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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der Prager Aufstand</title>
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<p align="center"><a href="me05_079.htm"><font size="2">Die Vereinbarungsversammlung vom 15.
Juni</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_083.htm"><font size="2">Valdenaires
Haft - Sebaldt</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 80-82<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Der Prager Aufstand</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Juni 1848]</font></p>
<p><b><a name="S80">&lt;80&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 17. Juni. Ein neues posensches
Blutbad bereitet sich in <i>B&ouml;hmen</i> vor. Die &ouml;sterreichische Soldateska hat die
M&ouml;glichkeit eines friedlichen Zusammenbleibens von B&ouml;hmen und Deutschland im
tschechischen Blute erstickt.</p>
<p>Der F&uuml;rst Windischgr&auml;tz l&auml;&szlig;t auf dem Wyschehrad und Hradschin Kanonen
gegen Prag auffahren. Milit&auml;r wird konzentriert und ein Handstreich gegen den
Slawenkongre&szlig; und die Tschechen vorbereitet.</p>
<p>Das Volk erf&auml;hrt diese R&uuml;stungen. Es str&ouml;mt vor die Wohnung des F&uuml;rsten
und verlangt Waffen. Sie werden ihm verweigert. Die Aufregung steigt, die bewaffneten und
unbewaffneten Massen wachsen. Da f&auml;llt ein Schu&szlig; aus einem dem Palast des
Kommandanten gegen&uuml;berliegenden Gasthof, und die F&uuml;rstin Windischgr&auml;tz sinkt
t&ouml;dlich verwundet nieder. Auf der Stelle wird Befehl zum Angriff erteilt, die Grenadiere
r&uuml;cken vor, das Volk wird zur&uuml;ckgedr&auml;ngt. Aber &uuml;berall erheben sich
Barrikaden und halten das Milit&auml;r auf. Kanonen werden vorgefahren, mit Kart&auml;tschen
werden die Barrikaden zerschmettert. Das Blut flie&szlig;t in Str&ouml;men. Die ganze Nacht vom
12. auf den 13. und noch am 13. wird gek&auml;mpft. Endlich gelingt es den Soldaten, die
breiten Stra&szlig;en zu nehmen und das Volk in die engeren Stadtteile
zur&uuml;ckzudr&auml;ngen, wo keine Artillerie angewandt werden kann.</p>
<p>Soweit unsre neuesten Nachrichten. Es wird hinzugef&uuml;gt, da&szlig; viele Mitglieder des
Slawenkongresses unter starker Bedeckung aus der Stadt gewiesen seien. Hiernach h&auml;tte das
Milit&auml;r wenigstens teilweise gesiegt.</p>
<p>Der Aufstand mag endigen wie er will, ein Vernichtungskrieg der Deutschen gegen die
Tschechen bleibt jetzt die einzige m&ouml;gliche L&ouml;sung.</p>
<p>Die Deutschen haben in ihrer Revolution die S&uuml;nden ihrer ganzen Vergangenheit zu
b&uuml;&szlig;en. Sie haben sie geb&uuml;&szlig;t in Italien. Sie haben sich in Posen <a name=
"S81"><b>&lt;81&gt;</b></a> abermals den Fluch von ganz Polen aufgeladen. Und jetzt kommt noch
B&ouml;hmen dazu.</p>
<p>Die Franzosen haben sich, selbst da, wo sie als Feinde kamen, Anerkennung und Sympathien zu
erhalten gewu&szlig;t. Die Deutschen werden nirgends anerkannt, finden nirgends Sympathien.
Selbst wo sie als gro&szlig;herzige Freiheitsapostel auftreten, st&ouml;&szlig;t man sie mit
bitterm Hohn zur&uuml;ck.</p>
<p>Und man hat recht. Eine Nation, die sich in ihrer ganzen Vergangenheit zum Werkzeug der
Unterdr&uuml;ckung gegen alle andern Nationen hat gebrauchen lassen, eine solche Nation
mu&szlig; erst beweisen, da&szlig; sie wirklich revolutioniert ist. Sie mu&szlig; es anders
beweisen als durch ein paar halbe Revolutionen, die kein anderes Resultat haben, als unter
andern Gestalten die alte Unentschiedenheit, Schw&auml;che und Uneinigkeit fortbestehen zu
lassen; Revolutionen, bei denen ein Radeztky in Mailand, ein Colomb und Stein&auml;cker in
Posen, ein Windischgr&auml;tz in Prag, ein H&uuml;ser in Mainz bleibt, ganz als ob nichts
vorgefallen.</p>
<p>Das revolutionierte Deutschland mu&szlig;te sich, namentlich in Beziehung auf die
Nachbarv&ouml;lker, von seiner ganzen Vergangenheit lossagen. Es mu&szlig;te zugleich mit
seiner eigenen Freiheit die Freiheit der V&ouml;lker proklamieren, die es bisher
unterdr&uuml;ckt hatte.</p>
<p>Und was <i>hat</i> das revolutionierte Deutschland getan? Es hat die alte Unterdr&uuml;ckung
Italiens, Polens und nun auch B&ouml;hmens durch die deutsche Soldateska vollst&auml;ndig
ratifiziert. Kaunitz und Metternich sind vollst&auml;ndig gerechtfertigt.</p>
<p>Und da verlangen die Deutschen, die Tschechen sollen ihnen vertrauen? Und man verdenkt den
Tschechen, da&szlig; sie sich nicht an eine Nation anschlie&szlig;en wollen, die, w&auml;hrend
sie sich selbst befreit, andere Nationen unterdr&uuml;ckt und mi&szlig;handelt?</p>
<p>Man verdenkt es ihnen, da&szlig; sie eine Versammlung nicht beschicken wollen, wie unsere
tr&uuml;bselige, mattherzige, vor ihrer eignen Souver&auml;nit&auml;t zitternde Frankfurter
"Nationalversammlung"?</p>
<p>Man verdenkt es ihnen, da&szlig; sie sich von der impotenten &ouml;sterreichischen Regierung
lossagen, die in ihrer Ratlosigkeit und Lahmheit nur da zu sein scheint, um das
Auseinanderfallen &Ouml;sterreichs nicht zu verhindern oder wenigstens zu organisieren, sondern
zu konstatieren? Einer Regierung, die selbst zu schwach ist, Prag von den Kanonen und Soldaten
eines Windischgr&auml;tz zu befreien?</p>
<p>Wer aber am meisten zu bedauern ist, das sind die tapfern Tschechen selbst. M&ouml;gen sie
siegen oder geschlagen werden, ihr Untergang ist gewi&szlig;. Durch die vierhundertj&auml;hrige
Unterdr&uuml;ckung von seiten der Deutschen, die <a name="S82"><b>&lt;82&gt;</b></a> jetzt in
dem Prager Stra&szlig;enkampf fortgesetzt wird, sind sie den Russen in die Arme gejagt. In dem
gro&szlig;en Kampfe zwischen dem Westen und dem Osten Europas, der in sehr kurzer Zeit -
vielleicht in einigen Wochen - hereinbrechen wird, stellt ein ungl&uuml;ckliches
Verh&auml;ngnis die Tschechen auf die Seite der Russen, auf die Seite des Despotismus gegen die
Revolution. Die Revolution wird siegen, und die Tschechen werden die Ersten sein, die von ihr
erdr&uuml;ckt werden.</p>
<p>Die Schuld f&uuml;r diesen Untergang der Tschechen tragen wieder die Deutschen. Es sind die
Deutschen, die sie an Ru&szlig;land verraten haben.</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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