emacs.d/clones/www.mlwerke.de/tr/1931/311228f.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

516 lines
26 KiB
HTML

<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 4.01 Transitional//EN">
<html>
<head>
<meta name="generator" content="HTML Tidy, see www.w3.org">
<title>Ein Sieg Hitlers bedeutet Krieg gegen die UdSSR</title>
<meta name="GENERATOR" content="StarOffice/5.1 (OS/2)">
<meta name="AUTHOR" content="Leo Trotzki">
<meta name="CREATED" content="19320415">
<meta name="CHANGEDBY" content="L&uuml;ko Willms">
<meta name="CHANGED" content="20001207;214513">
<meta name="CLASSIFICATION" content=
"Kampf gegen Faschismus, Marsch in den 2. Weltkrieg">
<meta name="KEYWORDS" content=
"Faschimus Deutschland UdSSR Manschurei Krieg Hitler">
<link rel="stylesheet" type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
<style type="text/css">
<!--
P.sdendnote { margin-left: 0.5cm; text-indent: -0.5cm; margin-bottom: 0cm; font-size: 10pt }
A.sdendnoteanc { font-size: 57% }
-->
</style>
</head>
<body>
<table width="100%" border="0" align="center" cellspacing="0"
cellpadding="0">
<tr>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../../index.shtml.html"><small>Gesamt&uuml;bersicht
"MLWerke"</small></a></td>
<td align="center">|</td>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../default.htm"><small>&Uuml;bersicht Leo Trotzki</small></a></td>
</tr>
</table>
<hr size="1">
<h2>Leo Trotzki</h2>
<h1>Ein Sieg Hitlers bedeutet:<br>
Krieg gegen die UdSSR<a class="sdfootnoteanc" name="sdfootnote1anc"
href="311228f.htm#sdfootnote1sym"><sup>1</sup></a></h1>
<p>28. 12. 1931</p>
<hr size="1">
<p>Es gibt zur Zeit zwei ungew&ouml;hnlich weit auseinanderliegende
Brennpunkte der Weltpolitik, der eine liegt auf der Linie
Mukden-Peking<a class="sdfootnoteanc" name="sdfootnote2anc" href=
"311228f.htm#sdfootnote2sym"><sup>2</sup></a>, der andere auf der Linie
Berlin-M&uuml;nchen. Jeder dieser beiden Infektionsherde ist
imstande, den &raquo;normalen&laquo; Gang der Ereignisse auf
unserem Planeten f&uuml;r Jahre oder Jahrzehnte durcheinander zu
bringen. Unterdessen gehen die Diplomaten und die offiziellen
Politiker ihrem Tagewerk nach, als gehe nichts Besonderes vor.
Gerade so haben sie es schon 1912, w&auml;hrend des Balkankrieges
gemacht, der das Vorspiel zum Krieg von 1914 war.</p>
<p>Man nennt das mit gutem Grund
&raquo;Vogel-Strau&szlig;-Politik&laquo;, wobei man einem klugen
Vogel Unrecht tut. Die sch&ouml;ne Resolution des V&ouml;lkerbunds
zur mandschurischen Frage<a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote3anc" href="311228f.htm#sdfootnote3sym"><sup>3</sup></a> ist -
selbst im Rahmen der Geschichte der europ&auml;ischen Diplomatie
beurteilt - ein Dokument beispielloser Unf&auml;higkeit; kein
Strau&szlig;, der auf sich h&auml;lt, w&uuml;rde seinen Namen
daruntersetzen. Solcher Blindheit (in vielen F&auml;llen ist es
ganz offenbar ein Nicht-Sehen-Wollen) gegen&uuml;ber dem, was sich
im Fernen Osten vorbereitet, kann man allenfalls zugutehalten,
da&szlig; sich die Ereignisse dort in relativ langsamem Tempo
entwickeln. Der Osten ist, obwohl er zu neuem Leben erwacht, noch
weit vom &raquo;amerikanischen&laquo;, ja selbst vom
europ&auml;ischen Tempo entfernt.</p>
<p>Deutschland ist eine harte Nu&szlig;. Das in Versailles
balkanisierte Europa ist in eine Sackgasse geraten. Diese
Ausweglosigkeit erscheint in Deutschland in konzentrierter Form, in
der politischen Gestalt des &raquo;Nationalsozialismus&laquo;. In
der Sprache der Sozialpsychologie l&auml;&szlig;t sich diese
politische Str&ouml;mung als epidemische Verzweiflungshysterie der
Mittelschichten beschreiben. Ich denke hier an die
zugrundegerichteten Kleinh&auml;ndler, Handwerker und Bauern, auch
an Teile des arbeitslosen Proletariats, an die Beamten und die
ehemaligen Offiziere des gro&szlig;en Krieges, die noch ihre
Auszeichnungen tragen, aber keinen Sold mehr erhalten, an die
Angestellten der inzwischen geschlossenen B&uuml;ros, die
Buchhalter der bankrotten Banken, die besch&auml;ftigungslosen
Ingenieure, die Journalisten ohne Gehalt und ohne Aussichten, an
die &Auml;rzte, deren Klienten zwar noch krank sind, aber nicht
wissen, wie sie zahlen sollen.</p>
<p>Hitler hat es abgelehnt, Fragen zu seinem innenpolitischen
Programm zu beantworten, da es sich dabei um milit&auml;rische
Geheimnisse handele. Er denke nicht daran, sagt er, seinen
politischen Gegnern das Geheimnis seiner Heilsmethoden
preiszugeben. Das ist nicht sehr patriotisch, aber schlau. In
Wirklichkeit hat Hitler kein Geheimnis. Aber wir wollen uns hier
nicht mit seiner Innenpolitik besch&auml;ftigen. In der Sph&auml;re
der Au&szlig;enpolitik scheint seine Position auf den ersten Blick
hin ein wenig klarer zu sein. In seinen Artikeln und Reden
erkl&auml;rt Hitler dem Versailler Vertrag, dessen Produkt er
selber ist, den Krieg. Seine Spezialit&auml;t sind aggressive
Beschimpfungen Frankreichs. In Wahrheit aber w&uuml;rde Hitler,
k&auml;me er an die Macht, zu einer Hauptst&uuml;tze von Versailles
und zum Helfershelfer des franz&ouml;sischen Imperialismus
werden.</p>
<p>Diese Behauptungen m&ouml;gen paradox klingen. Aber sie ergeben
sich unausweichlich aus der Logik der europ&auml;ischen und
internationalen Situation, sofern man sie richtig analysiert, d.h.
wenn die Analyse von den Grundkr&auml;ften der Politik und nicht
von leerem Gerede, von Gesten und anderem demagogischen Plunder
ausgeht.</p>
<h3>Hitler wird Verb&uuml;ndete brauchen</h3>
<p>Die deutschen Faschisten erkl&auml;ren, der Marxismus und
Versailles seien ihre beiden Feinde. Mit &raquo;Marxismus&laquo;
meinen sie zwei deutsche Parteien - die Kommunisten und die
Sozialdemokratie - und einen Staat - die Sowjetunion. Unter
&raquo;Versailles&laquo; verstehen sie Frankreich und Polen. Um zu
begreifen, welche internationale Rolle ein nationalsozialistisches
Deutschland spielen w&uuml;rde, mu&szlig; man diese Momente in
ihrer Wechselwirkung einmal kurz untersuchen.</p>
<p>Die italienische Erfahrung hat die Beziehungen zwischen
Faschismus und Marxismus hinreichend klar werden lassen. Bis zum
Operetten-Marsch auf Rom war Mussolinis Programm nicht weniger
radikal und mystisch als das von Hitler. In der Praxis wurde es
rasch zum Programm des Kampfes gegen die revolution&auml;ren und
oppositionellen Kr&auml;fte. Wie sein italienisches Vorbild kann
auch der deutsche Nationalsozialismus nur nach Zerschlagung der
Arbeiterorganisationen die Macht ergreifen. Das ist freilich nicht
einfach. Zwischen sich und der Macht, nach der sie gieren, werden
die Nationalsozialisten auf den B&uuml;rgerkrieg sto&szlig;en.
Selbst wenn Hitler auf friedlichem Wege eine parlamentarische
Mehrheit zusammenbr&auml;chte - was aus der Reihe der
M&ouml;glichkeiten ruhig ausgeschlossen werden kann - st&uuml;nde
er doch, um die faschistische Herrschaft aufrichten zu k&ouml;nnen,
vor der gleichen Notwendigkeit, der Kommunistischen Partei, der
Sozialdemokratie und den Gewerkschaften den Hals umzudrehen. Und
das ist ein schwieriger und langwieriger chirurgischer Eingriff.
Hitler wei&szlig; das selbst sehr genau. Und darum denkt er auch
keineswegs daran, seine politischen Pl&auml;ne mit dem ungewissen
Schicksal des Parlamentarismus zu verbinden.</p>
<p>W&auml;hrend Hitler aus Leibeskr&auml;ften seine Legalit&auml;t
beteuert, wartet er einen g&uuml;nstigen Augenblick ab, um rasch
und pr&auml;zis zuzuschlagen. Wird es ihm gelingen? Es ist keine
leichte Aufgabe, aber es w&auml;re unverzeihlicher Leichtsinn,
einen Erfolg Hitlers f&uuml;r ausgeschlossen zu halten. Auf welchem
Wege immer Hitler zur Macht k&auml;me - ob durch die offene
T&uuml;r oder verm&ouml;ge eines Einbruchs -, die Faschisierung
Deutschlands w&uuml;rde stets einen schweren innenpolitischen
Konflikt ausl&ouml;sen. Das w&uuml;rde unweigerlich f&uuml;r eine
betr&auml;chtliche Periode die Kr&auml;fte des Landes lahmlegen und
Hitler zwingen, in den Nachbarl&auml;ndern nicht Rache, sondern
Verb&uuml;ndete und Besch&uuml;tzer zu suchen. Von dieser
grundlegenden &Uuml;berlegung mu&szlig; unsere Analyse
ausgehen.</p>
<p>Die deutschen Arbeiter werden im Kampf gegen den Faschismus
nat&uuml;rlich die Unterst&uuml;tzung der Sowjetunion suchen und
finden. Kann man sich unter diesen Umst&auml;nden auch nur f&uuml;r
einen Augenblick vorstellen, da&szlig; die Hitlerregierung einen
bewaffneten Konflikt mit Frankreich oder Polen riskieren
w&uuml;rde? Zwischen dem Proletariat eines faschistischen
Deutschlands und der Sowjetunion steht Pilsudski. Einem mit der
Faschisierung Deutschlands besch&auml;ftigten Hitler w&auml;re die
Hilfe oder wenigstens die wohlwollende Neutralit&auml;t Pilsudskis
unendlich viel wichtiger als die Beseitigung des polnischen
Korridors. Wie bedeutungslos wird Hitler diese Frage - ja, die
Frage der deutschen Grenzen insgesamt - erscheinen, sobald er
seinen z&auml;hen Kampf um Eroberung und Erhaltung der Macht
f&uuml;hren mu&szlig;!</p>
<p>Pilsudski w&auml;re f&uuml;r Hitler eine Br&uuml;cke zur
Freundschaft mit Frankreich, wenn nicht in Wirklichkeit andere
Br&uuml;cken n&auml;her l&auml;gen. Selbst jetzt gibt es in der
franz&ouml;sischen Presse - obschon nur in zweitrangigen
Bl&auml;ttern - Stimmen, die sagen: &raquo;Es ist Zeit, sich auf
Hitler hin zu orientieren&laquo;. Die offizielle Presse,
angef&uuml;hrt von <i>Le Temps</i>, nimmt dem Nationalsozialismus
gegen&uuml;ber nat&uuml;rlich eine feindliche Haltung ein, aber
nicht, weil die Herren der Geschicke im heutigen Frankreich die
kriegerischen Gesten Hitlers ernst n&auml;hmen, sondern weil sie
den einzigen Weg, auf dem Hitler an die Macht kommen kann,
f&uuml;rchten, den Weg des B&uuml;rgerkrieges, dessen Ausgang
niemand vorhersagen kann. Kann seine Politik des Staatsstreichs von
rechts nicht eine Revolution von links ausl&ouml;sen? Das ist es,
was die herrschenden Kreise in Frankreich - &uuml;brigens ganz zu
Recht - beunruhigt.</p>
<p>Aber eins ist klar: w&uuml;rde Hitler alle Hindernisse
&uuml;berwinden und an die Macht kommen, so m&uuml;&szlig;te er, um
im eigenen Land freie Hand zu haben, mit einem Treueid auf
Versailles anfangen. Niemand am Quai d'Orsay zweifelt daran. Mehr
noch, man wei&szlig; dort genau, da&szlig; eine einmal in
Deutschland auf Dauer errichtete Milit&auml;rdiktatur Hitlers zu
einem ungleich stabileren Element der franz&ouml;sischen
Vorherrschaft in Europa werden w&uuml;rde, als es die
gegenw&auml;rtige deutsche Regierungsform darstellt, deren
mathematische Formel aus lauter Unbekannten besteht.</p>
<h3>Der Krieg w&auml;re unvermeidlich</h3>
<p>Es w&auml;re v&ouml;llig infantil, sich einzubilden, die
herrschenden Kreise Frankreichs &raquo;gerieten in
Verlegenheit&laquo;, wenn sie als Besch&uuml;tzer eines
faschistischen Deutschlands auftreten m&uuml;&szlig;ten. Frankreich
beschirmt Polen, Rum&auml;nien und Jugoslawien - drei von
Milit&auml;rdiktaturen beherrschte L&auml;nder. Das ist keineswegs
ein Zufall. Die heutige Vorherrschaft Frankreichs in Europa
resultiert daraus, da&szlig; Frankreich zum Alleinerben des
gemeinsam mit den Vereinigten Staaten und Gro&szlig;britannien
erstrittenen Sieges geworden ist. (Ich erw&auml;hne hier nicht
Ru&szlig;land, weil es am Sieg nicht teilhatte, obwohl es die
gr&ouml;&szlig;ten Menschenopfer daf&uuml;r gebracht hatte.) Aus
den H&auml;nden der m&auml;chtigsten Allianz der Weltm&auml;chte,
die die Geschichte kennt, hat Frankreich ein Erbteil empfangen, das
es nicht fahren lassen will, obwohl es f&uuml;r seine schmalen
Schultern zu schwer ist. Frankreichs Territorium, seine
Bev&ouml;lkerung, seine Produktivkr&auml;fte, sein Volkseinkommen -
all das steht offensichtlich in keinem Verh&auml;ltnis zur
Aufrechterhaltung seiner Vorherrschaft. Die Balkanisierung Europas,
die Versch&auml;rfung der Gegens&auml;tze, der Kampf gegen die
Abr&uuml;stung, die Unterst&uuml;tzung von Milit&auml;rdiktaturen -
das sind Methoden, wie sie zur Aufrechterhaltung der
franz&ouml;sischen Vorherrschaft n&ouml;tig sind.</p>
<p>Die gro&szlig;e Aufteilung des deutschen Volkes stellt im System
der franz&ouml;sischen Vorherrschaft ein ebenso notwendiges
Kettenglied dar wie die phantastischen polnischen Grenzen mit ihrem
ber&uuml;hmten &raquo;Korridor&laquo;<a class="sdfootnoteanc" name=
"sdfootnote4anc" href="311228f.htm#sdfootnote4sym"><sup>4</sup></a>. In der
Sprache von Versailles bezeichnet &raquo;Korridor&laquo; das, was
andere Menschen als Entnahme einer Rippe aus einem lebenden
K&ouml;rper kennzeichnen w&uuml;rden. Wenn Frankreich, w&auml;hrend
es Japan in der Mandschurei unterst&uuml;tzt, Stein und Bein
schw&ouml;rt, es wolle den Frieden, so hei&szlig;t das einfach,
da&szlig; es die Unantastbarkeit seiner eigenen Vorherrschaft
garantiert, n&auml;mlich sein Recht, Europa zu zerst&uuml;ckeln und
es dem Chaos zuzuf&uuml;hren. Die Geschichte bezeugt, da&szlig;
uners&auml;ttliche Eroberer immer zum &raquo;Pazifismus&laquo;
neigen, weil sie die Rache der Besiegten f&uuml;rchten.</p>
<p>Ein faschistisches Regime, das nur unter blutigen Zuckungen und
um den Preis einer neuerlichen Schw&auml;chung Deutschlands
zustandekommen kann, w&auml;re eben darum ein unsch&auml;tzbarer
Baustein zur franz&ouml;sischen Vorherrschaft. Von seiten der
Nationalsozialisten haben Frankreich und sein Versailler System
&uuml;berhaupt nichts zu f&uuml;rchten.</p>
<p>Hie&szlig;e &raquo;Hitler an der Macht&laquo; dann
&raquo;Frieden&laquo;? Nein, &raquo;Hitler an der Macht&laquo;
w&uuml;rde eine weitere St&auml;rkung der franz&ouml;sischen
Vorherrschaft bedeuten. Aber gerade darum w&uuml;rde &raquo;Hitler
an der Macht&laquo; Krieg bedeuten, nicht gegen Polen, nicht gegen
Frankreich, aber Krieg gegen die Sowjetunion.</p>
<p>Die Moskauer Presse hat in den vergangenen Jahren mehr als
einmal von der Gefahr einer milit&auml;rischen Invasion der
Sowjetunion gesprochen. Der Autor dieser Zeilen hat mehr als einmal
Einw&auml;nde gegen solche oberfl&auml;chlichen Prophezeiungen
gemacht, nicht weil er glaubte, da&szlig; es, in Europa oder in der
&uuml;brigen Welt an schlechtem Willen zum Krieg gegen die
Sowjetunion fehle. Daran fehlt es keineswegs! Aber f&uuml;r ein so
riskantes Unternehmen w&auml;ren die Meinungsverschiedenheiten und
Widerst&auml;nde nicht nur zwischen den verschiedenen
europ&auml;ischen Staaten, sondern mehr noch in ihrem Innern zu
gro&szlig;.</p>
<p>Kein Politiker wird vermutlich glauben, man k&ouml;nne die
Sowjetrepublik mit Hilfe an der Grenze zusammengezogener Heere oder
einfacher Landeoperationen beseitigen. Selbst Winston Churchill
glaubt nicht mehr daran, trotz der Lautst&auml;rke seiner
politischen Stimm&uuml;bungen. Ein solcher Versuch war in den
Jahren 1918-1920 gemacht worden, als Churchill, wie er sich selbst
prahlerisch r&uuml;hmte, &raquo;Vierzehn Nationen&laquo; gegen die
Sowjetunion mobilisierte. Wie gl&uuml;cklich w&auml;re der
britische Finanzminister jetzt, k&ouml;nnte er die hunderte
Millionen Pfund wiederbekommen, die damals f&uuml;r die
Intervention aufgewandt wurden! Aber &uuml;ber zerschlagenes
Geschirr braucht man nicht zu jammern. Au&szlig;erdem war jenes
Geld der Preis f&uuml;r eine gute Lehre. Wenn zu jener Zeit, in den
ersten Jahren der Sowjetrepublik, als die Rote Armee noch in den
Kinderschuhen steckte - sie hatte in jenen Jahren oft
&uuml;berhaupt nichts an den F&uuml;&szlig;en -, die Truppen von
&raquo;vierzehn Nationen&laquo; den Sieg nicht erringen konnten, um
wieviel geringer ist dann heute die Aussicht auf einen Sieg, wo die
Rote Armee eine starke Kraft mit siegreicher Tradition, jungen und
doch erprobten Offizieren, von der Revolution erschlossenen,
unersch&ouml;pflichen Hilfsquellen und ausreichenden Arsenalen
ist!</p>
<p>Selbst wenn sie in ein solches Abenteuer hineingezogen
w&uuml;rden, w&auml;ren die vereinigten Kr&auml;fte der
angrenzenden V&ouml;lker zu schwach f&uuml;r eine Intervention in
der Sowjetunion. Japan ist zu weit entfernt, um selbst&auml;ndig
eine milit&auml;rische Rolle gegen&uuml;ber der Sowjetunion spielen
zu k&ouml;nnen, und au&szlig;erdem wird der Mikado in den
n&auml;chsten Jahren mit den Unruhen bei sich daheim genug zu tun
haben. Um eine Intervention m&ouml;glich zu machen, braucht man ein
gro&szlig;es, hochindustrialisiertes und dazu noch kontinentales
Reich, das willens und f&auml;hig ist, sich die Hauptlast eines
Kreuzzugs gegen die Sowjetunion aufzuladen. Genauer: man braucht
ein Land, das nichts zu verlieren hat. Ein Blick auf die politische
Landkarte Europas zeigt, da&szlig; nur ein faschistisches
Deutschland diese Aufgabe &uuml;bernehmen k&ouml;nnte. Mehr noch,
ein faschistisches Deutschland h&auml;tte gar keine andere Wahl.
Nachdem der Faschismus auf Kosten unz&auml;hliger Opfer die Macht
errungen, in allen innenpolitischen Fragen versagt, vor Frankreich
und folglich vor den Halbvasallenstaaten wie Polen kapituliert
h&auml;tte, w&auml;re er unweigerlich gezwungen, irgendeinen
waghalsigen Ausweg aus dem eigenen Bankrott und den
Widerspr&uuml;chen der internationalen Lage zu suchen. Unter diesen
Umst&auml;nden w&uuml;rde ein Krieg gegen die Sowjetunion zur
fatalen Notwendigkeit.</p>
<p>Gegen diese d&uuml;stere Voraussage k&ouml;nnte man das Beispiel
Italiens ins Feld f&uuml;hren, mit dem die Sowjetunion zu einem
modus vivendi gekommen ist. Aber dieser Einwand ist
oberfl&auml;chlich. Italien ist von der Sowjetunion durch eine
Reihe von dazwischenliegenden L&auml;ndern getrennt. Der
italienische Faschismus ging mit der Hefe einer rein italienischen
Krise auf, da die nationalen Anspr&uuml;che Italiens in Versailles
gro&szlig;z&uuml;gig befriedigt worden waren. Er kam kurz nach dem
Weltkrieg an die Macht, als von einem neuen Kriege noch keine Rede
sein konnte. Und schlie&szlig;lich blieb Italien allein, und
niemand in Europa wu&szlig;te, wie standfest sich das faschistische
Regime einerseits, das sowjetische andererseits erweisen
w&uuml;rde.</p>
<p>Die Position Hitlerdeutschlands ist in all diesen Punkten eine
verh&auml;ngnisvoll andere. Es braucht einen au&szlig;enpolitischen
Erfolg. Die Sowjetunion w&auml;re ein unertr&auml;glicher Nachbar.
Erinnern wir uns, wie lange Pilsudski z&ouml;gerte, den
Nichtangriffspakt mit Ru&szlig;land zu unterzeichnen. Hitler Seite
an Seite mit Pilsudski - das ist schon die Antwort auf unsere
Frage. Andererseits mu&szlig; Frankreich sehr wohl wissen,
da&szlig; es nicht imstande ist, Deutschland auf Dauer waffenlos zu
halten. Die franz&ouml;sische Politik wird darin bestehen, den
deutschen Faschismus gegen Osten zu richten. Das w&uuml;rde der
nationalen Emp&ouml;rung &uuml;ber das Versailler System ein
Sicherheitsventil &ouml;ffnen und b&ouml;te - wer wei&szlig;? -
vielleicht eine Chance, auf diesem Wege zu neuen L&ouml;sungen
f&uuml;r das heiligste aller Weltprobleme, das Reparationsproblem
zu kommen.</p>
<h3>Ru&szlig;land mu&szlig; bereit sein</h3>
<p>Nimmt man die Versicherung der faschistischen Propheten, sie
w&uuml;rden in der ersten H&auml;lfte des Jahres 1932 an die Macht
kommen, f&uuml;r bare M&uuml;nze - obwohl wir weit davon entfernt
sind, diesen Leuten auf ihr blo&szlig;es Wort hin zu glauben -, so
ist es m&ouml;glich, von vornherein eine Art politischen Kalender
zu entwerfen. Einige Jahre werden mit der Faschisierung
Deutschlands vergehen - der Zerschlagung der deutschen
Arbeiterklasse, der Schaffung einer faschistischen Miliz und der
Wiederherstellung der Armee. Etwa 1933/34 w&auml;ren die
Voraussetzungen einer milit&auml;rischen Intervention in der
Sowjetunion geschaffen.</p>
<p>Dieser Zeitplan geht nat&uuml;rlich von der Annahme aus,
da&szlig; die Regierung der Sowjetunion unterdessen geduldig
abwartet. Meine Beziehungen zur gegenw&auml;rtigen Regierung sind
nicht derart, da&szlig; ich ein Recht h&auml;tte, in ihrem Namen zu
sprechen oder auf ihre Absichten hinzuweisen, die ich, wie jeder
andere Zeitungsleser oder Politiker, nur auf Grund aller
verf&uuml;gbaren Nachrichten beurteilen kann. Umso freier kann ich
mich dazu &auml;u&szlig;ern, wie - meiner Meinung nach - die
Sowjetregierung im Falle eines faschistischen Umsturzes in
Deutschland handeln m&uuml;&szlig;te.</p>
<p>An ihrer Stelle w&uuml;rde ich, sobald ich die telegraphische
Nachricht von diesem Ereignis erhielte, eine Teilmobilmachung
anordnen. Steht man einem Todfeind gegen&uuml;ber und ergibt sich
der Krieg mit Notwendigkeit aus der Logik der realen Situation, so
w&auml;re es unverzeihlicher Leichtsinn, diesem Gegner Zeit zu
lassen, sich festzusetzen und zu st&auml;rken, B&uuml;ndnisse
einzugehen, sich die n&ouml;tige Hilfe zu verschaffen, einen
umfassenden milit&auml;rischen Angriffsplan - nicht nur f&uuml;r
den Westen, sondern auch f&uuml;r den Osten - auszuarbeiten, und so
eine ungeheure Gefahr wachsen zu lassen.</p>
<p>Hitlers Sturmabteilungen lassen schon ganz Deutschland von einem
Kriegsgesang gegen die Sowjets widerhallen, den ein Dr. Hans
B&uuml;chner komponiert hat. Es w&auml;re unklug, die Faschisten
dies Kriegslied br&uuml;llen zu lassen. Wenn Sie es singen
m&uuml;ssen, dann wenigstens <i>staccato</i>.</p>
<p>Es kommt nicht darauf an, wer von beiden formell die Initiative
ergreift; ein Krieg zwischen dem Hitlerstaat und dem Sowjetstaat
w&auml;re unvermeidlich, und zwar in kurzer Frist. Die Folgen
dieses Krieges w&auml;ren unberechenbar. Aber welche Illusionen man
auch in Paris hegt, eins ist sicher: in den Flammen eines
bolschewistisch-faschistischen Krieges w&uuml;rde sogleich der
Vertrag von Versailles aufgehen.</p>
<hr size="1">
<h3>Fu&szlig;noten</h3>
<br>
<div id="sdfootnote1">
<dl>
<dd><font size="2"><a class="sdfootnotesym" name="sdfootnote1sym"
href="311228f.htm#sdfootnote1anc">1</a>Dieser Artikel erschien erstmals in der
US-amerikanischen Zeitschrift <i>The Forum,</i> dann in der
sozialistischen Wochenzeitung <i>The Militant</i> vom 16.7.1932.
Der englische Titel lautete &raquo;I see war with Germany&laquo;.
Die deutsche Version, die in der Zeitung der Linken Opposition der
KPD, <i>Permanente Revolution</i> in mehreren Folgen im Sommer 1932
erschien, war nach dem Text in <i>The Militant</i>
&uuml;bersetzt.<br>
<br>
</font></dd>
<dd><font size="2"><font size="2">Als Trotzki Ende 1931 diesen
Artikel schrieb, ging er noch davon aus, da&szlig; es auf jeden
Fall zu einem blutigen B&uuml;rgerkrieg kommen w&uuml;rde, wenn die
Nazis versuchten, die Macht zu erobern, und da&szlig; die UdSSR
noch mehr von einem revolution&auml;ren Geist atmen w&uuml;rde, um
in die deutschen Ereignisse eingreifen zu k&ouml;nnen. Sp&auml;ter
revidierte er die hier aufgezeigten Perspektiven in einigen
Hinsichten.<br>
<br>
</font></font></dd>
<dd><font size="2"><font size="2"><font size="2">Zu der Frage,
inwieweit die UdSSR durch eine milit&auml;rische Mobilmachung bei
einem Griff der Nazis nach der Macht in Deutschland die Ereignisse
beeinflussen k&ouml;nnte, siehe die Artikel &raquo;Deutschland und
die UdSSR&laquo; vom 17.3.1933, &raquo;Hitler und die Rote
Armee&laquo; vom 21.3.1933, und &raquo;Stalin beruhigt
Hitler&laquo; vom 19.7.1933 (in &raquo;Schriften &uuml;ber
Deutschland&laquo;, Band 2, S. 495, 500, und 613), zu den
Pl&auml;nen und Perspektiven Hitlers siehe die beiden f&uuml;r die
&raquo;Neue Weltb&uuml;hne&laquo; geschriebenen Artikel
&raquo;Hitler und die Abr&uuml;stung&laquo; (2.6.1933) und
&raquo;Pazifist Hitler&laquo; (23.11.1933), in denen Trotzki auf
den &raquo;Offenen Brief&laquo; Hitlers an von Papen vom 16.
Oktober 1932 aufmerksam macht und die darin dargelegte Strategie
zur Aufr&uuml;stung diskutiert (in &raquo;Schriften &uuml;ber
Deutschland&laquo;, Band 2, S. 553 bzw.
635).</font></font></font></dd>
</dl>
</div>
<font size="2"><font size="2"><br>
</font></font>
<div id="sdfootnote2"><font size="2"><font size="2"></font></font>
<dl>
<dd><font size="2"><font size="2"><font size="2"><a class=
"sdfootnotesym" name="sdfootnote2sym" href=
"311228f.htm#sdfootnote2anc">2</a>Mukden, chinesisch Schenjang, Millionenstadt
in der s&uuml;dlichen Mandschurei, war von 1931 bis 1945 von Japan
besetzt und beherrscht. Bei Mukden fand die letzte gro&szlig;e
Schlacht im japanisch-russischen Krieg von 1905 statt. Fr&uuml;her,
von 1621 bis 1644 (europ&auml;ischer Zeitrechung) war Schenjang als
Sitz der Mandschu-Herrscher die Hauptstadt
Chinas.</font></font></font></dd>
</dl>
</div>
<font size="2"><font size="2"><br>
</font></font>
<div id="sdfootnote3"><font size="2"><font size="2"></font></font>
<dl>
<dd><font size="2"><font size="2"><font size="2"><a class=
"sdfootnotesym" name="sdfootnote3sym" href=
"311228f.htm#sdfootnote3anc">3</a>Nachdem am 18.9.1931 Japan die Mandschurei
besetzte und damit den langj&auml;hrigen Krieg Japans zur Eroberung
von China er&ouml;ffnete, beschlo&szlig; der Rat des
V&ouml;lkerbundes am 10.12.1931, eine internationale Komission
unter dem Vorsitz des Engl&auml;nders Lytton zur Untersuchung des
chinesich-japanischen Konflikts zu
bilden.</font></font></font></dd>
</dl>
</div>
<font size="2"><font size="2"><br>
</font></font>
<div id="sdfootnote4"><font size="2"><font size="2"></font></font>
<dl>
<dd><font size="2"><font size="2"><font size="2"><a class=
"sdfootnotesym" name="sdfootnote4sym" href=
"311228f.htm#sdfootnote4anc">4</a>Mit dem &raquo;Korridor&laquo; war der ca.
30 bis 40 km breite Landstreifen gemeint, der Polen bei Gdingen und
der Halbinsel Hela einen Zugang zur Ostsee verschaffte, und der
Ostpreu&szlig;en zu einer Exklave des Deutschen Reiches
machte.</font></font></font></dd>
</dl>
</div>
<font size="2"><font size="2"><br>
</font></font>
<hr size="1">
<table width="100%" border="0" align="center" cellspacing="0"
cellpadding="0">
<tr>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../../index.shtml.html"><small>Gesamt&uuml;bersicht
"MLWerke"</small></a></td>
<td align="center">|</td>
<td align="center" width="49%" height="20" valign="middle"><a href=
"../default.htm"><small>Leo Trotzki</small></a></td>
</tr>
</table>
<font size="-2"><small>
Verwendung zur Herstellung von Druckwerken oder f&uuml;r andere
elektronische Publikationen auf Datentr&auml;gern oder im Netz nur
nach R&uuml;cksprache. <a href="../../ies/kontakt.htm">Kontakt</a>
</small></font>
</body>
</html>