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2022-08-25 20:29:11 +02:00

169 lines
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<TITLE>Karl Marx: Brief an den Vater</TITLE>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 40. Berlin/DDR. 1973. S. 3-12.
<BR>1. Korrektur<BR>Erstellt am 18.12.1999</SMALL></P>
<H2>Karl Marx</H2>
<H1>[Brief an den Vater in Trier]</H1>
<hr size="1">
<P><B>|3|</B> Berlin, den 10ten November [1837]</P>
<P>Teurer Vater!</P>
<P>Es gibt Lebensmomente, die wie Grenzmarken vor eine abgelaufene Zeit sich stellen, aber zugleich auf eine neue Richtung mit Bestimmtheit hinweisen.</P>
<P>In solch einem &Uuml;bergangspunkte f&uuml;hlen wir uns gedrungen, mit dem Adlerauge des Gedankens das Vergangene und Gegenw&auml;rtige zu betrachten, um so zum Bewu&szlig;tsein unserer wirklichen Stellung zu gelangen. Ja, die Weltgeschichte selbst liebt solches R&uuml;ckschaun und besieht sich, was ihr dann oft den Schein des R&uuml;ckgehns und Stillstandes aufdr&uuml;ckt, w&auml;hrend sie doch nur in den Lehnstuhl sich wirft, sich zu begreifen, ihre eigne, des Geistes Tat geistig zu durchdringen.</P>
<P>Der einzelne aber wird in solchen Augenblicken lyrisch, denn jede Metamorphose ist teils Schwanensang, teils Ouvert&uuml;re eines gro&szlig;en neuen Gedichtes, das in noch verschwimmenden, glanzreichen Farben Haltung zu gewinnen strebt; und dennoch m&ouml;chten wir ein Denkmal setzen dem einmal Durchlebten, es soll in der Empfindung den Platz wiedergewinnen, den es f&uuml;r das Handlen verloren, und wo f&auml;nde es eine heiligere St&auml;tte als an dem Herzen von Eltern, dem mildesten Richter, dem innigsten Teilnehmer, der Sonne der Liebe, deren Feuer das innerste Zentrum unserer Bestrebungen erw&auml;rmt! Wie k&ouml;nnte besser manches Mi&szlig;liebige, Tadelnswerte seine Ausgleichung und Verzeihung erhalten, als wenn es zur Erscheinung eines wesentlich notwendigen Zustandes wird, wie k&ouml;nnte wenigstens das oft widrige Spiel der Zuf&auml;lligkeit, der Verirrung des Geistes dem Vorwurfe mi&szlig;gestalteten Herzens entzogen werden?</P>
<P>Wenn ich also jetzt am Schlusse eines hier verlebten Jahres einen Blick auf die Zust&auml;nde desselben zur&uuml;ckwerfe und so, mein teurer Vater, Deinen so lieben, lieben Brief von Ems beantworte, so sei es mir erlaubt, meine <A NAME="S4"></A><B>|4|</B> Verh&auml;ltnisse zu beschauen, wie ich das Leben &uuml;berhaupt betrachte, als den Ausdruck eines geistigen Tuns, das nach allen Seiten hin, in Wissen, Kunst, Privatlagen dann Gestalt ausschl&auml;gt.</P>
<P>Als ich Euch verlie&szlig;, war eine neue Welt f&uuml;r mich erstanden, die der Liebe, und zwar im Beginne sehnsuchtstrunkner, hoffnungsleerer Liebe. Selbst die Reise nach Berlin, die mich sonst im h&ouml;chsten Grade entz&uuml;ckt, zu Naturanschauung aufgeregt, zur Lebenslust entflammt h&auml;tte, lie&szlig; mich kalt, ja sie verstimmte mich auffallend, denn die Felsen, die ich sah, waren nicht schroffer, nicht kecker als die Empfindungen meiner Seele, die breiten St&auml;dte nicht lebendiger als mein Blut, die Wirtshaustafeln nicht &uuml;berladener, unverdaulicher als die Phantasiepakete, die ich trug, und endlich die Kunst nicht so sch&ouml;n als Jenny.</P>
<P>In Berlin angekommen, brach ich alle bis dahin bestandenen Verbindungen ab, machte mit Unlust seltene Besuche und suchte in Wissenschaft und Kunst zu versinken.</P>
<P>Nach der damaligen Geisteslage mu&szlig;te notwendig lyrische Poesie der erste Vorwurf, wenigstens der angenehmste, n&auml;chstliegende sein, aber, wie meine Stellung und ganze bisherige Entwickelung es mit sich brachten, war sie rein idealistisch. Ein ebenso fernliegendes Jenseits, wie meine Liebe, wurde mein Himmel, meine Kunst. Alles Wirkliche verschwimmt, und alles Verschwimmende findet keine Grenze, Angriffe auf die Gegenwart, breit und formlos geschlagenes Gef&uuml;hl, nichts Naturhaftes, alles aus dem Mond konstruiert, der v&ouml;llige Gegensatz von dem, was da ist und dem, was sein soll, rhetorische Reflexionen statt poetischer Gedanken, aber vielleicht auch eine gewisse W&auml;rme der Empfindung und Ringen nach Schwung bezeichnen alle Gedichte der ersten drei B&auml;nde, die Jenny von mir zugesandt erhielt. Die ganze Breite eines Sehnens, das keine Grenze sieht, schl&auml;gt sich in mancherlei Form und macht aus dem &raquo;Dichten&laquo; ein &raquo;Breiten&laquo;.</P>
<P>Nun durfte und sollte die Poesie nur Begleitung sein; ich mu&szlig;te Jurisprudenz studieren und f&uuml;hlte vor allem Drang, mit der Philosophie zu ringen. Beides wurde so verbunden, da&szlig; ich teils Heineccius, Thibaut und die Quellen rein unkritisch, nur sch&uuml;lerhaft durchnahm, so z.B. die zwei ersten Pandektenb&uuml;cher ins Deutsche &uuml;bersetzte, teils eine Rechtsphilosophie durch das Gebiet des Rechts durchzuf&uuml;hren suchte. Als Einleitung schickte ich einige metaphysische S&auml;tze voran und f&uuml;hrte dieses ungl&uuml;ckliche Opus bis zum &ouml;ffentlichen Rechte, eine Arbeit von beinahe 300 Bogen.</P>
<P>Vor allem trat hier derselbe Gegensatz des Wirklichen und Sollenden, <A NAME="S5"></A><B>|5|</B> der dem Idealismus eigen, sehr st&ouml;rend hervor und war die Mutter folgender unbeh&uuml;lflich unrichtiger Einteilung. Zuerst kam die von mir gn&auml;dig so getaufte Metaphysik des Rechts, d.h. Grunds&auml;tze, Reflexionen, Begriffsbestimmungen, getrennt von allem wirklichen Rechte und jeder wirklichen Form des Rechtes, wie es bei Fichte vork&ouml;mmt, nur bei mir moderner und gehaltloser. Dabei war die unwissenschaftliche Form des mathematischen Dogmatismus, wo das Subjekt an der Sache umherl&auml;uft, hin und her r&auml;soniert, ohne da&szlig; die Sache selbst als reich Entfaltendes, Lebendiges sich gestaltete, von vornherein Hindernis, das Wahre zu begreifen. Das Dreieck l&auml;&szlig;t den Mathematiker konstruieren und beweisen, es bleibt blo&szlig;e Vorstellung im Raume, es entwickelt sich zu nichts Weiterem, man mu&szlig; es neben anderes bringen, dann nimmt es andere Stellungen ein, und dieses verschieden an dasselbe Gebrachte gibt ihm verschiedene Verh&auml;ltnisse und Wahrheiten. Dagegen im konkreten Ausdruck lebendiger Gedankenwelt, wie es das Recht, der Staat, die Natur, die ganze Philosophie ist, hier mu&szlig; das Objekt selbst in seiner Entwicklung belauscht, willk&uuml;rliche Einteilungen d&uuml;rfen nicht hineingetragen, die Vernunft des Dinges selbst mu&szlig; als in sich Widerstreitendes fortrollen und in sich seine Einheit finden.</P>
<P>Als zweiter Teil folgte nun die Rechtsphilosophie, d.h. nach meiner damaligen Ansicht die Betrachtung der Gedankenentwicklung im positiven r&ouml;mischen Rechte, als wenn das positive Recht in seiner Gedankenentwicklung (ich meine nicht in seinen rein endlichen Bestimmungen) &uuml;berhaupt irgend etwas sein k&ouml;nnte, verschieden von der Gestaltung des Rechtsbegriffes, den doch der erste Teil umfassen sollte.</P>
<P>Diesen Teil hatte ich nun noch obendrein in formelle und materielle Rechtslehre geteilt, wovon die erste die reine Form des Systems in seiner Aufeinanderfolge und seinem Zusammenhang, die Einteilung und den Umfang, die zweite hingegen den Inhalt, das Sichverdichten der Form in ihren Inhalt beschreiben sollte. Einen Irrtum, den ich mit dem Herrn v. Savigny gemein habe, wie ich sp&auml;ter in seinem gelehrten Werke vom Besitz gefunden, nur mit dem Unterschied, da&szlig; er formelle Begriffsbestimmung nennt, &raquo;die Stelle zu finden, welche die und die Lehre im (fingierten) r&ouml;mischen System einnimmt&laquo;, und materielle, &raquo;die Lehre von dem Positiven, was die R&ouml;mer einem so fixierten Begriff beigelegt&laquo;, w&auml;hrend ich unter Form die notwendige Architektonik der Gestaltungen des Begriffs, unter Materie die notwendige Qualit&auml;t dieser Gestaltungen verstanden. Der Fehler lag darin, da&szlig; ich glaubte, das eine k&ouml;nne und m&uuml;sse getrennt von dem anderen sich entwickeln, und so keine wirkliche Form, sondern einen Sekret&auml;r mit Schubf&auml;chern erhielt, in die ich nachher Sand streute.</P>
<B></B>
<P><B><A NAME="S6">|6|</A></B> Der Begriff ist ja das Vermittelnde zwischen Form und Inhalt. In einer philosophischen Entwicklung des Rechts mu&szlig; also eins in dem andern hervorspringen; ja die Form darf nur der Fortgang des Inhaltes sein. So kam ich denn zu einer Einteilung, wie das Subjekt sie h&ouml;chstens zur leichten und seichten Klassifizierung entwerfen kann, aber der Geist des Rechtes und seine Wahrheit ging unter. Alles Recht zerfiel in vertrags- und unvertragsm&auml;&szlig;iges. Ich bin so frei, bis zur Einteilung des jus publicum, das auch im formellen Teil bearbeitet ist, das Schema zu besserer Versinnlichung herzusetzen.</P>
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<TR>
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<TR>
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<P align="CENTER">I.
</TD>
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<P align="CENTER">II.
</TD>
</TR>
<TR>
<TD width="50%" valign="TOP" height=23>
<P align="CENTER"><I>jus privatum.</I>
</TD>
<TD width="50%" valign="TOP" height=23>
<P align="CENTER"><I>jus publicum.</I></TD>
</TR>
</TABLE>
<P align="CENTER"><I>I. jus privatum.</I></P>
<P>a) Vom bedingten vertragsm&auml;&szlig;igen Privatrecht, <BR>
b) vom unbedingten unvertragsm&auml;&szlig;igen Privatrecht.</P>
<P align="CENTER"><I>A. Vom bedingten vert[ragsm&auml;&szlig;igen] Privatrecht.</I></P>
<P>a) Pers&ouml;nliches Recht. b) Sachenrecht. c) Pers&ouml;nlich dingliches Recht.</P>
<P align="CENTER">a) Pers&ouml;nliches Recht.</P>
<P>I. Aus bel&auml;stigtem Vertrag, II. aus Zusicherungsvertrag, III. aus wohlt&auml;tigem Vertrag.</P>
<P align="CENTER">I. Aus bel&auml;stigtem Vertrag.</P>
<P>2. Gesellschaftsvertrag (societas). 3. <I>Verdingungsvertrag </I>(locatio conductio).</P>
<P align="CENTER"><I>3. Locatio conductio.</I></P>
<OL>
<LI>Soweit er sich auf operae |Dienste| bezieht. </LI>
<LI>a) Eigentliche locatio conductio (weder das r&ouml;mische Vermieten noch Verpachten gemeint!),</LI>
</OL>
<P>b) mandatum |Auftrag|.</P>
<P>2. Soweit er sich auf usus rei |Gebrauchsrecht an einer Sache| bezieht. </P>
<P>a) Auf Boden: <I>ususfructus</I> |<I>Nie&szlig;brauch</I>| (auch nicht im blo&szlig; r&ouml;mischen Sinn), b) auf H&auml;user: <I>habitatio </I>|<I>Wohnungsrecht (zun&auml;chst im eigenen Hause, sp&auml;ter im Hause eines anderen)</I>|.</P>
<P><B><A name="S7">|7|</A></B></P>
<P align="CENTER"><I>II. Aus Zusicherungsvertrag.</I></P>
<P>1. Schieds- oder Vergleichungsvertrag. 2. Assekuranzvertrag.</P>
<P align="CENTER"><I>III. Aus wohlt&auml;tigem Vertrag.</I></P>
<P><I>2. Guthei&szlig;ungsvertrag.</I></P>
<P>1. fidejussio |B&uuml;rgschaft|. 2. negotiorum gestio |Gesch&auml;ftsf&uuml;hrung ohne Auftrag|.</P>
<P align="CENTER"><I>3. Schenkungsvertrag.</I></P>
<P>1. donatio |Schenkung|. 2. gratiae promissum |Versprechen einer Beg&uuml;nstigung|.</P>
<P align="CENTER"><I>b) Sachenrecht.</I></P>
<P align="CENTER"><I>I. Aus bel&auml;stigtem Vertrag.</I></P>
<P>2. permutatio stricte sic dicta |Tausch im urspr&uuml;nglichen Sinne|. </P>
<P>1. Eigentliche permutatio |Tausch|. 2. mutuum (usurae) |Darlehen (Zinsen)| . 3. <I>emtio venditio </I>|<I>Kauf Verkauf</I>|.</P>
<P align="CENTER">II. Aus Zusicherungsvertrag. </P>
<P><I>Pignus </I>|<I>Faustpfand</I>|.</P>
<P align="CENTER">III. Aus wohlt&auml;tigem Vertrag.</P>
<P>2. commodatum |Leihe, Leihvertrag|. 3. Depositum |Aufbewahrung anvertrauten Gutes|.</P>
</TD>
</TR>
</TABLE>
<P>Doch was soll ich weiter die Bl&auml;tter f&uuml;llen mit Sachen, die ich selbst verworfen? Trichotomische Einteilungen gehn durch das Ganze durch, es ist mit erm&uuml;dender Weitl&auml;ufigkeit geschrieben und die r&ouml;mischen Vorstellungen auf das barbarischste mi&szlig;braucht, um sie in mein System zu zw&auml;ngen. Von der anderen Seite gewann ich so Liebe und &Uuml;berblick zum Stoffe wenigstens auf gewisse Weise.</P>
<P>Am Schlusse des materiellen Privatrechtes sah ich die Falschheit des Ganzen, das im Grundschema an das Kantische grenzt, in der Ausf&uuml;hrung g&auml;nzlich davon abweicht, und wiederum war es mir klargeworden, ohne Philosophie sei nicht durchzudringen. So durfte ich mit gutem Gewissen mich abermals in ihre Arme werfen und schrieb ein neues metaphysisches Grundsystem, an dessen Schlu&szlig; ich abermals seine und meiner ganzen fr&uuml;heren Bestrebungen Verkehrtheit einzusehn gezwungen wurde.</P>
<P><B><A NAME="S8">|8|</A></B> Dabei hatte ich die Gewohnheit mir eigen gemacht, aus allen B&uuml;chern, die ich las, Exzerpte zu machen, so aus Lessings &raquo;Laokoon&laquo;, Solgers &raquo;Erwin&laquo;, Winckelmanns Kunstgeschichte, Ludens deutscher Geschichte, und so nebenbei Reflexionen niederzukritzeln. Zugleich &uuml;bersetzte ich Tacitus' Germania, Ovids libri tristium und fing privatim, d.h. aus Grammatiken, Englisch und Italienisch an, worin ich bis jetzt nichts erreicht, las Kleins Kriminalrecht und seine Annalen und alles Neueste der Literatur, doch nebenhin das letztere.</P>
<P>Am Ende des Semesters suchte ich wieder Musent&auml;nze und Satyrmusik, und schon in diesem letzten Heft, das ich Euch zugeschickt, spielt der Idealismus durch erzwungnen Humor (&raquo;Scorpion und Felix&laquo;), durch ein mi&szlig;lungenes, phantastisches Drama (&raquo;Oulanem&laquo;) hindurch, bis er endlich g&auml;nzlich umschl&auml;gt und in reine Formkunst, meistenteils ohne begeisternde Objekte, ohne schwunghaften Ideengang, &uuml;bergeht.</P>
<P>Und dennoch sind diese letzten Gedichte die einzigen, in denen mir pl&ouml;tzlich wie durch einen Zauberschlag - ach! der Schlag war im Beginn zerschmetternd - das Reich der wahren Poesie wie ein ferner Feenpalast entgegenblitzte und alle meine Sch&ouml;pfungen in nichts zerfielen.</P>
<P>Da&szlig; bei diesen mancherlei Besch&auml;ftigungen das erste Semester hindurch viele N&auml;chte durchwacht, viele K&auml;mpfe durchstritten, viele innere und &auml;u&szlig;ere Anregung erduldet werden mu&szlig;te, da&szlig; ich am Schlusse doch nicht sehr bereichert hinaustrat und dabei Natur, Kunst, Welt vernachl&auml;ssigt, Freunde abgesto&szlig;en hatte, diese Reflexion schien mein K&ouml;rper zu machen, ein Arzt riet mir das Land, und so geriet ich zum ersten Mal durch die ganze lange Stadt vor das Tor nach Stralow |Stralau|. Da&szlig; ich dort aus einem bleichs&uuml;chtigen Schm&auml;chtling zu einer robusten Festigkeit des K&ouml;rpers heranreifen w&uuml;rde, ahnte ich nicht.</P>
<P>Ein Vorhang war gefallen, mein Allerheiligstes zerrissen, und es mu&szlig;ten neue G&ouml;tter hineingesetzt werden.</P>
<P>Von dem Idealismus, den ich, beil&auml;ufig gesagt, mit Kantischem und Fichteschem verglichen und gen&auml;hrt, geriet ich dazu, im Wirklichen selbst die Idee zu suchen. Hatten die G&ouml;tter fr&uuml;her &uuml;ber der Erde gewohnt, so waren sie jetzt das Zentrum derselben geworden.</P>
<P>Ich hatte Fragmente der Hegelschen Philosophie gelesen, deren groteske Felsenmelodie mir nicht behagte. Noch einmal wollte ich hinabtauchen in das Meer, aber mit der bestimmten Absicht, die geistige Natur ebenso notwendig, konkret und festgerundet zu finden wie die k&ouml;rperliche, nicht <A NAME="S9"></A><B>|9|</B> mehr Fechterk&uuml;nste zu &uuml;ben, sondern die reine Perle ans Sonnenlicht zu halten.</P>
<P>Ich schrieb einen Dialog von ungef&auml;hr 24 Bogen: &raquo;Kleanthes, oder vom Ausgangspunkt und notwendigen Fortgang der Philosophie&laquo;. Hier vereinte sich einigerma&szlig;en Kunst und Wissen, die ganz auseinandergegangen waren, und ein r&uuml;stiger Wandrer schritt ich ans Werk selbst, an eine philosophisch-dialektische Entwicklung der Gottheit, wie sie als Begriff an sich, als Religion, als Natur, als Geschichte sich manifestiert. Mein letzter Satz war der Anfang des Hegelschen Systems, und diese Arbeit, wozu ich mit Naturwissenschaft, Schelling, Geschichte einigerma&szlig;en mich bekannt gemacht, die mir unendliches Kopfbrechen verursacht und so |...In der Handschrift nicht zu entziffern; vermutlich zwei gestrichene Wortfragmente| geschrieben ist (da sie eigentlich eine neue Logik sein sollte), da&szlig; ich jetzt selbst mich kaum wieder hineindenken kann, dies mein liebstes Kind, beim Mondschein gehegt, tr&auml;gt mich wie eine falsche Sirene dem Feind in den Arm.</P>
<P>Vor &Auml;rger konnte ich einige Tage gar nichts denken, lief wie toll im Garten an der Spree schmutzigem Wasser, das Seelen w&auml;scht und Tee verd&uuml;nnt umher, machte sogar eine Jagdpartie mit meinem Wirte mit, rannte nach Berlin und wollte jeden Eckensteher umarmen.</P>
<P>Kurz darauf trieb ich nur positive Studien, Studium des &raquo;Besitzes&laquo; von Savigny, Feuerbachs und Grolmanns Kriminalrecht, de verborum significatione von Cramer, Wening-Ingenheims Pandektensystem und M&uuml;hlenbruch: doctrina Pandectarum, woran ich noch immer durcharbeite, endlich einzelne Titel nach Lauterbach, Zivilproze&szlig; und vor allem Kirchenrecht, wovon ich den ersten Teil, die concordia discordantium canonum von Gratian fast ganz im corpus durchgelesen und exzerpiert habe, wie auch den Anhang, des Lancelotti Institutiones. Dann &uuml;bersetzte ich Aristoteles' Rhetorik teilweise, las des ber&uuml;hmten Baco v. Verulam: de augmentis scientiarum, besch&auml;ftigte mich sehr mit Reimarus, dessen Buch &raquo;Von den Kunsttrieben der Tiere&laquo; ich mit Wollust durchgedacht, verfiel auch auf deutsches Recht, doch haupts&auml;chlich nur, insofern ich die Kapitulare der fr&auml;nkischen K&ouml;nige und der P&auml;pste Briefe an sie durchnahm. Aus Verdru&szlig; &uuml;ber Jennys Krankheit und meine vergeblichen, untergegangenen Geistesarbeiten, aus zehrendem &Auml;rger, eine mir verha&szlig;te Ansicht zu meinem Idol machen zu m&uuml;ssen, wurde ich krank, wie ich schon fr&uuml;her Dir, teurer Vater, geschrieben. Wiederhergestellt, verbrannte ich alle Gedichte und Anlagen zu Novellen etc. in dem Wahn, ich k&ouml;nne ganz davon ablassen, wovon ich bis jetzt allerdings noch keine Gegenbeweise geliefert.</P>
<P><B><A NAME="S10">|10|</A></B> W&auml;hrend meines Unwohlseins hatte ich Hegel von Anfang bis Ende, samt den meisten seiner Sch&uuml;ler, kennengelernt. Durch mehre Zusammenk&uuml;nfte mit Freunden in Stralow geriet ich in einen Doktorklub, worunter einige Privatdozenten und mein intimster der Berliner Freunde, Dr. Rutenberg. Hier im Streite offenbarte sich manche widerstrebende Ansicht, und immer fester kettete ich mich selbst an die jetzige Weltphilosophie, der ich zu entrinnen gedacht, aber alles Klangreiche war verstummt, eine wahre Ironiewut befiel mich, wie es wohl leicht nach so viel Negiertem geschehn konnte. Hinzu kam Jennys Stillschweigen, und ich konnte nicht ruhn, bis ich die Modernit&auml;t und den Standpunkt der heutigen Wissenschaftsansicht durch einige schlechte Produktionen wie &raquo;Den Besuch&laquo; etc. erkauft hatte.</P>
<P>Wenn ich hier vielleicht Dir dies ganze letzte Semester weder klar dargestellt noch in alle Einzelnheiten eingegangen, auch alle Schattierungen verwischt, so verzeihe es meiner Sehnsucht, von der Gegenwart zu reden, teurer Vater.</P>
<P>H. v. Chamisso hat mir einen h&ouml;chst unbedeutenden Zettel zugeschickt, worin er mir meldet, &raquo;er bedaure, da&szlig; der Almanach meine Beitr&auml;ge nicht brauchen k&ouml;nne, weil er schon lange gedruckt ist&laquo;. Ich verschluckte ihn aus &Auml;rger. Buchh&auml;ndler Wigand hat meinen Plan dem Dr. Schmidt, Verleger des Wunderschen Kaufhauses von gutem K&auml;se und schlechter Literatur, zugeschickt. Seinen Brief lege ich bei; der letztere hat noch nicht geantwortet. Indessen gebe ich keinenfalls diesen Plan auf, besonders da s&auml;mtliche &auml;sthetischen Ber&uuml;hmtheiten der Hegelschen Schule durch Vermittlung des Dozenten Bauer, der eine gro&szlig;e Rolle unter ihnen spielt, und meines Koadjutors Dr. Rutenberg, ihre Mitwirkung zugesagt.</P>
<P>Was nun die Frage hinsichtlich der kameralistischen Karriere betrifft, mein teurer Vater, so habe ich k&uuml;rzlich die Bekanntschaft eines Assessors Schmidth&auml;nner gemacht, der mir geraten, nach dem dritten juristischen Examen als Justitiarus dazu &uuml;berzugehn, was mir um so eher zusagen w&uuml;rde, als ich wirklich die Jurisprudenz aller Verwaltungswissenschaft vorziehe. Dieser Herr sagte mir, da&szlig; vom M&uuml;nsterschen Oberlandesgericht in Westfalen er selber und viele andere in drei Jahren es bis zum Assessor gebracht, was nicht schwer sei, es versteht sich bei vielem Arbeiten, da hier die Stadien nicht wie in Berlin und anderswo fest bestimmt sind. Wenn man sp&auml;ter als Assessor promoviert zum Dr., sind auch viel leichter Aussichten vorhanden, sogleich als au&szlig;erordentlicher Professor eintreten zu k&ouml;nnen, wie <A NAME="S11"></A><B>|11|</B> es dem H. G&auml;rtner in Bonn gegangen, der ein mittelm&auml;&szlig;iges Werk &uuml;ber Provinzialgesetzb&uuml;cher schrieb und sonst nur darin bekannt ist, da&szlig; er sich zur Hegelschen Juristenschule bekennt. Doch, mein teurer, bester Vater, w&auml;re es nicht m&ouml;glich, dies alles pers&ouml;nlich mit Dir zu besprechen!l Eduards' Zustand, des lieben M&uuml;tterchens Leiden, Dein Unwohlsein, obgleich ich hoffe, da&szlig; es nicht stark ist, alles lie&szlig; mich w&uuml;nschen, ja macht es fast zur Notwendigkeit, zu Euch zu eilen. Ich w&uuml;rde schon da sein, wenn ich nicht bestimmt Deine Erlaubnis, Zustimmung bezweifelt.</P>
<P>Glaube mir, mein teurer, lieber Vater, keine eigenn&uuml;tzige Absicht dr&auml;ngt mich (obgleich ich selig sein w&uuml;rde, Jenny wiederzusehn), aber es ist ein Gedanke, der mich treibt, und den darf ich nicht aussprechen. Es w&auml;re mir sogar in mancher Hinsicht ein harter Schritt, aber wie meine einzige, s&uuml;&szlig;e Jenny schreibt, diese R&uuml;cksichten fallen alle zusammen vor der Erf&uuml;llung von Pflichten, die heilig sind.</P>
<P>Ich bitte Dich, teurer Vater, wie Du auch entscheiden magst, diesen Brief, wenigstens dies Blatt der Engelsmutter nicht zu zeigen. Meine pl&ouml;tzliche Ankunft k&ouml;nnte vielleicht die gro&szlig;e, herrliche Frau aufrichten.</P>
<P>Der Brief, den ich an M&uuml;tterchen geschrieben, ist lange vor der Ankunft von Jennys liebem Schreiben abgefa&szlig;t, und so habe ich unbewu&szlig;t vielleicht zuviel von Sachen geschrieben, die nicht ganz oder gar sehr wenig passend sind</P>
<P>In der Hoffnung, da&szlig; nach und nach die Wolken sich verziehn, die um unsere Familie sich lagern, da&szlig; es mir selbst verg&ouml;nnt sei, mit Euch zu leiden und zu weinen und vielleicht in Eurer N&auml;he den tiefen, innigen Anteil, die unerme&szlig;liche Liebe zu beweisen, die ich oft so schlecht nur auszudr&uuml;cken vermag, in der Hoffnung, da&szlig; auch Du, teurer, ewig geliebter Vater, die vielfach hin- und hergeworfene Gestaltung meines Gem&uuml;tes erw&auml;gend, verzeihst, wo oft das Herz geirrt zu haben scheint, w&auml;hrend der k&auml;mpfende Geist es &uuml;bert&auml;ubte, da&szlig; Du bald wieder ganz v&ouml;llig hergestellt werdest, so da&szlig; ich selbst Dich an mein Herz pressen und mich ganz aussprechen kann</P>
<P>Dein Dich ewig liebender Sohn</P>
<P ALIGN="RIGHT"><I>Karl</I></P>
<P>Verzeihe, teurer Vater, die unleserliche Schrift und den schlechten Stil; es ist beinahe 4 Uhr, die Kerze ist g&auml;nzlich abgebrannt und die Augen <A NAME="S12"></A><B>|12|</B> tr&uuml;b; eine wahre Unruhe hat sich meiner bemeistert, ich werde nicht eher die aufgeregten Gespenster bes&auml;nftigen k&ouml;nnen, bis ich in Eurer lieben N&auml;he bin.</P>
<P>Gr&uuml;&szlig;e gef&auml;llig meine s&uuml;&szlig;e, herrliche Jenny. Ihr Brief ist schon 12mal durchlesen von mir, und stets entdecke ich neue Reize. Es ist in jeder, auch in stilistischer Hinsicht der sch&ouml;nste Brief, den ich von Damen denken kann.</P>
<HR size="1" width="200" align="left">
<P><SMALL>Pfad: &raquo;../me/me40&laquo;</SMALL></P>
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