>Lichnowski</i><font size="2">: "Die Herren von der Linken, welche die vergilbten
Pergamente mit F&uuml;&szlig;en treten, haben auf eine auffallende Weise das historische
Recht heraufbeschworen. Es gibt kein Recht, ein Datum f&uuml;r die polnische Sache mehr als
ein anderes in Anspruch zu nehmen. F&uuml;r das historische Recht gibt es kein Datum nicht."
(Gro&szlig;es Gel&auml;chter auf der Linken.)</font>
</blockquote>
<blockquote>
"F&uuml;r das historische Recht gibt es keinen Datum nicht." (Gro&szlig;es Gel&auml;chter auf
der Linken.)
</blockquote>
<blockquote>
<i>Pr&auml;sident</i>: "Meine Herren, lassen Sie doch den Redner den Satz ausf&uuml;hren,
unterbrechen Sie ihn nicht."
</blockquote>
<blockquote>
<i>Lichnowski</i>: "Das historische Recht hat keinen Datum nicht." (Gel&auml;chter auf der
Linken.)
</blockquote>
<blockquote>
<b><a name="S352">&lt;352&gt;</a></b> <i>Pr&auml;sident</i>: "Ich bitte den Redner nicht zu
unterbrechen, ich bitte um Ruhe!" (Unruhe.)
</blockquote>
<blockquote>
<i>Lichnowski</i>: "Es gibt f&uuml;r das historische Recht keinen Datum" (Bravo und
Heiterkeit auf der Linken), "welches einem fr&uuml;heren Datum gegen&uuml;ber ein
gr&ouml;&szlig;eres Recht vindizieren k&ouml;nnte!"
</blockquote>
<p>Hatten wir nicht recht, zu sagen, der edle Ritter spreche kein Deutsch, sondern
Preu&szlig;isch?</p>
<p>Das historische Recht, das keinen Datum nicht hat, findet einen furchtbaren Gegner an unserm
edlen Paladin:</p>
<blockquote>
"Gehen wir in der Geschichte weiter zur&uuml;ck, so finden wir" (in Posen) "viele Kreise, die
schlesisch und deutsch waren; gehen wir noch weiter, kommen wir auf die Zeit, wo Leipzig und
Dresden durch Slawen erbaut worden sind, und dann kommen wir auf Tacitus, und Gott
wei&szlig;, wohin uns die Herren f&uuml;hren w&uuml;rden, wenn wir auf dies Thema eingingen."
</blockquote>
<p>Es mu&szlig; schlimm in der Welt stehen. Die G&uuml;ter der preu&szlig;ischen Ritterschaft
m&uuml;ssen unrettbar verpf&auml;ndet, die j&uuml;dischen Gl&auml;ubiger m&uuml;ssen furchtbar
dringend geworden sein, die Verfalltage der Solawechsel m&uuml;ssen sich &uuml;berst&uuml;rzen,
Subhastation, K&ouml;rperhaft, Entlassung aus dem Dienst wegen leichtsinnigen Schuldenmachens,
alle diese Schrecken der blassen Finanznot m&uuml;ssen die preu&szlig;ische Ritterschaft mit
unaufhaltsamem Ruin bedrohen, ehe es dahin kommen konnte, da&szlig; ein Lichnowski dasselbe
historische Recht bek&auml;mpft, f&uuml;r das er sich in der Tafelrunde des Don Carlos die
Rittersporen verdiente!</p>
<p>Allerdings, Gott wei&szlig;, wohin die Herren Gerichtsvollzieher die magere Ritterschaft
f&uuml;hren w&uuml;rden, wenn wir auf das Thema des historischen Schuldenrechts eingehen
wollten! Und doch, sind die Schulden nicht die beste, die einzig entschuldigende Eigenschaft
der preu&szlig;ischen Paladine?</p>
<p>Auf sein Thema &uuml;bergehend, meinte der bel-homme, man d&uuml;rfe den Deutschpolen
gegen&uuml;ber nicht "mit dem unklaren Bilde einer in fernstem Dunkel liegenden Zukunft Polens
(!) auftreten"; er meint, die Polen w&uuml;rden sich an Posen nicht gen&uuml;gen lassen:</p>
<blockquote>
"Wenn ich die <i>Ehre</i> h&auml;tte, ein Pole zu sein, dann d&auml;chte ich alle Morgen und
alle Abend daran, das alte K&ouml;nigreich Polen wiederherzustellen."
</blockquote>
<p>Da aber Herr Lichnowski nicht "die Ehre hat", da er nur ein reorganisierter Wasserpolack
ist, so denkt er "alle Morgen und alle Abend" an ganz andere, weniger vaterl&auml;ndische
Dinge.</p>
<blockquote>
"Um ehrlich zu sein, mu&szlig; ich sagen, einige 100.000 Polen m&uuml;ssen Deutsche werden,
was, aufrichtig gesagt, auch f&uuml;r sie kein Ungl&uuml;ck w&auml;re nach den jetzigen
Verh&auml;ltnissen."
</blockquote>
<p><b><a name="S353">&lt;353&gt;</a></b> Im Gegenteil, wie sch&ouml;n, wenn die
preu&szlig;ische Regierung eine neue Pflanzschule anlegte, um noch mehr von dem Holze wachsen
zu lassen, woraus man die Lichnowkis schneidet.</p>
<p>In gleicher liebensw&uuml;rdig-nonchalanter Weise, die im Grunde f&uuml;r die Damen auf der
Galerie berechnet, aber auch f&uuml;r die Versammlung selbst immer noch gut genug ist, plaudert
der schnurrbartkr&auml;uselnde Ritter noch eine Zeitlang weiter und schlie&szlig;t dann:</p>
<blockquote>
"Ich habe nichts mehr zu sagen, beschlie&szlig;en Sie jetzt; nehmen Sie 500.000 Deutsche
unter uns auf, oder geben Sie sie weg, ... aber dann streichen Sie auch das Lied unsers alten
Volkss&auml;ngers: 'So weit die deutsche Zunge klingt, und Gott im Himmel Lieder singt.'
Streichen Sie dies Lied!"
</blockquote>
<p>Es ist allerdings schlimm, da&szlig; der alte Arndt bei seinem Liede nicht an die polnischen
Juden und ihr Deutsch gedacht hat. Aber gl&uuml;cklicherweise ist unser oberschlesischer
Paladin da. Wer kennt nicht die alten, im Laufe der Jahrhunderte ehrw&uuml;rdig gewordenen
Verpflichtungen des Adels gegen die Juden? Was der alte Plebejer &uuml;bersah, dessen erinnert
sich der Ritter Lichnowski.</p>
<div style="margin-left: 4em">
<p>So weit ein polnischer Jude deutsch kauderwelscht,<br>
Auf Wucher leiht, M&uuml;nz und Gewicht verf&auml;lscht -</p>
</div>
<p>so weit reicht das Vaterland des Herrn Lichnowski!</p>
<p class="FirstPub"><a name="NRhZ_1848-09-03">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 93 vom 3.
September 1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 2. September. Der dritte Tag der Debatte zeigt eine allgemeine
Ermattung. Die Argumente wiederholen sich, ohne sich zu verbessern, und wenn nicht der erste
ehrenwerte Redner, der B&uuml;rger <i>Arnold Ruge</i>, seinen reichen Schatz neuer Gr&uuml;nde
vorbr&auml;chte, so w&auml;re der stenographische Bericht vollends zum Einschlafen.</p>
<p>Der B&uuml;rger Ruge [kennt] aber auch seine Verdienste besser als sonst irgend jemand. Er
verspricht:</p>
<blockquote>
"<i>Alle</i> meine <i>Leidenschaft,</i> die ich habe, und <i>alle</i> meine
<i>Kenntnisse</i>, die ich besitze, will ich anwenden."
</blockquote>
<p>Er macht einen Antrag, der aber kein gew&ouml;hnlicher, kein Antrag im allgemeinen, sondern
der einzig richtige, der <i>wahre</i> Antrag, der absolute Antrag ist:</p>
<blockquote>
"<i>Es ist gar nichts anderes zu beantragen und zul&auml;ssig</i>. Man kann etwas anderes
tun, meine Herren, denn es ist dem Menschen gegeben, vom Richtigen abzuweichen. <a name=
"S354"></a><b>&lt;354&gt;</b> Dadurch, da&szlig; er vom Richtigen abweicht, dadurch hat der
Mensch einen freien Willen ... darum h&ouml;rt aber das Richtige nicht auf, richtig zu sein.
Und in unseren Falle ist, was ich beantrage, das einzig <i>Richtige,</i> was geschehen kann."
(Der B&uuml;rger Ruge opfert also diesmal seinen "freien Willen" dem "Richtigen".)
</blockquote>
<p>Sehen wir uns die Leidenschaft, die Kenntnisse und das einzig Richtige des B&uuml;rgers Ruge
n&auml;her an.</p>
<blockquote>
"Die Aufhebung Polens ist darum ein schmachvolles Unrecht, weil eine wertvolle Entwickelung
der Nation unterdr&uuml;ckt wurde, die um die europ&auml;ische V&ouml;lkerfamilie sich
gro&szlig;e Verdienste erworben hat und die eine Phase der mittelalterlichen Existenz, das
ritterliche Wesen, zu einer glanzvollen Gestalt entwickelt hatte. Die Adelsrepublik ist
unterbrochen worden durch den Despotismus, ihre eigene innerliche (!) Aufhebung zu
vollziehen, die m&ouml;glich gewesen w&auml;re durch die Verfassung, welche in der
Revolutionszeit angebahnt wurde."
</blockquote>
<p>Die s&uuml;dfranz&ouml;sische Nationalit&auml;t war im Mittelalter mit der
nordfranz&ouml;sischen nicht verwandter, als die polnische es jetzt mit der russischen ist. Die
s&uuml;dfranz&ouml;sische, vulgo provenzalische Nation hatte im Mittelalter nicht nur eine
"wertvolle Entwickelung", sie stand sogar an der Spitze der europ&auml;ischen Entwickelung. Sie
hatte zuerst von allen neueren Nationen eine gebildete Sprache. Ihre Dichtkunst diente
s&auml;mtlichen romanischen V&ouml;lkern, ja den Deutschen und Engl&auml;ndern zum damals
unerreichten Vorbild. In Ausbildung der feudalen Ritterlichkeit wetteiferte sie mit den
Castilianern, Nordfranzosen und englischen Normannen; in der Industrie und dem Handel gab sie
den Italienern nichts nach. Nicht nur "eine Phase der mittelalterlichen Existenz" entwickelte
sie "zur glanzvollen Gestalt", sie brachte sogar einen Abglanz des alten Hellenentums im
tiefsten Mittelalter hervor. Die s&uuml;dfranz&ouml;sische Nation hat sich also nicht nur
gro&szlig;e, sondern unendliche "Verdienste um die europ&auml;ische V&ouml;lkerfamilie
erworben". Dennoch wurde sie, wie Polen, erst geteilt zwischen Nordfrankreich und England und
sp&auml;ter ganz von den Nordfranzosen unterjocht. Von den Albigenserkriegen bis auf Ludwig XI.
f&uuml;hrten die Nordfranzosen, die in der Bildung ebensosehr hinter ihren s&uuml;dlichen
Nachbarn zur&uuml;ckstanden wie die Russen hinter den Polen, ununterbrochene
Unterjochungskriege gegen die S&uuml;dfranzosen und endigten mit der Unterwerfung des ganzen
Landes. Die s&uuml;dfranz&ouml;sische "Adelsrepublik" (die Benennung ist ganz richtig f&uuml;r
die Bl&uuml;tezeit) "ist unterbrochen worden durch den Despotismus" (Ludwig XI.), "ihre eigene
innerliche Aufhebung zu vollziehen", die wenigstens ebenso m&ouml;glich gewesen w&auml;re durch
die Entwickelung der B&uuml;rgerschaft der St&auml;dte, wie die der polnischen durch die
Verfassung von 1791.</p>
<p>Jahrhundertelang k&auml;mpften die S&uuml;dfranzosen gegen ihre Unterdr&uuml;cker an. Aber
die geschichtliche Entwickelung war unerbittlich. Nach dreihundert- <a name=
"S355"></a><b>&lt;355&gt;</b> j&auml;hrigem Kampf war ihre sch&ouml;ne Sprache zum Patois
herabgedr&auml;ngt, und sie selbst waren Franzosen geworden. Dreihundert Jahre dauerte der
nordfranz&ouml;sische Despotismus &uuml;ber S&uuml;dfrankreich, und dann erst machten die
Nordfranzosen ihre Unterdr&uuml;ckung wieder gut - durch die Vernichtung der letzten Reste
s&uuml;dfranz&ouml;sischer Selbst&auml;ndigkeit. Die Konstituante zerschlug die
unabh&auml;ngigen Provinzen, die eiserne Faust des Konvents machte die Bewohner des
s&uuml;dlichen Frankreichs erst zu <i>Franzosen</i> und gab ihnen zur Entsch&auml;digung
f&uuml;r ihre Nationalit&auml;t die Demokratie. Aber w&auml;hrend der dreihundert Jahre der
Unterdr&uuml;ckung pa&szlig;t w&ouml;rtlich auf sie, was der B&uuml;rger Ruge von den Polen
sagt:</p>
<blockquote>
"Der Despotismus Ru&szlig;lands hat die Polen nicht befreit, die Zerst&ouml;rung des
polnischen Adels und die Verbannung so vieler edlen Familien aus Polen, das alles hat in
Ru&szlig;land keine Demokratie, keine humane Existenz gegr&uuml;ndet."
</blockquote>
<p>Und dennoch hat man nie die Unterdr&uuml;ckung S&uuml;dfrankreichs durch die Nordfranzosen
"ein schmachvolles Unrecht" genannt. Wie kommt das, B&uuml;rger Ruge? Entweder ist die
Unterdr&uuml;ckung S&uuml;dfrankreichs ein schmachvolles Unrecht, oder die Unterdr&uuml;ckung
Polens ist kein schmachvolles Unrecht. Der B&uuml;rger Ruge m&ouml;ge w&auml;hlen.</p>
<p>Worin liegt aber nun der Unterschied zwischen den Polen und den S&uuml;dfranzosen? Warum
wurde S&uuml;dfrankreich bis zur v&ouml;lligen Vernichtung seiner Nationalit&auml;t von den
Nordfranzosen als h&uuml;lfloser Ballast ins Schlepptau genommen, w&auml;hrend Polen alle
Aussicht hat, sehr bald an der Spitze aller slawischen St&auml;mme zu stehen?</p>
<p>S&uuml;dfrankreich wurde - infolge von sozialen Verh&auml;ltnissen, die wir hier nicht
weiter entwickeln k&ouml;nnen - der reaktion&auml;re Teil von Frankreich. Seine Opposition
gegen Nordfrankreich wurde sehr bald zur Opposition gegen die progressiven Klassen des ganzen
Frankreichs. Es wurde der Hauptr&uuml;ckhalt des Feudalismus und ist bis heute die St&auml;rke
der Kontrerevolution von Frankreich geblieben.</p>
<p>Polen dagegen wurde, infolge von sozialen Verh&auml;ltnissen, die wir oben (Nr. 81 &lt;Siehe
<a href="me05_319.htm#S331">S. 331-335</a>&gt;) entwickelt haben, der revolution&auml;re Teil von
Ru&szlig;land, &Ouml;streich und Preu&szlig;en. Seine Opposition gegen seine Unterdr&uuml;cker
war zugleich die Opposition gegen die hohe Aristokratie in Polen selbst. Sogar der Adel, der
zum Teil noch auf feudalem Boden stand, schlo&szlig; sich mit einer beispiellosen Aufopferung
der demokratisch-agrarischen Revolution an. Polen war schon der Herd der osteurop&auml;ischen
Demokratie geworden, als Deutschland noch in <a name="S356"></a><b>&lt;356&gt;</b> der
plattesten konstitutionellen und der &uuml;berschwenglichsten philosophischen Ideologie
umhertappte.</p>
<p>Darin, und nicht in der glanzvollen Entwickelung des l&auml;ngst begrabnen ritterlichen
Wesens, liegt die Garantie, die Unvermeidlichkeit der Wiederherstellung Polens.</p>
<p>Aber Herr Ruge hat noch ein zweites Argument f&uuml;r die Notwendigkeit eines
unabh&auml;ngigen Polens in der "europ&auml;ischen V&ouml;lkerfamilie":</p>
<blockquote>
"Die Gewalt, die an Polen ver&uuml;bt worden ist, diese Gewalt hat die Polen in ganz Europa
zerstreut, sie sind &uuml;berall hingeworfen worden mit ihrem Zorn &uuml;ber das erlittene
Unrecht ... der polnische Geist hat sich in Frankreich, in Deutschland (!?) humanisiert und
gel&auml;utert: Die polnische Emigration ist die <i>Propaganda der Freiheit</i> geworden"
(Nr. 1). " ... Die Slawen sind f&auml;hig geworden, in die gro&szlig;e europ&auml;ische
V&ouml;lkerfamilie" (die "Familie" ist unvermeidlich!) "einzutreten, weil ... ihre Emigration
ein wahres <i>Apostelamt der</i> Freiheit aus&uuml;bt" (Nr. 2). " ... Die ganze russische
Armee (!!) ist von den Ideen der Neuzeit infiziert durch diese <i>Apostel der Freiheit</i>,
die Polen" (Nr. 3). " ... Ich achte die ehrenhafte Gesinnung der Polen, die sie &uuml;berall
in Europa an den Tag gelegt haben, um mit Gewalt <i>Propaganda</i> zu machen f&uuml;r die
Freiheit" (Nr. 4). " ... Sie werden, solange die Geschichte reden kann, in derselben
daf&uuml;r geehrt werden, da&szlig; sie die <i>Vork&auml;mpfer</i> waren" (Nr. 5), "<i>wo sie
es gewesen sind</i> (!!!) ... Die Polen sind das <i>Element der Freiheit</i>" (Nr. 6), "das
in das Slawentum geworfen wurde; sie haben den Slawenkongre&szlig; in Prag zur <i>Freiheit
angef&uuml;hrt</i>" (Nr. 7), "sie haben in Frankreich, Ru&szlig;land und Deutschland gewirkt.
Die Polen sind also ein wirkendes Element auch noch in der jetzigen Bildung, sie wirken gut,
und weil sie gut wirken, weil sie notwendig sind, sind sie keineswegs tot."
</blockquote>
<p>Der B&uuml;rger Ruge soll beweisen, da&szlig; die Polen 1. notwendig und 2. nicht tot sind.
Er tut dies, indem er sagt: "Weil sie notwendig sind, sind sie keineswegs tot."</p>
<p>Man nehme aus dem obigen langen Passus, der siebenmal dasselbe sagt, die paar Worte heraus:
Polen - Element - Freiheit - Propaganda - Bildung - Apostelamt, und man sehe, was von dem
ganzen Bombast &uuml;brigbleibt.</p>
<p>Der B&uuml;rger Ruge soll beweisen, da&szlig; die Wiederherstellung Polens notwendig ist.
Dies beweist er wie folgt: Die Polen sind nicht tot, sie sind im Gegenteil sehr lebendig, sie
wirken gut, sie sind die Apostel der Freiheit in ganz Europa. Wie kommen sie dazu? Die Gewalt,
das schmachvolle Unrecht, das an ihnen ver&uuml;bt, hat sie &uuml;ber ganz Europa zerstreut mit
ihrem Zorn &uuml;ber das erlittene Unrecht, ihrem gerechten revolution&auml;ren Zorn. Diesen
Zorn haben sie in der Verbannung "gel&auml;utert", und dieser gel&auml;uterte Zorn
bef&auml;higte sie zum Apostolat der Freiheit und stellte sie "zuv&ouml;rderst auf die
Barrikaden". Was folgt daraus? Nehmt das schmachvolle Unrecht, die ver&uuml;bte Gewalt hinweg,
stellt Polen wieder her, so f&auml;llt der "Zorn" fort, so kann er <a name=
"S357"></a><b>&lt;357&gt;</b> nicht mehr gel&auml;utert werden, so gehen die Polen nach Hause
und h&ouml;ren auf, die "Apostel der Freiheit" zu sein. Wenn nur der "Zorn &uuml;ber das
erlittene Unrecht" sie zu Revolution&auml;ren macht, so wird die Hinwegnahme des Unrechts sie
zu Reaktion&auml;ren machen. Ist der Gegendruck gegen die Unterdr&uuml;ckung das Einzige, was
die Polen am Leben erh&auml;lt, so hebt die Unterdr&uuml;ckung auf, und sie sind tot.</p>
<p>B&uuml;rger Ruge beweist also das gerade Gegenteil von dem, was er beweisen will; seine
Gr&uuml;nde f&uuml;hren dahin, da&szlig; Polen im Interesse der Freiheit und der
europ&auml;ischen V&ouml;lkerfamilie <i>nicht wiederhergestellt</i> werden darf.</p>
<p>Es wirft &uuml;brigens ein sonderbares Licht auf die "Kenntnisse" des B&uuml;rgers Ruge,
da&szlig; er bei Polen nur die Emigration erw&auml;hnt, nur die Emigration auf den Barrikaden
sieht. Wir sind weit entfernt, der polnischen Emigration, die ihre Energie und ihren Mut auf
dem Schlachtfeld und in achtzehn Jahren Konspiration f&uuml;r Polen bewiesen, zu nahe treten zu
wollen. Aber wir k&ouml;nnen es nicht leugnen: Wer die polnische Emigration kennt, der
wei&szlig;, da&szlig; sie lange nicht so freiheitsapostolisch und barrikadens&uuml;chtig war,
als der B&uuml;rger Ruge dem Exf&uuml;rsten Lichnowski in gutem Glauben nachschwatzt. Die
polnische Emigration hat standhaft ausgehalten, hat viel gelitten und viel gearbeitet f&uuml;r
die Herstellung Polens. Aber haben die Polen in Polen selbst etwa weniger getan, haben sie
nicht gr&ouml;&szlig;eren Gefahren getrotzt, setzten sie sich nicht den Kerkern von Moabit und
dem Spielberg &lt;Berg mit Zitadelle bei Br&uuml;nn&gt;, der Knute und den sibirischen
Bergwerken, den galizischen Metzeleien und den preu&szlig;ischen Schrapnells aus? Aber alles
das existiert f&uuml;r Herrn Ruge nicht. Er hat ebensowenig bemerkt, wie die nichtemigrierten
Polen viel mehr die allgemeine europ&auml;ische Bildung in sich aufgenommen, viel besser die
Bed&uuml;rfnisse Polens, das sie fortw&auml;hrend bewohnten, erkannt haben, als mit Ausnahme
von Lelewel und Mieroslawski fast die gesamte Emigration. Der B&uuml;rger Ruge schiebt alle
Intelligenz, die in Polen existiert, oder, um seine Sprache zu reden, die "unter die Polen und
&uuml;ber die Polen gekommen ist", auf ihren Aufenthalt im Ausland. Wir haben in Nr. [81]
&lt;Siehe <a href="me05_319.htm#S331">S. 331-335</a>&gt; nachgewiesen, da&szlig; die Polen die Erkenntnis
der Bed&uuml;rfnisse ihres Landes weder bei den franz&ouml;sischen politischen Schw&auml;rmern,
die seit Februar an ihren eigenen Phrasen gescheitert sind, noch bei den deutschen tiefsinnigen
Ideologen, die noch keine Gelegenheit zum Scheitern finden konnten, zu suchen brauchten;
da&szlig; Polen selbst die beste Schule war, um zu lernen, was Polen not tut. Das Verdienst der
Polen besteht darin, die agrarische Demokratie als die einzig m&ouml;gliche Form der Befreiung
f&uuml;r alle slawischen Nationen zuerst erkannt und verbreitet, nicht aber darin, wie der <a
name="S358"></a><b>&lt;358&gt;</b> B&uuml;rger Ruge sich einbildet, allgemeine Phrasen, wie
"den gro&szlig;en Gedanken der politischen Freiheit, der in Frankreich reif wurde, und selbst
(!) die Philosophie, die in Deutschland aufgetaucht" (und in der Herr Ruge untergetaucht) "ist,
nach Polen und Ru&szlig;land hin&uuml;bergetragen zu haben".</p>
<p>Gott bewahre uns vor unsern Freunden, vor unsern Feinden werden wir uns selbst wahren! -
k&ouml;nnen die Polen nach dieser Rede des B&uuml;rgers Ruge ausrufen. Aber es ist von jeher
das gr&ouml;&szlig;te Ungl&uuml;ck der Polen gewesen, von ihren nichtpolnischen Freunden mit
den schlechtesten Gr&uuml;nden von der Welt verteidigt zu werden.</p>
<p>Es spricht sehr f&uuml;r die Frankfurter Linke, da&szlig; sie mit wenig Ausnahmen von der
Polenrede des B&uuml;rgers Ruge vollkommen entz&uuml;ckt war, von einer Rede, in der es
hei&szlig;t:</p>
<blockquote>
"Wir wollen uns nicht dar&uuml;ber entzweien, meine Herren, ob wir die demokratische
Monarchie, die demokratisierte Monarchie (!) oder die reine Demokratie meinen, <i>im ganzen
wollen wir dasselbe</i>, die Freiheit, die Volksfreiheit, die Herrschaft des Volks!"
</blockquote>
<p>Und wir sollen uns f&uuml;r eine Linke begeistern, die davon hingerissen wird, wenn man
sagt, sie wolle im "ganzen dasselbe" wie die Rechte, wie Herr Radowitz, Herr Lichnowski, Herr
Vincke und die &uuml;brige fette oder magere Ritterschaft? f&uuml;r eine Linke, die sich selbst
vor Entz&uuml;cken nicht mehr kennt, die alles vergi&szlig;t, sobald sie so ein paar hohle
Schlagworte h&ouml;rt wie "Volksfreiheit" und "Herrschaft des Volks"?</p>
<p>Doch lassen wir die Linke und kehren wir zum B&uuml;rger Ruge zur&uuml;ck.</p>
<blockquote>
"Noch ist keine gr&ouml;&szlig;ere Revolution &uuml;ber den Erdball hingegangen als die
Revolution von 1848."
</blockquote>
<p>"Sie ist die humanste in ihren Prinzipien" - weil diese Prinzipien aus der Vertuschung der
entgegengesetztesten Interessen entstanden sind.</p>
<p>"Die humanste in ihren Dekreten und Proklamationen" - weil diese ein Kompendium der
philanthropischen Schw&auml;rmereien und sentimentalen Br&uuml;derlichkeitsphrasen aller
Hohlk&ouml;pfe von Europa sind.</p>
<p>"Die humanste in ihrer Existenz" - n&auml;mlich in den Metzeleien und Barbareien von Posen,
in den Mordbrennereien Radetzkys, in den kannibalischen Grausamkeiten der Pariser Junisieger,
in den Schl&auml;chtereien von Krakau und Prag, in der allgemeinen Herrschaft der Soldateska,
kurz, in all den Infamien, welche heute, am 1. September 1848, die "Existenz" dieser Revolution
ausmachen und mehr Blut in vier Monaten gekostet haben als 1793 und 1794 zusammen.</p>
<p>Der "humane" B&uuml;rger Ruge!</p>
<p class="FirstPub"><font size="2"><b><a name="S359">&lt;359&gt;</a></b></font><a name=
"NRhZ_1848-09-07">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 96 vom 7. September 1848]</a></p>
<p>**<i>K&ouml;ln</i>, 6. September. Wir haben den "humanen" B&uuml;rger Ruge auf dem Wege
seiner geschichtlichen Untersuchungen &uuml;ber die Notwendigkeit Polens verfolgt. Bisher hat
der B&uuml;rger Ruge von der schlechten Vergangenheit, von der Zeit des Despotismus gesprochen,
er hat die <i>Ereignisse</i> der <i>Unvernunft</i> redigiert; jetzt kommt er zur Gegenwart, zum
glorreichen Jahr 1848, zur Revolution, jetzt betritt er heimischen Boden, jetzt redigiert er
die "<i>Vernunft</i> der Ereignisse".</p>
<blockquote>
"Wie kann die Freilassung Polens geschehen? Sie kann durch Vertr&auml;ge geschehen, an
welchen die beiden gro&szlig;en zivilisierten Nationen Europas teilnehmen, die mit
Deutschland, dem befreiten Deutschland, zusammen notwendig eine neue Tripelallianz
<i>darum</i> bilden m&uuml;ssen, weil sie dasselbe denken und <i>im ganzen</i> dasselbe
wollen."
</blockquote>
<p>Da haben wir in <i>einem</i> k&uuml;hnen Satz die ganze Vernunft der Ereignisse f&uuml;r die
ausw&auml;rtige Politik. Allianz zwischen Deutschland, Frankreich und England, die alle drei
"dasselbe denken und im ganzen dasselbe wollen", neuer R&uuml;tlibund zwischen den modernen
drei Schweizern Cavaignac, Leiningen und John Russell! Allerdings sind Frankreich und
Deutschland mit Gottes H&uuml;lfe inzwischen wieder so weit r&uuml;ckw&auml;rts gekommen,
da&szlig; ihre Regierungen &uuml;ber allgemeine politische Prinzipien ziemlich "dasselbe
denken" wie das offizielle England, jener unersch&uuml;tterte kontrerevolution&auml;re Fels im
Meer.</p>
<p>Aber die L&auml;nder "denken" nicht nur dasselbe, sie "wollen auch im ganzen dasselbe".
Deutschland will Schleswig, und England will es ihm nicht &uuml;berlassen; Deutschland will
Schutzz&ouml;lle, und England will Handelsfreiheit; Deutschland will Einheit, und England
w&uuml;nscht ihm Zersplitterung; Deutschland will selbst&auml;ndig sein, und England strebt
darnach, es industriell zu unterjochen - aber was tut das? "Im ganzen" wollen sie doch
"dasselbe"! Und Frankreich, Frankreich erl&auml;&szlig;t Zollgesetze gegen Deutschland, sein
Minister Bastide moquiert sich &uuml;ber den Schulmeister Raumer, der dort Deutschland vertritt
- also will es offenbar "im ganzen dasselbe" wie Deutschland! In der Tat, England und
Frankreich beweisen aufs schlagendste, da&szlig; sie dasselbe wollen wie Deutschland, indem sie
es, England wegen Schleswigs, Frankreich wegen der Lombardei, mit Krieg bedrohen!</p>
<p>Der B&uuml;rger Ruge hat die ideologische Naivet&auml;t, zu glauben, Nationen, denen gewisse
politische Vorstellungen gemeinsam seien, w&uuml;rden schon deshalb eine Allianz eingehen. Der
B&uuml;rger Ruge hat &uuml;berhaupt nur zwei Farben <a name="S360"></a><b>&lt;360&gt;</b> auf
seiner politischen Palette: schwarz und wei&szlig;, Sklaverei und Freiheit. Die Welt teilt sich
f&uuml;r ihn in zwei gro&szlig;e H&auml;lften: in zivilisierte Nationen und Barbaren, in Freie
und in Knechte. Die Grenzlinie der Freiheit, die vor sechs Monaten jenseits des Rheines lag,
f&auml;llt jetzt mit der russischen Grenze zusammen, und diesen Fortschritt nennt man die
Revolution von 1848. In dieser w&uuml;sten Gestalt spiegelt sich die gegenw&auml;rtige Bewegung
im Kopfe des B&uuml;rgers Ruge wider. Das ist die pommersche &Uuml;bersetzung des
Barrikadenschlachtrufs vom Februar und M&auml;rz.</p>
<p>&Uuml;bersetzen wir aus dem Pommerschen ins Deutsche zur&uuml;ck, so stellt sich heraus,
da&szlig; die drei zivilisierten Nationen, die drei freien V&ouml;lker, diejenigen sind, bei
denen in verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen die Bourgeoisie herrscht, w&auml;hrend die
"Sklaven und Knechte" die V&ouml;lker sind, die unter der Herrschaft des
patriarchalisch-feudalen Absolutismus stehen. Unter Freiheit versteht der farouche
&lt;wilde&gt; Republikaner und Demokrat Arnold Ruge den ganz gew&ouml;hnlichen "seichten"
Liberalismus, die Herrschaft der Bourgeoisie, allenfalls mit etwas scheindemokratischen Formen
- das des Pudels Kern!</p>
<p>Weil in Frankreich, England und Deutschland die Bourgeoisie herrscht, darum sind sie
nat&uuml;rliche Alliierte, so r&auml;soniert der B&uuml;rger Ruge. Und wenn die materiellen
Interessen der drei L&auml;nder einander schnurstracks entgegenlaufen, wenn Handelsfreiheit mit
Deutschland und Frankreich eine unumg&auml;ngliche Lebensbedingung f&uuml;r die englische, wenn
Schutzz&ouml;lle gegen England eine unumg&auml;ngliche Lebensbedingung f&uuml;r die
franz&ouml;sische und deutsche Bourgeoisie sind, wenn &auml;hnliche Verh&auml;ltnisse in vieler
Hinsicht wieder zwischen Deutschland und Frankreich stattfinden, wenn diese Tripelallianz in
der Praxis auf die industrielle Unterjochung Frankreichs und Deutschlands hinausliefe? -
"bornierter Egoismus, sch&auml;bige Kr&auml;merseelen", brummt der pommersche Denker Ruge in
seinen blonden Bart.</p>
<p>Herr Jordan hat in seiner Rede von der tragischen Ironie der Weltgeschichte gesprochen. Der
B&uuml;rger Ruge liefert ein schlagendes Exempel davon. Er, sowie die ganze mehr oder weniger
ideologische Linke, sieht seine teuersten Lieblingsschw&auml;rmereien, seine h&ouml;chsten
Gedankenefforts &lt;Gedankenanstrengungen&gt; scheitern an der Klasse, deren Repr&auml;sentant
er ist. Sein philanthropisch-kosmopolitisches Projekt scheitert an den sch&auml;bigen
Kr&auml;merseelen, und er mu&szlig; gerade, ohne es selbst zu wissen und zu wollen, diese
Kr&auml;merseelen in mehr oder weniger ideologisch-verdrehter Weise vertreten. Der Ideologe
denkt und der Kr&auml;mer lenkt. Tragische Ironie der Weltgeschichte!</p>
<p><b><a name="S361">&lt;361&gt;</a></b> Der B&uuml;rger Ruge entwickelt nun, wie Frankreich
"gesagt hat, die Vertr&auml;ge von 1815 sind zwar zerrissen, allein es wolle den
Territorialbestand anerkennen, wie er gegenw&auml;rtig ist". "Dies ist sehr richtig &lt;Im
stenographischen Bericht: wichtig&gt; ", denn was bisher niemand in dem Manifest Lamartines
gesucht hat, das findet der B&uuml;rger Ruge darin: Es ist die Grundlage eines neuen
V&ouml;lkerrechts. Dies wird folgenderma&szlig;en entwickelt:</p>
<blockquote>
"Aus diesem Verh&auml;ltnis mit Frankreich mu&szlig; das neue <i>historische</i> (!) Recht"
(Nr. 1) "hervorgehen. Das historische Recht ist das <i>Recht</i> der <i>V&ouml;lker"</i> (!
Nr. 2). "Es ist in dem Fall, wovon wir sprechen (?), das neue <i>V&ouml;lkerrecht</i>"(! Nr.
3). "Das ist die allein richtige Auffassung des <i>historischen Rechts</i>" (! Nr. 4). "Jede
andere Auffassung des <i>historischen Rechts</i>" (! Nr. 5) "ist absurd. Es gibt kein anderes
<i>V&ouml;lkerrecht</i>" (! Nr. 6). "Das <i>historische Recht</i>" (Nr. 7) "ist das Recht"
(endlich!), "welches die <i>Historie herbeif&uuml;hrt</i> und die <i>Zeit sanktioniert</i>,
indem sie" (wer?) "die bisherigen Vertr&auml;ge aufhebt, zerrei&szlig;t und neue an ihre
Stelle setzt."
</blockquote>
<p>Mit <i>einem</i> Wort: Das historische Recht ist - die Redaktion der Vernunft der
Ereignisse!</p>
<p>So steht geschrieben buchst&auml;blich in der Apostelgeschichte der deutschen Einheit, in
den stenogr[aphischen] Berichten von Frankfurt, pag. 1186, erste Spalte. Und man beschwert
sich, da&szlig; die "Neue Rheinische Zeitung" Herrn Ruge durch Ausrufungszeichen kritisiert!
Aber nat&uuml;rlich, bei diesem schwindelnden Wirbeltanz von historischem Recht und
V&ouml;lkerrecht mu&szlig;te der biederm&auml;nnischen Linken H&ouml;ren und Sehen vergehen,
und sie mu&szlig;te in Bewunderung aufgehen, als der Philosoph von Pommern ihr mit
apodiktischer Gewi&szlig;heit in die Ohren rief: "Das historische Recht ist das Recht, welches
die Historie herbeif&uuml;hrt und die Zeit sanktioniert" usw.</p>
<p>Die "Historie" hat ja stets das gerade Gegenteil von dem "herbeigef&uuml;hrt", was die "Zeit
sanktioniert" hatte, und die Sanktion der "Zeit" bestand immer gerade darin, da&szlig; sie das
umstie&szlig;, was die "Historie herbeigef&uuml;hrt" hatte.</p>
<p>Jetzt stellt der B&uuml;rger Ruge den "einzig richtigen und zul&auml;ssigen" Antrag:</p>
<blockquote>
"Die Zentralgewalt zu beauftragen, in Gemeinschaft mit England und Frankreich einen
Kongre&szlig; zur Wiederherstellung eines freien und unabh&auml;ngigen Polens, bei welchem
alle beteiligten M&auml;chte durch Gesandte zugezogen werden, einzuleiten."
</blockquote>
<p>Welche braven, biederm&auml;nnischen Gesinnungen! Lord John Russell und Eugen Cavaignac
sollen Polen wiederherstellen; die englische und franz&ouml;sische Bourgeoisie sollen
Ru&szlig;land mit einem Kriege drohen, um die Freiheit Polens zu erzwingen, an der ihnen in
diesem Augenblick vollends gar nichts liegt! In dieser <a name="S362"></a><b>&lt;362&gt;</b>
Zeit der allgemeinen Verwirrung und Verwicklung, wo jede beruhigende Nachricht, die die Kurse
ein Achtel Prozent steigen macht, durch sechs st&ouml;rende Schl&auml;ge wieder vereitelt wird,
die Industrie mit dem langsamen Bankerutt k&auml;mpft, wo der Handel stockt, wo das
unbesch&auml;ftigte Proletariat mit unerschwinglichen Geldsummen unterst&uuml;tzt werden
mu&szlig;, um nicht in einen allgemeinen, letzten Verzweiflungskampf hineingejagt zu werden -
da sollen die Bourgeois der drei zivilisierten Nationen noch eine neue Schwierigkeit schaffen?
Und welche Schwierigkeit! Einen Krieg mit Ru&szlig;land, das seit Februar der intimste
Bundesgenosse Englands ist! Einen Krieg mit Ru&szlig;land, einen Krieg, der, wie jedermann
wei&szlig;, der Sturz der deutschen und franz&ouml;sischen Bourgeoisie w&auml;re! Und um welche
Vorteile zu erlangen? Gar keine. In der Tat, das ist mehr als pommersche Naivet&auml;t!</p>
<p>Aber der B&uuml;rger Ruge schw&ouml;rt darauf, da&szlig; die "friedliche L&ouml;sung" der
polnischen Frage m&ouml;glich sei. Immer besser! Und warum? Weil es sich jetzt darum
handelt:</p>
<blockquote>
"Was die Wiener Vertr&auml;ge <i>wollen</i>, mu&szlig; jetzt realisiert und wirklich
ausgef&uuml;hrt werden ... Die Wiener Vertr&auml;ge, sie wollten das Recht <i>aller</i>
Nationen gegen die <i>gro&szlig;e</i> Nation der Franzosen, ... wollten die Wiederherstellung
der deutschen Nation."
</blockquote>
<p>Jetzt erkl&auml;rt es sich, weshalb Herr Ruge "im ganzen dasselbe will - wie die Rechte. Die
Rechte will auch die Ausf&uuml;hrung der Wiener Vertr&auml;ge.</p>
<p>Die Wiener Vertr&auml;ge sind das Resum&eacute; des gro&szlig;en Siegs des reaktion&auml;ren
Europa &uuml;ber das revolution&auml;re Frankreich. Sie sind die klassische Form, in der die
europ&auml;ische Reaktion unter der Restaurationszeit 15 Jahre herrschte. Sie stellen die
Legitimit&auml;t, das K&ouml;nigtum von Gottes Gnaden, den Feudaladel, die Pfaffenherrschaft,
die patriarchalische Gesetzgebung und Verwaltung wieder her. Da aber der Sieg erk&auml;mpft war
mit H&uuml;lfe der englischen, deutschen, italienischen, spanischen und namentlich der
franz&ouml;sischen <i>Bourgeoisie</i>, so mu&szlig;ten der Bourgeoisie ebenfalls Konzessionen
gemacht werden. W&auml;hrend F&uuml;rsten, Adel, Pfaffen und B&uuml;rokraten nun die fetten
Bissen der Beute unter sich teilten, wurde die Bourgeoisie mit Wechseln auf die Zukunft
abgespeist, die nie honoriert wurden und die niemand beabsichtigte zu honorieren. Und statt den
wirklichen, praktischen Inhalt der Wiener Vertr&auml;ge zu betrachten, glaubt Herr Ruge, diese
leeren Versprechungen seien der eigentliche Inhalt derselben, w&auml;hrend die reaktion&auml;re
Praxis nur mi&szlig;br&auml;uchlich hineingedeutet sei!</p>
<p>In der Tat, man mu&szlig; merkw&uuml;rdig gutm&uuml;tiger Natur sein, um nach 33 Jahren,
nach den Revolutionen von 1830 und 1848 noch an die Auszahlung dieser Wechsel zu glauben, um
sich einzubilden, da&szlig; die sentimentalen Phrasen, <a name="S363"></a><b>&lt;363&gt;</b> in
welche die Wiener Scheinversprechungen geh&uuml;llt sind, noch im Jahre 1848 irgendeinen Sinn
haben!</p>
<p>Der B&uuml;rger Ruge als Don Quixote der Wiener Vertr&auml;ge!</p>
<p>Schlie&szlig;lich enth&uuml;llt der B&uuml;rger Ruge der Versammlung das tiefe Geheimnis:
Die Revolutionen von 1848 seien blo&szlig; dadurch hervorgerufen, da&szlig; man 1846 in Krakau
die Vertr&auml;ge von 1815 gebrochen. Zur Warnung f&uuml;r alle Despoten!</p>
<p>Kurzum, der B&uuml;rger Ruge hat sich, seit wir ihm zuletzt auf literarischem Felde
begegneten, in keinem Punkte ver&auml;ndert. Es sind noch immer dieselben Phrasen, die er
einstudiert und wiederholt hat, seitdem er bei den "Hallischen" und "Deutschen
Jahrb&uuml;chern" den Portier der deutschen Philosophie vorstellte; noch immer dieselbe
Wirrnis, dasselbe Tohuwabohu der Anschauung, derselbe Mangel an Gedanken; dasselbe Talent, die
hohlk&ouml;pfigsten und widersinnigsten Gedanken in pomphafter Form vorzutragen; derselbe
Mangel an "Kenntnissen", und namentlich dieselben Anspr&uuml;che auf den Beifall des deutschen
Philisters, der so etwas in seinem Leben noch nicht geh&ouml;rt hat.</p>
<p>Hiermit schlie&szlig;en wir unser Resum&eacute; der Polendebatte. Auf Herrn L&ouml;w aus
Posen und die andern gro&szlig;en Geister, die noch folgen, einzugehen, w&auml;re zu viel
verlangt.</p>
<p>Die ganze Debatte hinterl&auml;&szlig;t einen wehm&uuml;tigen Eindruck. So viel lange Reden
und so wenig Inhalt, so wenig Bekanntschaft mit dem Gegenstande, so wenig Talent! Die
schlechteste Debatte der ehemaligen oder jetzigen franz&ouml;sischen Kammer oder des englischen
Unterhauses enth&auml;lt mehr Geist, mehr Sachkenntnis, mehr wirklichen Inhalt als dies
dreit&auml;gige Gespr&auml;ch &uuml;ber einen der interessantesten Gegenst&auml;nde der
modernen Politik. Es war <i>alles</i> daraus zu machen, und die Nationalversammlung hat reine
Kannegie&szlig;erei dar&uuml;ber gemacht.</p>
<p>In der Tat, eine Versammlung wie diese hat noch nie und nirgends gesessen!</p>
<p>Die Beschl&uuml;sse sind bekannt. Man hat <sup>3</sup>/<sub>4</sub> von Posen erobert; man
hat sie erobert weder durch Gewalt noch durch "deutschen Flei&szlig;", noch durch den "Pflug",
sondern durch Kannegie&szlig;erei, erlogene Statistik und furchtsame Beschl&uuml;sse.</p>
<p>"Ihr habt die Polen verschluckt, verdauen werdet Ihr sie bei Gott nicht!"</p>
<p class="AutorInfo">Geschrieben von Friedrich Engels.</p>
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