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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Friedrich Engels - Schutzzoll oder Freihandelssytem</TITLE>
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<SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 58 - 61<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972 </SMALL></P>
<H2>[Friedrich Engels]</H2>
<H1>Schutzzoll oder Freihandels-System</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben Anfang Juni 1847.</FONT>
<HR>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 46 vom 10. Juni 1847]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S58">&lt;58&gt;</A></B> Von dem Augenblick an, wo der K&ouml;nig von Preu&szlig;en aus Geld- und Kredit-Mangel zur Erlassung der Patente vom 3. Februar gezwungen wurde, konnte es keinem verst&auml;ndigen Menschen zweifelhaft sein, da&szlig; das absolute K&ouml;nigtum in Deutschland, die bisherige "christlich-germanische" Wirtschaft, auch unter dem Namen "v&auml;terliche Regierung" bekannt, trotz alles Str&auml;ubens und aller geharnischten Thronreden f&uuml;r immer abgedankt habe. Damit war der Tag angebrochen, von welchem die Bourgeoisie in Deutschland ihre Herrschaft datieren kann. Die Patente selbst sind nichts, als ein noch mit vielem Potsdamer Dunst und Nebel umh&uuml;lltes Anerkenntnis der Macht des B&uuml;rgertums. Ein gro&szlig;er Teil jenes Dunstes und Nebels ist bereits durch einiges schwache Pusten des Vereinigten Landtags auseinandergetrieben, und sehr bald wird die ganze christlich-germanische Nebel- und Spukgestalt in ihr Nichts aufgel&ouml;st sein.</P>
<P>So wie aber die Herrschaft der Mittelklassen begann, so mu&szlig;te auch in erster Reihe die Forderung hervortreten, da&szlig; die ganze Handelspolitik Deutschlands, respektive des Zollvereins, den unf&auml;higen H&auml;nden deutscher F&uuml;rsten, ihrer Minister und hochm&uuml;tigen, aber in Handels- und Industriesachen h&ouml;chst geistesbeschr&auml;nkten und unwissenden B&uuml;rokraten entrissen und von denen abh&auml;ngig gemacht und entschieden werde, die sowohl die n&ouml;tige Einsicht als das n&auml;chste Interesse bei der Sache besitzen. Mit andern Worten: die Frage der Schutz- und Differentialz&ouml;lle oder des freien Handels mu&szlig;te der alleinigen Entscheidung des B&uuml;rgertums anheimfallen.</P>
<P>Der Vereinigte Landtag in Berlin hat der Regierung gezeigt, da&szlig; die Bourgeoisie wei&szlig;, was ihr nottut; bei den neulichen Zollverhandlungen ist dem Spandauer Regierungssystem in ziemlich klaren und bitteren Worten er&ouml;ffnet worden, da&szlig; es unf&auml;hig ist, die materiellen Interessen zu begreifen, zu <A NAME="S59"><B>&lt;59&gt;</A></B> sch&uuml;tzen und zu f&ouml;rdern. Die Krakauer Angelegenheit allein w&auml;re hinreichend gewesen, um den heiligen Allianz-Wilhelme &lt;Friedrich Wilhelm IV.&gt; und seinen Ministern den Stempel der gr&ouml;blichsten Unwissenheit oder der strafbarsten Verr&auml;terei gegen die Wohlfahrt des Landes auf die Stirn zu dr&uuml;cken. Zum Schrecken des allerh&ouml;chsten Herrn und seiner Exzellenzen kamen aber noch eine Menge anderer Dinge zur Sprache, bei denen sich die k&ouml;niglichen und ministeriellen F&auml;higkeiten und Einsichten - lebende wie verstorbene - alles andere, nur nicht geschmeichelt f&uuml;hlen konnten.</P>
<P>Unter dem B&uuml;rgertume selbst herrschen zwar in betreff der Industrie und des Handels zwei verschiedene Ansichten. Es unterliegt indes keinem Zweifel, da&szlig; die Partei f&uuml;r die Schutz-, respektive Differentialz&ouml;lle weitaus die m&auml;chtigste, zahlreichste und &uuml;berwiegendste ist. Das B&uuml;rgertum kann sich auch in der Tat nicht halten, nicht befestigen, nicht zu unumschr&auml;nkter Macht gelangen, wenn es nicht seine Industrie und seinen Handel durch k&uuml;nstliche Mittel schirmt und pflegt. Ohne Schutz gegen die ausl&auml;ndische Industrie w&auml;re es in einem Jahrzehnt zerquetscht und niedergestampft. Sehr leicht m&ouml;glich, da&szlig; ihm selbst der Schutz nicht viel und nicht lange hilft. Es hat zu lange gewartet, es hat zu ruhig in den Windeln gelegen, in die es von seinen teuern F&uuml;rsten so viele Jahre hindurch eingeschn&uuml;rt gewesen. Man hat es auf allen Seiten &uuml;berfl&uuml;gelt, &uuml;berholt, ihm seine besten Positionen weggenommen, w&auml;hrend es sich daheim ruhig "Handschmitze" geben lie&szlig; und nicht einmal so viel Energie besa&szlig;, um sich der teils idioten, teils h&ouml;chst verschmitzten v&auml;terlichen Schul- und Zuchtmeister zu entledigen.</P>
<P>Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Die deutschen F&uuml;rsten k&ouml;nnen fernerhin nur die Bedienten des B&uuml;rgertums, nur der Punkt &uuml;ber dem i der Bourgeoisie sein. Soweit es f&uuml;r die Macht der letzteren noch Zeit und Gelegenheit gibt, ist der Schutz der deutschen Industrie und des deutschen Handels die einzige Grundlage, auf der jene zu fu&szlig;en vermag. Und was das B&uuml;rgertum gegen&uuml;ber den deutschen F&uuml;rsten will und wollen mu&szlig;, das wird es auch durchzusetzen wissen.</P>
<P>Neben dem B&uuml;rgertum gibt es jedoch eine recht ansehnliche Zahl von Menschen, die man Proletarier nennt - die arbeitende und besitzlose Klasse.</P>
<P>Es fragt sich daher: was gewinnt diese durch Einf&uuml;hrung des Schutzsystems? Wird sie deshalb mehr Lohn erhalten, sich besser n&auml;hren und kleiden ges&uuml;nder wohnen, etwas mehr Zeit zur Erholung und Bildung, einige Mittel zur vern&uuml;nftigeren, sorgsameren Erziehung ihrer Kinder er&uuml;brigen k&ouml;nnen?</P>
<B><P><A NAME="S60">&lt;60&gt;</A></B> Die Herren von der Bourgeoisie, welche das Schutzsystem bef&uuml;rworten, verfehlen nie, das Wohl der arbeitenden Klasse in den Vordergrund zu schieben. Ihren Worten nach zu urteilen, beginne zugleich mit der Besch&uuml;tzung der Industrie ein wahrhaft paradiesisches Leben f&uuml;r die Arbeiter, ja Deutschland wird dadurch zu einem Kanaan, wo f&uuml;r den Proletarier "Milch und Honig innen flie&szlig;t". H&ouml;rt man andererseits die Freihandelsm&auml;nner sprechen, so w&uuml;rden erst bei Anwendung <I>ihres </I>Systems die Besitzlosen "wie Gott in Frankreich", das hei&szlig;t: h&ouml;chst fidel und lustig leben k&ouml;nnen.</P>
<P>Unter beiden Parteien gibt es noch beschr&auml;nkte K&ouml;pfe genug, die so ziemlich an die Wahrheit ihrer eigenen Worte glauben. Die Klugen darunter wissen sehr wohl, da&szlig; dies alles eitle T&auml;uschung und auch lediglich auf Irreleitung und Gewinnung der Masse berechnet ist.</P>
<P>Den klugen Bourgeois braucht es niemand zu sagen, da&szlig; der Arbeiter, herrsche nun das Schutzzoll- oder das Freihandels- oder ein aus beiden gemischtes System, keinen h&ouml;heren Arbeitslohn erh&auml;lt, als gerade zu seiner notd&uuml;rftigsten Unterhaltung hinreicht. Der Arbeiter bekommt auf der einen wie auf der andern Seite netto das, was er braucht, um als Arbeitsmaschine im Gange zu bleiben.</P>
<P>Dem Proletarier, dem Besitzlosen, k&ouml;nnte es also dem Anschein nach sehr gleichg&uuml;ltig sein, ob die Schutz- oder Freihandelsm&auml;nner das entscheidende Wort f&uuml;hren.</P>
<P>Da aber, wie oben gesagt, die Bourgeoisie in Deutschland des Schutzes gegen das Ausland bedarf, um mit den mittelalterlichen &Uuml;berresten einer Feudal-Aristokratie und dem modernen Ungeziefer von "Gottes Gnaden" aufzur&auml;umen, und ihr eigenstes, innerstes Wesen rein und lauter zur Entfaltung zu bringen! so hat auch die arbeitende Klasse ein Interesse an dem, was der Bourgeoisie zur ungeschm&auml;lerten Herrschaft verhilft.</P>
<P>Erst wenn nur noch <I>eine </I>Klasse - die Bourgeoisie - ausbeutend und unterdr&uuml;ckend dasteht, wenn Not und Elend nicht mehr bald dem, bald jenem Stande, oder blo&szlig; dem unbeschr&auml;nkten K&ouml;nigtume nebst seinen B&uuml;rokraten in das Schuldbuch geschrieben werden k&ouml;nnen: erst dann entspinnt sich der letzte entscheidende Kampf, der Kampf zwischen den Besitzenden und Besitzlosen, zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat.</P>
<P>Dann ist das Schlachtfeld von allen unn&ouml;tigen Schranken, von jedem irref&uuml;hrenden Beiwerk ges&auml;ubert; die Stellung der beiden feindlichen Heere klar und &uuml;bersichtlich.</P>
<P>Mit der Herrschaft des B&uuml;rgertums gelangen auch die Arbeiter, von den Verh&auml;ltnissen gezwungen, zu dem unendlich wichtigen Fortschritt, da&szlig; sie nicht mehr als Einzelne, als h&ouml;chstens ein paar Hunderte oder Tausende <A NAME="S61"><B>&lt;61&gt;</A></B> gegen das Bestehende auftreten und sich emp&ouml;ren, sondern da&szlig; sie allesamt als <I>eine </I>Klasse mit ihren besondern Interessen und Grunds&auml;tzen, ihrem letzten und schlimmsten Erbfeinde - der Bourgeoisie nach gemeinsamem Plane und mit vereinter Macht zu Leihe r&uuml;cken.</P>
<P>Der Ausgang dieses Kampfes kann nicht zweifelhaft sein. Die Bourgeoisie wird und mu&szlig; vor dem Proletariat ebenso zu Boden sinken, wie die Aristokratie und das unbeschr&auml;nkte K&ouml;nigtum von der Mittelklasse den Todessto&szlig; erkalten hat.</P>
<P>Mit der Bourgeoisie zugleich st&uuml;rzt das Privateigentum, und der Sieg der arbeitenden Klasse macht aller Klassen- und Kastenherrschaft f&uuml;r immer ein Ende.</P>
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